Die Klingen des Kaisers von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 30: Duell ----------------- Michel schlief friedlich, als Amir und Mahedj in das Schlafzimmer der Männer kamen, um ihren Bruder und ihn zu wecken. Shahin war unverzüglich wach, und warf, da seine Brüder ein wenig lächelten, einen Blick auf den Schlafenden. Ihr Gedankengang war ihm klar – er teilte ihn. Für einen Assassinen war solch ein Schlaf am Morgen vor einem Duell auf Leben und Tod der Beweis von Mut und Selbstvertrauen – durchaus anerkannte Eigenschaften. Aber Michel lebte ebenfalls zu lange in einer Welt, in der selbst im Schlaf auf der Hut sein das Leben retten konnte, und drehte sich abrupt um – jäh hellwach, ehe er sich entsann, wo er war, und sich entspannte: „Oh, guten Morgen, Brüder meiner Partnerin. Ist es schon Zeit?“ „Nein. Aber Mutter und Sarifa haben Frühstück gemacht,“ erklärte Amir: „Nicht, dass du etwas essen solltest, aber ein wenig Tee wäre ratsam.“ „Oh, danke. Ja, ich komme dann gleich.“ Als die beiden verschwanden, sah er zu Shahin: „Danke für die Massage – Geist und Körper sind locker.“ „Gern geschehen. Das Öl stellt Mutter übrigens selbst her.“ Der Assassine erhob sich und im Tageslicht erkannte Michel an seiner linken Seite eine hässliche Narbe, die offenkundig alt und verwachsen war – das musste die Bärenwunde sein, als er elf gewesen war. Da sich Shahin anzog folgte der nördliche Adelige seinem Beispiel. Jedes Zögern, jede Verlegenheit war verschwunden. Man kann sich nicht vor jemandem schämen, der drei Viertel der Nacht damit zugebracht hat, einen kampffähig zu machen, ohne selbst etwas dafür zu verlangen. Als die Vier hinüber in das Haupthaus kamen, saßen Elkhelellu und Sarifa bereits um die Tischplatte. Kleine Schälchen mit Tee standen neben den einzelnen Plätzen. Michel warf einen Blick auf seine Partnerin. Sie war ruhig, lächelte ihm sogar flüchtig zu. „Guten Morgen,“ sagte er daher höflich zu ihrer Mutter, ehe er ein: „Meine Partnerin...“ hinzusetzte. Sie musterte ihn prüfend, konnte jedoch keine ungewöhnliche Anspannung entdecken. So hatten ihre Brüder, und vor allem Shahin wohl gute Arbeit geleistet – zumal Michel in der Tat ein mutiger Mann war. Es war ungerecht gewesen, dass sie auf ihn wütend gewesen war. Niemand hatte ihm erklärt, was es mit dem silbernen Dolch auf sich hatte – ihr Fehler. Sie hätte ihn warnen müssen. So meinte sie nur: „Ich weiß nicht, ob meine großen Brüder das erwähnten: es ist allgemein üblich, ein derartiges Duell mit bloßem Oberkörper zu führen.“ „Um die Verletzungen und das Blut gleich zu zeigen?“ erkundigte er sich prompt. Er kannte von Hinrichtungen oder auch Anprangern die Schadenfreude der Menschen. „Nein,“ erwiderte Elkhelellu sofort: „Trink nur den Tee, Partner meiner Tochter. - Wenn du überlebst, wird sich in die Verletzungen Staub und der Sand des Platzes legen, was man auswaschen kann. Sonst könnte sich der Stoff in den Wunden festkleben und ist schlechter zu beseitigen. Die Gefahr einer Blutvergiftung sinkt so. Überdies kann sich der Dolch deines Gegners nicht in deiner Kleidung verwirren.“ Jeder hier kannte sich wohl in Kampftechniken aus, musste er anerkennen. Allerdings: „Auch meine Beinlinge sind nicht unbedingt für ein Duell solcher Art geeignet,“ gab er zu: „Kann ich mir von jemandem Stiefel leihen?“ „Ja, nimm meine, Partner meiner großen Schwester,,“ erklärte Mahedj unverzüglich: „Sie könnten dir über diese...hm...Schuhe passen.“ Er hatte noch nie Schuhe gesehen, die nur aus Strümpfen bestanden und deren einziger Schutz gegen den Boden eine angenähte Ledersohle bildete. Aber er war der Jüngste und er hatte das Dorf erst einmal verlassen, als er mit Mutter und einigen anderen auf den Markt in die nächste Kleinstadt zog, um dort Schafprodukte zu verkaufen. „Und meine Ersatzkleidung,“ ergänzte Amir: „Unsere Hosen sind doch etwas...weiter. Ich gehe und hole welche.“ „Dann wohnst du nicht hier?“ erkundigte sich Michel neugierig. Immerhin hatte Amir doch gesagt, er sei mit einer Djamila verheiratet. „Doch, ich hole sie von drüben, aus unserer Schlafkammer. - Aber meine Frau ist zur Zeit in ihrem Elternhaus, da ihre Schwägerin kurz vor der Geburt des ersten Kindes steht. Da kommen immer alle Frauen der Familie zusammen.“ „Danke. - Eine Frage habe ich noch,“ sagte er zu niemand Bestimmten: „Hat Agrar auch Klingen in den Griffen wie du, meine Partnerin?“ „Nein,“ erwiderte Sarifa sofort: „Wie auch meine Rüstung – das sind Spezialanfertigungen für mich um den Gewichtsvorteil eines Mannes auszugleichen.“ „Schön, wenn man weiß, auf was man alles nicht aufpassen muss.“ „Auf alles,“ erwiderte Elkhelellu prompt: „Wenn es dir meine Söhne noch nicht sagten: es ist ein Ehrenduell. Und da gibt es nur eine Regel: wer überlebt, siegt.“ Oh, seufzte Michel in Gedanken, meinte jedoch nur: „Keine Regel.“ „Gibt es gerade bei euch im Norden nicht das Sprichwort: im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt?“ fragte sie zurück: „Agrar liebt Sarifa und sieht sie ungern auch nur in der Nähe eines anderen Mannes. Das ist der Grund für dieses Duell, auch, wenn ihm klar sein dürfte, dass du der Partner bist, kein Eheanwärter.“ „Ich verstehe. Danke für den Rat, Mutter meiner Partnerin.“ Ihre Namen konnte er kaum aussprechen und so fragte er plötzlich: „Sarifa bedeutet die Anmutige, nicht wahr? Bedeuten alle Namen etwas?“ „Ja,“ sagte Shahin. „Der Name unserer Mutter ist Schmetterling in deiner Sprache, Amir ist ein Befehlshaber, ein Herzog oder Fürst, Shahin bedeutet Falke, Mahedj eine Gazelle. Unsere Brüder, die du nicht kennst: Yamin bedeutet jemand, der die Sache in Ordnung bringt, und Tarik...äh....“ „Ein tapferer Krieger,“ half Elhkehellu aus: „So ungefähr. Manches lässt sich nicht übersetzen.“ „Aber Tante Anna in Aquatica hat einen....nördlichen Namen.“ Michel war sichtlich interessiert und ahnte nicht, dass das etwas war, das die Assassinen schätzten, so kurz vor einem tödlichen Kampf. „Sie änderte den ihren als sie sich mit ihrem Partner in Aquatica niederließ. Es sollten keine Fragen kommen. Geboren wurde sie als Akila, das bedeutet so etwas wie ...klug. In unserer Sprache sucht man immer Namen mit einer schönen Bedeutung aus. Was bedeutet Michel?“ „Tja,“ musste er zugeben: „Im Norden werden Namen weitergegeben, ohne dass man sich unbedingt deren Bedeutung bewusst ist. Manche Namen bleiben in der Familie, von Großvater zu Sohn. Ah, danke Mahedj, danke Amir. Ich werde mich dann umziehen gehen.“ Sarifa folgte ihm, ohne dass jemand ihrer Familie sie aufgehalten hätte: „Michel...“ „Ja, mein Engel?“ Er zog sich das Wams aus und die hemdartige Garderobe der Assassinen über: „Hilfst du mir bei den Armreifdolchen?“ „Natürlich. Hat Shahin dir seine gegeben?“ Sie wickelte die Riemen um seine Unterarme. „Ja. Er sagte, es sei gute Ware.“ „Er schätzt dich. - Michel, ich möchte mich entschuldigen.“ „Warum? Du hast ja nicht wissen können, dass jemand mich zu einem Ehrenduell fordert.“ „Ich dachte nicht, dass Agrar so ein Idiot ist,“ bekannte sie: „Ist es zu fest?“ „Nein.“ Er streckte den anderen Arm aus: „Und mach dir keine Sorgen um mich. Ich will nämlich nicht sterben.“ „Eine gute Einstellung in einem Kampf auf Leben und Tod – vorausgesetzt, man hat keine Angst vor dem Tod.“ „Eine Assassinen-Weisheit?“ Er zog sich die Haare zurück und band sie zu einem Zopf. „Nein. Eher Tatsache. Nur, wenn man nicht in Panik verfällt, hat man eine Chance. - Ich lass dich allein,“ meinte sie etwas verlegen, da er zu seinen Beinlingen griff: „Viel Glück.“ „Danke. - Sarifa – wenn....wenn die Sache schief geht, denk ab und an an mich, ja?“ Sie lächelte etwas und floh dann förmlich aus dem Raum. Michel lächelte ebenfalls, zog sich aber nur um, um sich zu setzen und zu warten. Er hatte bereits angesagte Duelle bestanden und kannte die Anspannung, ebenso wie die vor einer Schlacht. Man konnte in diesen Zeiten kein Adeliger in kaiserlichen Diensten sein ohne zu lernen gelassen am offenen Grab zu stehen. So versuchte er sich zu konzentrieren, die Stimmen draußen zu ignorieren, die eine größer werdende Menschenansammlung verrieten. Er war kein Held, dachte er plötzlich, und wenn ihm jemand mitgeteilt hätte, Agrar sage den Kampf ab, weil er...die Pest hätte, wäre er wirklich nicht böse gewesen. Aber ihm war bewusst, dass er, würde er das Duell ablehnen, selbst das Dorf vermutlich nicht lebend verlassen würde, hätte er doch sich, seine Partnerin vor allem und den Kaiser blamiert. Unmöglich, undenkbar. Sarifa hatte sich im Norden so viel Mühe gegeben rasch alles Notwendige zu lernen, sie hatte manchmal gepatzt, aber ihn nie im Stich gelassen – da wollte er nicht damit anfangen, schon gar nicht vor ihren eigenen Leuten. Er sah erst auf, als Amir hereinkam. „Komm,“ sagte der nur. Michel stand auf und folgte ihm wortlos. Auf dem Dorfplatz zeugte nichts mehr von der gestrigen Feier, alle Überreste der Feuer waren verschwunden. Die gesamte Bevölkerung, er schätzte über zweihundert Menschen, saß in einem weiten Kreis im Schatten der Häuser, der Platz selbst lag in der winterlichen Mittagssonne. Immerhin war nicht Sommer, es würde also nicht zu heiß werden. Er entdeckte seinen Herausforderer am anderen Ende, der sich gerade das Oberteil abstreifte. Als Agrar ihn entdeckte, rief er: „Zu feige, deine Kleidung auszuziehen?“ Er trug an beiden Unterarmen Dolche geschnallt. „Nicht wirklich,“ gab Michel zurück, der bemerkte, dass ihn Amir allein ließ, um sich auf seinen Platz zwischen Onkel und Sarifa zu setzen. Hinter ihm saß eine junge, sehr hübsche Frau von knapp über Zwanzig, seine Ehefrau Djamila. Michel blieb daher stehen und streifte sich den Überhang ab, warf ihn beiseite, dann das hemdartige Obergewand. Plötzlich wurde er sich bewusst, dass ihn alle auf dem Platz anstarrten, ein gewisses Murmeln durch die Menge lief. Was war das denn? Irgendwie wurde er rot, das spürte er. Das war ja schrecklich peinlich. Was hatten sie? Aber ihm war klar, dass er möglichst keine Regung zeigen durfte. Sarifa hätte es ihm erklären können. An seinem Körperbau ließ sich ablesen, dass er durchtrainiert war, kein nördlicher, harmloser Schreiberling, wie es manche hier schon vermutet hätten, die annahmen, sie hätte ihn aus einem ganz anderen Grund zum Partner gewählt. Da war eine große Narbe auf seiner linken Schulter, die unbekannten Ursprungs war, Degennarben über Brust und Oberarmen. Er war ein Kämpfer, und das überraschte durchaus manchen hier. Sarifa wünschte sich inständig auch Agrar wäre erstaunt. Ihre Verwandten hofften auf einen guten Kampf, gleich, wer gewinnen würde. Das war ein Ehrenduell und so häufig fanden diese nicht statt. Agrar kam langsam in die Mitte des Platzes, Michel tat es ihm gleich, ebenfalls zwei Messer an den Unterarmen. „Ihr kennt die Regeln?“ erkundigte sich der Anführer der Assassinen: „Dass es keine gibt? Der Kampf wird erst enden, wenn einer von euch beiden tot ist. Zieht eure Dolche.“ Beide Duellanten gehorchten und wichen unwillkürlich einen Schritt zurück, duckten ab. Jedem auf dem Dorfplatz war klar, dass sie in diesem Moment die Zuschauer vergaßen, sich nur auf sich und den Gegner konzentrierten. Der Assassine stach zu – schnell und gezielt gegen das Herz seines Widersachers. Es war eine der Standardatttacken, von denen Shahin und Amir gesprochen hatten, und Michel parierte mit seiner Klinge auf dem Stahl von Agrars Messer. Ein bizarrer Tanz entstand. Der Assassine war stets in der Vorwärtsbewegung, zwang dadurch Michel öfter rückwärts zu gehen, abzublocken. Oft genug war es knapp, reichte die Zeit nicht für mehr als ein bloßes Beiseiteschlagen des Dolches. Aber ihm war klar, dass Agrar bald eine Pause einlegen würde, wenn er feststellte, dass er so nicht durchkam. Sarifas Brüder hatten ihm geraten, sich auf den Messerkampf einzulassen, ein System zu aufzubauen, um Agrar darüber zu täuschen, was er konnte – und was nicht. Nur im Freistil hätte er eine Chance gegen einen Assassinen, der seit zwanzig Jahren den Umgang mit den Armreifdolchen gewohnt war. Und Michel, der das für einen ausgezeichneten Rat hielt, war entschlossen, dem zu folgen. Dennoch atmete er unwillkürlich ein wenig auf, als Agrar zurückwich. Die erste Runde war vorbei, und sie müssten sich beide jetzt etwas Neues einfallen lassen. So griff diesmal Michel mit dem Dolch an, um seinen Widersacher nicht auf die Idee zu bringen, dass er auch mit der Linken attackieren könnte, wenn auch ohne Waffe. Er war schließlich nicht umsonst einer der Wenigen, die mit beiden Händen fechten konnten, das würde ihm hier vielleicht den überlebenswichtigen Vorteil verschaffen. Aber erst einmal musste er ein Kampfsystem durchsetzen, damit Agrar annahm, er kämpfe immer so, und womöglich unaufmerksam wurde, die falschen Züge vorausahnen wollte. „Er ist schnell,“ murmelte Shahin, sich auf seinen Cousin beziehend: „Aber dein Partner hält mit.“ Sarifa nickte ein wenig, ohne die Augen von den Duellanten zu lassen. Es würde gleich etwas passieren, da war sie sicher. Beide hatten bislang noch nicht alles gezeigt, was sie konnten – und würden dazu übergehen, wenn ihre bisherigen Attacken abgewehrt wurden. Michel griff noch immer an, während Agrar auswich oder Stahl auf Stahl parierte. Er bereitete etwas vor, das war ihr klar – nur, was? Und hoffentlich würde ihr Partner mit einer Finte rechnen. Wieder wich Agrar seitlich aus, wechselte dann jedoch plötzlich die Richtung. Mit der Linken schlug er Michels Waffenhand beiseite und zielte mit seinem Dolch auf dessen linke Brustseite, zum Stich ins Herz. Michel drehte sich blitzschnell seitwärts auf seinen Gegner zu. In der Stille des Dorfplatzes hörte man deutlich das Geräusch, als sein linker Unterarm den Stich an der Innenseite von Agrars Handgelenk blockierte und dessen Waffe so empor schlug. Der Assassine sprang sofort zurück und fasste seinen Dolch wieder fester. Um ein Haar hätte er ihn verloren. Mit der Linken rieb er sich sein rechtes Handgelenk. Anscheinend hatte der Abwehrschlag auch noch eine andere Wirkung gezeigt. Michel griff sofort seinerseits an, nun die Messerhand erhoben, um von oben zustoßen zu können. Agrar wich etwas zurück, ihm leicht die linke Seite zudrehend. Dabei schien er in der Rückwärtsbewegung zu stolpern, fing sich jedoch gerade noch durch einen raschen Seitwärtsschritt, sich gleichzeitig drehend – und dabei seinem Gegner fast den Rücken zukehrend. Michel sah seine Chance und beschleunigte etwas seine Bewegung.und folgte dem Assassinen. Agrar ließ sich jedoch noch aus der Drehung auf die Knie fallen, so dass Michel plötzlich zu nahe bei ihm für einen guten Angriff war. Sein Handgelenk streifte noch Agrars Gesicht ehe das Handgelenk verhältnismäßig weich auf der Schulter aufschlug, den Dolch harmlos in der Luft. Noch bevor dies geschah, oder eher gleichzeitig, fuhr Agrars linker Ellbogen hoch und zurück und traf den nun gebückt stehenden Michel hinter dem Ohr, fast am Nacken. Der wurde beiseite geschleudert, teils durch den Aufprall, teils durch sein instinktives Bemühen, dem Schlag noch auszuweichen, und prallte auf den harten Boden des Dorfplatzes. Allerdings war er zu ausgebildet und zu leidensfähig, um sich nicht unverzüglich wegzurollen und aufzuspringen. Seine Rechte hatte sich um seinen Dolch verkrampft. Eine der ersten Lektionen, die man bei den Leibgarden lernte, war, seine Waffe nie loszulassen, auch, wenn es sich dort um einen Degen und nicht ein Messer handelte. Diese, ins Unterbewusstsein übergegangene, Anleitung hatte ihm jetzt auch hier geholfen. Sarifa holte tief Atem. Das also war die Falle gewesen, die ihr Cousin aufgebaut hatte. Nun, ihr Partner war nicht hineingefallen und trug noch beide Dolche. Das mochte ein Vorteil sein. Sicher, jeder der Duellanten konnte eine Waffe verlieren und hatte doch eine, aber es kostete Zeit, das linke Messer in die Rechte zu nehmen – oder auch nicht, denn sie entsann sich durchaus, dass Michel ebenso mit der Linken fechten konnte, also wohl auch mit einem Dolch darin umgehen konnte. Das konnte sein Vorteil sein, denn Agrar würde kaum mit einem beidhändigen Gegner rechnen, dazu gab es zu wenige Leute, die das konnten. Michel blieb stehen, scheinbar erschöpft und verzweifelt. Er fasste den Dolch mit beiden Händen, als sei er ihm zu schwer geworden. Agrar bemerkte es natürlich ebenso wie die Zuschauer. Shahin und Amir warfen einen raschen Blich auf ihre kleine Schwester, aber da Sarifa regungslos zusah, vermuteten sie, dass Michel jetzt ihren Rat in die Tat umsetzen wollte. Da irrten sie sich, zumindest, was Sarifa betraf. Deren Ruhe kam nicht nur aus dem Vertrauen in ihren Partner sondern auch und vor allem aus der Tatsache, dass ihre Entscheidung schon längst gefallen war. Wenn die Sache hier schief ging, Michel verlor und starb, würde sie Agrar umbringen, gleich, was sie das dann kosten würde. Agrar griff an, aber im nächsten Moment war Michel ihm etwas entgegen gesprungen, direkt bei ihm. Mit dem linken Unterarm drückte er die Messerhand des Assassinen nach außen, ehe er mit beiden Fäusten in dessen Gesicht schlug. Der taumelte zurück und fiel zu Boden. Michel warf sich sofort auf ihn, um seine einzige Chance zu nutzen. Und bemerkte auf der Stelle, dass er seinen Gegner unterschätzt hatte. Trotz des harten Schlages, dessen Wirkung das Blut verriet, dass dieser aus seinem Mundwinkel rinnen ließ, war der aktionsfähig. Er sah die Klinge aufflirren, noch, als er sich auf Agrar warf, und versuchte, den Assassinen nochmals, endgültig, bewusstlos zu schlagen. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, wie die Messerhand seines Gegners schräg über ihm war. Er warf sich seitwärts, so gut es ging, und versuchte mit dem Knie abzublocken. Da er dabei schräg lag, misslang dies. Agrar zog seinen Dolch zurück, zu erfahren, um seine Waffe im Widersacher zu lassen. Die Klinge schimmerte rot. Michel wusste, dass er verletzt sein musste, aber sein Puls raste und das Wissen, dass er keine Zeit mehr zu verlieren hatte, ließ ihn Schock und Schmerz völlig vergessen. Irgendetwas in seinem Kopf wusste, dass er nicht mehr würde stehen können, - und dass sein Widersacher nun mit weiterem Freistil rechnen würde. So drehte er sich, schlug mit beiden Fäusten erneut gegen Kinn und Schläfe. Er lag oben, er hatte den ersten Hieb geführt, jetzt den zweiten, und so klappte es. Agrar wurde benommen. Michel riss dem Assassinen hastig den Dolch aus der Hand und warf ihn beiseite, ehe er ein Knie in die Kehle des Unterlegenen stemmte, sein verletztes Bein dabei nicht belastend. Jetzt tauchte der Schmerz bereits am Rand seines Bewusstseins auf... Nur noch eine Sekunde durchhalten, dachte er verbissen, als er zu Sarifas Onkel blickte. Er brachte kaum heraus, was er sagen wollte: „Habe..ich gewonnen....Herr der Assassinen, oder muss ich ihn töten? Ich ...ich möchte kein Familienmitglied meiner Partnerin umbringen...aber ich werde es tun,...wenn es nötig ist.“ Und es war Onkels Sohn. Der Anführer der Assassinen sah ihn an, ehe er sachlich erwiderte: „Du hast gewonnen. Das Leben meines Sohnes gehört jedoch dir. Töte ihn oder nicht, es ist deine Entscheidung.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Lässt du ihn jedoch leben, so verpfände ich dir mein Wort, dass ich, Moussa, jeden deiner Wünsche erfüllen werde, wenn es irgendwie in meiner Macht steht.“ Michel atmete etwas auf, ehe er sich erhob – und unverzüglich bemerkte, dass sein Bein wegknickte. Mühsam hielt er sich auf seinem gesunden Fuß, stützte sich nur mit dem verletzten ab. Er sah an sich herunter. Blut lief über seine Wade – diese war glatt durchstochen worden. „Agrar...“ meinte er keuchend: „Es war ein faires Duell – und ich wäre töricht... euer Dorf eines fähigen Kämpfers zu berauben.“ Er wollte gehen, aber fiel um ein Haar hin, spürte, wie sich ein Arm fest um ihn legte, dann ein zweiter. Sarifa und Shahin stützten ihn. Agrar drehte sich auf die Seite, um ebenfalls etwas angestrengt aufzustehen. Das Duell hatte bei ihnen beiden sehr an den Kräften gezehrt, erkannte Michel. „Komm,“ meinte seine Partnerin: „Mutter ging schon um ihre Salbe und Verbandszeug zu holen. Du hast gewonnen.“ „Hast du etwa...daran gezweifelt, mein Engel?“ „Nicht wirklich,“ bekannte sie. Michel, der um sich nur anerkennende Blicke entdecken konnte, war trotz seiner Müdigkeit und der Schmerzen stolz auf sich und lachte auf: „Ja, nicht wirklich.“ ** Das nächste Kapitel dreht sich hauptsächlich um die kaiserliche Familie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)