Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 55: Trachten -------------------- Überall war Schmerz. Das war die erste Wahrnehmung, die sich durch den Nebel der Ohnmacht bis an ihr Bewusstsein vorkämpfte. Dann Hitze. Unsägliche Hitze, die wie ein Nadelkissen auf sie niederstach. Ihr war übel. Ihre Kehle brannte und schrie nach Wasser. Ihre Lider waren schwer, so unglaublich schwer. Es kostete alle Kraft, sie nur ein Stück weit zu öffnen. Doch auch dann sah sie nichts als braun-gelbliche Schleier. Sie versuchte, den Kopf zu heben, doch scheiterte. Sofort begann sich alles zu drehen. Irgendwann realisierte sie am Rande ihres Bewusstseins, dass sie sich bewegte. Allerdings nicht sie selbst, irgendetwas bewegte sie. Was, bei den Göttern, war nur los mit ihr? Warum fühlte sie sich derartig seltsam? Woher kamen die Schmerzen, der Schwindel, ihr getrübtes Denk- und Sehvermögen? Kaum, da sie sich die Fragen gestellt hatte, entglitten sie ihr wieder. Sie bekam kaum mit, dass das Trampeln von Pferdehufen um sie herum plötzlich verstummte und jemand neben sie trat. Erst, als man in ihr Haar griff, ihren Kopf herumriss und ihr Flüssigkeit in den Mund kippte, bemerkte sie überhaupt, dass etwas geschah. Aus einem Reflex heraus trank sie, nur um im nächsten Moment zu würgen. Sie kannte diesen Geschmack, wusste jedoch nicht woher. Sie assoziierte nichts Gutes mit ihm, aber wieso? Doch noch ehe sie Anstalten machen konnte, das Zeug auszuspucken, hielt man ihr den Mund zu. Sie wollte sich wehren, doch hatte keine Kraft. Irgendwann konnte sie den brennenden Geschmack auf ihrer Zunge nicht mehr ertragen und schluckte. Der Griff in ihren Haaren lockerte sich und ihr Kopf sackte schlapp zurück. Verschwommen nahm sie noch eine Bewegung im Augenwinkel wahr, dann überkam die Ohnmacht sie erneut. Ein kollektives Aufatmen ging durch die Gruppe aus Menschen und Ka-Bestien, als sie in der Mittagshitze den Kamm einer Düne erklommen und endlich, nach einem langen und strapazierenden Marsch, die Umrisse einer Stadt am Horizont erkennen konnten. Sie hatten es bald geschafft – spätestens am Abend würden sie Theben erreichen. „Mein Gott, endlich! Und ich hatte schon befürchtet, wird würden die Stadt niemals erreichen, bevor wir in dieser verdammten Wüste davon geschmolzen sind!“, rief Joey freudig aus. „Wo du Recht hast …“, pflichtete Tea ihm mit einem erschöpften Lächeln bei. „Ein Glück.“ „Kein ewiges Gelatsche mehr, Schatten …“, führte Tristan weiter aus. „Und das Wichtigste: Endlich wieder etwas Anständiges zu essen!“, fügte sein blonder Kumpane hinzu. „Du denkst wirklich ausschließlich mit deinem Magen, oder?“, merkte Duke an. „Hey, jetzt tu nicht so, als würden dir Trockenobst und hartes Brot nicht auch langsam zum Hals raushängen!“, konterte Joey prompt. „Also ich freue mich ja vielmehr darauf, mal nicht auf Sandboden schlafen zu müssen – und wenn es stattdessen nur ein Lager aus Stroh ist“, warf Tea in die Runde und streckte sich. „Freut euch nicht zu früh“, erklang Riells Stimme hinter ihnen. „Noch liegt ein halber Tagesmarsch vor uns.“ „Das mag stimmen“, pflichtete ihm Yugi bei. „Aber es wird jetzt leichter sein, wo wir das Ziel klar vor Augen haben“, setzte er mit einem zuversichtlichen Lächeln hinzu, während er und die anderen sich wieder in Bewegung setzten. Der Tross folgte ihnen. „Was meint ihr, ob Atemu und Bakura schon dort sind?“, fragte Marik an niemanden Spezifischen gerichtet. „Möglich wäre es. Wenn nicht werden sie aber sicher bald zu uns stoßen“, entgegnete der Kleinste der Gruppe. „Du klingst so unbesorgt“, bemerkte Ryou zögernd. „Weswegen denn auch nicht? Was soll denn schief gehen? Caesians Armee ist ein gutes Stück hinter uns und Bakura ist in eine vollkommen andere Richtung davon geritten.“ „Ja … aber die Zwei? Alleine?“ „Sie werden sich schon nicht zerfleischt haben. Beide wissen, dass es im Augenblick andere Probleme gibt. Sie sind keine Kinder mehr – ob man es glauben mag oder nicht, das trifft auch auf Bakura zu“, erwiderte Yugi. „Dein Wort in Gottes Gehörgang …“, murmelte sein weißhaariger Kumpel zur Antwort und beendete das Thema damit. „Mich würde außerdem interessieren, ob Marlic und Sam schon wieder zurück sind – und wenn ja, ob ihre Suche erfolgreich gewesen ist. Meint ihr, sie haben das Relikt finden können?“, äußerte Tea. „Schwer zu sagen … wir können nur hoffen, dass es so ist“, entgegnete Marik. „Immerhin hätten wir dann eine Sorge weniger. Jedes Artefakt, das in unseren Händen und nicht in Caesians ist, verschafft uns einen Vorteil.“ „Gleichzeitig heißt es aber auch, dass wir unter keinen Umständen zulassen dürfen, dass sich das ändert. Wenn wir scheitern und er sich diese Relikte aneignet, bedeutet das unter Umständen das Aus für die gesamte Welt, wie wir sie kennen“, ermahnte Yugi nachdenklich. Er wurde aus den Gedanken gerissen, als Joey ihm auf die Schulter klopfte. „Keine Sorge, Alter! Wir werden Caesian in seinen Hintern treten, dass er freiwillig das Feld räumt! Und wenn alles geschafft ist, finden wir einen Weg, die Relikte sicher zu verstecken, damit nie wieder jemand auf die Idee kommt, die Teile zu benutzen.“ Yugi brauchte einen Moment, dann stahl sich ein zuversichtliches Lächeln auf seine Lippen. „So machen wir es. So und nicht anders.“ Ein gutes Stück vor der plaudernden Gruppe trieben Seto und Riell ihre Pferde gen Theben. Auch der Schattentänzer war sichtlich erleichtert ob der Aussicht, den weiten Weg endlich hinter sich gebracht zu haben. Es war lange her, dass er in einer richtigen Stadt oder einem anständigen Dorf gelebt hatte, sodass ihm die Reise mit ihren Nächten auf hartem Boden und in Kälte weniger ausgemacht hatte, als einigen anderen, aber er wusste die Vorzüge schützender Mauern dennoch zu schätzen. Zugleich war ihm bewusst, dass dieses kleine Glücksgefühl nur kurz währen würde. Caesian war ihnen auf den Fersen, die Relikte noch längst nicht in Sicherheit. Zumal ihn in Theben, sofern es die Zeit erlaubte, noch die traurige Aufgabe erwartete, zwei Begräbnisse in die Wege leiten zu lassen. Sein Blick glitt zu Seto hinüber, der in einigen Fuß Entfernung neben ihm ritt. Riell war aufgefallen, dass das Gesicht des Hohepriesters sich beim Anblick Thebens am Horizont kein bisschen aufgehellt hatte – im Gegenteil, er glaubte gar für einen kurzen Moment eine Grimasse zu sehen. Insgesamt erweckte die rechte Hand des Pharao nun bereits seit einiger Zeit den Eindruck, als sei er noch angespannter und verbissener als ohnehin schon. Schließlich traf Riell einen Entschluss und lenkte sein Pferd näher zu dem des Anderen heran, was Seto natürlich nicht entging. Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete er sein Gegenüber und wartete auf eine Erklärung. „Ist alles in Ordnung bei Euch, Hohepriester?“, erkundigte sich der Schattentänzer schließlich frei heraus. Die Miene des zeitweiligen Pharao schien kurz zu zucken, dann richtete er den Blick wieder nach vorne. „Selbstverständlich. Wieso sollte es anders sein?“ „Nun, ich kam nicht umhin, eine gewisse … Anspannung bei Euch zu bemerken. Und das schon seit einigen Sonnenläufen.“ „Ich würde behaupten, alles andere wäre in der derzeitigen Lage eher als ungewöhnlich zu betrachten. Habt Ihr vergessen, dass uns eine Streitmacht im Rücken sitzt? Ganz zu Schweigen von dem Umstand, dass wir Ägypter hier Seite an Seite mit Leuten ziehen, die vor nicht allzu langer Zeit ihr erklärtes Ziel darin sahen, das Königshaus zu stürzen?“ Die Spitze traf, Riell überging sie jedoch, auch wenn es ihn einige Mühe kostete. Anstatt sein Gegenüber zu korrigieren oder ihm zu widersprechen, setzte er ein Lächeln auf. „Ich glaube nicht, dass das die Gründe sind.“ „Ach nein?“ „Nein. Ich denke vielmehr, dass es etwas mit der Frau zu tun hat, die Caesian gefangen hält.“ Ein Schnauben, das jedoch nicht so abfällig klang, wie Seto es gerne gewollt hätte, war die Antwort. „Ihr irrt.“ „Das denke ich nicht“, erwiderte der Schattentänzer. „Wenn sie Euch auch nur im Geringsten etwas bedeutet, dann täusche ich mich sicher nicht. Ich weiß, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch in den Händen eines Monsters – dieses Monsters – ist. Ich kenne die Gefühle, die Ungewissheit und Angst, die einen plagen. Unterdrückt sie nicht, Hohepriester, denn sie werden Euch ansonsten von innen heraus aufzehren. Hört zu, wenn Ihr reden wollt, dann ...“ „Ihr irrt“, fuhr Seto plötzlich scharf dazwischen. „Also hört endlich auf, mich mit Euren falschen Annahmen zu belästigen. Und selbst wenn es jemals etwas geben sollte, das mich belastet, dann würde ich noch eher mit einem Straßenköter darüber sprechen, als mit Euch. Wenn etwas anliegt, das die Bedrohung durch Caesian betrifft, wendet Euch an mich, doch bis dahin kümmert Euch um Euch selbst, Schattentänzer.“ Er gab seinem Pferd die Sporen und trieb es an die Spitze des Zuges. Riell blieb, schwer seufzend, alleine zurück. Caesians Augen musterten den Fetzen Papyrus, den ein Falke gebracht hatte. In ihnen lagen Verachtung und Wut. Funktionierte denn gar nichts, wenn er nicht zugegen war? Sichtlich gereizt zerknüllte er die Notiz und warf sie zu Füßen seines Pferdes in den Sand. Unwirsch winkte er einen Soldaten zu sich heran und packte ihn am Kragen, sobald er in Reichweite war. „Schick Gladius zu mir – sofort!“ Damit stieß er den Mann in den Staub, der sich rasch aufrappelte und eilig entfernte. Es dauerte nicht lange, da vernahm Caesian das Trampeln eines herannahenden Reittieres. Kurz darauf zügelte Gladius sein Pferd neben ihm und verbeugte sich im Sattel. „Ihr habt nach mir gerufen, Euer Gnaden?“ „In der Tat, mein Guter“, erwiderte der Herrscher scheinbar freundlich, doch den geübten Augen und Ohren seines Gefolgsmannes entging die verärgerte Anspannung nicht. „Wie kann ich Euch zu Diensten sein?“ „Du wirst nach Men-nefer zurückreiten“, war die knappe, jedoch umso schärfere Anweisung. Überraschung machte sich auf den Zügen des hochrangigen Soldaten breit. „Nun, wenn Ihr dies wünscht, werde ich das selbstverständlich tun, Euer Hoheit. Erlaubt mir dennoch, meine Verwunderung zu äußern – Ihr schient mich bislang in der finalen Schlacht an Euer Seite haben zu wollen. Habe ich einen Fehler begangen, dass Ihr mich hinfort schickt?“ Gladius wusste, dass er nichts getan hatte, das seinen Gebieter hätte verärgern können. Nun, er war sich zumindest recht sicher, dass dem so war. Indem er jedoch einen Fehler bei sich suchte, vermied er es, seine Frage nach den Beweggründen zu diesem Zug so wirken zu lassen, als stelle er Caesians Entscheidung infrage. „Nicht du, Gladius. Dieser Idiot, den ich in Men-nefer zurückließ, um ein Auge auf meinen Bruder zu werfen.“ Er schnaubte abfällig, sichtlich um Fassung bemüht. „Der Kleinen, die wir aus dem Reich der Toten geholt haben, ist es gelungen, ihrer Kammer zu entfliehen. Und sie ist natürlich Taisan unter die Augen gekommen, ehe es diesen Maden gelungen ist, sie wieder einzufangen. Der Nachricht nach zu urteilen, die mich eben erreichte, muss mein Bruder einige sehr kritische Fragen zu ihrer Person gestellt haben. Er war eben neugierig, wie er es immer ist. Aber genau diese Neugier ist es, die unser kleines Theaterstück, das ich extra für Taisan inszeniert habe, zu ruinieren droht. Und der Idiot, der für all das verantwortlich ist, hatte noch nicht einmal den Mumm, mir selbst von seinem Verfehlen zu berichten, stattdessen musste ich es von einem Wachmann ohne Rang und Namen erfahren!“ Nachdem Caesian bislang stur geradeaus geblickt hatte, fixierte er nun Gladius. „Auch, wenn ich dich gerne an meiner Seite gehabt hätte, so musst du nach Men-nefer zurückkehren. Du bist der Einzige, dem ich zutraue, dass von nun an alles reibungslos vonstatten geht. Lass den alten Hauptmann verschwinden. Wenn mein Bruder fragen stellt, sage ihm, ich hätte ihn an deiner Stelle zu mir beordert und dich zurück geschickt, weil wir Hinweise auf eine Bedrohung aus dem Norden durch Verwandte des Pharao erhalten hätten. Übernimm die Führung in Men-nefer, bis ich wieder da bin und sorge dafür, dass Taisan nichts, aber auch gar nichts ungewöhnlich erscheint. Ich vertraue auf dich, Gladius.“ „Selbstverständlich, Herr. Ich werde umgehend aufbrechen.“ Damit verbeugte sich der Untergebene erneut, dann gab er seinem Pferd die Sporen. Caesian blieb alleine zurück, während er zutiefst bereute, dass er sich um diesen Versager von einem Hauptmann in Men-nefer nicht persönlich kümmern konnte. Tatsächlich sollte es noch den Rest des Sonnenlaufes dauern, bis sie Theben erreichten. Die Strapazen lohnten jedoch. Nicht nur, weil sie ein gemütliches Bett und frisches Essen erwarteten, sondern auch ob des Anblicks, der sich ihnen – für einige zum ersten Mal in ihrem Leben – bot. Theben wurde begrenzt von einer Stadtmauer, die zwar nicht so hoch, aber ebenso robust erschien wie jene in Men-nefer. Nachdem Seto mit den hier positionierten Wachen gesprochen hatte, wurden sie von einem Mann in Empfang genommen, der sie zum örtlichen Palast bringen sollte. Auf dem Weg dorthin waren es vor allem Yugi und seine Freunde aus dem 21. Jahrhundert, die sich mit Begeisterung umsahen. Die Stadt erstreckte sich schlauchartig entlang des Nils, schmiegte sich regelrecht an die lebenspendenden Fluten. Während an den äußeren Rändern, insbesondere dort, wo man am weitesten vom Wasser entfernt war, eher einfache Hütten mit flachen Dächern standen, wurden die Bauten zum Inneren und zum Wasser hin größer und prachtvoller. Dort, unweit der Fluten, erhoben sich auch die gewaltigen Tempelanlagen in den Himmel, die später einmal Millionen von Besuchern aus aller Welt anlocken sollten. Auch sie umgaben starke Mauern, die ihnen im Vorbeigehen einen Blick in das Innere des Tempelbezirks verwehrten. In den Straßen herrschte jetzt, da die Sonne untergegangen war, erst recht reges Treiben. Händler boten mit unvermindert starker Stimme weiter ihre Waren feil, Frauen schleppten Nahrungsmittel nach Hause, Kinder rannten umher und Handwerker arbeiteten in kleinen Häusernischen. Und dennoch fehlte alle dem die Heiterkeit, die man an einem solchen Ort erwartet hätte. Denn obgleich die Luft von Geräuschen erfüllt war, war es doch kein fröhliches Geplänkel, Gelächter oder Geschrei, das an ihre Ohren drang. Stattdessen dominierte ein angespanntes Gemurmel die Straßen und Gassen der Stadt. Die Menschen verbeugten sich höflich vor Seto, wenn er vorüber ritt und taten anschließend, als sei nichts gewesen – doch wenn Yugi einen Blick zurückwarf, nachdem sie vorübergezogen waren, sah er, wie dutzende Augenpaare ihnen hinterher sahen. Es wunderte ihn nicht. Dass sie hier waren, bedeutete zum einen, dass Men-nefer tatsächlich nicht mehr war. Zum anderen hieß es, dass Caesian ebenfalls nicht mehr fern sein konnte. Auch wurden die Schattentänzer misstrauisch beäugt, die an ihren Tätowierungen und Amuletten zweifelsfrei als jene zu identifizieren waren, die Gottheiten wie Apophis oder Seth huldigten. Das alles war der Grund, warum Yugi zugegebenermaßen aufatmete, als sie den Palast erreicht hatten, auch wenn die Stadt wunderschön anmutete und er gerne noch mehr davon gesehen hätte. Die örtliche Königsresidenz war um ein vielfaches kleiner als der große Palast in Men-nefer, jedoch ebenfalls prunkvoll. Auch sie wurde von einer Mauer umgeben, an der man zahlreiche Wachen aufgestellt hatte. Und dort, im Schatten des großen Torbogens, der in die Anlage hineinführte, stand Mana und wartete bereits auf sie. Als sie den Tross erblickte, eilte sie ihnen entgegen. „Den Göttern sei Dank, ihr habt es geschafft!“, rief sie ihnen schon von weitem entgegen, während sie sich Seto und dem restlichen harten Kern der Gruppe näherte. „Mana!“, rief Yugi freudig aus. „Es ist schön, dich zu sehen. Geht es dir gut?“ Die Hofmagierin nickte. „Ja, vielen Dank. Meine Verletzungen sind so gut wie verheilt. Wie geht es euch? Ist alles Ordnung?“ „Wir sind etwas erschöpft, aber ansonsten fehlt uns nichts“, schaltete sich Riell ein und stieg von seinem Pferd. Seto tat es ihm gleich. „Mana – wie steht es um das Relikt? Konnte es gefunden werden?“ Für einen bangen Augenblick war die Anspannung groß, dann löste die Angesprochene sie mit einem Nicken. „Ja, wir haben es. Marlic und Samira haben es gefunden.“ „Ein Glück!“, rief Tea aus. „Allerdings, das bedeutet ein Spielzeug weniger für Caesian, den Loser!“, fügte Joey mit erhobener Faust hinzu. „Das bedeutet, dass uns jetzt nur noch eines fehlt, richtig?“, fasste Yugi zusammen. „Sind Atemu und Bakura schon eingetroffen?“ Mana schüttelte den Kopf. „Nein, leider noch nicht. Ich hoffe jedoch, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sich das ändert.“ „Mach dir keine Sorgen“, beschwichtigte der Kleinere. „Sie sind sicher schon auf dem Weg und stoßen bald zu uns.“ „Das hoffe ich“, bekräftigte die Magierin. „Doch nun kommt erst einmal herein. Man wird eure Pferde in die Stallungen bringen und euch zeigen, wo ihr unterkommt. Ich weiß, ihr habt einen anstrengenden Weg hinter euch, doch ich würde vorschlagen, dass wir uns beim Essen zusammensetzen und schon einmal unser weiteres Vorgehen besprechen, ehe ihr euch schlafen legt – sofern das keine allzu großen Strapazen für euch bedeutet.“ „So machen wir es“, nahm Seto der Gruppe die Entscheidung ab, ehe er die Zügel seines Pferdes an einen Bediensteten übergab und dem Palast entgegen eilte. Auch Yugi nickte ernst. „Keine Sorge, Mana. Eine Weile halten wir schon noch durch. Außerdem ist es wichtig, dass wir uns so schnell wie möglich überlegen, wie wir Caesian in Empfang nehmen wollen, sobald er hier eintrifft.“ „In Ordnung. Dann folgt mir bitte.“ Kühl strich der Abendwind durch die Winkel und Flure des Palastes. Irgendwo von den Gärten her erklang der Gesang eines Vogels, zu dem sich das Zirpen und Summen von Insekten gesellte, die in den letzten Sonnenstrahlen dieses Umlaufs umher schwirrten. Es gab nur eines, das Taisan ebenso bewunderte, wie den Blick über die unendlichen Weiten der Wüste – und das waren eben jene Palastgärten, in denen am Abend so viel Leben zu herrschen schien. Er hatte auf einer Bank platz genommen, die im Schatten einer großen Dattelpalme stand. Ursprünglich war es sein Plan gewesen, in dem Papyrus zu lesen, den er sich aus der Bibliothek geholt hatte, um etwas mehr über das Land zu erfahren, das von nun an seine Heimat sein würde. Doch dann hatten seine Gedanken begonnen, zu wandern – bis hin zu dem Mädchen, das er am vorigen Abend gesehen hatte. Seitdem bekam er sie nicht mehr aus dem Kopf, jedoch nicht etwa aus den Gründen, die man einem Mann hätte unterstellen können. Er hatte den Worten des Soldaten, der die junge Frau eingefangen hatte, aufmerksam gelauscht und sie verstanden. Er hatte ihn gewähren lassen, immerhin folgte er den Anweisungen Caesians. Und dennoch, etwas nagte seither an ihm, ließ ihn die Szene nicht vergessen. Diese klaren Augen, dieser erschrockene Blick sollten Attribute einer Hexe sein, die unsägliches Leid verursacht hatte? Sein Verstand sagte ihm, dass man einen Menschen nie von der äußeren Erscheinung her beurteilen durfte, dass ein unschuldiges Antlitz nur die Fassade einer schwarzen, verdorbenen Seele sein mochte – doch ein Teil von ihm blieb unüberzeugt. Er wusste nicht weshalb. Und genau dieser Umstand ließ ihn keine Ruhe finden. Lange schon überlegte er, was er tun sollte, doch er war zu keinem Ergebnis gekommen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, das Mädchen selbst aufzusuchen und mit ihr zu sprechen, sofern sein gebrochenes Ägyptisch es zuließ. Er würde sich nicht vor ihr zu fürchten brauchen, sollte der Hauptmann die Wahrheit gesprochen haben, denn er würde sich im Fall der Fälle zu wehren wissen. Aber das war es nicht, was ihn davon abhielt, diesen vermeintlich einfachen Schritt zu wagen: Wenn er nachgab und handelte, wie ihm sein Gefühl gebot, dann würde er die Order seines Bruders in Frage stellen. Welches Signal würde solches Tun an die Wachen senden? Caesian und er mussten sich in allen Belangen einig sein, wenn es um die Führung des Landes und seiner Bewohner ging – Taisan hatte gesehen, wozu Uneinigkeit führen konnte, wenn sie in hohen politischen Positionen auftrat. Zum anderen sträubte sich das tiefsitzende Vertrauen, das er seinem Bruder gegenüber empfand, dagegen. Wenn er noch nicht einmal davon ausgehen konnte, dass dieser in der Lage war, richtig zu urteilen, wem konnte er es dann zutrauen? Und wer war er, die Entscheidungen seines eigenen Blutes zu hinterfragen? Taisan war ein Mann, der stets an das Gute in den Menschen glaubte, zugleich aber nur den wenigsten von ihnen so etwas wie Vertrauen entgegen brachte. Wenn es jemand einmal erhalten hatte, war es unerschütterlich – und daran würde er sich halten. Seufzend erhob er sich von der Bank und schlenderte durch die Gärten des Palastes, den ungelesenen Papyrus in den Händen. Er würde nach dem Abendmahl noch einmal versuchen, sich mit ihm auseinander zu setzen. Vielleicht würden die nagenden Gedanken dann endlich verschwunden sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)