Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 33: Beschwörung ----------------------- Beschwörung Nervös schritt der Mann auf und ab. Immer wieder prüfte er, ob wirklich alles Nötige vorbereitet worden war. Es war noch keinen ganzen Sonnenlauf her, da war Gladius zu ihm gekommen und hatte Caesians Befehl überbracht. Seitdem stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Eine Totenbeschwörung! Was war nur in seine Majestät gefahren? War ihm überhaupt bewusst, dass eine solche auch gewaltig schief gehen konnte? Eikahn seufzte. Sein Gesicht, umrandet von langem, lockigem, schwarzem Haar, zeugte von Sorge. Immer wieder zwirbelte er nervös den Ziegenbart an seinem Kinn, während er überlegte. Nicht einmal er hatte es je zuvor versucht – und dabei gehörte er zu den erfahrensten Magiern, die Caesians Reich kannte. Doch er würde seinen Herren nicht davon abbringen können. Wenn er etwas wollte, bekam er es auch. Noch einmal überprüfte Eikahn die Schriftzeichen, die auf den Tempelboden geschrieben worden waren. Alles stimmte. Auch war das menschliche Blut, mit dem man die Zeichen gemalt hatte, inzwischen getrocknet. Der leblose Leichnam des Mädchens, von dem man den Lebenssaft gewonnen hatte, lag in Tücher gehüllt unweit der Schriftzeichen. Nähere Berichte über die Persönlichkeit der Frau, die Caesian erwecken wollte, hatten gezeigt, dass ihre Seele rein gewesen sein musste. Da es nötig war, den Göttern einen Ersatz für sie darzubringen, hatte Eikahn zunächst einige Zeit damit verbracht, die Gefangenen zu überprüfen. Schließlich war er auf das zwölf Sommer alte Kind gestoßen. Es passte perfekt, war unbefleckt und unschuldig. Noch lieber hätte Eikahn ein Neugeborenes gehabt, doch man konnte nicht alles haben. Er musste sich damit begnügen und hoffen, dass der Austausch gelang. Nur wenn die beiden Herzen, die beiden Seelen das gleiche Gewicht hatten, würde die Frau namens Kisara zurückkehren können. Er erhob sich, als das Geräusch von zahlreichen Schritten nahte. Nur einen Augenblick später betrat Caesian mit teuflischem Grinsen das Heiligtum. „Wenn du mich fragst, klingt das alles sehr merkwürdig.“ Gedankenverloren sah Tristan seinem Gegenüber dabei zu, wie dieser in seinem Milchkaffee herum rührte. „Wem sagst du das, Duke?“, entgegnete er und seufzte schwer. Die vergangene Viertelstunde hatte der Brünette damit verbracht, den Anderen auf den neusten Stand zu bringen. „Ich meine ...“, überlegte der Schwarzhaarige laut und hielt mit dem Umrühren inne, „keinen von ihnen würde ich so einschätzen, als würde er einfach verschwinden. Selbst Joey hat genug Grips, um zu wissen, dass er nicht einfach abhauen kann, ohne dass sich jemand Sorgen macht. Außerdem würde er zumindest Serenity Bescheid geben. Aber sie hat laut dir auch keine Ahnung, wo er steckt.“ „Richtig. Sie ist völlig fertig mit den Nerven.“ Duke nickte verstehend und lehnte sich zurück. Seine Augen waren auf Tristan gerichtet, schienen ihn aber nicht wirklich anzusehen. „Hast du eigentlich schon darüber nachgedacht, dass wieder einmal mehr als ein ... gewöhnlicher Grund dahinter stecken könnte?“ „Ja, das habe ich. Ich überlege seit Tagen, ob es sein könnte. Es wäre wohl auch die einfachste Erklärung, aber es gibt zu viele Dinge, die dagegen sprechen“, erklärte Tristan. „Die da wären?“ „Nun, zum einen sind die Milleniumsgegenstände nicht mehr. Und selbst wenn sie noch irgendwo zu finden wären – Atemu hat den Kampf gegen Zorc gewonnen, ist ins Totenreich eingekehrt und hat den Gegenständen somit ihre Macht genommen. Sie waren der Grund für all die seltsamen Dinge, die uns jahrelang passiert sind. Da sie weg sind, hatte auch das ein Ende. Es kann also eigentlich nicht sein. Ich habe sogar schon an das Siegel von Orichalcos gedacht, aber das ist genau so ausgeschlossen.“ „Du hast Recht ...“, stimmte Duke zu. „Und genau das ist es, was es nicht gerade leichter macht.“ „Wem sagst du das?“, äußerte der Andere erneut. „Okay. Lass es uns nochmal ganz von vorne angehen“, schlug der Schwarzhaarige schließlich vor. „Wann und wo hast du die anderen zum letzten Mal gesehen?“ „Vor zwei Tagen in der Schule.“ „Haben sie sich irgendwie merkwürdig benommen oder hatten sie irgendetwas vor?“ „Nein, sie waren alle ganz normal. Sie wollten in den Park, um dort den Nachmittag zu verbringen.“ Duke überlegte fieberhaft, doch das, was sein Gegenüber erzählte, hörte sich tatsächlich kein bisschen verdächtig oder eigenartig an. „Und du warst schon an eurem Stammplatz, um ihn noch einmal unter die Lupe zu nehmen?“ „Jep. Aber da war nichts. Noch nicht einmal ein Kaugummipapier oder dergleichen“, stöhnte Tristan. Je mehr ihm bewusst wurde, dass er absolut keine Ahnung hatte, wo die anderen steckten, desto verzweifelter wurde er. Es war etwas passiert. Es musste etwas passiert sein. Sie würden niemals einfach gehen. Aber was war es? „Hör zu: Was hältst du davon, wenn wir trotzdem noch einmal in den Park gehen und uns die Stelle genau anschauen? Vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei, es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir momentan haben und es ist auf jeden Fall besser, als tatenlos herum zu sitzen.“ „Gut, lass uns das machen. Du hast Recht, eine andere Möglichkeit bleibt uns sowie so nicht.“ Es dämmerte über dem Land des ewigen Sandes. Die ersten Sterne schälten sich aus dem Abendrot hervor und prangten wie funkelnde Diamanten am Firmament. Weit unterhalb ihres wunderschönen Scheins hatte sich eine Gruppe von Menschen um ein Feuer versammelt, dessen Flackern von den Felswänden der Himmelspforte zurück geworfen wurde. Das Thema war dasselbe wie seit zahlreichen Sonnenläufen schon: Caesian. „Ich habe mich wirklich bemüht, aus euren Schriften etwas Nützliches heraus zu lesen“, berichtete Marik gerade an Riell gewandt. „Doch ich fürchte, ich muss dich enttäuschen. Ich wüsste nicht, wo in diesen Texten ein Hinweis auf die Relikte versteckt sein sollte.“ Das Oberhaupt der Schattentänzer seufzte schwer. „Ohne, dass dies böse klingen soll: Aber ich hatte nichts anderes erwartet.“ Auch Risha ließ es sich nicht nehmen, das Gesagte zu kommentieren. „Natürlich überrascht es uns nicht. Generationen von Gelehrten und Priestern haben versucht, die Texte zu deuten und keiner von ihnen war erfolgreich. Wieso sollte es also einem einfachen Kerl gelingen, der noch dazu aus einer völlig anderen Zeit stammt?“ „Du könntest ruhig mal ein bisschen dankbarer sein“, mischte sich Joey ein. „Immerhin hat Marik überhaupt etwas getan, während von dir den lieben langen Tag nicht die leiseste Spur zu finden war!“ „Als ob ich mich vor dem daher gelaufenen Sohn eines Kamels rechtfertigen müsste, was ich tue und was nicht“, entgegnete die Schattentänzerin mindestens eben so säuerlich – woraufhin Ryou und Marik den Blondschopf in ihrer Mitte bei den Schultern packen mussten, damit er nicht einmal quer über das Lagerfeuer hechtete. „Wäre es vielleicht möglich, dass wir hier einmal konstruktiv arbeiten?“, erkundigte sich Seto daraufhin und massierte sich die rechte Schläfe. „Was für Schriften sind das genau, von denen Marik spricht?“ „Aufzeichnungen unseres Clans“, erklärte Samira. „Außerdem alte Texte, die sich mit religiösen Themen befassen. Hier und da gibt es auch Vermutungen über die Fundorte der Gegenstände.“ „Richtig“, mischte sich Riell ein. „Unsere Schreiber konnten ein paar davon retten, als wir unser Versteck fluchtartig verlassen mussten. Aber das, was wir jetzt haben, ist nur ein Bruchteil unserer eigentlichen Sammlung.“ „Als ihr euer Lager verlassen habt?“, fragte Yugi. „Das heißt also, die anderen Aufzeichnungen befinden sich noch dort?“ „Nein, die haben wir gegessen“, erwiderte Risha und rollte mit den Augen. „Klar sind sie noch dort.“ „Gibt es denn vielleicht irgendeine Möglichkeit, an sie heran zu kommen? Eventuell könnten sie genau das sein, was wir jetzt brauchen. Wir können lange überlegen, wo sich die Relikte befinden könnten, solange wir keine Anhaltspunkte haben. Ägypten ist einfach zu groß“, merkte Ryou an. „Ich denke, wir müssen aber damit rechnen, dass sich Caesians Soldaten in der Nähe aufhalten“, warf Tea ein. „Die sind nicht das größte Problem“, meinte Riell schließlich. „Sondern?“, fragte Atemu. „Als man uns angriff, haben wir uns natürlich gewehrt. Unter anderem hat Cheron eine Feuersbrunst durch die Tunnel gejagt. Einige davon sind eingestürzt. Des Weiteren kann auch ein Teil unserer Schriftbestände verbrannt sein“, erläuterte das Clanoberhaupt. „Na großartig“, meldete sich Keiro zu Wort. „Das hast du ja prima hin bekommen, Risha“, sagte er säuerlich. „Hätte ich ihm stattdessen freie Bahn lassen sollen?“, zischte die Angesprochene sofort zurück. „Das nicht unbedingt, aber du hättest vielleicht einfach mal dein Hirn benutzen sollen!“, kam die Antwort. „Du riskierst ein bisschen viel, wenn ausgerechnet du vom Denken sprichst, meinst du nicht auch?“, schoss seine Base augenblicklich zurück. „Wenn ihr nicht beide auf der Stelle die Schnauze haltet, dreh ich euch den Hals um!“, ging Bakura plötzlich lautstark dazwischen. „Ihr seid ja schlimmer als ein ganzer Kindergarten auf Ausflug!“ „ ... ein was auf wie bitte?“ „Egal! Kommen wir zurück zum Punkt: Ihr habt Schriften und diese liegen in eurem ehemaligen Versteck begraben. Das heißt folglich eines, ohne dass man lange darum herum diskutieren müsste: Wir holen uns die Dinger.“ „Alter, du hast doch gerade gehört, dass ein Teil der Tunnel eingestürzt ist!“, kommentierte Joey daraufhin. „Genau deshalb wäre er ja der Richtige“, ließ Seto verlauten. „Der werte Bakura rühmt sich doch immer mit dem Titel 'König der Diebe'. Dann dürfte es doch mit Sicherheit auch kein Problem sein, ein paar Schriftrollen aus einem aufgegebenen Tunnelsystem heraus zu holen, nehme ich an? Vielleicht kannst du deine 'Fähigkeiten' dann auch endlich mal für etwas Nützliches einsetzen, Grabräuber. Oder hast du etwa Angst?“ „Bitte?“, kam prompt die eingeschnappte Antwort von der anderen Seite des Feuers. „Noch so einer, der von etwas redet, das er nicht versteht“, warf Risha ein. „Hier geht es nicht um Mut oder Feigheit. Es ist schlichtweg eine Tatsache, dass es alles andere als sicher ist, in die Gänge hinab zu steigen. Die Felsen könnten sich jederzeit lösen. Entweder man wäre dort unten lebendig begraben oder sofort tot.“ „Risha hat wahrscheinlich recht“, ließ nun auch Yugi verlauten. „Wenn es dort unten wirklich zu Kämpfen gekommen ist, in denen eine Ka-Bestie involviert war, dann kann man davon ausgehen, dass Einsturzgefahr besteht.“ „Aber haben wir eine andere Wahl?“, seufzte Samira, ehe sie eine sichere Miene aufsetzte und Riell entschlossen ansah. „Majestät: Ich melde mich freiwillig, die Schriftrollen zu bergen!“ „Oh nein, das kommt nicht in Frage“, entgegnete Riell. „Die Befreiung meines Vaters war riskant genug für zehn Leben.“ „Ich sage nur 'Skorpionzucht'“, murmelte Risha. „Wenn Bakura sich dazu entschließen sollte, zu gehen, dann werde ich ihn begleiten und sonst niemand, verstanden?“ „Ich arbeite alleine“, teilte der Grabräuber daraufhin mit. „Aber gewiss doch. Wir sprechen hier nicht von irgendeinem Grab. Wir sprechen von einem stockfinsteren, weitverzweigten Tunnelsystem. Gleich, wie viel Erfahrung du haben magst, du wirst jemanden brauchen, der dir den Weg zeigt.“ „Und ich könnte trotzdem mitkommen. Ich bin nämlich die Kleinste hier. Ich passe bestimmt durch alle Ritzen und Öffnungen, durch die Ihr nicht hindurch kommt, Majestät – ohne damit sagen zu wollen, dass Ihr dick wärt, oder so“, erklärte Samira. „Das will ich dir auch geraten haben ...“, setzte Risha gerade an, als sie unterbrochen wurde. „Die Idee ist gar nicht schlecht“, befand Joey. „Und ich würde mich auch noch freiwillig melden. Ich bin kräftig – das könnten wir brauchen, wenn wir Felsen aus dem Weg räumen müssten oder etwas in der Art.“ „Aber klar doch, Spargeltarzan“, schmunzelte Marlic. „Als ob wir dich brauchen würden. Wenn ich dich daran erinnern darf: Ich habe das braunhaarige Individuum, das du Freund nennst, bei unserer letzten Begegnung mit einer Hand hoch heben können“, entgegnete Bakura und verdrehte die Augen. „Er heißt Tristan“, zischte Tea. „Genau. Und wenn ich dir eines raten darf: Versuch das bei mir und du bist Geschichte“, konterte Joey. „Dann bin ich wohl mit dem Erteilen von Ratschlägen dran: Tu das und ich schneide dir die Kehle durch“, mischte sich Risha mit drohendem Unterton ein. „Leute, so wird das nichts“, versuchte schließlich Atemu, sich Gehör zu verschaffen. „Wenn wir uns die ganze Zeit nur gegenseitig anfeinden, kommen wir zu keinem Ergebnis.“ Er wartete kurz ab, ob sich noch irgendwelche weiteren Widerworte bilden würden. Als dies ausblieb, fuhr er fort: „Wie sieht es aus Bakura? Wärst du bereit, zu versuchen, an die Schriftrollen heran zu kommen?“ Die Blicke von Pharao und Grabräuber trafen sich. Die Spannung, die sofort zwischen beiden entstand, war förmlich greifbar. Es war ein schweigendes Kräftemessen, das keiner von ihnen verlieren wollte. Yugi entging dies nicht – ebenso wenig, wie ihm entging, dass Atemu wohl den falschen Weg gewählt hatte. Seine Frage kam einer Art Bitte gleich, auch wenn er das so niemals zugeben würde. Seine Majestät wusste, dass Bakuras Fähigkeiten nötig sein würden, um mit Hilfe der Texte weiter voran zu kommen, doch er würde es nicht so sagen. Zugleich würde sich der Grabräuber wohl, gleich wie schlimm die Situation sein mochte, eher ein Bein abhacken, als auf ein Gesuch des Pharao positiv zu reagieren. Doch Yugi hatte eine Idee, wie er ihn dennoch dazu bringen konnte. „Atemu, ich glaube nicht, dass wir das von irgendjemandem verlangen können“, sagte er betont verständnisvoll. „Es ist viel zu gefährlich.“ Sein Blick streifte bei diesen Worten Seto. Der schien sofort zu verstehen. „Mit Sicherheit ist es das. Da kann eben auch der König der Diebe Angst bekommen.“ Es funktionierte. Bakuras finsterer Blick zuckte auf der Stelle hinüber zu dem Hohepriester. Die fliedernen Augen fixierten ihr Gegenüber einen Moment lang, ehe der Grabräuber verächtlich schnaubte. „Von wegen! Ich breche noch vor Sonnenaufgang auf. Alleine.“ Damit erhob er sich in einer fließenden Bewegung und verließ das Lagerfeuer. Doch Risha würde sich nicht so einfach abschütteln lassen, so viel stand fest. „Vergiss es! Ich komme mit!“, rief sie ihm nach, während sie ebenfalls aufstand, um ihm zu folgen. Kaum hatte sie ihn erreicht, drehte er sich ruckartig um. „Weißt du was? Tu, was du willst. Aber merk' dir eines: Geh mir nicht auf den Sack!“ Damit verschwand er in der Dunkelheit – und ließ eine sichtlich verwirrte Risha zurück, die sich fragte, von welchem 'Sack' er wohl sprach ... Joey hatte es sich ebenfalls nicht nehmen lassen, sich anzuschließen. Zwar hatte Risha die Ansicht vertreten, dass Bakura und sie ausreichten, doch nachdem sie und der Blonde aus dem 21. Jahrhundert über dieser Thematik wieder aneinander geraten waren, hatte sie schließlich nachgegeben. In ihrem Leben brannte es derzeit an allen Ecken und Enden und sie hatte allmählich nicht einmal mehr die Nerven für eine Diskussion. Für gewöhnlich hätte sie ihren Standpunkt vertreten, bis sie gewann. Doch diesmal nicht. Sie hatte zwar keine Ahnung, weshalb der Kerl unbedingt mitkommen wollte, aber sie hatte eine Vermutung: Ihm war es hier im Lager wohl schlichtweg zu langweilig. Welchen anderen Grund hätte er sonst, sich auf dieses nicht ungefährliche Unterfangen einzulassen, außer purem Tatendrang? Zumal niemand ging, mit dem er sich gut verstehen würde. Unterbewusst wanderten Rishas Augen zu der Höhle, in die Bakura verschwunden war. Wahrscheinlich hatte er sich noch einmal hingelegt, um Kraft für ihre Aufgabe zu sammeln. Ihr war durchaus klar, dass sie nicht alleine aufgrund der angeführten Argumente mitgehen wollte. Gewiss brauchte ihr Vetter jemanden, der sich auskannte. Zugleich behagte ihr aber auch einfach der Gedanke nicht, dass er sich in offenes Feld begab. Hier waren sie einigermaßen sicher, dort draußen lauerte die Gefahr. Deshalb begleitete sie ihn lieber, denn dann konnte sie sich wenigstens einreden, dass sie die Situation unter Kontrolle hatte, indem sie im Notfall eingreifen konnte. Außerdem bot sich so vielleicht mal die Gelegenheit, mit ihm zu reden – ohne, dass Keiro plötzlich hinter einer Ecke hervor gesprungen kam und sich wieder mit Hilfe seines dummen Mundwerks einmischte. Sie seufzte und fuhr sich über das Gesicht, zuckte kurz zusammen, als sie nicht an ihre ledierte Gesichtshälfte dachte. Wenigstens hatte sie Samira überzeugen können, hier zu bleiben. So gut es das Nervenbündel auch meinte, im Augenblick war die Wüste kein Ort für halbstarke Ka-Träger. Ihre Bestie war gewiss mächtig – doch ihre Seele war noch viel zu impulsiv. „Ähm ... Entschuldigung? Risha?“ Die Angesprochene wandte sich um – und stand dem Jungen gegenüber, der sowohl Keiro als auch Bakura auf eine gewisse Weise ähnelte. Wie hieß er noch gleich ... ? Ach ja, Ryou. „Was ist?“ „Nun, ich wollte nur fragen, ob es vielleicht möglich wäre, dass ich euch begleite.“ Die Schattentänzerin zog eine Augenbraue in die Höhe. „Und was genau, denkst du, würde uns das bringen?“ „Also, zum einen kann ich eure Schriftzeichen ein bisschen lesen und verstehen. Das heißt ich könnte dabei behilflich sein, herauszufinden, welche Schriftrollen wir brauchen könnten und welche nicht. Ich weiß, Marik wäre dafür besser geeignet, aber er ist im letzten Gefecht lange nicht so gut davon gekommen, wie ich. Ihr könntet natürlich auch einen anderen Schattentänzer mitnehmen, aber soweit ich weiß, sollen ja alle verfügbaren Kräfte für den Fall der Fälle hier bleiben.“ Er machte eine kurze Bedenkpause und seufzte schließlich. „Zum anderen will ich auch einfach mal irgendetwas Nützliches machen.“ Risha verdrehte innerlich die Augen. Bei Ra, dieses Helfersyndrom. Momentan griff es wohl wieder wie eine Seuche um sich. Sie fragte sich wirklich, ob ein Tag ohne Tote und Schwerverletzte so langweilig sein konnte, dass diese Leute unbedingt freiwillig hinaus in die Wüste mussten, wo es deutlich gefährlicher war, als hier. Aber gut, wenn er unbedingt wollte. „Meinetwegen. Aber wehe du fällst uns zur Last. Und bevor durch dich noch jemand auf blöde Gedanken kommt: Du bist definitiv der Letzte, der sich anschließt!“ Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Dunkelheit, um ebenfalls noch einmal zur Ruhe zu finden. Yugi und Tea halfen ihrem Blonden Kumpanen dabei, etwas Brot und Trockenobst für den bevorstehenden Weg einzupacken. Bald war das Bündel fertig geschnürt. Auch für Ryou wurde eines bereit gelegt. Die drei waren sichtlich erstaunt gewesen, als der Weißhaarige verkündet hatte, dass er ebenfalls mitkommen würde. „Habt ihr beide euch das auch wirklich gut überlegt?“, hakte Tea noch einmal nach. „Klar doch“, bestätigte Joey. „Mach dir keine Sorgen. Uns passiert nichts, immerhin sind wir schon groß. Und wenn es wirklich hart auf hart kommt, haben wir ja immer noch den Großkotz von einem Grabräuber dabei. Ich geb's nur ungern zu, aber sein Ka ist echt 'ne Wumme.“ „Gerade Bakura wäre eigentlich ein Grund um hier zu bleiben, oder nicht?“, meinte Yugi. „Sind wir mal ehrlich: Ich will mir gar nicht vorstellen, was dabei heraus kommt, wenn ihr vier gemeinsam auf einer Mission unterwegs seid.“ „Wie meinst du das?“, erkundigte sich der Blonde überrascht. „Das ist doch ganz einfach“, mischte sich wieder Tea ein. „Bakura provoziert nur allzu gerne. Du wiederum reagierst gerne auf Provokationen. Hinzu kommt dann noch Risha, die immer sofort dabei ist, wenn es irgendwo Stunk gibt. Das kann nicht gut gehen.“ „Und ich stehe dann daneben und verteile Punkte je nach Benutzung des beleidigenden Vokabulars und Treffsicherheit der Fäuste“, fügte Ryou seufzend hinzu. „Niemand hat behauptet, dass das Ganze ein Spaziergang wird, Tea. Aber ich hoffe einfach mal, dass wir uns alle auf unsere Aufgabe konzentrieren und zusammenarbeiten werden, um diese zu lösen.“ „Du weißt, es ist nicht meine Art, so was zu sagen“, entgegnete Yugi. „Aber das glaube ich wirklich erst, wenn ich es sehe. Vor allem was Bakura betrifft. Er macht das alles ja auch nicht ganz freiwillig, sondern eher, um sein Ego zu besänftigen und nicht als feige dazustehen.“ „Schon klar“, erwiderte Ryou. „Das ist mir durchaus bewusst. Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass Joey und ich völlig unbehelligt bleiben. Immerhin ist ja Risha dabei – und die scheint sich mit Bakura fast genau so oft in die Haare zu kriegen, wie mit Keiro.“ „Tja, das wirft mal wieder die Frage auf, ob die Angehörigen dieser Familie eigentlich noch irgendjemanden außer sich selbst leiden können“, warf Joey in die Runde, während er die Augen verdrehte. „Die Paradoxeste ist sowie so diese Risha. Betet zum einen irgendwelche Götter an, deren Namen ich nicht aussprechen kann, betrachtet andererseits aber sich als Mittelpunkt des Universums – zumindest kommt es einem so vor.“ „Das dürfte in dieser Familie ein allgemeines Problem sein. Keiro ist ja auch nicht ganz ohne, wie wir inzwischen festgestellt haben“, meldete sich Tea zu Wort. „Vor allem wie er teilweise gegenüber Risha reagiert, ist echt krass. Zu Bakura und uns ist er wahnsinnig freundlich, aber sobald er sie sieht, scheint es, als habe man eine andere Person vor sich.“ „Wundert dich das?“, fragte Joey. „Wenn ich mit den beiden verwandt wäre, wäre ich auch nicht mehr ganz richtig im Kopf.“ Die Nacht hatte sich längst über Men-nefer gesenkt, da kehrte Caesian in den Tempel des Sokar zurück. Am Eingang hielt er kurz inne, um die beiden Statuen, die das Heiligtum flankierten, zu mustern. Zwei riesige, in Binden gewickelte, menschliche Körper, auf denen ein Falkenkopf thronte. Caesian grinste. Diese Gottheit besaß nicht einmal ein eigenes Relikt. Es würde ein leichtes sein, zu bekommen, was der fremde Herrscher wollte. Er würde die Götter Ägyptens einmal mehr lehren, dass sie einen großen Fehler begangen hatten, als sie ihre Kräfte materialisierten und somit aufgaben. Diese Narren ... Er betrat den Tempel. Im Inneren fand er bereits seinen höchsten Magier vor. Die Leiche des Mädchens, das man bereits am Tag rituell getötet hatte, um ihr Blut für die Schriftzeichen verwenden zu können, lag inzwischen in dem Kreis aus Symbolen. Die leeren Augen starrten ausdruckslos zur Decke hinauf. Die Haut hatte einen gräulichen Schimmer angenommen. Die Gewänder waren benetzt mit Blut. „Ist alles vorbereitet?“, fragte Caesian an seinen Untergebenen gewandt. „Ja, mein Herr. Wir können beginnen, sobald Ihr möchtet.“ „Gut. Ich will nicht länger warten“, befand der Herrscher, während er auf Eikahn zuschritt. Behutsam löste er die Saat des Chnum von seinem Gürtel und hielt sie dem Magier entgegen. Als dieser danach greifen wollte, zog Caesian seine Hand noch einmal ruckartig zurück. „Wehe, du enttäuscht mich“, zischte er, ehe er das goldene Relikt in die Hand seines Gegenübers fallen ließ. Eikahn wusste, dass er nur diesen einen Versuch hatte. Wenn er scheiterte, würde morgen schon jemand anderes seinen Posten besetzen. Doch das würde nicht geschehen. Es durfte nicht geschehen. Behutsam stieg er über die Schriftzeichen in die Mitte des Kreises zu dem Körper des toten Mädchens. Vorsichtig platzierte er die Saat des Chnum auf der Brust der Leiche, direkt über dem Herzen. Es war soweit. Langsam begann Eikahn, uralte Schriften zu rezitieren. Bald gewannen die Worte einen Rhythmus, der eher an einen Gesang erinnerte. Das erste Mal sprach er all dies alleine. Beim zweiten Mal stimmten seine Helfer mit ein, die an den Wänden des Tempels verstreut standen. Bald erfüllten ihre Stimmen das Gewölbe. Melodisch glitten sie zwischen den Säulen dahin, füllten jede Ritze aus, erschienen regelrecht greifbar. Schließlich löste sich Eikahn aus dem einstimmigen Gemurmel und streckte die Hand über der Leiche und dem Relikt aus. „Sokar, Gottheit der Toten. Ich biete dir diese Seele im Austausch gegen das Mädchen Kisara dar. Nimm meine Gabe an. Ich flehe dich an! Ich bitte dich! Ich befehle es dir!“ Die letzten Worte hatte er beinahe geschrien. Plötzlich durchzuckte ein greller Schein den Tempel. Die Erde vibrierte, doch die niederen Magier an den Wänden des Heiligtums rührten sich keinen Millimeter. Sie wussten, dass sie Schlimmeres als das erwarten würde, wenn sie es täten. Ihr Gesang wurde gar noch intensiver, noch dringlicher. Ein greller Schein erhob sich aus dem Boden, hüllte zunächst Caesian und seine Männer, dann das Gewölbe und schließlich ganz Men-nefer ein. Ein lautes Krachen, dann war es vorüber. Und in den Sphären der Götter erklang ein einziger, Mark erschütternder Schrei, als einer von ihnen seinen letzten Atemzug tat. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Und wieder ein Teil geschafft, auch wenn ich mit diesem Kapitel irgendwie nicht wirklich glücklich bin. Kann sein, dass ich es vor dem nächsten Upload nochmal überarbeiten werde, wenn ich endlich den Finger auf das legen kann, was mich stört ... An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Kianael (wir sollten öfter mal zusammen Kaffee trinken! ), 3sakuraharuno3, Ian und LeaGreywolf bedanken, von denen ich im Lauf der letzten 1 bis 2 Wochen so viel Feedback bekommen habe. Das hat meine Motivation, diese FF irgendwann fertig zu stellen, neu entfacht und erleichtert mir das Schreiben ungemein. Noch ist zwar kein Ende in sicht, aber gut Ding will bekanntlich Weile haben. Mit dem nächsten Upload wird in gut 2 Wochen zu rechnen sein. Dann wird sich zeigen, welche Auswirkungen Caesians Handeln für Ägypten haben wird, ob Tristan und Duke einen Hinweis auf den Verbleib ihrer Freunde finden, und ob sich Ryou, Joey, Bakura und Risha auf ihrer Mission gegenseitig massakrieren. Bis dahin! Sechmet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)