Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 50: Suchen ------------------ Suchen „Argh! Das ist doch zum Haare raufen!“, rief Samira aus und tat genau das. „Wo ist das verdammte Ding denn bloß?“ Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Die kleine Schattentänzerin und Marlic waren die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und hatten sich im Tal der Könige umgesehen – ohne Erfolg. Zunächst hatten sie geglaubt, in der Dunkelheit vielleicht irgendetwas übersehen zu haben. Doch auch bei Tageslicht fiel ihnen nichts Ungewöhnliches auf. Es war frustrierend. Sie waren in Löcher und Felsspalten gekrochen, hatten mit Kiarnas Hilfe sogar auf den Klippen gesucht, jedoch nichts gefunden. Mittlerweile waren sie dreckig, hungrig und müde. Marlic trat entnervt einen Stein beiseite. „Es muss hier irgendwo sein. Außer der verdammte Grabräuber hat sich geirrt und es ist doch Gizeh oder eine andere Nekropole gemeint.“ Samira seufzte schwer und ließ sich auf einem Felsen nieder. „Wenn das der Fall ist, dann müssen wir so schnell wie möglich dorthin. Kiarna kann uns an Men-nefer vorbei bringen, ohne, dass wir viel Zeit verlieren.“ „Ruhig Blut, Kindchen. Zuerst einmal gehen wir zurück nach Theben, stärken uns und schlafen. Dann überlegen wir, wie es weitergeht. Mal ganz davon abgesehen, dass ein ordentliches Bad wirklich reizend wäre“, erwiderte Marlic und wedelte sich dabei mit der Hand vor der Nase herum. „Wir dürfen aber nicht trödeln! Essen und schlafen können wir auf dem Weg dorthin und mir ist egal, ob du stinkst“, widersprach das junge Clanmitglied. „Erstens stinke ich nicht!“ „Na ja …“ „Zweitens brauchen wir nicht zu hetzen. Der Pharao und sein Anhang brauchen noch ein paar Tage, bis sie hier aufschlagen – genauso wie Caesian. In der Zwischenzeit sind wir einmal nach Men-nefer und wieder zurück geflogen und können ihnen unterwegs wahrscheinlich noch winken. Also komm jetzt, ehe ich ungemütlich werde.“ Die Drohung war nicht besonders nachdrücklich gewesen, doch sie brachte Samira dazu, ihm zu den Pferden zu folgen. Er fuhr sich durch die Haare. Er konnte nicht leugnen, dass er erschöpft war. Der Schlaf während ihrer Anreise war nur wenig erholsam gewesen und die Nacht über hatte er kein Auge zugemacht. Sein Kopf brummte. Das dumpfe Gefühl, dass sie hier auch dann nicht fündig werden würden, wenn sie noch einmal wiederkamen, verstärkte das Pochen in seinen Schläfen noch. Denn wenn das Relikt nicht hier war, dann gab es neben der Nekropole in Gizeh noch dutzende weitere Möglichkeiten, wo es sich befinden konnte. Denn Bakura hatte Recht. Auch Marlic hielt den anderen Ort als Versteck für relativ unwahrscheinlich, doch nun, da sie hier nicht fündig wurden, blieb er ihre eheste Wahl. Er grummelte genervt, als ihm klar wurde, dass er vor ihrem Aufbruch noch mit des Pharaos Hofmagierin würde sprechen müssen. Wenn sie sich den Pyramiden unbehelligt nähern und sich in Ruhe dort umsehen wollten, würden sie ein Schreiben oder ähnliches brauchen, das ihnen den Zugang ermöglichte. Klar, sie konnten die dort befindlichen Wachen auch niedermetzeln, Marlic hätte das mit seiner momentanen Laune sogar sehr begrüßt, aber dafür fehlte ihnen dann doch die Zeit. Er war lange nicht so angespannt, wie die Schattentänzerin, aber er hatte sich doch zum Ziel gesetzt, das Artefakt zu finden bevor der Pharao eintraf – einfach, damit er ihn begrüßen konnte, indem er es ihm mit einem triumphierenden Grinsen unter die Nase hielt. Er warf einen Blick nach hinten, wo Samira auf ihrem Pferd den Weg entlang trabte. Jep, und er würde dafür sorgen, dass die Kleine in einem Stück blieb. Dann hatte er gleich noch etwas, womit er seine Majestät piesacken konnte. Aber zuvor würde er sich erst einmal den Bauch vollschlagen, sich ein kühles Bier gönnen, ein Bad nehmen und ordentlich Schlaf tanken. Dann würde es weitergehen. Kühl umspielte das Wasser seine Haut, während er sich den Dreck vom Körper schrubbte. Natürlich hatten sie keine Öle oder dergleichen bei sich, die ein Duschgel ersetzt hätten, doch Ryou war dennoch überaus dankbar für die Entscheidung, die Nacht nahe des Nils zu verbringen. Sie waren gestern lange unterwegs gewesen, sodass sie entschieden hatten, heute ein klein wenig später aufzubrechen, als am Vortag. Das hatte ihnen Zeit gegeben, sich im Nil zu waschen – etwas, das dringend nötig war. Schweiß, Sand und anderer Schmutz hatten sie alle geplagt. Neben ihm tauchte soeben Marik vollständig im Wasser unter, wobei er sich durch die Haare fuhr, um die lästigen Sandkörner aus ihnen herauszubekommen. Als er wieder auftauchte, rieb er sich das Nass aus den Augen. „Tut das gut. Ich glaube, ich hätte es keinen Tag länger mit all dem Dreck am Körper ausgehalten“, sagte er. „Geht mir ähnlich“, pflichtete Ryou bei. „Schade nur, dass es nicht lange dauern wird, bis unsere Bemühungen wieder zunichte gemacht werden.“ „Wahrscheinlich. Jedenfalls weiß ich jetzt, was ich tun werde, wenn wir wieder zurück in unserer Zeit sind.“ „Lange und ausgiebig duschen?“ „… mit richtig warmem Wasser, Shampoo und Duschgel. Exakt.“ „Klingt gut“, stimmte der Weißhaarige mit einem Lächeln zu, während er Tristan dabei beobachtete, wie er Joey untertauchte. „Erst jetzt merke ich richtig, wie weit wir in unserer Zeit sind – und was man nicht alles vermissen kann. Ich bin zwar nicht anspruchsvoll, was das Essen angeht, aber so ein Burger wäre doch mal wieder schön“, seufzte er nach einer Weile. „Da sagst du was. Oder Klimaanlagen“, erwiderte Marik. „Gerade du müsstest die Hitze doch gewohnt sein.“ „Das schon, das heißt aber nicht, dass ich die Vorzüge einer angenehm temperierten Umgebung nicht zu schätzen weiß. Was mir persönlich auch fehlt – und wovon ich ehrlich gesagt nicht gedacht hätte, dass es das tun würde – sind unsere Kommunikationsmittel. Sie würden in unserer jetzigen Situation so einiges erleichtern.“ „Stimmt … wir könnten nachhaken, wo Bakura sich rumtreibt, uns erkundigen, wie Marlic in Theben voran kommt, wo Keiro abgeblieben ist …“, überlegte Ryou laut, ehe er einen Moment lang schwieg. „Was meinst du?“, fuhr er schließlich fort. „Hat Marlic schon irgendetwas gefunden?“ Der Ägypter strich sich gedankenverloren über den Arm, ehe er antwortete. „Schwer zu sagen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir werden es erfahren, wenn wir nach Theben kommen. Zu wünschen wäre es aber, selbst wenn wir dann tagelang seine Selbstbeweihräucherung ertragen müssten.“ „Wahrscheinlich, ja. Mal sehen, was kommt.“ Ryou erhob sich schließlich und stieg aus dem Fluss, um sich abzutrocknen. Marik folgte ihm nur kurz darauf. „Um ehrlich zu sein, bin ich doch schon ein wenig gespannt, wie Theben aussieht“, meinte Letzterer dabei. „Natürlich haben wir in unserer Zeit das Glück, dass Spuren des Alten Ägypten für die lange Zeit, die vergangen ist, gut erhalten sind, aber trotzdem. Es ist bestimmt noch einmal etwas ganz anderes, all die Tempelanlagen in ihrer vollen Pracht zu sehen.“ „Oh ja, da hast du Recht. Wird sicher aufregend, auch wenn wir wohl leider nicht viel Zeit haben werden, sie uns näher anzusehen“, pflichtete sein Gegenüber bei und rieb sich die Haare trocken. „Mit Caesian an unseren Fersen vermutlich nicht, nein. Wir können wahrscheinlich von Glück sprechen, wenn wir mal eine Nacht lang ordentlich schlafen können, ehe er uns eingeholt hat“, stimmte Marik mit säuerlichem Unterton zu. „Allerdings. Dabei wäre so eine Mütze Schlaf eine echte Wohltat – in einem Bett, nicht irgendwo in der Wüste auf dem Boden“, meinte Ryou nickend und unterdrückte ein Gähnen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, kommentierte Marik, der inzwischen dabei war, den Rest seiner Kleidung wieder anzuziehen. Zum Baden hatten sie alles bis auf den Schurz abgelegt. „Ra, ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können, was ich in meinen ersten Sommerferien in Japan alles erleben würde! Ich dachte, wir gehen vielleicht ab und an ins Kino, zum Schwimmen, Eis essen, mal etwas trinken oder was man eben so in unserem Alter tut. Stattdessen sitzen wir jetzt im Ägypten von vor dreitausend Jahren fest, kämpfen an der Seite des Landes gegen einen Wahnsinnigen und jagen uralten Relikten hinterher, die die Götter geschaffen haben. Und das Schlimmste daran ist, dass wir anschließend noch nicht mal jemandem davon berichten können, weil wir ansonsten bald in einer Gummizelle sitzen.“ Ryou musste lachen. „Oh ja … dabei wären das mit Abstand die ereignisreichsten Sommerferien an der ganzen Schule! Ach, was sage ich, wahrscheinlich haben wir hier die verrückteste Zeit von allen Schülern auf der ganzen Welt.“ „Gut möglich. Sehr wahrscheinlich sogar“, stimmte Marik lächelnd zu. „Aber es nützt alles nichts, am Ende müssen wir die Klappe halten.“ „Na ja, du kannst wenigstens mit deiner Familie darüber sprechen“, warf Ryou ein. „Ishizu und Odeon würden dir mit Sicherheit glauben.“ „Das schon, ja … und diesmal könnte mir meine Schwester noch nicht einmal vorhalten, ich sei unvorsichtig oder leichtsinnig gewesen. Immerhin hatte ich ja kein Mitspracherecht, als wir hierher verfrachtet wurden.“ Da kam Marik ein Gedanke. „Hey, sag mal, wo es mir gerade einfällt: Wir hatten doch mal darüber gesprochen, dass ich über die Weihnachtsferien nach Hause fliegen will – wie sieht es denn aus, hast du mal mit deinem Vater gesprochen? Wie gesagt, wir könnten ja zusammen rüber fliegen, wenn du ihn besuchen solltest, dann wäre die Reise nicht so langweilig.“ Ryou ließ den Gürtel sinken, den er sich soeben hatte umschnallen wollen. Einen Moment lang sah er gedankenverloren drein, dann seufzte er. „Ja, habe ich.“ Sein ägyptischer Freund biss sich auf die Unterlippe. „Das klingt nicht gut …“ „Wie man es nimmt. Für ihn ist es scheinbar kein allzu großes Ding.“ „Wieso, was genau ist denn bei dem Gespräch herausgekommen?“ Der Weißhaarige ließ sich in den Sand sinken, ehe er antwortete. „Er wird zu Weihnachten weder in Japan, noch in Ägypten sein. Er fliegt am einundzwanzigsten Dezember nach New York City, um dort eine Ausstellung vorzubereiten, die am zweiten Januar eröffnen soll. Er hat endlich einen Geldgeber für das Projekt gefunden und ist Feuer und Flamme – so sehr, dass er mich gleich anrief, um mir zu sagen, dass wir uns leider auch dieses Weihnachten nicht sehen werden. Ich hatte vorgeschlagen, dass ich ja nach New York kommen könnte, aber er meinte, er hätte sowie so keine Zeit. Ich hab‘ dann nicht mehr weiter nachgebohrt und es gut sein lassen.“ Für einen Moment lang herrschte drückende Stille. Dann seufzte Marik, setzte sich neben Ryou und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Tut mir wirklich leid für dich.“ Der Andere sah ihn mit einem gezwungenen Lächeln an. „Ach, halb so schlimm. Ich kenne es ja eigentlich nichts anders. Dann kaufe ich mir von dem Geld, das ich gespart habe eben ein schönes Geschenk für mich selbst und bastle an meinen Modellen weiter.“ Das Lächeln schwand. „Aber irgendwo ist es schon traurig. Weißt du, ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass er über Weihnachten nicht nach Hause kommen kann. Darum wollte ich ihn ja diesmal besuchen. Aber nicht mal das will er.“ Eine Weile lang saßen die beiden schweigend nebeneinander. Dann kam Marik plötzlich eine Idee. „Hey, hör mal. Ich weiß, das ist nicht das, was du dir vorgestellt hast, aber wie wäre es, wenn du trotzdem mit mir nach Ägypten kommst? Wir könnten Weihnachten gemeinsam verbringen und du müsstest nicht alleine sein. Das Geld hast du ja immerhin zusammen, oder nicht?“ Ryou sah ihn verdutzt an und zögerte. „Du, das ist echt nett … aber ich will euch wirklich nicht stören, du siehst deine Familie ja auch selten genug.“ „Ach, Unsinn! Ishizu und Odeon hätten mit Sicherheit absolut nichts dagegen, wenn du mitkommst. Im Gegenteil, sie mögen dich. Ich denke, sie würden sich freuen! Ich kann zwar nicht für einen Weihnachtsbaum garantieren, aber immerhin für mehr Spaß, als wenn du nur alleine zuhause sitzt.“ „Meinst du wirklich?“ „Und ob! Also, wie sieht’s aus?“ Ryou lächelte. „Das … das wäre echt toll. Danke, Marik.“ „Keine Ursache. Dafür sind Freunde doch da“, erwiderte der Ägypter, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte. Ein Ruf ließ sie schließlich aufhorchen. „Sieht so aus, als müssten wir weiter. Also los, komm! Treten wir Caesian in den Hintern, damit wir diese coolsten aller Weihnachtsferien auch noch erleben!“, forderte Marik ihn auf, erhob sich und hielt ihm die Hand hin. Ryou ergriff sie dankbar. Keiro schritt durch die Hallen des Palastes von Men-nefer. Caesian hatte ihn zu sich rufen lassen. Obgleich es ihm bis zu einem gewissen Grad widerstrebte, sich von dem selbsternannten Herrscher herbeipfeifen zu lassen wie ein Hund, war er der Aufforderung nachgekommen. Der Kerl hatte vielleicht Neuigkeiten vom Pharao und seinem Gefolge. Als er in den Thronsaal trat, wurde er bereits erwartet. Caesian bedeutete ihm, sich zu setzen, während er seine Bediensteten hinausschickte. Keiro ließ sich auf einen Stuhl an der Tafel sinken und griff nach der darauf stehenden Weinkaraffe und einem Becher, ohne eine Einladung abzuwarten. Ein wenig musste er sein Gegenüber durchaus spüren lassen, dass er kein Untergebener war. Doch Caesian schien das nicht einmal zu bemerken. Er ließ sich ebenfalls nieder. „Du fragst dich mit Sicherheit, weshalb ich dich sprechen wollte“, begann er die Unterhaltung. „Nun, zum einen möchte ich dir ein Kompliment machen. Dein Vermögen, nun … missliche Lagen einzuschätzen und ihnen zu entkommen, ist bemerkenswert. Mein Bruder schöpft bislang keinerlei Verdacht. Er ist der festen Überzeugung, die aufrichtigen Worte eines ägyptischen Bürgers gehört zu haben. Das war gute Arbeit, Keiro – und eine Geste der Loyalität, die ich nicht zu vergessen gedenke.“ Caesian schenkte sich ebenfalls etwas vom Rotwein ein und schwenkte ihn in seinem Becher umher. „Darüber hinaus wollte ich dich davon unterrichten, dass ich Men-nefer in zwei Sonnenläufen verlassen werde, um mich des Pharaos anzunehmen.“ Sein Gegenüber legte die Stirn in Falten. „Ich dachte, Ihr hättet vor, länger damit zu warten?“ Der Tyrann seufzte. „Allerdings, das war mein Plan. Doch durch die Ankunft meines Bruders hat sich einiges geändert. Ich werde dieses kleine Problem schneller beseitigen müssen.“ Keiro musste schmunzeln. „Gestattet Ihr mir eine Frage?“ „Sprich.“ „Wer genau übernimmt in Eurer Abwesenheit das Kommando? Ich meine, es ist doch naheliegend, dass dies Taisan sein wird. Wenn er jedoch ohne Euer wachsames Auge in der Stadt verweilt, könnte das doch durchaus zu … Schwierigkeiten führen.“ Caesian nickte. „Du hast Recht, mein Bruder wird während meines Feldzuges die Kontrolle über die Stadt übernehmen. Alles andere würde nur Misstrauen erregen. Deshalb habe ich Maßnahmen ergriffen, die verhindern, dass etwaige Schwierigkeiten auftreten werden.“ Keiros Schmunzeln wandelte sich zu einem breiten Grinsen. „Ich habe mir doch gedacht, dass ich weniger Missgeburten in den Straßen sehe, als gewöhnlich. Ihr habt sie aus Men-nefer schaffen lassen?“ „Richtig. Sie warten in einem Tagesritt Entfernung auf den Marschbefehl. Die ägyptischen Bürger wiederum, die Taisan ebenso wenig zu Gesicht bekommen sollte, werden nun nach und nach ebenfalls weggebracht und entsorgt. Zudem haben ich einen meiner kompetentesten Heerführer damit beauftragt, in der Nähe meines Bruders zu verweilen und dafür zu sorgen, dass es nichts gibt, was unangenehme Situationen hervorrufen könnte.“ „Ich verstehe“, erwiderte Keiro langsam, während der freudige Ausdruck auf seinen Zügen schwand. „In zwei Tagen wollt Ihr aufbrechen? Nun, das bedeutet für mich wohl, dass ich mich bereithalten werde – nicht wahr?“ „Gut, dass du es ansprichst. Genau darüber wollte ich mit dir reden.“ Der Blick des Weißhaarigen verfinsterte sich schlagartig. „Ihr habt Euer Wort gegeben …“ „Gewiss, mein Guter, und daran halte ich mich auch. Wie ich sagte, Zeichen von Loyalität vergesse ich nie. Ich habe dich nicht zu mir gerufen, um dich zum Hierbleiben überreden zu wollen, ganz im Gegenteil. Ich wollte dich lediglich wissen lassen, dass es Neuigkeiten gibt – von der Schattentänzerin.“ Keiros Interesse war geweckt. Er stellte den Becher beiseite und lehnte sich auf den Tisch. „Was gibt es?“ „Nun, weißt du, ich habe mich mal wieder meiner kleinen Spielzeuge bedient. Was meine Soldaten unbemerkt nach Ägypten brachte, dient nun dazu, eine kleine Einheit von ihnen so nah hinter dem Pharao und seinem Tross hinterher schicken zu können, dass wir stets über alles, was sich in ihren Reihen tut, unterrichtet sind. Heute Morgen erreichte mich die Botschaft, dass sich die Gruppe gespalten habe. Offenbar hat der Tod des Schattentänzers für einige Aufregung gesorgt. Ein Teil des Clans hat sich aus dem Staub gemacht – ebenso wie das Objekt deiner Begierde.“ „Sie ist weg?“, wiederholte Keiro. „Weshalb?“ „Nun, zunächst hat sie scheinbar den Pharao des Mordes bezichtigt und anschließend auch noch versucht, ihn umzubringen. Garstiges kleines Biest, das Blondchen. Dummerweise hat ihr eigener Bruder sie davon abgehalten, sich auf die Seite seiner Majestät geschlagen und sie damit dazu gebracht, zu verschwinden.“ Caesian trank einen Schluck, ehe er fortfuhr. „Schade eigentlich, dass ihr der Anschlag misslungen ist. Sie hätte mir eine Menge Arbeit erspart.“ „Wohin ist sie gegangen?“, hakte Keiro nach. „Meinen Soldaten zufolge ist sie nach Westen geritten. Wohin sie jedoch will, ist mir nicht bekannt. Das herauszufinden, wird deine Aufgabe sein, befürchte ich“, meinte der Tyrann mit einem Schulterzucken. „Ich habe meine Bediensteten in den Stallungen bereits angewiesen, dir ein Pferd samt Proviant zurecht zu machen. Ich betone es noch einmal, mein lieber Keiro – ich werde Loyalität stets würdig entlohnen.“ Sein Gegenüber nickte, ehe er sich erhob und eine Verbeugung andeutete. „Ich danke Euch. Doch nun entschuldigt mich bitte. Ich werde mich umgehend auf den Weg machen müssen, wenn ich sie finden will.“ „Gewiss. Eine Sache wäre da aber noch, mein Guter: Sollte die Kleine ein Relikt bei sich tragen – denn diese Frage konnten mir meine Soldaten nicht eindeutig beantworten – so weißt du, wem du es zu geben hast, nicht wahr?“ In der Stimme des Tyrannen schwang ein scharfer Ton mit, während er Keiro mit drohendem Blick fixierte. Der setzte rasch ein Lächeln auf. „Aber selbstverständlich, Euer Hoheit. Was sollte auch jemand wie ich, so ganz ohne Ambitionen, mit einem solchen Gegenstand wollen? Zumal ich nicht gedenke, mir den mächtigsten Mann Ägyptens zum Feind zu machen.“ „Sehr schön. Dann viel Erfolg bei deiner Jagd. Lass dir nicht die Augen auskratzen.“ Damit verließ Keiro den Thronsaal – und notierte sich mental, Caesian eines Tages das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht zu schneiden. Der Tag hatte sich ohne irgendwelche Ergebnisse dahin gezogen. Inzwischen neigte sich die Sonne dem Horizont entgegen und tauchte die Wüste in ihr flammendes Licht. Bakuras Kehle entstieg ein frustriertes Grollen, als er von seinem Pferd stieg und es an einem Felsen festband. Den ganzen Tag lang hatten Diabound und er nach Risha gesucht – ohne irgendeinen Erfolg. Allmählich begann er sich zu fragen, warum er das eigentlich tat. Ach ja, Schattentänzer-Clan aufrechterhalten und so. Am Arsch. Langsam aber sicher verlor er die Geduld. Diese elendigen Weiber-Marotten! „Verdammter Mist, sie kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!“, fauchte er, fischte ein Stück Brot aus dem Beutel mit Proviant und riss es in zwei Stücke. Anschließend ließ er sich im Sand nieder und kaute lustlos auf einem Brocken davon herum. „Ich meine, sieh dich doch nur mal um! Wüste, Wüste, Wüste, nichts als Wüste! Man müsste sie eigentlich auf einen halben Tagesritt Entfernung ausmachen können!“ Seine Ka-Bestie hatte sich in einiger Distanz ebenfalls niedergelassen und zuckte nun mit den breiten Schultern. „Sie hat eben von dem Besten gelernt.“ „Ach, quatsch‘ keinen Unfug. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, konnte ich noch nicht mal einen Apfel stehlen ohne verdroschen zu werden, weil man mich erwischt hat! Und von ihrem wunderbaren Clan hat sie es ganz sicher nicht.“ „Menschen werden kreativ, wenn sie nicht gefunden werden wollen.“ „Was soll das denn heißen? Hat sie sich im Sand verbuddelt oder was?“ „Wer weiß …“ Bakura schnaubte abfällig und erklärte die Unterhaltung damit für beendet. Seine Gedanken kreisten jedoch weiterhin um das Thema. „Wenn ich eine trotzige Ziege wäre, wo würde ich hingehen …“, murmelte er schließlich vor sich hin. Zu einem Ergebnis kam er jedoch auch diesmal nicht. Zunächst war da das Problem, dass der Grabräuber ein Mann war, und für die gestaltete es sich von Natur aus schwierig, sich in das andere Geschlecht hineinzuversetzen. Nach seiner Meinung war es eigentlich nicht nur schwierig, sondern absolut unmöglich. Weiber waren viel zu impulsiv, empfindlich und vor allem unlogisch. Das zweite Problem war, dass Bakura Risha kaum kannte, was bedeutete, dass jeder Ansatz, ihre Entscheidungen nachzuvollziehen, sowie so von vorne herein zum Scheitern verurteilt war. Und das Wenige, was er über sie wusste, half auch nicht. Denn wenn er es richtig interpretiert hatte, konnte er ihr guten Gewissens zutrauen, dass sie selbst nicht wusste, wohin sie eigentlich wollte und daher ziellos umherrannte. Er suchte in diesem Fall nach der Nadel im Heuhaufen. Aber so einfach würde er sie nicht davon kommen lassen. Und wenn er sie gefesselt und geknebelt zurückschleifen musste, er würde dafür sorgen, dass nicht noch mehr Schattentänzer den Schwanz einzogen, nur, weil sie ihren Trotz ausleben musste. Er schlang die letzten Bissen des Brotes herunter und stand auf. „Los, lass uns weitergehen. Je eher wir endlich gen Theben aufbrechen können, desto besser.“ „Du willst heute noch weiter machen?“ „Sieht so aus, was? Red‘ dich nicht raus. So müde bist du noch nicht, das würde ich merken.“ „Wie du meinst“, äußerte Diabound, woraufhin er einen Laut vernehmen ließ, der an ein Seufzen erinnerte. „Was tun wir eigentlich, wenn sie nicht mit uns kommen will?“, fragte er dann, während sie sich in Bewegung setzten. „Du tust gar nichts – und ich verpass‘ ihr eine.“ Es war schon spät, als sich der Pharao und seine Anhänger dazu entschieden, ihr Lager aufzuschlagen. Anwaar hatte sich zuvor des Abstandes zu ihren Verfolgern vergewissert und verkünden können, dass ihre Distanz zunehmend größer wurde. Es war eben doch ein Unterschied, ob hundert oder mehrere tausend Mann gemeinsam marschierten. Atemu war nach seinem Wutausbruch am Vortag wieder deutlich entspannter gewesen. Es hatte gut getan, all den angestauten Frust einmal herauslassen zu können, auch wenn ein Teil von ihm dieses Verhalten nach wie vor verurteilte. Er war auch nur ein Mensch, jedoch einer, der von den Göttern dazu erwählt worden war, dieses Land zu regieren – und als solcher ziemte sich derartiges Tun kein bisschen. Er war erleichtert, dass Yugi der Einzige gewesen war, der ihn so gesehen hatte. Sein Partner hatte den Anderen nichts davon erzählt und würde es wohl auch nicht mehr tun. Als sie zurückgekehrt waren, hatte Atemu behauptet, er habe lediglich einen Augenblick zum Nachdenken gebraucht. Nun saß er wieder deutlich besseren Gemüts mit ihnen zusammen und teilte die Ration Proviant mit ihnen. „Man … ich will ja echt nicht meckern, aber so langsam kann ich Brot und getrocknetes Obst nicht mehr sehen“, ließ Joey verlauten, während er auf einer Dattel herumkaute. „Da muss ich dir Recht geben. Ein Königreich für eine Pizza!“, stimmte Tristan zu. „Oder einen Burger!“ „Oder Spaghetti!“ „Oder eine deftige Lasagne!“ „Sushi!“ „Könnt ihr mal damit aufhören?“, schaltete sich schließlich Tea ein. „Wir können froh sein, dass wir überhaupt etwas zu essen haben.“ „Genau. Mal ganz davon abgesehen, macht uns euer Gerede nur noch hungriger“, fügte Duke hinzu. „Wie viele Vorräte haben wir eigentlich noch?“, warf Yugi schließlich in die Runde. „Reichen sie noch bis Theben oder müssen wir genauer aufpassen, wie wir sie einteilen?“ „Darüber haben wir vorhin bereits gesprochen“, entgegnete Atemu und nickte in Richtung Seto, der ein Stück abseits saß. „Wir werden morgen versuchen, einige Fische aus dem Nil zu angeln, damit wir noch mehr Rücklagen haben. Genügend Zeit sollte sein, Caesians Truppen sind weit genug entfernt. Im Übrigen haben wir bereits etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt. Noch etwa vier bis fünf Umläufe, dann sollten wir die Stadt erreicht haben.“ „Definitiv ein Lichtblick“, sagte Marik. „Es wird gut tun, wieder Mauern um uns zu haben.“ „Die Frage ist, für wie lange. Nach dem, was Caesian mit Men-nefer getan hat, glaube ich kaum, dass diese allein uns schützen werden“, seufzte Ryou. Dann wandte er sich an den Pharao. „Du, Atemu? Ich habe mir da etwas überlegt.“ „Und was wäre das?“, fragte sein Gegenüber mit hochgezogener Augenbraue. „Na ja, wir stehen doch sowie so schon genug unter Zeitdruck. Wäre es da nicht vielleicht sinnvoll, auch gleich noch nach dem letzten Relikt zu suchen, anstatt zu warten, bis wir die Sonnenscheibe aufgetrieben haben? Ich meine, in vier bis fünf Umläufen könnten wir den Speer Sachmets auch gefunden und nach Theben gebracht haben, sodass wir uns dann ganz auf Caesian konzentrieren können, ohne befürchten zu müssen, dass das Artefakt in der Zwischenzeit von seinen Schergen gefunden wird. Wenn das nicht klappt, dann können wir noch immer abbrechen und uns erst einmal um ihn kümmern, ehe wir die Suche fortsetzen – und darauf hoffen, dass es dann noch da ist, wo es sich jetzt befindet.“ Atemu ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Ryous Gedanken waren nicht dumm. Tatsächlich gingen sie alle nach wie vor davon aus, Caesian würde seine Kräfte auf zwei Dinge verwenden: Ihre Vernichtung und die Suche nach den Relikten der Götter. So lag es für ihn nahe, dass die Bedenken des Weißhaarigen durchaus zutreffen könnten. Sie würden sich ohnehin bereits gegen mehrere Gegenstände von übernatürlicher Kraft behaupten müssen, was so schon schwer genug werden würde – ob dem Tyrannen dann noch der Speer in die Hände fiel, konnte über Sieg oder Niederlage entscheiden. Zudem konnten sie sich durch den großen Abstand zu den nachfolgenden Feinden derzeit noch erlauben, ihre Kräfte aufzuteilen und die Gruppe zumindest teilweise zu trennen – sobald sie in der Falle saßen, war jeder Mann entscheidend. „Du hast Recht“, entschied er schließlich, ehe er sich erhob. Wartet hier, ich werde Seto und Riell zu uns bitten und die Seele der Zeit holen.“ „Ihr wollt was?“ Mana starrte Marlic und seine jüngere Begleitung zunächst perplex an. Die beiden waren, nachdem sie sich den Bauch vollgeschlagen hatten, relativ schnell dazu übergegangen, ihr von ihrem Plan zu berichten. Der einstige Geist verdrehte die Augen. „Wir wollen nach Gizeh. Hast du was an den Ohren?“ Die Hofmagierin verkniff es sich, seine Mimik zu erwidern. „Seid ihr denn auch wirklich absolut sicher, dass sich im Tal der Könige kein Relikt befindet?“ „Eindeutig“, schaltete sich nun Samira ein. „Vielleicht habt ihr auch nur etwas übersehen. Ich könnte euch noch einmal dorthin begleiten und …“ „Das würde auch nichts ändern. Wir haben alles abgesucht, jeden noch so kleinen Spalt. Wenn bei der Anlage der Gräber nichts gefunden worden ist, dann gibt es dort kein Artefakt“, stellte Marlic mit Nachdruck klar. „Hör zu, Püppchen, dein Pharao ist dir doch wichtig, oder? Dann hör auf, meine kostbare Zeit zu verschwenden und stell uns irgendeinen Wisch aus, der uns erlaubt, die Nekropole zu betreten!“ Mana wurde bei Atemus Erwähnung kurz rot, riss sich aber schnell wieder zusammen. „Natürlich ist es mir wichtig, dass wir das Relikt schleunigst finden. Aber ich kann hier momentan nicht weg …“ „Keine Angst, Kleines. Ich bin schon groß, ich brauche keine Amme mehr“, flötete Marlic mit diesem abstoßenden Grinsen auf den Lippen. Die Hofmagierin legte die Stirn in Falten und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Schließlich atmete sie einmal tief ein und aus, ehe sie sprach. „Soll ich ehrlich sein?“ „Aber Teuerste, ich bitte darum!“ „Ich vertraue dir nicht. Kein Stück. Nach dem, was ich gehört habe, hast du schon einmal versucht, Atemu zu schaden. Wer sagt denn, dass es nicht dein Ziel ist, das Artefakt selbst zu nutzen um genau das Gleiche noch einmal zu versuchen?“ Marlic zog eine Augenbraue hoch. Damit hatte er ehrlich gesagt nicht gerechnet. Doch er wäre nicht er selbst, wenn er nicht auf derlei Aussagen zu reagieren wüsste. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und lehnte sich vor, wobei er die Unterarme auf der Tischplatte ruhen ließ und die Finger verschränkte. „Pass mal auf, ich erkläre dir jetzt, wie das hier läuft. Es ist eigentlich ganz simpel, denn dir bleibt nur eine Möglichkeit: Du musst mir vertrauen. Das Artefakt ist definitiv nicht im Tal der Könige, die nächstbeste Anlaufstelle bleibt also Gizeh. Und wenn du nicht selbst dorthin gehen kannst, muss es eben jemand anderes tun. Tja, da komme nun ich ins Spiel, denn ich bin derzeit deine einzige Option – von dieser halben Portion einmal abgesehen, aber du würdest doch niemals ein Kind alleine in feindliches Gebiet schicken, oder?“ Er lehnte sich wieder zurück und betrachtete seine Fingernägel. „Mal ganz davon abgesehen: Ich bin nicht blöd. Wenn ich dem Pharao das Leben zur Hölle machen will, dann nutze ich dafür Mittel, bei denen ich nicht selbst draufgehe – was im Augenblick, bedenkt man einmal den Zustand dieser Sphäre, aber relativ wahrscheinlich wäre.“ Er wandte den Blick von seinen Fingern und fixierte nun die Hofmagierin. „Also, was ist? Kriegen wir den Wisch oder nicht?“ Manas Augen wanderten einmal von ihm zu Samira – die versuchte, sich ein gehässiges Grinsen zu verkneifen – und wieder zurück. Schließlich seufzte sie schwer. „Ich hole Pinsel und Papyrus …“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)