Klassisch von papierkorb (KaiHiromi, ReiMao) ================================================================================ Kapitel 10: Viele kleine Spektakel ---------------------------------- Ich hatte ja versprochen, das nächste Kapitel wird länger. Bitteschön: über 4000 Wörter. Da ich inzwischen auch ein weiteres Kapitel auf Vorat habe, konnte ich das hier schon früher hochladen. Bin gut, ne?! xD Ich kam mir vor wie in der Wüste. Sengende Hitze ging auf uns hernieder und weit und breit war nicht das kleinste Fleckchen Schatten zu sehen. Die Halle erhob sich vor uns, aus strahlend hellem, neuem Stein, sodass es mich fast blendete. Die Bäume, die um sie herum gepflanzt worden waren, waren noch so winzig, dass nicht einmal ein Käfer unter ihnen vor der Sonne geschützt wäre. Es gab zwei Eingänge, vor denen sich jeweils vielleicht zwanzig Leute versammelt hatten, also lächerlich wenige, die in den Zugängen campierten und sich mehr schlecht als recht schützten. Es würde mich nicht wundern, wenn sie, kaum dass sie die erste Reihe vor der Bühne erreichten, schon wieder von der Security über die Barrikaden gezerrt werden mussten, weil sie einen Hitzeschlag bekommen hatten. Ich zog Kyoujyu in den knappen Schatten einer hervorspringenden Ecke des Gebäudes und packte als erstes die großen Wasserflaschen aus. „Hör mal, wenn jetzt noch niemand da ist, können wir uns bestimmt bis kurz vor Einlass Zeit lassen, bis wir uns anstellen“, versuchte ich ihn zu beruhigen, da er immer wieder zu den anderen Fans hinüber spähte. „Die meisten haben sowieso feste Sitzplätze, also werden sie auch ganz gemütlich erst kurz vor Beginn antanzen. Da kannst du dich drauf verlassen.“ Daraufhin schien er sich zu beruhigen und stürzte enthusiastisch den ersten halben Liter Wasser hinunter. Ich besah mir die Klientel vor der Halle: sie bestand zu einem sehr großen Teil aus minderjährigen Mädchen, also war auch eine Gruppe Erwachsener nicht weit, die ein wenig abseits stand. Einige rauchten. Erziehungsberechtigte, die wahrscheinlich gleich auf ein ganzes Grüppchen aufpassten. Überraschenderweise waren jedoch auch schon einige Jungs zu sehen, die ernsthafte Fanambitionen zu haben schienen. Kleine Justin Biebers, die cool von A nach B flanierten und verhaltene Blicke auf die Mädchen warfen. Ich fühlte mich ein wenig in den Livemitschnitt von Miley Cirus hineinversetzt, den ich mal aus Jux und Tollerei auf YouTube gesehen hatte. Na das konnte ja was werden. Eine Gruppe fehlte allerdings, die ich von den meisten größeren Rockkonzerten, die nicht allzu extrem waren und von vornehmlich aus männlichen Musikern bestehenden Bands ausgetragen wurden, kannte: Die Ex-Boygroup-und-jetzt-Rockfrontmann-Fangirls. Diese waren meistens gestandene Frauen mit Kind und Kegel, die einzig des sexy Frontmanns wegen zu einem Konzert gingen, natürlich in der ersten Reihe stehen und dabei auch noch gut aussehen mussten. Aber da MingMing nun einmal nicht mit den Reizen eines echten Kerls dienen konnten, würden solche Tussen hier wohl nicht auftauchen. Konnte mir nur recht sein. „Kyoujyu, ich geh mal ein Stück“, sagte ich schließlich zu meinem Begleiter, „Möchtest du mitkommen oder lieber hier warten?“ Natürlich wollte er warten. Wahrscheinlich würde er sich den ganzen Tag nicht vom Fleck rühren, damit er ja nichts verpasste. Ich musste ihn unbedingt noch dazu kriegen, zur Toilette zu gehen, bevor er richtig ernst wurde. Erst einmal stand ich jedoch auf, klopfte mir den Staub von der Hose und begab mich wagemutig in die pralle Sonne. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Um möglichst wenig davon abzubekommen, schlängelte ich mich so dicht am Gebäude entlang, wie es möglich war. Die Eingänge befanden sich an beiden Enden der langen Seite der Arena. Auf halbem Weg stand ein Tor offen, vor dem ein paar Leute mit Headset hin und her liefen. Ich stellte keine dummen Fragen, also beachteten sie mich nicht. Dafür konnte ich kurz einen Blick auf die Rückseite der Bühne erhaschen. Dann vorbei an dem Grüppchen vor Eingang B, das sich fast wie ein Spiegelbild von unserem Ende ausnahm. Kaum jemand unterhielt sich; die meisten schützten sich mit Schirmen vor der Sonne und bewegten sich so wenig wie möglich. Erst als ich um die nächste Ecke kam, wurde es interessant: Ein Bauzaun. Dahinter reihten sich drei Tourbusse und ein paar LKWs auf. Volltreffer. Hier musste ich nach dem Auftritt herkommen. Ich lief bis an den Zaun heran und spähte auf das angrenzende Gelände. Natürlich war niemand zu sehen. Die saßen jetzt alle irgendwo backstage, tranken was Kaltes und warteten auf den Soundcheck. Der Ausgang war vielleicht dreißig Meter entfernt, also würde ich wohl rufen müssen, um auf mich aufmerksam zu machen. Nicht die höflichste Art und Weise, jemanden in ein Gespräch zu verwickeln, aber dann musste es halt mal so sein. Zufrieden kehrte ich zu Kyoujyu zurück, der aus lauter Langeweile auf seinem Handy spielte, da er ja nicht einmal seinen geliebten Laptop hatte mitnehmen dürfen. „Jetzt heißt es, Abwarten und Tee trinken“, meinte ich und griff erneut nach unseren Rucksäcken, um das Picknick auszupacken, das ich noch für uns gemacht hatte. Der Einlass verlief praktisch reibungslos. Die Security war gut ausgebildet und noch dazu nett, eine Mischung, die man selten antraf. Ein riesiger und ebenso breiter Typ spähte in meine Tasche und zählte belustigt auf: „Handcreme, Haarbürste, Deo…Warum schleppt ihr Mädels bloß immer das ganze Zeug mit euch rum?“ „Damit wir für euch Männer gut aussehen“, entgegnete ich, während ich schon an ihm vorbeistürmte und mein Zeug auf den Garderobentresen knallte. Dann packte ich Kyoujyu am Arm, und wir schafften es tatsächlich, noch mindestens zwanzig Fans zu überholen, bis wir am Zugang für den Stehbereich standen, wo wir ein Armband bekamen. Ein weiterer Sprint –und dann standen wir tatsächlich vorn an der Barrikade. Vor uns war die Bühne mit ihrem in den Saal ragenden Laufsteg. Ich hatte Kyoujyu in eine Ecke geschleift, zum Ansatz des Laufstegs, denn so würde ich auch einen guten Blick auf die eigentliche Bühne haben. Meist war es so, dass die Vorbands ihn nicht betraten, und wenn man dann an dessen Stirnseite stand, sah man gar nichts. Mein Begleiter war ganz außer Atem. Doch ich klopfte ihm beschwingt auf die Schulter: „Freu dich, dank mir wirst du einen tadellosen Blick haben!“ Er rang sich ein Lächeln ab. Jetzt mussten wir erneut einfach abwarten. Es dauerte ewig, bis sich die große Halle gefüllt hatte. Ich setzte mich für ein paar Minuten auf die Barrikade und sah zu, wie nach und nach die Ränge besetzt wurden. Auf der Rückseite gab es sogar VIP-Logen, in denen sich ein paar Anzugträger bewegten. Schließlich wurde ich von einem Security-Typen von meinem Platz gescheucht und setzte mich auf den Boden. Um mich herum wogte ein immer dichter werdendes Heer aus Beinen. Dosenmusik erfüllte den Raum, auf der Bühne rannten die Leute vom Staff hin und her und verkabelten sie letzten Instrumente. Und irgendwann ging plötzlich das Licht aus. Ich sprang sofort auf und klammerte mich an der Barrikade fest, doch es blieb, bis auf die donnernden Jubelrufe, ruhig um mich. Erst da fiel mir wieder ein, dass Showdown nur der Voract waren. Trotzdem packte es mich mit einem Mal: mein Herz raste, meine Augen waren weit aufgerissen und auf mein Gesicht legte sich ein Lächeln, dass sich irgendwie arg verzerrt anfühlte. Ich sah vermutlich aus, wie eine Wahnsinnige. Dann stürmten die Jungs auf die Bühne, griffen nach ihren Instrumenten und stimmten ein wildes Intro an. Ich fing an, auf und ab zu hüpfen und steckte wohl ein paar Umstehende mit meiner Begeisterung an, denn sie setzten sich ebenfalls in Bewegung. Katsumi musste uns bemerkt haben, denn er rannte sofort auf uns zu, stand dann, die Füße auf unserer Augenhöhe, über uns und widmete uns die erste Strophe des Songs. Er schien noch mehr Energie zu haben, als damals im „Kittchen“, als würde er mit zunehmender Hörerschaft immer geladener werden. Zwar betrat auch er tatsächlich nicht den Laufsteg, dafür kam er immer wieder in unsere Ecke zurück und animierte uns zum Mitsingen. Ich brüllte mir meine Stimme kaputt. Schon nach drei Songs taten mir Hals und Beine weh, aber die Show war es allemal wert, und die ewige Warterei hatte sich mehr als gelohnt. Das war die Musik, die mich während der letzten Wochen ständig begleitet hatte, mich träumen gelassen hatte. Sie hatte mich beruhigt, wenn ich mir zu viele Gedanken um Mao und Rei oder Alyona und Kai gemacht hatte. Sie hatte mir geholfen, die Nacht mit Kai und die damit verbundenen Gefühle zu relativieren. Und diese Musik jetzt zu hören, so leidenschaftlich vorgetragen, mit ganzem Herzen, wie es sein sollte, und ein Teil von ihr zu sein, war unbeschreiblich. Ich nahm nichts anderes mehr wahr, nur ich und die Jungs auf der Bühne existierten noch in diesem Raum. Ich liebte Katsumi auf eine besondere Art und Weise; ich sah zu ihm auf, wie zu einem Lehrmeister, weil er der Mensch war, dem es gelang, in Worte zu fassen, was ich bisher nicht aussprechen konnte. Er zeigte mir, was ich fühlte und beschützte mich gleichzeitig vor denjenigen, die es nicht verstanden. Diese Geborgenheit wollte ich immer haben. Nach einer halben Stunde war alles vorbei. Ich war durchgeschwitzt und ausgelaugt und wurde doch von einer Welle äußerster Zufriedenheit überrollt. Als die Lichter wieder angingen, blendeten sie mich. Am liebsten wäre ich allein gewesen, um all die Eindrücke noch einmal Revue passieren zu lassen. Ich klammerte mich an die Barrikade, ignorierte alle Leute um mich herum und atmete tief durch. Erst nach ein paar Minuten fiel mir ein, dass ich ja jetzt eigentlich die Halle verlassen wollte. Plötzlich erschien die Menschenmasse hinter mir unüberwindlich. Ich sah Kyoujyu an, den ich bis dahin vergessen hatte und der noch völlig unversehrt neben mir stand. Er warf mir ziemlich entgeisterte, verängstigte Blicke zu, die mir verdeutlichten, wie abgedreht ich gerade auf ihn gewirkt haben musste. Es war mir herzlich egal. Gerade hatte ich alle Probleme der letzten Wochen einfach über Bord werfen können. „Kann ich dich alleine lassen?“, fragte ich ihn, „Ich geh jetzt raus und wir sehen uns nach dem Konzert, okay?“ „Ist gut“, sagte er nur und nickte. Ich grinste ihn noch mal an und sah mich dann um. Wie kam ich jetzt am besten hier raus? Da bemerkte ich einen Aufgang ganz in der Nähe. Ah, sehr gut, also gab es doch nicht nur einen Zugang. Wäre ja sicherheitstechnisch auch gar nicht möglich gewesen. Ich begann also, mich durch die Menschen hindurch zu schlängeln. Die Reihen hatten sich geleert, weil viele noch mal eine Pinkelpause machten, bevor es richtig losging. Es dauerte trotzdem eine Weile, da ich viele auf dem Boden sitzende Grüppchen umrunden musste. Schließlich erklomm ich die Stufen. Auf dem obersten Absatz drehte ich mich noch einmal um und ließ den Blick durch die Halle schweifen. Es war überwältigend. Sämtliche Sitzplätze und die ganze Stehfläche waren besetzt. Die Menschen auf der anderen Seite erkannte man nur noch schemenhaft. In der Mitte erhob sich eine kleine, umzäunte Insel aus Laptops und anderer Technik, von der aus Sound und Licht gesteuert wurden. Ich schüttelte fassungslos den Kopf. In diesem Moment wurde es wieder dunkel. Die ganze Halle erbebte förmlich im aufkommenden Getöse. Dann flackerten die Lichter auf und ein Intro fing an. Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte nach draußen, doch bevor ich die Tür wieder schließen konnte, hörte ich schon das „Hey! Hey!“, das freudig vom Publikum wiederholt wurde. Kyoujyu war bestimmt schon in Ohnmacht gefallen. Während ich den menschenleeren Gang entlanglief, kam es dumpf von drinnen: „Ich bin die Größte, trainier‘ so viel ich kann, beim Bladen nehme ich jede Herausforderung an, hey legt jetzt los und hört auf zu reden, ich werde euch wegfegen…!“ Ich ächzte gequält und beeilte mich gleich noch ein bisschen mehr. Die Luft draußen war angenehm kühl. Ich musste mir meine Jacke überziehen, aber dann wurde die Temperatur sehr angenehm. Es war niemand zu sehen, doch selbst hier hörte man noch den gedämpften Bass. Ich schob die Hände in die Taschen und machte mich auf zum Bauzaun. Dort angekommen spähte ich durch das Gitter hindurch, doch auch hier war keine Menschenseele. Ich würde wohl warten müssen. Damit ich nicht auskühlte, hüpfte ich ein paarmal auf und ab und machte einige Aufwärmübungen aus dem Sportunterricht, die nicht allzu peinlich aussahen. Dann ging ich dazu über, einen Stein durch die Gegend zu kicken. Ich fühlte, wie mein Oberteil langsam wieder trocknete. Ich hatte ja die Jacke aufgelassen. So eine laue Sommernacht war das Beste für Konzerte. Nicht auszudenken, wie ich frieren würde, wenn es Winter wäre! Ich zuckte kurz zusammen, als Bewegung am Hintereingang entstand. Sofort hielt ich inne und kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen. Eine Person kam dort heraus, aber es schien niemand von der Band zu sein… Plötzlich stockte mir der Atem: Ich hatte langes, weißblones Haar aufblitzen sehen und hörte das regelmäßige Klackern von Hackenschuhen. Das durfte doch nicht wahr sein! Es war jedoch die pure Wahrheit: Das dort drüben war Alyona. Ich begriff nicht, was vor sich ging. Was hatte das zu bedeuten? Kurz entschlossen rief ich nach ihr. Sie blieb augenblicklich stehen und drehte sich zu mir. Scheinbar erkannte sie mich, denn kurze Zeit später stand sie mir auf der anderen Seite des Zauns gegenüber. „Hiromi? Was machst du denn hier?“, fragte sie perplex. „Das gleiche könnte ich dich fragen“, entgegnete ich, „Ich hab mir Showdown angesehen.“ „Ach ja, das hattest du ja damals erzählt!“ Sie klang eigentlich recht freundlich. „Was zur Hölle machst du backstage?“, entfuhr es mir trotzdem. Sie setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Naja, ich hab die Jungs kennengelernt, als sie vor Ewigkeiten mal bei mir eingekauft haben. Seitdem hängen wir öfters miteinander ab, und ich besuche sie nach ihren Gigs. Ähm…willst du vielleicht mit reinkommen?“ Ich blinzelte sie an. Wie? Mit reinkommen? „Klar!“, rief ich, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Zusammen hievten wir den Zaun ein Stück zur Seite, so dass eine Lücke offen stand, durch die ich hineinschlüpfen konnte. Wahnsinn, dachte ich. Ich war tatsächlich backstage. „Die Jungs sind aber noch nicht fertig. Lass mich erst eine rauchen, dann können wir mal reingehen und gucken, wie weit sie sind“, meinte Alyona. Wir setzten uns auf eine Stufe vor dem Eingang, und sie zündete sich eine Kippe an. Die gleiche Marke, wie Kai, fiel mir auf, nur mit Menthol. Es verursachte fast den gleichen Geruch, Rauch und Minze, nur dass er bei ihr direkt aus der Zigarette kam und bei Kai eine Mischung aus Zigarette und Kaugummi war. „Alter, warum sagst du so was denn nicht früher?“, echauffierte ich mich, was jedoch nur halb ernst gemeint war. Sie grinste mich schelmisch an. „Du hast ja nie gefragt. Selbst damals im Laden nicht, als wir uns über Showdown unterhalten haben.“ „Hm. Stimmt. Ich hatte halt andere Probleme.“ Es entstand eine kleine Pause. „Ach, apropos Probleme…“, fing ich dann an, denn wieder einmal hatte die Neugier gesiegt. „Ich hab dich schon lange nicht mehr mit Kai zusammen gesehen…“ Ihr Gesicht verzog sich, doch sie verlor nichts von der Selbstsicherheit, die sie immer ausstrahlte. „Können wir nicht einfach über Showdown reden?“, fragte sie leise. „Schon, aber…naja…“ Warum konnte ich nicht einfach meine Klappe halten? Ich ärgerte mich selbst über meine Neugierde. Ständig musste ich jede Perspektive kennenlernen. Ich sollte mich einfach da raushalten. Aber es war nichts zu machen, nun hatte ich begonnen. Ich biss mir auf die Unterlippe und übte mich in Schweigen. Wenn ich schon die Stimmung versaut hatte, brauchte ich jetzt nicht noch länger darauf herumzureiten. So saß ich innerlich däumchendrehend neben ihr und wartete darauf, dass etwas passierte. Tatsächlich fing Alyona zu reden an, als sie ihre Zigarette ausgedrückt hatte. „Also, hm…hat er denn irgendwas gesagt?“ Also doch wieder Kai. „Naja“, druckste ich, „Nicht viel. Nur, dass er dich nicht mehr sieht.“ Sie nickte. „Scheiße…“ Und vergrub das Gesicht in den Händen. Mich überkam das schlechte Gewissen. Immerhin hatte ich mit ihm im Bett gelegen und wusste mehr über die Sache, als ich zugab. Aber wie würde das denn klingen? ‚Hör mal, nachdem ich neulich mit deinem Ex gefickt habe, hat der mir erzählt, dass er nix von dir will.‘ Ging ja schon mal gar nicht. Und wenn ich ihr bloß Kais Meinung über sie wiedergeben würde, wäre das mindestens genauso schmerzhaft. Niemand erfährt gern durch dritte, wie der Ex von ihm denkt. „Wart ihr überhaupt richtig zusammen?“ Ich beschloss, mich richtig dumm zu stellen, damit sie mir in aller Ruhe ihre Perspektive darlegen konnte. Komisch, damals bei Rei und Mao wollte ich mich auf keinen Fall einmischen, und hier tat ich es umso leidenschaftlicher. Naja, mein guter Vorsatz hatte sich ja auch in Wohlgefallen aufgelöst, spätestens nachdem Mao bei mir eingezogen war. Ich konnte wohl einfach nicht aus meiner Haut. „Nein, wir waren nicht zusammen“, sagte Alyona. „Wollte ich ja auch gar nicht. Wirklich nicht. Es hatte sich nur angeboten, dass ich ihn getroffen hab…Es ist immer schön, ihn zu treffen. Aber…verdammt, ich kann nicht aufhören, ihn zu lieben.“ Ich glaube, ich machte große Augen. Das klang zu abgeschmackt, um wahr zu sein, und doch war ihr Tonfall sehr leidenschaftlich und ernst. „Wie, du kannst nicht aufhören?“, fragte ich, „Das geht doch sowieso nicht so einfach…“ „Es ist…ganz seltsam“, entgegnete sie leise, nachdenklich, „Das mit uns ging sehr, sehr tief. So tief, dass ich nicht einmal böse war, als es auseinander ging, obwohl es mich ziemlich überrascht hat. Ich meine, ich werde ihn immer lieben, glaube ich. Nur kann ich ausgerechnet das nicht akzeptieren. Immer wenn ich ihn sehe, will ich ihn für mich. Aber das geht nicht.“ Ich hörte aufmerksam zu. Vor meinen Augen bröckelte Alyonas schöne Fassade, und sie war nichts weiter, als ein vierzehnjähriges Mädchen nach dem ersten Liebeskummer. „Ich flirte ganz automatisch mit ihm, wenn wir uns begegnen. Und genauso automatisch landen wir im Bett. Und wenn ich einmal mit ihm schlafe, ist es wie früher und ich bin genauso verliebt wie damals.“ „Aber er nicht“, ergänzte ich. „Natürlich nicht.“ Alyona schnaubte kurz. „Ich glaube, Männer kommen über so was besser hinweg. Selbst wenn es so tief geht. Frauen…Frauen können in vielen Facetten lieben. Aber mir hilft das jetzt auch nicht weiter…“ Plötzlich legte sie eine Hand über ihre Augen. Fing sie jetzt etwa an zu weinen? Himmel, damit würde ich nicht umgehen können. Ich hatte ja keine Ahnung, wie ich sie trösten sollte. „Wenn…wenn er nur endlich eine Freundin hätte!“, fuhr Alyona stockend fort, „Wenn ich sehen könnte, dass er glücklich ist, dass er sich für jemanden entschieden hat! Solange er Single ist, werde ich ihn haben können, wann ich will, und ich will ihn, sobald ich ihn sehe!“ „Hey, ich will dich ja nicht verletzen, aber warum suchst du dir keinen anderen Kerl?“, fragte ich, was vermutlich kälter klang, als es gemeint war. „Hab ich ja versucht“, antwortete sie, „Wirklich. Ich hatte einige Kerle. Aber es war einfach keiner dabei, mit dem ich es länger ausgehalten hab. Ich vergleiche sie ja nicht mal mit Kai, überhaupt nicht. Aber ich bin immer auf der Suche nach diesem Gefühl, dass ich bei ihm hatte, nach dieser tiefen, bedingungslosen Liebe. Ich hoffe ja, ich finde das nochmal. Ich will nicht irgendwann den erstbesten nehmen müssen.“ „Ich verstehe.“ Ich verstand sie so gut. Im Grunde suchten wir beide das Gleiche, wobei ich jedoch noch nicht wusste, wie sich das, was ich suchte, wirklich anfühlte. Aber ihre Angst konnte ich dafür umso besser nachvollziehen. Ich wollte nicht irgendwann neben einem Mann aufwachen, den ich nicht liebte und feststellen müssen, dass es für einen Neuanfang zu spät ist, weil dadurch mehr Menschen verletzt werden würden, als wenn alles so bliebe, wie es war. „Es ist“, sagte sie und wischte sich die Augen, „Ein verdammtes Scheißgefühl, wenn man weiß, dass er nicht mehr als Freundschaft oder nur Sex will.“ „Aber du gibst ihm ja auch nicht gerade das Gefühl, dass bei dir mehr dahintersteckt“, meinte ich. „Du hast ihn ins Bett gelockt, du hast selbst gesagt, dass du nicht mehr als eine Fickbeziehung willst, was soll er denn da bitte denken?“ „Ich weiß!“, rief sie plötzlich, „Du musst mir nicht meine Fehler aufzählen!“ „Schon klar…“ „Verdammt, warum heule ich mich jetzt bei dir aus? Ausgerechnet bei dir…“ Ausgerechnet bei mir? Na jetzt wurde es aber interessant. Ich verkniff mir einen Kommentar, damit sie mich am Ende nicht noch anzickte, aber meine Augenbrauen schossen trotzdem in die Höhe. „Also hör mal, Mädchen“, sagte ich ganz fachmännisch, „Wenn du meine ehrliche Meinung dazu hören willst, dann sag ich dir eins: Ich finde, dass du dich da in etwas reinsteigerst, was eh nicht mehr funktionieren würde. Denkst du, wenn du mit ihm zusammen wärst, würde alles so sein wie damals? Ich glaube nicht. Es kann einfach nicht mehr so werden. Das bildest du dir ein.“ Mensch, ich konnte ja tatsächlich so wirken, als wäre ich die totale Expertin auf dem Gebiet. Alyonas Mund verzog sich. „Na, du weißt aber genau Bescheid über Kais Gefühle.“ Ich konnte nicht verhindern, dass mein Gesicht augenblicklich heiß wurde. „Wa-was soll das heißen?“, stammelte ich, doch in diesem Moment rettete mich ausgerechnet Yoshio (wir erinnern uns: der sadistische Gitarrist), weil er die Tür hinter uns aufstieß und so etwas sagte wie: „Hey Mädels, was sitzt ihr hier draußen rum?“ Ihm fiel erst viel später auf, dass ich gar nicht zum Team gehörte. Erst einmal folgten wir ihm jedoch in die Garderobe, wo es eine Sofaecke und eine Minibar gab. Alyonas Gemüt musste sich während des kurzen Ganges abgekühlt haben, denn als sie mich vorstellte, war sie schon wieder ganz sie selbst. Ich verbeugte mich artig vor dem Team und den Jungs, die es sich mit Bier gemütlich gemacht hatten. „Hey, dich kenn ich aber!“, rief Katsumi aus, nachdem er mich eine Weile gemustert hatte. „Wusste ich’s doch! Du bist die mit den Shorts!“ „Jaaaah…“, nuschelte ich gedehnt, doch Katsumi war selbst so begeistert von seinem guten Gedächtnis, dass er mich mit einem Wink aufforderte, mich neben ihn zu setzten und beinahe übergangslos begann, mich zuzutexten. Ich glaubte, im falschen Film zu sein. Mein „Schwarm“ war mir ganz nah, so nah, dass ich sein Deo roch, unter seinen Wimpern ein Rest des Guyliners entdeckte und nur kurz meine Hand hätte heben müssen, um einen Fussel von seinem Hemd zu entfernen. Ich hatte keine Ahnung, was er mir alles erzählte, aber ich hing an seinen Lippen. Er fuhr sich regelmäßig durch die Haare, eine Geste, die ich schon von der Bühne kannte und mit der er seine Frisur wunderbar zerstörte. Irgendwann glitt Alyona neben mir aufs Sofa und drückte mir eine kalte Flasche in die Hand. Es sollte die erste von vielen sein. „Hiromi redet übrigens fast nur noch von dir, seit sie euch das erste Mal gesehen hat“, sagte sie und zwinkerte Katsumi über meinen Kopf hinweg verschwörerisch zu. Von ihrer Gefühlsduselei noch vor wenigen Minuten war nichts mehr zu spüren. „Ach wirklich?!“, nahm er den Faden auf, wobei er mich direkt ansah. Mir blieb nichts anderes übrig, als irgendwie zuzustimmen und dabei möglichst nicht wie ein Fangirl zu wirken. Das ging alles ziemlich schnell, aber Katsumi zeigte gerade ernsthaftes Interesse an mir. Und diese Situation wollte ausgenutzt werden… MingMings Auftritt dauerte gute zwei Stunden. In diesen zwei Stunden hatte ich Katsumi praktisch für mich allein. Die anderen umringten uns zwar, beschäftigten sich aber mit sich selbst, sodass wir ungestört redeten und redeten und redeten. Naja, eigentlich sagte ich dabei ziemlich wenig, den Großteil des Gesprächs besorgte Katsumi, aber das störte mich natürlich nicht sonderlich. Ich hörte ihm zu und trank Bier und fühlte mich geehrt, so viel von einem Menschen erzählt zu bekommen, den ich bewunderte. Ich hatte schon oft bemerkt, dass sich die Attraktivität eines Mannes erhöhen oder verringern konnte, sobald er den Mund aufmachte. Optisch unscheinbare Männer verwandelten sich in Traumprinzen, wenn der Charakter stimmte. Katsumi war allerdings der erste, der einfach mal alle hohen Erwartungen, die ich dank der Optik an ihn gestellt hatte, erfüllte. Um uns herum wurde es allmählich lauter. Der Alkoholpegel stieg, und die Stimmung war ausgelassen. Alyona wurde von Makoto und Shun belagert, während Yoshio irgendwelche Kerle aus dem Team unterhielt. Fast wie auf einer kleinen Party. Als Katsumi einen Arm um mich legte, versteifte ich mich kurz, bevor mein ganzer Körper in Aufregung verging. Noch mehr Deogeruch, und, was noch viel wichtiger war: Seine Wärme, die mich direkt berührte. Der Körper dieses Mannes an meinem. Der blanke Wahnsinn. „Was meinst du?“, fragte er leise, „Wollen wir mal an die frische Luft?“ Einen Moment lang hatte ich die Befürchtung, er wolle mit mir in einen Nebenraum gehen und mich kurz und schmerzlos flachlegen. Das wäre scheiße gewesen, hätte mich zum Groupie gemacht, und ich hätte vermutlich nein gesagt. Nach draußen gehen war jedoch etwas ganz anderes: Das war irgendwie sicherer, gleichzeitig romantischer. Also nickte ich, und er griff nach meiner Hand, um mich hinter sich herzuziehen. Die anderen beachteten uns nicht, nur Alyona grinste mich auffordernd an. Draußen setzten wir uns nebeneinander auf die Stufe, unsere Knie berührten sich. Er stützte das Kinn in die Hand und sah mich an. „Du bist echt ’ne Süße, hat dir das schon mal jemand gesagt, Hiromi?“ Ich schüttelte den Kopf und beobachtete, wie sich seine Hand auf mein Bein legte. Ich war seltsam abwesend: Das hier passierte nicht wirklich, oder? „Hast du einen Freund?“, fragte Katsumi. „Nein“, sagte ich automatisch, jede andere Antwort wäre auch schwachsinnig gewesen. Mein Gott, der hatte tatsächlich was mit mir vor! „Schön…“, hörte ich seine Stimme ganz nah an meinem Ohr. Dann strich ein Finger vorsichtig über meine Wange. „Komm mal her…“ Nein, das hier passierte nicht mir. Ganz sicher nicht. Seine Lippen drückten sich auf meine, und meine Augen fielen einfach zu. Wir küssten uns! Und dann…steckte er mir die Zunge in den Hals und ich merkte, dass er einer von den Karpfen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)