Zimt von Hyoura ================================================================================ Kapitel 1: Salonschlägerei -------------------------- Glasscherben knirschten unter Gammas vom Wüstensand verstaubten Stiefeln, als er über irgendeine der armen versoffenen Seelen stieg, die jemand durch das Fenster aus der Bar geworfen hatte. Die Schwingtüren hingen schief in den Angeln, eine krachte zu Boden, als er dagegen stieß. Das Splittern des Holzes wurde vollkommen von der Geräuschkulisse innerhalb der Bar verschluckt. Laute Rufe, das Geräusch splitternder Biergläser, Mobiliar, das gegen Wände oder Köpfe geschmissen wurde. Irgendjemand stieß gegen das bereits mehrfach durchschossene Klavier und eine Reihe von Missarkorden hallte schrill durch den Raum. Urplötzlich tauchte vor ihm ein Mann auf. Seine Kleidung war mehr oder weniger zerrissen, und der alkoholreiche Atem aus dem Mund voller gelber, schiefstehender Zähne ließ Gamma die Nase rümpfen. Den schlecht gezielten Hieb fing er mit einer Hand ab und schmiss ihn in ein sich prügelndes Menschenknäuel, von dem er sofort niedergetrampelt wurde. Ständig Pistolenkugeln oder anderen fehlgeleiteten Geschossen ausweichend, bahnte er sich seinen Weg durch die Schlägerei an den Tresen. Seelenruhig setzte er sich auf einen der Barhocker, der noch nicht zerstört worden war. In den Gestank von abgestandenem Bier und dem Schweiß der Leute um ihn herum mischt sich der Geruch von Zimt. Die um das Schwertblatt laufende Sägekette stoppte kurz vor dem Nacken des anderen, knapp über dem gesteiften Kragen, als er das leise Klicken der entsicherten Waffe kurz neben seinem Ohr hörte. Die metallene Pistolenmündung fühlte sich kalt an. Kalt wie die vielen toten Körper, die von einer Kugel aus dieser Pistole durchschossen worden waren. Er war so wütend gewesen, dass er fast auf dem Blut ausgerutscht wäre, dass aus den kleinen Löchern in Brust und Kopf ausgetreten war, als er den bereits geknackten Safe hinter sich gelassen hatte, in dem einst einer der Totenringe gewesen war. „Du bist also der, der auch hinter dem Ring her war. Ich habe dich aus dem Fenster gesehen“, fing der Träger der Pistole fröhlich an. „Ich habe dich auch gesehen. Du warst im Tresorraum im dritten Stock und hast mir den Ring geklaut“, erwiderte Gamma ziemlich angepisst. „Ich habe ihn nicht von dir geklaut. Immerhin war es nie deiner, sondern gehörte dieser unbedeutenden Bande von Ganoven, die vermutlich nicht einmal wussten, was er war“, wurde er berichtigt. „Ganoven, die du niedergeschossen hast. Du scheinst ein Händchen für so etwas zu haben.“ „Ah, vielen Dank für das Kompliment!“ „Gern geschehen. Vielleicht wärst du nun so nett, und würdest aufhören, mir deine Pistole in den Schädel zu drücken?“ „Tut mir leid, aber das geht leider, leider nicht. Ich bin wirklich untröstlich.“ „Kann man wohl nichts machen.“ Beide verfielen in Schweigen, während um sie herum die Schlägerei weiter tobte. Aus den Augenwinkeln beobachtete Gamma den anderen. Seine Kleidung hätte gut in die Kulisse einer der großen Städte gepasst, die in letzter Zeit an der Küste nur so aus dem Boden schossen. Hut, Brille mit einem eckigen Gestell, unauffälliger Anzug und Krawatte. An seinem Hocker lehnte ein schwarzer Koffer, der das Bild eines der typischen Businessmen abrundete. Effizient, unauffällig, sich im Hintergrund haltend, jemand, der leicht in der Menschenmasse in einer großen Stadt untertauchen konnte. Hier, inmitten eines kleinen Kaffs in der Wüste, fiel er auf wie ein ein bunter Papagei. Ein leichtes Lächeln lag wie festgeklebt auf seinem Gesicht. Schmale Finger schlossen sich um den Henkel einer Tasse, von der der Zimtgeruch kam, der Gamma die ganze Zeit schon in der Nase kitzelte. Ungeachtet der Tatsache, dass die rasiermesserscharfen Sägeblätter von Gammas Schwert nur Millimeten von seinem Genick entfernt waren, nahm er einen Schluck aus der Tasse. „Würdest du mir vielleicht deinen Namen verraten?“, fragte Gamma, als ihm das ganze Geschweige zu langweilig wurde. „Namen sind Schall und Rauch, wie man so schön sagt“, kam die Antwort. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wenn du mir deinen verrätst.“ „Akutabi Gamma.“ „C. T. Smith.“ „Sehr erfreut.“ Der Schuss löste sich aus der Pistole, aber es war bereits zu spät. Nutzlos prallte die Kugel an dem schwarzen Metall von Gammas Arm ab. Die Waffe selber fand ein schmächliches Ende als zusammengeknüllter Stahlball auf dem dreckigen Boden der Bar. Ohne große Mühe hob Gamma den schmächtigen und nun unbewaffneten Mann am Hemdkragen hoch, die Waffe nach wie vor kurz vor seinem Nacken. „Wo ist der Ring?“, zischte Gamma. Der Andere lächelte ihn an. „Sag ich nicht!“, erwiderte er keck. „Ach ja? Wir werden se-“ Weiter kam Gamma nicht, was vermutlich daran lag, dass just in dem Moment eine Kugel in seinen Bauch gefeuert wurde. „Oh“, entfuhr es ihm überrascht, als er den Kragen des anderen losließ und nach hinten taumelte. Allerdings nicht überrascht genug, um nicht gleichzeitig noch sein Schwert mit sich zu ziehen. Frustrierenderweise gelang es dem Anderen jedoch, sich über den Tresen zu schwingen, sodass die Sägekette lediglich eine klaffende Wunde in seinen Oberarm kurz unterhalb des Schultergelenks zog, anstatt sauber den Kopf vom Rest des Körpers zu trennen. „Ach nein, wie ärgerlich“, seufzte der Mann, der sich als Smith vorgestellt hatte, als er die aus der Mündung rauchende, zweite Pistole in die andere, noch bewegungsfähige Hand wechselte. Mehr neugierig als wirklich besorgt betrachtete er die stark blutende Wunde und probierte versuchsweise die Schulter zu bewegen, was aber kläglich misslang und ihn das Gesicht verziehen ließ. „Ärgerlich“, wiederholte er. „Du hast mein neues Jackett ruiniert.“ „Sah eh affig aus“, erwiderte Gamma. Auch er betrachtete das kleine Loch in seinem Unterleib. So wie es aussah würde ihn die Bauchwunde zwar behindern, und ihn dazu anhalten, sein Zeitfenster etwas zu verkleinern, da ansonsten der Blutverlust zu stark werden würde, allerdings konnte er noch ganz gut kämpfen. „Muss ich dich erst zu Boden schlagen, oder gibst du mir den Ring freiwillig?“, fragte er genervt. Er lehnte sich zur Seite und ein Bierglas pfiff an seinem Ohr vorbei und auf Smith zu. Ein Schuss und Glasscherben regneten zu Boden. Die zweite Kugel, die nicht für das Bierglas, sondern für Gamma bestimmt war, fing er mit dem Metallarm ab. Das schmale Lächeln, das schon die ganze Zeit auf dem Gesicht Smiths lag, verbreiterte sich leicht. „Der Mann mit dem Metallarm, Akutabi Gamma, der schwarzarmige Tod. Auf deinen Kopf sind 700.000 ausgesetzt, nicht wahr?“ „Da hat wohl jemand sein Hausaufgaben gemacht. Und wechsel nicht einfach so das-“ „Ein ziemlich nettes Sümmchen“, redete der andere weiter, als hätte er ihn nicht gehört. „Dafür wäre noch etwas Platz in meiner Brieftasche.“ „Sag bloß nicht, du gehörst zu diesem Pack von Kopfgeldjägern.“ „Keine Sorge, ich würde dich auch ohne Geld dafür zu bekommen, umbringen. Immerhin hast du meine Klamotten beschädigt.“ „Achherrje, ist das jetzt mit Landesverrat gleichzusetzen? Oh nein, welch schreckliches Verbrechen habe ich begangen?“ Anstatt eine Antwort zu geben, lächelte Smith nur weiter, wobei Gamma nicht sagen konnte, ob er das eher in die Sparte 'naiv' oder 'Verlust der Kontrolle über die Gesichtsmuskeln' einordnen sollte. Er tippte auf ersteres. Nun wurde es aber Zeit, den Kerl fertig zu machen. Der Geräuschpegel um ihn herum hielt immer noch an und langsam wurde es nervig, ständig aufzupassen, dass man nicht von irgendetwas oder irgendjemand getroffen wurde. „Dann pass mal auf, Freundchen“, setzte er grinsend an. Das Grinsen verschwand ziemlich schnell, genauso schnell wie sein Gegenüber, um genau zu sein. Er wirbelte herum und schaffte es nur mit Ach und Krach seinen Metallarm in die Schusslinie zwischen sich und Smiths Pistole zu bringen. Den unerwartet heftigen Tritt konnte er nicht mehr blocken und wurde mitten ins Getümmel geschmissen. Sofort erkannte die Meute ihn als unerwünschten Störenfried und wollte ihn niederknüppeln, was ihnen jedoch kläglich misslang. Einige Tritte und Schläge, sowie mehrere bewusstlose und/oder bewegungsunfähige Leute später stand Gamma wieder vor dem mysteriösen Smith-Typen, der ihn unbekümmert weiterhin anlächelte. „Dafür dass du so ein hohes Kopfgeld hast, hast du aber recht wenig drauf.“ „Halt die Klappe“, brummte Gamma ungehalten. „Warte nur bis ich dir dein gottverdammtes Grinsen aus dem Gesicht gewischt habe!“ „Ich denke kaum, dass jemand von deinem Niveau dazu in der Lage ist.“ „Ach ja?“ „Ziemlich.“ „Wirklich?“ „Wer von euch beiden Spaßvögeln hat meinen Ring geklaut???“ „Wirklich.“ „Tatsache?“ „Hey, ich rede mit euch!!!“ „Tatsache.“ „Glaub ich dir nicht.“ „Hört auf, mich zu ignorieren!!!“ „Wirst schon sehen.“ „Ach, werd' ich das?“ „Ihr verdammten...!“ „Wirst du.“ „Ich bezweifle das stark.“ Das Schwert, das in seiner Breite mit dem Baumstamm einer hundertjährigen Eiche gleichzusetzen war, krachte in den Holzboden zwischen den Füßen von Smith und Gamma. Der Träger der Waffe, der ungefähr dieselben überdimensionalen Ausmaße wie sein Schwert hatte, starrte wütend auf die beiden Kontrahenten hinab. Dieses eigentlich angsteinflößende Bild wurde erheblich durch die Tatsache gestört, dass der Riese seinen halben Oberkörper an die Decke anschmiegen musste, um in dem Salon stehen zu können. Während Gamma den mörderischen Blick nur kühl erwiderte und Smiths Gesichtsausdruck sich nicht im geringsten veränderte, verkroch sich der Rest der Saloninsassen möglichst weit weg von der Gruppe in den hintersten Ecken des Raumes. Jeder Fluchtversuch aus Fenstern oder Türen wurde von einem Haufen bewaffneter Männer, die offensichtlich zu dem Riesen gehörten, sofort verhindert. „Wer. Von. Euch. Beiden. Hat. Den. Ring. Geklaut?“, zischte der Riese zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. „Er“, sagten beide unison und zeigten auf den jeweils anderen. Die schwarzen Schweinsäuglein den Riesen flackerten zwischen ihnen hin und her. „Ist ja eigentlich auch egal“, murmelte er wie zu sich selbst. „Schießt sie nieder!“, brüllte er seinen Männern zu, die dem Befehl nur allzu gerne nachzukommen schienen. Gamma fackelte nicht lange. Mit einem Satz war er auf dem Tresen, während ihm die Kugeln um die Ohren flogen, streckte den Arm, der das Kettensägenschwert hielt nach oben und sprang mit unmenschlicher Kraft hoch. Die morsche Holzdecke bildete so gut wie keinen Widerstand gegen die rasenden Zähne, allerdings regnete eine beträchtliche Menge an Holzsplittern auf Kleidung, Gesicht und Haar von Gamma. Geradezu sanft landete er auf dem Boden des zweiten Stockes und sprang sofort mit einem Satz zur Seite, was sich als ziemlich kluge Entscheidung herausstellte, da die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, von Kugeln durchsiebt wurde. Rechts von sich sah er eine Treppe die hinauf führte. Mehrere Stufen auf einmal nehmend sprang er sie hinauf und erreichte den Dachboden. Von unten herauf ertönte das Getrappel einer beachtlichen Zahl von Fußpaaren. Hektisch sah Gamma sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Ein kräftiger Tritt, und die Luke die auf dem Dach angebracht worden war, sprang mit einem empörten Quietschen auf. Als die Meute mit entsicherten Pistolen den Dachboden erreichte, war von Akutabi Gamma keine Spur mehr zu sehen. Gamma hüpfte flink wie ein Wiesel von Dach zu Dach. Unter sich auf der Straße sah er Menschen aus dem Salon schwärmen und duckte sich schnell hinter eine Fassade, doch seine Sorge war unbegründet. Keiner von ihnen kam auch nur auf den Gedanken hochzusehen und so wogte die Masse der Köpfe an ihm vorbei. Bereits nach kurzer Zeit schien es aber so, als ob sie die Suche aufgegeben hätten und in einem Pack verließen sie die kleine Stadt. Gamma fischte sich Holzsplitter aus den Haaren und wartete noch zehn Minuten, bis er sich sicher war, dass seine Verfolger nicht so schnell wiederkommen würden. So erhob er sich schließlich von seinem Versteck und an der Rückseite des Hauses hinunter. Gerade richtete er sich auf und klopfte sich den Staub aus der Hose, da hörte er das metallische Klicken einer entsicherten Pistole. Langsam drehte er sich um und blickte in ein vertraut grinsendes Gesicht. Heute lief aber auch gar nichts gut. Gamma lehnte sich in exakt dem Moment zur Seite, in dem der Schuss ertönte. Die Kugel sauste knapp an seinen Kopf hinweg und knallte in den Bretterverschlag der hinter ihm stand. Den metallenen Arm als Schutzschild benutzend stürzte sich Gamma gerade heraus auf seinen Angreifer. Der Versuch, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen scheiterte, als Smith seinen Arm hochzog und ihn vor Gammas rechtem Haken rettete. Dafür landete er einen Treffer mit der anderen Faust auf die verletzte, linke Schulter. Mit einiger Genugtuung hörte Gamma, wie sein Gegner scharf die Luft einsog. Er setzte zum nächsten Schlag an, diesmal mit dem metallenen Arm, da kollidierte ein hochgezogenes Knie mit seinem verletzten Unterleib. Nun war es an Gamma, ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen von sich zu geben. Er taumelte nach hinten während er versuchte sich zu fangen. Auch Smith schien nichts gegen ein bisschen Abstand zu haben, die Hand, die zu seinem unverletzten Arm gehörte hielt die nun wieder stark blutende Schulterwunde. Die kurze Atempause nutzte Gamma, um seine Waffe zu ziehen, die mit einem dumpfen Röhren zum Leben erwachte, als er an der Leine zog. Mit einem Satz sprang er nach vorne, mit dem Schwert zum Schlag ausholend. Er stoppte den Schwung nur Millimeter vom Hals des anderen, als er das kühle Metall der Pistole fühlte, das an seine Schläfe gepresst wurde. „Hatten wir das heute nicht schon einmal?“, knurrte er genervt, sein Blick bohrte sich in die belustigt blitzenden Augen Smiths. „Kann sein, mich beschleicht da ein leichtes Déjà-vu Gefühl…“ „Déjà-vu-Gefühl, dass ich nicht lache“, schnaubte Gamma. „Wie auch immer.“ Das Blitzen verschwand, an seiner Stelle trat Ernst. „Ich habe dir einen Deal vorzuschlagen.“ Kapitel 2: Wüstensand --------------------- Der scharfe Wind wirbelte Staub auf, der in Gammas Nase flog und ihn kitzelte. Mit eiserner Willenskraft hielt er sich davon ab nicht zu niesen. Sie waren irgendwo mitten in der weiten Prärie, gut 5 Kilometer von dem kleinen Örtchen entfernt, dessen Salon nun sicherlich dringend eine Renovierung nötig hatte. Sie standen so dicht beieinander, dass Gamma praktisch die Wärme Smiths spüren konnte, aber vor allem hatte er die ganze Zeit diesen verdammten Zimtgeruch in der Nase, von dem ihm langsam übel wurde. Außerdem wurde langsam sein Arm mit dem Messer, das er an Smiths Kehle hielt, lahm. Der Lichtschimmer in dieser Situation war, dass vielleicht auch irgendwann Smiths Arm lahm wurde, der die Pistole gegen seine Schläfe drückte. Ursprünglich war Gamma sehr gegen diese ganze Chose gewesen. Smith hatte ihm eine Partnerschaft vorgeschlagen, wollte die näheren Umstände aber nur abseits anderer Menschen besprechen. Das Ganze war eigentlich der Bilderbuchspruch von einer Falle gewesen, bis auf die Tatsache, dass Smith ihm keinen Lutscher angeboten hatte. Drauf und dran, dieses vollkommen verrückte Angebot höflich und mit einer kleinen Aufmerksamkeit in Form eines Schlages mit seinem Schwert auszuschlagen hatte er bereits den Mund geöffnet, als Smith ganz nebenbei die Tatsache daherplapperte, dass es die Chance gäbe, an einen Totenring zu gelangen. Gamma, dessen Mutter ihm nie gesagt hatte, dass man sich von keinen fremden Leuten mitnehmen lassen sollten, auch wenn sie einem Süßigkeiten anboten, hatte jegliche vernünftige Bedenken in den Wind geschlagen, sich gesagt, dass ein Leben ohne Risiko langweilig wäre und zusammen mit Smith den Ort verlassen, stets darauf bedacht, ihm nicht den Rücken zu zuwenden. Als sie schließlich halt gemacht hatten, war er seinem ersten Gedanken gefolgt, nämlich dass es im Falle einer Falle nicht schlecht sein würde, eine Geisel zu haben. Also hatte er eines seiner versteckten Messer gezückt und sie Smith an den Hals gehalten. Blöderweise war besagter Mann anscheinend nicht so blöd, wie sein blödes Grinsen zu vermuten ließ und hatte ihm seine Pistole an die Schläfe gepresst. Langsam wurde Gamma das ganze echt zu blöd. „Also“, sagte Smith schließlich. „Ich habe dir einen Deal vorzuschlagen.“ ‚Sag bloß!’, dachte Gamma, behielt weitere Kommentare aber für sich. „Für diesen Vorschlag wäre es überaus praktisch, wenn du das Messer von meiner Kehle nehmen würdest.“ Gamma zog überaus skeptisch eine Augenbraue empor, konnte aber nicht umhin als zu merken, dass die Argumentation Smiths eine gewisse Logik hatte. „Wenn du die Pistole wegnimmst.“ „Okay.“ „Okay.“ „Dann… auf drei – Eins… Zwei… Drei!“ Keiner der beiden machte auch nur Anstalten, die Waffe wegzustecken. „Wirklich, das verletzt mich jetzt zutiefst.“ Smith zog eine beleidigte Schnute. Bevor Gamma anfangen konnte, Smith zu erklären, wieso ihm seine beleidigten Gefühle noch egaler als wirklich scheißegal waren, unter Zuhilfenahme eines Vokabulars, das sich gewaschen hatte, war Smith verschwunden. Zum nicht ersten Male an diesem Tag hatte Gamma ein starkes Déjà-vu-Gefühl. Panisch blickte er sich um nur um festzustellen, dass Smith sich keine zehn Meter von ihm auf einen Stein gesetzt hatte, die Pistole irgendwo in seinem Jackett verstaute und ihn nun leicht erwartungsvoll ansah. Gamma, der realisierte, wie bescheuert es aussehen musste, wie er dort mit dem Messer in der Hand die Luft bedrohte senkte den – mittlerweile schmerzenden – Arm. Seinen besten ‚Ich bin angepisst, ärger mich weiter und du stirbst’-Blick aufsetzend verschränkte er die Arme vor der Brust. Zugegebenermaßen, was Smith tat, war nicht unvernünftig. Allerdings hatte Gamma Kopfweh, der Ring war ihm durch die Lappen gegangen und der aufdringliche Zimtgeruch wollte einfach nicht aus seiner Nase verschwinden. Ruhe und Geduld gehörten wirklich nicht zu seinen Stärken. Gamma atmete tief durch, zum einen, um sich zu beruhigen, und zum anderen, um den Zimtgeruch loszuwerden – ohne Erfolg. „Also, der Deal.“ „Also, der Deal“, sagte Smith und strich die leicht zerfledderte Karte glatt. „Wir befinden uns… hier.“ Er deutete mit dem Finger auf einen Fleck im Nichts, unweit von etwas, das wohl aussehen sollte, wie eine Ansammlung von Häusern und den Namen „Mitheton“ trug; das Kaff, aus dem sie gekommen waren. „Und wir müssen… dorthin.“ Smith deutet auf einen weiteren Fleck im Nichts, der ein erhebliches Stück im Westen vom ersten Fleck lag. „Und was genau ist dort?“ „Das Hauptquartier der Equiros. Eine der blutrünstigsten, einflussreichsten Banditenbanden im-„ „Ich weiß, wer die sind!“ „Die Basis liegt also gerade mal fünf Kilometer von uns entfernt. Und sieht ungefähr so aus...“ Mit dem Zeigefinger begann er, Umrisse eines Gebäudes in den Wüstensand zu zeichnen. Herauskam eine Art U-förmiger Komplex mit zwei auseinanderliegenden Strichen an der unteren Seite im Innern des Us. „Was ist das da?“, fragte Gamma und deutete auf einen der beiden Striche. „Der Eingang?“ Smith blickte ihn an, als ob er gerade eben behauptet hätte, Schweine könnten fliegen. „Weitere Fragen?“ Als Gamma schwieg, stand Smith aus seiner Hockestellung auf und wischte sich den Staub aus der Kleidung. „Dann können wir ja los.“ „Ist das alles an Informationen, was du hast?!“ Smith guckte ihn an. „Also, ich finde, dass ist schon echt viel!“ „Alles was du weißt ist, wo das Ding liegt und das es aussieht wie ein U! Zu mehr reicht's nicht?“ „Ich hab dort die Eingänge eingezeichnet, ja?“ Gamma schnaubte nur. „Keine Sorge, alles andere sehen wir schon vor Ort.“ Smith grinste ihn auf diese ihm eigene merkwürdige Art an. „Oder hast du noch nie etwas von improvisieren gehört?“ Wenn Gamma so nachdachte, fiel ihm auf, dass er eigentlich bei solchen Angelegenheiten nie etwas anderes tat als improvisieren. Aber das würde er Smith garantiert nicht auf die Nase binden. Das Hauptquartier der Equiros hatte genau wie Smith es gesagt hatte, einen U-förmigen Grundriss. Um das Gebiet war ein Zaun mit Stacheldraht gezogen und vereinzelt sah man bewaffnete Wachen herumstehen. Ansonsten handelte es sich einfach nur um einen hässlichen Betonklotz, der so aussah, als hätte irgendein Riese ihn dort willkürlich hingeschmissen und vergessen, ihn zu vergraben oder sonst vor der Welt zu verstecken. Sie hatten sich hinter einer mannshohen Felsformation versteckt, bei der der scharfe Wind es noch nicht geschafft hatte, es dem Erdboden gleichzumachen. Dafür schaffte der Wind es, Gamma Sand in Augen, Nase, Ohren und jegliche Spaltöffnung seiner Klamotten zu pusten. „Um da reinzukommen, müssen wir zeitgleich diese beiden Schlüssel hier an zwei unterschiedlichen Türen umdrehen.“ Smith ließ einen Schlüssel vor seiner Nase baumeln. „Danach-“ „Moment mal, Schlüssel?“ „Damit schließt man Sachen auf, falls du das mei-“ „Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass du das vielleicht etwas früher hättest erwähnen können?“ Smith überlegte kurz. „Nö“, erwiderte er und grinste breit. Gamma stand kurz davor, seinen Kopf gegen einen der Steine zu hauen. „Deshalb brauchtest du also einen Partner?“ „Ganz genau!“ „Okay, okay, ich verstehe...“ Gamma fuhr sich geschafft durch die weißen Haare. „Und was dann weiter?“ „Improvisieren natürlich!“ Gamma hieb seinen Kopf gegen den Stein. Kapitel 3: Weiße Wände ---------------------- „Stehen bleiben!“, schrie eine Stimme aus der Meute schießwütiger Banditenmitglieder. Gamma bemühte sich, noch etwas schneller zu rennen. Schlecht gezielte Pistolenkugeln flogen ihm um die Ohren und in die weiß geputzten Wände. Glücklicherweise waren sie weit hinter ihm und keines der Geschosse traf ihn. Er bog um eine Ecke der scheinbar endlosen Korridore – und erkannte, dass er in eine Sackgasse gerannt war. „Scheiße!“ Hektisch sah Gamma sich um, doch nirgendwo gab es eine Fluchtmöglichkeit. Die Wände schienen ihn in ihrer Fenster- und Türenlosigkeit auszulachen. „Welcher Idiot hat hier eine Mauer hingestellt?!“ Könnten Blicke töten wäre die tote Mauer vermutlich noch... töter. Das Krachen einiger verirrter Pistolenkugeln hinter ihm richtete seine Aufmerksamkeit wieder zurück auf seine Verfolger, die sich, nach dem Fußgetrappel zu urteilen, in einem eiligen Tempo näherten. Endlich einsehend, dass es keinen Ausweg gab, schmiss Gamma sein Kettensägenschwert an. Das Knattern echote mit einer brutalen Lautstärke durch die akustisch nicht vorteilhaft designten Korridore. Bereit, dem ersten Unglückseligen den Kopf abzuschlagen, der um die Ecke kommen sollte, wartete Gamma. Und wartete. Und wartete. Und niemand kam. Probeweise steckte er seinen Kopf um die Ecke, um zu sehen, was seine Opfer da trieben. Sofort zog er ihn wieder zurück und drei weitere Kugelkrater gesellten sich zu ihren Kollegen an der Wand, genau auf der Höhe, auf der sein Kopf gerade eben gewesen war. „Sag mal, spinnst du?“, brüllte er von seinem sicheren Gang aus. „Sorry.“ Das dämliche Grinsen ließ sich schon praktisch an der Stimme heraushören. „'Türlich... Jetzt mal echt, was schießt du auf deinen eigenen Partner?“ „Du bist doch ausgewichen“, kam die unschuldig klingende Antwort. „Und was, wenn ich es nicht getan hätte?“ Smith kam gerade rechtzeitig um die Wandecke, dass Gamma sehen konnte, wie das Grinsen einem ernsten Gesichtsausdruck wich. „Dann wärst du nicht mein Partner.“ Gamma legte den Kopf schief. „Okay, logisch. Aber-HEY, hör mir gefälligst zu!“ Smith war an ihm vorbeigegangen und begann nun systematisch die Wand abzutasten. Prüfend klopfte er gegen den Putz und machte ein zufriedenes Gesicht, als er zur Antwort ein für eine massive Wand unüblich hohles Geräusch erklang. „Hohl, würde ich sagen“, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, als würde er die Erfindung des Jahrhunderts präsentieren. „Wahnsinn.“ Der Sarkasmus troff nur so aus Gammas Stimme. „Och, Gamma, nun zeig doch mal etwas mehr Begeisterung.“ Gammas böser Blick prallte wirkungslos an Smiths unschuldiger-Engel-Gesicht ab. Smith fing an, in seiner Aktentasche herumzukramen. Zutage förderte er einen merkwürdig aussehenden Kasten mit einer Menge Drähte, Knöpfchen und anderem Schnickschnack daran. „Was ist das?“, fragte Gamma misstrauisch. Es war von Smith, also konnte es nur irgendetwas merkwürdiges und vermutlich gefährliches sein. Smith drückte einen der Knöpfe und das zuvor matte Display, das Gamma unter dem ganzen Kabelgewirr nicht bemerkt hatte, erwachte zum Leben und ließ beunruhigen schnell herunterlaufende Zahlen im roten Licht erscheinen. Smith stand auf und rannte los. „Das ist eine Bombe!“, rief er noch über die Schulter, da war er auch schon um die Ecke verschwunden. Gamma warf einen kurzen Blick auf das Display: Die eckigen Zahlen passierten gerade die 5 Sekunden Marke. Mit drei großen Schritten war er an der Ecke und schmiss sich bäuchlings zur Seite auf den Boden des abzweigenden Ganges, Hände auf beide Ohren pressend. Die Sekunden verstrichen, doch keine markerschütternde Explosion ließ das Gebäude in seinen Grundfesten erbeben. Als auch nach einer Viertelminute nichts passiert war, nahm Gamma vorsichtig die Hände von den Ohren und richtete sich auf. Smith löste sich von der Wand, an die er sich mit dem Rücken gepresst hatte und tat einige zögerliche Schritte in Richtung des Bombenkorridors. Gamma folgte ihm und zusammen linsten sie um die Ecke. Die Bombe lag unschuldig auf dem Boden, genau dort wo Smith sie gelassen hatte, das Display wieder matt und zahlenlos wie vorher. „Tja, Fehlzündung würde ich mal sagen“, sagte Smith fröhlich. Gamma fragte sich, ob es überhaupt möglich war, irgendwelche anderen Emotionen bei ihm zu beobachten. Wenn man mal von den gelegentlichen Lichtblicken in Form von Ernsthaftigkeit absah. „Und was machen wir jetzt mit dem Ding?“, fragte Gamma. „Also, es kann sein, dass wenn es sich bewegt, es dann hochgeht...“ Smith tippte sich mit einem Finger gegen das Kinn. „Aber sonst geht’s dir noch gut!?“ „In der Tat, danke der Nachfrage.“ Gamma seufzte. Bedacht darauf, einen großen Bogen um die Bombe zu machen ging er zu der vermuteten Fakewand. „Was genau hast du vor?“, fragte Smith interessiert. Gamma atmete einmal ruhig durch und versuchte, Smiths Geplapper so gut wie möglich auszublenden. Sich nur noch auf die richtigen Bewegungen und Gewichtsverlagerung konzentrierend holte er mit dem Metallarm so weit wie möglich aus und schlug ihn in die Mitte der Wand. Diese gab nach wie dünnes Glas und zerbröckelte. „So geht’s natürlich auch“, meinte Smith und betrachtete das knapp mannshohe Loch, das nun die Wand zierte. Gamma war kurz davor, einen passende Antwort zu geben, besann sich dann aber eines besseren und kletterte ohne weitere Wörter zu verschwenden durch den neuen Durchgang, Smith an seinen Fersen. Hinter dem Loch lag ein Korridor, der dem davor zum verwechseln ähnlich sah, bis auf die Tatsache, dass an seinem Ende eine massive Stahltür eingebaut war. „Der Innenarchitekt gehört gesteinigt“, grummelte Gamma. „Ist es eigentlich okay, die ganzen Leute da liegen zu lassen?“ Mit dem Daumen deutete er hinter sich, wo hinter dem Loch und der Ecke immer noch die Bandenmitglieder herumlagen. „Keine Sorge, die sind alle tot.“ „Hör auf, zu grinsen wenn du so etwas sagst; das ist ja gruselig.“ „Kannst du die Tür da auch auf bekommen?“ „Mal probieren.“ Gamma nahm im Gehen das Kettensägenschwert wieder von der Halterung auf seinem Rücken und zog an der Leine. Die rotierenden Zähne rieben funkensprühend gegen das Metall, fassten dann jedoch halt und schnitten durch den Stahl – wenn auch mit einiger Mühe. Alsbald hatte Gamma eine türförmige Öffnung geschaffen. Das ausgeschnittene Stück kippte nach hinten und knallte mit einem sehr Lauten krachen zu Boden bevor Smith oder Gamma es davon abhalten konnten. „DAS war mal wieder unauffällig.“ Der Schwertträger lugte in den hinter der Tür liegenden Raum und sah... nichts. Ging auch schlecht, denn es war stockfinster. „Hast du vielleicht eine...“ Das Wort Lampe blieb ihm im Halse stecken, denn Smith hatte bereits eine klobige, echt elektrische Taschenlampe aus seiner Aktentasche hervorgezaubert. „Weshalb wundert mich das schon gar nicht mehr?“ Zwecks Licht ließ er also dem Lampenträger den Vortritt. Im Kegel ungesund blassen Lichts offenbarte sich vor ihnen ein weiträumiger Raum, vollgestellt mit allerlei Zeugs. Bei näherem Hinsehen entdeckte Gamma Destillationsapparate, zahlreiche Reagenzgläser und Kolben, gefüllt mit verschiedenen Flüssigkeiten und Stoffen sowie technische Geräte en masse. „Sucht ihr etwas bestimmtes?“ Erschrocken fuhren beide Partner herum, genau in demselben Moment in dem grelles Neonlicht den Raum flutete. Ein junger Mann lehnte am Rahmen einer Tür, die eine Hand noch am Lichtschalter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)