Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 25: Von Vergebung ------------------------- Zunächst einmal möchte ich mich für die Verzögerung beim Upload entschuldigen, ich war reichlich beschäftigt. Ansonsten wünsche ich einfach viel Spaß mit dem nächsten Kapitel! Von Vergebung „Ich danke Euch, Pharao. Soweit ich das beurteilen kann, haben Eure Ärzte wunderbare Arbeit an meinem Vater geleistet“, schallte Riells Stimme durch den Raum. Atemu, der am gegenüberliegenden Ende des Tisches saß, nickte. „Nichts zu danken, mein Freund. Ich bin froh, dass es ihm bereits besser geht.“ „Es ist schade, dass man, was seine Finger betrifft, nichts mehr machen konnte“, sprach Ryou den beiden Schattentänzern, die zugegen waren, sein Bedauern in dieser Angelegenheit aus. „Was hätte man da noch großartig machen sollen?“, entgegnete Risha höhnisch. „Wenn wir sie gehabt hätten, hätten wir sie dann wieder annähen sollen oder was?“ Bakura, der neben ihr saß, verkniff sich den Einwurf, dass das in der Zukunft durchaus möglich sein würde. Zum einen hätte sie ihm ja sowie so nicht geglaubt, zum anderen hätte diese Aussage die Frage aufgeworfen, was ihn da so sicher machte. Und bisher hatte er weder Keiro noch sonst jemandem, der die Umstände nicht eh schon kannte, erzählt, dass er durchaus über die Zeiten Bescheid wusste, die eines Tages noch kommen würden. „Ähm … was ich noch sagen wollte“, räusperte sich schließlich Yugi, „Mir ist durchaus bewusst, dass ich Samira und Kipino durch mein Handeln dazu verleitet habe, sich Euren Befehlen zu widersetzen“, sagte er zu den beiden Schattentänzern. „Ich kann nicht behaupten, dass das nicht meine Absicht war. Das wäre eine Lüge. Denn mir war ja klar, dass zumindest Sam mir folgen würde, wenn ich ihr sage, wo die Tunnel liegen. Und ich bin auch froh, dass wir es geschafft haben, Resham zu befreien. Dennoch tut es mir leid, dass ich mich damit indirekt Euren Anordnungen widersetzt habe.“ „Das ist sehr nett von dir“, meinte Riell lächelnd. „Aber es gibt nichts zu entschuldigen. Wenn du nicht so tapfer gewesen wärst, dann wäre unser Vater vielleicht schon tot. Vergessen wir einfach, dass ein paar Regeln gebrochen wurden und betrachten die schönen Seiten deines Handelns. Zumindest ich sehe keinen Grund, dir in irgendeiner Weise böse zu sein.“ „Was ihn betrifft haben wir auch nicht das Recht zu urteilen. Dieses obliegt alleine dem großen König“, äußerte sich Risha, wobei die letzten beiden Worte vor Hohn trieften. „Was allerdings Sam und Kipino angeht, sieht die Sache anders aus. Sie mögen Vater gerettet haben, das bedeutet aber auch, dass sie sich unseren direkten Anweisungen widersetzt haben. Da wir zu diesem Zeitpunkt die Oberhäupter des Clans waren und auch sonst in der Rangordnung über ihnen stehen, werden sie die Konsequenzen für ihre Tat tragen müssen.“ „Haltet Ihr das nicht für ein wenig unangebracht?“, fragte Atemu und runzelte die Stirn. „Keineswegs“, antwortete die Schattentänzerin. „Folgsamkeit ist eine der obersten Prioritäten, will man eine Gesellschaft beständig halten. Was die Obrigkeit sagt, wird getan. Nur so herrscht Ordnung. Samiras und Kipinos Handeln mag ehrenvoll gewesen sein und auch ich bin ihnen dankbar. Aber noch etwas ist nötig, um eine Struktur aufrecht zu erhalten: Konsequentes Handeln. Wenn wir die beiden ungestraft lassen, so wird der Rest des Clans den Eindruck bekommen, wir würden Freiheiten gewähren, die es nicht gibt. Im schlimmsten Fall verlieren wir unser Gesicht vor ihnen. Unsere Autorität. Wir dürfen uns, was das angeht, nicht von unserer Gefühlswelt leiten lassen. Wir müssen uns an die Regeln halten“, schloss sie ihre Erklärung, indem sie einen mahnenden Blick zu Riell warf. Dieser seufzte nur. „An sich eine Schlussfolgerung, die stimmig ist“, kommentierte Seto derweil, ehe er sich an Atemu wandte. „Was nicht heißen soll, dass ich Euch dasselbe im Bezug auf Eure beiden Freunde anrate, die ebenfalls an der Tat beteiligt waren, mein König. Immerhin sind sie genau betrachtet keine Angehörigen des ägyptischen Volkes und unterstehen damit nicht unserem Urteil.“ Marik wollte schon widersprechen, biss sich dann aber auf die Zunge. Nicht, dass es falsch ankam, wenn er erwähnte, dass er eigentlich sehr wohl Ägypter war. „Nun“, ergriff wieder Atemu das Wort. „Gewiss mögen Eure Ausführungen, Risha, durchaus schlüssig sein und sie entbehren keinesfalls der Wahrheit. Ausnahmen zu gewähren ist in einer Position wie der Euren ein heikles Thema. Doch Ihr vergesst eines.“ Die Miene der Schattentänzerin verfinsterte sich. „Das da wäre?“ „Güte.“ „Ach herrje“, seufzte Bakura. „Jetzt geht das wieder los. Fehlt nur noch, dass Gardner eine Freundschaftsrede hält.“ Keiro, der ebenfalls zugegen war, lag zwar eine Erwiderung auf der Zunge, doch er schluckte sie herunter. In Anbetracht der Kluft, die sich durch den Streitpunkt 'Cousine' zwischen ihm und seinem Bruder aufgetan hatte, war es mit Sicherheit keine gute Idee, ihm in irgendeiner Form zu widersprechen. „Lass ihn ruhig reden“, sagte Risha indes an den Grabräuber gewandt. „Mal sehen, was er da zu berichten hat. Ihr müsst wissen, mein König, ich bin nicht sonderlich bewandt, was Güte und dergleichen anbelangt“, fuhr sie in einem Ton fort, der vor Ironie nur so strotzte – irgendwie schien die Fähigkeit zu dieser provokanten Ausdrucksweise in der Familie zu liegen. Doch Atemu überging dies gekonnt. „Eine eiserne Faust mag mit starkem Willen sicherlich regieren können. Doch dieses System kann nicht auf ewig funktionieren. Man macht sich die, die allgemein Untertanen genannt werden, nach und nach zu Feinden. Wenn nicht dies, so regiert man ein Volk, das lediglich aus Angst gehorcht. Wäre es aber nicht viel wichtiger und schöner, würden diese Menschen einem aus freien Stücken, aus freiem Willen folgen? Es wäre doch angenehmer, wüsste man die Loyalität dieser Leute auf seiner Seite, oder nicht? Und das, da bin ich überzeugt, erreicht man allein durch Verständnis und Güte.“ Die Reaktion Rishas überraschte ihn. Ein breites, unheilvolles Grinsen machte sich auf ihren Lippen breit. „Wenn das so ist, Pharao … “, sagte sie mit einer Stimme, die ihr Gegenüber nicht einordnen konnte, „ … wie kommt es dann, dass sich eine derartige Tragödie wie Kul Elna ereignen konnte, wenn die Herrschaft der ägyptischen Könige alleine auf Gnade fußt?“ Augenblicklich wurde es still im Raum. Lediglich einer ließ sich vom drückenden Schweigen nicht mundtot machen: Seto. „Es steht dir nicht zu, über unsere Könige und ihre Entscheidungen zu urteilen!“, donnerte der Hohepriester. „Ach nein?“, fauchte Risha. „Wenn nicht mir oder Bakura, wem dann?“ „Ich will nicht anzweifeln, dass das eine heftige Sache war, die damals passiert ist. Aber warum lässt du Keiro bei deiner Aufzählung außen vor?“, mischte sich Joey ein. „Vielleicht weil er das beste Beispiel dafür ist, dass man es irgendwann auch wieder gut sein lassen kann?“ „Halt du dich da raus!“, fuhr ihn die Schattentänzerin an. „Dich geht das einen feuchten Dreck an! Was ist, Pharao? Beantwortet Ihr mir meine Frage? Oder habt Ihr etwa nur von Güte gesprochen weil Ihr hofftet, mich so dazu bewegen zu können, Euch zu vergeben? Sollte das Euer Vorhaben gewesen sein, so müsst Ihr es leider als gescheitert betrachten. Wie dem auch sei – ich sehe nach Vater.“ Sie erhob sich ruckartig und wandte sich zum Gehen. Doch Atemus folgende Worte ließen sie noch einmal inne halten. „Das habe ich nicht beabsichtigt. Denn ich habe längst begriffen, dass es nicht so einfach wäre, Euch oder Euren Cousin um Verzeihung zu bitten.“ Risha musste lächeln. „Habt ihr es einmal mit Abdanken versucht? Ohne Euren Thron an ein Familienmitglied zu übergeben, versteht sich.“ Dann verschwand sie endgültig. Riell stand inzwischen kurz davor, sich die Unterlippe blutig zu beißen. Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, suchte er nach geeigneten Worten. „Ich bitte um Verzeihung … sie … “ „Wie wäre es, wenn du dich hier nicht andauernd entschuldigen, sondern dafür sorgen würdest, dass dieses Weib unter Kontrolle bleibt?“, herrschte ihn Seto sofort an. „Pass auf, was du sagst! Dir steht es sicherlich nicht zu, derartig über meine Verwandtschaft zu reden“, keifte Bakura. „Besonders dann nicht, wenn sie die Wahrheit sagt.“ „Du weißt eben so gut wie ich, dass sie nicht … “, begann Seto zu brüllen, brach jedoch mitten im Satz ab. Die fliederfarbenen Augen des Grabräubers durchbohrten ihn. „Nun komm, sprich es schon aus. Komm ins Reine mit der Lüge, die du schon dein ganzes Leben mit dir herum schleppst. Keine Sorge, es wird sich nicht viel ändern. Die Sünde, die ihr begangen habt, bleibt dennoch in der Familie.“ Seto hatte die Hände zu Fäusten geballt, presste die Kiefer zusammen, dass es schmerzte. Doch kein Wort kam über seine Lippen. Ein kurzes Lächeln, in dem Ryou für einen Moment gar Bedauern zu erkennen glaubte, huschte über Bakuras Lippen. „Wie ich es mir dachte. Zu feige“, murmelte der Grabräuber, dann verließ auch er den Raum. „Ist es wahr, was Riell mir erzählt hat?“ „Was meinst Ihr, Vater?“ „Er berichtete mir von einem Vorfall in der vergangenen Nacht. Einer Sache, die wohl vor allem eure Ka-Bestien betraf.“ Risha musste lächeln. „Ich war leider nicht dabei, aber Cheron hat mir das Meiste erzählt. Im Nachhinein hätte ich diese Schlamm- … oder eher Weinschlacht wahrlich gerne gesehen. Abgesehen davon, dass es Ewigkeiten dauerte, ehe ich das Fell meines Zwillings vom Gestank befreit hatte.“ Auch Reshams Mundwinkel zogen sich nach oben. „Stimmt es auch, dass Kiarna ihre Vorliebe für den Saft der Trauben entdeckt hat?“ „Allerdings. Samira ist heute noch kein einziges Mal aus ihrem Bett gekrochen. Sie meint, dies sei der Kater ihres Lebens. Damit könnte sie sogar recht haben. Sie hat schon fast einen halben Eimer Wasser geleert und dennoch ist sie durstig, als sei sie Ewigkeiten durch die Wüste gewandert.“ „Das kann ich mir vorstellen. Aber Riell hat mir da noch etwas berichtet“, fuhr der Ältere schließlich fort. Die Schattentänzerin hatte bereits eine Ahnung, worauf ihr Vater hinaus wollte. „Das da wäre?“ „Er sagte, du hättest deine Familie wiedergefunden.“ Risha sah kurz zu Boden, ehe sie ans Fenster trat und den Blick nach draußen wandte. Sie betrachtete die Sonne, wie sie in ihrer nachmittäglichen Position am Himmel stand. „Zumindest einen Teil davon. Doch ob er meine Familie ist … ich weiß es noch nicht. Wir haben uns siebzehn Sommer nicht gesehen. Wir sind Fremde füreinander.“ Resham schmunzelte. „Es gab eine Zeit, da hast du ein wenig zu viel Misstrauen in dein Herz gelassen, mein Kind. Mein Kind … nur, um das festzuhalten: Auch, wenn du dein eigentliches Fleisch und Blut wieder hast, wirst du dennoch meine Tochter bleiben. Es sei denn, du wünscht es nicht mehr.“ „Welche Gründe hätte ich, so zu denken? Ihr habt mehr für mich getan, als sonst jemand auf dieser Welt“, entgegnete die Schattentänzerin. Der alte Mann lächelte. „Was ist eigentlich mit Keiro? Ich hörte, er sei ebenfalls in Men-nefer.“ „Macht Euch um diesen Tunichtgut keine Sorgen. Sobald dieser Krieg vorüber ist, wird das Relikt wieder unser sein.“ „Das ist es nicht, Risha.“ Sie wandte sich leicht um, musterte ihren Vater mit einem neugierigen Blick. „Was dann?“ „Eigentlich zielte meine Frage eher darauf ab, zu erfahren, wie es um eure Bindung steht. Doch deine Aussage war mir bereits Antwort genug.“ Die junge Frau musste glucksen. „Welche Bindung?“ „Denkst du nicht, es wäre langsam an der Zeit, zu vergeben? Nun, da ihr alle wieder beisammen seid … Es wird der Tag kommen, da bereust du dein Verhalten Risha. Höre auf die Worte eines alten Mannes, der diese Erfahrung bereits selbst machen musste.“ Seine Tochter sah weiter in die Ferne. „Das ist viel verlangt von jemandem, dem Vergebung nie zu Teil wurde.“ Nach einer Weile des Schweigens drehte sie sich um. „Ich denke, Ihr solltet noch ein wenig ruhen. Ich werde später noch einmal vorbei kommen.“ Sie verließ das Zimmer. Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, lehnte sie sich an die kühle Wand daneben. Sie blickte zu Boden. „Vergebung … “, seufzte sie. „Wenn es so einfach wäre … “ Wie sollte das gehen? Das war nicht irgendein kindischer Streich gewesen, den Keiro ihr gespielt hatte. Er hatte ihr vorenthalten, dass ihr Cousin, den sie für tot gehalten hatte, am Leben war! Wie um alles in der Welt sollte man so etwas verzeihen können? Das war doch unmöglich! Zudem war dies nicht der erste Fehltritt des Anderen. Sie erinnerte sich noch zu gut an seine letzten Worte, ehe sie ihn für lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Dass er sie eines Tages noch töten würde … Bis heute wusste sie nicht sicher, ob diese Aussage seiner Wut entsprungen oder ernst gemeint war. Doch im Endeffekt war es gleich. Man bedrohte seine Verwandtschaft nicht. Punkt. Diese beiden Dinge würde sie ihm niemals verzeihen, eher ließ sie sich von einer Karawane niedertrampeln. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie Schritte hörte. Ihr Kopf schnellte herum, nur um dem Pharao selbst in die Augen zu blicken. Sie spürte, wie sich ein Drang in ihr breit machte. Einer, der beinahe unwiderstehlich war. Er stand ihr gegenüber, auf einem verlassenen Gang. Keine Wachen, niemand sonst, außer ihm und ihr. Es wäre einfach. Den Dolch zücken und zustechen. Oder ihm die Klinge in den Leib werfen. Es war zu verlockend. Nein, sie musste sich zusammen reißen. In diesem Krieg würden die Schattentänzer ihn noch brauchen, so ungern sie das auch zugab. Aber innerlich schwor sie sich, danach jede Gelegenheit zu nutzen, die sich ihr bot. Und sie würde seinen Tod weder schnell noch schmerzlos von Statten gehen lassen. Sie stieß sich von der Wand ab und setzte sich in Bewegung. Als sie auf einer Höhe mit ihm war, blieb sie stehen. „Du willst zu meinem Vater?“ Atemu sah sie freundlich an. Alleine das verursachte bei Risha schon Brechreiz. Er wusste doch, wie sie über ihn dachte, warum guckte er sie dann noch so verdammt nett an? Der Kerl war ein Paradoxon! „Ich wollte zu ihm, ja. Ich möchte wissen, wie es ihm geht.“ „Dein geheucheltes Mitleid kannst du dir sparen. Aber geh nur, er kann für sich selbst sprechen. Er wird dich schon vor die Tür setzen, wenn er keine Lust hat, sich dein Gerede anzuhören.“ Damit fuhr sie herum und verschwand. Der Pharao blieb alleine auf dem Gang zurück. Er seufzte. Egal was er tat, er prallte bei dieser Schattentänzerin ausschließlich gegen verschlossene Türen. Verschlossene Türen, bei denen er fast annahm, dass sie sich auch in eintausend Jahren nicht öffnen würden. Der einzige Grund, warum er dennoch immer wieder versuchte, einen Weg zu finden, war, dass er hoffte, den Clan und Ägypten eines Tages versöhnen zu können. Feindlich gesinnte Parteien innerhalb des Reiches führten auf Dauer immer zu Konflikten. Aber der amtierende Pharao war auch ein König, der versuchen wollte, alle Bürger seines Landes nach Möglichkeit und Gewissen zu verstehen und gleichzustellen. Er schob den Gedanken beiseite, atmete ein letztes Mal tief durch und klopfte dann bei Resham an. Er wurde sogleich herein gebeten. Erst, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah er dem Oberhaupt der Schattentänzer in die Augen. Dieser schien zunächst überrascht, setzte dann aber ein freundliches Lächeln auf. „Pharao Atemu. Dass ich das noch erleben darf“, sagte er und versuchte, sich aufzusetzen. „Nicht doch, bleibt liegen“, meinte der König daraufhin. Doch sein Gegenüber winkte ab. „Es geht schon. Normalerweise fallen die Menschen vor Euch auf die Knie. Ich versuche eben, ein wenig aufrechter zu sitzen.“ Der Herrscher Ägyptens sah ihn erstaunt an. Was hatte er da gerade gesagt? Irgendwie passte diese Aussage nicht in das Bild, das er sich von Resham gemacht hatte. Er kannte seine beiden Kinder – ein Unterschied wie Tag und Nacht, doch beide machten keinen Hehl daraus, dass sie sich von seinem Königreich missverstanden fühlten. Riell war auch nur zu ihm gekommen, weil ihm kein anderer Weg mehr geblieben war. Aber dieser Mann wäre sogar bereit, vor ihm zu knien, wenn er dazu in der Lage wäre? „Wie Ihr wünscht“, sagte er schließlich. „Ihr seid also Resham. Das Oberhaupt der Schattentänzer?“ „So ist es. Es freut mich, dass wir uns endlich begegnen, König des Nils“, erwiderte der Ältere. „Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet. Eure Heiler haben wundervolle Arbeit geleistet. Ich fühle mich schon viel besser. Auch habe ich für Speiß und Trank zu danken. Ihr müsst wissen, dass man unseres Gleichen nicht oft mit so viel Freundlichkeit gegenüber tritt. Wohl aufgrund der Götter, die wir verehren.“ „Von mir habt Ihr keine Vorurteile zu erwarten. Ich denke, dass ein großer Teil des Zwists, der zwischen unseren Völkern herrscht, auf Missverständnissen beruht“, erklärte Atemu. Der alte Mann seufzte. „Beginnen nicht viel zu viele Konflikte auf der Welt damit? Und die, an deren Anfang nicht das Missverständnis steht, fußen auf Missgunst und unendlichem Egoismus. Versteht dies nicht als Angriff auf Euch, Majestät. Es ist nur, wie es ist.“ „Und damit habt ihr recht“, stimmte der Pharao zu, während er sich auf einen Stuhl am Bett setzte. „Ich möchte Euch zunächst versichern, dass Ihr und Euer Clan innerhalb dieser Mauern nichts zu befürchten habt. Eure Kinder waren mir in diesem Krieg bereits eine große Hilfe. Vor allem Euer Sohn. Ägypten ist den Schattentänzern zu Dank verpflichtet.“ „Ich bin überrascht, derlei Worte zu hören. Doch machen sie mich auch glücklich. Ihr scheint anders zu denken, als Euer Volk es tut.“ „Ich habe mir bereits vorgenommen, darauf zurück zu kommen, sobald dieser Krieg vorüber ist. Doch dafür bräuchte ich genauere Einblicke in Euren Clan, Resham. Besonders Riell erzählte mir bereits viel, doch noch ist nicht alles klar. Mir wurde berichtet, es seien Götter wie Seth und Sachmet, die ihr anbetet. Dürfte ich fragen, inwiefern dies der Fall ist?“ Der Ältere schmunzelte. „Ihr seid der König. Ihr könnt fragen, was immer Euch beliebt. Wir verehren diese Götter, das ist richtig. Dafür, dass sie an der Schöpfung dieser Welt beteiligt waren. Wir beten sie nicht an, um den Weltuntergang herbei zu führen, wie uns nachgesagt wird. Das versichere ich Euch, Majestät. Eben so wenig hüten wir die Relikte, um sie gegen diese Sphäre zu nutzen. Wir wollen sie vor Missbrauch schützen. Oder wollten es zumindest.“ Atemu nickte. „Das passt mit dem zusammen, was Eure Kinder berichteten. Es ist also tatsächlich so, wie mir scheint. Ich sehe keinen Grund, weswegen Ihr mich anlügen solltet.“ „Und bei meinen Kindern seht ihr einen?“ „Nein. Gewiss nicht, so war das nicht gemeint … “ „Ich verstehe Euch, Pharao. Es ist nicht mein Sohn, an dessen Worten ihr zweifelt. Auch sind es bei Risha nicht die Worte, die Euch stutzig machen. Sondern ihr Verhalten, das sich mit ganzen Herzen gegen Euch richtet.“ Atemu fühlte sich ertappt. Er schob dieses Gefühl jedoch rasch beiseite. „Ihr habt recht. Eure Nachkommen sind wie Sonne und Mond. Auch Riell war mir gegenüber zu Beginn misstrauisch, doch er legte diese Ansicht bereits nach kurzem ab. Zumindest habe ich diesen Eindruck. Doch bei Ihr kann ich tun, was mir beliebt, es will mir nicht gelingen, sie von meinen Absichten zu überzeugen.“ „Das zu bewerkstelligen wäre ein Kunststück, das auf dieser Welt einzigartig wäre. Misstrauen ist ihr zweiter Vorname“, entgegnete Resham und musste dabei schmunzeln. „Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm“, seufzte Atemu und dachte an Bakura. Dieser war ebenfalls eine harte Nuss. Wobei es sich bei dem Grabräuber noch anders verhielt, als bei seiner Cousine. Bei ihm hatte er auch nicht den rechten Wunsch, sich mit ihm zu versöhnen. Dafür hatte er zu viel Schanden angerichtet. Er hatte Mahad getötet. Ebenso Karim, Isis, Shimon, Shadar … Er hatte Dinge getan, die der Pharao ihm nie würde verzeihen können. Ja, er konnte nachvollziehen, welches Trauma Bakura erlitten haben musste. Aber nichts, absolut gar nichts, rechtfertigte seine Taten! Und dennoch fragte sich Atemu manchmal, ob er den Tod seiner Freunde und all das Leid hätte verhindern können, wenn er sich nur einmal entschuldigt hätte … Er schob den Gedanken beiseite. Dafür kam ihm ein anderer in den Sinn. „Dürfte ich Euch eine Frage stellen, Resham? Auch, wenn sie persönlicher Natur ist?“ „Nur zu“, nickte der Alte. „Sollte ich glauben, ihr dringt in zu persönliche Gefilde vor, bleibt mir immer noch die Möglichkeit, die Antwort zu verweigern.“ „Gewiss. Ich habe es gerade schon angesprochen. Eure Kinder verhalten sich gegenüber einander so, wie Geschwister es tun sollten. Und dennoch sind sie vollkommen verschieden.“ Atemu machte eine Pause und warf einen Blick aus dem Fenster, ehe er sich wieder an das Oberhaupt wandte. „Risha ist nicht Eure leibliche Tochter, habe ich recht?“ Resham schwieg zunächst und starrte auf seine verletzte Hand. Schließlich musste er lächeln. „Eure Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, junger Pharao. Sagt, war es sehr offensichtlich? Denn ich denke nicht, dass das der Fall ist.“ Atemu schüttelte den Kopf. „Wenn man sie so sieht, kommt man nicht darauf. Doch wenn man ihnen zuhört, kann man es zwischen den Zeilen lesen. Es ist immer nur die Rede davon, dass Risha mit Bakura und Keiro verwandt wäre. Riell wird dabei nie erwähnt. Auch erschien mir Keiro eher unglücklich über Eure Rettung, was noch nichts heißen muss – er und Risha sind sich ja auch nicht grün. Aber bei Bakura herrschte im Bezug auf Euch absolute Gleichgültigkeit. Daher meine Vermutung, dass Riell Euer leibliches Kind sein muss und nicht seine Schwester.“ Das Oberhaupt der Schattentänzer nickte gedankenverloren. „Ja, Ihr habt recht. Die junge Frau, die eines Tages gemeinsam mit meinem Sohn meinen Platz einnehmen wird, ist nicht mein eigen Fleisch und Blut. Und dennoch liebe ich sie so, als wäre sie es.“ Der Pharao überlegte einen Augenblick. Er wusste nicht, ob ihm die Antwort auf die Frage, die ihm auf der Zunge lag, gefallen würde. Er entschied sich schließlich trotzdem dafür, sie zu stellen. „Wie kam es dazu, dass Risha Eure Tochter wurde?“ Resham sah ihn einen Moment lang unsicher an, dann senkte er den Blick und seufzte. „Kul Elna. Wir fanden sie einen Tag danach in der Wüste. Wir nahmen sie bei uns auf und taten alles, um ihr den Schmerz zu nehmen. Schließlich stand für mich fest, dass Riell eines Tages nicht alleine meine Nachfolge antreten würde.“ „Aber sie war nicht die Einzige, die den Weg zu Euch fand“, warf Atemu ein. „Nein“, bestätigte der alte Mann. „Doch Euch dürfte bekannt sein, wie Keiro über uns denkt. In Anbetracht unseres Verhältnisses steht es mir nicht zu, irgendetwas über seine Vergangenheit zu erzählen.“ „Das verstehe ich“, entgegnete der Pharao. „Und ich finde es sehr wohl überlegt und aufrichtig von Euch, so zu denken.“ Resham nickte. „Ich wusste, Ihr würdet das verstehen.“ Atemu schwieg einen Moment. Da gab es noch eine letzte Sache, die er dringend klären musste. „Versteht das, was ich Euch nun frage, nicht als Angriff oder Beleidigung, doch ich muss es ansprechen.“ Er wartete, bis der alte Mann seine Zustimmung geäußert hatte, dann fuhr er fort: „Seto, mein Cousin und der Hohepriester dieses Hofes, berichtete mir bei meiner Rückkehr von Morden, die sich kurz vor Beginn dieses Krieges zugetragen haben. Seiner Meinung nach sind die Schattentänzer dafür verantwortlich.“ Resham wirkte überrascht. „Ich versichere Euch, Majestät, dass ich von nichts dergleichen weiß. Gewiss beobachte ich nicht jedes einzelne Mitglied unseres Clans auf Schritt und Tritt. Doch ich würde meine Hand für sie ins Feuer legen – für jeden einzelnen! Von ihnen hat, das schwöre ich, niemand diese Morde begangen.“ „Das erleichtert mich. Lasst uns nun noch über etwas anderes sprechen. Gibt es irgendetwas, das ich noch für Euren Clan zu tun vermag?“, fragte Atemu daraufhin. Doch der Ältere winkte ab. „Herrscher des Nils, Ihr habt bereits mehr als genug für uns getan. Mehr als meine Schattentänzer jemals erwartet hätten.“ „Ich muss gestehen, dass ich bis zu diesem Krieg noch nie von einer solchen Gruppierung gehört habe. Ihr müsst wissen, dass die Umstände meiner Regenschaft sehr … turbulent waren. Nachdem ich zuerst Euren Sohn und nun Euch kennen gelernt habe, stellt sich mir eine Frage: Wie konnte es dazu kommen, dass Euer Clan derartig verhasst in meinem Volk ist?“ Resham schien zu überlegen. So, als wolle er seine Worte weise wählen. „Versteht diese Aussage nicht falsch, doch das frage ich mich ebenfalls. Ich selbst habe einst eine Ausbildung zum Priester in einem Tempel erfahren. Das war vor vielen Sommern, als ich noch jung war. Immer stand ich dabei vor einem Rätsel, dessen Lösung sich mir auch nach Vollendung meiner Unterweisung nicht offenbarte. Weswegen wurden Götter der Sonne, der Fruchtbarkeit, der Liebe verehrt und jene, die für das Chaos und den Krieg stehen, nicht? Ihr mögt Euch fragen, ob ich noch klar zu denken vermag, wenn Ihr diese Worte hört, doch ich meine es ernst. Ich sage damit nicht, dass wir diese Gottheiten anrufen sollen, ihres Amtes zu walten. Doch verdienen nicht auch sie Verehrung?“ Er richtete den Blick zum Fenster hinaus. „Seht Euch diese wunderschöne Welt an. Dieses schönste aller Länder, das die Götter einst schufen und auf dessen Boden wir heute wandeln. Die gewaltigsten Mächte dieser Erde existieren nicht ohne Grund, Pharao. Jeder Einzelne von ihnen ist wichtig. Sie sind eins. Fehlt auch nur einer, kann diese Sphäre nicht weiter existieren. Auch der Krieg und das Chaos sind Facetten dieser Welt und gehören ebenso dazu wie Liebe und Freundschaft und alle die anderen Dinge, für die die Götter stehen. Wir sollten diese Gottheiten nicht nur fürchten und besänftigen, wir sollten sie ebenso verehren, wie alle anderen auch. Zu dieser Schlussfolgerung kam ich einst. Doch als ich sie publik machte und nach und nach Menschen fand, die ebenso daran glaubten, wie ich es tat, stießen wir auf Gegenwehr. Man nahm uns übel, was wir sagten und dachten. Die Missgunst, die wir ernteten, war so stark, dass wir uns gezwungen sahen, zu verschwinden. Dies war die Geburtsstunde der Schattentänzer.“ Atemu war dem Blick des alten Mannes gefolgt. Er betrachtete Men-nefer, ebenso die Ufer des Nils und die ewigen Weiten der Wüste, die sich bis an den Horizont erstreckte. Er verstand, was ihm Resham sagen wollte. Er klagte niemanden dafür an, dass sie gezwungen gewesen waren, im Untergrund zu leben. Er wollte lediglich erklären. Und der König Ägyptens hatte diese Erklärung verstanden. „Sobald dieser Krieg vorüber ist, möchte ich, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen, Resham. Und dann möchte ich erneut mit Euch sprechen. Darüber, wie Euer Clan endlich der Finsternis des Verborgenen entsteigen und sich offen und aufrichtig dem Tageslicht zeigen kann, ohne etwas befürchten zu müssen.“ Er konnte die Verwunderung, aber auch die Freude in den Augen des Alten sehen, als er ihn anlächelte. „Dafür, Pharao, wäre ich Euch so dankbar, dass ich nicht vermag, es in Worte zu fassen.“ „Das freut mich. Doch nun muss ich mich entschuldigen. Es gibt da noch ein paar andere Dinge, derer ich mich annehmen muss.“ Der Hohepriester des Königshauses stand auf einem der zahlreichen Balkone, die den Palast umschlossen. Er blickte hinaus in die Ferne, die Wüste, über der die Mittagssonne erhaben thronte. Seine Gedanken tanzten durcheinander. Bakura wusste es. Er wusste, wer wirklich für den Vorfall in Kul Elna verantwortlich war. Dass all dieses Leid ohne die Zustimmung oder das Wissen Aknamkanons verursacht worden war. Und dennoch hasste er die gesamte Königsfamilie. Er sah darin eine Schuld des Blutes. Weil der damalige Pharao niemals etwas unternommen hatte, um seinen eigenen Bruder zu bestrafen und weil er die Milleniumsgegenstände trotz der Leben, die dafür genommen worden waren, benutzt hatte. Der Bruder des Königs. Atemus Onkel. Sein Vater. Der Mann, der nicht nur dutzende Dorfbewohner an einem Abend in den Tod gestürzt, sondern ihm auch die Frau genommen hatte, die er bis heute liebte. „Ist alles in Ordnung?“ Seto fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Er sah in die violetten Augen seines Cousins. „Gewiss“, antwortete er langsam. „Verzeih, wenn ich dir das nicht glaube“, entgegnete Atemu. Der Hohepriester seufzte und wandte sich ab. Er sah müde aus, zugleich merkte man ihm deutlich an, dass er bedrückt war. Auch, wenn er das natürlich zu verbergen versuchte. „Es tut mir leid, Euer Majestät“, sagte er schließlich. „Andauernd müsst Ihr Euch die Vorwürfe dieses streunenden Köters gefallen lassen, der sich 'König der Diebe' nennt. Dabei … dabei waren es weder Euer Vater, noch Ihr, die den Überfall auf Kul Elna zu verantworten hatten.“ „Das ist nicht der Punkt, Seto.“ Der Angesprochene drehte sich wieder um, blickte abermals in das Gesicht seines Gegenübers. „Was ist es dann, Euer Hoheit?“ Atemu kam näher, bis er schließlich neben seinem Cousin stand. „Es mag stimmen, dass mein Vater nie den Befehl oder die Einwilligung gab, das Dorf anzugreifen. Ebenso wenig mag ich etwas damit zu tun haben, der ich noch ein kleines Kind war. Und dennoch ist es eine Schuld des Blutes. Mein Vater sühnte nicht, was Aknadin angerichtet hat. Er duldete es. Er bat niemals um Verzeihung für das, was geschehen war. Ebenso wenig tat ich es, nachdem er verstorben war. Im Gegenteil. Wir schwiegen tot, was geschehen war und nutzten gar noch die Gegenstände, an denen das Blut Unschuldiger klebte. Mir ist bewusst, dass so einiges nicht geschehen wäre, hätte ich mich einfach entschuldigt. Ich hätte damit vielleicht Dinge verhindern können, die uns großen Kummer und Sorgen bereiteten. Doch nun ist es dafür zu spät. Weder würden zwei von drei Überlebenden meine Entschuldigung annehmen, noch könnte ich sie Bakura gegenüber jetzt noch äußern, nachdem ich gesehen habe, wir er meine Freunde und Vertrauten tötete.“ Seto biss sich auf die Unterlippe. „Gleich wie Ihr es dreht und wendet, mein Pharao. Am Ende war es immer noch mein Vater … “ „ … und mein Onkel“, unterbrach der Herrscher Ägyptens seinen Hohepriester, während er lächelte. „Wenn du unbedingt diese Schuld auf deinen Schultern tragen willst, so ehrt dich das. Doch alleine stemmen kannst du sie nicht. Wenn überhaupt, dann lastet sie auf unser beider Schultern, Cousin. Das ist ein Befehl.“ Seto sah verwirrt drein, musste jedoch ebenfalls leicht lächeln. „Wie Ihr wünscht, Euer Majestät.“ Resham döste vor sich hin. Ganz in Schlaf versinken, konnte er nicht. Seine Sinne waren zu wachsam, vergaßen nicht, dass eine Armee vor den Toren dieser Stadt lauerte. Er öffnete die Augen und hob seine Hand, betrachtete den dicken Verband, der darum gewickelt war. Er seufzte. Er war nicht mehr der Jüngste. Es würde dauern, bis er sich an die Umstellung gewöhnt hatte. Daumen, Zeige- und Mittelfinger zu verlieren, war nicht einfach. Und dennoch hatte Caesian trotz der Schmerzen nicht erreicht, worauf er gehofft hatte. Resham hatte ihm nichts verraten. Er hätte ihm auch mit dem Tod drohen können, dem alten Mann wäre es gleich gewesen. Die Relikte waren wichtiger, als das Leben des Einzelnen. Er wandte den Kopf um, als er bemerkte, dass die Tür geöffnet wurde. Seine Augen weiteten sich für den kurzen Moment der Erkenntnis. Denn die Person, die den Raum betrat, war keine, die er erwartet hätte. Er begann mild zu lächeln. „Es ist lange her … “ Sein Gegenüber reagierte nicht groß. Stattdessen ging er langsam zu dem breiten Fenster hinüber, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte hinaus. Er schwieg. Resham setzte sich auf. „Wie geht es dir, Keiro?“ Der Kopf des anderen zuckte herum. Die fliedernen Augen durchbohrten den alten Mann regelrecht. „Als ob Euch das wirklich interessieren würde.“ „Hätte ich ansonsten gefragt?“ Endlich drehte sich Keiro zu seinem Gesprächspartner um. Seine Haltung wirkte angespannt. „Wer weiß? Vielleicht dient diese vermeintlich freundliche Geste dem Zweck, auch mir gegenüber Eure Maske aufrecht zu erhalten? Doch ich muss Euch enttäuschen. Der Trick funktioniert bei mir nicht.“ Für eine Weile wurde es still im Raum. Dann ergriff Resham wieder das Wort. „Es scheint, als hättest du ein besonderes Anliegen. Sprich ruhig. Was genau gedenkst du, in Erfahrung zu bringen oder los zu werden?“ „Wie immer ist Euer Reden überaus gönnerisch. Aber gut, kommen wir zum Punkt. Es ist beides. Ich möchte sowohl etwas in Erfahrung bringen, als auch etwas los werden. Was das angeht, könnt nur Ihr mir die Antworten geben, nach denen ich verlange. Und ich erwarte von Euch, dass Ihr sie mir gewährt, nur, damit das geklärt ist“, erwiderte Keiro. Sein Ton verriet, dass dies keine gemütliche Unterhaltung werden würde. Resham nickte. „Nur zu, stelle deine Fragen. Sollte ich eine Antwort auf sie wissen, werde ich sie nach bestem Wissen und Gewissen geben.“ Der Dieb des Amuletts ging einen Moment unschlüssig auf und ab, wusste nicht, welche Worte er wählen sollte. „Wie Euch mit Sicherheit nicht entgangen ist, hatte ich bereits das Vergnügen meine Cousine wieder zu treffen.“ Der alte Mann überlegte einen Augenblick. „Dass du diesen Satz so aussprichst, wie du es tust, zeigt mir, was du damit sagen möchtest. Du scheinst ebenso begeistert von der Situation zu sein, wie sie es ist – was ich ehrlich gesagt nicht verstehen kann. Immerhin seid ihr beide Mitglieder der selben Familie.“ Keiro wirbelte plötzlich herum, schlug mit einer Faust auf den Tisch, der am Fenster stand. Dann stützte er sich mit beiden Händen auf der hölzernen Platte ab. „Wir waren eine Familie. Bis zu dem Tag, da Ihr und Euer Clan aufgetaucht seid!“ Stille. „Ist das so?“, erwiderte der alte Mann. „Nun, dann interessieren mich natürlich die Gründe, weshalb du so denkst. Was habe ich deiner Meinung nach getan? Was hat der Clan getan, dass du und Risha zu Feinden wurdet?“ „Liegt das nicht auf der Hand? Ihr wisst, wo das Problem zu finden ist. Ich habe aufgehört, einen Verantwortlichen für das zu suchen, was in Kul Elna geschehen ist. Sie hingegen nicht. Noch immer treibt sie der Hass. Und das, Resham, ist allein Eure Schuld!“ Das Clanoberhaupt hielt dem Blick des anderen noch einen Augenaufschlag lang Stand, dann sank er zurück in die Kissen. „Ich weiß, wovon du sprichst. Von der Finsternis, die sich tief in ihrem Herzen eingenistet hat. Doch es tut mir leid – die Verantwortung dafür gibst du dem Falschen.“ „Wie bitte?“, donnerte Keiro. „Ihr leugnet es? Eure negative Einstellung gegenüber dem ägyptischen Königshaus hat Risha doch erst dahin gebracht, wo sie heute ist!“ „Derartige Unterstellungen weise ich von mir!“, wehrte sich Resham, dessen Stimme nun ebenfalls lauter wurde, ehe er tief seufzte. „Es ist nicht so, wie du glaubst. Wenn ich wirklich so abgeneigt gegenüber dem Pharao wäre, hätte ich dann eingewilligt, dass man mich in dieses Gemäuer bringt? Mit Sicherheit nicht. Du betrachtest die Situation aus einem vollkommen überspitzten Winkel, Keiro. Du interpretierst Dinge in meine Handlungen hinein, die so nicht existieren.“ „Tue ich das? Wenn dem so ist, wie seht Ihr es denn?“ Wieder entstand eine Pause. Dem Bruder des Grabräubers war diese mehr als zuwider. Dieser Alte sollte endlich reden! Er brauchte doch nur so lange für eine Antwort, weil er nach Ausflüchten suchte. „Es ist anders“, riss ihn Resham schließlich auf den Gedanken. „Ich habe mehr als einmal versucht, Risha von dem Pfad abzubringen, den sie eingeschlagen hat. Von dem ersten Tag an, da ich bemerkte, welcher Hass in ihrem Herzen zu wuchern begann, habe ich mein Möglichstes getan. Ich habe versucht, ihr Güte, Vergebung und Gnade nahe zu bringen. Und vielleicht war eben das der Fehler, den du mir als einzigen vorwerfen kannst.“ Keiro runzelte die Stirn. Was genau meinte der alte Mann damit? Da fuhr dieser auch schon fort: „Risha hat nicht darauf reagiert, wie ich hoffte. Anstatt dass sie verstand, dass ich diese Dinge für überaus wichtig erachte, betrachtete sie die dunkle Seite davon. Für sie waren die drei Dinge, die ich dir soeben nannte, nur eines: Unbekannte Attribute, die sie ihrer Meinung nach noch nie in ihrem Leben erfahren hat. Vielleicht hätte ich ein wenig hartnäckiger sein sollen, als ich versuchte, sie verstehen zu lassen. Doch ich bezweifle, dass es viel geändert hätte. Es mag nur wenig Zeit zwischen dem Angriff auf Kul Elna und meinem ersten Zusammentreffen mit Risha vergangen sein. Doch offenbar hat diese Zeit ausgereicht, damit sich Angst, Wut und Verbitterung tief in ihr Herz fressen konnten. Als ich sie dann fand, war es wohl schon zu spät. Seit diesem Tag habe ich gegen einen unsichtbaren und überaus mächtigen Gegner gefochten und verloren – Rishas Erinnerungen.“ Keiro ließ sich die Worte durch den Kopf gehen und schüttelte diesen anschließend. „Unterlasst Eure Ausreden! Sie war noch ein Kind! Biegsam wie ein frisch gefertigter Papyrus! Hättet Ihr wirklich die Absicht gehabt, sie in diese Richtung zu beeinflussen, so wäre es Euch geglückt.“ „Du unterschätzt den Verstand, die Erinnerungen und die Gefühle einer jungen Seele. Gerade die Erfahrungen, die wir in unseren ersten Sommern machen, sind prägend für unser ganzes Leben. Nur wenigen gelingt es, die Dinge, mit denen man in dieser Zeit in Berührung kommt, hinter sich zu lassen. Besonders die schlechten. Ich habe mein Möglichstes getan, Keiro. Doch am Ende blieb mir nur noch, Risha so weit unter Kontrolle zu halten, wie ich konnte. Wie glaubst du, kommt es sonst dazu, dass sie noch keine Morde begangen hat, die nicht zwingend erforderlich waren, um ihr eigenes Leben zu wahren? Wenn ich sie wirklich so vergiftet hätte, wie du behauptest, weshalb läuft sie dann nicht umher und tötet wahllos jeden, der ihr begegnet und sie nur schief ansieht? Den Pharao? Seinen Hohepriester? Jetzt hätte sie die Gelegenheit dazu. Ich bin kein Heiliger, das ist richtig. Doch ich habe getan, was in meiner Macht stand. Immerhin befindet sich Risha momentan hier in Men-nefer. Sie ist sogar in der Lage, diesen Krieg über ihre eigenen Gefühle zu stellen. So verbohrt, wie du glaubst, ist sie nicht.“ Keiro starrte nach unten. Er biss sich auf die Unterlippe. Hier kam er nicht weiter. Nicht, weil er vermutete, dass Resham nicht von seiner Sicht der Dinge abrücken würde. Sondern weil er fürchtete, dass er sich eingestehen musste, in falsche Richtungen gedacht zu haben. Und dennoch: War sie nicht inzwischen alt genug? Alt genug, um zu begreifen, dass sie falsch lag? Dass es sinnlos war, so voller Hass zu leben? Zumal jene, die wirklich für den Angriff auf Kul Elna verantwortlich waren, längst das Zeitliche gesegnet hatten? Er wandte sich um, ging der Tür entgegen. „Ich habe die Antworten, die ich wollte. Aber eines noch: Ganz gleich, was Ihr getan, und was Ihr nicht getan habt – Euer Clan wird sich von Bakura fernhalten. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, dem Einhalt zu gebieten.“ Die Tür fiel krachend hinter Keiro ins Schloss. Schon seit gestern tobte ihr Gebieter. Die Soldaten wechselten besorgte Blicke, als sie ihn abermals brüllen hörten. Dann nahmen sie blitzschnell Haltung an, als der Herrscher aus seinem Zelt geschossen kam. Er stapfte durch das Lager, wirbelte dabei Sand auf. Er blieb erst stehen, als er freien Blick auf die Stadt hatte, die sich an den Ufern des Nils erhob. Ihr verfluchten Narren! Wer glaubt ihr zu sein, dass ihr einfach in dieses verdammte Lager marschieren und euch meinen Gefangenen schnappen könnt? Dafür werdet ihr bezahlen, ihr Bastarde! Ihr werdet büßen! Dafür, dass ihr so dumm wart, mir noch einen Grund mehr zu geben, diese Stadt endgültig zu unterwerfen! Immerhin befinden sich nun sämtliche Personen, die etwas über die Relikte wissen könnten, hinter euren Mauern. Und dafür werdet ihr die Konsequenzen tragen! „Sie hat also tatsächlich gehalten, was sie versprochen hat“, seufzte Mana, als sie gemeinsam mit Marik und Ryou den großen Innenhof des Palastes passierte. Die beiden jungen Männer wurden aus ihren Worten erst nicht schlau, verstanden dann aber, was die Magierin gemeint hatte, als sie den Blick umher schweifen ließen. Sie entdeckten Samira und Kipino, die vor einem Haufen von Wäsche zwischen den Zelten der Schattentänzer saßen. Beide waren damit beschäftigt, die Löcher in den Kleidungsstücken zu stopfen – ihren Mienen nach zu urteilen eine undankbare Arbeit. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die kleine Rothaarige noch die Nachwirkungen des gestrigen Gelages ihrer Ka-Bestie zu spüren bekam – in Form eines gewaltigen Katers. „Sie sind also tatsächlich bestraft worden … Denke nur ich so, oder hättet ihr nicht auch eine andere Reaktion erwartet, wenn man jemandem ein tot geglaubtes Familienmitglied zurück bringt?“, fragte Marik in die Runde. „Allerdings“, stimmte Mana zu. „Diese Risha ist wirklich wie die Pest. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der dermaßen undankbar ist. Ist dieser eingebildeten Kuh eigentlich klar, welches Risiko alle Beteiligten dafür auf sich genommen haben? Sie selbst hat sich bislang ja noch nicht einmal bedankt!“ „Ich glaube schon, dass es ihr bewusst ist. Aber was will man machen? Liegt eben in der Familie“, erwiderte Ryou – und erntete prompt zwei verdutzte Blicke. „Sag bloß, du nimmst das Verhalten dieser Furie einfach so hin?“, erkundigte sich die Hofmagierin ungläubig. „Ich hatte noch nicht wirklich viel mit ihr zu tun, deshalb ist es mir eigentlich gleich. Aber ich kenne Bakura und das länger, als mir lieb ist. Wenn man über mehrere Jahre seine Art ertragen muss, nimmt man Undankbarkeit und Hochmut irgendwann gelassen“, erklärte der Weißhaarige seufzend. „Da fällt mir ein … “, überlegte Marik laut, „ … seit der Prügelei zwischen dem Grabräuber und meinem ach so netten Ebenbild, habe ich Marlic kaum noch zu Gesicht bekommen. Auch gestern, als unsere Ka-Bestien diese Weinfässer zertrümmert haben, habe ich ihn nicht gesehen. Irgendwie will mir der Gedanke nicht behagen.“ „Der treibt sich bestimmt nur in irgendwelchen Schenken herum. So 'ruhig', wie es derzeit ist, ist es dem Herren sonst sicherlich zu langweilig“, winkte Mana ab. „Sei froh, dass du ihn für den Moment los bist. Rede einfach nicht groß darüber und mach dir keine Gedanken. Du weißt ja, wenn man von Seth spricht … “ Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie zu einem der Tore sah, die in den Innenhof führten. Durch dieses kam in eben jenem Augenblick Marlic herein gestiefelt. Und kaum hatte er das Trio entdeckt, das in den Schatten der Säulengänge entlang lief, steuerte er auch schon auf sie zu. „Ra … womit habe ich das nur verdient?“, stöhnte Marik genervt und schlug sich eine Hand vor das Gesicht. Doch es half alles nichts. Keine halbe Minute später stand sein besagtes Ebenbild auch schon direkt vor ihnen, wie immer ein breites Grinsen auf den Lippen. „Was ist denn?“, fragte er auch gleich seinen ehemaligen Wirt, als er ihn in beschriebener Posé sah. „Hast du etwa Kopfschmerzen?“ „Nein, ich glaube es ist schlimmer“, entgegnete der junge Ägypter kühl. „Ich glaube, ich habe die Pest.“ „Wie?“, erkundigte sich sein Gegenüber mit hoch gezogener Augenbraue. „Sieh doch einfach mal in den Spiegel!“, motzte Marik daraufhin. „Aber, aber. Warum denn immer so böse, mein Guter?“, erwiderte Marlic mit gespielt enttäuschter Miene. „Ich versuche doch nur, nett zu sein.“ „Das glaubst du am Ende noch selber, oder?“, mischte sich Mana ein. „Wo hast du überhaupt die ganze Zeit gesteckt?“ Wieder grinste der ehemalige Geist des Milleniumsstabes. „Ich muss sagen, die Leute hier verstehen sich auf amüsante Abende in den Schenken. Leider ist nun auch der Letzten das Bier ausgegangen, es gab also keinen Grund mehr für mich, noch länger in der Stadt zu bleiben.“ „Was für triftige Gründe“, kommentierte Marik ironisch. Das zankende Trio – denn Ryou war ja nicht involviert – bemerkte gar nicht, dass es während des Wortwechsels von einem neugierigen Augenpaar beobachtet wurde. Samira hatte mit ihrer Arbeit inne gehalten und musterte Marlic und seinen ehemaligen Wirt. „Sag mal, Kipino? Irgendwie sehen sich die beiden schon recht ähnlich, nicht? Sind die vielleicht auch verwandt?“ Der Angesprochene sah sich kurz um und zuckte schließlich mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Möglich wäre es.“ „Oder ist der eine eher verwandt mit dem Pharao?“ Der ältere Schattentänzer blinzelte irritiert. „Wie kommst du denn darauf?“ „Na ja … “, überlegte die Kleine, ehe sie einige ihrer Haarsträhnen nahm und sie in die Höhe hielt. Dann wartete sie auf eine Reaktion ihres Gegenübers. „Was genau willst du mir sagen, Sam?“ „Der Kerl da und seine ach so große Majestät haben fast die gleiche Frisur!“ „ … Welch bahnbrechende Erkenntnis“, seufzte Kipino und griff wieder zu Nadel und Faden. Doch nur einen Augenblick später sollte er die Werkzeuge erneut sinken lassen. Der donnernde Ruf eines Horns schallte über den Innenhof hinweg und zog eine Arie aus ängstlichen Schreien nach sich. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Damit wäre es also geschafft. Die 100.000 Wörtermarke ist geknackt. Ich wundere mich immer wieder, zu was für einem Selbstläufer sich diese Geschichte entwickelt hat. Ich hätte nie gedacht, so viele Kapitel fabrizieren zu können. In diesem geht es wieder ein wenig ernster zu, wobei ich das Augenmerk hier auf Dialoge gerichtet habe. Beim nächsten Kapitel kommt wieder mehr Handlung ins Spiel, wie das Ende schon verraten dürfte. Das besondere Schmankerl für mich an diesem Part ist zweifellos die Unterhaltung zwischen Resham und Atemu. Ich habe schon darauf gewartet, sie endlich aufeinander los lassen zu können und die Szene ist genau so geworden, wie ich sie mir ausgemalt hatte. Reicht ja, wenn es ein Ekel unter den Schattentänzern gibt, da braucht er nicht auch noch gemein sein. ;) Wir sehen uns hoffentlich im nächsten Kapitel! Sechmet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)