Düster das Herz von Skeru_Seven ================================================================================ |Jones| ------- Im Morgengrauen war Nehemia fortgegangen, er hatte ihn mit keinem Wort auf diese Tatsache vorbereitet oder sich auch nur von ihm verabschiedet. Die Chancen, dass er sich wieder bei ihm blicken ließ, waren also verschwindend gering. Es verletzte Jones fürchterlich, es war schlimmer als der Sturz gestern, den Nehemia mit Absicht herbei geführt hatte. Warum war er nur so bösartig zu ihm gewesen? Warum ließ er ihn ganz allein hier? Was hatte er ihm bloß getan? Seufzend sah sich Jones in der kleinen Kapelle um; die Essensreste lagen noch unberührt auf dem Boden unter der Bank, Nehemia hatte nichts davon mitgenommen. Hoffentlich verhungerte er nicht. Der Pfarrer von gestern würde sich hoffentlich Zeit lassen, bevor er hier ein weiteres Mal auftauchte und ihm drohte; aber mit Sicherheit verband er ihre Anwesenheit nicht mit den zwei Morden, die schon so unglaublich lange zurücklagen. Dann hätte er längst die Polizei her geschickt, schon gestern Abend noch. Nehemia hatte völlig überreagiert, Jones fragte sich, ob er durch den ganzen Druck und die Geheimhaltung paranoid geworden war oder ob es ein Zug an ihm war, den er früher einfach nicht bemerkt hatte. Er wusste es nicht; er kannte Nehemia schon länger und trotzdem viel zu wenig, um sich ein genaues Bild von ihm zu machen. Er wusste nur, dass er ein sehr bemitleidenswerter Mensch war. Und das nur anhand der Dinge, die er nur nebenbei miterlebt hatte. Obwohl sie schon seit Monaten hier hausten, sah sich Jones zum ersten Mal sorgfältig diesen kalten, düsteren Raum an, den er heute wohl verlassen musste. Er konnte sich an viele Stunden hier nur bruchstückhaft erinnern, vor allem an die, in denen er so krank gewesen war, dass er dachte, er müsste jeden Moment sterben. Nehemia hatte sich um ihn gekümmert, ihn gepflegt und nun einfach verlassen, als wäre all das nicht passiert. Es machte ihn unsagbar traurig. Die Heilige Maria stand immer noch auf ihrem Sockel, sie schien sanft zu lächeln, als freute sie es, den Ort von den gottlosen Unmenschen bereinigt zu sehen. Jones wandte sich beschämt von ihr ab, er konnte sich leider noch erinnern, was sich hier während seiner Krankheitsphase zugetragen hatte. Lustlos sammelte er seine wenigen Sachen, die noch hier herumlagen, zusammen und verließ die Kapelle, um sich auf die Bank in ihrer Nähe zu setzen und zu warten, dass sie kam. Sie musste kommen, sie hatte es ihm versprochen, dass sie sich wiedersahen. Und er musste sie unbedingt fragen, ob er bei ihr wohnen durfte und wenn es nur vorläufig war. Alles war ihm lieber als nach Hause zurückkehren und den trostlosen Alltag wieder durchleben zu müssen. Sie ließ sich viel Zeit, es machte ihn unglücklich; bedeutete er ihr so wenig? Dabei war er nun auf sie angewiesen, hoffentlich schickte sie ihn nicht weg. Das verkraftete er nicht, zwei Menschen an einem Tag zu verlieren. Nach zwei Stunden, als die Sonne ihm schon unangenehm auf den Nacken schien, erkannte er eine Gestalt, die den Weg zu ihm hinauf kam, weiblich und zierlich mit langen Haare, die ihr über die Schultern fielen. Das konnte nur sie sein. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange; er wusste gar nicht, wie er seine Frage formulieren sollte, weil er befürchtete, dass sie sich ausgenutzt vorkam und ihn verstieß. Vor Tagen hätte er noch nicht damit gerechnet, aber Dinge geschahen schneller als man es erwartete. „Ich muss dich was fragen.“ Sein Herz klopfte vor Nervosität; ein Funken Angst hatte sich auch hinein gemischt. „Was ist denn?“ Sie lächelte lieb, ihre Hand lag auf seinem Oberschenkel. Sie dachte wohl an etwas anderes als er in diesem Moment. „Der Pfarrer hat uns erwischt, wir können hier nicht mehr wohnen“, fing er stockend an, immer damit rechnend, von ihr eine Abfuhr erteilt zu bekommen. „Und Nehemia ist heute Morgen ohne mich weggegangen.“ Und hatte ihm dadurch auf platonischer Ebene das Herz gebrochen. „Ich konnte deinen Freund noch nie leiden“, warf sie sofort ein. „Kann ich bei dir wohnen?“ Er traute sich gar nicht, sie bei dieser Frage anzusehen, als könnte sie ihn allein für diesen Gedanken anschreien. „Nicht für immer, aber solange, bis ich was Besseres gefunden habe…“ Sie schwieg erst einmal, schien nachzudenken. Ihre Hand hatte sich verzogen, ruhte nun auf der Lehne der Bank. „Ich weiß nicht, meine Wohnung ist sehr klein und nicht für zwei Personen gemacht…“ „Ich kann auch für dich aufräumen und putzen und das Essen kochen.“ Er hatte solche Angst davor, vollkommen auf sich allein gestellt zu sein, er würde alles tun, damit sie ihn aufnahm. „Wenn du willst, kann ich auch noch irgendwie Geld verdienen…“ Das anhaltende Schweigen tat so furchtbar weh, am liebsten hätte Jones angefangen zu weinen. Sie war doch so wichtig für ihn, warum behandelte sie ihn dann so grausam? „Wir können es ja ausprobieren“, meinte sie schließlich leichthin und vor Erleichterung wusste Jones gar nicht, was er darauf antworten sollte. Deswegen schwieg er und folgte ihr lieber, als sie aufstand, ihn an der Hand nahm und ihn mit sich den Berg hinunterführte, weg von der Kapelle und den letzten Erinnerungen an die monatelange Flucht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)