Die Klingen des Kaisers von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 19: Agentenleben ------------------------ Michel zitterte vor Kälte und Erschöpfung, als er sich in der Dunkelheit des unterirdischen Ganges die raue Wand entlang tastete. Aber er wusste, er musste durchhalten. Sarifa war ärger dran als er selbst – und mochte ihr Gewicht ihn auch zusätzlich behindern, ihm war klar, dass er die Verantwortung trug. Nur noch einen Schritt, noch einen.... Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sich etwas verändert hatte. Der kalte Bach umspülte nicht mehr seine Füße – und seine klammen Finger berührten etwas anderes als Fels – Metall. Fast mühsam hob er den Kopf. Über ihm war Schwärze und Feuchtigkeit wie auch um sie, aber es war die Dunkelheit der eingesetzten Herbstnacht und Regen, was sich da oben befand. Ein Ausgang, wenn auch ein steiler Schacht. „Sarifa!“ flüsterte er. Sofort spürte er ihre Anspannung. So fuhr er fort: „Steig ab, hier ist ein Ausgang....“ Erleichtert glitt sie von seinem Rücken, warnte jedoch: „Ich glaube, ich höre etwas hinter uns...“ Die Bande mochte bemerkt haben, dass sie fehlten. Aber nachsehen war wohl in der überfluteten Höhle unmöglich. „Vielleicht. - Hier gehen Eisenklammern hinauf. Bleib hier. Ich gehe nachsehen. Wenn uns kein Empfangskomitee erwartet, werde ich leise pfeifen. Dann gehe ich und hole die Pferde, das werde ich schon irgendwie schaffen. Und du kletterst hier empor, bleibst aber in dem Schacht. Nur für den Fall, dass diese Mistkerle hier entlangkommen.“ „Ja,“ meinte die Assassine nur, zu müde um mehr zu reden, aber auch in dem Bewusstsein, ihre Kräfte für die Kletterpartie aufsparen zu müssen. Michel würde noch erschöpfter sein, immerhin hatte er sie doch einige Minuten jetzt getragen, wie viele vermochte sie nicht zu sagen. Der Agent kletterte über die Krampen empor, so rasch er es noch konnte. Es gab eine Chance, vielleicht die letzte zur Flucht. Immerhin war es Herbst und die Dunkelheit war relativ früh hereingebrochen. Vorsichtig sah er über den Rand von etwas, das er als alten, verfallenen Brunnen erkannte. Das Herrenhaus konnte er nicht entdecken und er war froh darum. Irgendwo hörte er trotz des Regens das Meer. Dorthin müsste er und dann zusehen, dass er die Pferde fand. Es war besser zu türmen und Graf Uther zu verständigen, der sich sicher mit der Marine um weitere Dinge hier kümmern konnte. Wichtiger war es, dass sie alle zwei in die Wärme und ins Trockene kamen und Sarifa ihren Knöchel ruhig lagern konnte. Ein Arzt wäre wohl auch nicht schlecht.... Er stieg aus. Wo war jetzt nur das Meer? Er war so müde, dass er sich kaum mehr bewusst machen konnte, wo welche Geräusche herkamen. Aber er pfiff und machte sich auf den Weg, weit weniger elegant als gewöhnlich. Sarifa hatte es trotz allem gehört und tastete nach den eisernen Klammern, die ihr Partner erwähnt hatte. Als sie feststellte, dass dies praktisch nur vierkantige Nägel waren, die in Abständen rechts und links in den Fels getrieben waren, seufzte sie in Gedanken. Es war notwendig, dass sie allein hier hinaufkam. Michel würde es unmöglich schaffen sie hoch zu tragen. Außerdem war es peinlich. Zum Glück stammte sie aus einer Region, in der verstiegene Schafe und Ziegen von Felsen zu holen zum Alltag gehörte. Sie musste zwar auf ihr linkes Bein verzichten, aber wer auch immer diese Steighilfen angebracht hatte, hatte es dem Kletterer nicht zu schwer machen wollen. Es war trotz ihrer Müdigkeit leichter, als sie gedacht hatte. Allerdings spürte sie, dass sie vor Erschöpfung zitterte, als sie unterhalb des alten Brunnenrandes an den Klammern hing. Jetzt blieb ihr nichts als warten. Michel benötigte einige Zeit um die Pferde zu finden und dann wieder den alten Brunnenschacht. Er half Sarifa hinaus und auf das Reittier. „Nichts wie weg,“ sagte er: „Inzwischen müsste Emsby und seiner Bande aufgegangen sein, dass wir entkommen sind. Vielleicht denken sie, dass wir ertrunken sind und nur fortgespült, aber das glaube ich nicht.“ Er stieg selbst auf und nahm die Zügel des zweiten Pferdes: „Ich führe dich lieber. - Ich hoffe nur, dass die Bösewichte denken, dass wir als professionelle Einbrecher abgeschreckt wurden und lieber Borea verlassen als nach Lorgnan zu gehen. Aber wenn sie uns den Weg zwischen Emsby und Lorgnan verlegen....“ Ja, das war auch der Assassine bewusst. Ein strategisch arbeitender Jagdtrupp würde sie früher oder später finden – und in ihrem Zustand war keiner von ihnen kampffähig. Sie hätte schon genug Probleme damit gehabt ihr Tier zu lenken und war froh, dass Michel es an das seine band. So fragte sie nur: „Findest du den Weg?“ „Nein,“ gab er zu. Nicht bei diesem Regen, Wind und seinem Grad der Erschöpfung: „Ich hoffe, dass die Pferde nach Hause finden. Die ungefähre Richtung habe ich ja, zur Kontrolle. Leider werden die Stadttore schon geschlossen sein.“ Während des schweigsamen Ritts durch die Dunkelheit dachte er allerdings immer wieder nur an eine einzige Frage: warum war kein Personal auf Emsby gewesen, dafür aber diese fünf Galgenvögel? Aber in seiner Müdigkeit fand er keine Antwort. Es war schon weit nach Mitternacht als sie bei dem Haus der Pferdevermieters ankamen. Ein gutes Stück entfernt konnten sie die Mauern von Lorgnan erahnen. Als endlich auf Michels Klopfen reagiert wurde, war der Empfang alles andere als freundlich. „Verschwindet, dämliches Pack!“ „Wir bringen Eure Pferde zurück,“ antwortete Michel etwas ärgerlich. Sie waren müde, erschöpft, durchgefroren und hier war die Wärme und Hilfe so nahe....Und dieser.... Dann erst bedachte er, dass sie einfache Kleidung trugen, und diese auch noch gelitten hatte. Sie sahen wohl wirklich eher wie Landstreicher aus. Musste denn heute alles schief gehen? Nun, er sollte sich nicht beklagen. Sie waren alle beide noch am Leben – und das hatten Emsby und Co sicher nicht geplant. „Zu spät auch noch!“ Der Pferdevermieter hinter der Tür war noch immer unfreundlich: „Dafür werdet Ihr mir morgen noch einen Tag bezahlen.“ „Meinetwegen, aber lasst mich und meine Frau irgendwo ins Trockene.“ „Ich öffne meine Tür niemandem bei Nacht.“ „Euren Stall. Ich bezahle auch dafür.“ „Ach ja, von was?“ „Ich habe Geld. - Hört, meine Frau ist vom Pferd gefallen und hat sich ihren Knöchel verletzt, darum konnten wir auch nicht früher kommen. Wenn Ihr mich schon nicht einlasst, dann doch wenigstens sie....“ Michel fuhr herum, als er trotz des Regens hinter sich ein Geräusch hörte. Sarifa, die endgültig am Ende ihrer Kräfte angekommen war, war bewusstlos vom Pferd gefallen. Bestürzt lief er zu ihr, so rasch er noch konnte: „He!“ Er zog sie hoch, nicht ahnend, dass nun zwei Paar Augen aus dem Haus sie beobachteten: „Wie geht es? Komm schon, wir haben es gleich, mein Engel. Wach auf.“ „Ach, das arme Ding,“ flüsterte die Frau dem Vermieter zu: „Lass sie schon rein. Wenigstens in den Stall.“ Mit gewissem unwilligen Brummen rief der Vermieter: „Na schön, geht in den Stall.“ „Gut.“ Michel wollte seine Partnerin eigentlich tragen, aber auch seine Muskeln versagten den Dienst. Alles, was er noch tun konnte, war, ihr beim Aufstehen zu helfen und sie etwas zu stützen, während sie im Regen mit den Pferden hinüber in den Stall gingen. „Sie scheint ziemlich verletzt....“ murmelte die Frau. „Ich bringe ihnen was.“ „Mach keinen Unsinn. Die bezahlen dir das nie!“ „Schau dir die Kleine doch an, die kann nicht einmal mehr gehen. Glaubst du, dass ist gespielt? Komm schon...“ Sie stupste ihn an: „Wenn uns jemand überfallen wollte, würde der das anders machen. Und bedenke auch, dass die Wachen von Lorgnan patrouillieren.“ Michel band die Pferde einfach an, ohne sie abzusatteln, während sich Sarifa aufatmend ins Heu fallen ließ, dann jedoch ihre Hose etwas emporzog, um nach ihrem Knöchel zu sehen und ihn abzutasten. Er war geschwollen und dunkel zeichneten sich unter der Haut Blutergüsse ab, wo das Tellereisen sie gequetscht hatte. Immerhin war nichts gebrochen, sonst hätte sie kaum auch nur so leicht auftreten können. Dennoch war ihr klar, dass es Tage, wenn nicht Wochen dauern würde, bis ihr Bein wiederhergestellt sein würde, und schmerzfreies Gehen möglich wäre. „Wie sieht es aus?“ Michel setzte sich neben sie. Immerhin waren sie hier im Trockenen, auch, wenn sein Zähneklappern verriet, dass er sich besser aufwärmen sollte. „Hm. Üble Quetschung. Das kann dauern.“ „Du wirst mich kaum so brauchen können.“ Sie ließ den Stoff fallen und richtete sich wachsam auf. Auch Michel vernahm nun die Stalltür und erkannte verwundert eine Frau, die offenbar schwerbeladen hereinkam, dazu noch eine Laterne trug. „Ich bringe Euch heiße Milch, ma donna,“ sagte diese: „Und etwas für einen Kräuterumschlag. Ihr seid verletzt.“ Sie setzte die Laterne ab und reichte Michel den dampfenden Topf, ehe sie die anderen Dinge unter ihren Armen freigab. „Ja, danke.“ Die Assassine begutachtete rasch die Gaben, ehe sie ehrlich dankbar sagte: „Das ist reizend von Euch.“ Michel nahm vorsichtig den Topf mit der Milch. Seine Hände zitterten und die ungewohnte Wärme schmerzte, aber das war alles gut. So würde er sich auch inwendig ein wenig erwärmen können. Während er aus dem Topf trank, zeigte seine Partnerin der Frau ihren Knöchel. „Oh je, da seid Ihr wohl zwischen Steine geraten.“ Sarifa überlegte kurz die Formulierung, ehe sie nach einer kaum bemerkbaren Pause erwiderte: „Ja, ich...ich bin vom Pferd gefallen und sehr unglücklich gestürzt.“ „Ich mache den Umschlag feucht, dann könnt Ihr es umwickeln. Gebrochen ist nichts?“ „Ich denke nicht. Morgen früh wollen wir ja zurück in die Stadt, wenn die Tore geöffnet werden. Mich wundert sowieso, dass Ihr hier draußen lebt.“ „Nun ja, mein Mann vermietet ja Pferde.“ Die Frau tauchte den Stoff in die Pferdetränke: „und wenn man nicht da ist, verschwindet leicht eines. Darum kommen ja auch immer wieder Wachen vorbei.“ „Ah, gut zu wissen.“ Michel reichte Sarifa die heiße Milch: „Danke, ma donna. Immerhin können wir uns hier etwas aufwärmen.“ „Der Winter hier hat begonnen, sobald die ersten Herbststürme von Norden kommen und nicht mehr von Westen der Wind weht. So, hier kommt zerriebener Beinwell, das dürfte Eure Schwellungen ein wenig lindern.“ Sie machte den Umschlag. „Danke.“ Sarifa stellte die Milch ab. Jetzt, wo sie in der einigermaßen Wärme des Stalles saß und versorgt wurde, wurde ihre Müdigkeit übermächtig. „Ich gehe,“ sagte die Frau: „Gute Nacht.“ Die beiden übermüdeten Agenten tranken noch die Milch, ehe sie sich einfach in das Heu fallen ließen und tatsächlich tief und traumlos schliefen. Michel erwachte, als die Vögel draußen das erste Tageslicht des Herbstmorgens begrüßten. Der Regen schien aufgehört zu haben, dachte er noch, ehe er realisierte, dass es wohl mehr als gut gewesen war, dass er als erster munter war. Sarifa lag eng an ihn geschmiegt und er hatte im Schlaf den Arm um sie gelegt. Als er ihn vorsichtig wegzog, erwachte die Assassine prompt. „Guten Morgen,.“ sagte er eilig: „Wie geht es?“ „Besser. Aber natürlich werde ich den Fuß noch immer kaum belasten können.“ „Ja. Und wir werden bestimmt noch eine Erkältung bekommen. Aber wir leben.“ „Und wie. Emsby wird sich noch wundern.“ „Ja, der schuldet uns noch was.“ Michel musste nur daran denken, dass sie seiner vorgeblichen Frau das Eisen umgelegt hatten und nicht ihm, wohlwissend, dass es oft für die Männer die größere Belastung war ihre Frau nicht schützen zu können. „Ich gehe mal und bezahle unseren unfreundlichen Vermieter. Die Stadttore müssten bald geöffnet werden. Vielleicht komme ich irgendwie dazu eine Sänfte zu organisieren. Denn großartig laufen wirst du nicht können. Unser Aussehen ist zwar momentan nicht so, dass wir eigentlich in die Stadt dürften, aber ich habe den kaiserlichen Passierschein...wenn er nicht aufgeweicht ist...“ Er tastete hastig in der versteckten Tasche nach: „Nun ja, aufgeweicht, aber noch lesbar,“ erklärte er dann: „Ich lege ihn mal her zum Trocknen.“ Er stand auf. Sarifa richtete sich auf. Die extreme Erschöpfung war verschwunden, aber ihr Knöchel schmerzte noch immer. Allerdings schien die Schwellung ein wenig zurückgegangen zu sein, auch, wenn sich der Bluterguss weiter ausgebreitet hatte. Nun gut. Es war nichts gebrochen und sie würde sich erholen. Wenn es ging so rasch wie möglich, denn das Halali gegen Emsby und seine Spießgesellen würde sie nur zu gern mitansehen. Und noch lieber mitmischen. Einige Zeit später kehrte Michel zurück: „So. Mein Passierschein. - Erstaunlich, wie freundlich Leute werden können, wenn man mit Gold bezahlt.“ Er schob das Dokument ein. „Nun, du musst zugeben, bei deinem augenblicklichen Äußeren nimmt jeder nicht gerade Zahlungsfähigkeit an. Du gehst jetzt nach Lorgnan?“ „Nein. Eine der Wachen, die hier auf Morgenpatrouille vorbeikamen, schickt eine Sänfte. Unser Vermieter bat ihn darum.“ „Das war wohl teuer.“ „In der Tat, meine Sachlichkeit. Aber im Rahmen. Es ist nicht mein Geld sondern geht auf Spesen. Und wir kommen so auch ungesehen in unsere Gastwirtschaft, für den Fall, dass Emsby schlauer als erwünscht ist, und jemand am Stadttor postiert hat. Dann ziehen wir uns um, du gehst ins Bett und ich zur kaiserlichen Briefstation. Graf Uther muss erfahren, was wir herausgefunden haben.“ „Und was geschieht dann?“ Sarifa passte das Programm nicht so ganz, aber ihr war klar, dass sie ihren Fuß schonen musste. „Wir werden sehen. Normalerweise würde ich sagen, dass jemand von der Marine uns kontaktiert um näheren Bericht zu erlangen und dann die Marine zuschlägt.“ „Wir nicht?“ Das hörbare Bedauern in der Stimme der Assassine ließ ihn antworten: „Nun, wie gesagt, wir werden sehen. Aber wenn die Marine die Federführung hat, müssen wir tun, was sie anordnen. Kompetenzgerangel zwischen zwei kaiserlichen Stellen wäre fatal, wenn nur die Ergebnisse zählen.“ „Natürlich,“ beteuerte Sarifa prompt, die aus einem Volk stammte, in dem das Ergebnis die Mittel heiligte. So waren die beiden eineinhalb Stunden später in ihrem deutlich bequemeren Gasthofzimmer. Um ihren Zustand zu erklären, hatte Michel, neben reichlichen Gaben von Trinkgeld, die Legende in die Welt gesetzt, dass sie überfallen worden wären. Erleichtert zogen sich beide komplett aus und um, alle zwei wohlweislich mit dem Rücken zum Partner. Dann legte sich Sarifa brav ins Bett und Michel meinte: „Ich gehe jetzt zur Station. Der Wirt soll dir noch eine heiße Rinderbrühe hochbringen lassen. Ich esse dann unten, wenn ich fertig bin.“ Er trug nun die bestickte Kleidung eines reichen Kaufmannes, darüber einen pelzverbrämten Umhang, die gelockten Haare offen und wohl frisiert, und kaum jemand hätte in ihm den durchnässten Bauern von gestern erkannt. „Ich erstatte Bericht und gehe zum Hafen.“ „Und was machst du da?“ „Mit dem Hafenmeister reden. Du erinnerst dich, ich bin auch Mitinhaber einer Handelsflotte aus Lavinia. Da wird er schon mit mir sprechen wollen. Und ich möchte noch wissen, wer außer ihm von den Ladungen und der Besatzung der Schiffe weiß, ehe wir an die Marine übergeben. Immerhin haben wir Zwei einen Ruf zu verlieren.“ „Und wenn dich Emsby oder Gustav oder einer ihrer Kumpanen erkennt?“ „Das werden sie nicht. Und wenn, dann bitte ich die nächsten Wachen um Hilfe. Am Hafen sind einige – und ich habe einen kaiserlichen Passierschein. Keine Sorge, ich stürze mich nicht in ein Getümmel. Die gestrige Aufregung reicht mir.“ „Den Bericht an Graf Uther schickst du mit einer Taube.“ „Ja.“ Er war verwundert. Sarifa zuckte die Schultern: „Ich fürchte, der arme Vogel bricht sich das Bein....“ „Oh, es wird kurz. Zum einen ist es wichtig, dass die Piraten wohl unter Emsby in einer Höhle sind. Und für die Bitte um ein Treffen gibt es bestimmte Zeichen, Kürzel, so dass ich nur noch die Ortsangaben ausführlich schreiben muss.“ Sie nickte: „Ich verstehe. Dürfen wir beim...Abschluss dabei sein?“ „Wie gesagt, wenn die Marine federführend ist, ist sie es. Wir werden sehen. Unsere Aufgabe ist das Suchen von Informationen – weniger die Durchführung. Was durchaus ein Vorteil sein kann. - Gute Besserung.“ Er verließ sie. Als er fast fünf Stunden später in ihr Zimmer zurückkehrte, fand er die Assassine im Bett sitzend bei Übungen mit den Armreifdolchen. Sie zog sie eindeutig schnell. „Ah, hast du schlafen können?“ fragte er, während er sich den Umhang abnahm. „Ja, und gegessen habe ich auch. - Wie lief es?“ „Die Taube ist unterwegs, ich habe das Treffen in drei Tagen angesetzt. Vorher wird die Rückantwort kaum bei der Marine sein. Also haben wir Zeit uns zu erholen.“ „Gut.“ Sie schob ihre Waffen wieder an die Unterarme: „Bis dahin werde ich auch laufen können.“ „Wie ich erwähnte, mein aggressiver Engel: die Marine ist federführend.“ Sarifa seufzte: „Ja, ich halte mich daran. - Warst du am Hafen?“ „Ja.“ Er öffnete sein Wams und zog es ab: „Der Hafenmeister war erst wenig gesprächig, aber etwas Bestechung ließ ihn besser plaudern. Was mich störte. Denn er ist Angestellter der Stadt und sollte genug Geld bekommen, dass er nicht bestechlich wäre. Jedenfalls sind die meisten Arbeiter am Hafen nur für Beladen und Ausladen angestellt, ungelernte Kräfte, die oft genug auch bald wieder verschwinden. Unmöglich, dass jemand von denen Einsicht in die Ladepapiere bekommt oder genügend Überblick hat, Piraten zu informieren. Bleiben nur der Hafenmeister und sein Schreiber. Beide wissen genau, welches Schiff mit welcher Ladung abgeht. Wenn die Schiffe in den Hafen kommen, melden sie sich auch bei den Zweien und geben ihre Ladung an, damit sie weiterverladen werden kann. Ich gab den Namen aus Lavinia an: Martin van Maat. Eine Nachfrage würde ergeben, dass der tatsächlich Geschäftsmann dort ist, nun ja, Partner der Milanos, einer angesehenen alten Handelsfamilie. Nicht weiter verdächtig, dass der sich nach neuen Gelegenheiten umtut.“ „Das ist wahr. Also der Hafenmeister oder sein Schreiber.“ Sie sah zu ihm, da er sich auf das Bett setzte. „Du willst schlafen.“ „Ja. Ich bin doch noch etwas angeschlagen. Gegessen habe ich unten.“ „Dann werde ich nicht mehr üben.“ „Ich wäre dir sehr verbunden.“ Er legte sich nieder, wie stets, bemüht seitwärts zu bleiben. Noch vor dem Einschlafen kreisten seine Gedanken allerdings erneut um die ungelöste Frage: warum hatte Emsby sein Personal weggeschickt, aber diese fünf Männer auf Besuch gehabt? Am vierten Tag mietete Michel eine Kutsche, allerdings ohne Fahrer. Das machte es etwas teurer und der Besitzer verlangte eine Kaution, die der Agent ohne mit der Wimper zu zucken hinterlegte. In weiser Voraussicht hatte er einen weiteren von Graf Uthers Bankbriefen eingelöst. Es war verständlich – und der Kutsche würde nichts zustoßen. Sarifa stieg vor dem Gasthof in die Kutsche ein, den Assassinenumhang über einem gutbürgerlichen Kleid. Der Treffpunkt lag ein gutes Stück außerhalb der Stadt. Immerhin hatte der Regen aufgehört. Es war stürmisch, ein kalter, klarer Herbsttag, aber sie war fest entschlossen sich damit zufriedenzugeben. Michel fuhr in flottem Trab zu der Kreuzung, die er angegeben hatte, bog dann in Richtung auf einen kleinen Weiler ein, als er vor sich einen Reiter am Straßenrand erblickte, der ihnen langsam entgegenkam. Er erkannte die Kleidung und wurde langsamer, hielt, sich bereits eine Maske vor das Gesicht streifend. Der Fremde zügelte sein Pferd neben der Kutsche und hob die Hand. Er mochte um die Vierzig sein, ein Mann in den hellen Strumpflingen und dem blauen Wams der kaiserlichen Offiziere der Marine. Sein Umhang war gerade lang genug, um rechts und links von ihm über den Sattel zu hängen, dabei kaum die daran befindliche Degenscheide bedeckend. Ohne seine Irritation über die Maske zu zeigen meinte er: „Ich vermute, wir haben hier ein Treffen.“ „Das vermute ich auch,“ erwiderte Michel und zog die Bremse: „Um es bequemer zu haben, binden wir die Pferde an und setzen uns hinein .“ Während der Offizier abstieg und neben Michel sein Tier an einen Baum band, erklärte er: „Mein Name ist Ramon de Navarone, Fregattenkapitän in besonderem Auftrag der kaiserlichen Marine. Euren Namen brauche ich nicht zu erfahren, aber mir wurde gesagt, dass Ihr die Klingen des Kaisers seid.“ Er warf einen Blick zur Kutsche. „Ja, mein...Partner und ich. Es wurde beliebt uns so zu nennen.“ De Navarone, sieh an. Der König dieses Landes war schon recht alt und sein ältester Sohn von Sechsen führte seit Jahren die Regentschaft, die anderen waren wohl in kaiserliche Dienste getreten. Immerhin war der Kapitän einer Fregatte, noch dazu zur besonderen Verwendung, schon ein höherer Rang. Darüber standen nur noch Admiräle. Das hatte nichts mehr mit Offizierspatent kaufen zu tun, dahinter steckte Können. Nur die ersten Ränge konnten noch erkauft werden. „Kommt, Kapitän.“ Ramon de Navarone war ein wenig erstaunt, eine mit einem Umhang und einer Kapuze verhüllte aber doch weibliche Gestalt zu sehen, wie ihm ein Blick auf die ruhig im Schoß liegenden Hände verriet, ehe er das Kleid darunter bemerkte. „Don de Navarone,“ erklärte Michel: „Fregattenkapitän der Marine, und, wie ich schwer vermute, der Leiter der heutigen Aktion.“ „In der Tat,“ bestätigte der schwarzhaarige Neuankömmling und streifte in automatischer, höfischer Höflichkeit einer Dame gegenüber sein Haar zurück und die Reithandschuhe ab: „Ich freue mich, die Klingen des Kaisers zu treffen. Euer Bericht.“ Michel gehorchte und schloss: „Wir hatten Glück, aber ich hatte einfach auch nicht vermutet, dass das Herrenhaus so vollkommen leer wäre und dachte, wir würden als Bauern unter dem üblichen Treiben, zumal bei diesem Wetter, nicht auffallen. Immerhin war der Garten nicht verwildert, alles schien gepflegt.“ „Ich habe bereits einen Späher ausgesandt,“ erklärte der Fregattenkapitän: „Heute sind jede Menge Personen anwesend, auch Frauen. Da das mutmaßliche Piratenschiff nicht vor Anker lag und auch nur fünf weitere Männer anwesend waren, dürfte es wohl gerade ausgelaufen sein und Emsby hatte seine Leuten freigegeben, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.“ „Es sollte Aufmerksamkeit erregen, wenn das Personal so oft freibekommt,“ warf Michel ein, unwillkürlich an seine eigenen Güter denkend. „Sie nehmen es wohl als Marotte Emsbys dankend an. Aber ein Schiff in einer Höhle – daran dachte natürlich niemand. Sie werden wohl eine Art kleine Korvette haben, deren Reichweite zwar kürzer als der einer Fregatte ist, aber deren Mast man umlegen kann. Das erklärt einiges. Vor allem, warum sie so gut verschwinden können.“ „Es fragt sich, ob diese fünf Männer auch heute noch dort sind. Das hängt wohl von ihrer Arbeit ab.“ „Sie hatten eine Aufgabe, die auch keiner der Angestellten sehen sollte, ja. Fragt sich nur, was. Nun, wenn wir sie haben, werden sie reden.“ „Euer Plan, don Kapitän?“ Ramon de Navarone erlaubte sich ein Lächeln: „Ihr überlasst es mir?“ Durchaus ungewöhnlich bei Leuten, die anscheinend das Vertrauen des Kaisers direkt genossen. Da gab es so manchen, der das heraushängen ließ. Nicht, dass Dagobert dies selbst getan hätte. Michel zuckte ein wenig die Schultern: „Es ist Euer Auftrag.“ Der Kapitän nickte. Er hatte durchaus Verständnis dafür, dass sie neugierig waren, wie die Sache weitergehen sollte: „Ich führe das Kommando über meine eigene Fregatte, die Aquila, und zwei Korvetten, die für diesen Auftrag ebenfalls mir unterstellt wurden. Alles in allem an die neunzig Mann. Da es in den letzten Tagen keine Piratenüberfälle gegeben hat, warten sie wohl noch auf Nachricht aus Lorgnan und die richtige Beute.“ „Ihr baut eine Falle,“ konstatierte Michel. „Ja. Ich reite zurück nach Lorgnan und werde mich im Hafen umsehen ob ich ein Schiff finde, wie es dem Beuteschema entspricht, aber eher werde ich wohl die Korvetten tarnen. Die Schiffe liegen im Augenblick vor der Insel Miu. Sobald eine der Korvetten überfallen wird, werden sie sich zur Wehr setzen und sich gegenseitig helfen. Wie Ihr sicher wisst, verfügt die kaiserliche Marine über Lichtsignale. Statt der gedachten zehn oder fünfzehn Kauffahrer werden fünfundzwanzig erfahrene Kämpfer an Bord sein, die mit dem Degen und dem Säbel umzugehen wissen. Hinter dem Seehorizont, das ist der scheinbare Sichthorizont auf dem Meer, warte ich, denn ich würde wetten, dass sich die Piraten nach einem misslungenen Überfall in ihren bislang so sicheren Schlupfwinkel zurückziehen. Dann schließt die Aquila die Falle, so dass ihnen der Seeweg versagt ist. Falls sie sich nicht zurückziehen steht es drei Schiffe gegen eines.“ „Und über Land?“ erkundigte sich Sarifa: „Das Herrenhaus ist gut geschützt – und es gibt einen Notausgang.“ „In der Tat, ma donna. Aber in den folgenden Tagen werde ich noch Männer herkommen lassen. Die Marine sucht die Piraten seit zwei Jahren, da ist es nicht notwendig, es nun zu übereilen.“ Der Korvettenkapitän sah, wie die anscheinend recht junge Frau höflich den bedeckten Kopf tiefer senkte. Wer das wohl war? Eine Frau, noch dazu jung, als kaiserliche Agentin hätte er nie vermutet. Aber genau das war wohl ihre beste Tarnung, in aller Regel zumindest, denn dieses Mal war ja etwas schief gelaufen. „Nun, ich werde auf jeden Fall Männer hier lassen, die das Herrenhaus beobachten, für den Fall, dass unerwartet Emsby zu fliehen beabsichtigt, oder auch seine Bauern als Geiseln nehmen will. Bislang scheint er ja anzunehmen, dass Ihr ertrunken seid oder zumindest so eingeschüchtert, dass Ihr nur geflohen seid.“ „Ich nehme letzteres an, don Kapitän.“ Michel sah unwillkürlich aus dem Kutschenfenster: „Er erschien mir mehr als selbstsicher. Und trotz unserer Vorsicht – wir sahen niemanden in Lorgnan, der nach uns suchte.“ „Euch sah hoffentlich umgekehrt auch niemand,“ entkam es de Navarone prompt. „Wenn, so dürfte uns niemand erkannt haben. - Oh, beobachtet doch ein wenig den Hafenmeister und dessen Schreiber. Sie kennen sich mit jeder Ladung aus und ich hörte, dass der Hafenmeister alle Arbeiten im Hafen verteilt, so gut wie jeden nimmt, der sich bewirbt....“ „Ich werde es tun. - Don, ma donna.....“ Der Fregattenkapitän stieg aus. Noch ehe er davon ritt, hatte Michel ebenfalls sein Pferd abgebunden und lenkte die Kutsche zurück nach Lorgnan, wenn auch deutlich langsamer als der Marineoffizier. ** Im nächsten Kapitel heißt es: Zugriff! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)