Die Klingen des Kaisers von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 12: Aquatica -------------------- Der Weg in das südöstliche gelegene Aquatica dauerte selbst mit der anstrengenden Schnellkutsche mit allen zwei Stunden Pferdewechsel und nächtlicher Fahrt über eine Woche – genug Zeit, dass Michel sich die Unterlagen durchsehen und auch seine Partnerin darin einweihen konnte. „Aquatica ist, wie Lavinia, einer der Schlüsselhäfen des Kaiserreiches für den Handel über das Südmeer. Allerdings gibt es einen bemerkenswerten Unterschied in diesen beiden durch die Geschäfte reich gewordenen Städten. In Lavinia regiert eine Oligarchie aus Handelsherren, die immer wieder durch Wahlen bestätigt werden. Ihr Interesse liegt vornehmlich im Handel, aber auch die, sagen wir, einfachen Leute können damit gut leben, werden doch auch Hafenarbeiter, Lieferanten, Kutscher und so weiter gebraucht. In Aquatica dagegen regieren im Endeffekt nur zwei Familie, die einander auch noch spinnefeind sind. Meuchelmörder sind da an das Tagesordnung. Und beide Clans achten sehr darauf, dass ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte herrscht, sprich, beide gleich verdienen. Die einfache Bevölkerung ist weitaus ärmer als in Lavinia, da es weniger Konkurrenz gibt.“ „Und der Kaiser greift nicht ein?“ „Nein, das tut er nie in die Belange einer Stadt oder eines Königreiches, nur, wenn das gesamte Reich gefährdet ist. Oh, du kennst die Geschichte des Reiches nicht so?“ Und da die Assassine den Kopf schüttelte: „Der Urgroßvater und Großvater von Kaiser Dagobert und Graf Uther, haben in langen Kriegen das Reich so geschaffen wie es heute ist, also auch dieser Größe. Sagen wir ruhig, mit Schwert und Flammen. Gegen Ende seines Lebens wurde Kaiser Lothar, also, dem Großvater, klar, dass sich das reich stabilisieren musste, nicht mehr vergrößern, und überlegte sich einiges, das sein Sohn, Kaiser Merowin, dann fortführte. Das Reich war zu groß geworden, als dass der Kaiser alles bis ins kleinste Detail regeln konnte. So setzte gerade Merowin auf die kleinen, örtlichen Häuptlinge, Könige und Städte, die sich selbst verwalten sollten. Damit entmachtete er natürlich auch die großen Herzöge, die bislang immer über mehrere Kleinkönigreiche geherrscht hatten. Es kam zu Aufständen. Als Kaiser Dagobert sechs Jahre alt war, Uther vier, wurde ihr Vater ermordet. Es waren sehr unruhige Zeiten. Um es kurz zu machen, es gelang ihrer Mutter und ihnen, die kleinen Könige und Städte auf die Seite zu bekommen, die durch diese Selbstständigkeit nur gewinnen konnten und wohl auch keine Lust verspürten, dass ihnen jemand genau auf die Finger sah. Der letzte Aufstand wurde niedergeschlagen, als Kaiser Dagobert zwanzig wurde. Seit siebenunddreißig Jahren herrscht nun Frieden im Reich, wenn auch um den Preis, dass es nicht immer in allen Städten und Königreichen optimal läuft.“ „Dann hatten die beiden eine sehr unruhige Kindheit.“ „Nenne es eine blutige. Ich glaube, Dagobert war noch nicht vierzehn, als er selbst das Todesurteil gegen seinen Cousin unterschrieb. Seine Mutter als Regentin hatte für Milde plädiert, war er doch ihr Neffe, aber Maxim hatte da schon den dritten Aufstand gegen Dagobert verloren....Nun ja. Immerhin durfte sein Sohn leben bleiben.“ „Dass solche Männer immer Söhne haben,“ entfuhr es Sarifa. „Konstantin wurde Bischof. Er lebt reich und zufrieden in einer Stadt...oh, hier in der Nähe. Und in seiner Stadt kann er treiben, was er will, er hat also auch Macht. - Zu unserem Fall. In Aquatica gibt es wie gesagt, zwei Familien, die sich um die Macht und den Reichtum streiten, ohne groß etwas davon abzugeben. Dagegen wandte sich Alessandro Pisi, den wir überwachen sollen. Da er allerdings Mitglieder der Familie ermordete, wurde er gefasst und sollte hingerichtet werden, konnte aber entkommen. Das war vor vier Jahren. Jemand von Graf Uthers Leuten ist sich allerdings sicher, ihn gesehen zu haben und alarmierte den Grafen. Der schickt uns nun, um das zu überprüfen. Es wird nicht einfach in einer so großen Stadt jemanden zu finden, der sich nicht finden lassen will. Immerhin habe ich die Straße, in der er ihn gesehen hat. Und die liegt in einem Wohnviertel. Mit etwas Glück wohnt Pisi dort.“ „Was sollten wir mit ihm machen? Ich meine, wenn er gegen Ungerechtigkeit steht....“ „So ist das sehr nett und wenn er nur Reden geschwungen hätte, meinetwegen Demonstrationen angezettelt hätte, hätte ja keiner was dagegen gesagt, nun ja, die zwei Familien vielleicht. Aber bei Mord hört es auf. Und, wenn er wieder zurück ist, so deutet das darauf hin, dass er ein Ziel hat, etwas vorhat, das ihm so wichtig ist, dass er dafür sein Leben riskiert. Hier, übrigens. Das ist ein Bild von ihm, eine Skizze.“ Sie nahm es: „Es dürfte höchstens so alt wie du sein. - Übrigens, wir haben auch schon getötet.“ „Ja, aber wer in seinen Methoden nicht wählerisch ist, sollte es in seinen Zielen sein, nicht, meine Sachlichkeit?“ „Das ist wahr. Und das unterscheidet auch Assassinen von Meuchelmördern.“ „Was genau eigentlich?“ Sie wollte schon um ein Haar auffahren, ehe sie bemüht nüchtern sagte: „Gib mir Geld und ich töte die Zielperson, so handhaben es die Meuchelmörder. Dabei ist es ihnen gleich, wer das Ziel ist oder wie sie morden. Ein Assassine dagegen wird nie Geld nehmen für einen Toten. Und es ist eine Sache der Ehre jemanden in die Augen zu sehen, während man ihn tötet. Kein Assassine mordet von hinten oder durch eine Falle, sondern riskiert, bei der Durchführung der Tat selbst getötet zu werden.“ Michel dachte an den toten Meuchelmörder im Schloss der Nonpareils – von vorn. „Assassinen spielen also immer fair? Woher dann der Ruf? Nun ja, eure Ausbildung gibt dem anderen auch kaum Chancen.“ „Möglich. Aber ich kenne mehrere Geschichten, in denen sich meine Verwandten von einem Ziel zurückzogen, weil die Gerüchte um es nicht stimmten. Sie hätten ihm nicht in die Augen sehen können.“ „Das heißt, man kann einen Assassinen nicht kaufen, er entscheidet selbst, wann und wen er tötet? Warum hast du dich dann Graf Uther angeschlossen?“ „Er erteilt keine Mordbefehle. Er weiß, was wir sind und dass wir kaisertreu sind. Aber er suchte eine Spionin.“ Mit durchaus anderen Möglichkeiten, aber das erwähnte er lieber nicht. So offen war sie selten. „Hm. Nur mal so angenommen, mein Engel, jemand würde mich umbringen – würdest du dich bemüßigt sehen, den als ...dein Ziel zu nehmen?“ „Du bist mein Partner.“ Michel überlief ein gewisser Schauer bei diesem Tonfall – aber durchaus zufrieden meinte er: „Dann kümmern wir uns mal um Aquatica und diesen Pisi.“ „Ich kenne übrigens jemanden in Aquatica.“ „Oh. Und wen?“ „Tante Anna. Sie heiratete einen Künstler aus dieser Stadt.“ „Sie stammt aus deinem Dorf.“ „Sie ist eine Assassine, wenn du so nicht fragen willst. Und sie wird mir helfen.“ Michel wollte schon fragen, ob sie ihrer Tante vertraute, aber er ließ es sein. Sie hätte sie kaum erwähnt, wäre sie sich ihrer nicht sicher. Und was wusste er schon von Assassinen unter sich. So meinte er: „Das könnte in der Tat hilfreich sein. Dann suchen wir sie auf, sobald wir in einem Gasthof untergekommen sind – oder nein, vorher schon. Vielleicht kann sie uns einen empfehlen. - Wir werden auf jeden Fall als Ehepaar auftreten. Einen Plan kann ich erst vor Ort machen. Auf jeden Fall müssen wir Pisi auftreiben.“ „Wie heißen die beiden regierenden Familien?“ „Pagnotta und Cosa.“ Die junge Assassine nickte und merkte sich diese Namen, ehe sie aus dem Fenster der Kutsche blickte. Dunkle Zypressen standen vor einem blauen, wolkenlosen Himmel und sie fühlte sich an zuhause erinnert. Von hier aus wäre es nur noch gut eine Woche.... Aquatica war nur zur Hälfte von einer Stadtmauer umgeben – auf der anderen Seite lag das Meer und der Hafen wurde durch Türme und vorgelagerte Molen geschützt. Sarifa fragte einige Male, ehe sie das Haus des Künstlers don Leon fand, ein kleines, schmales Gebäude in einem Wohnviertel. Michel blieb an ihrer Seite, sich ebenso wie sie umsehend. Rechter Hand war eindeutig das Atelier, dort stand ein Mann um die Fünfzig an einem Porträt, links befand sich wohl die Küche der Familie, denn eine rundliche Frau desselben Alters rührte dort in einem großen Kessel. „Tante Anna...“ sagte Sarifa Diese fuhr herum, grübelte für einen Moment sichtlich. So meinte die Assassine: „Ich bin Sarifa.“ „Himmel, ja, Mädchen, ich hätte dich nicht erkannt. Bist du groß geworden!“ Die Dame schoss förmlich auf ihre Nichte zu und umarmte sie, ehe sie leise fragte: „Er...?“ „Er ist mein Partner.“ „Oh.“ Das temperamentvolle Benehmen der Tante fiel abrupt von ihr ab: „Kommt. Habt ihr Gepäck? Ja? Schnell.“ Michel holte die Koffer, die sie im Vorraum stehen gelassen hatten. Als er nur eine Minute später zurückkehrte, sah er mit gewisser Überraschung, wie Donna Anna eine zuvor unsichtbare Tür öffnete, die zu einem wohl geheimen Raum führte. Sie entzündete dort Kerzen. Sarifa folgte ihr ohne Zögern und so auch der kaiserliche Agent. Anna schloss die Geheimtür: „So, hier seid ihr sicher und könnt erst einmal bleiben. Dort, hinten ist eine Latrine. Ich sage Leon Bescheid, wenn er seinen Kunden los ist.“ Sie bemerkte, dass Michel stutzte: „Oh, du kannst ihm vertrauen, Junge. Er ist nicht nur mein Mann sondern mein Partner.“ Zum ersten Mal bekam Sarifas Ausbilder das eigentümliche Gefühl, dass unter Assassinen ein „Partner“ etwas ganz anderes war als im kaiserlichen Geheimdienst. Aber dazu sollte er besser schweigen. Das war für ihn fremdes Gebiet. So nickte er nur. Anna verschwand und er sah sich um. Ein breites Lager, ein Tisch, vier Stühle – ein recht bequemes Versteck, dachte er. Sarifa setzte sich: „Hier sind wir erst einmal sicher.“ „Ja,. Ich hätte nicht gedacht, dass Assassinen über solche Kontakte verfügen,“ gab er zu, ehe er sich einen Stuhl heranzog. „Du wusstest ohne mich ja nicht einmal, dass es uns gibt.“ Aber sie lächelte: „Hoffentlich kann Onkel Leon uns weiterhelfen.“ „Nun, auf jeden Fall haben wir ein Dach über dem Kopf.“ Eine halbe Stunde später kamen Anna und Leon in den geheimen Raum. „Willkommen, Sarifa,“ sagte der Hausherr. „Und, wie darf ich dich nennen?“ „Michel.“ Der Agent hatte sich entschlossen Sarifas Familie in gewissen Grenzen zu vertrauen. Die beiden setzten sich zu ihren Gästen. „Ich werde euch dann essen und trinken besorgen,“ meinte Anna: „Aber zuerst das Wichtige. Ihr habt hier ein Ziel?“ „Ja.“ Sarifa sah seitwärts: „Das Bild...“ Michel zog die Skizze hervor: „Sein Name ist Alessandro Pisi.“ Er bemerkte die Reaktion: „Ja, er wurde hier zum Tode verurteilt, soll aber wieder in Aquatica sein. Und das bedeutet, dass er etwas vor hat. Er wurde in einer Straße gesehen, der Strada Barona. Womöglich wohnt er dort.“ „Hm.“ Leon dachte nach. „Das ist nicht gerade ein gutes Wohnviertel. Viele kleine Wohnungen für arme Leute. Sehr viele Wohnungen. Gut, um sich zu verstecken. Kann ich das Bild haben? Ich werde mal einen Freund ansprechen. Aber das wird schwierig.“ „Dessen bin ich mir bewusst.“ Michel reichte die Skizze hinüber: „Das Problem ist, dass er sicher hier etwas plant, sonst würde er nicht das Risiko eingehen.“ Anna nickte: „Und das sollt ihr verhindern, oder? Gut. Leon kümmert sich darum. Und ich versorge euch. Wenn wir mehr wissen, könnt ihr dann auch weitermachen. Bis dahin wird niemand wissen, dass ihr hier seid.“ „Danke, Tante,“ meinte Sarifa und Michel gleichzeitig: „Danke, donna Anna, don Leon.“ Der Hausherr hob die Hand: „Schon gut. Ich mache mich gleich auf den Weg zu meinem Freund.“ „Wird der sich nicht wundern?“ erkundigte sich Michel dann doch. Leon lächelte: „Ich habe einen wunderschönen Charakterkopf gesehen und skizziert – nun möchte ich den Besitzer dieses Gesichtes fragen, ob ich ihn malen darf. Künstler gelten als exzentrisch, Michel. Das ist durchaus ein Vorteil. Es ist bedauerlich, dass ihr in diesem Raum bleiben müsst, aber die Geheimpolizei des Rates beobachtet Fremde genau. Es steht zu erwarten,dass sie euch suchen, wenn ihr durch das Stadttor kamt, aber in keinem Gasthof abgestiegen seid.“ Das erschwerte die Sache. In Lavinia war es einfacher gewesen, die Stadt offener. „Und wenn wir eine Wohnung mieten?“ „Ja, das wäre sicher am günstigsten. Allerdings werdet ihr doch dort wohnen wollen, wo auch eure Zielperson ist. Und einige Tage werde ich benötigen.“ „Natürlich,“ gab der Agent zu: „Ich wollte nicht undankbar erscheinen.“ „Dann mache ich mich an die Arbeit, Anna, Liebes, besorgst du ihnen etwas zu essen?“ „Natürlich,“ meinte diese: „Ich kann euch immer nur abends etwas bringen, untertags sind unsere Dienstboten und Leons Schüler und Kunden im Haus, da ist es zu unsicher. - Wenn du magst, übe ich mit dir, Sarifa. Oh, nein. Ich vergaß. Du hast ja mit deinen Brüdern bei den Männern gelernt.“ „Ja,“ gab die junge Assassine zu: „Aber danke, Tante. Und ich habe wirklich Hunger.“ Nach dem Essen, bei dem donna Anna ihnen Gesellschaft leistete, zog sie sich zurück – bis morgen Abend. „Ich glaube, Leon hat dann etwas, er ist nicht ungeschickt,“ meinte sie noch: „Wasser steht hier, die Latrine ist dort.“ Michel wartete, bis sie weg war, ehe er leise sagte: „Assassinen sind in der Tat immer für eine Überraschung gut.“ „Was meinst du?“ „Niemand, der diese rundliche, quirlige Frau sieht, würde sie für eine halten.“ „Hast du gedacht, alle Mitglieder meines Volkes seien jung? Überdies darfst du nicht vergessen, dass die Tante seit Jahren hier lebt und kaum mehr in Übung ist, dafür aber stets unter Tarnung. Sie hat sich und Onkel Leon eine Existenz geschaffen, nach der sie leben. Nur in familiären Fällen werden sie...geweckt?“ schlug sie vor, da sie nicht wusste, wie sie das nennen sollte. „Auch wieder wahr. Und du hast mit den Männern geübt, weil du eben den Bären getötet hast, das hast du mir mal erzählt.“ „Ja. Frauen lernen in aller Regel nur Selbstverteidigung mit den Messern, nicht jedoch die Spionageseite.“ „Ich bin ganz froh drum,“ meinte er mit einem Lächeln: „Dann machen wir es uns hier bequem. Es wird langweilig werden, die nächsten Tage, aber das gehört dazu. Und ist auch die größte Gefahr.“ „Du kannst mir ja weiter etwas beibringen,“ schlug sie vor und ging zu ihrem Koffer. „Gut. - Dieses Lager dürfte für uns beide reichen.“ „Ja.“ Etwas erleichtert, dass er nicht auf den Boden verbannt wurde, stand er auf. Nach zwei mehr oder weniger langweiligen Tagen in dem geheimen Zimmer, kam abends don Leon mit einem strahlenden Lächeln, hinter seiner Frau mit dem Essen herein. Die beiden Agenten merkten auf. „Esst nur,“ meinte der Hausherr: „Dabei kann ich es euch erzählen.“ Er wartete, bis sie gehorchten: „Ich habe ihn gefunden. Er sieht fast wie auf der Skizze aus und wohnt in einem Mietshaus in der Strada Barone, gemeinsam mit einer Frau. In dem gesamten Haus sind einzelne Zimmer vermietet, insgesamt über dreißig. Es ist ein dreistöckiges Haus,. An die Nachbarhäuser gebaut, die ähnlich aussehen. Zumeist leben zwei oder mehr Personen in solch einer Unterkunft. Wie erwähnt, keine gute Wohngegend. Die Frau, mit der er zusammenlebt ist ungefähr sein Alter, also so alt wie du, Michel, um die dreißig. Sie ist dunkelhaarig, braune Augen und stammt wohl nicht aus der Stadt hier, denn sie heißt Nica Niamh.“ Michel lächelte ein wenig: „Ihr seid ein wenig unkorrekt, don Leon. Sie nennt sich Nica Niamh, nicht wahr?“ Dieser gab das Lächeln zurück: „In der Tat, Junge. Ich kenne keine Gegend des Reiches, in der man so heißt. Aber, was euch am meisten freuen wird: es gelang mir für euch ein Zimmer in diesem Haus zu mieten. Ab morgen. Der Hausherr kassiert die Miete immer in bar am Beginn der Mietwoche, also morgen. Sieben Gulden die Woche. Wie gesagt, keine gute Gegend.“ Sarifa, die das in der Hauptstadt als Miete für den Unterstand ihres Pferdes bezahlte, zuckte die Schultern: „Das ist gleich, Hauptsache, wir kommen an ihn und sie heran.“ Dann bemerkte sie, dass sie ihrem Ausbilder vorgegriffen hatte und sah beiseite, aber Michel nickte nur: „In der Tat, meine Sachlichkeit. Danke, don Leon, Ihr habt uns einen großen Gefallen getan.“ „Keine Ursache.“ So zogen die beiden am folgenden Tag in betont einfacher Kleidung in das Zimmer ein, das schlechter war als das Geheimversteck von Tante Anna – zwei Strohsäcke bildeten die einzige Einrichtung und eine Latrine befand sich im Hof – eine für alle Menschen in den dreißig Zimmern oder eher Unterkünften, denn in manchen hausten Menschen mit mehreren Kindern. Michel sah sich ein wenig um. Die Fensterläden waren geschlossen, aber Licht und Wärme drang durch die Astlöcher darin. „Na, der Vermieter scheint ja keine Unkosten zu scheuen. - Egal. Wichtiger ist, dass wir im gleichen Stock wie Pisi und seine Freundin sind und noch besser, näher an der Treppe, so dass wir sie beobachten können.“ „Wird ihnen nicht auffallen, wenn unsere Tür immer einen Spalt offen ist?“ „Das würde ihnen auffallen, wenn sie keine Anfänger sind, ja. Aber ich werde in Sitzhöhe ein Loch in die Tür bohren, so dass wir abwechselnd hinaussehen können. Vor allem du, denn ich werde unter dem Vorwand Arbeit finden zu wollen, durch die Stadt bummeln. Erstens erklärt das unsere Anwesenheit gegenüber dem Sicherheitsdienst des Rates, zum zweiten – vielleicht höre ich, was Pisi hierher zurückgetrieben hat. Du beobachtest nur und schreibst auf. Vielleicht empfangen sie Besuch oder haben andere Angewohnheiten.“ Sarifa nickte nur. „Das klingt ein wenig langweilig, aber...“ „Genau, aber. Langeweile ist etwas, dass in unserem Beruf nie aufkommen darf. Man übersieht dann leicht etwas – und wenn Pisi hier jemanden umbringt oder sonst was anstellt geht das auf unser Konto.“ „Das ist mir klar. Wie sieht es mit einkaufen aus?“ „Ich bringe was mit. Wenn wir etwas mehr wissen, gehst du einkaufen, auf den örtlichen Markt oder so. Vielleicht ebenso wie Nica.“ Michel verschwand, nachdem er das Loch gebohrt hatte. Erst mehrere Stunden später kam er zurück und klopfte, ehe Sarifa ihm öffnete: „Oh, mein Schatz,“ sagte er zur Begrüßung. Hinter verschlossener Tür wurde er sachlicher: „Was Neues?“ „Pisi ging einmal weg und kehrte bislang nicht zurück. Von einer Frau auf die Onkel Leons Beschreibung passt sah ich nichts.“ „Hm. Ich übernehme die Wache – leg dich ein wenig hin. Eine Arbeit habe ich nicht gefunden, aber dafür dürften die Leute des Geheimdienstes einen langweilige Zeit verbracht haben.“ „Du wurdest beobachtet?“ „In der Tat. Und ich frage mich, ob der Kaiser, Nicht-Einmischung hin oder her, es nicht bemerkenswert findet, wenn eine Stadtverwaltung derart viel Personal in ihre Sicherheit steckt statt in den Aufbau der Sozialstrukturen. Aber darüber muss nicht ich entscheiden.“ Er setzte sich an die Tür: „Übrigens ist jeden Morgen Markt – gleich um die Ecke. Da kannst du hingehen und uns etwas besorgen.“ „Kochen kann man hier ja leider nicht.“ Nun gut, es gab einen gemeinsamen Herd für alle unten im Hof, aber Sarifa vermutete schwer, dass das nichts für sie wäre. Sie sollten behutsam und unauffällig vorgehen. Zwei Tage später kam Michel von seinen Erkundigungen fast aufgeregt zurück und seine Partnerin sah ihn an: „Hast du was?“ „Ja. Du auch?“ „Ja. Nica ging heute und gestern immer um neun Uhr zum Markt. Das heißt...“ ergänzte sie korrekt: „Sie ging weg und als sie wiederkehrte war ihr Korb mit Brot und Obst voll. Pisi dagegen blieb drinnen.“ „Gut. Dann entwickeln sie eine Angewohnheit. Das mag uns noch nützlich sein. - Ich habe herausgefunden, dass in den nächsten Tagen hoher Besuch erwartet wird. Markward.“ „Der älteste Sohn des Kaisers? Ah ja, es hieß ja, er reise durch die Provinzen.“ „Ja. Und das könnte durchaus der Grund sein, warum Alessandro Pisi hierher zurückkehrte. Sicher, der Kaiser mischt sich nie ein, aber die Ermordung seines Sohnes könnte da schon etwas bewirken. - Komm mit. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Mit einem wohlverborgenen Lächeln bemerkte er, dass die Assassine sich ihr Haar ordnete, ehe sie mit ihm hinaustrat. Auch dieses Volk war wohl nicht von weiblicher Eitelkeit verschont. „Weißt du, mein Engel, es gibt Dinge, die du weitaus besser kannst als ich.“ Damit hatte er sie neugierig gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)