Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 5: Abscheu ------------------ Abscheu Marik fragte sich, ob er seinen Augen auch wirklich trauen konnte. Vielleicht war das Ganze hier nur ein verdammt realer Traum? Nein, dafür hatte er schon zu viele seltsame Dinge erlebt. Es war wohl doch Wirklichkeit. Direkt vor ihnen erstreckte sich der Palast von Men-nefer. Marik war nur zu gut mit der Geschichte seines Landes vertraut. Umso aufregender war es nun, dies alles direkt vor Augen zu haben. Die Menschen, die Häuser, die gewaltigen Bauten, die dem Pharao gehörten... Es war absolut umwerfend. Und dennoch entging im keineswegs, dass eine Spannung über der Stadt lag, die beinahe greifbar war. Nachdem sich der Weg nach Men-nefer hingezogen hatte, da sie einigen Soldaten aus dem Weg gehen mussten, hatte Mana doch noch begonnen, ihnen zu erklären, was derzeit vor sich ging. Sowohl er, als auch Ryou, hatten sofort in ihrem Wissen nach irgendwelchen Schriften oder Wandmalereien gesucht, die sich auf ein derartiges Ereignis beziehen konnten. Doch sie beide waren in ihren Überlegungen erfolglos gewesen. Der Weißhaarige lief neben ihm und kam ebenso wenig aus dem Staunen heraus, wie der Ägypter. Von seinem Vater hatte er nur allzu viele Rekonstruktionen alter Städte und Paläste gesehen. Doch keine einzige davon wurde der Wirklichkeit wahrlich gerecht. Immer wieder schüttelte er den Kopf. „Unglaublich...“, murmelte er unablässig. Es war atemberaubend. Yugi, Tea und Joey entging indes nicht, dass sie in ihren Kleidungsstücken auffielen. Ein Gesicht nach dem anderen wandte sich neugierig nach ihnen um, während Mana sie dem Palast entgegen führte. Es war anders als beim letzten Mal. Da hatten die Menschen hier sie nicht sehen können. Sie waren nur Spielfiguren in einer Welt gewesen, in die sie nicht gehörten. Sie hatten hier nicht existiert. Es verdeutlichte nur ihren Eindruck, dass es sich diesmal nicht um die Illusion eines Spiels handelte. „Mana?“, fragte Yugi schließlich besorgt. „Wie schlimm steht es wirklich um Ägypten?“ Zu seiner Überraschung war die Antwort unterstrichen von einem zuversichtlichen Lächeln. „Jetzt, da Atemu zu uns zurück gekehrt ist, wird Caesian bald sehen, dass er Land gewinnt. Er wird ihn in den Boden stampfen und dann haben wir endlich wieder unsere Ruhe!“ Teas Herz machte bei diesen Worten einen deutlichen Sprung. Es war so irreal... Sie waren dabei gewesen, als der Pharao die Pforte zum Totenreich durchschritten hatte. Ihnen allen hatte der 'andere Yugi' noch lange Zeit gefehlt. Er war eben ein Teil ihrer Clique gewesen. Ein elementares Mitglied, das nicht zu ersetzen war und ein Loch hinterlassen hatte, auch, wenn sie ihm seine Ruhe gegönnt hatten. Trotz der aufkeimenden Freude war ihr Herz dennoch bang. Sie hatten es schon mit den unterschiedlichsten Gegnern zu tun gehabt. Und jedes Mal, ganz gleich, wie der Kampf letztendlich ausgegangen war, waren es schwere Zeiten gewesen. Sie hatten das immer wieder durchgestanden, doch waren es stets gefährliche Situationen gewesen, in die sie sich begeben hatten. Nicht zuletzt der Kampf gegen Zorc, der zumindest auf dem irreal Spielfeld genügend Opfer gefordert hatte. Hatte sich das überhaupt auf diese Welt ausgewirkt? Hatte Shadi damals nicht gesagt, die Ereignisse müssten sich wiederholen, damit der Pharao seinen Frieden finden konnte? Und wenn es nur auf dem Feld eines RPGs geschehen war? Sie traute sich nicht, Mana direkt darauf anzusprechen. So verpackte sie ihre Frage ein wenig. „Mana? Es scheint trotzdem irgendwie so, als habe sich seit unserem letzten Treffen wenig verändert.“ Die Magierin nickte. „Nach dem Kampf gegen Zorc hatten die Menschen nur eines im Sinn. Sie wollten nach all den Kämpfen so schnell wie möglich in ihr altes Leben zurückkehren. So, als sei nichts passiert. Für die Bürger war dies auch recht einfach zu bewerkstelligen. Im Palast jedoch herrschte noch eine ganze Weile Ausnahmezustand. Nicht nur, dass Seto das Amt des Pharao übernehmen musste, auch die anderen Verluste, die wir erlitten haben, blieben noch eine ganze Weile präsent. Und einige werden wir wohl niemals vergessen“, fügte sie traurig hinzu. Tea konnte sehen, wie sich ihre Miene veränderte. Also war es tatsächlich so, wie sie gedacht hatte. Die Ereignisse hatten sich vor ein paar Jahren wiederholt. Bakura hatte damals lediglich versucht, sie zu beeinflussen, zu verändern. Also war dieses 'Spiel' doch nicht ganz so unrealistisch gewesen, wie sie geglaubt hatte. Schließlich ergriff wieder Yugi das Wort. „Du scheinst aber gar nicht allzu überrascht von unserer Anwesenheit zu sein“, meinte er an die Magierin gewandt. Diese seufzte. „In den letzten Monaten sind so viele Dinge passiert, mit denen niemand gerechnet hat. Erst Caesian, dann plötzlich die Rückkehr Atemus... man hätte sich beinahe erwarten können, dass sich diese Reihe ungewöhnlicher Ereignisse noch fortsetzen würde. Vielleicht überrascht es mich deshalb nicht so dermaßen, wie es vielleicht der Fall gewesen wäre, wärt in friedlichen Zeiten hierher zurück gekehrt. Man könnte fast sagen, dass ich seltsame Vorkommnisse inzwischen gewohnt bin. Ich meine, wer hätte schon mit der erneuten Erschütterung des ägyptischen Reiches oder der Wiederkehr eines verstorbenen Pharao gerechnet? Da mutet das Erscheinen von Leuten aus der Zukunft beinahe gewöhnlich an“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. „Andererseits wusste ich auch schon, was vor sich geht, ehe ich Joey und Ryou gefunden habe. Darla hatte mir bereits gesagt, dass die euch ausfindig gemacht hat. Da war ich im ersten Moment doch etwas überrascht. Im nächsten Augenblick allerdings habe ich nur den Kopf geschüttelt und mir gedacht: 'Gut. Momentan stimmt in diesem Land sowie so nichts mehr. Warum sollten also nicht auch alte Freunde von uns auftauchen, mit denen wir nie mehr gerechnet hätten?' Immerhin ist Atemu ja auch wieder da.“ „Wie hat Darla dir denn erzählen können, dass sie uns gefunden hat? Ihr habt euch doch erst wieder außerhalb des Sandsturms gesehen?“, fragte Tea. „Uns verbindet ein starkes Band, das nicht zwischen allen Menschen und ihren Ka-Bestien existiert. Sie weiß stets, was ich denke, und umgekehrt“, erwiderte die Hofmagierin. Sie erreichten das Gelände des Palastes, indem sie eines der großen, hölzernen Tore durchquerten. Marik entging dabei nicht, dass Mana ihm und Ryou immer wieder prüfende Blicke zuwarf. Anfangs ignorierte er es, doch nach einer Weile fragte er sich, was das zu bedeuten hatte. Schließlich konnte er es sich nicht mehr verkneifen und sprach sie darauf an. „Du beäugst mich die ganze Zeit so seltsam von der Seite. Und Ryou auch. Stimmt irgendetwas nicht?“ Mana blieb stehen und drehte sich zu ihnen um. Sie ließ ihren Blick erneut über die beiden jungen Männer wandern. „Bitte verzeiht dies. Ich wollte euch wirklich nicht so anstarren. Aber die Ähnlichkeit ist wirklich sehr verblüffend.“ Von Ryou war ein kaum merkliches Schlucken zu hören. Instinktiv fasste er sich an den Hinterkopf. Dann fiel ihm jedoch etwas ein. Bakura hatte in dieser Zeit gelebt. Aber der Parasit, der sich in Marik eingenistet hatte...? „Kennst du zufällig einen Marlic? Ihr seht euch nicht nur wahnsinnig ähnlich, ihr tragt sogar einen ähnlichen Namen“, fügte die Magierin schließlich hinzu. „Marlic? Nicht, dass ich wüsste. Von wem sprichst du?“, erwiderte Marik. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. „Ich habe euch doch bereits erzählt, dass der Pharao zu uns zurückgekehrt ist“, begann Mana zu erklären. „Das Problem war jedoch, dass Seto mir bis zu diesem Zeitpunkt eine Kleinigkeit verschwiegen hat. Atemu war nicht der einzige, der aus dem Jenseits wieder gekommen ist.“ Ryous Magen fühlte sich an, als drehe er sich augenblicklich um die eigene Achse. Er fürchtete die Worte, die die Magierin jeden Moment aussprechen konnte. „Bakura und so ein Kerl, der dein Bruder sein könnte, und sich eben Marlic nennt, sind ebenfalls durch das Tor zu uns gelangt. Wie ich erfahren habe, war dies Anubis' Bedingung, die er an die Wiedergeburt Atemus knüpfte.“ Für Marik bestand kein Zweifel, um wen es sich handeln könnte. Nur ein einziges Wesen kam dafür in Frage. Die dunkle Seite seiner Seele, die sich ihrer Zeit im Milleniumsstab manifestiert hatte. Die Verkörperung von Hass und Abscheu, der Gefühle, die einst sein Herz zerfressen hatten. Er schüttelte den Kopf. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Sie waren nicht nur in eine Zeit und an einen Ort geraten, da sich zwei Armeen gegenüberstanden, die um das Schicksal seiner- jetzt künftigen- Heimat fochten. Er war auch noch im Begriff, früher oder später diesem anderen Teil von sich, der doch wieder eine eigenständige Seele bildete, unter die Augen zu treten. Während er diese Nachricht erst einmal verarbeitete, berichteten Joey und Yugi von den Ereignissen in ihrer Zeit, da der Pharao Marlic im Battle City Turnier in die Knie gezwungen hatte und beantworteten somit Manas Frage, weshalb Atemu ihn ins Totenreich geschickt hatte. „Hey, Ryou! Ist alles okay?“, kam es plötzlich von Tea. Marik wandte sich um. Der Weißhaarige starrte stur ins Leere und begann, sich rückwärts laufend vom Palast zu entfernen. „Wo ist er?“, kam schließlich die Frage mit zittriger Stimme. „Wo ist Bakura?“, hakte er nach und sprach den Namen aus, als verbrenne es ihm dabei die Zunge. „In den Kerkern. Wir haben ihm zwar freigestellt, sich in der Stadt unter Bewachung zu bewegen, doch er hat das Angebot abgelehnt. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, er...“, setzte Mana an, doch Ryou schüttelte panisch den Kopf. „Ich gehe keinen Schritt in die Richtung, in der sich dieses Scheusal befindet! Niemals!“ „Er wird dir nichts tun können! Seine Kräfte sind nicht mehr dieselben wie früher. Sie sind geschwächt. Wenn man so will ist er ein ganz normaler Mensch! Das einzig Außergewöhnliche ist seine Ka-Bestie, aber auch die...“ „Das ist mir egal! Ich will diesen Kerl niemals wiedersehen. Macht was ihr wollt, aber ich geh' da nicht rein!“ Mit diesen Worten macht Ryou auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück in die Stadt. „Ryou! Nun warte doch!“, rief Yugi ihm noch hinterher, doch der Weißhaarige hörte gar nicht darauf. Marik gebot ihm schließlich durch eine Handgeste, es sein zu lassen. „Geht ihr schon einmal voraus. Ich kümmere mich darum.“ „Bist du dir sicher, Alter? Ich meine, du kennst dich in der Stadt wahrscheinlich genau so wenig aus wie wir“, meinte Joey. Ein Lächeln spielte über die Lippen des gebürtigen Ägypters. „Keine Sorge. Ich glaube nicht, dass ich damit irgendwelche Probleme haben sollte. Wir sehen uns einfach später, der Palast ist ja nicht zu übersehen. Geht das in Ordnung, Mana?“ Die Magierin nickte. „Doch ich muss dich warnen. Wir befinden uns noch immer im Krieg. Im Falle eines Angriffs solltet ihr so schnell wie möglich zum Palast kommen. Und vor Einbruch der Dunkelheit solltet ihr das sowie so tun.“ „Keine Sorge, das krieg' ich hin“, antwortete Marik noch, dann eilte er Ryou hinterher, der sich schon ein gutes Stück entfernt hatte. „Es war bei ihm also ähnlich wie bei dir und Atemu“, meinte Mana schließlich nachdenklich an Yugi gewandt. „Nur, dass Bakura wirklich als Parasit bezeichnet werden kann.“ Der Kleinere nickte. Dazu brauchte er nichts sagen. Sie traf den Nagel damit zwar nicht annähernd auf den Kopf, doch er bezweifelte, dass es in Ryous Sinne gewesen wäre, hätte er das Gefühlsleben des jungen Mannes breit getreten. Er wusste, wie sehr er unter dem Ringgeist zu leiden gehabt hatte, und auch, dass sich die seelischen Wunden, die damals entstanden waren, noch längst nicht geschlossen hatten. „Können wir dann weitergehen?“, meinte Yugi schließlich mit einem Lächeln, das die trüben Gedanken vorerst vertrieb. „Ich würde Atemu wirklich gerne sehen!“ Auf Manas Nicken hin folgten sie ihr den Weg zum Palast entlang. Das Dunkel der Höhlengänge verscheuchte die Sonnenstrahlen, die soeben noch ihre Haut erwärmt hatten. Sie sah in den ersten Augenblicken kaum etwas, doch das spielte keine Rolle. Sie kannte die Tunnel nur zu gut. Jeder Stein, jede Furche war ihr vertraut. Ebenso der modrige Geruch, den die Höhlen verströmten. Hier fühlte sie sich geborgen. Zu Hause, wenn man so wollte, auch wenn dies vielleicht ungewöhnlich klingen mochte. Doch wenn Wüsten und Städte nur noch eine Gefahr darstellten, dann konnte selbst der verkommenste Unterschlupf heimisch wirken. Sie fand ihren Weg blind, bis schließlich Licht begann, die verborgenen Pfade zu erleuchten. Nun steckten Fackeln in den Wänden, deren lodernder Schein die Finsternis zurück drängte. Und schließlich wichen auch die Felswände zurück. Sie machten einer ausladenden, steinernen Halle Platz. Dutzende Menschen tummelten sich in der riesigen Höhle. Alte Männer saßen beieinander und spielten, während sie sich unterhielten. Frauen hockten in Gruppen und besserten Kleidung aus. Indes rannten Kinder umher und jagten einander durch Tunnel und um Felsen herum. Hier und da stieg der Rauch von Pfeifen auf. Allgemeines Gemurmel erfüllte den Saal. Ab und an neigten sich Häupter demütig, als sie an den Menschen vorüber ging. Sie zollten ihr Respekt. Eine Ehrerbietung, die sie sich hatte erarbeiten müssen. Umso lieber sah sie es, wenn sie auf diese Weise gegrüßt wurde.Sie durchquerte die Halle aus Stein zielstrebig und steuerte auf einen Tunnel am gegenüber liegenden Ende zu. Schließlich gelangte sie vor eine schwere Holztüre, gegen die sie mehrmals mit der Faust schlug. Als sie eine Stimme vernahm, trat sie ein. Der Mann im Inneren erhob sich, als sie näher kam. „Die Lage ist unverändert. Caesians Truppen lagern noch immer vor Men-nefer. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder angreifen werden. Doch es gehen Gerüchte um“, kam sie gleich zur Sache. „Welche Gerüchte?“, fragte ihr Gegenüber. „Der ehemalige Pharao soll zurückgekehrt sein. Jener...“ Sie stockte einen Moment, ehe sie den Faden wiederfand. „Jener, der Zorc in die Knie gezwungen haben soll. Atemu.“ Der alte Mann nickte. Seine Mundwinkel, die von einem langen, grauen Bart umgeben waren, zuckten für einen Moment. „Dann erscheint ihre Situation bei Weitem nicht mehr so aussichtslos.“ „Gewiss.“ Die junge Frau seufzte. „Wisst ihr, Vater... eigentlich sollte ich voller Freude sein. Darüber, dass Men-nefer endlich fallen könnte. Aber nicht so. Dieser Mann ist wahnsinnig. Er hat keine Ahnung, wozu das Zepter in der Lage ist. Er nutzt seine Macht blind. Selbst wenn Atemu nun wiedergekehrt ist, wir müssen etwas unternehmen. Wir können nicht tatenlos dabei zu sehen, wie er mit diesem Artefakt unsere Welt bedroht. Wir dürfen uns nicht auf die Kräfte des Pharaonenhauses verlassen. Es ist zu riskant.“ Der Ältere schien zu überlegen. Doch schließlich nickte er. „Du sprichst mir aus der Seele, Kind. Wir werden etwas unternehmen. Doch wir dürfen auf keinen Fall unüberlegt vorgehen. Ich werde nicht zulassen, dass sich die unseren unnötig in Gefahr begeben. Ich werde darüber nachdenken.“ „Wie ihr wünscht, Vater“, erwiderte die Frau und wandte sich zum Gehen. Doch sie wurde noch einmal zurückgehalten. „Risha?“ „Ja?“ „Ist auch wirklich alles in Ordnung?“ In ihren fliederfarbenen Augen blitzte es kurz auf, dann zwang sie ein Lächeln auf ihre Züge. „Es ist alles gut, Vater. Wirklich. Es ist nur so schade, wisst ihr... Wäre es nicht Caesian, und hätte er insbesondere nicht das Zepter bei sich... Es wäre endlich vorbei.“ Ein wissendes Nicken des Mannes war die Antwort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)