Märchenstunde von Ran34 ================================================================================ Kapitel 1: Danielle de Pugè --------------------------- Es war einmal, vor nicht allzu langer Zeit, da lebte ein Junge, gefangen, in dem Kerker einer Burg, bewacht von einem Drachen. Immer wieder hatten mutige Frauen und Männer versucht, ihn aus seinem Verließ zu erretten, doch alle scheiterten, entweder an dem Labyrinth aus Bäumen, das die Burg verborgen hielt, oder an dem Drachen, der sein möglichstes tat, seinen Schatz zu beschützen. Über die Jahrhunderte hinweg geriet die Burg in Vergessenheit, nur die Alten aus den Dörfern erzählten sich noch immer die Legende vom Jungen, der in der unauffindbaren Burg gefangen ward. Eines Tages trafen sich drei Freunde, ein Mädchen und zwei Jungen, inmitten des Waldes, sie wollten dem Gerücht nachgehen, dass sie schon seit ihrer Kindheit begleitete. Sie gingen immer tiefer in den Wald hinein, fest entschlossen die Burg zu finden, doch sie verloren nicht nur einander, sondern auch ihre Orientierung. Das Mädchen lief, getrennt von ihren Freunden, immer weiter gen Osten, bis sie irgendwann die kalten, grauen Mauern der kleinen Burg erblickte. Neugierig trat sie darauf zu, umrundete die Mauern und stellte fest, dass diese Burg doch nur von sehr kleiner Größe war. Ihr Interesse verlor sich und sie wollte grade umdrehen, um ihre verloren gegangenen Freunde zu suchen, als sie ein leises Flehen vernahm. Behutsam näherte sie sich wieder dem kalten Gestein, in dem sie nun in bodenhöhe ein kleines Fenster entdeckte. Sie hockte sich hin und spähte hindurch, was sie sah verschlug ihr den Atem. Ein schöner Junge, im Alter des Mannseins blickte sie durch seine dunklen Augen flehentlich an, hinter ihm funkelnde Schätze zu einem Turm aufgebahrt. Eilig suchte sie das Tor, bis sie schließlich eine kleine Tür fand, durch die sie hindurch huschen konnte. Auf leisen Sohlen, die Warnung vor dem Drachen noch im Hinterkopf, schlich sie durch die leeren Gänge, bis sie auf eine Treppe stieß. Das Gesicht des Jünglings erhellte sich, als er das Mädchen in seinen Mauern erblickte. „Wer bist du?“ „Danielle de Pugè, mein Name. Würdet ihr mir die Ehre erweisen, mich aus meinem Verließ zu befreien, wertes Fräulein?“, fragte er mit einer eleganten Verbeugung, die seine dunklen Haare ein wenig in seine Stirn fallen ließen. „Na… natürlich.“, sagte sie schüchtern und begann fahrig an dem Schloss herumzufingern. Plötzlich stockte ihm der Atem und er schaute mit weit aufgerissenen Augen hinter sie. Als sie dies bemerkte, folgte sie seinem Blick, doch es war bereits zu spät, mit einem fürchterlichen Knacken risse der Drache sie entzwei. Verzweifelt sank Danielle an den Gittern des Verlieses nieder und betrachtete das Mädchen, eines der zahllosen Opfer dieses Monsters. „Wieso tust du das?! Was springt für dich dabei heraus?!“, er schrie ihn verzweifelt an, doch der Drache schnaubte nur und wandte sich von ihm ab. Danielle de Pugè war kein einziges Jahr gealtert, seit er in diesen Kerker gesperrt worden war. Jahrhunderte verbrachte er in dem Körper eines Zwanzigjährigen, während sein Geist zu altern schien. Am Anfang wunderte er sich noch über das Essen, das jeden Morgen vor seiner Zelle stand, doch mit der Zeit nahm er diese Tatsache als normalen Zustand hin. Ab und an lagen neben den Mahlzeiten auch Bücher oder Stift und Papier. Anfänglich hatte er noch versucht Botschaften nach außen zu senden, doch jeder, der diese Burg betrat, wurde vom Drachen gefressen oder umgebracht. So nahm er sich die Bücher, die sich im Laufe der Zeit, zusammen mit deren Sprache immer weiter veränderten, vor und las jedes einzelne. Die Menschheit hatte sich wirklich weiterentwickelt. Es gab viele neue Erfindungen, von denen er aber nie etwas zu sehen bekam, ab und an musste er schmunzeln, wenn er etwas über diesen neumodischen Kram in einem der Bücher las. Wie einfach das Leben doch damals war, im Gegensatz zu heute. Hin und wieder dachte er an seine Freunde und Familie zurück, die wohl schon lange nicht mehr lebten, doch er fragte sich, wie deren Nachfahren wohl aussehen mochten und ob sie vielleicht sogar einen ähnlichen Charakter haben mochten. Als er am nächsten Morgen erwachte, waren die Kerkergewölbe sauber, es gab keine Spur mehr von der Leiche des Mädchens, alles was er vorfand, war eine Zeitung, sein Frühstück und eine Rose. Er hatte immer mal ein paar Blumen bekommen, am Tag nachdem er mit ansehen musste, wie jemand starb, doch noch nie eine Rose. Sie war weiß, wie das Tageslicht und unbefleckt, wie die Unschuld der Jungfrau Maria selbst. Vorsichtig hob er diese zarte Blume auf und drehte sie im Licht der Morgendämmerung, dabei verletzte sich der Jüngling an einem der Dornen und ein Tropfen seines roten Blutes bedeckte das güldene Stroh. Diese Rose mochte unschuldig sein, doch das bedeutete nicht, dass sie wehrlos war. Was hatte das nur zu bedeuten? Warum eine weiße Rose? Er legte die Blume beiseite und widmete sich stattdessen seinem Essen und seiner Zeitung. Gleich auf der Titelseite wurde von drei vermissten Jugendlichen berichtet, die sich von Zuhause fortgeschlichen hatten und nicht mehr gesehen worden waren. Abgebildet war das Bild des Mädchens, das ihn zu erretten gedacht hatte. Wann würde dieser Drache endlich das Zeitliche segnen und dieser Bann, der auf dieser Burg lag, gebrochen werden? Langsam schweiften seine Gedanken wieder zu seinen Mahlzeiten, wie kamen sie dort hin? Brachte jemand ihm etwas zu essen, oder war dies Teil des Bannes? Wie oft hatte er sich jetzt schon den Kopf darüber zerbrochen? Er würde heute Nacht einfach wach bleiben und versuchen, dem Rätsel auf die Spur zu gehen. Vielleicht gab es ja einen Weg diesem Kerker zu entfliehen, ohne dass der Drache auf ihn aufmerksam werden würde. Fragen über Fragen sammelten sich in dem einzigen Teil seines Körpers, der noch wirklich frei war und den man wohl auch nicht einsperren konnte, in seinen Gedanken. Er dachte zurück an den Tag, als er eingesperrt wurde. Damals verlor er alles. Aus heiterem Himmel standen stählerne Wachen vor seinem Hause, zerrten ihn aus dem Bette, in dem er seiner frisch Vermählten beiwohnte. Man sagte ihm nicht warum, die Wachen waren wie schweigende Marionetten, geführt von unsichtbaren Fäden. Sie machten keinen Laut, wenn sie über den Boden glitten und auch sein Weibe schien nichts von der Entführung mitbekommen zu haben. Seine Schreie waren stumm, ungehört verhallten sie in der düsteren Neumondnacht. Irgendwann auf dem Weg zur Burg musste er einfach eingeschlafen sein, denn als er erwachte, ruhte er bereits auf diesem Strohbette, hinter kaltem Eisen, bewacht von einem Monster. Wenn er gedanklich nach dem Weg suchte, der ihn zurück zu seinem Weibe, seinem Gute und seiner Familie brachte, dann stieß er nur auf folgende Worte: Des Tags ist es so Des Nachts ganz anders Das ewige Leben die Strafe, Die Erlösung der Tod Gefangen bis in alle Ewigkeit sei nur der Fremde dir nah …ansonsten ward sein Kopf leergefegt von einer schwarzen Feder, sanft und doch düster. Zu dieser Zeit kamen viele Leute, die den Drachen erschlagen und ihn erretten wollten, doch sie alle wurden ihres Lebens beraubt. Wenn Danielle sich recht entsann, dann hatte der Drache damals noch längst nicht solche Ausmaße. War es das, was der Drache dafür erhielt? Konnte man einen Drachen, mit bloßer Beute ködern? Galten diese Tiere doch damals schon als außerordentlich klug und gewandt. Es hieß, dass ein Drache das Wissen mehrerer Menschenleben besaß… und noch etwas widerspricht dieser Theorie. Wenn der Drache nur auf ein gesegnetes Mahl aus sei, wieso hat er dann das Fräulein nicht gefressen? Danielles Gedankengänge waren über die Jahrhunderte hinweg immer komplexer geworden, hatten teilweise philosophische Ausmaße angenommen und waren längst nicht mehr in einfache Gedankengänge zu unterteilen. Immer öfter stellte er Theorien auf, die er durch bloße Gedankengänge widerlegte oder belegte. Doch wenn sich seine Gedanken, so wie jetzt, um den Drachen drehten, dann kam er zu keinem Ergebnis, zu viele Faktoren waren widersprüchlich. Ihm fehlte das entscheidende Teil des Ganzen, das er heute Nacht zu ergründen gedachte. Am Abend legte sich der Jüngling auf seiner Pritsche nieder und beobachtete seine Schuhe, um nicht gleich einzuschlafen, denn des Nachts überfiel ihn eine unbändige Müdigkeit, die er nur sehr schwer, wie ein Ungetüm niederringen konnte. Irgendwann fielen ihm doch die Augen zu und er schrak am nächsten Morgen hoch, als ihn die sanften Strahlen der Sonne wachkitzelten. Er ärgerte sich über seine eigene Schwäche, doch die Geranienblüte vor seiner Zelle ließ ihn wieder ein wenig schmunzeln. Daneben lag ein Buch, interessiert griff er danach. Der Titel ließ ein Thema verlauten, mit dem er sich bis jetzt nicht auseinandergesetzt hatte. Er machte es sich auf seiner Pritsche bequem und schlug die erste Seite auf. Der Autor war ihm bislang unbekannt, was sehr zu seiner Zufriedenheit beitrug. Er spürte den Blick zweier Augen auf ihm ruhen, als er auf die zweite Seite umblätterte, auf der das eigentliche Buch begann. Er schaute kurz über den Blattrand hinweg, konnte aber nichts erkennen und so begann er zu lesen. Mal weiteten sich seine Augen vor Überraschung, mal legte er die Stirn in Falten, doch die ganze Zeit über blieb sein Blick ernst. Was bezweckte der Käufer damit, ihm ein solches Buch zu schenken? Für ihn persönlich war dies wirklich nie ein Thema gewesen und auch, wenn es Alltag zu seiner Zeit war, so wurde nie frei heraus darüber gesprochen, geschweige denn geschrieben! Und nun? Wie sich die Zeiten doch geändert hatten! Anscheinend akzeptierte man solche Schichten mittlerweile als Teil der Gesellschaft, was sie eigentlich schon immer waren, da es häufig im Adel anzutreffen war. Er selbst gehörte nicht zum Adel, er war lediglich Schreiber des Prinzen und hatte somit eine recht hohe Position inne. Immer wieder verlor er einen Gedanken an den Prinzen, war er damals doch noch so jung und unschuldig. Er war zwar nur der zweitgeborene Sohn des Königs, doch sollte dem Kronprinzen etwas zustoßen, so würde er auf den Thron gelangen. Deshalb übertrug der König seinen beiden ältesten Söhnen einige Verwaltungsaufgaben. Prinz Wyeth war erst fünfzehn, als er Ämter seines Vaters übertragen bekam. Ob er wohl damals eine schöne Prinzessin geheiratet hatte und mit ihr glücklich bis ans Ende seiner Tage gelebt hatte? Möglicherweise hatte die Königsfamilie ja bis heute bestand? Gedanklich schalte der Jüngling sich für seine unnützen Gedanken, denn alle an die er aus seinem alten Leben denken konnte, würden bereits von der Erdoberfläche getilgt worden sein. An diesem Abend war Danielle de Pugè noch fester entschlossen, das Antlitz seines Gönners zu erblicken, dies war auch der erste Abend, an dem er das markerschütternde Schreien des Drachens zu Ohren bekam. Seine Augen fielen immer wieder zu, doch gedachte er nicht aufzugeben, bis schließlich eine hochgewachsene Gestalt das Kerkergewölbe betrat. Mit lautlosen Schritten trat die Gestalt an seine Gitter heran und stellte ein Tablett vor diesem ab. Ein Blitz der Erkenntnis durchzuckte ihn, als die Gestalt sich wieder aufrichtete. „Prinz Wyeth…“, weiter kam er nicht, denn höhere Mächte zogen ihn mit aller Gewalt zurück ins Traumland, ins Land des tiefen Schlafes, aus dem man erst am Morgen erwachte. Am nächsten Tage verspürte er die Blicke des Drachen besonders intensiv, er musste mitbekommen haben, dass er seinen Gönner am Abend entdeckt hatte, doch wieso fraß der Drache ihn nicht? War dies auch ein bisher ungeahnter Teil des Ganzen? Er rührte sein Essen nicht an, zu aufgewühlt war sein Innerstes, zu unruhig sein Geist. Diesen Abend würde er wach bleiben, egal was es ihn kosten mochte. Und es gelang ihm tatsächlich, nachdem er erneut den schmerzerfüllten Schrei des Drachens vernahm. Als Prinz Wyeth vorsichtig an sein Gefängnis schlich, trat er auf ihn zu. Dieser wich verschreckt in die Schatten der Wand hinter ihm. „Seid ihr es, Prinz Wyeth?“ „J… Ja.“, drang es zögerlich aus den Schatten zurück. „Wie geht es Euch? Und vor allem, was tut Ihr hier?“ „Mir geht es mal so, mal so. Ich bin, so wie Ihr, Gefangener dieser Burg.“ „Warum habt Ihr mich nicht angesprochen, Eure Majestät?“ „Ihr habt geschlafen Danielle.“ „Seit wann seid Ihr Gefangener dieser Burg?“ „Von Anfang an.“ „Aber… Ihr seht älter aus, wie ist das möglich?“ „Ich… ich kann die Burg des Nachts verlassen.“ „Warum befreit Ihr mich nicht? Wir könnten zusammen vor diesem Drachen fliehen?“ „Das geht nicht. Der Bann bindet uns beide an diese Burg. Sobald die Sonne aufgeht, muss ich wieder in der Burg sein. So leid es mir tut Danielle, aber ich kann Euch nicht befreien. Nur Eurer zweiten Hälfte ist es bestimmt dieses Schloss zu öffnen und Euch aus dem Kerker zu befreien.“ „Wie soll das gehen?! Bis jetzt wurde jeder von dem Drachen getötet! Außer Euch… Wieso tötet der Drache Euch nicht?“ „Ich schätze, er schläft zu tief.“ Lange sprachen sie über vergangene Zeiten, über die Zeit, die sie getrennt und doch zusammen verbracht hatten, bis der Morgen anbrach und Danielle wieder in einem tiefen Schlaf versank. Nacht über Nacht unterhielten sich die alten Bekannten, brachten das Du an und leisteten einander Gesellschaft. Der Schmerzensschrei des Drachen erklang seitdem jede Nacht und läutete ihr Aufeinandertreffen ein. Die Monate verstrichen der Sommer wich dem Herbst, der Herbst dem Winter. Mutter Natur hatte sich zum Schlafen niedergelegt, zugedeckt mit den weißen, weichen Federn Frau Holles. Der Prinz bereitete das Mahl vor, als er plötzlich Schritte in den verfluchten Hallen vernahm. Lautlos, scheinbar schwebend ging er den Geräuschen nach. Ein junges Pärchen hatte sich hierher verirrt. „Was suchen Sie hier? Dies ist Privatbesitz.“ „Oh… entschuldigen Sie. Wir haben uns im Wald verirrt und wollten Sie um ein Dach über dem Kopfe bitten.“ Kurz dachte er nach, bevor er antwortete: „Gut, sie können bleiben, doch vor Morgengrauen müssen sie hier verschwunden sein.“, die beiden nickten und er zeigte ihnen bereitwillig ein Zimmer. Als er sich versichert hatte, dass die beiden schliefen, öffnete er die Luke, die eine geheime Treppe in den Kerker freilegte. „Ist alles in Ordnung? Du hast so lange gebraucht.“ „Ja, mach dir keine Sorgen Danielle. Hier ist dein Essen, lass es dir schmecken.“ „Danke, Wyeth. In ein paar Tagen müsste Weihnachten sein, willst du nicht mit mir zusammen hier essen?“ „Sehr gerne.“ „Warum hast du mir im Sommer dieses Buch gekauft? Was hat es damit auf sich?“ „Die Gesellschaft hat sich sehr verändert und falls dieser Fluch irgendwann gelöst werden sollte, möchte ich, dass du mit offenen Augen durch diese Welt schreitest… Ich muss dich leider schon wieder verlassen, ich habe noch ein paar Aufgaben zu erfüllen.“ Der Prinz entschwand aus seinem Blicke, stieg langsam wieder den Geheimgang entlang. Als er die Falltür schloss und sie versteckte, bemerkte er die fremde Präsenz. Er erblickte den Mann, dem er gestattet hatte hier zu nächtigen. Ohne zu zögern lief er auf ihn zu und brach ihm mit einer fließenden Bewegung seinen Halse. Er zog ihn hinaus in den Walde, wo das hungrige Wolfsrudel schon auf ihr Mahl wartete. Mit einem Zweig Tannen verwischte er die Spuren, die eine Fährte zur Burg legen konnten, der starke Schneefall tat sein Übriges, die Tat ungeschehen aussehen zu lassen und das gierige Schlingen der Wölfe mit sich fortzutragen. Die holde Frau, des toten Gattens Weibe, sich gefragt, wo ihr Mann bleibe. Sie huschte auf nackter Sohl über des Burges kalten Boden. Nicht gefunden ward er, der holde Gatte, auch der Wirt verschwunden ward. Sie suchte und suchte, bis sie sich am Fuße der steinernen Treppe wiedergefunden hat. Was sie erblickte, ihr den Atem verschlug, das unschuldige Herz Wunden davontrug. Sie lief hin zum Jüngling gebettet in Stroh. „Hat der Hausherr Ihnen dies Angetan? Ich werde Sie befreien!“ „Nein, der Hausherr ward es nicht, holde Meid. Lasst mich hier und flieht, sonst der Drache euch entzweit.“ „Warum reden Sie so geschwollen? Wer sind Sie?“, fragte die junge Frau überrascht. Hinter ihnen ein Schrei erklang, der Prinz hinab in den Kerker lief und der Meiden Tat erblickte. Seine Augen grün, zu Schlitzen verengt, seine Mine qualvoll verzogen, lief er auf das Weiblein zu. Im Laufe seine Mine sich wandelte, sein schönes Gesicht dem des grauenvollen Drachen wich. Mit großen Klauen er das Fräulein niederdrückte und mit zornerfülltem Grollen die Frau zerriss. Der Jüngling ward geschockt, hatte er doch das fehlende Teil gefunden. Entsetzt sah er in des Drachen grüne Aug, entdeckte den Schmerz und die Wut, die sich in ihnen verbargen. Wieder erklangen die Worte der dunklen Zeit in seinem Kopfe: Des Tags ist es so Des Nachts ganz anders Das ewige Leben die Strafe, Die Erlösung der Tod Gefangen bis in alle Ewigkeit sei nur der Fremde dir nah „Warum Wyeth? Warum hast du sie umgebracht?“ „Es ging nicht anders, ich musste dich beschützen!“, sagte er, mit Tränen in den Augen, wandte sich von ihm ab und lief aus dem Gewölbe hinaus. Danielles Gedanken wahren Chaos. Erinnerungen setzten sich neu Zusammen, Fragen erhielten Antworten und Unsinniges erschien sinnig. Doch konnte er dem Prinzen verzeihen? Hatte er ihn doch in dem Glauben gelassen, dass der Drache ein anderer sei. Der Prinz ward sein Freund, der Drache sein Feind, doch nun da beide ein und dasselbe waren, was ward er für ihn? Die nächsten Tage und Nächte wechselten die geschundenen Seelen kein Wort miteinander. Doch an Heiligabend überwand der Jüngling sich und sprach seinen Prinzen an: „Warum dieses Buch, Wyeth?“ „Ich sagte doch schon, dass…“ „Sag mir die ganze Wahrheit. Ich möchte keine Lügen mehr hören!“ Wyeth schluckte schwer, setzte sich aber neben die kalten Gitterstäbe und begann zu erzählen: „An meinem sechzehnten Geburtstag ereilte mich ein Heiratsgesuch. Die Nymphe des Leioa-Sees wollte mich mit ihrer ältesten Tochter vermählen. Höflich lehnte ich den Gesuch ab, da ich mich außer Stande sah zu heiraten. Doch die Nymphe ließ nicht locker, sie bat mich, noch einmal darüber nachzudenken, doch ich lehnte ein zweites Mal ab. Daraufhin schickte sie nach mir. Ich folgte ihrem Ruf, um im persönlichen Gespräch das Problem zu schildern. Am See angekommen empfing mich die Nymphe herzlich und so beschloss ich mit offenen Karten zu spielen. Ich erzählte ihr, dass ich mein Herz bereits verschenkt hatte und es mich deswegen wenig düngt, mich mit jemandem außer dieser Person zu vermählen. Als ich ihr den Namen meiner geliebten Person nannte, ließ sie sie mich ziehen, doch des Nachts wurde ich aus meinen Gemächern geraubt und erwachte in Gestalt des Drachen in dieser Burg. Der Weg hierher ist schwarz, das einzige was die Dunkelheit füllt, sind folgende Zeilen: Der zweiten Hälfte Schlüssel Des Körpers Alter bleibt Gefangener auf Ewigkeit Kein Mittel ihn befreit Nur die Liebe sei dir nah“ „Wer war diese Person? Was hat das Ganze mit dem Buch zu tun und vor allem mit mir?“ „Es ist meine Schuld, dass du hier eingesperrt wurdest. Die Nymphe war es, die diese Flüche über uns brachte und dich und mich in diese Burg sperrte.“ „Soll das… soll das heißen, dass du…?“ Beschämt schaute der Prinz zu Boden, kein Wort drang durch seine Lippen. „Willst du mich deswegen beschützen? Hast du Angst, dass ich von dir fortrenne?“ Wieder gab Wyeth ihm keine Antwort, den Blick auf das güldene Stroh geheftet. „Probier es.“, fragend blickten die smaragdfarbenen Augen den Jüngling an: „Öffne diese Tür.“ Langsam begann der Prinz zu begreifen. Er hatte Angst vor diesem Schritt, vor der eventuellen Erkenntnis, dass er all diese Zeit umsonst über seinen Liebsten gewacht hatte. „Wenn du meine zweite Hälfte bist, dann werde ich uns eine Chance geben.“, sagte Danielle mit fester Stimme. „Du würdest also wirklich…?“ „Ja.“, der sanfte Blick Danielles schien über seine Wangen zu streicheln und direkt an sein Herz zu appellieren. Mit zitternden Händen ergriff der Brünette das Schloss, doch nichts regte sich. „Vielleicht musst du etwas hineinstecken?“ Der Prinz besah sich das Schloss genauer, kein von Menschenhand gemachter Schlüssel würde in dieses Schloss passen, es wirkte oval und nicht metallen, sondern eher organisch. Dem Grünäugigen kam eine Idee, zögerlich streckte er seinen Ringfinger aus und führte ihn zum Loch. Beide hielten den Atem an und als das bedeutungsschwangere Klicken erklang, schien die Welt einen Moment lang still zu stehen. Mit dem Zurückziehen seines Fingers fiel das Schloss von der Tür. Wyeth trat näher, um die Tür zu öffnen, doch sie wollte sich nicht regen. Danielle, der das Zweifeln in den Augen seines Drachens sah, umfasste dessen Hand, die um eine der Streben gewunden war und drückte voller Gefühl gegen die eiserne Tür. Leicht, wie eine Feder, lautlos, als hätte sie keine Jahrhunderte überdauert, öffnete sich die Tür. Zögerlich trat der Jüngling heraus und wurde von seiner zweiten Hälfte fest in die Arme geschlossen. Gebettet in helles, weiches Licht, schien ein Teil des Bannes gebrochen worden zu sein. Zögerlich legte der Größere seine Lippen auf die des Schreibers. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)