Schmerz von Jake_Muller ================================================================================ Kapitel 1: Schmerz ------------------ „Kannst du mir mal sagen, was das soll?“, schalt sie mich an. Ich denke nicht daran ihr in irgendeiner Form zu antworten und verlasse trotzig das Wohnzimmer. Meine Mutter war schon immer eine die immer gleich schrie, wenn ihr was nicht gepasst hat. Mit Tränen der Wut in den Augen, stapfe ich zornig die Treppe hinauf und knalle mit voller Kraft meine Zimmertür zu, sodass es im ganzen Haus wahrnehmbar ist. Ich höre meine Mutter rufen: „Das hat noch ein Nachspiel mein Fräulein, denn ich bin noch nicht fertig mit dir!“ Ihre Stimme dröhnt so laut, als würde sie ein Megaphon benutzen. Mein Kopf pocht. Kopfschmerzen. Ich stehe vor meinem Spiegel und schaue in ein ziemlich wütendes Gesicht, was zugleich kurz vor einem Heulkrampf ist. Meine Mutter hätte mich ja nicht gleich so anfahren sollen, denn sie weiß, dass ich ziemlich sensibel sein kann. Aber, da ich mit einer 5 in Mathe nach Hause kam, hing gleich der Haussegen schief. Was bei uns keine Seltenheit ist, denn meine Mutter ist alleinerziehend und mit der Situation ziemlich überfordert. Meinen Dad habe ich niemals kennengelernt, was meiner Mutter auch Recht ist, denn von ihr habe ich erfahren, dass er damals, als sie mit mir schwanger war, mit einer anderen Frau durchgebrannt ist. Der Spiegel spiegelt mein ganzes erbärmliches Leben wieder, und das kotzt mich an. Mit grimmigem Gesichtsausdruck drehe ich mich zu meinem Kleiderschrank um und wühle darin. Doch irgendwie findet sich nichts Brauchbares zum anziehen. In meinem Schlafhemd kann ich ja unmöglich zur Schule gehen. Wenig später, ich habe endlich etwas zum anziehen gefunden, ist es auch schon fast halb acht. Eigentlich fährt mich meine Mum immer zur Bushaltestelle, doch sie jetzt zu fragen ist wohl keine so gute Idee. Ich schnappe mir meinen Rucksack und laufe schnell die Treppen hinunter, doch meine Mutter hält mich zurück. „Wenn du es wagen solltest, jemals wieder mit so einer Note dieses Haus zu betreten, kannst du was erleben.“ Sie streckt mir die Mathearbeit unterschrieben hin. Mein Blick scheint deshalb ziemlich verwirrt zu sein, denn ich habe damit nicht gerechnet, doch es ist jetzt nun wirklich keine Zeit, denn sonst würde ich zu spät zur ersten Stunde kommen. Ich laufe so schnell ich kann zum Bus, doch gerade als ich um die Ecke biege, fährt dieser weg. So ein Mist! Wie soll ich denn jetzt noch pünktlich zur Schule kommen? Einen Führerschein habe ich nicht, sonst könnte ich Mums Auto nehmen. Also muss ich laufen. Meine rotbraunen Haare wehen im Wind. Die Schuluniform ist zwar gemütlich, aber zum Joggen nicht wirklich geeignet. Aber was sollte ich machen? Wenig später, es ist schon kurz nach Unterrichtsbeginn, schleiche ich so leise wie ich nur kann ins Klassenzimmer. „Yoko?! Du brauchst dich gar nicht zu verstecken, ich habe dich sowieso schon zum Nachsitzen aufgeschrieben.“ Unsere Klassenlehrerin, Frau Kiasaki lässt ihren Blick über mich schweifen, als wenn ich ein Insekt wäre. Ich setze mich dann auf meinen Platz hinten in der Ecke und die ganze Klasse bricht in lautes Gelächter aus. „RUHE!“ Frau Kiasaki schreit quer durch die Klasse und alle widmen sich wieder ihren Aufgaben. Gegen Ende der Stunde bittet mich unsere Klassenlehrerin zu sich. „Wie kann das sein, dass du immer wieder zu spät kommst?“ Sie blickt wieder auf mich herab, als wäre ich ein kleines Viech. Ich antworte nicht, was sie mit einem Seufzen kundtut. Wahrscheinlich würde sie nachher bei mir zu Hause anrufen und meine Mutter voll quatschen, wieso ich denn immer so schlechte Noten schreibe und ob ich nie lerne. Das Ding ist, ich hasse diese Schule. Seit meine Mum und ich von Japan weg nach Deutschland umgesiedelt sind, fühle ich mich wie eine Heuschrecke in einem Holzkästchen. Doch meine Mutter stört das nicht, denn sie hat einen gut bezahlten Job als Visagistin und nebenbei arbeitet sie noch für die Konzertbranche. Jedes Mal wenn ich sie darüber reden höre, werde ich neidisch. Sie kann kostenfrei bei allen Konzerten ihrer Wahl mitwirken. Sie schminkt die Stars und alles was noch so anfällt. Und ich? Ich versauere in einer Schule und muss lernen. Am liebsten würde ich den Schmerz, der schon so lange auf mir lastet, einfach wegwischen, doch dass ist wahrscheinlich unmöglich. Meine Großeltern, die Eltern meiner Mum, sagen immer, dass mein Leben doch gar nicht so schlimm sei und ich mich nicht so anstellen sollte. Doch sie wissen ja nicht wie sehr ich lieber sterben würde. Immer wenn ich alleine in meinem Zimmer sitze und eigentlich Hausaufgaben machen sollte, schweife ich ab und drifte auf einer Wolke in eine andere Welt. Letztens erst, ich war wie immer allein, hatte ich mir ein Stück Scherbe aus meinem Spiegel geschlagen. Das abfallende Stück hatte ich dann in der Hand gehalten und dann kam in mir ein Gefühl des Schmerzes hoch. Ich legte die Scherbe an meinen Arm und drückte sie in die Haut. Da meine Haut ziemlich hell war, konnte ich auch gut die Adern sehen. Ich dachte mir, scheiß auf dein Leben, und drückte immer tiefer rein. Das Blut quoll in Strömen hervor und mir wurde schon leicht schwindelig. Das ist der Kick, dachte ich und schloss die Augen. Das Blut sickerte in den Teppich und hinterließ rote Flecken die immer größer wurden. Was mir aber völlig egal war. Das war er, der Schmerz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)