Von Regenschirmen und Regeln von Ur (Percy x Audrey) ================================================================================ Kapitel 1: Friedhofsbegegnungen ------------------------------- 12. Juni, 1998 Als Audrey ihn das erste Mal sah, regnete es. Sie selbst trug einen dunkelgrünen Regenschirm, um sich vor den dicken Tropfen zu schützen, die vom schweren, wolkenverhangenen Himmel auf die Erde hinunter prasselten und unruhige Pfützen auf den Steinplatten zwischen den Gräbern hinterließen. Ihre braunen Stiefel waren bereits nach wenigen Minuten nass an den Spitzen, doch sie kümmerte sich nicht wirklich darum. Ihr Blick hing an einem jungen Mann zwei Gräberreihen weiter, der keinen Schirm bei sich trug und vollkommen durchweicht war. Er trug eine dunkle Stoffhose, eine ziemlich alt aussehende Jacke und eine Hornbrille, seine roten Haare klebten ihm nass in der blassen Stirn und er starrte auf ein Holzkreuz, das verriet, dass wer auch immer dort lag noch nicht lange tot war. Audrey hatte den Fremden noch nie gesehen, was ungewöhnlich genug war, denn in Ottery St. Catchpole gab es kaum jemanden, den sie nicht kannte. Vielleicht war er neu hier. Audrey wandte den Blick von dem Unbekannten ab und musterte den Grabstein, vor dem sie stand. Schlichter, grüner Bodendecker rankte sich über das Grab und der Strauß Lilien, den sie in eine Vase gestellt hatte, war das einzig Blühende auf der Erde, unter der ihre Mutter lag. Elisabeth Harriot, geb. Franks * 30.11.1952 † 12.06.1996 Es war der zweite Todestag ihrer Mutter und Audrey umfasste den Regenschirm etwas fester, während sie das Brennen in der Kehle zurückkämpfte. Die schmerzhafte Leere in ihrem Inneren wurde nicht besser davon, dass sie den Grabstein anstarrte, als könnte er ihr ihre Mutter zurückgeben. Sie war eindeutig zu früh gegangen und jedes Mal, wenn Audrey hier stand und die eingravierten Daten auf dem Stein betrachtete, schrie eine innere Stimme: ungerecht! Sie ließ den Blick wieder schweifen und er landete auf der einzigen Person, die außer ihr bei diesem Regen auf dem Friedhof stand. Der junge Mann mit den feuerroten Haaren hatte sich immer noch nicht von der Stelle gerührt. Audrey sah, dass seine Hände sich zu Fäusten geballt hatten. Sein Gesicht war über und über mit Sommersprossen bedeckt und seine Haltung wirkte merkwürdig steif, als wäre er es gewöhnt mit hocherhobenem Kopf und schnellen Schritten durch die Welt zu schreiten. Obwohl er so aufrecht dastand, wirkte es eindeutig so, als läge einen tonnenschwere Last auf seinen Schultern. Als er aufsah, trafen sich ihre Blicke und Audrey wusste nicht, ob sie ein freundliches Lächeln versuchen sollte. Doch einen Moment später hatte der Fremde sich umgewandt und ging mit steifen Schritten von dannen, so wie Audrey sich seinen Gang vorgestellt hatte. Sie sah ihm nach, doch als er einen Rosenbusch am Ende der Grabreihe erreicht hatte, war er plötzlich verschwunden, als wäre er nie dagewesen. Audrey blinzelte verwundert und runzelte die Stirn. Vielleicht hatte sie ihn wegen des Regens aus den Augen verloren. Nachdenklich warf sie dem Grabstein ihrer Mutter einen Blick zu, dann ging sie langsam den Steinplattenweg entlang ans Ende der Reihe, wo sie kurz innehielt. Nach einem sekundenlangen Zögern bog sie nach rechts ab und betrat die Grabreihe, in der der junge Mann gestanden hatte. Das Holzkreuz ragte ein wenig schief aus der nassen, noch frisch aufgehäuften Erde und sie beugte sich ein wenig vor, um durch den Regen den Namen erkennen zu können, der darauf stand. Fred Weasley * 01.04.1978 † 02.05.1998 Audrey ertappte sich dabei, wie sie die Luft anhielt. Wenn sie Grabsteine auf dem Friedhof in Ottery St. Catchpole betrachtete, dann erwartete sie automatisch von langen Lebensspannen zu lesen. Natürlich war das töricht, auch junge Leute starben. Kinder. Ihre Mutter war mit vierundvierzig Jahren gestorben. Aber dieser junge Mann war nur zwanzig Jahre alt geworden. Um den Erdhügel, der das Grab bedeckte, lagen eine Menge Blumen und etwas, das aussah wie ein alter, kleiner Baseballschläger. Der Tote, der dort lag, war nur ein Jahr jünger als sie selbst gewesen, als er gestorben war. Unweigerlich fragte sie sich, woran er wohl gestorben sein mochte. Vermutlich würde sie es nie erfahren. Neben dem Grab war eine freie Grabstelle. Doch als sie ein Stück weiter die Reihe entlang ging, fand sie weitere Grabsteine mit dem Namen Weasley darauf. Es schien, als hätte diese Familie den halben Friedhof belegt und sie musste sehr groß sein, denn als sie noch zwei Reihen weiter ging, fand sie weitere Weasleys. Sie fühlte sich noch schlechter als vorher und beschloss, dem fremden Jungen das nächste Mal ebenfalls ein paar Blumen zu bringen. Wer immer er war, er hatte es sicher nicht verdient so früh zu sterben. 29. Juni 1998 Audrey setzte ihren Vorsatz in die Tat um und kehrte das nächste Mal mit einer einzelnen, weißen Rose für Fred Weasley auf den Friedhof zurück. Als sie vorm Grab ihrer Mutter stand und in Gedanken mit ihr sprach, fiel ihr ein Ehepaar auf, das vor Freds Grab stand. Es waren ganz sicher Freds Eltern, sie hatten beide dieselben feuerroten Haare wie der junge Mann, den sie das letzte Mal beobachtet hatte. Die Frau weinte bitterlich an der Schulter ihres Mannes, der einen Arm um sie gelegt hatte und aussah, als läge seine Welt in Scherben zu seinen Füßen. Sie standen länger dort als der Fremde und Audrey ertappte ihre Augenwinkel dabei, wie sie beinahe anfingen zu weinen. Erst, als die beiden eine Viertelstunde später das Grab verließen, legte Audrey die weiße Rose auf Fred Weasleys Grab. 18. August 1998 Audrey fand schnell heraus, dass die Familie von Fred Weasley sehr groß war. Ein hagerer junger Mann mit dunklen Haaren und einer runden Brille kam zusammen mit einem rothaarigen Mädchen, einem rothaarigen jungen Mann und einer jungen Frau mit buschigen braunen Haaren. Sie hatte auch schon einen hochgewachsenen, ebenfalls rothaarigen Mann mit schrecklichen Narben im Gesicht und einer so hübschen Frau beobachtet, wie Audrey noch nie vorher eine gesehen hatte. Sie kamen mit einem stämmigen, rothaarigen Mann. Und dann waren da die schwarze, junge Frau mit Rastazöpfen und ein junger Mann, der schlimmer aussah als sie alle zusammen. Er weinte nicht, aber er saß vor dem Grab, als würde er sich wünschen ebenfalls dort zu liegen. Audrey hatte beobachtet, wie er den kleinen Baseballschläger in die Hand genommen hatte. Er war der Einzige, der am Grab zu sprechen schien. Lange. So lange, bis er irgendwann allein dort saß, weil seine Begleiterin in diskreter Entfernung wartete. Als würde sie nicht lauschen wollen. Als wäre der Monolog des jungen Mannes etwas zu Intimes, als dass man zuhören sollte. Alle diese Menschen hatten die merkwürdige Angewohnheit ganz plötzlich zu verschwinden. Einen Moment lang gingen sie an dem Rosenbusch vorbei, dann waren sie fort. Als würde der Rosenbusch sie verschlucken. Er – und er war der junge Mann mit der Hornbrille, den Audrey am Sterbetag ihrer Mutter im Regen dort gesehen hatte – war der Einzige, der das Grab allein besuchte. Audrey war oft auf dem Friedhof, um mit ihrer Mutter zu sprechen, weil die Anlaufstelle ihr Trost bot. Und ihn hatte sie noch nie in Begleitung gesehen. Er stand wie eine Statue aus traurigem Stein vor dem Holzkreuz, die Hände stets zu Fäusten geballt. An diesem Tag hing ein Gewitter in der Luft, den ganzen Tag über war es schwül und unerträglich heiß gewesen und Audrey hatte sich erst in den frühen Abendstunden aus dem Haus getraut. Ihre blonden Haare wurden von einem grünen Band nach hinten gehalten. Sie mochte Grün und auch ihre Mutter hatte Grün gemocht. Es passt gut zu deinen Augen, hatte sie immer gesagt und Audrey zärtlich lächelnd durch die dünnen Haare gestreichelt. Als es donnerte, huschten ihre Augen zu den schweren, grauen Wolken, die den Himmel beinahe vollständig bedeckten. Seit zehn Minuten stand sie hier und der junge Mann mit Brille stand zwei Reihen weiter. Wie immer starrte er schweigend hinunter auf das Grab. Die Blumen, die dort bei ihrem ersten Besuch von Fred Weasleys Grab gelegen hatten, schienen nicht zu welken. Das war genauso merkwürdig wie die Tatsache, dass diese Menschen einfach verschwanden, wenn sie auch nur blinzelte. Sie hatte sogar schon versucht nicht zu blinzeln, aber selbst das war nicht erfolgreich gewesen. Als sie die ersten Tropfen vom Himmel fallen spürte, spannte sie ihren Schirm auf, straffte die Schultern und strich sich kurz über ihr grünes Kleid, das sie passend zu ihrem Haarband trug. Dann ging sie mit nervös pochendem Herzen und feuchten Händen hinüber zum Grab von Fred Weasley, wo der Fremde stand und mit geballten Fäusten auf das Kreuz starrte. Sie schluckte, als er verwirrt blinzelnd aufschaute. Dann hielt sie ihren Schirm über seinen Kopf und keine Sekunde zu früh. Der Wolkenbruch rauschte über den Friedhof hinweg und sofort füllte sich die Luft mit dem Geruch nach Regen auf heißer Erde und Asphalt. »Sie sollten sich wirklich einen Schirm kaufen«, sagte sie und spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Dunkel fragte sie sich, ob es jemals einen seltsameren Aufhänger für ein Gespräch gegeben hatte als diesen. Er musterte sie noch einige Sekunden lang, als wäre er sich nicht sicher, ob sie diese Worte tatsächlich gesagt hatte. Dann räusperte er sich und zum ersten Mal hörte Audrey seine Stimme. Sie hatte einen offiziellen Unterton, als wäre sie es gewöhnt, Formulare zu verlesen und Regeln zu zitieren. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, weil der Fremde durch die Welt schritt, als wäre er ein Beamter. Unweigerlich stellte sie ihn sich mit Aktenkoffer vor. »Ich versuche nächstes Mal dran zu denken«, erwiderte er, während um sie herum die Welt unterging. Audrey stellte fest, dass die Augen hinter der Hornbrille blau waren. Sie schwieg einen Moment, während sie sich anblickten und sie wollte irgendetwas Intelligentes, vielleicht sogar etwas Tröstendes sagen. Aber alles, was ihr einfiel, war: »Mein herzliches Beileid.« Die Züge im Gesicht des Fremden spannten sich an, seine Lippen pressten sich aufeinander und wenn er seine Hände für kurze Zeit aus der Faust entlassen hatte, so ballten sie sich in diesem Herzschlag wieder. »Danke«, gab er zurück. Die Worte klangen steif und Audrey bereute es beinahe, sie gesagt zu haben. Trotzdem bliebt sie stehen und hielt schweigend den Schirm über den schlaksigen, rothaarigen Mann mit der Hornbrille. Audrey hatte noch nie zwanzig Minuten lang schweigend mit einem fremden Mann auf dem Friedhof gestanden und sich einen Regenschirm geteilt, um das Ende eines Wolkenbruches abzuwarten. Aber gut, wer tat so etwas auch? Als aus dem Schauer wieder ein paar vereinzelte Tropfen geworden waren, ließ sie den Schirm sinken und faltete ihn sorgfältig zusammen. »Vielen Dank«, sagte der Unbekannte. »Gern geschehen.« Als sie sich langsam von Fred Weasleys Grab entfernte, warf sie einen Blick zurück, doch ihr Regenschirm-Mitbenutzer war bereits verschwunden, als hätte sich der Boden aufgetan und ihn geschluckt. 4. September 1998 Er tauchte so lautlos hinter ihr auf, als wäre er aus dem Boden gewachsen. Sie zuckte zusammen, als er plötzlich neben ihr stand und mit einer unsicheren, etwas steifen Geste einen Regenschirm in die Höhe hielt. Der Himmel sah wie so oft grau und verregnet aus. Jetzt ging es auf den Herbst zu und bald würde es sicherlich dauerhaft regnen. Audrey räusperte sich und atmete einmal tief durch, um ihr Herz zu beruhigen. »Sie haben mich erschreckt«, sagte sie nervös lächelnd. »Verzeihung. Ich habe an den Schirm gedacht«, antwortete er, als würde das erklären, wie er sich so leise hatte nähern können, ohne dass sie ihn bemerkt hatte. Sie lächelte etwas breiter. »Wunderbar. Es sieht schon wieder nach Regen aus«, meinte sie und blickte automatisch in den Himmel. Er folgte ihrem Blick und nickte. Dann… »Weasley. Percy Weasley.« Sie blinzelte erstaunt, dann entdeckte sie die Hand, die ihr angeboten wurde und hastig hob sie ihre eigene, um sie Percy Weasley zu reichen. »Harriot. Audrey Harriot«, gab sie beinahe ein wenig atemlos zurück und sie zog verlegen ihre Schultern hoch, nachdem ihre Hände sich voneinander getrennt hatten. Percys Blick fiel auf den Grabstein, vor dem sie stand und sie musterte ihn von der Seite, während seine Augen über den Namen und die Daten huschten. »Ihre Mutter?«, wollte er zögerlich wissen, als wäre er sich nicht sicher, ob er diese Frage stellen durfte. Sie nickte. »Ja.« Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Mein herzliches Beileid«, erklärte er leise. Sie musste lächeln. »Danke.« Sie schwiegen eine Weile und Audrey wollte zu gern etwas über Fred erfahren, aber sie wusste, dass sie besser nicht fragte. Die Reaktion auf ihre Beileidsbekundung hatte ihr gezeigt, dass dieses Thema viel zu sensibel war, was sie selbstredend verstehen konnte. Sie hatte damals auch nicht über ihre Mutter sprechen wollen. Mit niemandem. »Darf ich fragen, wie…?«, ertönte Percys Stimme neben ihr und sie wandte den Kopf gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie er eine unbeholfene Geste in Richtung Grab machte. Sie schluckte und fuhr sich durch die kinnlangen Haare. »Sie hatte einen Gehirntumor«, antwortete sie leise. Percy nickte verstehend und presste kurz die Lippen aufeinander, als wollte er etwas sagen und doch wieder nicht. Sie beobachtete, wie er hinüber zu Freds Grab schaute. »Sie können zu ihm gehen, ich habe meinen eigenen Schirm… falls es regnet«, erklärte sie lächelnd und er sah ein wenig erstaunt zu ihr hinunter, dann zuckte sein Mundwinkel schwach und er nickte. »Wir sehen uns sicher bald wieder, Miss Harriot«, sagte er und reichte ihr die Hand zum Abschied. Sie musste lachen. »Audrey. Bitte«, gab sie zurück. Percy räusperte sich und Audrey sah, wie seine Ohren rot wurden. »Also schön. Bis bald, Audrey«, sagte er und ging hoch aufgerichtet und mit steifen Schritten davon. »Bis bald«, murmelte sie leise. 17. September 1998 Audrey wusste nicht, ob sie Percy nach seiner Familie fragen sollte, wenn sie sich das nächste Mal trafen, doch wie es der Zufall wollte, brauchte sie das gar nicht. Sie kam mit ihrem grünen Regenschirm zum Friedhof, da feiner Nieselregen die Luft erfüllte. Bei sich trug sie eine weitere weiße Rose für Fred Weasley. Sie hatte nicht erwartet, dass Percy dort stehen würde und sie zögerte bei dem Gedanken, dass er es womöglich aufdringlich finden würde, wenn sie einem Fremden Blumen aufs Grab legte. Aber schließlich hatte er sich auch nicht beschwert, als sie ihm ihren Schirm aufgedrängt hatte. Sie ging zu ihm hinüber und bückte sich, um die Rose auf das Grab zu legen. Percys Blick kitzelte sie im Nacken. Er stand tatsächlich unter seinem eigenen Regenschirm. »Das ist sehr nett«, murmelte Percy, als sie sich wieder aufgerichtet hatte und den mittlerweile das Kreuz ersetzenden Grabstein betrachtete. Audrey fiel in diesem Moment auf, dass ihre alte, weiße Rose dort immer noch lag. Im Gegensatz zu den anderen Blumen, die immer noch wie neu aussahen, war sie jedoch verblüht. »Er hätte…« Audrey blinzelte erstaunt und sah zu Percy auf. Er hatte die Augen geschlossen und schien mit sich zu kämpfen. Audrey hoffte, dass er nicht weinen würde. »Er hätte sich sicher gefreut. Und einen Witz gemacht«, beendete Percy sicher seinen Satz. »Also hat er viel gescherzt?«, gab sie vorsichtig zurück. Percy nickte. »Er hat sich immer beklagt, dass ich keinerlei Humor besitze. Das… das letzte, was er getan hat, war zu scherzen…« Audrey schluckte und fasste den Griff ihres Schirms etwas fester. »Wie… wie ist er denn… wenn ich fragen darf?«, erkundigte sie sich behutsam. Percy atmete einige Male tief durch. Er sah trotz seines jungen Alters in diesem Moment aus wie ein alter Mann. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er tiefe Ringe unter den Augen hatte, die man dank der Hornbrille jedoch kaum erkennen konnte. »Er ist im Krieg gefallen«, sagte er schließlich. Audreys Augen weiteten sich. »So jung«, wisperte sie. Percy nickte und starrte den Grabstein an. »Er war sehr mutig. Viel mutiger als ich«, murmelte er. Audrey fragte nicht weiter nach. Sie betrachtete Percy Weasley von der Seite und wünschte sich, dass Fred Weasley sehen konnte, wie sehr er unter seinem Tod litt. »Ich hatte mich mit meiner Familie zerstritten. Meine Karriere war mir zu wichtig und meine Familie nicht wichtig genug. Als ich eingesehen habe, dass ich einen Fehler gemacht habe, bin ich zurück gekommen und er war der Erste, der mir verziehen hat… nicht viel später ist er gestorben. Das letzte, was er getan hat, war… sich darüber zu freuen, dass ich einen Witz gemacht habe…« Der feine Niesel kitzelte sie ein wenig im Gesicht und sie hielt den Schirm weiter nach vorn, um ihn fernzuhalten. Der Schirm schützte sie freilich nicht vor der Wucht der Worte, die Percy Weasley als nächstes sagte. Mit einer so steinernen Stimme, dass Audrey unweigerlich ein wenig schauderte. »Ich hätte derjenige sein sollen.« Ihr Kopf zuckte nach oben und sie starrte den gebrochenen jungen Mann neben sich an. »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Percy blinzelte und sah zu ihr hinunter. Eigentlich wusste sie nichts. Sie kannte kaum einen Bruchteil der Geschichte von Percy und Fred Weasley. Aber in einem Punkt war sie sich ganz sicher. »Er hat Ihnen doch alles verziehen. Als Erster. Er würde sicher nicht wollen, dass Sie so etwas sagen. Wo er sich so darüber gefreut hat, dass Sie einen Scherz gemacht haben…« »Er hat einen Zwilling, wissen Sie«, erklärte Percy und musterte sie mit einem merkwürdigen Ausdruck in den blauen, traurigen Augen. Audrey fühlte, wie der blanke Horror in ihr aufstieg und sie wusste sofort, welcher von den Besuchern es gewesen war. Der junge Mann mit den toten Augen, der im Schneidersitz dort gesessen und mit dem Grab gesprochen hatte. »Er wird nie mehr derselbe sein. Ich bin sicher, dass meine Familie meinen Tod leichter hätte verarbeiten können, als seinen.« Audrey wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen, weil die Vorstellung von einem Zwillingspaar, dessen eine Hälfte so früh aus dem Leben gerissen wurde, sich schrecklich anfühlte. Und das nur aus Erzählungen. Wie furchtbar es für die Familie sein musste, konnte sie sich nicht im Geringsten vorstellen. »Ich bin trotzdem sicher, dass er nicht wollen würde, dass Sie so etwas sagen«, sagte sie mit erstickter Stimme und Percys Augen weiteten sich erschrocken, als er sah, dass ihr Tränen in den Augenwinkeln brannten. »Verzeihung, ich wollte Sie nicht zum Weinen bringen! Ich habe bestimmt irgendwo… Moment…« Audrey sah zu, wie er hektisch in seinen Hosen- und Jackentaschen nach einem Taschentuch kramte. Sie spürte eine absurde Lust bei diesem Anblick zu lachen. »Es geht schon. Wirklich. Ich komme mir dumm vor«, gab sie zu und wischte sich hastig über die Augen. »Wieso?«, fragte Percy verwirrt und hörte auf nach einem offenbar nicht vorhandenen Taschentuch zu kramen. »Weil Sie ihn doch verloren haben und nicht ich«, gab sie zurück und schluckte den heißen Kloß in ihrer Kehle hinunter, der sich dort gebildet hatte. Percys Arme schwangen unschlüssig in der Luft herum. »Es ist aber sehr nett… dass Sie so mitfühlen«, sagte er schließlich leise. Audrey schniefte. Sie fand sich selbst schrecklich peinlich und wusste ganz genau, dass ihre Wangen vor Verlegenheit rot glühen mussten. Dieses ganze Desaster war ihrer manchmal ausgesprochen lästigen Angewohnheit zuzuschreiben, dass sie Leuten helfen wollte. Immer. Wenn sie jemanden sah, der litt, dann wollte sie denjenigen trösten. Dieser Drang beschränkte sich leider Gottes nicht nur auf enge Freunde oder gute Bekannte. Und dieses Mal hatte Audrey sich selbst übertroffen und einem wildfremden jungen Mann auf dem Friedhof ihren Regenschirm aufgenötigt, nur um einige Zeit später mit ihm darüber zu sprechen, dass er den Tod nicht verdient hatte. »Es tut mir wirklich leid, dass ich über Dinge rede, von denen ich eigentlich nichts weiß«, murmelte sie kleinlaut. »Sie müssen sich nicht entschuldigen«, antwortete Percy. »Er hätte sicherlich genau dasselbe gesagt.« Sie hob den Kopf, warf Percy einen Blick zu und fragte sich, wie er wohl aussehen mochte, wenn er lächelte. 15. Oktober 1998 »Würden Sie einen Kaffee mit mir trinken?« Percys Brauen schossen in die Höhe und er schob seine Hornbrille ein wenig höher auf die Nase. Audrey konnte es nicht wirklich fassen, dass sie ihn gefragt hatte, aber sie konnte Percy Weasley gut leiden. Und es kam ihr merkwürdig vor, dass sie sich immer nur auf dem Friedhof unterhielten. Zugegebenermaßen, das war das Thema, über das sie meistens sprachen: Tod. Fred Weasley und Elisabeth Harriot. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber Audrey hatte das Gefühl, dass sie aneinander ein wenig heilten. Bei ihr konnte davon vermutlich viel eher die Rede sein, als bei Percy, immerhin hatte er seinen Bruder gerade erst vor ein paar Monaten verloren, aber trotzdem. Er sprach mehr, seine Hände waren nicht mehr dauerhaft zu Fäusten geballt und ab und an lächelte er beinahe ein wenig. Audrey wusste nichts über Percy Weasley, außer dass er in einem Krieg gekämpft hatte, dass er eine große Familie hatte und dass er sich sicher war, den Tod eher als sein Bruder Fred verdient zu haben. Manchmal lag sie nachts wach und versuchte sich vorzustellen, was er den ganzen Tag lang tat, wenn er nicht gerade auf dem Friedhof stand. Aber sie konnte es sich nicht wirklich ausmalen. Ihre einzigen Ideen zu Percy Weasleys Leben waren die, dass er sicherlich mit viel Papierkram arbeitete. Sie wusste nicht einmal genau, wieso sie das dachte. Aber sie konnte ihn sich gut an einem Schreibtisch vorstellen. »Oh…«, sagte er. Sie spürte, wie ihr heiß wurde und das trotz der kühlen Oktoberluft. »Verzeihung. Ich wollte nicht schon wieder so aufdringlich sein, es tut mir wirklich leid. Sie müssen nicht… es war nur ein Gedanke«, platzte es aus ihr heraus und sie war sich sicher, dass sie von jetzt ab nie wieder auf den Friedhof gehen konnte, wenn sie Percy Weasley am Grab seines Bruders stehen sah… »Ich würde gerne… äh… mit Ihnen einen Kaffee trinken gehen.« Audrey starrte ihn an. Percy Weasley starrte zurück, die Ohren feuerrot und die blauen Augen unsicher flackernd. »Oh. Ok«, gab sie ein wenig atemlos zurück und sie konnte nicht anders, auf ihrem Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. Percy sah irritiert aus und nun kroch das Rot auch seinen Hals hinauf. Audrey fand sein Erröten ziemlich liebenswert. »Wo möchten Sie–«, begann Percy, genau im selben Moment, als Audrey sagte: »Wann haben Sie–« Sie hielten beide inne und in diesem Augenblick geschah das Unfassbare. Percy Weasley lachte. Es war ein nervöses Lachen, ein unauffälliges Lachen. Eines, das klang, als würde es nicht besonders oft gelacht werden, aber Audreys Ohren sogen den Klang auf und ihr Gehirn speicherte das Geräusch ab. Sie hatte den klaren Eindruck, dass sie sich in diesem Herzschlag ein bisschen in den sonderbaren jungen Mann mit Hornbrille und offizieller Stimme verliebt hatte. 18. Oktober 1998 »Du hast eine Verabredung mit einem Mann, den du auf dem Friedhof kennen gelernt hast?«, fragte Olivia und ihre Stimme klang gleichzeitig ungläubig und etwas hysterisch. Audrey wandte sich zu ihrer kleinen Schwester um, die mit verschränkten Armen neben Audreys Kleiderschrank stand und eine argwöhnische Miene aufgesetzt hatte. Das war der Grund, wieso Audrey ihr bisher noch nichts von Percy erzählt hatte. Natürlich klang es ein wenig merkwürdig, dass sie und Percy sich auf dem Friedhof kennen gelernt hatten. Aber Olivias Blick ließ erkennen, dass sie fürchtete, Percy wäre irgendein wahnsinniger Axtmörder, der ihre ältere Schwester bei der nächstbesten Gelegenheit hinter einen Busch zerren und zerhacken würde. »Er ist wirklich sehr nett«, erklärte Audrey und betrachtete sich im Spiegel. Sie trug ein knielanges, grünes Wollkleid und eine warme Strumpfhose, dazu die Stiefel, die sie schon getragen hatte, als sie Percy das erste Mal auf dem Friedhof gesehen hatte. Ihre Nase war ein wenig zu lang, ihre Lippen zu schmal und ihre Augen sahen viel zu riesig aus in ihrem blassen, ovalen Gesicht. Aber das schien Percy Weasley nicht zu stören, denn er ging heute mit ihr einen Kaffee trinken. »Aber du hast ihn auf dem Friedhof aufgegabelt. Was, wenn er dir schmutzige Anträge macht?«, wollte ihre kleine Schwester wissen und schüttelte sich ihre langen, dunkelblonden Haare aus dem Gesicht. Sie hatte die braunen Augen ihres Vaters, wohingegen Audrey genauso aussah wie ihre Mutter. Audrey warf ihrer Schwester einen empörten Blick zu. »Er geht wie ein Beamter und er trägt eine Hornbrille«, sagte sie, als würde das irgendwie zu Percys Verteidigung beitragen. Olivia schüttelte den Kopf und seufzte. »Ich weiß auch echt nicht, was ich mit dir noch machen soll. Jahrelang willst du mit überhaupt keinem ausgehen und jetzt suchst du dir einen vom Friedhof. Meinst du nicht, dass du eigentlich eher einen brauchst, der deine Stimmung ein wenig auflockert?« Audrey musterte ihre Schwester nachdenklich. Zugegebenermaßen war ihre Laune in den letzten zwei Jahren nach dem Tod ihrer Mutter sehr verbesserungswürdig gewesen. Aber sie stellte fest, dass sie niemanden wollte, der sie auf Feiern schleifte, mit ihr wegging und versuchte, sie abzulenken. Sie wollte jemanden, der ihren Schmerz verstand und ihn vielleicht sogar teilte. Und genau das hatte sich in Percy Weasley direkt vor ihren Augen manifestiert. »Vielleicht lernst du ihn ja mal kennen, dann wirst du schon sehen, dass er vollkommen in Ordnung ist«, erwiderte sie beinahe ein wenig trotzig. Olivia verdrehte die Augen, kam aber zu ihr hinüber und fummelte kurz an Audreys Haaren herum, um ihren Scheitel zu richten. »Du bist doch jetzt schon total verknallt«, meinte sie. Audrey lächelte ein wenig verlegen und mit einem resignierten Stöhnen verließ ihre Schwester das Zimmer. Audrey blickte ihr ohne Bedauern nach. Sie hatte keinerlei Bedenken, was ihr Treffen mit Percy Weasley anging. Wie sich herausstellte, war Percy noch früher am vereinbarten Treffpunkt als sie. Und das, obwohl sie bereits zehn Minuten zu früh war. Er trug ein ziemlich merkwürdiges Tweedjackett, als wüsste er nicht so recht, wie man sich für eine solche Verabredung anzieht. Audrey ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie das scheußliche Jackett liebenswert fand. Sie standen in einer kleinen Seitenstraße – was in Ottery St. Catchpole gleichzusetzen war mit einer Gasse – vor einem Straßencafé mit dem in goldenen Lettern über der Glastür prangenden Namen Carrey’s. »Hallo«, sagte sie ein wenig nervös und nestelte an ihrem Mantel herum. Es war ein wenig neblig, der Himmel war grau und es sah wieder einmal nach Regen aus. Nicht, dass das etwas Neues wäre. »Guten Tag«, antwortete Percy ein wenig förmlich und wie so oft rückte er seine Brille auf der Nasenwurzel zurecht. Audrey hatte für sich beschlossen, dass dies ein Zeichen von Nervosität war. Genauso wie die roten Ohren. Er hielt ihr die Tür auf und sie huschte an ihm vorbei in das winzige Café mit den kleinen, runden Tischchen, den knautschigen Stühlen und den Lampions an der Decke, die den Raum in gemütliches Licht tauchten. »Ist ein Ecktisch in Ordnung?«, fragte sie und schälte sich sorgfältig aus ihrem Mantel. Percy nickte. Er wirkte ein wenig verloren in diesem Café, fast als hätte er noch nie eines von innen gesehen. Audrey hing ihren Mantel an einen verchromten Garderobenständer neben der Tür und beobachtete, wie Percy es ihr mit seinem Jackett gleichtat, dann folgte er ihr hinüber zu einem Tisch in der Ecke und ließ sich ihr gegenüber nieder. »Es sieht nicht so aus, als hättest du schon mal in einem Café gesessen«, scherzte sie, als sie sah, wie Percy interessiert den Kellner hinter der Theke musterte, der ein paar Gläser abspülte. »Ich gehe nicht so oft aus«, gab Percy zögerlich zu und warf ihr einen Blick zu. Audrey legte den Kopf schief und musterte ihn. Dann beschloss sie, dass sie mehr über das Rätsel namens Percy Weasley erfahren wollte und vielleicht war dies die einzige Möglichkeit, die sie bekommen würde. Womöglich fand Percy sie nach diesem Treffen komisch. Oder langweilig. Oder beides. »Ich kann mir dich als Soldat schlecht vorstellen«, gab sie zu. Percy blinzelte verwundert. »Ich bin kein Soldat«, antwortete er perplex. Audrey runzelte die Stirn. »Aber du hast vom Krieg erzählt«, meinte sie und erinnerte sich daran, wie Percy ihr erzählt hatte, dass Fred im Krieg gestorben war und Percy seinen Tod direkt miterlebt hatte. Percy sah einen Moment lang so aus, als würde er mit sich kämpfen. »Ich arbeite als… Sekretär«, erklärte er schließlich. Audrey hatte keine Ahnung, was es mit diesem Kriegssache auf sich hatte, aber offensichtlich wollte Percy nicht darüber reden. Also schob sie die verwirrten Gedanken beiseite. Und kicherte. »Was ist daran lustig?«, wollte er verwundert wissen. »Es ist nur… ich hab mir dich immer hinter einem Schreibtisch mit ganz viel Papierkram vorgestellt«, gab sie zu. In diesem Augenblick erschien der Kellner mit Halbglatze und einem freundlichen Lächeln an ihrem Tisch und erkundigte sich, was sie bestellen wollten. »Einen Cappuccino bitte.« Percy sah vollkommen überfordert aus. »Für mich dasselbe«, sagte er schließlich, als hätte er im Leben noch nie von einem Getränk namens Cappuccino gehört. Audrey fand ihn wirklich sehr merkwürdig. Und die Sache mit den Kriegserzählungen nagte an ihren Gedanken. Als der Kellner davon wackelte, wandte Percy sich ihr wieder zu. »Wo arbeitest du?«, fragte er und sah tatsächlich interessiert aus. »Meinem Vater gehört der Buchladen unten bei der Kirche. Harriot’s Bookstore. Ich arbeite mit ihm zusammen dort«, gab sie lächelnd zur Auskunft und sah Percys Augen aufblitzen. »Also liest du gern«, sagte er. Audrey nickte und fuhr sich verlegen durch die Haare. »Meine Schwester sagt, dass ich viel zu viel lese. Wenn ich so weiter mache, hab ich sicher bald den ganzen Buchladen ausgelesen.« Wie es sich herausstellte, las Percy ebenfalls gern. In seiner Familie war er das, was andere als Streber bezeichneten, und seine Brüder hatten ihn oft ausgelacht, weil er die Nase dauernd in irgendwelchen Wälzern gehabt hatte. Er hatte fünf – und die Verbesserung von sechs auf fünf tat Audrey in der Seele weh – Brüder und eine kleine Schwester. Audrey dachte an den jungen Mann mit den Narben im Gesicht. »Bill«, bestätigte Percy, als Audrey ihm davon erzählte. »Seine Narben sehen wirklich furchtbar brutal aus«, sagte sie behutsam. Percy nickte. Dann… »Eine… Kriegsverletzung.« Da war er wieder, der Krieg. Der Krieg, von dem Percy Weasley nicht reden wollte. Audrey hatte keine Ahnung, ob er sie anlog, oder ob sie das größere Bild des Puzzlestücks einfach nicht sehen konnte. Obwohl Audrey sich die ganze Zeit fragte, was es an Percy Weasley war, das keinen Sinn in ihrem Kopf machte, ertappte sie sich doch bei dem anhaltenden Gedanken daran, dass sie ihn wirklich mochte. Die steife, ungelenke Art, wie er Geschichten erzählte, die Brille, die in regelmäßigen Abständen auf der schmalen Nase nach oben geschoben wurde, die Sommersprossen und die unsicher flackernden, blauen Augen, wenn Audrey ihn anlächelte. Die roten Ohren, selbst die Tatsache, dass er aus einer schier riesigen Familie kam. Sie wusste genau, dass Olivia Percy merkwürdig finden würde. Vermutlich war er das. Aber Audrey störte sich nicht daran, sie war selbst schließlich auch nicht unbedingt das, was man normal nannte. »Cappuccino ist ein interessantes Getränk«, erklärte Percy, nachdem er den ersten Schluck genommen hatte. Audrey hob die Brauen. »Hast du noch nie einen Cappuccino getrunken?« Percy sah aus, als hätte sie ihn bei etwas erwischt, er rutschte nervös auf seinem Stuhl herum und räusperte sich. »Nein. Ich trinke für gewöhnlich…« Er hielt inne starrte in die leicht dampfende Tasse. »…nur Tee.« Als Audrey zwei Stunden später nach Hause kam, – Percy hatte ihr zum Abschied sehr höflich die Hand geschüttelt – wusste sie immer noch nichts Handfestes über Percy Weasley und es beschlich sie das leise Gefühl, dass Percy es genauso halten wollte. 23. November 1998 Audrey stellte fest, dass sie keine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit Percy hatte. Sie hatte keine Telefonnummer oder eine Adresse. Und auf dem Friedhof sah sie ihn den ganzen nächsten Monat nach ihrer Verabredung nicht mehr. »Ich hab dir ja gesagt, dass der Typ komisch ist«, erklärte Olivia streng und reichte ihrer Schwester einen Stapel Bücher, den sie daraufhin sorgfältig in ein Regal einzusortieren begann. Audrey seufzte. In diesem Moment wünschte sie sich, sie hätte Olivia nicht von Percy erzählt. »Was für ein Typ?«, ertönte eine Stimme am Ende der Regalreihe und ihr Vater steckte den Kopf um eine Ecke und musterte seine Töchter fragend und interessiert. Er war klein, etwas dicklich und hatte dieselben, dunkelblonden Haare wie seine jüngste Tochter. Auf der breiten Nasenspitze trug er eine Lesebrille, seine buschigen Augenbrauen waren in die Höhe gezogen. Audrey spürte, wie ihr augenblicklich Hitze ins Gesicht stieg und sie rammte eines der Bücher etwas heftiger als nötig in die Regalreihe vor ihr. »Nichts«, sagte sie. Olivia schnaubte. »Drey hat einen Kerl auf dem Friedhof aufgegabelt und er hat sich seit über einem Monat nicht bei ihr gemeldet, nachdem sie sich getroffen haben und sie weint ihm immer noch nach«, fasste Olivia die Situation ohne Rücksicht auf Audreys Verlegenheit zusammen. »Auf dem Friedhof?«, fragte ihr Vater verwirrt und schob sich zu seinen Töchtern in die enge Regalreihe. Das Licht hier hinten im Laden war nur gedämpft, es roch nach altem Papier, Leder und Staub. »Sein Bruder liegt zwei Reihen entfernt von Mum«, sagte sie und hörte selbst, wie patzig sie klang. Der Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters wurde etwas sanfter und er lächelte traurig. »Und er war nett, ja?«, fragte er und nahm Audrey ein paar Bücher aus der Hand. Olivia stöhnte ungläubig, quetschte sich an ihrem Vater vorbei und verschwand weiter hinten im Laden, um weitere Bücher auszupacken und einzusortieren. »Ja«, gab sie leise zurück und senkte den Kopf. »Ich bin sicher, dass er einen guten Grund dafür hat, sich nicht zu melden«, sagte ihr Vater aufmunternd und klopfte Audrey auf die Schulter, nachdem er die Bücher ins Regal gestellt hatte. Dann verschwand auch er und Audrey blieb seufzend zurück und beschloss, dass sie später noch auf den Friedhof gehen würde. Wie es sich herausstellte, war Percy auch an diesem Tag nicht auf dem Friedhof. Stattdessen tauchte ein junger Mann an ihrer Seite auf, den sie schon ab und an gesehen hatte und den sie sofort erkannte. »Hi«, sagte Fred Weasleys Zwillingsbruder in lässigem Ton. Er trug ausgeleierte Jeans und eine dicke Winterjacke. Wie Percy hatte er tiefe Ringe unter den Augen. »Hallo«, sagte sie unsicher und sah sich um. Wo war er so schnell hergekommen? »Ich bin George«, erklärte der junge Mann. Audrey räusperte sich. »Ich weiß«, gab sie verlegen zurück. Der Schatten eines Grinsens kroch über George Weasleys Gesicht. »Perce hat in den letzten Wochen eine noch miesere Laune als sowieso schon«, erklärte er schließlich und Audreys Herz legte einen Zahn zu, als sie Percys Namen hörte. »Nicht, dass er nicht sonst schon nervig genug wäre… und dass er momentan wieder bei Mum und Dad wohnt und wir ihn dauernd sehen müssen, macht’s auch nicht besser.« Audrey hatte keine Ahnung, wohin diese Erzählung führen sollte. Sie wusste auch nicht, ob es für George Weasley normal war, so über seinen älteren Bruder zu reden. »Es ist so, dass Perce immer schon ein bisschen vernarrt in Regeln war und es immer noch nicht wirklich gebacken kriegt, welche zu brechen. Fred hat sich garantiert im Grab umgedreht, als Perce erklärt hat, dass er dich nicht mehr treffen kann, weil es gegen die Regeln verstößt.« Audrey hatte keine Ahnung, was für Regeln das sein sollten und sie spürte gleichzeitig eine riesige Erleichterung und eine schwere Enttäuschung in sich aufflammen. Percy war ihr nicht aus dem Weg gegangen, weil er sie nicht leiden konnte, sondern weil es gegen die Regeln war. Welche Regeln auch immer. Allerdings schien er auch nicht wirklich darauf aus zu sein, diese Regeln zu umgehen, um sie weiterhin zu treffen. »Oh…«, war alles, was ihr dazu einfiel. George Weasley stopfte seine Hände in die Hosentaschen und betrachtete den Grabstein ihrer Mutter. »Er war viel erträglicher, als er sich mit dir getroffen hat.« Audrey schluckte schwer und verknotete ihre Finger. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie konnte sich kaum richtig darüber freuen, dass sie Percy offenbar tatsächlich ein wenig bei der Verarbeitung von Freds Tod geholfen hatte. Und ihr waren die Friedhofsbesuche mit ihm viel weniger einsam und traurig erschienen. Weder ihr Vater noch ihre Schwester mochten Friedhöfe und besuchten das Grab nur sehr selten. »Unsere Eltern haben ihr Haus hinter den Hügeln. Das schiefe mit dem großen Garten«, erklärte George und warf Audrey einen Blick von der Seite zu. Dann hoben sich seine Mundwinkel und es sah aus, als wäre er es früher einmal gewöhnt gewesen, viel zu grinsen. »Es wäre wirklich klasse, wenn du mal vorbei schaust. Du siehst auch sehr viel besser aus als seine letzte Freundin«, sagte er, zwinkerte ihr kurz zu und dann wandte er sich ab, als wäre er nur für diese Information auf den Friedhof gekommen und als Audrey sich hastig umdrehte, um ihn zu fragen, wann sie vorbei kommen sollte, – wenn sie es denn tatsächlich über sich brachte – war George Weasley bereits verschwunden. 2. Dezember 1998 Audrey atmete einmal tief durch und starrte das merkwürdig schiefe Gartentor an, das sie nun von einem ziemlich gewucherten Garten trennte. Der Rasen war sicherlich schon lange nicht mehr gemäht worden und er lag in der Kälte und dem Frost des Dezembers ein wenig blass auf dem Boden. Die Hecken waren hoch und nicht gestutzt, verschiedenste, laublose Büsche wuchsen an allen Ecken und Enden des Gartens. Weiter hinten sah sie ein paar Hühner herumlaufen. Auf einem krummen Holzschild stand in verschnörkelten Buchstaben der Namen ›Weasley‹. Über eine Woche hatte sie gebraucht, um sich mental für diesen Besuch zu rüsten. Und sie hatte sich vorgenommen, dass sie nur von Percy hören wollte, wieso er sie nicht treffen konnte. Mehr als eine Erklärung verlangte sie gar nicht. Mit zittrigen Fingern griff sie nach der Gartentorklinke und schob das Tor auf. Es knarzte recht geräuschvoll und Audrey versuchte angestrengt das Hämmern ihres Herzens zu beruhigen, als sie den Gartenweg entlang auf die Haustür zuschritt. Wie sie feststellen durfte, gab es keine Klingel. Also hob sie ihre Hand und klopfte zwei Mal gegen die Tür. Eine ganze Weile lang geschah überhaupt nichts, dann hörte sie ein Rumpeln, einen erstickten Aufschrei und im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet und ein rotgetigerter Kater mit merkwürdig eingedrücktem Gesicht rannte an ihr vorbei ins Freie. Audrey starrte ihm nach, bis ihr klar wurde, dass dort jemand im Türrahmen stand und sie fragend anblickte. Sofort stieg ihr die Röte ins Gesicht und sie wandte sich hastig dem jungen Mann zu, der dort erschienen war. Sie hatte ihn auf dem Friedhof gesehen. Er war groß, schlaksig, hatte eine lange Nase und jede Menge Sommersprossen. »Ähm… hallo«, sagte sie und hörte, wie ihre Stimme ein wenig zitterte. »Hallo«, gab Percys Bruder zurück – denn wer sollte es anders sein, er hatte dieselben roten Haare. »Ich wollte eigentlich… Percy besuchen«, sagte sie und spürte, wie ihr Magen einen Mehrfachsalto schlug. Der junge Mann blinzelte, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er wandte sich um und brüllte lauthals ins Haus hinein: »Percy! Du hast Besuch!« Audrey meinte leises Stimmgewirr aus dem Inneren des Hauses zu hören, aber bei Percys riesiger Familie war es wohl kein Wunder, wenn so viele Leute im Haus waren. »Was brüllst du hier so rum, Ron?«, ertönte eine ihr sehr bekannte und ausgesprochen streng klingende Stimme, »Ich versuche mich auf meinen Bericht für–« Percy erschien im Türrahmen. Sein Gesichtsausdruck entgleiste, als er Audrey erblickte, eine ungesund aussehende Röte kroch ihm den Hals hinauf und bis in die Ohren und er rückte augenblicklich seine Hornbrille zurecht. Audrey fiel in diesem Moment das erste Mal richtig auf, wie sehr sie ihn vermisst hatte. »Hallo! Ich wollte wirklich nicht stören, es tut mir wahnsinnig Leid, dass ich hier einfach aufkreuze, es ist nur, weil–« Sie brach ab und ihre Augen huschten zu Ron hinüber, der ausgesprochen interessiert und amüsiert hinter Percy stand und das Spektakel beobachtete. »Ron«, ertönte in diesem Moment eine tadelnde Frauenstimme von hinten, »das geht dich nichts an. Komm rein!« Ron wurde von hinten am Arm gezerrt und Audrey erhaschte noch einen Blick auf eine buschige, braune Haarmähne, ehe sie mit Percy ganz allein an der Tür stand. »Woher weißt du, wo ich wohne?«, fragte Percy ziemlich verdattert. Audrey schluckte. »George hat es mir verraten«, gab sie ehrlich zu und Percys Gesichtsausdruck verfinsterte sich einen Moment lang, dann seufzte er ergeben und sah sich etwas nervös um. »Es tut mir Leid, dass ich… mich nicht gemeldet habe«, sagte er steif und presste kurz seine Lippen aufeinander. »Es ist nur…« Audrey musterte ihn. Er sah auf einmal wahnsinnig gestresst aus. »Gegen die Regeln«, murmelte sie. Percy schwieg. »Sieh mal, es ist nicht so, dass ich dich nicht mehr sehen will«, brach es plötzlich aus ihm heraus und diesmal wurde sein ganzes Gesicht knallrot, »es geht einfach nicht. Ich meine… ich war in der Zeit als wir uns gesehen haben wirklich viel ruhiger und es war angenehm eine andere Gesellschaft als meine Familie zu haben, bei der ich immer irgendwie…« Seine Stimme wurde zum Ende hin immer leiser und eindringlicher. Audrey musste lächeln. »Bei der du immer dran denken musst, wie schuldig du dich fühlst«, beendete sie seinen Satz. Percy schluckte schwer und nickte. »Aber das ändert nichts daran, dass ich mich nicht mehr mit dir treffen kann. Es ist gegen die Vorschriften und…« Er brach erneut ab. »Was für Vorschriften sind das?«, fragte sie. Ihr Herz war ihr in die Hose gesunken und sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Sicher, sie war her gekommen, um eine Erklärung zu verlangen. Aber vielleicht hatte sie doch gehofft, dass Percy es sich anders überlegen würde. In ihrem Kopf hatte sie die Sache mit den Vorschriften immer wieder gewälzt und überdacht, aber ihr einfach nichts eingefallen, was dagegen sprechen könnte, dass sie sich trafen. Sie hatte auch wieder über die Sache mit dem Krieg nachgedacht und überlegt, ob es irgendetwas damit zu tun hatte. Natürlich war sie zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. »Das kann ich dir nicht sagen«, wehrte Percy ab. Sie wollte etwas erwidern, aber sie kam nicht dazu, denn in diesem Moment erschienen drei Leute in der Tür. George und die beiden Menschen, die sicherlich Percys Eltern sein mussten. Audrey erinnerte sich daran, wie sie sie an Freds Grab gesehen hatte. George grinste ziemlich zufrieden und vielleicht ein wenig verschlagen. »Percy, was soll denn das? Du kannst doch deinen Gast nicht in der Kälte stehen lassen«, sagte die kleine, rundliche Frau und streckte die Hände aus, um Audreys Ellbogen zu ergreifen. »Kommen Sie rein, junge Dame. Wir haben Kuchen und Tee«, sagte der große, dünne Mann mit Halbglatze freundlich und im nächsten Augenblick wurde sie durch einen kleinen Flur und in eine Küche bugsiert. »Aber… Vater!«, rief Percy ihnen hinterher. »Ich dachte, du hättest ein wenig über Regeln gelernt, mein Sohn«, hörte Audrey Percys Vater tadelnd sagen. Percys Mutter drückte sie unterdessen auf einen der Küchenstühle und sie sah sich plötzlich noch vier weiteren Leuten gegenüber. Ron und die junge Frau mit den buschigen Haaren, ein Mädchen mit roten Haaren und der junge Mann mit der runden Brille und grünen Augen saßen bereits am Tisch und lächelten oder grinsten ihr entgegen. Sie war schrecklich nervös und hatte keine Ahnung, in was sie sich da hinein geritten hatte. »Es ist wirklich… ich bin nicht sicher…«, hörte sie Percys Gestammel hinter sich. »Halt die Klappe Perce«, sagte George, »sei froh, dass dich überhaupt eine haben will.« »George!« »Was denn, Mum? Ist doch wahr…« Audrey sah sich umringt von Percys Familie. Er hatte sich stocksteif neben ihr auf den Stuhl sinken lassen – sein Vater saß nun auf ihrer anderen Seite – und seine Ohren waren so dunkelrot, dass Audrey sich fragte, ob sie wohl gleich in Flammen aufgehen würden. »Das ist Audrey«, sagte Percy schließlich. »Audrey, das sind meine Eltern, Harry, Ginny, Ron und Hermine. George kennst du ja bereits.« Bei den letzten Worten warf er seinem jüngeren Bruder einen ausgesprochen giftigen Blick zu, doch George blieb vollkommen unbeeindruckt. »Hier, nimm dir ein Stück Kuchen«, sagte Mrs. Weasley und schob ihr einen Teller hin. Sie bekam Tee eingegossen und spürte nun acht Paar Augen auf sich gerichtet. Wenn sie sich richtig erinnerte, waren das noch nicht einmal alle Weasleys. Zwei fehlten noch. Sie hatte noch nie jemanden mit einer so riesigen Familie kennen gelernt. »Also, Audrey«, sagte Percys Vater und rutschte mit seinem Stuhl ein Stück näher zu ihr. Seine Augen leuchteten aus irgendeinem Grund ausgesprochen begeistert. »Was tust du so in deiner Freizeit?« Audrey warf Percy einen Blick zu, dann holte sie Luft und begann zu erzählen. Wenn sie schon einmal hier war, dann konnte sie auch Percys Familie kennenlernen. Und vielleicht überlegte er es sich in der Zwischenzeit mit seinen Regeln noch einmal anders. Womöglich bildete sie es sich ja nur ein, aber sie meinte, Percy kaum merklich lächeln zu sehen, als sie seinem Vater erklärte, dass sie in einem Buchladen arbeitete. 2. Mai 1999 Audrey war sich nicht sicher, was genau Percy dazu bewogen hatte, die Regeln über Bord zu werfen. Ihre Vermutung war, dass es der Zuspruch seiner Familie gewesen war. Vor allem George und Mr. Weasley schienen ziemlich motiviert dabei zu sein, Percy davon abzuhalten, den Regeln zu folgen. Bis heute hatte sie nicht herausgefunden, um was für Regeln es sich handelte. Sie hatte nach diesem Tag im letzten Jahr im Dezember nicht mehr nachgefragt und Percy hatte die Regeln nicht mehr erwähnt. Audrey wusste nicht, ob er sie umgangen hatte, oder ob er sie noch befolgte. Da sie sie nicht kannte, würde sie es womöglich niemals erfahren. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wie lange sie sich noch damit zufrieden geben konnte, dass Percy ihr offenkundig etwas verheimlichte. Dummerweise hatte sie sich nämlich Hals über Kopf in den jungen Mann mit Hornbrille verliebt. Das war nicht geplant gewesen, aber wenn sie jetzt zurück blickte, dann war ihr klar, dass es schon ganz am Anfang ein Spiel mit dem Feuer gewesen war. Eigentlich hatte sie es auch schon vor einiger Zeit gewusst, aber ihr war nicht klar gewesen, wie schlimm es sie erwischt hatte. Mittlerweile trafen sie sich nicht nur noch auf dem Friedhof. Percy hatte sich an Cappuccino gewöhnt, auch wenn er immer noch manche Dinge, die für sie vollkommen normal waren, betrachtete, als kämen sie aus dem Weltall. Sie hatte sogar eine Telefonnummer von ihm erhalten und sie telefonierten mehrmals die Woche. Audrey hatte keine Ahnung, ob Percy sie genauso sehr mochte, wie sie ihn. Sie redeten immer nur miteinander. Aber das war ihr lieber, als überhaupt keinen Kontakt zu ihm zu haben. Audrey mochte das Gefühl sich einzubilden, dass Percy ein wenig lockerer geworden war. Sie hatte ihn sogar ein paar Mal zum Lachen gebracht. Er war nun nicht mehr der einzige, der allein zu Freds Grab ging, sie gingen jedes Mal gemeinsam hin. Sie begleitete Percy zum Grab seines Bruders, er begleitete sie zum Grab ihrer Mutter. Sie wusste immer noch kaum etwas über Percy, aber sie hatte einen ungefähren Eindruck erhalten, als er ihr zum Beispiel berichtet hatte, dass er früher auf einem Internat gelebt hatte und dort Vertrauensschüler und später sogar Schulsprecher gewesen war. Audrey mochte seine Familie und es hatte sich heraus gestellt, dass Olivia Percy gar nicht so übel fand, wie erwartet. Ihr Vater hatte sich vor Begeisterung beinahe überschlagen, als er Percy eine halbe Stunde allein im Laden gelassen hatte, damit er sich umsehen konnte, und danach alles so ordentlich gewesen war, wie nie zuvor. Es war der zweite Mai und Audrey hatte sich für Fred Weasleys Todestag ein wenig Sonne gewünscht. Leider Gottes war ihre Bitte nicht erfüllt worden und sie hatte voller Optimismus ihren Regenschirm zu Hause gelassen. Als es anfing zu regnen seufzte sie, blickte einen Augenblick in den Himmel und dann wieder auf den Grabstein vor sich. Im nächsten Moment tauchte ein Regenschirm über ihrem Kopf auf und sie blinzelte verwundert. »Du hast deinen Schirm vergessen«, sagte Percy und sah zu ihr hinunter. Sie seufzte. Mittlerweile zuckte sie kaum noch zusammen, wenn er einfach aus dem Nichts auftauchte. »Ja, ich dachte, dass vielleicht die Sonne scheint«, gab sie ein wenig betrübt zurück. Percy musterte sie, dann räusperte er sich und er klang, als würde er gleich eine offizielle Rede verlesen. »Ich muss mit dir sprechen«, sagte er und es hörte sich wirklich sehr förmlich an. Audrey musste lachen und Percy sah sie verwirrt blinzelnd an. »Was denn? Willst du mir verraten, wie du jedes Mal so aus dem Nichts auftauchst, oder was es mit dem Krieg auf sich hat?«, gab sie amüsiert scherzend zurück. Percy erstarrte. »Woher weißt du das?«, gab er perplex zurück. Audreys Lachen blieb ihr im Hals stecken und ihre Augen weiteten sich, während ihr Herzschlag sein Tempo verdoppelte. »War nur geraten«, sagte sie und ihre Stimme klang eher wie ein ängstliches Fiepen. Percy räusperte sich erneut und es schien, als würde er unter dem Regenschirm etwas näher zu ihr rücken. Audrey kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, dann hakte sie sich zögerlich bei Percy ein. Er hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, aber die Worte schienen ihm nicht über die Lippen kommen zu wollen. Er warf einen unsicheren Blick zu ihr hinunter und holte tief Luft. »Also… es ist kompliziert und ich könnte es durchaus verstehen, wenn du danach nicht mehr mit mir reden willst, weil ich dir wie ein Wahnsinniger vorkomme…« Audrey kicherte. »Kann ich mir nicht vorstellen. Fred wäre vermutlich wütend auf mich, wenn ich dich hier einfach so stehen lasse«, meinte sie und warf dem Grabstein einen Blick zu. Percy folgte ihrem Blick und ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Züge. »Ja, vielleicht. Und er wäre sauer, wenn ich es dir nicht endlich erzähle. Also…« Und Audrey hörte zu, wie Percy Weasley für sie und seinen verstorbenen Bruder die Regeln brach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)