Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 20: Offenbarung ----------------------- „Wenn das so ist...“, fuhr Reshams Sohn fort. „Kipino? Wärst du so freundlich und rufst Bakura herbei? Sollte er dies tatsächlich gesagt haben, so wird er wohl kein Problem damit haben, es zu wiederholen. Und wenn er wirklich so denkt, dann werde ich dich auch in Ruhe lassen. Denn dann ist es auch für sie besser, wenn wir die Sache einfach unter den Tisch fallen lassen.“ Kipino tat, wie ihm gehießen, und huschte an Keiro vorbei aus dem Raum. Der blieb noch einen Moment am ganzen Leib bebend stehen, dann fuhr er plötzlich herum und hetzte der Tür entgegen. „Nichts dergleichen wird er tun! Nur über meine Leiche!“ „Das lässt sich einfacher bewerkstelligen, als du glaubst … “ Aus Kapitel 19 – Rückkehr Schlitternd kam Keiro wenige Schritte vor dem Ausgang zum Stehen. Die eiskalte Stimme jagte ihm einen Schauer über den Rücken – ebenso wie der Anblick der Person, die im Türrahmen erschienen war. Der Stoff des schwarzen Kapuzenumhangs bedeckte zwar das Haupt, doch einige blonde Strähnen fielen trotzdem über ihre Schultern. Ihre fliederfarbenen Augen spiegelten die Gefühle wieder, die unter der Oberfläche kochten. Ihre Haltung verriet, dass sie ihr Gegenüber auf keinen Fall vorbei lassen würde. „Was guckst du denn so? Gefällt dir etwa nicht, was du siehst? Ah, ich vergaß! Du wünscht dir ja schon seit langem vergeblich, dass ich sterbe. Tut mir leid, aber ich muss dich auch diesmal enttäuschen.“ Riell entging der Unterton keineswegs, mit dem seine Schwester sprach. Jedes falsche Worte konnte sie zum explodieren bringen. Weder schrie sie Keiro an, noch bebte sie vor Wut. Im Gegenteil: Sie schien vollkommen ruhig – zu ruhig. Ein Zustand, in dem sie höchst gefährlich war. „Sam hat mir erzählt, was in dieser Stadt vor sich geht“, fuhr Risha fort, während sie sich ihrem Gegenüber mit langsamen, drohenden Schritten näherte. „Mir war schon immer klar, dass du von Sinnen bist. Aber dass du so weit gehst … Das hätte nicht einmal ich dir zugetraut.“ Mit einem Mal wurde Keiro aus seiner Starre gerissen. Sein Körper schien zu vibrieren. „Ich? Von Sinnen? Die Einzige, die nicht mehr bei Verstand ist, bist wohl du! Sieh dich nur einmal an! Ein Göttern heuchelndes Miststück, das bist du!“ Einen Moment herrschte eisige Stille, dann begann Risha plötzlich zu kichern. Erst leise, dann immer lauter. „Du bezeichnest dein eigen Fleisch und Blut auf diese Weise?“ „Du bist nicht mein 'eigen Fleisch und Blut'!“, schrie Keiro auf der Stelle. „Aber, aber … “, entgegnete die Schattentänzerin völlig ungerührt. „Wie sprichst du denn mit deiner Cousine?“ Die Worte schienen sich wie ein Tuch über den Raum zu hängen. Niemand wagte etwas zu sagen. Alle Augenpaare waren auf die beiden gerichtet, die offenbar kurz davor standen, sich an die Gurgel zu gehen. Joey war der Erste, der seine Sprachfähigkeit wieder erlangte. „Ihr … ihr seid verwandt? Cousin … und Cousine?“ „Allerdings“, erwiderte Riell. „Auch wenn der gute Keiro es nach wie vor zu leugnen versucht. Aber damit ist jetzt Schluss.“ „Aber warum … “, wollte Yugi zu einer Frage ansetzen, doch er wurde jäh unterbrochen. „Nichts ist vorbei!“, brüllte der Besagte daraufhin. „Ich werde gemeinsam mit Bakura verschwinden! Dieses verdorbene Biest wird nie wieder eine Rolle in unserem Leben spielen! Und hör auf, mir dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben! Dass sie so geworden ist, ist alleine dein Verdienst, Riell!“ „Du gehst nirgendwo hin“, zischte Risha. „Nicht, ehe ich dir dein verfluchtes Herz auf der Brust gerissen habe.“ „Zumindest beim ersten Teil stimme ich zu“, bestätigte Joey und ballte die Faust. „Hey, Mann, dein Bruder ist alt genug, um selber zu entscheiden, mit wem er abhängt und mit wem nicht.“ „Du hast überhaupt keine Ahnung!“, fuhr ihn Keiro prompt an und deutete auf Risha. „Du kennst sie nicht im Geringsten! Ich weiß, was Bakura alles getan hat und kann mir deshalb denken, was er noch tun wird, wenn er sie trifft! Sie wird seinen Verstand vergiften! Sie ist genau so gegen das ägyptische Königshaus, wie er! Wenn sie sich sehen, wird sie den Hass, der langsam in ihm abstirbt, erneut aufkeimen lassen! Sie wird ihm eine Bestätigung für seine finstersten Gelüste sein! Das kann ich nicht zulassen! Sie wird ihn wieder zu der Person machen, die vor zwei Jahren versucht hat, die Milleniumsgegenstände gegen alles zu richten, was wir Leben nennen! Sie wird ihn in diesen verdammten Clan hinein ziehen, ihm eine Gehirnwäsche verpassen! So, wie sie es mit allen tun, die sich ihnen anschließen! Aber nicht mit ihm!“ „Bakura und ich mögen uns nicht gut gesonnen sein“, mischte sich Atemu ein. „Aber ich glaube beim besten Willen nicht, dass er ein Mensch ist, dem man so leicht Flausen in den Kopf setzen kann!“ „Ihr habt keine Ahnung!“, wiederholte Keiro. „Wir werden verschwinden, ohne dass … “ „Dafür ist es jetzt zu spät“, entgegnete Riell kalt. „Ich habe dir die Möglichkeit bis zuletzt gelassen, Keiro. Die Möglichkeit, alles selbst ins Reine zu bringen. Doch du hast sie nicht genutzt“, fügte er auf den ungläubigen Blick seines Gegenübers hinzu. „Ich verstehe“, murmelte Yugi. „Wenn Risha die Cousine von Keiro ist, dann ist sie damit auch die von Bakura.“ „Wie lange weißt du schon, dass er lebt?“, zischte die Schattentänzerin und hielt damit die aufkeimende Stille davon ab, Wurzeln zu schlagen. „Du hättest es mir sagen müssen. Du hast genau gewusst, dass du nichts zu befürchten hast, wenn du mit derartigen Neuigkeiten zu mir kommst!“ „Aber natürlich!“ Keiro brach in beinahe irres Gelächter aus. „Ich und dich besuchen, ohne etwas befürchten zu müssen! Damit du mir das Relikt abnehmen kannst?“ „Du weißt, dass ich so nicht bin! Relikt hin oder her, hier geht es um die Familie, verdammt!“ Nun war es Risha, die zu schreien angefangen hatte. In ihr tobte alles und sie musste den hartnäckigen Kloß hinunter kämpfen, der sich plötzlich in ihrer Kehle bildete. Hass und Enttäuschung wechselten sich stetig hinter der Fassade ab, um deren Aufrechterhaltung sie rang. „Ich habe ebenso unter den Ereignissen von damals und den ganzen Verlusten gelitten, wie du! Wie, bei den Göttern, konntest du mir so etwas antun?“ „Wie ich dir so etwas antun konnte?“, lachte Keiro beinahe hysterisch. „Das konnte ich, um zu verhindern, dass du ihm Schaden zufügen würdest! Er ist mein Bruder, glaubst du wirklich, ich ziehe meine Cousine ihm vor? Aber was sage ich hier noch 'Cousine'? Ich glaube kaum, dass minderwertiger Abschaum eine solche Bezeichnung verdient!“ „Ich... ich schwöre dir... dafür... dafür bringe ich dich um!“ Mit einem Satz war Riell bei seiner Schwester und packte sie an den Armen. Gerade rechtzeitig, um sie davon abzuhalten, sich auf Keiro zu stürzen. „Beruhig dich! Er ist es nicht wert! Lass ihn! Das hat doch keinen Sinn! Am Ende handelst du damit genau so, wie er es sich erhofft. Du gibst ihm damit nur etwas in die Hand, das er gegen dich verwenden kann.“ „Alter, jetzt komm mal runter!“, kam es nun wieder von Joey, der nicht glaubte, was er da miterlebte. Seine kleine Schwester war für ihn das wichtigste auf der Welt. Umso weniger konnte er nachvollziehen, wie sich zwei Menschen, die der selben Familie angehörten, dermaßen an die Gurgel gehen konnten. Das war nicht normal! Familien sollten zusammenhalten, das hatte er im Lauf seines Lebens gelernt. „Krieg' dich wieder ein! Das ist deine Cousine, man!“ Risha schloss für einen Moment die Augen und atmete mehrmals tief durch. Riell hatte recht, so verdammt recht. Dennoch kostete es sie enorme Kraft, ihre Wut zu bändigen. Das einzige, wonach es sie in diesem Augenblick dürstete, war Blut. Das Blut Keiros. Aber sie war sich bewusst, was das bedeuten würde. Würde sie ihm etwas antun, ganz gleich, was vorgefallen war – Bakura würde sie hassen. Erst, als ihre Anspannung nachließ, entließ sie ihr Bruder aus seinem eisernen Griff. Zum selben Zeitpunkt trat Atemu vor und ging zu Keiro. „Meinst du nicht, es wäre angebracht, zu gehen?“ Der verdutzte Blick seines Gegenübers sprach Bände. „Bei aller Ehre, Euer Hoheit, aber ich bin nicht derjenige, der...“ Doch Seto, der sich neben dem Pharao aufbaute, gebot ihm, zu schweigen. „Du hast genug geredet. Mir ist egal, was zwischen euch vorgeht. Was für mich zählt, ist, dass du versucht hast, uns zu hintergehen.“ Keiros Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wovon sprecht Ihr?“ „Wohl davon, dass du mich und das Relikt unter einem Vorwand außer Landes schaffen wolltest...“ Er wirbelte herum. Plötzlich spiegelte sich so etwas wie Furcht in seinem Blick. Denn im Türrahmen stand niemand anders, als sein Bruder. Und sein Gesicht sah alles anderes als begeistert aus. „Wie … wie lange stehst du da schon … ?“ „Lange genug um alles mitbekommen zu haben … “, zischte Bakura. „Sag mir bitte, dass das ein schlechter Scherz ist.“ Risha wagte zunächst nicht, sich umzudrehen. Die Stimme kam ihr so wahnsinnig fremd vor. Sie hatte absolut nichts mehr mit der des sechsjährigen Jungen gemein, den sie vor siebzehn Sommern zum letzten Mal gesehen hatte. Wie in Zeitlupe, als habe sie Angst, enttäuscht zu werden, wandte sie sich um. Dann sah sie ihm seit so langer Zeit wieder ins Gesicht. Er war es. Daran bestand kein Zweifel – trotz der Narbe, die unter seinem Auge prangte. Die Maske auf ihren Zügen saß perfekt, verriet nichts. Doch unter der Oberfläche überschlugen sich die Gefühle, tanzten wild durcheinander und brachten ihr Herz zum Rasen. Völlig gebannt, schrack sie zusammen, als Keiro wieder zu sprechen begann. „Es war nur zu deinem Besten“, sagte er ruhig. „Vertrau mir, Bruder. Ich habe noch lange nach Kul Elna zu ihr Kontakt gehabt und mit angesehen, was aus ihr geworden ist. Wir sollten gehen, das wäre für alle … “ „Halt die Fresse!“, brüllte der Grabräuber. „Ich glaube kein einziges Wort mehr, das über deine Lippen kommt! Ich fand es gleich seltsam, als du so darauf gepocht hast, ist solle dem Pharao keine Schuld geben! Jetzt weiß ich, warum. Warum du so dringend wissen wolltest, wie ich heute über dieses Thema denke! Warum du daraufhin versuchen wolltest, mich von hier fort zu locken! Weil sie genau so denkt!“ „Lass es mich erklären! Sie ist...“ „Es ist mir scheißegal, was sie ist! Du hast mich belogen. Du bist mir in den Rücken gefallen...“ „Bakura, bitte...“ „Scher dich raus!“, schrie der König der Diebe. „Geh mir aus den Augen! Sofort!“ Keiros Blick wanderte noch einen Moment unschlüssig zwischen seinem Bruder und der Schattentänzerin hin und her. Dann setzte er sich schwerfällig, mit ungläubigem Ausdruck auf dem Gesicht, in Bewegung. Ehe er in den Gang hinaus trat, blieb er noch einmal stehen. „Herzlichen Glückwunsch, Risha. Du hast es geschafft“, murmelte er. „Diese Ehre gebührt nicht mir“, erwiderte sie kalt. „Das hast du ganz alleine vollbracht.“ Keiro ballte die Hände zu Fäusten, wusste jedoch, dass es sinnlos war. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum. Als seine Schritte verklungen waren, bewegte sich auch seine Cousine wieder. Sie wirbelte auf dem Absatz herum und machte Anstalten, ebenfalls zu verschwinden. Ihr Kopf dröhnte und sie konnte das Zittern, das ihren Leib schüttelte, kaum noch unterbinden. Dennoch hielt sie kurz inne, ehe sie ging. „Wir reden später … “, flüsterte sie an die einzige Blutsverwandtschaft gewandt, die noch zugegen war. Dann verschwand sie und ließ das Trümmerfeld hinter sich, das sich an diesem Abend erneut vor ihr aufgetan hatte. Noch immer hielt die Nacht das Land in ihrer Gewalt. Die Sternen funkelten hell am Firmament. Doch heute ließ sie ihnen keine Beachtung zukommen. Risha hatte sich in das Zelt zurück gezogen, das man für sie aufgestellt hatte. Seit Stunden saß sie nun schon auf der Kante ihrer Schlafstätte und drehte den Reif der Göttin Isis in den Händen. Wie schnell es gehen konnte. Im einen Moment wurde ihre Gefühlswelt noch beeindruckt vom Triumph, ein weiteres Relikt gefunden zu haben – und im nächsten Augenblick war an derselben Stelle nur noch gähnende Leere, in deren Untiefen ein Schmerz pulsierte, den sie krampfhaft zu leugnen versuchte. Doch irgendwann musste die Einsicht kommen, dass es Keiro ernsthaft geschafft hatte, sie zu treffen. Sie hatte ihm einiges zugetraut. Doch dass er so weit gehen würde, hatte sie nie vermutet... Ebenso wenig, wie sie geglaubt hatte, Bakura jemals wieder zu sehen. Sie seufzte, versuchte abermals den Kampf gegen den Kloß in ihrem Hals zu gewinnen. Diese Empfindung gefiel ihr ganz und gar nicht. Wie lange hatte sie schon nicht mehr geweint? Es war Jahre her. Und nun stand sie kurz davor, es doch zu tun. Aber war das nicht normal? Man erfuhr nicht alle Tage, dass ein tot geglaubter Verwandter plötzlich quicklebendig war. Doch warum war ihr dann nach Weinen zumute? Sollte sie sich nicht freuen? Nicht angesichts dessen, was sich soeben im Palast abgespielt hatte … Immer wieder hatte sie sich vorgestellt, wie es sein würde, eines Tages dem Pharao gegenüber zu stehen. Dem Mann, der ihre Verwandtschaft ausgelöscht hatte. Nun war es ganz anders gekommen. Sie hatte ihm nicht einmal einen Funken ihrer Aufmerksamkeit zukommen lassen. Sie ließ das Relikt zu Boden fallen und legte den Kopf auf die Knie, krallte die Hände ins Haar. Ihr Kopf dröhnte, ihr Körper zitterte. Wie eine schwarze Flut rollten die Erinnerungen über sie herein. Feuer. Blut. Tod. Der Gestank von Verwesung. Sie hatte es überlebt, weil sie davon gelaufen war. Ängstlich und feige. Da war zwar dieser Soldat gewesen, der mit dem Schwert nach ihr geschlagen hatte, doch er hatte nur ihren Fuß erwischt. Blutend hatte sie sich in die Wüste geschleppt, bis sie das Bewusstsein verloren hatte. Sie mochte damals vier Jahre alt gewesen sein und dennoch schalt sie sich für ihr Verhalten. Seitdem hatte sie sich geschworen, nie wieder so feige zu sein. Wieder wanderte ihr Denken zu der Szene, die sich im Saal des Palastes abgespielt hatte. Sie vermochte kaum, einen klaren Gedanken zu fassen. Das alles war zu irreal. Zu frisch. Immer wieder spielten sich die Bilder vor ihrem inneren Auge ab, doch sie war nicht fähig, sie zu begreifen. Sie fuhr hoch, als jemand das Tuch beiseite schlug, das den Zelteingang verdeckte. Es war Riell. Er maß sie mit einem müden Lächeln. „Darf ich?“ Ein stummes Nicken folgte, woraufhin er eintrat und neben ihr Platz nahm. Er musterte sie eingehend. „Wie geht es dir?“ Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Ihn brauchte sie nicht zu belügen. Sie mochten nicht verwandt sein, was das Blut anging, doch er war ein Bruder für sie. „Mein Kopf dröhnt. Meine Hände zittern und mir ist kalt. Das sagt alles, oder?“ „Was ist mit deinem Knöchel?“, fragte Riell, dem die Schwellung nicht entgangen war. Aber seine Schwester winkte ab. „Nur verstaucht. Ist in ein paar Tagen wieder gut.“ Der Schattentänzer lächelte. „Du solltest versuchen, zu schlafen. Auch, wenn das abgedroschen klingen mag. Du wirst sehen, es wird dir leichter fallen, als du denkst. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Hey!“, meinte er und legte ihr eine Hand auf die Schulter, als er ihren unveränderten Blick sah. „Bakura ist wieder da! Ich kann deine Wut verstehen, aber du solltest dich zumindest ein bisschen freuen, meinst du nicht auch?“ Sie seufzte. „Das mag sein. Aber wer weiß... es ist viel Zeit vergangen. Ich habe keine Ahnung mehr, wer er ist. Verstehst du, was ich meine?“ Riell nickte verständnisvoll. „Lass es einfach auf dich zukommen – nachdem du geschlafen hast. Ich passe solange darauf auf.“ Er erhob sich und ergriff den Reif der Isis, sowie den Dolch des Anubis, der daneben lag. Dann ging er hinaus. „Und denk daran: Ganz gleich, was ist, ich bin da.“ Raschelnd glitt das Tuch am Eingang des Zeltes beiseite, dann war er verschwunden. Risha seufzte noch einmal, dann ließ sie sich geräuschvoll in die Kissen fallen. Konnte die Welt auch einmal nicht kompliziert sein? Die ersten sanften Sonnenstrahlen weckten Atemu. Noch ein wenig verschlafen richtete er sich auf. Für eine Weile saß er einfach nur da und lauschte den Geräuschen der Stadt, die allmählich zu erwachen begann. Sie waren regelrecht beruhigend. Denn nichts deutete darauf hin, dass sich Caesian erneut gerührt hatte. Was nicht bedeutete, dass sich das nicht von jetzt auf gleich ändern konnte. Und eben dieser Umstand war es, der den Pharao quälte und ihn jeglicher Ruhe beraubte. Denn dieser Mann war da draußen und er war fest entschlossen. Das hatte er bei ihrem letzten Zusammentreffen nur allzu deutlich gemacht. Atemu hatte sich bald danach gefragt, warum er und die anderen mit dem Schrecken davon gekommen waren. Ihnen allen waren noch die Anstrengungen der Schlacht um Men-nefer in den Gliedern gesessen. Zudem war Caesian nicht nur im Besitz einiger Relikte, er gebrauchte sie auch. Warum hatte er es nicht gleich an Ort und Stelle zu einem Ende gebracht? Seto war es schließlich gewesen, der eine Vermutung geäußert hatte. Der Feind wollte keinen klammheimlichen Sieg. Er wollte den Pharao nicht nachts in einer einsamen Ruine stürzen. Nein, dieser Mann wollte eine Bühne und Zuschauer – und diese fand er in Men-nefer und dessen Bewohnern. Es sollte ein Triumph sein, eine gigantische Inszenierung, die Caesians Macht untermauerte. Er konnte nicht leugnen, dass diese Erkenntnis erschreckend war. Denn sie bedeutete, dass der Feind vielleicht noch nicht annähernd gezeigt hatte, wozu er fähig war. Aber es waren nicht nur die Probleme außerhalb der Stadtmauern, die ihn plagten. Auch im Palast brannte es an allen Ecken und Enden. Da waren zunächst Joey, Tea, Yugi, Ryou und Marik, die ihm zwar tapfer wie eh und je zur Seite standen, denen er jedoch die Sorgen ansah. Natürlich fragten sie sich, wann sie wieder in ihre Zeit zurück kommen würden – oder ob das überhaupt möglich war. Dann gab es Seto, der zwar zu verbergen suchte, welche Vorwürfe er sich auch jetzt noch für die derzeitige Situation machte, dem es jedoch immer seltener gelang, diese wirklich zu verstecken. Sowohl seinen Freunden, als auch seinem Cousin, hätte er diese quälenden Gedanken nur zu gerne genommen. Doch er wusste, dass er dazu nicht in der Lage war. Zudem endeten die Probleme damit noch nicht. Es gab des Weiteren Marlic, von dem seit dem Streit mit Bakura nichts mehr zu sehen gewesen war. Wo er auch schon beim nächsten Thema war: Der Grabräuber, sein Bruder und deren Cousine. Im Endeffekt war dies eine Familienangelegenheit, die ihn nichts anging, hätte er sich nicht so bodenlos in Keiro getäuscht. Dieser Mann schien das genaue Gegenteil vom König der Diebe zu sein – obgleich sie doch Zwillinge waren. Nun hatte sich herausgestellt, dass dem ganz und gar nicht so war. Offenbar gab es in dieser Familie niemanden, der davor zurück schreckte, über Leichen zu gehen. Nur jeder auf seine Weise. Bakura hatte den Pharao beseitigen wollen, Keiro hatte deutlich gemacht, dass er bereitwillig Risha aus dem Weg zu räumen würde und diese wiederum machte keinen Hehl daraus, dass sie einen ihrer beiden Cousins am liebsten noch gestern getötet hätte. Aber wie auch immer – was zählte war, dass er Keiro völlig falsch eingeschätzt hatte. Er musste künftig vorsichtiger sein. Denn jemand, der sein eigen Fleisch und Blut hasste, war in anderen Lebensbereichen vielleicht erst recht skrupellos. Der letzte sorgenvolle Punkt auf der Liste waren Riell und die Schattentänzer. Sie standen nun auf derselben Seite, doch ihm entging nicht, dass die Mitglieder des Clans mehr als misstrauisch waren, was ihn betraf. Hinzu kam, dass viele von ihnen immer noch schwer verletzt waren und nicht annähernd so schnell auf die Beine kamen, wie er es sich gewünscht hätte. Seufzend stand er auf. Vielleicht konnte er zumindest, was das anging, etwas ändern. Er hatte ohnehin mit Riell reden wollen, da sich gestern keine Gelegenheit mehr geboten hatte, den Reif der Isis anzusprechen. „Auch endlich aufgewacht?“, grinste Riell seiner Schwester entgegen, als diese irgendwann doch noch aus den Federn gekrochen kam. Sie unterdrückte ein herzhaftes Gähnen und strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht. „Sieht ganz so aus, nicht?“, erwiderte sie und ließ sich neben ihm im Schatten einer Mauer nieder. Gerade wollte ihr Bruder sie fragen, wie sie geschlafen hatte, da wurde sein Ansatz im Keim erstickt – von einem aufgeregten Quiecken, gefolgt von schnellen Schritten. Es war Sam, die fröhlich auf sie zugewuselt kam. „Prinzessin! Äh... ich meine... Euer Majestät“, korrigierte sie sich auf Rishas strengen Blick hin schnell. „Schön, dass Ihr wach seid! Ich hole Euch Wasser zum Waschen!“ Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand sie ebenso schnell wieder, wie sie gekommen war. Riell sah ihr schmunzelnd nach, ehe er sich an seine Schwester wandte. „Warum bist du manchmal so pingelig mit ihr? Kipino nennt dich auch 'Prinzessin'.“ „Ich hasse diesen Titel...“, seufzte Risha und legte den Kopf auf die Knie. „Sie ist noch jung genug, um ihr das auszutreiben. Bei Kipino hingegen sind Hopfen und Malz verloren.“ „Ganz egal, was du sagst“, erwiderte Riell und kniff sie in die Seite. „Für mich wirst du immer die kleine Prinzessin bleiben.“ Seine Schwester maß ihn daraufhin mit hochgezogener Augenbraue. „Danke, aber es geht mir gut. Wirklich.“ Auf seinen verdutzten Blick hin fügte sie hinzu: „Ja, ich bin noch immer nicht begeistert von der Situation. Aber ich habe mich noch nie unterkriegen lassen. Das wird auch nun nicht der Fall sein. Du brauchst dich nicht um mich zu sorgen. Mit Keiro werde ich schon fertig.“ Riell wollte antworten, doch wieder kam ihm Sam zuvor. Das Mädchen hatte eine große Schüssel mit Wasser geholt und eilte ihnen entgegen. Risha nutzte die Gelegenheit, um das Gespräch – und somit das Thema – zu beenden. Sie dankte dem rothaarigen Nervenbündel, das ihr sogar anbot, ihr wie in echten Königshäusern beim Ankleiden zu helfen, lehnte freundlich aber bestimmt ab und verschwand in ihrem Zelt. Riells fröhliche Miene schwand auf der Stelle. Er legte die Stirn in Falten und ließ die Augen stur auf den Zelteingang gerichtet, in dem Risha soeben verschwunden war. Diese Art passte nicht zu ihr. Normalerweise sollte sie von früh bis spät toben und fluchen, eventuell auch arme, unschuldige Vasen kaputt schlagen … aber nicht diese Gleichgültigkeit. Das bedeutete nichts Gutes. Denn es zeigte, dass es Keiro gelungen war, seine Cousine nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern ihr tatsächlich Schaden zu zu fügen. Immerhin reagierte sie derzeit so, wie sie es immer tat, wenn sie etwas nicht wahr haben wollte. Sie blockte das Thema ab, sprach ungern darüber. Fast, als befürchte sie, dann der Wahrheit ins Auge zu blicken. Um Keiros Willen konnte Riell dennoch nur hoffen, dass diese Phase noch lange anhielt. Denn irgendwann würde sich Risha der Realität stellen müssen. Und dann wollte er nicht in der Haut ihres Cousins stecken … Er saß auf der steinernen Brüstung des Balkons, der vor seinem Zimmer verlief. Er hatte alles versucht. Schreien. Fluchen. Trinken. Schlafen. Nichts hatte die unbändige Wut in seinem Inneren beruhigen können. Ausgerechnet Keiro … er war der letzte Mensch, dem er solch eine Tat zugetraut hätte. Und trotzdem war eingetreten, was er für unmöglich gehalten hatte. Warum hatte er ihm nicht gesagt, dass da noch jemand war, der überlebt hatte? Und dann auch noch seine Cousine! Hatte Keiro nicht gerafft, dass die Narben, die Bakura in dieser einen Nacht in Kul Elna davon getragen hatte, sich niemals schließen würden? Dass dieser Schmerz, wenn die Bilder vor seinem inneren Auge aufflammten, immer wieder kehren würde? Warum, warum zum Teufel hatte ihm sein eigener Bruder etwas vorenthalten, das vermochte, diese tief sitzende Pein zumindest ein wenig zu lindern? Je länger er darüber nachdachte, desto mehr musste er sich eingestehen, dass es jedoch etwas anderes war, das ihn bei Weitem mehr traf. Keiro hatte ihn belogen. Der einzige Mensch, bei dem er sich trotz der Mauer, die er über all die Jahrtausende um seine Gefühlswelt errichtet hatte, sicher gewesen war, ihm vertrauen zu können. Für einen Moment zuckte der trotzige Gedanke durch seinen Kopf, dass Marlic mit der Behauptung, man sei ohne Familie besser dran, recht gehabt haben könnte. Dann würde er sich jetzt nicht so wahnsinnig erniedrigt und hintergangen fühlen. Zudem war er behandelt worden wie ein kleines, unmündiges Kind, das nicht fähig war, selbst zu entscheiden- etwas, das er schon immer abgrundtief gehasst hatte. Er schreckte aus seinen Gedanken hoch, als es an der Tür klopfte. Er erwog, zu antworten, entschied sich jedoch, zu schweigen. Wer auch immer ihm auf die Nerven gehen wollte, er würde sicher gleich wieder verschwinden. Doch es kam anders. Nachdem Bakura auch alle weiteren Laute ignoriert hatte, wurde die Tür einfach geöffnet. In diesem Moment bestätigte sich, was er befürchtet hatte. Er brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass es Keiro war, der den Raum betreten hatte. Seine langsamen, beinahe ängstlichen Schritte, die immer wieder inne hielten, waren Sprache genug. Der Grabräuber konnte ein Schnaufen nicht unterdrücken. Er wagte es also tatsächlich, ihm noch einmal unter die Augen zu treten? In einer fließenden Bewegung glitt er von der steinernen Brüstung herunter und baute sich zu voller Größe auf. „Was willst du?“ Keiro wich instinktiv ein Stück zurück. Seine Augen senkten sich kurz zu Boden, ehe er versuchte, dem stechenden Blick seines Bruders stand zu halten. „Bitte, Bakura. Lass es mich erklären...“ „Erklären?“, donnerte sein Gegenüber. „Es gibt nichts zu erklären!“ Dann rauschte der Grabräuber an ihm vorüber, der Tür entgegen. „Ich weiß, dass ich dich damit verletzt habe! Und es tut mir leid!“ Wie angewurzelt blieb der König der Diebe stehen, seine Hand verweilte ein Stück über dem Türknauf. Langsam – es kam Keiro wie eine quälende Ewigkeit vor – drehte er sich um. Doch sein Bruder fand in seinen Augen nicht das worauf er gehofft hatte. Da war keine Spur von Milde. Nein, viel mehr war es neben der vorherigen Härte nun auch Spott, der darin glänzte. „Du glaubst also, du hättest mich verletzt?“, meinte Bakura und schüttelte dabei den Kopf. „Oh nein. Du hast mich verraten, das ist alles.“ „Und es tut mir unendlich leid!“, rief Keiro verzweifelt und ging auf ihn zu. „Ich hätte das nicht tun dürfen. Aber es war doch nur zu deinem Besten!“ „Woher will jemand, den ich zuletzt vor siebzehn Jahren sah, wissen, was für mich das Beste ist?“, war die kalte Antwort. Und sie verfehlte ihr Ziel kein bisschen. Bakura konnte seinem Bruder nur allzu deutlich ansehen, wie seine Gesichtszüge entglitten. Er schluckte merklich, rang um seine Fassung und fand sie schneller wieder, als gedacht. „Vielleicht hast du damit gar nicht so unrecht“, überlegte Keiro schließlich laut. „Und trotzdem tat ich das nur, um dich zu schützen. Geh meinetwegen und sprich mit Risha. Mach dir dein eigenes Bild von ihr. Aber du wirst keine Freude daran haben. Sie ist nicht mehr der Mensch, der sie einmal war … “ Bakura kam mit zwei schnellen Schritten auf ihn zu, sodass er nun direkt vor ihm stand. Seine Stimme war kaum mehr, als ein bitteres Zischen. „Hör endlich auf mit dieser Leier. Ich habe es satt! Bist du wirklich so blind, dass du es nicht siehst? Keiner von uns ist seit dieser Nacht noch derselbe. Auch du nicht, Keiro … “ Mit diesen Worten wirbelte er herum und verließ den Raum. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Somit wären wir also bei Kapitel 21 angekommen und die Katze ist endlich aus dem Sack. Ich habe mich so lange darauf gefreut, Risha und Keiro endlich aufeinander prallen zu lassen. Jetzt ist es geschehen und es wird allmählich klar, dass der Gute nicht unbedingt die freundliche und aufrichtige Seele ist, die er anfangs abgibt. Außerdem hat Risha jetzt einen Platz in der kleinen, fiktiven Welt. An dieser Stelle nochmal: Nein, es wird kein Pairing zwischen gewohnten und von mir erfundenen Charakteren geben. Nur, falls irgendjemand nach der Lektüre dieses Kapitels darüber nachdenkt ... Ich weiß, dass die Seriencharaktere in diesem Kapitel ein wenig zu kurz kommen. Aber manchmal stecke auch ich in dem Schlamassel, das sicher jeder FF-Schreiber kennt. Über die Charaktere aus der Serie hat der Leser ja meist schon ein gewisses Vorwissen, bei den erfundenen Charakteren des Autors eben nicht, weshalb man als Autor immer wieder erklären muss. Beim nächsten Mal wieder mehr von unseren eigentlichen Helden, versprochen. So, ich verabschiede mich nun aber erst einmal in den Urlaub. Gruß, Sechmet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)