Die Klingen des Kaisers von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 1: Bekanntschaft ------------------------ Der Wind hatte aufgefrischt und das schon lange sehnsüchtig erwartete Gewitter brach die sommerliche Schwüle auf. Der grauhaarige Wirt einer kleinen Gaststätte am Rand der Straße war darüber auch nicht ungehalten. In Folge des Unwetters waren alle Reisenden, die bei ihm vorbeikamen, auch bei ihm eingekehrt. So voll war seine bescheidene Taverne in der Regel nicht und er hatte hastig seine Familie von allen anderen Arbeiten abgezogen, um ihm bei Servieren und Kochen zu helfen. Er sah auch beiläufig zur Tür, als die sich öffnete, sicher, einen neuen Gast begrüßen zu können, bestimmt wieder einen Händler oder gar eine Karawane, wie schon einige hier Zuflucht gesucht hatten. Dann merkte er, dass er sich geirrt hatte und es sich um sehr seltenen Besuch handelte. Obschon durchnässt trug der Vorderste eindeutig die teure Garderobe eines vornehmen Mannes, enganliegende schwarze Beinlinge und unter dem bodenlangen Umhang glitzerte ein besticktes, blaues Wams. Auch seine Begleiter, vier mit Degen Bewaffnete in Harnisch, zeugten von seinem Stand. So eilte der Wirt hin: „Einen schönen Abend, edler don. Wünscht Ihr ein Nachtquartier oder nur ein wenig Speis und Trank?“ „Etwas zu essen, Wirt.“ Der Blick des Vornehmen glitt durch die gut gefüllte Gaststube. „Natürlich. Wenn die Herren mir folgen wollen....“ Der Wirt hastete voran, in der Hoffnung sein Geschäft noch einmal deutlich zu steigern. Er sollte abends ein Dankgebet für das Unwetter sprechen. In einer, von der Tür fast unsichtbaren, Nische saß an einem Sechsertisch allein ein Mädchen von höchstens zwanzig Jahren, das gegessen hatte. Der Adelige zog etwas die Augen zusammen. Allein reisende Frauen waren mehr als eine Seltenheit und zeugten oft genug nur von einer bestimmten Berufung. Aber die Wahl im Regen weiter zu reiten ließ ihn dem Wirt folgen. Immerhin waren sie zu fünft und, wenn die junge Frau zudringlich werden sollte, konnte er ihr leicht den Mund verbieten. „Ihr gestattet doch, ma donna...“ sagte der Wirt. Ohne ihre Antwort abzuwarten zog er bereits einen Stuhl für seinen hohen Gast zurecht. Auch diese höfliche Anrede an eine Frau war nicht geeignet, anzunehmen, die sei etwas anderes als eine Reisende. Etwas beruhigt musterte der Fremde das Mädchen genauer – und begegnete einem ebenso abschätzenden Blick. Sie war um die Zwanzig, höchstens, befand er. Ihre Kleidung war unter einem grauen Umhang verborgen, dessen Kapuze sie abgestreift hatte. Lange schwarze Haare und dunkle Augen zeugten ebenso wie ihre gebräunte Haut davon, dass sie wohl aus den südlichen Regionen des Kaiserreiches stammte. Und, soweit er erkennen konnte, trug sie Hosen – sicheres Zeichen, dass sie sowohl reiten konnte als auch auf einer langen Reise war – und sich nicht an die üblichen Konventionen hielt, nach denen eine Dame in einer Sänfte getragen wurde oder in einer Kutsche saß. Interessant. Ob das der Grund war, dass sich bislang niemand der Gäste zu ihr gesetzt hatte? Er sagte jedoch nur höflich: „Meine Begleiter und ich möchten gern essen.“ „Natürlich, edler don,“ erwiderte sie nur, die Anrede an einen unbekannten Adeligen wählend. Als er und seine Begleiter sich setzten, entging ihr jedoch nicht das kleine Wappen auf dem Degenknauf des Mannes, der neben ihr Platz nahm, und nur zufällig seinen Umhang beiseite streifte, um seine Waffe bequemer an der Seite des Stuhles herabhängen zu lassen: ein herabstoßender Falke. Sie musste einen Moment nachdenken. Zu welchem der Stadtstaaten oder kleinen Königtümer im Kaiserreich gehörte das? Als es ihr einfiel, musterte sie den Adeligen am Tisch noch einmal genauer. Das war das Wappen der kaiserlichen Armee und nur bestimmte Männer durften dies auf dem Schwert tragen. Die Angehörigen der Leibwachen. Es hieß, niemand könne so gut mit einem Degen umgehen wie ein Mitglied dieser Elitetruppe. Das musste dann auch ein wichtiger Mann sein, den diese begleiteten, ohne Zweifel auf Befehl des Kaisers. Nun, er mochte irgendwo zwischen Mitte Fünfzig und Sechzig sein, sein Kopf begann kahl zu werden, während sich ein weißer Haarkranz um die Lücke zog. Seine Hände, die eben seinen nassen Umhang abstreiften, waren eher die eines Mannes, der viel am Schreibtisch saß. Vermutlich ein wichtiger Bote, beschloss sie. Und das war eigentlich nichts, das sie anging. So trank sie nur ihr Weinwassergemisch aus, während die Männer ihre Mahlzeit bestellten und bekamen. Dann stand sie auf: „Gute Nacht noch, edler don.“ Sie verließ die Gaststube, nachdem sie dem Wirt einige Münzen gegeben hatte und einer der Gardisten sah zu seinem Anführer: „Sie trägt Metall.“ „Eine Rüstung, vermute ich,“ sagte der Adelige leise: „Aber das geht uns nichts an. Auf einer Reise ist eine Bewaffnung zwischen den Städten und Königreichen leider notwendig.“ „Dennoch – eine junge Frau, allein hier unterwegs – es muss eine wichtige Mission sein oder sie ist leichtsinnig. Und jetzt geht sie in den Regen. Das wird weder ihr noch ihrem Pferd bekommen.“ „Unerfahren, ja.“ Der Adelige hob etwas die Hand, als Zeichen, nicht weiter darüber sprechen zu wollen und seine Begleiter respektierten dies. Das Mädchen ging unterdessen zum Stall und sattelte ohne Hilfe ein braunes Pferd, das sichtlich schon alt war. Sie hatte kein anderes bekommen, das ihr entsprach und diese Reise durchstehen konnte. Als Reiterin war sie nicht gerade besonders fähig, aber diesen Weg hatte sie nicht zu Fuß angehen wollen. Sie war schon seit vier Wochen unterwegs und hoffte, das Ziel ihres Rittes in wenigen Tagen zu erreichen. Der erfahrene Wallach würde sie tragen, immer entlang der Straße, und so erwartete sie doch im Sattel schlafen zu können. Nun, sie konnte eigentlich immer und sofort einschlafen, aber vor ihr lag das große Waldgebiet der Berge von Maron und dort sollten Räuber hausen. Diese Seite kontrollierte der König von Pisan und auf der anderen Seite befand sich das Kerngebiet des Kaisers, das dieser frei von Diebesgesindel hielt. Nur zwischen den einzelnen Stadtstaaten und den Königtümern befanden sich diese gesetzlosen Zonen, in die alles zog, was lichtscheu war. Darum hatte es wohl auch der vornehme Herr für nötig befunden, sich mit kaiserlichen Gardisten zu schützen. Sie zog die Kapuze über ihr Gesicht, ehe sie aufstieg und hinaus in die regnerische Nacht ritt, zufrieden, dass ihr Umhang neben den anderen Fähigkeiten auch wasserdicht war. Als die Sonne aufging hatte sie das Waldgebiet von Maron schon erreicht. Immerhin hatte es zu regnen aufgehört und sie war froh darum. Es schien hier einsam zu sein, aber sie wusste, dass sie sich besser nicht darauf verlassen sollte. Für einen Moment packte sie Bedauern allein weiter geritten zu sein, statt sich einer Handelskarawane oder auch dem fremden Adeligen mit dem interessanten Begleitschutz anzuschließen. Sie hatte selten ihr Heimatdorf verlassen und wenn, dann nur mit ihrem Vater, und so war sie einfach noch zu unerfahren. Das mochte am Ziel ihrer Reise, der kaiserlichen Hauptstadt, noch ein gravierendes Hindernis darstellen, aber sie musste eben zusehen, dass sie so wenig wie möglich Fehler machte und so rasch wie möglich lernte. Hufschlag hinter ihr ließ sie sich umdrehen. Das war doch nicht möglich? Das waren der Adelige und seine vier Männer von gestern Abend. Sie war doch praktisch die gesamte Nacht durchgeritten...? Ja, erkannte sie dann, aber im Schritt und auf einem durch die lange Reise schon müden Pferd. Diese Männer hatten sich natürlich frische Pferde besorgt und trabten nun flotter dahin. Auch ein Fehler, den sie begangen hatte. „Gott zum Gruß, ma donna,“ sagte der Adelige höflich und zügelte sein Pferd etwas um neben sie zu gelangen. „Darf ich fragen, ob es Euch genehm wäre mit uns zu reiten?“ Angenehm wäre es freilich, das würde Schutz bieten, aber: „Nun, wie Ihr seht, edler don, ist mein Pferd bereits müde, die Euren sind frisch. Ihr würdet durch mich nur aufgehalten, gleich, wohin Eure Reise auch gehen mag.“ „Wir wollen nach Paradisa, die Hauptstadt. Und Ihr würdet uns nicht aufhalten. Unsere Pferde mögen frisch sein, aber das dauert nicht lange, wenn wir sie überfordern. - Bitte, betrachtet mein Angebot nur als Unterstützung eines alten Mannes, der gewohnt ist, zu Damen höflich zu sein.“ „Ich möchte ebenfalls nach Paradisa,“ gestand sie. Nun ja, es wäre besser als allein zu sein – und die Leibwachen genossen einen vorzüglichen Ruf, auch, was deren Ehrbarkeit anging. Überdies war sie überzeugt, mit dem Adeligen fertig werden zu können, falls dieser zudringlich wurde. „Darf ich fragen, ob Euch ein bestimmter Grund dorthin führt?“ „Ich möchte Arbeit suchen.“ Täuschte sie sich oder atmete er etwas auf? Kannte er ihre Profession? „Suchen, also habt Ihr noch nichts? - Oh, verzeiht, was für ein Benehmen. Ich bin Graf Uther. Wisst Ihr, was ein Graf ist?“ „Ein Sonderbotschafter des Kaisers mit besonderen Vollmachten.“ Darum also die Leibgarden. „In der Tat. Ihr kennt Euch gut aus....“ „Sarifa ist mein Name.“ Der Graf nickte etwas: „Ja, ich entsinne mich. Im Süden gibt es keine Nachnamen, nicht wahr? Ihr würdet nur den Namen Eures Vaters hinzusetzen, wenn es um rein bürokratische Angelegenheiten geht.“ „Um rein bürokratische,“ bestätigte sie mit einem kleinen Lächeln. War sie überhaupt das, was er meinte? Graf Uther war sich nicht sicher. Es gab Gerüchte, aber wer konnte schon behaupten, einmal einen Assassinen oder einen Meuchelmörder gesehen zu haben? Die, die es taten, waren in aller Regel tot. Und überhaupt: sie war so jung, unerfahren, schien so weich – und er schmeichelte sich einer gewissen Menschenkenntnis. Dennoch fuhr er fort: „Also trieb Euch Arbeitssuche auf diesen langen Ritt? Wisst Ihr denn schon, als was Ihr arbeiten wollt?“ Erneut musterte er sie. Doch, unter dem Umhang zeichnete sich eine Rüstung ab, wenn man wusste, wonach man suchen sollte. Und Frauen dienten in keinem Heer. Auch trug sie keinen Degen. „Nein.“ Wieder bemerkte sie das unwillkürliche Aufatmen und fuhr etwas erklärend fort: „Nach dem Tod meines Vaters wollte ich etwas mehr von der Welt sehen und da erschien die kaiserliche Hauptstadt als lohnendes Ziel.“ Ja, er wusste, was sie war. Woran hatte er es erkannt? Nun ja, der Umhang, ihre Rüstung dachte sie plötzlich – hier trugen Frauen keine Hosen, keine Rüstung. Sie hatte nicht daran gedacht, wohl auch ihre Mutter nicht. In ihrem Heimatort war das durchaus üblich. Dann müsste sie sich mehr vorsehen, vor allem, andere Kleidung kaufen. Kaum jemand würde sie sonst einstellen, stand zu vermuten. Ihr Volk besaß einen gewissen mörderischen Ruf, zu Unrecht, wie sie allerdings fand. „Nun, Ihr könnt lesen und schreiben?“ „In der Tat.“ Anerlernte Reflexe ließen sie zurückhaltender werden. Sie sollte, durfte sich nicht mit Fremden unterhalten. Der Sonderbotschafter hob etwas die Hand: „Ich wollte plaudern, Euch nicht ausforschen, Sarifa. Verzeiht.“ Aber nun schwiegen alle. Gegen Mittag machte der kleine Reisegruppe eine längere Pause. Sarifa schätzte, dass ihr Wallach schon sehr müde war, aber er war so zäh, wie es ihr Onkel ihr versprochen hatte, als sie miteinander ihn kauften. Ihre Familie hatte ihren Wunsch respektiert, die Welt außerhalb des kleinen Ortes, ja, des Südens einmal zu sehen. Nur eine Handelskarawane zog an ihnen vorbei, Kaufleute mit den Söldnern, die sie beschützen sollten, bis sie im Königreich von Pisan angekommen waren. Bislang hatte sie jedoch nichts von den angeblich hier lebenden Räubern mitbekommen, obwohl sie auf Bewegungen um sie geachtet hatte, wie auch die Leibwachen des Kaisers. Nein, das waren in der Tat keine Amateure und sie fühlte sich unwillkürlich besser. Trotz ihrer fast lebenslangen Ausbildung war sie noch relativ unerfahren und hatte wenige ernsthafte Kämpfe bestritten. Nur eine halbe Stunde später hatte sie die Gewissheit, dass das Profis waren. Sie waren aufgestanden, um die Pause zu beenden und die Pferde wieder fester zu zäumen, als sieben Banditen aus dem Wald stürzten, Degen und Messer in den Händen. Die vier Gardisten fuhren sofort herum. Noch während sie zogen hatten sie sich um ihren Schützling gruppiert, was Sarifa verstand. Ihr Befehl lautete Graf Uther zu schützen – nicht ein zufällig aufgelesenes Mädchen. Während fünf der Banditen sich auf die Männer stürzten, wandten sich zwei ihr zu, in der sie, wie ihr Lachen verriet, die leichtere Beute sahen. Idioten, dachte sie, als ihre linke Hand ihren Umhang von der Kehle löste und ihr rechter Arm eine leichte Bewegung machte. Der Armreifdolch glitt lautlos aus der Scheide, die sie dort am Unterarm trug. Sie bezweifelte nicht, mit den Beiden zurande zu kommen – und ebenso, dass die vier Leibwächter die fünf anderen töten würden, ehe dem Grafen ein Leid geschah. Dann jedoch hatte sie keine Zeit mehr, sich um die anderen zu kümmern, denn ihre zwei Gegner schossen auf sie zu. Graf Uther sah auch relativ unbesorgt zu, wie seine Wachen in einen Kampf verwickelt wurden. Vorsorglich hielt er allerdings seine Rechte unter seinem Umhang – wehrlos war er ebenfalls nicht. Erst, als die fünf Angreifer um ihm tot auf dem Boden lagen und sich die Leibgarden nach ihrer Mitreisenden umsahen, bemerkte er, dass auch neben dieser ein Toter lag. Das überraschte ihn weniger – wenn sie das war, wofür er sie hielt. Mehr erstaunte ihn, was er sah. Der Mann glitt gerade wieder in einem Angriff voran und Sarifa parierte die Attacke Stahl auf Stahl – die schwierigste aller Paraden in einem Messerkampf. Noch fast in der gleichen Bewegung war sie neben dem Banditen und ihre Klinge fuhr nur Millimeter an dessen Kehle vorbei – eindeutig mit Absicht. Der Graf trat an seinen Leibwächtern vorbei: „Ihr spielt, Sarifa?“ Seine Verwunderung lag in seiner Stimme. „Ich dachte, es würde Euch interessieren wer sie Euch auf den Hals gehetzt hat,“ gab sie sachlich zurück, ohne den Blick von ihrem Gegner zu nehmen. Sie dachte mit, vermerkte er anerkennend: „Es sind Strauchdiebe. Und mit denen rede ich nicht.“ Sie nickte nur, während der Mann schluckte. Im nächsten Moment sprang sie auf ihn zu. Er riss die Hand hoch um den tödlichen Stoß gegen seine Kehle abzuwehren. Die Beobachter erkannten nur eine Bewegung ihres linken Armes, um Schwung zu holen, dann fuhr sie herum, bereits ihre Klinge aus dem Banditen ziehend. Erst jetzt entdeckten der Graf und seine Wachen, dass sich in der Rückseite ihres Messergriffes eine versenkbare Klinge befunden hatte, sie sie nun ausgefahren hatte. Dagegen hatte sich der Bandit nicht vorsehen können, war das doch eine mehr als unübliche Sonderanfertigung. Sarifa bückte sich und wischte das Blut an dessen Kleidung ab, ehe sie den Dolch wieder in seine Scheide an ihrem Unterarm schob. „Mein Gott,“ flüsterte eine der Wachen: „Sie ist ein Mädchen, keine Zwanzig....“ Und sie tötete abgebrühter als mancher ihrer Kameraden. Graf Uther nickte leicht: „Ihr werdet meine Frage verstehen, Sarifa: seid Ihr eine Meuchelmörderin?“ In ihren Augen blitzte es auf, während sie bereits fauchte: „Vergleicht mich nie mit denen!“ Einer von diesen hatte ihren Vater getötet. „Also seid Ihr eine Assassine. Wie ich es mir bereits dachte.“ Er blieb ruhig: „Ich vermutete nur, dass Euer Volk bereits ausgestorben sei.“ Meuchelmörder, Männer oder auch Frauen, die für Geld jemanden umbrachten, bekam man nur zu leicht in diesen Zeiten. Sie waren die beliebteste Waffe bei Streitigkeiten zwischen Städten und Königreichen, denn bei einem offenen Krieg zwischen diesen schritt der Kaiser ein und niemand legte Wert darauf das kaiserliche Heer vor seiner Haustür zu sehen. Assassinen jedoch besaßen einen eigenen Ruf – sie waren perfekt in der Kunst des Tötens, aber sie mordeten nur, wenn das Opfer ihnen den Tod verdient zu haben schien. Niemand konnte sie kaufen – und angeblich niemand sie aufhalten. „Nein, einige leben noch.“ Sie war beruhigt, dass er so sachlich blieb. „Offenkundig. - Ihr erwähntet doch, Ihr sucht Arbeit in der Hauptstadt. - Soll ich das....“ Er nickte zu den beiden Toten, die auf ihr Konto gingen: „Als Bewerbung betrachten? Dann habt Ihr eine Anstellung.“ „Wollt Ihr mich als Privathenker?“ erkundigte sie sich schlicht. Bei diesem Satz zuckten die vier Leibwachen leicht zusammen, was sie etwas überraschte. Der Graf blieb dagegen nüchtern: „Nein. Soweit ich hörte, töten Assassinen nicht jeden. Und ich hörte, dass ihr auch andere Fähigkeiten besitzt, die mir wichtiger erscheinen. Ich werde es Euch in Paradisa gern erklären.“ „Nun gut.“ Es gab Ärgeres als für einen reichen Mann zu arbeiten, wobei sie eigentlich schon interessierte, an welche anderen Fähigkeiten ihres Volkes er dachte. Die meisten Menschen sahen in ihnen nur perfekte Mörder. Falls ihr das Angebot nicht gefiel, könnte sie es immer noch ausschlagen. „Sehr schön, Sarifa. Dann kommt. Es sind noch gut drei Tagesritte bis Paradisa.“ Als sie die kaiserliche Hauptstadt erreichten, war die junge Assassine beim Anblick der Metropole überrascht. Wie viele Menschen hier wohl leben würden? Viele Tausende, sicher. Das Ganze war mit einer dicken Mauer umgeben und an den Stadttoren standen Krieger des Kaisers, die alle Ein- und Ausreisenden kontrollierten, wohl nach Pässen fragten. Nun, sie besaß einen – ohne diesen wäre sie in kaum eine Stadt auf ihrer Reise gelangt. Ihr Erstaunen stieg, als einer der sie begleitenden Gardisten voran ritt und einen Brief übergab, worauf die Wachen nur beiseite wichen und Graf Uther einließen, ihn und alle, die sich in seiner Begleitung befanden, ohne auch nur einen Kontrollblick zu werfen. Er musste wirklich ein wichtiger Mann sein. Die darauffolgende Stadt erschlug sie fast mit der Lautstärke, den vielen Menschen und den verschiedenen Gerüchen. Wie konnten nur so viele Menschen an ein und demselben Ort wohnen? Ja, sie war mit ihrem Vater schon einmal in einem Stadtstaat gewesen, aber das war kein Vergleich. Nun ja, das hier war die kaiserliche Stadt, da musste alles wohl etwas größer sein. Vor einer Gebäudeansammlung an einem großen, gepflasterten Platz blieb der Graf halten: „Sarifa, sucht Euch ein Zimmer. Eine Stunde nach Sonnenuntergang seid dort drüben an dem Turm. Mein Diener wird Euch an der kleinen Tür des Palastes erwarten und zu mir führen, dann besprechen wir alles weitere. Ich muss zunächst noch Bericht erstatten.“ Sie nickte nur, ohne ihre Unsicherheit zu zeigen, wie und wo man in dieser riesigen Stadt ein Zimmer bekommen sollte. Einer der Gardisten sah zu ihr: „Reitet dort die Straße entlang, die zwölfte dann rechts. Dort liegt der Schwarze Schwan. Sagt meiner Schwester, dass ich Euch geschickt habe. Ihr Essen ist gut und es ist sauber.“ „Danke,“ erwiderte sie unwillkürlich. In den vergangenen Tagen hatten die Männer kaum geredet, was ihr eigentlich auch lieb gewesen war. Aber anscheinend schätzten sie sie. „Auf Wiedersehen, Graf.“ Sie ritt weiter, nicht, ohne sich vorsorglich noch einmal umzudrehen. Als sie erkannte, dass die Wachen am Kaiserpalast sich nur verbeugten, fragte sie sich erneut, wie wichtig dieser Graf Uther wohl war. Sie fand ohne Mühe den Schwarzen Schwan, ein kleines, aber deutlich sauberes Gasthaus. Einem Jungen, der herauslief warf sie die Zügel zu: „Hier, pass auf.“ Sicher war schließlich sicher, und so ging sie erst dann in das weiße Haus mit schwarzen, sichtbaren Balken. Ein Mann, der den Schanktisch putzte, sah auf. „Guten Abend,“ sagte sie höflich: „Ich suche ein Zimmer und ein Bekannter empfahl mit dieses Haus. Ist die Wirtin da?“ „In der Küche. Moment, ma donna. - Rosalie!“ Eine Frau von Mitte Vierzig erschien und trocknete sich eilig die Hände ab: „Ja, ma donna?“ „Ihr seid die Wirtin? Euer Bruder schickte mich her.“ „Ah, dann arbeitet Ihr auch für den Kaiser? Wollt Ihr ein Zimmer? Für wie lange?“ „Das weiß ich noch nicht.“ „Dann kommt, folgt mir. Wollt Ihr auch etwas zu essen?“ „Ja, aber auf dem Zimmer. Was kocht Ihr?“ „Fischeintopf. Mögt Ihr davon?“ „Ja.“ Nun, sie schätzte Fisch nicht sonderlich, aber das war gleich. Sie benötigte etwas zu essen und der Gardist hatte recht. Das gesamte Wirtshaus war sauber und auch das kleine Zimmer wies ein frisch bezogenes Bett auf. „Danke. - Wann kann ich essen?“ „Sofort, wenn Ihr wünscht, ma donna.“ „Ja. - Ich glaube, es ist Euer Sohn, der draußen mein Pferd hält. Könnt Ihr es auch unterbringen?“ „Natürlich. Wasser und Heu auch? Ich sage meinem Mann Bescheid.“ Die Wirtin musterte sie kurz: „Könnt Ihr mir eine Anzahlung geben?“ „Natürlich.“ Eine gewisse Vorsicht war wohl angebracht, dachte Sarifa. Ihre Kleidung war hier ungewöhnlich und zeigte nicht, wie arm oder reich sie war. „Reichen Euch zwei Gulden?“ Sie nahm ihre Geldbörse aus dem Gürtel. Da das der Preis für drei Tage war, strahlte die Wirtin auf: „Oh, ja natürlich, danke. - Ich sage meinem Mann wegen Eurem Pferd Bescheid, dann bringe ich Euch Euer Essen.“ Als sie allein war, schloss Sarifa die Fensterläden. Zum einen musste man es einem Meuchelmörder nicht zu einfach machen, zum anderen war sie das Halbdunkel gewohnt. Im Süden schützten die Fensterläden vor der Hitze des Sommers. Nur kurz darauf brachte die Wirtin einen tiefen Teller und einen Löffel: „Euer Pferd ist versorgt,“ berichtete sie: „Ihr habt wohl eine lange Reise hinter Euch?“ „Ja, eine sehr lange. Danke. Ich werde dann ausruhen.“ „Ich verstehe und werde Euch nicht stören.“ Die Wirtin ging. Sarifa verriegelte erst die Tür hinter ihr, ehe sie ihren Umhang ablegte und aß. Eine Stunde nach Sonnenuntergang sollte sie am Kaiserpalast sein. Was Graf Uther wohl von ihr wollte? Nun, gleich. Sie war nicht auf ihn angewiesen, obwohl sie ihn durchaus interessant fand. Er hatte in ihr eine Meuchelmörderin oder Assassine vermutet – und keinerlei Angst gezeigt, eher Nutzen gesehen. So hatte das ihr verstorbener Großvater auch immer gehalten, Menschen nach Nutzen einzusetzen. Und sein ganzes Auftreten verriet Machtbewusstsein. Er mochte Sonderbotschafter des Kaisers sein, aber er war sicher auch von hohem Adel. So jemanden hatte sie noch nie getroffen, aber sie war ja auch noch nie in der Hauptstadt gewesen. Sie streckte sich auf dem Bett aus, die Rüstung noch ebenso angelegt, wie die beiden Dolche in den Scheiden an den Unterarmen. Sie war allein in einer fremden Stadt und wer wusste, ob es hier nicht auch Banditen gab. Zum Glück waren die Kettenhemden ihrer Familie nicht so hart und sperrig wie die Harnische der Leibwachen des Kaisers, sondern bewegten sich mit, ein Vorteil, den sie nicht nur auf dieser Reise schätzen gelernt hatte. Als sie nach Sonnenuntergang in Richtung des Palastes ging, war sie etwas angespannt, nervös. Sie hatte keine Ahnung, ob der Graf mit ihr verhandeln wollte – und sie begab sich immerhin in den Kaiserpalast. Was, wenn sie verhaftet werden würde? Aber warum hätte er sie so in eine Falle locken sollen, beruhigte sie sich wieder. Immerhin hätte er ja auch seinen vier Männern befehlen können sie anzugreifen, zumal, wenn sie gemeinsam übernachtet hatten. Am nun geschlossenen Palasttor erkannte sie Wachen, auch oben auf der Mauer würden welche patrouillieren. Aber sie wollte ja nicht einbrechen und wandte sich zu dem seitlichen Turm, wie ihr Graf Uther befohlen hatte. Dort stand ein Mann mittleren Alters, sichtlich nervös. Er schrak förmlich zusammen, als er sie erkannte und Sarifa wurde klar, dass er sie erst sehr spät entdeckt hatte. Nun ja, ihr Umhang war schon etwas Besonderes, eines jener Erbstücke, die ihre Vorfahren nach dem großen Unheil hatten retten können. „Guten Abend,“ sagte sie jedoch höflich, bemüht den Mann zu beruhigen. Vielleicht hatte ihm der Graf mitgeteilt, wer oder eher was sie war. „Guten Abend, ma donna. Ich soll Euch zu Graf Uther bringen,“ erwiderte der Diener in gewohnt sachlicher Weise, ohne seine unwillkürliche Besorgnis zu zeigen. Assassinen hatten einen gewissen Ruf, und kaum jemand war böse, dass sie ausgestorben sein sollten. „Mein Name ist Raoul.“ „Dann gehen wir.“ „Natürlich. Bitte folgt mir, ma donna.“ Er drehte sich um und öffnete die kleine Tür, nahm eine Fackel, ehe er den Riegel wieder vorschob. Sarifa folgte ihm wortlos die Stiege empor. Scheinbar im Nichts endete die Treppe und sie beobachtete neugierig, wie er bestimmte Ziegel drückte, ehe eine zuvor unsichtbare Tür beiseite schwenkte. Ein Geheimgang? Was war hier los? Wollte der Graf sie doch gefangen nehmen oder gar umbringen? Oder warum ließ er sie so heimlich herkommen? Nun, jetzt war es wohl zu spät für Bedenken. Immerhin war nur Raoul bei ihr – kein Problem für sie. Aber wenn hier doch ein Hinterhalt lauerte? Unwillkürlich fasste sie an ihren rechten Unterarm, spürte die beruhigende Kälte des Dolches. Der Diener blieb stehen: „Wir kommen jetzt wieder in einen bewohnten Trakt, ma donna,“ erklärte er leise: „Gewöhnlich ist jetzt niemand mehr hier. Falls jedoch jemand kommt, sorgt bitte dafür, dass er Euer Gesicht nicht sieht, sagte Graf Uther.“ Wortlos schlug Sarifa ihre Kapuze empor. Sie fand das alles eigenartig. Aber nichts deutete auf eine Falle hin. „Danke,“ meinte Raoul: „Der Graf empfängt so öfter.“ Hatte er ihr Unbehagen erkannt? Peinlich. Ihre Brüder hätten wieder einmal gesagt, dass sie zu weich, zu unerfahren sei. Der Diener öffnete erneut eine geheime Tür und löschte die Fackel. Auf dem Gang dahinter war sie nicht nötig. Lichter brannten in gläsernen Überstürzen alle fünf Meter. Sarifa sah sich rasch um, aber keine Wachen, alles war ruhig. Raoul klopfte an eine verzierte Holztür, ehe er öffnete: „Die junge Dame, Graf Uther,“ meldete er. „Danke,“ erwiderte der Graf: „Dann kannst du uns allein lassen.“ Sarifa trat an dem Diener vorbei und streifte höflich die Kapuze ab, ein wenig überrascht, was sie sah. Es handelte sich um ein großes Zimmer. Schwere Vorhänge verhüllten die Fenster, im Kamin brannte ein helles Feuer. Davor stand ein Tisch mit zwei bequemen Sesseln. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein riesiger, mit Papieren förmlich überhäufter Schreibtisch, hinter dem der Graf saß, sich aber nun erhob und auf einen der beiden Sessel davor deutete: „Ich freue mich, dass Ihr gekommen seid. Bitte, nehmt Platz.“ Erst, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Diener die Tür geschlossen hatte, fuhr er fort: „Sarifa, ich muss für den Aufwand ein wenig um Entschuldigung bitten, aber für die Arbeit, für die ich Euch im Blick habe, ist es notwendig, dass niemand Euer Gesicht kennt. Nein, kein Mord. Aber ich hörte, Assassinen könnten mit den Schatten verschmelzen, anwesend sein und niemand bemerkt es.“ Sie nickte etwas, langsam wirklich neugierig: „Das gehört zur Ausbildung.“ „Würdet Ihr für mich Dinge in Erfahrung bringen? Für mich arbeiten?“ „Solange das nicht gegen den Kaiser geht.“ Graf Uther schien erstaunt: „Den Kaiser? Aber nein. - Moment. Assassinen sind kaisertreu?“ Jetzt lag die Überraschung bei ihr: „Natürlich. Es war der damalige Kaiser, der meinen Vorfahren nach dem Unheil, das unser Volk jenseits des Meeres ereilte, die Erlaubnis erteilte, im Süden zu siedeln. Dafür sicherte er sich die Dankbarkeit und Loyalität.“ Er atmete tief durch: „Nun, das erleichtert meine Aufgabe ungemein. - Meine Arbeit....“ Er wies auf den Schreibtisch: „Besteht darin, Informationen zu sammeln, die für den Kaiser wichtig sind. Ich bin der Leiter des Geheimdienstes des Reiches. Meine Loyalität gilt unbeschränkt ihm. Ich würde nie etwas von Euch verlangen, das gegen ihn geht. Also tretet Ihr in meine Dienste?“ „Ja,“ sagte sie einfach. Das klang wirklich nach einem Abenteuer, wie sie es sich erhofft hatte, als sie von zuhause losritt. „Gut. - Dann warten wir noch kurz. Ich möchte Euch jemandem vorstellen. Oh, Ihr werdet natürlich eine eigene Wohnung in der Stadt benötigen. Sucht Euch etwas. Die Kosten trage ich. Kleiner Bonus.“ „Danke, Graf.“ Sie zögerte: „Das ist doch die richtige Anrede?“ „Ja. Die Leute am Hofe halten mich nur für einen Sonderbotschafter, nicht mehr. Die beste Tarnung für mich. Wüssten alle, was ich in Wahrheit tue, wären jede Menge Meuchelmörder hinter mir her. Es ist leicht, Dolche zu mieten in dieser Zeit. Verzeiht, ich wollte Euch nicht beleidigen.“ „Meinen Dolch könnt Ihr nicht mieten,“ sagte sie grimmig: „Ich töte nur Leute, die mich überfallen oder die für Geld töten.“ „Dessen bin ich mir bewusst. Trotz des Rufes haben Assassinen keine politischen Attentate begangen. Zumindest, seit sie im Kaiserreich leben.“ „Das ist wahr.“ Für einen Moment herrschte Schweigen, ehe die Tür geöffnet wurde. Der Graf beobachtete interessiert, wie seine neue Mitarbeiterin sofort hinblickte, instinktiv nach ihrem Dolch fassend. Nun, in ihrer Gegenwart würde sich ein Meuchelmörder schwer tun, ihn umzubringen, durchaus ein Grund, warum er sie trotz ihrer Unerfahrenheit anheuern wollte. Sarifa musterte den Eintretenden mehr als überrascht. So einen Mann hatte sie noch nie gesehen. Die Kleidung verriet, dass er von Adel sein musste, aber um noch mehr Rüschen und Zierbänder auf seinem Wams zu tragen, hätte er schon ein zweites anlegen müssen. Er war unbewaffnet, soweit sie sehen konnte. Seine blondgelockten, langen Haare wehten förmlich hinter ihm her, und ihn umgab ein Geruch nach irgendeinem künstlichen Parfüm. In der Hand hielt er ein Taschentuch, das er wedelte, als er die Tür schloss. „Guten Abend. - Oh, was für eine süße, wenn auch graue Maus! Entzückend, so etwas im Bett zu haben.“ Im nächsten Moment riss er die Hand hoch, instinktiv bemüht, den Dolch abzuwehren, der knapp an seinem Gesicht vorbei sich neben ihm in die Tür bohrte. Ein zweiter folgte sofort auf der anderen Seite. Graf Uther holte tief Luft und legte kurz die Hand vor die Augen, ehe er seine Zeigefinger vor sich kreuzte, auf seine Besucher zeigend: „Ich darf vorstellen: Euer neuer Partner.“ Sarifa und der junge Mann starrten sich überrascht an, ehe beide zu ihrem Auftraggeber blickten. So fuhr dieser fort: „Setzt Euch, Michel, und ich erkläre. Sarifa, holt doch bitte Eure Dolche wieder. Auch Eure Erklärung folgt gleich.“ Das war ja der Beginn einer wundervollen Zusammenarbeit. Kapitel 2: Die Klingen des Kaisers ---------------------------------- Sarifa und Michel saßen vor dem Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes ohne einander anzublicken. Graf Uther seufzte in Gedanken. War es wirklich so gut gewesen, ausgerechnet diese beiden zusammen zu spannen? Nun, er hatte darin die beste Lösung gesehen, also musste er jetzt da durch: „Sarifa ist eine Assassine, Michel. Sie wird für mich arbeiten, nicht als Attentäterin, sondern im Rahmen der Spionage. Da sie unerfahren ist, hielt ich es für das Beste, wenn Ihr sie einweist. - Sarifa, Michel de la Montagne ist mein bester Mann.“ Sie konnte nicht anders als ihn anzustarren. Dieses aufgeputzte, geckenhafte blondgelockte Männchen sollte der beste Agent des Kaisers sein? Na, dann armes Reich. Graf Uther lächelte: „Es ist nicht immer alles das, was es zu sein scheint, mein Kind. Und in unserem Geschäft ist Tarnung alles. Michel wird Euch beibringen wie man verdeckt ermittelt, und Ihr werdet seinen Anweisungen folgen um das lernen zu können.“ „Ja,“ sagte sie nur. Das konnte ja heiter werden. Aber sie hatte gesagt, sie würde für den kaiserlichen Geheimdienst arbeiten und sie würde nicht bei der ersten auftauchenden Schwierigkeit zurückschrecken. Das ziemte sich für niemanden ihres Volkes. „Oh, und es wäre nett, wenn Ihr Eure Dolche bei Euch behalten würdet.“ „Mir wurde gesagt, ich solle einen Mann umbringen, wenn er mich anzüglich anspricht.“ Das war der Rat ihrer Brüder gewesen, ehe sie allein auf der Suche nach Abenteuern losgeritten war. „Das...ist nicht üblich.“ Der Graf war gerade angetan, dass sie noch daneben geworfen hatte. „Derartige Wörter sind bei Hofe gewöhnliche Tändelei, nicht weiter ernst gemeint. Ich weiß, dass im Süden Ehre anders gesehen wird. - Fragen, Michel?“ Der wedelte mit seinem Taschentuch. Erst, als er dem Blick der Assassine begegnete, ließ er es sinken: „Unerfahren aber tödlich, ja? Phantastische Mischung. Wo soll ich denn bei diesem Landei...ich meine, wo soll ich anfangen?“ „Das überlasse ich Euch. Sarifa soll sich eine Wohnung suchen, dann könnt Ihr beginnen. Wenn ich einen Auftrag für Euch habe, lasse ich es Euch wissen.“ „Oh nein!“ Michel richtete sich etwas auf: „Das ist nicht Euer Ernst. Ein Auftrag mit einer Anfängerin – das kann nur schief gehen!“ „Ich habe eine lebenslange Ausbildung,“ warf Sarifa etwas zornig ein. „Und viel zu viel Temperament um schauspielern zu können. Wenn ich verdeckt ermittle, spiele ich meine Rolle perfekt. Das ist die Voraussetzung dafür etwas in Erfahrung zu bringen und nicht umgebracht zu werden.“ „Ich bin sicher, Ihr werdet Eure gegenseitigen Talente schätzen lernen,“ meinte Graf Uther optimistischer als er sich nach diesem Beginn fühlte. „Und es ist nicht gesagt, dass schon bald etwas anliegt, womit ich Euch beauftragen möchte, Michel. Und Sarifa.“ „Na schön,“ seufzte der vielleicht Dreißigjährige: „Es ist ja nur mein Leben, was dann dran hängt.“ „Und meines,“ ergänzte Sarifa prompt. „Ich hoffe mal, dass Ihr wirklich das könnt, was der Graf von Euch hält.“ „Sarifa übernachtet im Schwarzen Schwan, momentan,“ sagte der Leiter des Geheimdienstes. „Morgen könnt Ihr Euch ja treffen und eine Wohnung suchen, die geeignet ist. Gute Nacht, dann.“ Ein wenig zähneknirschend erhoben sich die Beiden, aber als sie gingen tauschten sie zum ersten Mal einen Blick, der den Grafen an Kinder erinnerte, die nach einem Streit bereit sind, sich zu versöhnen. Das würde schon gut gehen. Er sah auf, als sich eine geheime Tür öffnete und ein Mann um die Sechzig eintrat, dessen Ähnlichkeit mit dem Leiter des Geheimdienstes unverkennbar war, und lächelte unverhohlen: „Nun, was hältst du von meinem Plan, Bruderherz? Setzen wir uns ans Feuer.“ „Tja.“ Der Neuankömmling nahm Platz und goss sich aus dem dort stehenden Wein ein, ehe er nachlässig die bestrumpften Beine an das Feuer streckte: „Sagen wir es einmal so, wenn ich nicht seit Jahren wissen würde, dass du nicht mein Amt willst, könnte man in Zweifel verfallen, warum du ausgerechnet eine Assassine einstellst. Noch dazu eine junge, temperamentvolle.“ „Sie genießen einen gewissen Ruf, in der Tat. Aber Kaiser zu werden war wirklich nie mein Lebensziel.“ „Glaubst du seit Neustem, es war meines?“ Der Graf lächelte und nahm seinen Becher: „Nein. Uns war beiden stets klar, dass der, der oben steht, auch immer das erste Angriffsziel ist.“ Der Kaiser seufzte mit jahrzehntelangem Verständnis: „Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Meuchelmörder und Intrigen du mir schon vom Hals geschafft hast, Uther. Dieses Unwesen müssten wir endlich in den Griff bekommen.“ „Ja. - Was hältst du von ihrer Aussage, Assassinen seien kaisertreu?“ „Es hat mich überrascht und gleich in zweifacher Hinsicht.“ „Zum einen, dass es sie noch gibt und zum zweiten, dass sie es sind?“ „In der Tat. Was mich auf einen Gedanken brachte.“ Uther nickte, lebenslang erfahren in den brüderlichen Gedankengängen: „Auch mich. Ich werde einmal mehr Informanten aus dem Süden berichten lassen. Seit Jahren waren wir beide nur froh, dass da kein Kleinkrieg ausgebrochen ist, es so gut wie nie Meuchelmorde gibt – und ich suchte nie nach der Ursache. Nun gut, Assassinen galten als ausgestorben.“ Und beide Brüder hatten Gott gedankt, dass wenigstens der tiefe Süden des Reiches brav Steuern zahlte und sonst unauffällig vor sich hindümpelte. Der Rest war aufregend genug. „Was sie eindeutig nicht sind. Sarifa klang nicht so, als ob sie die Letzte ihres Volkes wäre.“ Der Kaiser entspannte sich etwas. Hier war einer der wenigen Orte in seinem Reich, wenn nicht der Einzige, wo er er selbst sein konnte. Er nippte an seinem Becher. „Nein, sie erwähnte auch, dass der Anlass ihrer Reise der Tod ihres Vaters war.“ „Lass doch einmal nachhaken, auch, wo sie nun wohnen. Ich entsinne mich dunkel, dass unser Urgroßvater ihnen ein karges Stück Land zuwies, auf einem Bergrücken, eigentlich nichts, wodurch man jahrhundertelange Dankbarkeit erwerben sollte.“ Uther seufzte, wenn auch nur in Gedanken. So sehr er ihm die Entspannung gönnte, es gab Ärger: „Das werde ich tun. - Hm, Dagobert....“ Der Kaiser sah zu seinem Bruder: „Schlechte Neuigkeiten?“ „Ich habe deinen Jüngsten wieder einmal aus den Fängen der Polizei befreien dürfen. Eine zufällige Razzia, aber....“ „Was war es diesmal?“ Er kannte jedoch die Antwort. „Das Übliche. Illegale Drogen.“ „Langsam reicht es mir. Ich werde ihn noch einmal verwarnen, dann muss er die Konsequenzen tragen. Er verlässt sich zu sehr darauf, dass er als Kaisersohn nicht dem normalen Recht unterliegt.“ „Das tut auch Markward. Zumal er der Ältere ist.“ „Was hat er getan?“ erkundigte sich der geplagte Vater. „Noch nichts. Aber ich bekam Informationen, dass er seine Bildungsreise, auf die du ihn geschickt hast, weidlich dazu benutzt mit Königen und Stadträten zu sprechen.“ „Das ist nur höflich sie zu besuchen, wenn er in der Gegend ist. Oder rechnest du mit einem geplanten Aufstand? Er wäre ein Narr.“ Kaiser Dagobert hob seufzend die Hand: „Nein, sag es nicht, Uther. Womit habe ich nur solche Söhne verdient?“ Das wusste sein Bruder auch nicht. Beide Söhne des Kaisers zeichneten sich durch einen mehr als leichtfertigen Lebenswandel aus und der politische Instinkt, den er selbst und Dagobert besaßen, fehlte ihnen vollkommen. Das würde irgendwann noch einmal ein böses Ende nehmen, für mindestens einen von ihnen: „Trinken wir auf meine neue Waffe,“ lenkte er daher ab. „Sarifa?“ „Sarifa und Michel. Er war allein schon der beste Agent, den wir hatten – wenn sie hält, was ich mir verspreche, werden sie zu zweit noch erfolgreicher sein. Ja, Waffe, das wäre ein passendes Codewort für die beiden: die Klingen des Kaisers.“ Die silbernen Becher der Brüder klirrten leise aneinander. Als Michel Sarifa am folgenden Morgen im Schwarzen Schwan abholte, war sie etwas überrascht, dass er vollkommen anders aussah. Nun trug er seine blonden Haare glatt zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und nichts an seiner gewöhnlichen, bürgerlichen Kleidung verriet einen Adeligen oder auch nur einen Narren. War es wirklich schlicht Tarnung, wie er gestern Nacht aufgetreten war? Jetzt trug er Lederschuhe, wollene, einfach gestrickte Beinlinge unter dem knielangen Hemd. Darüber fiel ein brauner ärmelloser Überhang. Nur die reichen Bürger oder eben Adelige hätten sich anders angezogen. Seine Begrüßung fiel auch anders aus: „Guten Morgen, ma donna.“ „Guten Morgen. Suchen wir eine Wohnung?“ erkundigte sie sich jedoch bloß. Nun, sein Parfüm störte sie noch immer, stellte sie prompt fest. Sie legte sich ihre Kapuze über Schultern, so dass sie die Haare offen zeigte. Zuhause steckten nur verheiratete Frauen das Haar empor und sie hatte gesehen, dass es hier wohl ebenso gehalten wurde – außer, dass viele Bürgerinnen zusätzlich Kopfbedeckungen trugen. „Ja. Nehmen wir eine Mietkutsche. Hier im Stadtzentrum liegen die teuersten Wohnungen, etwas außerhalb sind sie deutlich billiger. Irgendwelche besonderen Wünsche?“ „Gibt es hier auch welche mit einem Blick in die Weite? Ins Grüne?“ Landei, dachte er wieder: „Weniger, wir haben eine Stadtmauer, “ erwiderte er jedoch, um nicht erneut Dolche um die Ohren zu bekommen: „Aber wir könnten am Flussufer suchen. Jedoch sind diese Wohnungen oft feucht. Und darum billig.“ Sie kam aus einer Gegend in der Wasser Mangelware war, und hatte daran nicht gedacht: „Nein, das nicht. Gärten?“ „Ja, aber die Wohnungen an deren Rand sind oft teuer. Ich weiß nicht, wie viel Ihr bezahlt bekommt.“ „Ich auch nicht,“ gestand Sarifa zerknirscht. Das hatte sie vergessen zu fragen. „Oh, aber Graf Uther sagte, er würde die Unkosten tragen, dann sollte das kein Problem sein.“ Unerfahren und naiv – aber mit der Fähigkeit zu töten und anderen, noch unbekannten, dachte er: Oh, vielen Dank! Das würde eine harte Prüfung für ihn werden. Während seine neuen Mitarbeiter eine Wohnung suchten, erhielt Graf Uther eine Nachricht. Raoul kam zu ihm ins Schlafzimmer – sicheres Zeichen der Eile, denn der Leiter des Geheimdienstes arbeitete in der Regel nachts. „Ich bitte um Verzeihung für die Störung, Graf...“ Der schob den Dolch wieder unter das Kopfkissen: „Natürlich. Woher?“ „Dieses Schreiben kam soeben mit einer Brieftaube. Dame Annelouise....“ „Gib her.“ Die Dame arbeitete für den Geheimdienst, wenn auch nur als Verteilerin der Bezahlungen. Aber auch solche Personen benötigte das von Graf Uther mühsam und fein geknüpfte Netz. Er las die wenigen Zeilen: „Ach du liebe Güte. - Sieh zu, dass du Michel findest. - Sie sollten auf Wohnungssuche sein, also suche in seiner Wohngegend.“ „Soll auch die junge Dame, deren Namen ich nicht kenne, kommen?“ „Auch diese. Beide unverzüglich.“ Der Graf schlug seine Decke zurück: „Los, geh schon. Anziehen kann ich mich allein.“ Schon zwei Stunden später saßen die beiden in seinem Arbeitszimmer. Michel seufzte etwas: „Da Ihr uns so rasch herzitieren ließt – ein Auftrag?“ „Eine Katastrophe. - Ihr kennt doch Dame Annelouise de Nonpareil? Sie ist mit Rene de Nonpareil, dem Sire der Marche, verheiratet. Ohne das Wissen ihres Mannes arbeitet sie für mich, seit Jahren schon. Sie erhält Bezahlung von mir und gibt diese an die Agenten der nordwestlichen Provinzen weiter. Logischerweise hat sie eine Liste mit Namen und Adressen all dieser Leute. Um keinerlei Verdacht zu erwecken und diese Liste sorgfältig zu hüten, legte sie sie in zwölf Teilen unter die großen Saphire des berühmten Nonpareil-Schmucks, den ihr Mann stets in der Stahlkammer seines Schlosses lagerte. Und jetzt wurde das Halsband gestohlen. Damit leider auch die Liste. - Michel, wir brauchen diese Liste zurück, ehe sie in die falschen Hände gelangt. Der gesamte Geheimdienst des Kaisers im Nordwesten würde auffliegen.“ „Der Sire der Marche hat doch die Polizei informiert?“ „Natürlich. Aber es wäre auch nicht besser, wenn diese Liste der Polizei in die Hände fallen würde. Wie Ihr wisst, gibt es durchaus bisweilen einige Unstimmigkeiten zwischen meinen..nun, dem Geheimdienst und der offiziellen Polizei. Nehmt Sarifa mit.“ Michel seufzte erneut: „Eine Anfängerin....Ja, schon gut“, ergänzte er hastig, als er bemerkte, dass die Hand der Assassine zum Dolch zuckte. Du liebe Güte. Vielleicht sollte er lieber eine Bulldogge mitnehmen? Die wäre leichter an der Leine zu halten: „Wie viel Zeit bleibt uns?“ „Ich weiß es nicht.“ Graf Uther sah kurz auf seinen Tisch: „Das hängt davon ab, ob es ein Dieb oder ein Spion war. Ein Dieb wird die Liste erst finden, wenn er die Juwelen aus dem Halsband löst. Der Nonpareil-Schmuck ist bekannt und ohne das Band leichter zu verkaufen. War es jedoch ein Spion...oh, ich will gar nicht daran denken.“ Michel entschied in Sekunden: „Gut. Lasst anspannen. - Wir brauchen Kleidung für Sarifa. Die Nonpareils kennen mich als de la Montagne und ich hoffe, dass sie mir und meiner...äh...jungen Frau Gastfreundschaft gewähren. - Während der Fahrt werde ich Euch, Sarifa, eine Kurzfassung geben, wie man sich als Adelige zu verhalten hat und schon gar auf Besuch.“ „Danke,“ zischte sie. Immerhin war ihr Großvater das Dorfoberhaupt gewesen! „Benötigt Ihr noch etwas?“ erkundigte sich Graf Uther ohne seine gewisse Besorgnis erkennen zu geben. Hoffentlich funktionierte das mit den beiden so, wie er hoffte, hoffentlich würden sie nicht diese Mission in den Sand setzen. Zu viele Leben hingen daran. „Ich war eigentlich gerade dabei eine Wohnung zu mieten,“ erklärte Sarifa: „Kam dann allerdings nicht dazu. Könntet Ihr Euch darum kümmern, damit ich ein Dach über dem Kopf habe, wenn ich zurückkehre?“ „Natürlich“ Der Leiter des Geheimdienstes schob schlicht ein Papier zu ihr und reichte ihr eine in Tinte getränkte Feder: „Gebt mir nur die Adresse.“ Er nahm eine kleine Glocke und läutete: „Ah, Raoul, besorge noch bitte Kleidung für die junge Dame und sonstiges, was sie benötigt, um als Adelige auftreten zu können. Michel, Ihr packt selbst?“ Der beste Agent des Kaisers erhob sich unverzüglich: „Bin schon auf dem Weg. Die Kutsche wartet am Stadttor?“ „Wie immer,“ bestätigte Graf Uther: „Sarifa, bitte geht mit Raoul, er hat in unserem Fundus sicher entsprechendes.“ Nur eine Stunde später saßen die beiden in einer geschlossenen Kutsche. Sarifa hatte es ein wenig gestört wie genau der Diener sie gemustert hatte, aber da er daraufhin erwähnte, die passende Größe zu besitzen, hatte er sie immerhin nicht abmessen müssen, wie sie es von Rüstungsanproben kannte. Sie war ein wenig überrascht, dass Michel nun einen Degen dabei hatte, den er allerdings in eine Seitenscheide der Kutsche rechts neben sich schob. Dann jedoch verstand sie – er hatte seine Waffe griffbereit, ohne dass diese beim Sitzen störte. Sie war eigentlich ein wenig erstaunt, dass er einen Degen besaß, aber offenkundig war dieses Getue und seine übertriebene Kleidung wirklich nur Tarnung, Spiel, und sie wurde langsam neugierig, wie fähig er tatsächlich war. Immerhin hatte Graf Uther gemeint, er sei der beste Agent des Kaisers, da sollte man schon was erwarten können, auch, wenn er sie reizte. Allein dieses Parfüm, und dann so eng bei ihm, in der geschlossenen Kutsche...Nun ja. Für Empfindlichkeiten war kein Raum. Sie hatten einen Auftrag. „Ich soll also Eure Frau spielen?“ erkundigte sie sich daher nur, als die Kutsche anfuhr. „Ja. Die Nonpareils kennen mich unter meinem wahren Namen und werden sich kaum wundern. Meine Güter liegen in der Nähe, da ist ein Nachbarschaftsbesuch unauffällig. Ich nehme an, dass Ihr noch nie in einem Schloss wart?“ „Denkt nicht gering von den Leuten aus dem Süden. Ich habe meinen Vater schon in einen Stadtstaat und auch ein Königreich begleitet.“ Das war nicht seine Frage gewesen, aber Michel beschloss nicht nachzuhaken, was Assassinen dort getrieben hatten. „Gut. Dann zum nächsten. Diese Kutsche wird uns in einem Gasthaus absetzen, in einer Stadt namens Cantal. Das ist....“ „Die Hauptstadt des Königreiches Marenne. Von dort sind es noch zwei Tagesreisen bis zur Marche,“ ergänzte sie prompt. „Äh, ja.“ Mist. Kannte sich dieses Landei in Geografie besser aus als er, der doch so gut in Privatunterrichten ausgebildet worden war? Er sollte sie nicht unterschätzen – nun, sie war unerfahren, aber immerhin im Geheimdienst angestellt worden. Und in aller Regel besaß Graf Uther eine vorzügliche Menschenkenntnis. „Ja. Dort werden wir uns umziehen, also Ihr Eure Rüstung ablegen und in ein Kleid schlüpfen.“ „Ich habe diese Kleider gesehen, als Raoul sie mir heraussuchte. Aber sie sind entsetzlich unpraktisch. So lang, bis zum Boden und mit solch langen Ärmeln. Darin kann man sich kaum bewegen, weder kämpfen noch Schafe fangen.“ Oh....Nun gut, einmal für Landeier: „Sarifa, ich vermute stark, dass Ihr nicht dazu kommen werdet Schafe fangen zu müssen. Wir sind zu Gast bei Adeligen. Falls es notwendig ist, werde ich kämpfen. Vornehme Damen kämpfen nicht.“ Sie hatte durchaus schon mitbekommen, dass Frauen außerhalb ihres Heimatortes sowohl anders gekleidet als auch unbewaffnet waren, und meinte nur: „Ich würde zumindest einen Dolch aber gern bei mir haben. Unter einem Ärmel würde er auch nicht auffallen.“ „Nun ja. In Ballkleidung schon. - Meinetwegen. Aber nehmt Euch zusammen und werft nicht damit herum. Wir müssen diese Liste finden oder unter Umständen sterben Menschen.“ „Das habe ich durchaus verstanden. - Was ist das?“ Er hatte etwas Langes, Schmales aus einer Seitentasche gezogen und klappte es nun auf: „Ein Fächer. Habt Ihr so etwas noch nie gesehen?“ Sie nahm ihn: „Oh, damit kann man sich Luft zufächeln, wenn einem warm ist?“ Im Süden waren die Leute die höheren Temperaturen gewohnt – oder nicht so empfindlich. Sie klappte ihn zu und betrachtete ihn nachdenklich. So nachdenklich, dass Michel alarmiert wurde: „Was ist? Das tragen alle Damen.“ Sie stieß den geschlossenen Fächer in seine Richtung: „Gut, das ist stabil genug.“ „Wofür?“ erkundigte er sich perplex. Wirklich, er hatte in seinem Leben schon einige Fächer verschenkt, aber diese Reaktion war ihm neu. „Damit kann man jemanden umbringen.“ Wo, bitte, war die Bulldogge statt dieser Assassine? „Dazu sind sie nicht gedacht. Sie dienen zur Abkühlung oder auch zur Dekoration.“ „Es ist immer nützlich zu wissen, wie man jemanden töten kann.“ „Wunderbar. Die Aussicht, mit Euch ein Zimmer bei Nacht zu teilen, baut mich gerade wirklich auf.“ „Wie bitte?“ Sie fuhr zu ihm herum: „Ein Zimmer...?“ Immerhin zog sie noch keinen Dolch: „Wie sind verheiratet, schon vergessen? Da ziemt es sich. Ihr braucht keine Sorge zu haben. Ich würde lieber die Schneide eines Rasiermessers küssen als Euch.“ „Gut,“ meinte sie. Natürlich, es war ein Auftrag: „Meine Brüder sagten, ich dürfe ungestraft jeden Mann töten, der mir zu nahe kommt.“ „Nun, ungestraft vielleicht nicht....Wie viele Brüder habt Ihr denn?“ „Fünf.“ Damit schloss Michel wirklich jeden Flirt aus. Er hielt sich selbst für einen mutigen Mann und hatte das auch schon in manchen Missionen für den kaiserlichen Geheimdienst bewiesen, aber die Aussicht gleich fünf Assassinen hinter sich her zu haben, weil man deren Schwester geschändet hat, zählte nicht zu seinen Wünschen. Abgesehen davon, dass Sarifa vermutlich selbst schon einen derartigen Versuch sehr endgültig unterbinden würde. „Jedenfalls – wir teilen uns ein Zimmer, zum einen, weil man das als Ehepaar eben so macht, zum zweiten, damit wir ungestört Dinge besprechen können, die wir ermittelt haben. Soweit klar?“ „Ja.“ „Und, da uns da keiner stören dürfte, sollte es auch nicht auffallen, wenn wir bekleidet schlafen,“ ergänzte er vorsorglich, um dann doch noch fortzufahren: „Obwohl, wenn Ihr Eure Messer ablegt, würde ich mich sicherer fühlen.“ Sarifa zuckte die Schultern etwas, ehe sie sachlich erwiderte: „Ich könnte Euch auch vollkommen unbekleidet töten.“ Eine Bulldogge, ein Königreich für eine Bulldogge! „Das...ist in der Tat beruhigend, meine Schöne. - Und nicht schon wieder böse werden: so werde ich Euch ansprechen. Schöne, Schatz...wir sind jungverheiratet.“ „Ich verstehe.“ „Bevor ich es vergesse: wie würdet Ihr es denn anstellen wollen mich ohne Waffen zu töten? Männer sind stärker.“ „In jedem Zimmer gibt es Gegenstände, die man benutzen kann. Und ich habe gegen meinen Vater, meine Brüder geübt. Nun ja, ich habe meist verloren, aber sie brauchten dazu immer länger je älter ich wurde.“ „Äh, gut.“ Sie kam aus einer anderen Welt, offenkundig. „Wir werden sehen, dass wir so schnell wie möglich die Marche erreichen. Könnt Ihr in einer Kutsche schlafen?“ „Ich habe es noch nie versucht, aber ich denke, ja.“ „Gut. Dann erkläre ich Euch noch, wie der Empfang vermutlich ablaufen wird und dann schlafen wir bis Cantal.“ „Wird an der Stadt nicht kontrolliert?“ „Ja, und?“ „Da werden sie sehen, dass ich nicht Euren Namen trage.“ „Wieso? - Oh. Nein, ich habe ja meinen eigenen Pass und niemand käme auf die Idee nach dem Euren zu fragen. Der gewisse Vorteil des Adels. - Bei anderen Missionen bekomme ich - oder bekommen wir - echt falsche Pässe - auf einen falschen Namen, aber von der Kanzlei des Kaisers ausgestellt.“ Sarifa nickte. Natürlich. Er war erfahren und kannte sicher auch die Dinge auf die man achten musste. Sie sollte ihm wirklich folgen und lernen. „Ihr könnt mit dem Degen umgehen?“ „Ja,“ meinte er nur, ungewohnt bescheiden. „Auch mit Messern?“ „Nein. Ich sehe auch wenig Sinn darin mit einer kurzen Klinge zu hantieren, wenn man eine längere benutzen kann, wie wohl jeder Mann.“ Er erkannte an ihrem Blick, dass sie einen Doppelsinn gehört hatte, und fuhr eilig fort: „Aber, man sagt, ich bin kein schlechter Fechter. Dolche habe ich nur in der Anfangszeit in der Linken gehalten, als Abwehrwaffe, aber inzwischen benötige ich sie nicht mehr.“ „Man sagt, die Leibgarde des Kaisers habe die besten Fechter des gesamten Reiches.“ Er war erstaunt, dass sie davon in der Provinz gehört hatte. In der Tat. Sie war unerfahren, aber nicht schlecht ausgebildet. Nur anders als er: „Ich habe mit ihnen geübt.“ Gut. Dann würde sie ihn in einem Kampf nicht schützen müssen. Das war ein deutlicher Vorteil. „Dann schlafen wir? Und in Cantal muss ich mir diese...Kleider anziehen.“ Michel ertappte sich bei dem Gedanken, dass die Kleider vermutlich der Wunschtraum vieler Mädchen gewesen wären. Graf Uther ließ sich bei der Ausstattung seiner Agenten nie lumpen: „Und ich erkläre Euch weiter, ja.“ Er sollte aufhören von ihr als Mädchen zu denken. Sie war eine Assassine. `` Es scheint ja eine gewisse Annäherung zu geben, mit Überraschungen auf beiden Seiten, die auf der weiteren Reise nicht abreißen... Kapitel 3: Annäherung --------------------- Der Kutscher schlug mit der Faust auf das Dach der Kutsche, um seine beiden Passagiere davon in Kenntnis zu setzen, dass sie sich einer Ortschaft näherten. Er hatte bemerkt, dass sie schliefen – nicht ungewöhnlich auf längeren Reisen. „Wir sind schon in Cantal?“ erkundigte sich Sarifa. „Bald.“ Michael blickte aus dem Fenster, ehe er sich zu dem kleine Luke an der Vorderseite der Kutsche beugte: „Danke. - Halt dann mal kurz an!“ befahl er dem Fahrer. „Warum?“ fragte seine neue Partnerin prompt. Wenn er mal eben....dann konnte er doch wohl bis in die Stadt warten? „Nun, bei näherer Betrachtung wäre es wohl doch ein wenig unpassend wenn ich mit einer...hm...jungen Dame in Rüstung in Cantal anreise. Ihr solltet Euch umziehen. Ich steige aus und passe auch auf, dass unser Kutscher kein Auge riskiert.“ Im wahrsten Sinne des Wortes, denn er hatte ja selbst schon erlebt, wie rasch die Assassine mit dem Dolch bei der Hand war. „Die Koffertruhe ist hinten an der Kutsche.“ „Ja. Sucht Euch etwas Hübsches aus und dann zieht Euch in der Kutsche um.“ Sarifa nickte. Sie hatte von ihrem Auftraggeber immerhin die Anweisung bekommen, dass Michel sie ausbilden sollte. Da musste sie sich auch fügen. Allerdings: „Welches von den vielen Kleidungsstücken soll ich denn anziehen?“ Der höfisch erfahrene, kaiserliche Agent ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihn das nun wirklich noch keine Frau gefragt hatte, jedenfalls nicht, ohne ihn damit in ihr Schlafzimmer locken zu wollen: „Nun, nicht gerade ein Ballkleid. Schön, ich helfe Euch beim Suchen. - Ah, er hat wohl eine passende Stelle gefunden.“ Denn die Kutsche hielt. Galant wollte Michel der jungen Dame beim Aussteigen helfen, stellte aber fest, dass sie das bereits allein tat. Auch etwas, das er ihr wohl erst einmal beibringen musste. Provinzlerin! Aber das dachte er lieber nur und beeilte sich, nach hinten zu gelangen. „Also: keine Rüstung und keine Armdolche, ja?“ „Einen? Ihr sagtet doch selbst, nur bei einem Ballkleid würde es auffallen.“ „Schön.“ Immerhin: „He, Kutscher – geh doch mal ein wenig spazieren, ja?“ „Natürlich.“ Der Mann, seit langen Jahren in Graf Uthers Diensten, war an seltsame Wünsche seiner Passagiere gewohnt. Aber dieser zahlte nicht schlecht, um nicht zu sagen, hervorragend, und es wäre mehr als töricht gewesen, das aufs Spiel zu setzen. Sarifa betrachtete etwas hilflos die Stoffansammlung vor sich: „Welche Farbe?“ „Das ist egal,“ gestand Michel: „Es kommt auf den passenden Schnitt an. Das hier, vielleicht? Und ..nein, das ist ein Ballkleid.“ „Ich verstehe. Ohne Ärmel fallen Dolche wirklich auf.“ Das war alles, was ihr zu diesem sündhaft teuren Seidengewand einfiel? „Wie wäre es mit dem hier? Hellgrün dürfte Euch stehen.“ Wirklich, dieses Mädchen würde ihn noch in den Wahnsinn treiben. Er musste zusehen, dass er ihr in einem Schnellkurs etwas das Benehmen einer vornehmen Dame beibrachte. „Eure Rüstung und Sonstiges könnt Ihr dann ja hier wieder hineinlegen. Ich gehe jetzt auch mal ein wenig abseits.“ Nicht zu weit, immerhin gab es ja immer die Möglichkeit, dass ein paar Strauchdiebe auftauchen würden – nun, bei dieser Reisenden würde das fatal enden. Graf Uther hatte ihm in einem kurzen Abschiedsgespräch noch gesagt, dass er schon zugesehen hatte, wie sie tötete. Kaum zehn Minuten später hörte er seinen Namen. Da er Sarifa nicht entdecken konnte, ging er langsam zu der Kutsche, demonstrativ mit dem Rücken zuerst: „Was ist?“ „Dieses Kleid!“ Sie klang leicht verzweifelt. „Es hat so viele Schnüre vorn.“ „Das ist ein Schnürmieder, darum heißt es so.“ Ihm wurde plötzlich bewusst, dass sie wohl nie zuvor so etwas getragen hatte: „Das ist doch das Gleiche, wie bei einem Korsett – oder tragt Ihr das auch nicht?“ „Helft mir!“ befahl Sarifa und verwirrte ihn wirklich. „Äh...ich soll....?“ „Ihr müsst mir zeigen, wie das geht.“ Gewöhnlich hätte sich Michel de la Montagne mehr als gefreut einer jungen Dame derart nahe kommen zu sollen, aber in diesem Fall erinnerte ihn das mehr an die Einladung einer Spinne an die Fliege zum Abendessen. Als er jedoch in die Kutsche stieg, bemerkte er, dass es nicht so arg werden würde, wie er gedacht hatte. Sarifa hatte nur ihre Rüstung abgelegt, Hose und Hemd allerdings anbehalten: „Also, eigentlich zieht man das auch aus,“ erklärte er daher: „Und, ich muss zugeben, dass ich das so herum noch nie gemacht habe.“ Ausgezogen hatte er durchaus schon manche Schöne, schon um seiner Tarnung willen: „Wo sind denn...ahja. Das hier sind die Enden. Diese müssen durch die Löcher gezogen werden, immer über Kreuz und fest anziehen.“ „Das ist ja schlimmer als eine Rüstung,“ stöhnte die Assassine: „Das wird schwer so zu kämpfen.“ „Mein holder, aggressiver Engel: ich sagte doch schon, wenn es zum Kampf kommt, bin ich dran.“ Er zwang sich nicht daran zu denken, dass sich seine Hände eigentlich nur zu gern um diese reizenden Hügel direkt vor ihm legen wollten. Das Ergebnis konnte er sich vorstellen – und falls er nur mit einer Ohrfeige davonkam, könnte er das als Glücksfall verbuchen. „Alles klar? - Ihr bekommt noch Luft?“ „Ja.“ Sie zwang sich zum flachen Atmen: „Aber das ist wirklich sehr beengend.“ „Dann nehmt hier die Schnüre und hakt sie oben ein.“ Das würde seine Selbstbeherrschung doch auf eine harte Probe stellen. „Übrigens, bei der Gelegenheit: wir sollten uns duzen. Jungverheiratet und verliebt, da ist sowas üblich.“ „Also sage ich Michel und du?“ „Das wäre wirklich passend, mein Schatz. - Gib mir deine Rüstung, ich lade sie hinten ein. Und einen Dolch!“ betonte er. Mit gewissem Seufzen reichte sie ihm das Gewünschte, ehe sie sich ihre zweite Waffe an den rechten Unterarm schnallte und ein wenig mühsam den Rüschenärmel darüberzog. Eng und es trug etwas auf. Er hatte wirklich recht – da war unauffälliger, unbewaffnet zu sein. Sie sollte sich zusammenreißen. In dieser ihr unbekannten Welt musste sie sich an Michel als Anführer halten und ihm gehorchen, sollte es nicht ihre Schuld sein, wenn der Auftrag schief ging. Und es war mehr als wichtig. Graf Uther hatte ja gesagt, dass Menschenleben an der verschwundenen Liste hingen. Sie mussten das Halsband der Nonpareils und diese Liste finden. „Brauchst du noch Schmuck?“ rief Michel von hinten: „Ich glaube, Raoul hat hier was eingepackt.“ Und sein bewundernder Blick galt der feinen Lederarbeit des Armreifdolches. Das war eine Spezialanfertigung, extrem geglättet und genau passend für ihre Unterarme. Schnell, ohne jden Widerstand und lautlos glitt die Waffe heraus – nun, das hatte er ja schon selbst sehen können. Er hoffte nur, dass er das nie wieder aus dieser Perspektive tun musste. „Wie Ihr...du meinst.“ Zufrieden, dass sie offenbar lernwillig war, kehrte der Agent zu ihr zurück, nachdem er nach dem Kutscher gepfiffen hatte: „Hier, das Halsband müsste gut passen.“ „Ja, wenn du das sagst. - Wie legt man das um?“ „Hier ist der Verschluss.“ Sie nahm es: „Das Halsband, das wir suchen sollen – ist es auch so schwer und wertvoll?“ „Das Halsband der Nonpareils?“ Michel fand den Schmuck seiner vorgeblichen Frau durchaus einer de la Montagne angemessen – aber das verschwundene Halsband war sagenhaft: „Nein, viel teurer und extrem berühmt.“ „Darum meinte der Graf auch, ein Dieb würde die Steine herauslösen. Niemand würde es ihm so abkaufen.“ Ihr Ausbilder nickte: „Stimmt fast. Es gäbe auch die Möglichkeit, dass es ein Auftrag war, von jemandem, der wertvollen Schmuck sammelt – in diesem Fall liegt das Halsband bereits gut verwahrt wieder irgendwo und wir kommen nicht heran. Allerdings wäre dann die Liste auch sicher. Der, aus unserer Sicht, schlimmste Fall wäre, wenn ein Spion von der Liste wusste und das Halsband nur darum stahl.“ Sarifa hatte sich die Kette umgelegt und rückte ein wenig daran: „Sehr schön.“ Aus neugewonnener Erfahrung wusste Michel, dass sich das weniger auf die Schönheit des Schmuckes sondern dessen Nützlichkeit für Tötungsmöglichkeiten bezog und warf einen irritierten Blick auf die Rubine. Nein, keine Klinge: „Was meinst du?“ „Die Kette ist recht stabil. Man könnte jemand damit erwürgen.“ Äh, ja: „Und natürlich auch dich.“ „Dagegen gibt es durchaus Mittel.“ Hatte er sich erst vor wenigen Stunden eine Bulldogge statt der Assassine gewünscht? Ein Rudel wilder Wölfe täte es wohl auch: „ Ich würde trotzdem vorschlagen einen solch unwahrscheinlichen Fall einstweilen außer Acht zu lassen. Stattdessen werden wir uns auf dem restlichen Weg nach Cantal und - erst recht in den nächsten Tagen in die Marche - ein wenig über das Benehmen einer vornehmen Dame unterhalten. Gespräche über Mordmethoden gehören definitiv NICHT dazu.“ „Du bist der Meister,“ erwiderte Sarifa und senkte geradezu gesittet den Kopf. Ein wenig erleichtert, dass ihre Ausbildung Höflichkeit gegen einen Lehrer beinhaltet hatte, begann Michel mit seinen Ausführungen. Während der halben Stunde, die sie noch bis Cantal benötigten, erklärte er ihr, wie sich zu verhalten habe, bei der Passkontrolle, bei der Anreise in das Gasthaus. Dabei war sie angetan von der sachlichen Art, wie er die notwendigen Dinge zusammenfasste. Tatsächlich vermutete sie langsam, dass sich hinter der spöttischen, gezierten Art ein wirklich scharfer Verstand verbarg. Nun, ohne Grund hätte Graf Uther ihn nicht als seinen besten Agenten bezeichnet und sie war einfach zu naiv gewesen, hatte aus dem Äußeren auf den inneren Wert geschlossen. So sollte sie zusehen, dass er sie für eine fähige Partnerin hielt, und ihn nicht schon wegen Kleinigkeiten blamierte oder gar ihre Tarnung auffliegen lassen würde. Michel seinerseits war angetan von ihrer Auffassungsgabe und ihrem unerwarteten Gehorsam. Bei der Kontrolle in die Stadt nickte sie grüßend dem Posten zu, gerade richtig huldvoll lächelnd und den Fächer in einer Art schwenkend, als habe sie ihn nicht den ersten Tag in der Hand. Sie vergaß nicht, ihr aus der Kutsche helfen zu lassen und auch die Begrüßung durch den Wirt fiel ordentlich aus. Er atmete auf. Das war das Wichtigste. Mochte sie auch einiges nie gehört haben, da sie aus einer vollkommen anderen Kultur stammte – solange sie lernte, und er die schärfsten Kanten abfeilen konnte, würde es schon gut gehen. Erst, als sie allein im Zimmer waren, legte Sarifa den Kopf schief: „Warum hast du so betont, dass meine Zofe krank ist?“ „Eine Dame reist eigentlich nicht ohne, schon, um sich beim Anziehen helfen zu lassen. Das könnte einem aufmerksamen Beobachter auffallen.“ Sie lächelte etwas: „Ich fürchte, keinem Beobachter würde bei dir etwas auffallen, außer dem Wedeln mit einem Taschentuch oder mit Geldscheinen. Ist dir eigentlich klar, dass es auch kleinere Münzen als Trinkgeld als einen Gulden gibt?“ „Privat sicher. Aber, wie gesagt, dass gehört zu meiner Tarnung.“ Er wollte es eigentlich vermeiden, aber es klang wie eine Mahnung. Sarifa nickte auch nur, ehe sie erklärte: „Eine perfekte Tarnung, gebe ich zu. Ich glaube fast, neben dir könnte ich ein Halsband mit der Aufschrift: Assassine tragen und es würde niemandem auffallen.“ „Lass das ja bleiben. - Gut. Wir gehen dann hinunter zum Essen. Wenn der Wirt nicht da bleibt, werde ich dir zeigen, wie das geht. Nicht, dass ich denke, dass du zuhause nicht an Tischen gegessen hast, aber zumindest bei den Nonpareils werden wir auf ziemlich viele Teller und Bestecke stoßen.“ „Wissen die eigentlich schon, dass wir kommen?“ „J-ein. Ich werde ihnen noch einen Boten schicken, mit der höflichen Bitte uns vorstellen zu dürfen. Es sollte gehen. Wenn nicht, muss ich einen anderen Plan machen.“ Michel reckte sich etwas: „Von hier aus sind es noch zwei Tage in der Kutsche, die ich für den Unterricht benutzen werde. Mit dem Tanzen....kannst du das?“ „Da es sich im Zweifel um irgendwelche höfischen Tänze handelt, wohl eher nein.“ „Es sind im Endeffekt alles Schreittänze, deren Schritte sich wiederholen und die man mit den Ballgewändern auch elegant betreiben kann.“ Da fiel ihm noch etwas auf: „Oh, Dame Annelouise wird dir dann sicher ein Mädchen als Zofe zur Verfügung stellen.“ „Und was soll ich mit der machen?“ „Dir beim An- und Ausziehen helfen lassen, beim Frisieren und was weiß ich. Nur dürfte ihr dann auffallen, wenn du deine....Reisegarderobe drunterträgst.“ Auch das noch: „Das würde bedeuten, dass ich mich jedes Mal umziehen muss, wenn ich auf Erkundung gehe?“ Sie schien die Tatsache, dass Graf Uther sie für Spionage eingestellt hatte, wirklich ernst zu nehmen. Nur – wie fähig war sie da? „Ja. Solche Erkundungen, wie du sie meinst, sind eher unwahrscheinlich. Bei derartigen Operationen versuche ich, versuchen wir, aus den Gesprächen etwas zu erfahren, mit Diener und den Herrschaften zu reden. Ich vor allem rede sehr viel – und meist erfahre ich von den anderen in zehn Worten mehr als er von mir in hundert.“ „Nun ja, du redest in der Tat viel. Aber du musst mir ja auch viel erklären,“ fügte sie etwas zerknirscht hinzu. „Gut. Dann gehen wir essen, meine Schöne.“ Er bot ihr die Hand und sie legte ihre ohne Zögern so darauf, wie er es ihr gezeigt hatte. Als sie in das Zimmer zurückkehrten, ließ er ihr galant die Auswahl, auf welcher Seite des Bettes sie schlafen wollte, ehe er sich auf einen Stuhl setzte, Wams, Hemd und Schuhe ausziehend. Die Beinlinge behielt er lieber an. Würde er wie gewöhnlich unbekleidet schlafen gehen – nun, er konnte sich denken, dass die sittsame junge Dame eine sehr passende, oder eher unpassende, Antwort auf diese Zumutung hatte. Daher wandte er ihr auch demonstrativ den Rücken zu, bis er hörte, dass sie sich hingelegt hatte. Erst dann drehte er sich um. Natürlich. Sie hatte ihre eigene Garderobe anbehalten, nur das Kleid und die Schuhe ausgezogen – und auch den unvermeidbaren Dolch am Arm. „Schläfst du zuhause auch immer bewaffnet?“ erkundigte er sich dann doch, während er unter seine Decke schlüpfte, bemüht, nicht den Anschein zu erwecken ihr zu nahe kommen zu wollen. „Nur, wenn ich Dienst habe..“ Sie war beruhigt, dass er so deutlich das Spiel nicht für Ernst nehmen wollte. Nicht, dass sie es unbedingt geglaubt hatte, aber es war die erste Nacht mit einem fremden Mann....Sie schüttelte ihr Unbehagen ab. Es war ihr Partner. Nicht ihr Ehemann. „Dienst?“ „Alle Dorfbewohner wechseln sich bei den Nachtwachen um unseren Ort ab. Schon wegen der Bären und Wölfe, die gern unsere Schafe jagen.“ Bärenjagd, Wolfshatz...das galt als absolute Männerdömäne. Instinktiv rutschte Michel etwas näher an die Außenkante. Aber er war höfisch erzogen: „Dann gute Nacht, Teuerste.“ „Gute Nacht, Michel.“ Sarifa drehte ihm den Rücken zu und war in weniger als einer Minute eingeschlafen, eine Fähigkeit, die ihr Partner nicht ganz so besaß. Und der kaiserliche Agent ertappte sich zum ersten Mal bei dem Nachtgebet, dass er keinen anderen Wunsch hatte, als nicht rein zufällig im Schlaf weiter nach rechts zu rutschen. Zwei Tage später erreichte das Paar die weiten Ebenen der Marche, die hier im Nordosten des Kaiserreiches dem Meer abgetrotzt worden war und nun die Kornkammer für die Hauptstadt bildete. Sarifa fühlte sich ein wenig an zuhause erinnert. Sicher, hier gab es keine Berge, aber die landwirtschaftliche geprägte Landschaft sagte ihr mehr zu als der Trubel der kaiserlichen Stadt. „Wo liegt das Schloss der Nonpareils?“ erkundigte sie sich: „In einer Stadt?“ „Nein. Bei einem Dorf. Ich glaube in der gesamten Marche gibt es nichts von dem, was man als Stadt bezeichnen kann. Höchstens Marktflecken. Das sind größere Orte, in denen ein Markt abgehalten werden darf.“ „Ich weiß.“ In ihren Augen blitzte es auf. „Entschuldige,“ murmelte er prompt: „Es ist manchmal schwierig zu wissen, welche Begriffe du kennst und was im Süden anders heißt.“ Etwas beruhigt sah sie wieder aus dem Fenster: „Kein Wunder, dass sie sich solch ein Halsband leisten können. Sie müssen reich sein.“ „Es geht. - Bis vor zehn Jahren gab es immer wieder Überfälle von jenseits der Grenzen um die Ernten zu rauben. Aber nachdem der Kaiser einmal zu heftig zurückschlug, kommen sie nur noch als Händler.“ „Eine Schlacht?“ „Ja.“ Er war dabei gewesen – seine erste größere Schlacht, schon, um seine eigenen Güter zu verteidigen, die ebenfalls am Rand der Marche lag. Seither war er allerdings nur mehr in einzelnen Missionen unterwegs und das kaiserliche Heer musste ohne ihn auskommen. Nicht, dass sie es nicht könnten. Seine jetzige Arbeit dagegen war gefährlich und sinnvoll zugleich – und verhinderte im Endeffekt manchen Feldzug. „Rene de Nonpareil ist ein guter Verwalter,“ erklärte er: „Aber umso eigenartiger ist dieser Diebstahl. Soweit ich weiß hat er wichtige Unterlagen und den Familienschmuck in einer Stahlkammer.“ „Und das ist allgemein bekannt?“ „Ja, nun, relativ. Aber natürlich nicht, wo sie liegt und wie man an sie herankommt. - So etwas besitzen die meisten Herren.“ „Das kann ich mir denken.“ Sie klang etwas geistesabwesend und dem kaiserlichen Agenten war nach drei Tagen engstem Zusammenseins klar, woran sie dachte: „Nein, ich glaube nicht, dass du sie öffnen musst. - Könntest du das?“ Sie zuckte die Schultern: „Es gibt Schlösser und Schlösser.“ „Aber schön zu wissen, dass du es im Notfall kannst. - Zu etwas anderem: die Nonpareils werden uns begrüßen. Du sprichst sie mit Dame Annelouise und Sire Rene an. Nicht ma donna oder edler don.“ „Du also anders?“ Er zuckte die Schultern: „Ich kenne Sire Rene seit mehr als zwanzig Jahren. Ich duze ihn.“ „Oh.“ Umso vorsichtiger würde sie sein müssen, nicht die Tarnung auffliegen zu lassen: „Dort vorn kommt ein Dorf. - Ist das dahinter das Schloss?“ Sie war ein wenig enttäuscht. Schlösser im Süden und der Palast des Kaisers waren ihre einzigen Vergleiche und so schien ihn das Landhaus für eine reiche Adelsfamilie fast ein wenig klein. Auf den zweiten Blick erkannte sie im Annähern, dass es mit einer Mauer umgeben war,darum noch einem Wassergraben, sicher, um auf die bis vor kurzem erfolgten Überfälle vorbereitet zu sein. Deshalb war es wohl auch so eng zusammengedrängt. Jetzt war das schwere Holztor, auf das die Kutsche über die Brücke zurollte, offen. Nur ein Posten stand da, der nach der Meldung des Kutschers, wer der Besuch war, davon eilte, sicher, um Nachricht zu machen. Sarifa wartete, bis Michel ihr aus der Kutsche half und sah sich ein wenig neugierig um. In der Tat, das war eine einfache, kleine Festung. Nun ja, über die Mauer hätte sie leicht gekonnt, zumal keine Wachen dort standen. Aber nun herrschte Frieden, hatte ihr Partner doch gesagt. Überdies waren die Leute hier im Norden wohl nicht gerade viel mit Assassinen in Kontakt gekommen. „Komm,“ drängte Michel: „Wir müssen in die Halle.“ So folgte sie an seiner Hand in die große Vorhalle, die sichtlich für Empfänge gedacht war und nur durch Säulen abgestützt wurde. Der kaiserliche Agent bemerkte ihren raschen Blick durch den Raum und wusste, sie suchte nach Angriffs- und Fluchtwegen, Schwachpunkten. Damit hatte er zwar gerechnet, aber es beruhigte ihn. So betrat er selbst auch stets unbekannte Häuser. „Mein lieber Michel!“ Die Gäste sahen zu den Stufen im Hintergrund, wo ein Mann um die Fünfzig erschienen war. Er trug die übliche Hauskleidung eines Adeligen: enganliegende schwarzer Beinlinge mit Ledersohlen, darüber ein weit geschnittenes, besticktes Wams. Neben ihn trat nun seine Frau. Dame Annelouise mochte sein Alter haben und auch ihre Kleidung war vornehm aber geschmackvoll gehalten. Nur ihr Schmuck zeigte, dass sie nicht gerade arm waren. Sie hatte die Haare zu einer Hochfrisur emporgesteckt. Sie schien etwas bedrückt, aber das wunderte ihre beiden Gäste kaum: das Halsband war verschwunden und dazu noch die Liste des kaiserlichen Geheimdienstes. Der Hausherr fuhr fort: „Und gleich in so hübscher Begleitung. Kommt nur, ihr Zwei. Ich bin sicher, wir haben einiges zu bereden, Michel.“ „Ich erlaube mir Euch, Dame, und dir, Rene, Sarifa vorzustellen. Meine Gemahlin.“ „Na, ich hörte von gar keiner Heirat. Das war wohl nicht hier?“ „Nein, im Süden. Es war ein recht..spontaner Entschluss.“ Michel zog sein Taschentuch aus der Tasche und schwenkte es nachlässig neben sich: „Überaus spontan, würde ich sogar sagen.“ „Das glaube ich dir. - Annelouise, meine Liebe, würdest du mit der jungen donna vielleicht ein wenig Frauendinge besprechen?“ Das war zwar vorauszusehen gewesen und er hatte ihr eine kurze Geschichte vorgegeben, aber Michel war es zugegeben nicht recht, dass er nicht korrigierend eingreifend könnte, falls Sarifa einen Fehler machte, Ihm blieb jedoch nichts anderes übrig. So gab er ihre Hand frei: „Dann viel Vergnügen, meine Holde. Dame Annelouise ist eine reizende Gastgeberin.“ „Danke,“ sagte die Dame: „Dann kommt nur. Sarifa, war Euer Name? Wenn ich Euch auch so anreden darf? Bei donna de la Montagne habe ich immer noch Michels Mutter vor Augen. Die Ärmste starb ja so früh.“ Sarifa, die davon nichts wusste, begnügte sich mit einem „Ja, natürlich, Dame Annelouise, wie Ihr wünscht. Ihr seid ja viel älter als ich...“ Ein wenig beruhigt wandte sich Michel an seinen alten Bekannten: „Nun, Rene?“ „Oh ja, natürlich. Verzeih, ich bin noch etwas...empört. Oh, nicht wegen dir. Ich hatte soeben wieder die Polizei im Haus.“ „Nicht möglich!“ Michel schwenkte wieder sein Markenzeichen: „Wie ungehobelt. Was wollten die denn hier? Doch nicht etwa etwas Lästiges?“ „Nein, eher ärgerlich. Ein rechtes Abenteuer. Komm nur. Die Damen werden schon miteinander auskommen. Reizendes Kind, was du dir da angelacht hast.“ Reizend und reizbar: „Ja, aus dem tiefen Süden.“ „Dachte ich mir schon. Mal ganz was anderes als immer die Blonden hierzulande, hm? Nun, komm, trinken wir und ich erzähle dir die Geschichte.“ Das klang schon mal gut und Michel flehte in Gedanken nur, dass Sarifa keinen Fehler begehen würde. Kapitel 4: Erste Fragen ----------------------- Sarifa folgte der Dame Annelouise in deren Zimmer. Ein Mädchen, das ihnen in kleinen Tassen heiße Milch mit Honig brachte, ließ ihr in Erinnerung kommen, dass Michel sich immer für ihre fehlende Zofe entschuldigt hatte. Das sollte sie hier wohl auch tun: „Oh, Dame Annelouise, ehe ich es vergesse: ich besitze keine Zofe, da meine plötzlich krank wurde, ehe wir die Reise antraten....“ „Natürlich. - Madelon wird Euch helfen. Bedauerlicherweise ist meine eigene Zofe heute unerwartet nicht zum Dienst erschienen. - Danke, Madelon.“ Als sie unter sich waren, fuhr die Dame fort: „Leider müssen wir uns beide begnügen. Meine eigentliche Zofe, Marie, ist heute einfach nicht zum Dienst erscheinen, und das, wo sie schon Jahrzehnte für mich arbeitet. Ich verstehe es nicht.“ „So ist sie wohl auch krank?“ Ihr junger Gast beobachtete genau, wie die Dame ihre Tasse fasste, ehe sie das kopierte. Eines, was man bei ihrem Volk von Kindesbeinen auf lernte, war, unauffällig zu bleiben, gleich in welcher Situation. Nur so wurde man zu einem Assassinen, der erfolgreich agieren konnte. „Nein, sie ist im gesamten Schloss nicht zu finden. Ich verstehe das nicht. Wir sind so vertraut miteinander, sie hätte mir doch sagen können, wenn etwas mit ihrer Familie ist, oder so...“ „Ja, das ist bedauerlich.“ „Oh, nur der Neugier halber, meine Liebe.“ Die Dame lächelte fein: „Wie habt Ihr Euch denn auf dieser Reise beholfen?“ Sarifa spürte, wie sie rot wurde, als sie sich an die Szene in der Kutsche erinnerte. Ihre Familie hätte bestimmt wieder gesagt, dass sie zu wenig Selbstbeherrschung für eine Assassine besäße. Aber Annelouise de Nonpareil kicherte nur: „Ich verstehe. Ja, ja, der gute Michel. Ein wirklicher Charmeur. Ach ja, waren das noch Zeiten, als René so war. Nun ja, jung verliebt ist man eben nur einmal.“ „Vermutlich, Dame Annelouise,“ erwiderte Sarifa höflich: „Aber eine Zofe ist nun einmal nicht nur...darum wichtig.“ Vermutete sie jedenfalls, denn warum sollte jede Adelige sonst eine mit sich schleppen und sie bezahlen? „Ja, das ist wahr. Ich verstehe das mit Marie wirklich nicht. Irgendwie geht seit einigen Tagen etwas im Schloss vor, das ich mir nicht erklären kann. Nun ja, das wird Euch weniger interessieren. Erzählt Ihr mir vom Süden?“ „Natürlich.“ Sarifa vermutete nicht, dass ihr Heimatdorf auf den Bergen mit seiner Schafzüchtung gemeint war, galt sie doch als Adelige. Daher beschrieb sie die nahegelegene Stadt, das Königsschloss, in dem sie schon gewesen war, ohne zu ahnen, dass ihre Gastgeberin automatisch annahm, es handele sich dabei um das Schloss ihres Vaters, zumal der Garten mehr als ausführlich vor Augen geführt wurde und die leichte Kleidung, die man dort trug, wenn man nur unter Weiblichkeiten war. Michel ließ sich unterdessen mit gut gespielter Verwunderung vom Herrn des Hauses über das unverschämte Verhalten der Polizei berichten, vor allem aber über den Diebstahl aus der sorgsam gehüteten Stahlkammer. Während er geziert und höflich sein Bedauern äußerte, dachte er nach: die Stahlkammer befand sich hier, das hatte die unwillkürliche Handbewegung Renés zur Seite gezeigt. Aber warum war nur das Halsband gestohlen worden und nicht auch die Unterlagen oder Wertpapiere oder auch einfach der andere Schmuck? Doch nur ein Auftraggeber für das Teil – oder im ärgsten Fall ein Spion? Im hohen Norden hatte es die ärmliche Bevölkerung sicher nicht gern gesehen, dass der Kaiser die ertragreichen Raubzüge unterbunden hatte. Gegenspione wären nur zu möglich. Schön, Graf Uther wusste nichts davon, aber das hieß nicht, dass es keine gab, obwohl der Geheimdienst des Kaisers zugegeben sehr auf Draht war. Während er höflich über Nichtigkeiten plauderte, dachte er darüber nach – und auch immer besorgter an seine neue Partnerin. Wie würde sie sich schlagen? Würde sie ihn blamieren? Immerhin galt sie als seine Frau. Würde sie als Agentin den Auftrag ruinieren? Er hatte ihr nur gewisse Stützen geben können, und natürlich die Geschichte, dass sie sich im Süden getroffen und derart verliebt hatten, dass er alle Bedenken über Bord geworfen hätte, zumal sie aus guter Familie war und diese zustimmte. Sogar den ungefähren Mitgiftpreis hatte er ihr genannt. Aber würde das reichen? In solchen verdeckten Operationen musste man schauspielern können, auf der Hut sein und bei Lügen möglichst immer hart an der Wahrheit bleiben – schaffte es diese impulsive Schöne? Er hatte durchaus die Befürchtung, dass sie bei einer falschen Bemerkung Annelouises den Dolch ziehen würde. Aber zunächst einmal sollte er zusehen, dass er seinen Part übernahm: „Dieser Diebstahl ist wirklich äußerst merkwürdig,“ murmelte er: „Ich hätte angenommen, dass du nicht gerade ausplauderst, wie dein Geheimfach aufgeht.“ „Das habe ich auch nicht,“ protestierte der Sire prompt: „Und es sind diverse Schlösser angebracht, die man in genau der richtigen Reihenfolge öffnen muss, sonst bewegt sich der letzte Riegel gar nicht mehr.“ „Das ist ja ein Spezialschloss,“ tat Michel erstaunt: „So etwas könnte ich auch gut brauchen.“ „Jeder wohl. Neulich hat der Herr von Bresse das auch schon gewollt. Zum Glück habe ich einen derartigen Spezialschmied in nicht allzuweiter Entfernung.“ „Und der kennt sich so aus? Mit dem möchte ich dann auch einmal reden. Immerhin bin ich doch ziemlich selten in Montagne und hätte meine Sachen gern so sicher wie möglich.“ Er wedelte etwas das Taschentuch: „Du weißt, wie unsicher die Zeiten doch sind, obschon sich der Kaiser redlich Mühe gibt.“ „Ja, natürlich. Und ehrlich zu sein, zur Zeiten meines Vaters war es noch ärger, als es für einige Jahre ja keinen Kaiser gab, da der jetzige zu klein war und die Kaiserinmutter nicht gerade die perfekte Regentin... - Es ist der Schmied von Murcia, das ist ein kleines Dorf, ja, eigentlich in deine Richtung.“ Michel plante in einer Sekunde: „Ach, das passt ja. Ich möchte doch morgen mal nach Montagne fahren. Schon wegen Sarifa, dass sie den Stammsitz sieht.“ „Morgen? Oh, Annelouise und ich haben eigentlich für übermorgen Abend einen netten Empfang zu euren Ehren geplant. Nichts Großartiges, nur in kleinem Kreis. Du weißt schon, die Leute aus der nächsten Umgebung.“ „Ja, natürlich, vielen Dank. Bis dahin werde ich sicher wieder da sein.“ Auch das noch, dachte er. Einen Empfang – wie würde das seine temperamentvolle Schöne überstehen? Aber so etwas konnte er unmöglich ablehnen. „Und ich würde dann mal mit deinem so fachkundigen Schmied reden.“ „Ich glaube kaum, dass er deinen Auftrag ablehnt – du zahlst schließlich immer gut und pünktlich, im Unterschied zu so manchen Standesherren.“ „Ich halte das für unsere Pflicht,“ entkam es Michel ehrlich und so fuhr er hastig in seiner Rolle fort: „Überdies arbeiten die Leute dann schneller, weil sie auf einen Bonus hoffen. Nun ja, du kennst das ja, René.“ Der Sire der Marche nickte: „Ja, das ist wahr. Und man bekommt auch leichter einen Kredit, sollte er kurzfristig notwendig werden. Magst du noch etwas Wein?“ „Ja, danke.“ Den sollte er allerdings nicht mehr trinken. Er benötigte einen klaren Kopf. „Warst du auch schon dem Kaiser anzeigen, dass du wieder hier bist?“ „Aber ja. Wie könnte ich eine Gelegenheit vorbeigehen lassen mich bei Hofe zu zeigen. Ich bin nicht so der Landmann wie du.“ „Das Vorrecht der Jugend,“ meinte der Sire nachsichtig: „Du wirst auch feststellen, dass es etwas bringt, wenn man selbst unter den Bauern lebt. Und dass das Leben ruhiger und billiger ist als bei Hofe.“ „Das klingt allerdings entsetzlich...langweilig, bester René...“ Sarifa und Michel trafen sich erst kurz vor dem Abendessen in ihrem Gästezimmer. Sarifa berichtete rasch, vor allem von der Tatsache, dass Marie, die Zofe der Hausherrin, verschwunden war. „Annelouise meinte, das sei sehr ungewöhnlich. Sie vermutet, dass etwas in Maries Familie sei oder sie mit ihrem Verehrer weggelaufen sei, aber das erscheint ihr selbst eigenartig.“ Michel stutzte: „Verehrer? Ich dachte, Marie sei fast so alt wie ihre Herrin.“ „Ja, aber sie hatte da wohl jemanden. - Madelon soll mir dann beim Umziehen helfen.“ „Oh je, das mache ich lieber, ehe ihr auffällt, dass du kein Unterhemd trägst sondern deinen...nennen wir es Kampfanzug.“ „Soll ich ihn ausziehen, vor dem Essen?“ schlug sie vor. Er war fast gerührt ob dieses Angebotes, nahm sich aber zusammen. Es war nur professionell, wie sie dachte: „Nein.- Du kannst doch fast unsichtbar werden?“ „Ja, das gehörte zur Ausbildung.“ Und Graf Uther hatte sie darum eingestellt: „Nach dem Essen ziehen wir uns hierher zurück, angeblich, weil wir morgen früh ja nach Montagne fahren. Tatsächlich machst du dich unsichtbar und drehst eine Runde im Schloss. Ich möchte wissen, was mit Marie ist. Es ist auffällig, dass die Vertraute der Dame fehlt und das so kurz nach dem Diebstahl.“ Das würde Sarifa doch schaffen: „Niemand darf dich bemerken!“ „Das habe ich verstanden. Gut. Dann hilf mir mit dem nächsten Kleid. - Was für eine Verschwendung sich dauernd umzuziehen.“ „Du musst deine Kleider ja nicht selbst waschen – und die Waschfrauen wollen auch von etwas leben, Teuerste. Dann hier, das kannst du zum Essen anziehen.“ „Und keinen Dolch.“ „Nein. Später, wenn du herumgehst, meinetwegen.“ Auch, wenn das durchaus ein Risiko war, bei ihrem raschen Griff zum Messer. „Bring allerdings niemanden um. Wir dürfen nicht auffallen.“ „Ja.“ Sie schnürte sich auf und atmete tief durch: „Ich freue mich darauf beweglicher zu werden.“ So waren beide zwei Stunden später wieder in ihrem Gästezimmer. Sarifa war mehr als froh, das Kleid ausziehen zu können und nur Hemd und Hose anzubehalten. Michel zog sich die Oberbekleidung aus: „Ich lege mich hin,“ erklärte er: „Falls jemand kommt, bist du eben nur mal rasch weg.“ „Gut.“ Sie nahm ihren Umhang und warf ihn sich über, zog die Kapuze über den Kopf. Michel bemerkte durchaus, dass sie im Halbdunkel des Raumes fast unsichtbar wurde: „Das ist ein spezielles Material? “ „Ja, einer der wenigen Umhänge, die meine Vorfahren nach dem Unglück in dieses Land mitbrachten. Wir wissen nicht, welche Farbe er hat und aus was er hergestellt wurde. Sie werden sehr gehütet, aber da ich allein so weit reiste gab Mutter ihn mir mit.“ Sie öffnete vorsichtig die Tür und warf einen Blick hinaus, ehe sie davon huschte. Michel ging rasch hinterher – und war eigentlich nicht verwundert, dass er sie bereits nicht mehr in dem Flur entdecken konnte. Nun, darin war sie ausgebildet, das sollte doch klappen. So schloss er die Tür. Sein Optimismus zerrann allerdings, als sie eine halbe Stunde später noch immer nicht zurück war. So groß war das Schloss der Nonpareils doch auch wieder nicht? War sie aufgefallen? Hatte gar jemanden umgebracht? Besorgt trat er an das Fenster, das in den Innenhof führte. Noch war alles ruhig. Hatte sie Unsinn getrieben? Die Minuten verstrichen und seine Besorgnis wich Unruhe. Was hatte sie getan? Er zuckte förmlich zusammen, als er einen Mann erkannte, der hastig auf den Hof kam, sich kurz umsah, ehe er zu der Alarmglocke eilte. Erst dann bemerkte Michel, dass der Mann daran vorbeilief, zu einer weiblichen Gestalt in den Schatten, diese umarmte und küsste. Puh. Die Zusammenarbeit mit der Assassine bekam seinen Nerven offenkundig nicht. Gewöhnlich hätte er doch sehen müssen, dass es sich um ein Rendezvous handelte. Er wurde nervös, und das war nichts, was er bei seiner Arbeit sein durfte. Er sollte sich beruhigen. Sarifa war zwar naiv, unerfahren, aber sie war ausgebildet worden. Das war wichtig und sollte ihn zufrieden stellen. Warum nur dachte er dauernd daran, wie viele Leute sie in einer halben Stunde umbringen konnte? Immerhin hatte er schon mehrere Nächte direkt neben ihr überlebt. Nun gut, er hatte sich auch bemüht alles zu unterlassen, was die reizbare junge Dame als Attacke hätte betrachten können. Eine Bulldogge im Bett wäre ungefähr ebenso bequem und er hatte seine Phantasie mit diesem Bild gezügelt. Schließlich wäre ihr gemeinsamer Auftraggeber sicher nicht beglückt, wenn dieser Auftrag mit dem Tod der neuen Angestellten enden würde – nun ja, auch nicht über den seinen. Wo steckte Sarifa nur? Es war fast eine Stunde, seit sie gegangen war. Hatte sie etwas Wichtiges herausbekommen? Hörte einer Unterhaltung zu? Oder hatte sie es doch geschafft aufzufliegen? Hatte sie gar die Belegschaft dezimiert? Wo um Himmels Willen steckte sie? Sollte er nachsehen gehen? Aber das würde auch auffallen. Er fuhr herum, als er das fast lautlose Türöffnen wahrnahm. Zu seiner Erleichterung kam seine Partnerin herein und schloss sorgfältig hinter sich. „Sarifa. - Warum hat das so lange gedauert?“ Sie streifte die Kapuze zurück. „Ich fürchte, ich habe Marie gefunden.“ Das bedeutete, konnte nur bedeuten: „Sie ist tot?“ „Ja.“ Sie legte ihren Umhang ab und zusammen, während sie fragte: „Soll ich der Reihe nach berichten?“ „Ja.“ „Ich ging das gesamte Schloss ab, aber hörte und sah nichts. Dann bemerkte ich, dass sich in einem Zimmer Männer unterhielten. Um zuhören zu können, ging ich auf die Außenseite und kletterte dort entlang.“ Das hieß, wenn sich Michel der Bauart des Schlosses richtig entsann, dass sie einige Meter über dem Boden an einer fast senkrechten Wand gehangen war. Das sprach für Kraft und Schwindelfreiheit – und Mut. „Es war aber nichts Wichtiges, nur redeten sie über irgendwelche anfallenden Reparaturen. Als ich jedoch zurück klettern wollte, um wieder in das Schloss zu kommen, fiel mir im Wassergraben etwas Weißes auf. So stieg ich hinunter und suchte es. Es ist wohl Marie, jedenfalls eine Frau in Annelouises Alter. Sie wird von etwas unter Wasser gehalten. Sie ist ertrunken.“ „Ertränkt worden?“ „Das konnte ich so nicht feststellen. Bevor ich sie herauszog, wollte ich dich fragen.“ „Gut gemacht,“ murmelte er automatisch: „Ich muss nachdenken. - Geh ins Bett.“ Sarifa wusste, dass sich das nur auf ihre Tarnung bezog, und schlüpfte aus den weichen Schuhen, ehe sie sich unter der Decke ausstreckte. Michel legte sich neben sie und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Sie schloss daraus, dass er wirklich nachdenken wollte, und beschloss, die Zeit zu nutzen und bereits ein wenig zu schlafen. Der wohl beste Agent des Kaiserreiches machte ebenfalls die Augen zu, aber er stellte sich viele Fragen. Wurde die Zofe ermordet? Warum? Von wem? Dieser unbekannte Verehrer? Hatte der Marie dazu gebracht ihm die Lage der Geheimkammer zu verraten? So vertraut, wie Marie mit ihrer Herrin gewesen war, war sie sicher auch darüber informiert, wohin deren Schmuck gebracht wurde. Und dann wurde die unbequem gewordene Zeugin getötet? Was wusste der Hersteller der Schlösser? Er musste morgen unbedingt mit dem Schmied reden. Gegenüber René hatte er ja das schon angekündigt, mit einer vorgeblichen Fahrt auf seine Güter – nur, das war dumm. Der Kutscher würde plaudern können. Besser wäre ein Ritt. Hm, konnte Sarifa reiten? Vermutlich, wenn wohl auch nicht gerade perfekt. Aber da gab es durchaus Möglichkeiten. Nein. Der Schmied war wichtig und vielleicht noch dieser Verehrer. Sarifa sollte zusehen, dass sie von Annelouise erfuhr, wer das war, wenn sie morgen Abend wieder zurückkehrten. Dieser Schmied....ohne sein Wissen war die Kammer kaum aufzubringen gewesen. Lebte der noch? War er gar der Verehrer? Unwahrscheinlich. Er wusste, wo die Stahlkammer lag und wie man sie öffnen konnte. Oder? So viele Fragen. Hoffentlich würde es morgen voran gehen. „Sarifa.“ Sie öffnete sofort die Augen: „Ja?“ „Bist du schon einmal im Damensattel geritten?“ „Nein.“ „Ich reite das Pferd und du sitzt quer hinter mir. Alles, was du tun musst, ist, dich an der Lehne zwischen uns festzuhalten.“ „Ja.“ Er kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass da nichts schief gehen würde: „Wir besuchen morgen ein Dorf, in dem der Schmied lebt, der die Geheimkammer baute. Ich werde mit ihm unter einem Vorwand reden. Und du...das sehen wir dann. Womöglich kannst du mit seiner Frau reden oder so.“ „Und...die Leiche?“ „Die wird morgen jemand finden. Das müssen nicht wir sein. Mich wundert sowieso, warum sie so offensichtlich hingelegt wurde.“ „So offensichtlich nicht, Michel,“ wandte die Assassine ein. „Wenn sie wirklich, was ich so nicht erkennen konnte, mit einem Stein am Boden befestigt wurde, nahm der Mörder wohl an, dass sie verschwunden bleibt. Nicht jeder weiß, dass Tote an die Oberfläche steigen.“ „Das ist wahr.“ Entzückend, dass sie es wusste, dachte er unwillkürlich: „Du hast keine Verletzung erkennen können?“ „Nein. Ich vermute, sie wurde ertränkt. Oder ertränkte sich selbst.“ „Unwahrscheinlich, oder?“ „Ja. Aber es wäre eine Möglichkeit.“ Kalt wie Eis, dachte er – aber das war eigentlich nur gut. Professionell. „Dann schlafen wir.“ Ohne weiteres Wort drehte sich die Assassine um und schlief tatsächlich nur Sekunden später erneut. Schon sehr früh am nächsten Morgen ritten die beiden los. Sarifa fühlte sich etwas unwohl, quer auf dem hölzernen Sattelteil zu sitzen und sich auf Michel verlassen zu müssen, aber das war eben so. Überdies war er ihr Partner und würde sie kaum blamieren wollen. Als sie glaubte außer Hörweite zu sein, drehte sie sich ein wenig: „So bin ich noch nie geritten,“ gab sie leise zu. „Wie lange dauert es?“ „Fünf Stunden sicher.“ „Dann essen wir erst in dem Dorf?“ „Brauchst du vorher eine Pause?“ „Nein. - Du redest mit dem Schmied. Und ich?“ „Das sage ich dir vor Ort. Es ist sinnlos etwas zu planen, dessen Umstände man nicht weiß.“ Ja, das hatte ihr Vater auch gemeint. Sie sollte sich wirklich daran gewöhnen Michel als Ausbilder zu folgen: „Noch hat niemand die Leiche gefunden.“ „Was nur gut ist. Da wird die Polizei kommen und so sind wir schon mal weg. Ansonsten hätten sie sicher auch mit uns reden wollen – das geht jetzt erst morgen, wenn wir zurück sind. Übrigens: da findet ein Empfang für uns statt. Du wirst dich also in das beste Kleid stürzen, das du hast.“ „Wenn du mir sagst, welches,“ murmelte sie, eher desinteressiert an Mode. „Ja. Und den so genannten Familienschmuck anlegen, den dir Raoul eingepackt hat. Die Kette, die du so reizend zum Erwürgen fandest. Und die Haare emporstecken. Das sollte Madelon machen können.“ „Ja,“ murmelte sie, in Gedanken weniger bei dem Schmuck: „Wie sieht das eigentlich aus, wenn du oder ich jemanden umbringen müssen? Ich meine, die Banditen, die Graf Uther und mich überfielen, galten wohl als Notwehr...“ Er kannte Dutzende Frauen, die bei der Aussicht auf dieses elegante Kleid und den teuren Schmuck vor Vergnügen auf gejubelt hätten – und sich keine Gedanken um Tote machen würden. Aber nun gut – sie war eine Assassine: „Notwehr ist zugegeben legitim. Aber bedenke bitte, dass wir für die Guten arbeiten.“ „Ja, ich weiß. Und auf einem Ball keine Armreifdolche.“ „Ja.“ Nun, immerhin lernte sie dazu: „Und, wenn es geht, bitte freundlich und höflich lächeln, eine Rolle spielen.“ „Es ist recht anstrengend jemand anderer zu sein.“ „Ja. Aber von dieser Bemühung hängt die Lösung des Auftrages ab. Oder auch unser beider Leben.“ „Dessen bin ich mir bewusst. - Ich möchte dich etwas fragen, Michel, wenn ich darf.“ Er sollte sie ausbilden: „Natürlich.“ „Ich möchte dich auch bitten, diese Frage nicht als Feigheit aufzufassen - Hast du schon einmal einen Partner verloren?“ „Im Geheimdienst noch nie durch Tod. Ein...alter Freund wurde so schwer verletzt, dass er nicht mehr reiten oder selbst laufen kann. Er lebt nun in einem Kloster in Paradisa als Gast. Nicht als Mönch, das wäre ihm zu streng.“ Michel konnte sich denken, warum sie das fragte und so zum ersten Mal, wenn auch dezent, sich seinen Fähigkeiten erkundigte. Er hatte heute noch so oft es ging zumindest brieflich Kontakt zu Roland: „Er war einmal ein wenig zu voreilig, handelte, ehe ich da war, wie es verabredet war... Du kommst aus dem Süden und hast vielleicht schon gehört, dass man weder in Wüsten noch in Urwälder oder die Wälder zwischen den Staaten allein geht. Genau so ist es hier. Jeder von uns sollte möglichst wissen, was der Andere wann tut, und darauf achten. Und wenn wir uns später besser verstehen, wird das auch ohne Worte klappen, da bin ich sicher.“ „Ich auch, denn so hält es auch mein Volk.“ Sie unterdrückte die aufdringliche Frage, woher die Narbe auf seiner Schulter kam. Das sah nicht nach einem Degen aus – aber er hatte ja gesagt, dass er schon in einer Schlacht gekämpft hatte. ** Ich weiiß noch nciht, ob ich es schaffe, das nächste Kapitel nächsten Mittwoch hochzuladen, dann eben übernächste Woche. Auf jeden Fall: Frohe Weihnachten hotep Kapitel 5: Murcia ----------------- Es war schon Mittag als Michel und Sarifa das Dorf Murcia erreichten. Auch hier verriet der verfallene Graben, Palisadenreste, dass es bis vor zehn Jahren immer wieder zu Überfällen aus dem Norden gekommen war. Allerdings wirkte das eigentliche Dorf mit den Strohdächern neu verputzt und sehr ordentlich. Hier mochten sicher an die sechshundert Menschen leben – eine recht große Ortschaft, die ihren Bevölkerungsreichtum den weiten Weizenfeldern in der Ebene um sich verdankte. Aber das war nicht der Grund, warum der kaiserliche Agent einen leisen Fluch unterdrückte. Die Assassine, die quer direkt hinter ihm auf dem zweiten Pferdesattel saß, hatte es jedoch gehört. „Was ist?“ erkundigte sie sich und bemühte sich an ihm vorbei zu sehen. Dieses Reiten im Damensattel ohne direkten Einfluss machte sie nervös, da sie lieber selbst agierte, aber sie hatte sich schon seit Stunden damit abgefunden. „Da ist etwas passiert.“ Denn praktisch das gesamte Dorf drängte sich auf dem großen Marktplatz und er erkannte einen bewaffneten Mann in Harnisch mit rotem, silbern umsäumten, Umhang – ein Mitglied der kaiserlichen Polizei. Andere Bewaffnete waren seine Begleiter. Sarifa, die an ihm vorbeisah und das ebenfalls entdeckte, fragte nur: „Der Schmied?“ „Möglich. Aber das wäre schon Pech – oder unser Gegenspieler ist sowohl skrupellos als auch raffiniert.“ Er überschlug die Hinweise, ehe er rasch entschied: „Pass auf. Wir sehen nach, dann rede ich mit dem Polizisten. Du wirst dich dagegen, ganz wie es sich für eine entsetzte und geschockte junge Dame gehört, dort links in die Taverne setzen. Man hört nirgends soviel wie in Gaststätten,“ fügte er erklärend hinzu, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlte. Immerhin sollte er sie ja auch ausbilden. „Ja.“ Als sie in das Dorf ritten, drehten sich die ersten Menschen nach ihnen um. Wie es in der bäuerlichen Bevölkerung üblich war, trugen die Männer ein bis zu den Knien reichendes Hemd, darunter Beinlinge, die Frauen zweiteilige Kleider, die bis zu den Waden reichten, Einige Männer besaßen nur ihr Hemd, waren offensichtlich zu arm, um sich auch Beinlinge stricken zu lassen – Knechte oder Tagelöhner. Michel, ganz in seiner üblichen hochnäsigen Art, meinte: „He, Mann. Ich will mit dem Schmied sprechen. Wo ist denn hier die Schmiede?“ Der Angesprochene zuckte die Schultern: „Die Schmiede wird Euch kaum etwas helfen, edler don. Der Schmied ist tot. Sie haben ihn zuvor aus dem Teich gezogen.“ „Wie unschön...und ungeschickt von ihm. - Meine Holde, ich würde sagen, dass du in die Taverne dort gehst. Wasserleichen sind kein schöner Anblick. Mal sehen, ob dieser Schmied noch einen Gehilfen hat, der nicht baden ging.“ Er stieg etwas unelegant vornüber aus dem Sattel, aber das war nicht zu verhindern, saß seine Partnerin doch quer hinter ihm. Er half ihr hinab, froh, dass sie bereits gelernt hatte das abzuwarten: „Sieh nun, dort...oder steht der Wirt auch hier nichtstuend herum?“ Eine Frau kam auf diese laute Frage heran: „Wenn die donna mit mir gehen möchte? Ich bin die Wirtin. Und Euer Gemahl hat recht – es ist kein schöner Anblick.“ „Ja, natürlich.“ Sarifa ordnete etwas ihr Kleid, schon, um nicht den Armreifdolch unter ihrem rechten Ärmel zu zeigen: „Habt Ihr etwas Warmes zu trinken?“ „Oh, ich hätte heiße Milch, aber sogar Kaffee.“ „Kaffee?“ Die Augen der Assassine leuchteten auf. Seit sie von zuhause aufgebrochen war, hatte sie das bittere Getränk nicht mehr genossen – und auch nicht damit gerechnet, es ausgerechnet im Norden zu erhalten. „Oh, ja. Ich weiß, dass das selten ist, aber Ihr stammt ja wohl aus dem Süden. Ein alter Handelsfahrer wohnt in einem Hafen etwas entfernt, er hat dieses Getränk dort kennengelernt und liefert es aus. Ich mag es selbst sehr gern und darum führe ich es. Sonst ist es hier selten. Ich denke, in Paradisa kann man es sonst noch bekommen.....“ Michel bemerkte beruhigt, dass seine Partnerin mit der redseligen Wirtin verschwand und wandte sich seinem eigentlichen Problem zu. So trat er zu dem Polizisten, der soeben mit einer energischen Handbewegung die Schaulustigen weiter treiben wollte, während zwei Männer eine Trage mit einem zugedeckten Körper hochhoben. „Verzeiht, Bester,“ sagte er und zog sein Taschentuch, um es ein wenig zu wedeln: „Ich wollte mit dem Schmied von Murcia wegen eines Auftrags reden, aber mir wurde gesagt, dass er....unabkömmlich sei...“ „In der Tat. Was wolltet Ihr denn von ihm?“ „Der Sire de la Marche empfahl ihn mir. - Oh, ich bin Michel de la Montagne.“ „Der Herr der angrenzenden Güter, ja, natürlich. Ich bitte um Verzeihung, edler don. Ich habe Euch nicht sofort erkannt. Ja, der Schmied ist tot. Ertrunken hier im Dorfteich.“ „Das kommt dabei heraus, wenn jeder meint schwimmen zu können.“ In aller Regel konnten es Bauern sicher nicht und auch nur wenige unter den Adeligen. „So kann man es auch nennen.“ „Hatte er wenigstens einen Gehilfen, der mir nun Auskunft geben kann?“ „Nein. Auch keinen Lehrling. Er arbeitete allein. Ich fürchte, edler don, Ihr werdet Euren Auftrag anderweitig vergeben müssen.“ „Wie betrüblich. Der Sire war so angetan von seiner Arbeit. Nun, nicht zu ändern. - Oh, eine Frage noch: kümmert sich die kaiserliche Polizei nun immer auch um Unfälle? Das müsste ich meinen Bauern dann ja sagen.“ Und immerhin war die nächste Polizeistation fast drei Stunden entfernt in dem zuständigen Marktflecken. „Nein. Aber ich war zufällig auf Patrouille. Ihr wisst doch, wie es die Menschen schätzen, wenn man sich immer wieder in den Dörfern sehen lässt. Gewöhnlich wäre er einfach als Unfalltoter begraben worden.“ „Aber...? Ihr macht mich neugierig, Wertester.“ Der Polizist zögerte, aber man sollte adeligen Herrn, zumal dem Besitzer der umliegenden Güter nicht in die Quere kommen, wenn man seine Karriere nicht in einem Bauernkaff beenden wollte: „Man erkennt an seinen Händen, seinem Nacken Druckspuren. Er wehrte sich.“ „Mord, also? Wirklich unschön. So nahe an meinen Gütern und so nahe an der kaiserlichen Hauptstadt. Tse!“ Mord Nummer zwei, dachte er. Das war mehr als ärgerlich. Und es war kaum davon auszugehen, dass zwei Tote, die für die Nonpareils gearbeitet hatten und beide ertränkt worden waren, nicht zusammenhingen. Der Schmied war seine heiße Spur gewesen. Was nun? Um sein Inkognito zu wahren, zuckte er ein wenig die Schultern: „Dann gute Jagd, sollte man wohl sagen. Ich werde mal sehen, ob meine Gemahlin ein wenig den Schock verdaut hat. Wie unschön. Da möchte man ihr die Gegend zeigen und dann so etwas. Sie muss ja denken, ich hätte sie in die Wildnis gebracht.“ „Oh, Ihr seid noch nicht lange verheiratet, edler don? Dann meinen herzlichen Glückwunsch. - Bringt ihn weg. Und, he, Leute, es ist vorbei, ihr könnt wieder an eure Arbeit gehen!“ Michel nickte kurz, ehe er sich abwandte. Sarifa saß vor der Taverne auf einer Bank an einem Tisch und fächelte sich Luft zu, als habe sie nie etwas anderes getan. Als sie bemerkte, dass er zu ihr kam, schloss sie den Fächer rasch und deutete nach rechts, ehe sie weiter wedelte. Sie wollte ihn auf etwas aufmerksam machen. Während er mit einem breiten, schon fast dümmlich zu nennenden, Lächeln auf sie zusteuerte, versuchte er möglichst unauffällig einen Blick nach rechts zu erhaschen. Dort war eine Gasse, die zwischen zwei Häusern weiter in das Dorf führte. Und er erkannte gerade noch den Schatten eines Mannes, der eilig verschwand. Er trug Stiefel und die allgemein übliche Kleidung eines Bürgerlichen, jedoch nicht eines Bauern. Ein Fremder hier im Ort? Aber eine Verfolgungsjagd würde auffallen und seine Deckung gefährden. Hatte seine Partnerin überdies mehr Informationen? Er setzte sich: „Oh, Kaffee? Magst du das etwa?“ Leiser fuhr er fort: „Der Mann..?“ „Er beobachtete alles in der Menge,“ erklärte sie gedämpft: „Dann hörte er dir und dem Polizisten zu, ehe er an mir vorbeiging und dort scheinbar unauffällig an der Ecke stehen blieb und mich beobachtete. Nun, er lernte wohl viel darüber, wie die Wirtin Kaffee macht. Verfolgen wir ihn?“ „Mit der Polizei hier im Ort? Überdies ist nicht sicher, ob er nicht nur neugierig war.“ „Er trägt einen Dolch unter dem Wams.“ „Oh. Woher die Weisheit?“ „Er bückte sich, angeblich, um seine Hose in den Stiefel zu stecken. Und das war eben so, als ob da etwas Hartes drunter sei.“ Er sah keinen Grund an ihrer Beobachtung zu zweifeln: „Ich bin verärgert,“ murmelte er: „Über mich. Ich hätte daran denken müssen, dass der, der den Diebstahl plante, kein Idiot ist und seine Zeugen beseitigt. Natürlich nicht selbst, aber du weißt, wie leicht man an Meuchelmörder kommt.“ „Mit dem Dolch,“ kam die prompte, eisige Erwiderung. Eine Bulldogge....„Schon gut, ich weiß, du kannst solche Typen nicht ausstehen. Wenn es dich tröstet – ich denke nicht, dass er seine Berichterstattung überlebt.“ „Das wäre ungeschickt. Wenn man Meuchelmörder umbringt, bekommt man doch keine neuen....“ „Du denkst zu ehrenhaft. Wer sollte denn wissen, dass unser Unbekannter einen angeheuert hat? Nun gut, ich muss nachdenken. - He, Wirtin, mir auch so einen Kaffee....“ Das würde hier ziemlich teuer sein, aber er wollte den Eindruck erwecken, Sarifa hätte ihm das Getränk empfohlen. „Ich habe etwas übersehen, da bin ich ganz sicher. Wir müssen den Auftraggeber finden. Denn nur der weiß, wo das Halsband sich befindet.“ Sie nickte lächelnd und fächelte sich Luft zu. Michel war zumindest mit ihr zufrieden. Wenn er ihr eine Rollenvorgabe gab, erfüllte sie sie – der Fehler hatte bei ihm, dem Anführer und Ausbilder und überdies elf Jahre Älteren, gelegen: „Du wirst ihn wiedererkennen?“ Überflüssige Frage, dachte sie, aber sie sagte lieber nichts. Sie kannte diese zusammengezogenen Brauen von ihrem Vater und Großvater – da wurde nachgedacht, über einen möglichen Fehler nachgedacht – nichts, wobei man einen Mann stören sollte, wenn er auf der eigenen Seite war, das hatte ihre Mutter ihr gepredigt. Die eigene Meinung konnte man später vortragen, wenn er den Irrtum erkannt und analysiert hatte. Der Kaffee wurde gebracht und Michel bedankte sich automatisch bei der Wirtin, ehe ihm der zweite Fehler des Tages dämmerte und er die Tasse zu seiner Partnerin schob: „Ich bin heute langsam. Hier, trink aus und bezahle.“ Er reichte ihr seine Geldbörse: „Ich werde sehen, wohin der Unbekannte ist.“ „Und wie?“ Er sollte sie ausbilden: „Er wird kaum ein eigenes Pferd besitzen. Und da er das gemietete Pferd auch eher nicht zurückbringen will, muss er im Mietstall angeben, wohin er will, damit der Besitzer das von dort zurückerlangen kann. Selbst, wenn er ein eigenes Tier besitzt, könnte er geplaudert haben. Wissen wir, wohin er ist, können wir ihm zumindest dorthin folgen. Oder auch zusehen, dass wir seinen Auftraggeber erwischen.“ Er war schon weg, ehe Sarifa ein wenig seufzend zur zweiten Tasse Kaffee griff. Das würde teuer sein, aber nun ja, es ging wohl auf Spesen. Graf Uther hatte auf sie nicht den Eindruck gemacht, seine Agenten kurz zu halten. Dabei musste sie nur an die Kleidung und den Schmuck denken, den man ihr zur Verfügung gestellt hatte. „Wirtin – was kosten die zwei Tassen Kaffee?“ Nur zehn Minuten später war Michel wieder bei ihr, hinter sich bereits ein mit Zusatzdamensattel gezäumtes Pferd. Sie stand auf und ging zu ihm, ohne ihre Überraschung zu zeigen. Aber es schien eilig zu werden, darum hatte er wohl die Pferde ausgetauscht: „Deine Geldbörse, mein Schatz,“ sagte sie lächelnd. Erst, als sie unterwegs waren, meinte sie: „Ein frisches Pferd? Warum hast du nicht das behalten,was wir von Sire Rene bekommen haben?“ „Teuerste, ein Pferd ist dazu da, dass es einen schnell von einem Ort zum anderen bringt. Das Eine war müde und wir haben einen weiten Rückweg vor uns.“ „Das meinte ich nicht. Wie kommt der Sire der Marche wieder an sein Tier?“ „Dafür erhält er dieses annähernd Gleichwertige. - Wie gesagt, ein Pferd ist nützlich, aber daran sollte man nicht sein Herz hängen. In einer Schlacht mag es gut sein, dass es für dich stirbt.“ Sarifa dachte an den alten Wallach, der sie von zuhause bis in die kaiserliche Hauptstadt getragen hatte. Ohne ihn wäre sie sich ziemlich allein vorgekommen – und ja, sie hatte ihn ins Herz geschlossen. Jetzt stand er wohl noch immer bei der Wirtin des Schwarzen Schwan. Da kam eine nette Rechnung zusammen, wenn sie das so überlegte. Graf Uther würde kaum an ihn denken und ihn in einen Mietstall geben, was deutlich billiger wäre. Um abzulenken erkundigte sie sich: „Wohin reiten wir?“ „Zu den Nonpareils.“ „Der Meuchelmörder reitet....?“ „So hat er es zumindest angegeben. Also sollten wir zusehen, dass wir ebenfalls dorthin kommen. Oh, nein, ich denke nicht, dass Rene oder auch Dame Annelouise etwas mit dem Diebstahl zu tun haben. Aber es ist nur logisch, dass sich der Auftraggeber in ihrem Haushalt auskennen muss, sonst wäre er weder in Renes Arbeitszimmer gelangt noch an die Zofe.“ „Aber der Schmied ist aus Murcia....“ „Was nur bedeutet, dass der Auftraggeber auch ihn... Du hast Recht. Rene erwähnte mir gegenüber, dass der Herr de Bresse seinen Stahlschrank so bewundert hatte, dass er den Namen des Schmiedes wissen wollte. Ich sagte das auch, als Vorwand, um an dessen Namen zu gelangen.“ Er dachte nach: „Der Herr von Bresse...sieh mal an. Ich muss heute wirklich langsam sein.“ „Vielleicht, weil das hier eben nicht nur ein Auftrag ist, sondern du Rene de Nonpareil und die anderen alle kennst?“ Vater hatte gesagt, dass sei eine große Gefahr und genau dann müsse man seine Gefühle beherrschen. Etwas, was sie bei Weitem nicht so gut konnte wie ihre Eltern oder älteren Brüder. Aber sollte sie diesen Rat an ihren Ausbilder weitergeben? Michel war das vermutlich klar, er musste zwischen Freunden und einem Ziel das richtige suchen, Michel schwieg dazu lieber. Es war ihm etwas unangenehm, sich ausgerechnet vor seiner neuen Partnerin so zu blamieren, aber sie hatte Recht. Er kannte Rene, er kannte auch den Herrn von Bresse. Nicht, dass ihn mit diesem eine enge Freundschaft verbunden hätte, aber man kannte sich doch eben schon sehr lange: „Bresse liegt nur wenige Stunden von den Nonpareils,“ erklärte er darum sachlich: „Und bei dem Empfang morgen Abend wird er sicher dort sein. Es würde auffallen, wäre er es nicht, dazu ist der Landadel zu eng verbunden. Das könnte der Grund sein, warum der Meuchelmörder ebenfalls dorthin will.“ „Wäre es nicht dumm, als Dieb des Halsbandes zum Tatort zurückzukehren?“ „Nicht unbedingt. Um es zu stehlen musste er Gast im Hause sein. Er konnte nicht wissen, wann der Diebstahl auffallen würde und musste, um seine Tarnung zu wahren, dort über Nacht bleiben, harmlos zum Frühstück erscheinen. Da die Polizei allerdings schon anwesend war, wäre es mehr als ungeschickt gewesen, mit dem Halsband in der Tasche herumzulaufen. Gut möglich, dass er es irgendwo im Schloss versteckt hat und nur auf eine harmlose Gelegenheit wartet, es zu holen, wenn sie die Aufregung etwas gelegt hat. - Bresse ist verwitwet, aber er war mit einer Frau aus dem Norden verheiratet und besaß schon immer recht gute Kontakte dorthin. Graf Uther hatte ihn bereits im Verdacht Informationen für die Raubzüge zu liefern, konnte ihm aber nichts nachweisen. Das bedeutet, er hat das Halsband womöglich wegen der Liste gestohlen. Umso wichtiger ist es, ihn zu schnappen. Oder jemand anderen. Andererseits ist Bresse auch nur ein sehr kleines Landgut und gibt bei weitem nicht soviel her wie die Marche oder auch meine Güter. Und er schätzt gutes Leben. Hm. Ich kenne ihn doch schon einige Jahre.“ „Das Motiv kann uns gleich sein. Unser Auftrag lautet, die Liste zu sichern.“ „In der Tat, meine Sachlichkeit.“ Und eigentlich war er froh darum, dass sie das nüchtern anging: „Wir werden den Meuchelmörder heute kaum mehr einholen. In zwei Stunden wird es zu dunkel sein, dass wir weiter reiten können.“ „Aber er auch nicht.“ Sie dachte wieder dankbar an den alten Wallach, der die Straße einfach immer entlanggelaufen war – allerdings waren die Kaiserreichhandelswege doch deutlich besser ausgebaut als die Pfade hier in der Marche. „Wir werden morgen bei Sonnenaufgang weiter reiten, aber er auch. So oder so kann er nur unter einem Vorwand oder zum Empfang in das Schloss der Nonpareils.“ „Wie läuft so ein Empfang ab? Ich weiß,“ ergänzte sie hastig: „Das hast du mir schon erklärt. Ich meine, die Wachen, die Dienstboten?“ „Wie Rene es sagte, hat er wohl alles im Umfeld eingeladen – da werden die Diener ganz schön beschäftigt sein, sei es mit den Vorbereitungen oder dann auch mit dem Servieren, Gästezimmer Herrichten und anderen. Allerdings würde ich annehmen, dass das Tor dennoch gesichert ist.“ „Wachen?“ Sie klang etwas spöttisch: „Verzeih, ich weiß, dass du mit Rene Nonpareil lange befreundet bist, aber in dieses ach so gut gesicherte Schloss würde ich jederzeit hineinkommen. Und ich denke auch, dass das für einen Meuchelmörder kein Problem darstellt, zumal er dort ja auch schon einen Mord begangen hat.“ Sie zögerte kurz, ehe sie ergänzte: „Wann darf ich ihn umbringen?“ „Mein aggressiver Engel – gar nicht. Unser Ziel ist das Halsband und da vorrangig die Liste. Nun gut, wenn er versucht, dich oder mich umzubringen, aber das dürfte doch unwahrscheinlich sein. Bresse kennt mich wiederum als Michel de la Montagne seit Jahren - und wenn er den Auftrag gäbe, einfach alle Gäste im Umkreis umzubringen, käme ihn das teuer. Du kannst Meuchelmörder einfach nicht leiden, hm?“ „Einer von ihnen tötete meinen Vater.“ „Und nicht gerade in offenem Kampf? - Schon gut. Dennoch: er hat gemordet, vergiss das nicht. Menschen, die schon einmal ihre Tötungshemmung überwunden haben, sind gefährlich.“ „Wie wir beide.“ Da hatte sie natürlich Recht: „Ich soll dich ausbilden.“ „Entschuldige,“ bat sie zerknirscht. Wirklich, sie sollte einfach lernen den Mund zu halten. Er war der Meister, sie die Anfängerin. Und es war sowieso nett von ihm, dass er sich bemühte, ihr auch die eigenen Gedankengänge und Fehler aufzuzeigen, so dass sie besser und schneller auffassen konnte. Nicht jeder Lehrer gab Irrtümer offen zu. Und das sollte sie ihm hoch anrechnen, statt herumzumaulen wie ein kleines Kind. „Wir werden auf freiem Feld übernachten,“ lenkte er ab und wurde praktisch: „Macht dir das was aus?“ „Nein.“ Natürlich. Im Zweifel würde sie damit besser zu recht kommen als er. Er hatte zwar schon an kaiserlichen Jagden teilgenommen, aber das war sicher anders gewesen, als die Wolfshatz und Bärenkämpfe in den steinigen Bergen des Südens, an denen sie nach ihrer Aussage beteiligt gewesen war. Reine Neugier ließ ihn fragen; „Hast du auch schon einmal ein Raubtier getötet? Ein Bärenbaby?“ „Nein, die Mutter. Wir waren in einem schmalen Tal, das endete, Und plötzlich tauchte sie hinter uns auf. Ihre Jährlinge griffen sofort an und meine zwei Brüder, die dabei waren, waren mit ihnen beschäftigt, Sie wollte ihren Kleinen zu Hilfe kommen, aber das wurde eng für meine beiden Brüder. Also stellte ich mich ihr, Und sie starb schnell. Ab da durfte ich statt bei den Mädchen und Frauen bei meinen Brüdern und Cousins mittrainieren. Großvater sagte, eine Enkeltochter, die mit sieben einen Bären tötet, sei talentiert.“ „Du warst sieben, als du eine Braunbärin getötet hat? Mit einem Messer?“ vergewisserte er sich. „Ja, natürlich.“ Als ob sie eine andere Waffe in die Hand nehmen würde. „Reizende Sachen erfährt man da über dich, mein aggressiver Engel.“ Aber langsam finde ich die Vorstellung einen Privathenker mit mir herumlaufen zu haben, vielleicht gar nicht so schlecht, dachte er, in Erinnerung an die ein oder andere Lage, in die er schon gekommen war. Als sie bei Beginn der Nacht an einem Buschwerk abstiegen und sich Michel um das Pferd kümmerte, war er erneut etwas überrascht, dass Sarifa kein Wort über Hunger oder Durst verlor. Nein, das war wirklich kein normales Mädchen. Vielleicht sollte er bei dem Bulldoggenvergleich bleiben. Dennoch war er höfisch und höflich genug ihr zu sagen, dass sie in seinem Arm schlafen solle. Prompt bemerkte er, dass ihre Hand zum Dolch zuckte, den sie am Unterarm trug: „Nun, dann eben nicht. Es wäre nur für uns beide wärmer gewesen. Immerhin regnet es nicht.“ Wo er recht hatte....Sie entspannte sich. Sie sollte nicht bei jedem derartigen Satz an eine Annäherung denken. Immerhin hatte er schon gesagt, er würde lieber die Schneide eines Rasiermessers küssen als sie. Allerdings ärgerte sie das aus irgendeinem Grund. Unangenehm berührt, ihre Empfindlichkeit verraten zu haben, meinte sie bemüht sachlich: „Wir haben keine Decke, in der Tat. Und dieses Kleid ist nicht so warm wie mein gewöhnlicher Umhang.“ Es war die erste Nacht, in der Michel de la Montagne ein Mädchen eng an ihn geschmiegt in seinem Arm schlafend fand – und sich mehr als bemühte an eiskaltes Wasser zu denken. ** Tja, niemand ist unfehlbar, zumal, wenn es um alte Bekannte geht. Das nächste Kapitel bringt: „Ärger“ Kapitel 6: Ärger ---------------- Am folgenden Morgen erwachten Michel und Sarifa bei Sonnenaufgang. Ohne ein Wort zu verlieren, stand der Agent auf und ging zum Pferd, zäumte es fester und sattelte es. Die junge Assassine kam heran: „Was machen wir eigentlich mit dem Meuchelmörder? Du hast erwähnt, dass du glaubst, dass er seinen Bericht nicht überlebt, weil er gegen seinen Auftraggeber aussagen könnte. Damit wäre er für uns ein wichtiger Zeuge, oder?“ Sie dachte wirklich mit. Mochte sie auch unerfahren sein - sie war intelligent und lernwillig. „Ja, das wäre er. Allerdings – er hat zwei Tote auf dem Gewissen. Auf ihn wartet so oder so die Todesstrafe. Wichtiger ist jedoch das Halsband, genauer die Liste. Wir müssen sehen, wie die Lage im Schloss ist. Wenn ich Bresse sehe, den ich momentan für unseren Lieblingsverdächtigen ansehe, zeige ich ihn dir. Und du mir den Meuchelmörder. Dann machen wir weiter. - Heute Abend ist der große Ball und ich glaube, morgen früh erst wird Bresse abreisen. Falls er bis dahin nichts unternommen hat, um das Halsband aus dem Schloss der Nonpareils zu suchen und zu finden, mag er es auch in seinem eigenen haben. Aber es sind noch zu viele Unwägbarkeiten dabei. Nicht zuletzt die, dass ich mich irre und jemand anderer der Auftraggeber ist. Das könnte uns nur der Meuchelmörder erzählen – sei es, dass er redet, sei es, dass er mit jemandem wie Bresse Kontakt aufnimmt.“ Er drehte sich um,um ihr auf den Quersattel zu helfen, ehe er selbst aufstieg. Dann fuhr er fort: „Tu mir jedenfalls nur den Gefallen und bring ihn unter keinen Umständen um, ehe wir weiterwissen.“ „Falls er mich überfällt...?“ „Ich hoffe doch, du bist in der Lage den Angriff so abzuwehren, dass er hinterher noch reden kann.“ „Ja,“ sagte Sarifa nur. Aber das war ein Versprechen. So atmete er etwas auf. Die Impulsivität der jungen Dame war ihm schon seit ihrem ersten Treffen bekannt: „Zu etwas anderem. Der Ball heute Abend – denk dran, dass du als meine Frau giltst. Du wirst vermutlich von vielen Leuten beobachtet werden. Also, blamier mich nicht.“ „Keine Messer, keine Toten.“ Ja, Euer Sachlichkeit: „Ich bitte darum.“ Als sie das Dorf vor dem Schloss der Nonpareils erreichten, bemerkten sie auf den ersten Blick, dass der Ball relativ groß werden würde. Zwischen dem Dorf und dem ehemaligen Wassergraben des Schlosses war nun ein Platz abgezäunt worden, wo die Pferde und Kutschen der Gäste untergebracht werden sollten. Michel fragte nach und erfuhr die Bestätigung: „Ja, edler don,“ sagte einer der Diener: „Aber Ihr reitet ja das Pferd des Herrn, so bringt es in den Pferdestall. Auch Eure Kutsche wurde dort noch untergebracht.“ „Wunderbar, mein Freund, ...“ Etwas Trinkgeld floss, dann lenkte Michel das Pferd über die Brücke in den Hof, wo er die Zügel einem Diener überließ, ehe er selbst abstieg, um seiner vorgeblichen Frau aus dem Sattel zu helfen. Natürlich würde kein Dienstbote es wagen, die Hüften einer donna zu berühren. Das könnte fatal enden. „Bring ihn weg,“ befahl Michel auch nur kühl: „Wie weit sind die Vorbereitungen?“ „Das weiß ich nicht, edler don, aber der Herr und die Herrin überwachen die Arbeiten in der Vorhalle, soweit ich weiß.“ „Gut. - Komm, meine Liebe.“ Beim Eintreten in die Halle, die eifrig geputzt und mit Wandteppichen und Girlanden geschmückt wurde, entdeckten die beiden Agenten auch das Ehepaar Nonpareil, die anscheinend weitere Anweisungen gaben. Neben Rene de Nonpareil stand ein Mann von vielleicht um die Fünfzig mit weißblonden Haaren, die offen über die Schultern des hellen Wams fielen, der Michel leise zischen ließ: „Das ist Bresse!“ Also ihre Zielperson, buchte Sarifa sachlich, während sie bereits das Lächeln Dame Annelouises erwiderte. Zufrieden mit seiner Partnerin ließ Michel ihre Hand los: „Gehe nur zur Dame...“, und wandte sich an den Gastgeber: „Oh, mein lieber Rene...Bresse, schön Euch einmal wiederzusehen.“ „Michel, nun, wie war der Besuch in Murcia?“ erkundigte sich der Sire de la Marche leutselig. „Oh, überraschend aufregend!“ Der Agent zog sein Taschentuch und fächelte sich ein wenig Luft zu, während er in der Manier eines Mannes, der über sein kleines Abenteuer fast zerbarst, von dem Tod des Schmiedes erzählte. Dabei behielt er den Hausherrn im Auge, beobachtete jedoch auch den Herrn von Bresse, der allerdings nur lächelte. „Ja, wie aufregend!“ sagte Rene de Nonpareil: „Wirklich, das wird mir allmählich zuviel. Erst wird mein Halsband gestohlen, dann findet man die Zofe meiner Frau ertränkt auf – oh, davon weißt du noch gar nichts, Michel? - und jetzt auch noch einen Schmied. Ja, wo sind wir denn hier? Wenn das so weiter geht, muss ich die hiesige Polizei wirklich ermahnen und sie an die vorgesetzte Behörde in Paradisa melden.“ „Schlimme Zeiten, in der Tat,“ erwiderte Michel höflich. „Wollen wir doch hoffen, dass die Polizei das in den Griff bekommt.“ Dame Annelouise hatte unterdessen Sarifa freundlich begrüßt. „Er hat Euch Ärmste wirklich die ganze Strecke in zwei Tagen reiten lassen? Ich hielt ihn für höflicher...“ „Oh, Michel war sehr nett, aber ich bin reiten gewohnt, Dame Annelouise,“ hatte Sarifa prompt beteuert, bemüht, ihren Partner zu schützen. „Schon gut. Aber Ihr werdet Euch gewiss frisch machen wollen. Ich schicke Euch dann Madelon, damit sie Euer Kleid für heute Abend herrichten kann, aufbügeln und so.“ Sarifa, die Zeit ihres Lebens noch kein Bügeleisen gesehen hatte, und daher den Nutzen nicht so recht erkennen konnte, nickte nur freundlich: „Ja, vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Euch. - Wir beide haben ja momentan das Ungemach ohne Zofe auskommen zu müssen.“ „Oh, davon wisst Ihr ja noch gar nichts, nicht wahr? Stellt Euch nur vor, man hat Marie gefunden. Also, meine Zofe!“ „Dann hatte sie hoffentlich eine gute Erklärung für ihre Abwesenheit.“ „Äh, ja...sie ist tot.“ „Nicht möglich! So alt war sie doch noch gar nicht!“ Sarifa stellte für sich fest, dass Michels Benehmen im Einsatz abzufärben schien. Aber es war wohl richtig, denn die Dame zwinkerte ihr zu, ehe sie verschwörerisch hauchte: „Es soll Mord gewesen sein, sagte die Polizei! Stellt Euch das nur vor...zuerst ein Diebstahl, jetzt ein Mord! Rene ist sehr ungehalten. Am liebsten hätte er heute schon das Fest abgesagt, aber das ging natürlich nicht.Wo kämen wir denn dahin, alle Nachbarn so vor den Kopf zu stoßen.“ „Solche Feste sind gewiss recht selten.“ „Ja, und außerdem ist Rene ja der Sire der Marche, also sozusagen der Ranghöchste hier. Wie könnte er auch nur zugeben, dass er mit etwas nicht fertig würde? Jetzt geht nur, sucht Euer Kleid für heute Abend heraus, ich werde Madelon unverzüglich zu Euch schicken.“ „Ja, danke. Ich werde mich dann ein wenig ausruhen.“ „Natürlich, nach diesem Ritt, Ihr Ärmste. - Ich sage Madelon noch, wann ich sie benötige, das wird sie dann schon regeln können. Sie ist natürlich nicht Marie, aber doch recht geschickt.“ „Vielen Dank, Dame Annelouise.“ Sarifa neigte höflich den Kopf: „Ich bin sicher, Ihr habt noch viel vorzubereiten.“ „Ja,“ stöhnte diese etwas auf: „Aber das gehört natürlich dazu. Ich freue mich jedenfalls schon auf Euren ersten Ball....“ „Ja.“ Bezog sich das etwa darauf, dass sie auf Montagne einen Ball geben sollte? Nun, Michel würde schon eine Ausrede einfallen, immerhin waren sie ja nicht wirklich verheiratet. Sie sollte sich an die Arbeit machen, sich, wenn auch allein, umziehen und dann lautlos wie ein Schatten durch das betriebsame Schloss gehen, auf der Suche nach dem Meuchelmörder. Der musste vor ihnen angekommen sein, wenn seine Aussage in Murcia stimmte, dass er hierher wollte. Sie selbst hatte ein wenig Zweifel daran, aber Michel hatte bestimmt Recht und der hatte bei so etwas Harmlosem wie der notwendigen Angabe bei einem Pferdeverleiher nicht gelogen. Bekam dieser sein Tier nicht wieder beziehungsweise ein gleichwertiges, würde er Alarm schlagen – und das Letzte, was ein Mann dieser Profession gebrauchen konnte, war Aufmerksamkeit der Polizei. Meuchelmörder mochten häufig sein in dieser Zeit, aber sie waren dennoch gesuchte Verbrecher. Michel bemerkte zufrieden, dass sich seine Partnerin zurückzog, und wusste, was sie vorhatte. Er selbst sollte sich ein wenig um seinen Lieblingsverdächtigen kümmern: „Mein lieber Bresse, was macht Ihr eigentlich so? Wir haben uns ja schon eine halbe Ewigkeit nicht gesehen.“ „Was natürlich an Eurer Abwesenheit lag, mein lieber Montagne,“ gab der zurück: „Seit Jahren lasst Ihr Eure Güter nur verwalten, seid lieber in der Hauptstadt.“ „Natürlich. Am Hofe des Kaisers gibt es nun einmal die Vergnügungen und auch die Karrieremöglichkeiten, nicht wahr? Ich bin zu jung, um mich in der Abgeschiedenheit zu verstecken.“ „Eure Gemahlin wird Euch sicher zur Ruhe bringen,“ wandte Rene de Nonpareil ein: „Wenn Kinder kommen und so....“ „Ja, möglich.“ Michel sah jedoch seinen entfernten Nachbarn an: „Wie geht es eigentlich Eurer Gemahlin?“ Sie stammte ja aus den nördlichen Ländern jenseits des Kaiserreiches und die dortigen Stämme hatten ihre Überfalle erst vor zehn Jahren nach einer verheerenden Niederlage aufgegeben. Spionierte Bresse nun für diese? Hatte es gar schon immer getan? „Sie starb vergangenes Jahr.“ Autsch, das war ein Patzer in jeder Hinsicht. „Oh, mein Beileid und meine Bitte um Entschuldigung für meine Ungeschicklichkeit.“ Ja, doch er entsann sich, da eine Nachricht bekommen zu haben, wie alles Private bekam er das nachgeschickt an seine Adresse in Paradisa, aber da ihn das Meiste nicht interessierte, vergaß er es auch leicht wieder. „Für einen Höfling seid Ihr bemerkenswert ungeschickt,“ murmelte Bresse, was der Agent mit einem Lächeln quittierte: „Ich interessiere mich nur mehr am Rande für die Marche, das gebe ich zu. Allerdings muss ich Rene recht geben – wenn man eine Familie gründet, richtet sich das Augenmerk doch wieder auf die ererbten Güter. Ich fürchte, früher oder später kommt man doch auf seine Familie heraus.“ „Das ist wahr!“ bestätigte Rene de Nonpareil, froh, die Peinlichkeit überbrücken zu können: „Das sehe ich auch an meinem eigenen Sohn. Er kam erst neulich aus Paradisa zurück, um hier zu bleiben. Freilich, er reiste noch einmal ab, so dass er momentan leider nicht hier ist, aber das geschah nur noch, um seinen Posten bestätigt zu bekommen. Er wird der Gerichtsherr hier in der Marche.“ „Glückwunsch,“ sagte Michel, dem klar war, dass der Junge, nun ja, er hatte nicht ganz sein Alter, damit den ersten Schritt auf der Stufe zum Sire der Marche getan hatte. Damit hatte ihn der Kaiser praktisch offiziell als Nachfolger seines Vaters eingesetzt. Natürlich würde er die Ländereien sowieso bekommen, aber der Oberste aller Lehnsherrn der Marche zu sein, war doch noch einmal etwas anderes und nur mit Genehmigung des Kaisers möglich. Sarifa hatte sich kaum ein anderes Kleid angezogen, als Madelon höflich klopfte und hereinkam. Sie gab der Zofe das Ballkleid. „Oh, das ist sehr schön, ma donna. Ich werde es aufbügeln und Euch dann bringen. Wie wünscht Ihr Eure Haare?“ Sarifa zögerte. Sie kannte herzlich wenig Haartrachten. Da sie jedoch den Funken Verachtung in Madelons Augen entdeckte, meinte sie eilig: „Ich kenne nur die Frisuren aus dem Süden, nicht die hiesigen. Wie wäre es mit emporstecken?“ Michel hatte da doch etwas erwähnt... „Ja. Was habt Ihr da?“ Die junge Assassine zögerte kurz, ehe ihr einfiel, dass sie auch eine eigene Spange dabei hatte und diese heraussuchte: „Hier.“ Es handelte sich um eine Spange, deren Oberseite aus glänzendem Silber wie ein Sichelmond geformt war. Die Zofe nickte und betrachtete prüfend ihr Haar: „Wenn man die hintersten Haare zu einem Knoten emporsteckt, Euer Haar aber vorn über die Schultern fallen lässt, dreigeteilt...Ja, das müsste Euch gut stehen. Vielleicht noch eine rote Rose hinein.....“ „Das klingt gut,“ lächelte Sarifa: „Danke. Wann kommst du wieder?“ „Ich würde sagen, eine Stunde vor Ballbeginn, das müsste bei Euch reichen. Ihr benötigt bei Eurer Haut nicht viel Schminke.“ Damit hatte sie angedeutet , dass sie bei Dame Annelouise weitaus mehr bräuchte. Aber ihre neue Klientin nickte nur: „Danke, bis später dann, Madelon.“ Als sie allein war, warf sie sich den tarnenden Umhang über ihr Kleid. Sie hatte es bewusst gewählt – dunkel genug, um in den Schatten des Schlosses relativ geschützt zu bleiben, wie sie hoffte, unauffällig genug, wenn sie gesehen werden würde. Schließlich wollte sie nicht enttarnt werden und sich vor Michel blamieren, zum anderen lautete ihre Aufgabe einen Meuchelmörder zu suchen. So hatte sie trotz der Anweisung ihres Partners, den Gesuchten nicht zu töten, an beiden Armen ihre Dolche umgeschnallt. Ungefährlich war der kaum, dafür sprachen allein die beiden Leichen, die er in den vergangenen Tagen hinterlassen hatte. Wo würde sich der Meuchelmörder aufhalten? Er war vor ihnen angekommen, mit einem Pferd. Da in der neu geschaffenen Umzäunung keines gestanden hatte, musste er sein Tier ebenfalls im Stall untergebracht haben. Dort konnte er sich auch noch befinden. Kaum einer der Knechte oder Dienstboten würde dorthin gelangen. Die einen waren draußen, um Kutschen und Pferde der Gäste entgegenzunehmen, die anderen alle mit den Ballvorbereitungen und in der Küche beschäftigt. Und falls wider Erwarten doch jemand ihn fand, konnte er leicht behaupten, er sei der Reitknecht und warte hier auf seinen Gebieter. So hatte sie beschlossen, dass dies ein guter Ort wäre mit der Suche anzufangen. Michel war unterdessen möglichst unauffällig dem Herrn de Bresse nachgegangen, als sich dieser vom Gastgeber verabschiedet hatte, hatte den bis zu seinem Gästezimmer verfolgt. Wenn er sich an den Rhythmus des Hauses recht entsann, wies die Dame immer den gleichen Gästen auch die gleichen Räume zu, um ihnen die Orientierung und das Heimisch-fühlen zu erleichtern. Das konnte Bresse durchaus auch gewusst haben – und hatte das Halsband hier in dem Zimmer versteckt. Er wich hinter eine Säule und wartete. Sollte Bresse nach zehn Minuten nicht herauskommen, hatte der sich wohl hingelegt oder zog sich um, beschloss er. Er musste sich selbst ja auch noch für den Ball umkleiden, auch, wenn dazu noch Zeit war. Hoffentlich würde Sarifa nichts anstellen, dafür aber den Meuchelmörder auftreiben... Er wartete nicht die selbst gesetzte Frist, als er bemerkte, dass Bresse sein Zimmer wieder verließ, anscheinend ohne sich umgezogen zu haben. Nur eine rasche Geste zu seinem Wams zeigte seine Nervosität und der Agent hätte wetten mögen, dass er dort das vermisste Halsband der Nonpareils trug. Wollte er es nun dem Meuchelmörder geben? Das wäre ungeschickt, freundlich formuliert. Ein Mann, der seinen Dolch vermietete, würde kaum zögern, auch für diesen Wert seinen Auftraggeber umzubringen. Aber nun gut, dazu wusste er zu wenig über das Verhältnis dieser beiden. Womöglich war das gar kein bezahlbarer Mörder sondern ein Mann aus dem Norden? Dienten beide einem Dritten? Um das herauszufinden, müsste er Bresse vorsichtig folgen. Äußerst vorsichtig, denn sein Degen steckte in der verborgenen Scheide in der Kutsche und Sarifa war weit, er also relativ wehrlos. Und so abenteuerlustig er auch war und so kaisertreu – mit dem Leben zahlte er nur ungern. Zu seiner gewissen Überraschung ging Bresse zielsicher hinunter, zu den Ställen. Wollte er etwa abreisen? Was machte er jetzt neben der Tür? Michel erkannte dann die Bewegungen, und wusste, der Adelige aus der Marche hatte sich einen Degen umgeschnallt. Nun, er ging zu einer Verabredung mit einem mehrfachen Mörder, da war das sicher nicht dumm, würde die Sache für ihn selbst aber erschweren, wenn er entdeckt wurde. So lief er, als der Verfolgte den Pferdestall betrat weiter, nicht, ohne einen Blick zum Tor und in die Runde zu werfen. Aber keine Wachen waren zu sehen und die Menschen, die er entdeckte, arbeiteten.. Es hätte schon Pech sein müssen, würde er nicht nur von jemandem gesehen sondern auch bewusst bemerkt werden. Allerdings gab er Sarifa Recht: die Wachen der Nonpareils waren in den Jahren des Friedens deutlich nachlässiger geworden. Vorsichtig öffnete er die nächste Tür. Hier standen die Kutschen und er hoffte, sich in einer verbergen zu können, zusehen und hören zu können, was auf dem Gang des eigentlichen Pferdestalles dort drüben geschah, wo Bresse sich gerade suchend umsah. Michel schloss eilig die Tür hinter sich. Der Treffpunkt war nicht ungeschickt gewählt. Wenn sich der Meuchelmörder hier versteckt hatte... Hatte er, erkannte er im nächsten Moment, denn etwas Kaltes legte sich an seine Kehle und jemand zischte: „Keine Bewegung, oder die Sonne kann in deinen Hals scheinen.“ Zugleich legte sich ein Arm um ihn. Mist, ärgerte sich der Agent. Warum hatte er nicht daran gedacht, dass sich der Mörder wohl in einer der Kutschen ebenso gewartet hatte, wie er selbst es hätte tun wollen? Momentan konnte er allerdings kaum etwas unternehmen. Sein Degen steckte dort in seiner Kutsche – im Augenblick unerreichbar für ihn. Zu allem Überfluss hatte Bresse bemerkt, dass etwas passiert war, und trat näher zu den eng stehenden Gefährten, seinen Degen bereits ziehend. „Ich habe etwas gefunden, edler don,“ meldete der Meuchelmörder: „Komm, geh voran.“ Bresse hob seinen Degen fast grüßend: „Nanu, das ist ja der liebe Montagne. Was macht Ihr denn hier im Pferdestall?“ „Das sollte ich Euch wohl fragen. Gehört dieser angriffslustige Knabe zu Euch?“ Michel gab sich harmlos – darin bestand seine einzige Hoffnung. Der Druck der Klinge gegen seine Kehle war äußerst fest und der Meuchelmörder hatte die zweite Hand an seiner linken Schulter – ein zu guter Hebel für einen tiefen Schnitt, als das er auch nur etwas hätte riskieren mögen. Solch einen Verzweiflungsakt hob man sich für die letzte Sekunde auf. „Da will man noch eine kleine Überraschung für die werte Gemahlin aus der Kutsche holen und dieser ungehobelte Bengel legt einem ein Messer an den Hals....Auf solch eine Rasur kann ich durchaus verzichten.“ „Oh, Ihr werdet auch keine erhalten.“ Bresse lächelte etwas. „Ein edler don mit durchgeschnittener Kehle würde dem armen Rene doch erneut Ungemach mit der Polizei einbringen. Nein. Das erledigen wir formell.“ „Ich habe keinen Degen...“ sagte Michel, wenn auch etwas verwundert. Nun gut, er galt nicht gerade als brillanter Fechter – Teil seiner Tarnung - aber ein Degenduell bedeutete durchaus auch immer das Risiko der Verwundung für beide Seiten. „Teuerster Montagne – wer sagt denn, dass Ihr einen Degen benötigt? Es reicht doch, wenn ich einen habe. Mein lieber Freund hier wird Euch nun loslassen, aber töten, wenn Ihr zu fliehen versucht. Und ich werde Euch vorführen, was man mit einem Degen alles anstellen kann, falls Ihr die Freundlichkeit hättet nicht in Ohnmacht zu fallen.“ Er blieb kurz vor Michel stehen: „Lass den guten don doch los. Nur, wenn er fortlaufen will, kannst du ihn haben.“ Michel fühlte sich freigelassen und warf nicht nur zur Tarnung einen hektischen Blick herum. Das sah nicht gut aus, gar nicht gut. Anscheinend konnte er wählen, ob er durch Bresses Degen oder den Dolch des Meuchelmörders sterben sollte. Sein eigener Degen war dort hinten in der Kutsche – nur, wie herankommen? Instinktiv wich er ein wenig seitwärts, was Bresse zu einem Lächeln brachte: „Ich habe Euch noch nie leiden können. Hoffentlich bereitet mir Euer Tod wenigstens etwas Vergnügen.“ ** Im nächsten Kapitel lernen drei Männer, was es bedeutet, eine Assassine zu kennen..... Kapitel 7: Assassine -------------------- Da sich einige wunderten, warum Michel gar so leichtsinnig agiert – er hätte das in einer fremden Stadt nie getan, aber das hier ist das Land seiner Kindheit und er kennt die Beteiligten schon sehr lange. Wie heißt es schon in Shakespeares Macbeth von den drei Hexen: „Don´t you know security is the mortals greatest enemy“. 7. Assassine Sarifa war unterdessen auf dem schmalen Pfad zwischen Bebauung und Mauer entlang gegangen. Falls sie jemandem auffiel, müsste sie irgendeine Ausrede bringen, aber sie war erfreut festzustellen, dass die Wachen der Nonpareils im Festrausch genauso nachlässig waren, wie sie es erhofft hatte. Über den Hof und durch die Tür zu gehen erschien ihr zu auffällig. Ihr Vater hatte sie bei der Ausbildung stets ermahnt, dass die meisten Menschen durchaus mit Gegnern rechneten, die zur Tür hereinkamen, die wenigsten schon noch an das Fenster dachten und nur wenige, ausgebildete, auch an andere Möglichkeiten. Da sie beschlossen hatte, den Meuchelmörder nach zwei Leichen in zwei Tagen nicht zu unterschätzen, kletterte sie ein wenig mühsam hinten am Stall empor, um in das Heulager zu gelangen. Gewöhnlich befand sich dort mindestens ein Loch, durch das das Heu zu den Pferden geworfen wurde. Dieses wollte sie nutzen. Allerdings musste sie einige sehr undamenhafte Flüche unterdrücken, als sie zum einen feststellte, dass Kleider für solche Touren einfach nicht geschaffen waren, zum anderen, dass es mehr als anstrengend war, unter den Dachschindeln hindurch in den Speicher zu gelangen. Sie musste einige abnehmen. Sie erstarrte, sobald sie auf dem Heu lag. Da waren doch Stimmen? Vorsichtig krabbelte sie weiter, wo sie das Loch bemerkte. Sie konnte zwar die Personen dort unten nicht erkennen, aber hörte den Beginn einer unfreundlichen Unterhaltung. Michel saß in der Patsche, das war klar – nur, wie konnte sie ihm helfen? Sobald er seinen Degen in der Hand hatte, wäre er durchaus in der Lage sich zu verteidigen, da war sie sicher. Nur steckte der in der Kutsche. Wie sollte sie dort herankommen? Einfach runterspringen? Weder der Meuchelmörder noch Bresse schienen auf etwas anderes als Michel zu achten – aber was, wenn sie sie doch entdeckten? Sarifa beschloss, das Risiko einzugehen. Immerhin besaß sie ihre zwei Dolche und würde es doch wohl schaffen, die beiden zumindest zu attackieren – und Michel würde kaum danebenstehen und Däumchen drehen, das Vertrauen hatte sie doch in den gewöhnlich so überzogen wirkenden Mann sammeln können. Immerhin befanden sich die Drei wohl ein Stück entfernt von der Luke, durch die sie springen wollte. Möglichst leise setzte sie sich an das Loch, bemüht, ihre Röcke zu raffen und gleichzeitig eine Hand am Dolch zu haben. Dann sprang sie hinunter. Das Trio entdecken und sich aus der Sichtlinie hinter eine Kutsche drehen war das Werk eines Sekundenbruchteils. Sie hatte gerade noch erkannt, dass Michel sich durchaus geschickt bemühte, den Degenangriffen auszuweichen. Mehr konnte er nicht tun, denn der Meuchelmörder stand hinter ihm und würde jeden Fluchtversuch unterbinden. Das sah nicht gut aus. Gewöhnlich hätte sie die beiden Männer getötet, aber da war die Anweisung, dass sie reden sollten.... So huschte sie zu der bekannten Kutsche und nahm den Degen aus der verborgenen Scheide. Der Herr von Bresse sah seitwärts, wie auch sein mörderischer Begleiter, als sie einen unüblichen Laut vernahmen. Aber im Halbdunkel des Stalles war nichts zu sehen, nur die Bewegungen der Tiere zu hören und so vermuteten sie naheliegend, ein Pferd habe kurz aufgestampft. So wandten sie sich wieder ihrem Opfer zu. Michel hoffte etwas ganz anderes, aber er unterdrückte seine Hoffnung wieder. Warum sollte Sarifa im Stall sein, warum ausgerechnet hier die Suche nach dem Meuchelmörder angefangen haben? Er hatte einige Stichwunden abbekommen, aber das war schmerzhaft, bei weitem nicht tödlich. Dieser Bresse – er hatte ihn noch nie besonders leiden können. Um Zeit für einen Gegenangriffsplan zu gewinnen, fragte er: „Was soll das Ganze hier, werter Bresse? Man könnte glatt vermuten, dass Ihr nicht nur etwas gegen mich habt, sondern ein Verbrecher seid. Benehmen tut Ihr Euch wie einer.“ „Ihr seid mir schon immer ein wenig zu neugierig gewesen. Neugier ist der Katze Tod, wie man so schön sagt. - Aber, ich habe bedauerlicherweise keine Zeit mehr, so lange mit Euch zu spielen. Ich muss noch zum Fest und mein lieber Freund hier eine kleine Kostbarkeit in Sicherheit bringen.“ Michel konnte nicht anders. Antrainierte Gewohnheit ließ ihn selbst in dieser Lage noch Informationen sammeln: „Ihr...Ihr habt das Halsband der Nonpareils gestohlen? Euren Gastgebern und Freunden?“ „Für das, was diese Juwelen wert sind, habe ich neue Freunde. In sehr hoher, höchster, Position. Ich muss ihnen nur die Gulden zeigen.“ War er tatsächlich so dumm anzunehmen, ein Meuchelmörder würde für ihn den Schmuck verkaufen und mit dem Geld zurückkehren? Aber Moment mal: was meinte er mit Freunden in hohem Rang? Indizien, Neues, sammeln.....„Aber Ihr habt nicht alles genommen. Wollten Eure neuen Freunde das nicht?“ „ICH wollte es nicht. Natürlich nicht. Rene ist doch mein Freund gewesen.“ War er wirklich so ein Idiot? Wer auch immer den Plan gefasst hatte, war doch keiner. Aber darüber sollte er ein anderes Mal nachdenken. Jetzt war es wichtiger, an eine Waffe zu kommen – Bresses Degen oder den Dolch des Meuchelmörders? Wer würde sich leichter überrumpeln lassen? Was für ein Idiot war denn dieser Bresse, das fragte sich auch Sarifa, die Michels Degen mittlerweile in der Hand hielt, damit aber herzlich wenig anfangen konnte. Dolche und Messer waren ihr Metier – keine Säbel, Degen oder Schwerter. Sie musste ihm seine Waffe wohl oder übel geben. Nur, wie? Es half nichts. Wenn sie verhindern wollte, dass der Meuchelmörder oder dieser Bresse Gelegenheit bekamen, Michel umzubringen, musste sie schnell sein – und hoffen, dass er es auch wäre. Wenn sie beide aus der Distanz mit den Messern bewerfen würde, bestünde immer das Risiko, dass sie daneben traf – und sich damit entwaffnete, während der Andere Zeit fand Michel umzubringen. Außerdem sollte doch wohl mindestens einer aussagen können. Überdies hatte sie eine Rolle zu spielen. Wieder einmal spürte sie schmerzlich ihre Unerfahrenheit in derartigen Dingen. Aber das half nun nichts. Sie konnte nur hoffen, dass Michel schneller reagieren würde als die anderen zwei Männer. Für einen Augenblick blieb sie hinter der Kutsche an der Ecke stehen, ehe sie auf den Gang trat, in dem Bresse soeben ihren Partner wieder zurücktrieb – auf den Meuchelmörder zu. Sie rannte los: „Michel!“ und warf den Degen. Dieser, der wenn auch nur in vager Hoffnung, mit ihr gerechnet hatte, fuhr herum – und bewies sofort seine Klasse. Noch während sein Verstand die Tatsache verarbeitete, dass sie da war, ihm seine Waffe zuwarf, hatte er auch schon bemerkt, dass der Wurf zu kurz ging. Mit einem weiten Seitwärtshecht sprang er in die Richtung, packte seinen Degen mit der Linken und war wieder auf den Beinen, noch ehe der Meuchelmörder mit Kurs auf Sarifa losspurtete. Diese Bewegung blieb allerdings halten, denn nun stand Michel zwischen den beiden und seiner Partnerin. „Was für eine treue Liebste, Montagne,“ spottete Bresse und kam langsam näher: „Nun, wir werden sehen, ob das gegenseitig ist. Moro, schnapp dir die Kleine und bring sie um. Das sollte ihren Göttergatten in unserem kleinen Duell noch mehr aus der Fassung bringen. Ich halte ihn weder für einen guten Degenfechter noch überhaupt einen Kämpfer. Bedauerlich, dass es schnell gehen muss.“ Er machte einen Ausfall und zwang Michel somit, in der verteidigenden Parade seitwärts zu gehen. Dieser ahnte nur zu gut, worauf das hinauslaufen sollte. Wäre Sarifa in der Tat nur eine hübsche Adelige, er nur der höfische Stutzer gewesen, wäre es für beide fatal geworden. Er brauchte nicht das Gesicht des Meuchelmörders ansehen, um zu wissen, dass diesen die Aussicht auf eine weitere Tote auf seinem Konto freute. Allerdings wusste er ebenso, dass er ihr die Anweisung gegeben hatte den nicht umzubringen. Sie würde sich daran halten, dieses Vertrauen hatte er doch in den letzten Tagen sammeln können. In Sekundenbruchteilen liefen in seinem Kopf die Bilder der verschiedenen möglichen Zukünfte ab – und er traf seine Entscheidung: das Halsband und ihre Deckung. Ohne den Blick von seinem eigenen Widersacher zu lassen sagte er: „Es soll ein Unfall werden.“ Das bezog sich auf seine Partnerin, die den Hinweis durchaus verstand. Bresse dagegen lachte auf: „Oh, ja, natürlich. Ihr habt verstanden. Ein Unfall. Ebenso wie Marie oder der Schmied, dessen Namen ich nicht einmal kennengelernt habe. - Nun wohl an, Montagne. Euer Tod wartet.“ Sarifa hatte die Freigabe erhalten, aber sie wusste auch, dass sie verzögern musste. Falls Bresse mitbekam, dass sie seinen Meuchelmörder umbrachte, mochte das später zu dummen Rückfragen führen. So tat sie, als ob sie erschreckt fliehen wollte. Moro, wie ihn der Adelige genannt hatte, war auch schon bei ihr und riss sie herum, um ihr das Messer an den Hals zu legen „Hiergeblieben, meine Schöne. Wir wollen doch nicht, dass du dich weiter einmischst.“ Er schob sie zurück, ohne, dass sie sich wehrte. Sie gab sich wirklich Mühe ein angstvolles Gesicht zu machen, auch, wenn in ihrem Kopf erlernte Reaktionen ansprangen. Ein Messer – eine Hand, die es hielt. An ihren Unterarmen spürte sie ihre Dolche, aber es sollte ja nach einem Unfall aussehen.... Sie begriff plötzlich, was er vorhatte, als ihre Kniekehlen an ein Becken hinter sich stießen – die Pferdetränke. Er wollte also wieder nach seiner beliebten Methode des Ertränkens vorgehen. Das konnte sie nicht zulassen. War ihr Kopf erst einmal unter Wasser, würde es sehr schwer werden, die Panik zu unterdrücken und freizukommen. Sie starrte – wie sie hoffte – ängstlich in Moros Gesicht: „Lasst mich doch... Bitte...“ Noch ehe sie das zufriedene Lächeln des Meuchelmörders sah, hatte sie gehandelt. Mit der Linken nach seinem rechten Handgelenk fassend, drückte sie es gleichzeitig weg und bekam so ihre Kehle frei von der Klinge. Noch in der gleichen Bewegung drehte sie sich auf dem rechten Fuß weiter und schlug ihren rechten Ellbogen hart gegen den Mund des Mannes, ohne dessen Waffenhand loszulassen. Moro verlor den sicheren Stand, durch die Attacke eines Gegners mit dem er nie gerechnet hatte. Noch ehe er wieder Halt fand, den jähen Schmerz der ausgeschlagenen Zähne verarbeiten konnte, hatte Sarifa mit dem Fingerknöchel ihrer Rechten gegen seine Außenhand geschlagen. Sie hatte ihren Zielpunkt gelernt – und der Reflex sorgte dafür, dass das Messer fiel. Sie wusste, sie musste jetzt schnell sein, weiter handeln, ehe er sich vom Schmerz und der Überraschung erholt hatte, denn körperlich war er ihr sicher überlegen. Ohne nachzudenken stieß sie mit zwei steif gehaltenen Fingern ihre rechte Hand vor, gegen sein Herz zielend. Noch ehe dieses seinen letzten Schlag tat, hatte der Meuchelmörder plötzlich begriffen mit wem er sich angelegt hatte. Sie war eine Assassine. Während er sterbend zu Boden ging, wusste er es sicher. Sie war eine Assassine und sie hatte eine Arbeit zu erledigen. Und die alten Sagen entsprachen der Wahrheit: niemand stellte sich einem Assassinen auf dem Weg zu seinem Ziel in den Weg und überlebte das. Eingedenk der Ermahnungen ihres Großvaters überprüfte Sarifa, ob er tatsächlich tot war, ehe sie sich erlaubte, ihr Bewusstsein zu dem leisen Degenklirren in Hintergrund zu lenken. War Michel so ein fähiger Kämpfer, wie er behauptet hatte? Sollte sie ihm helfen? Durfte sie das überhaupt? So eilte sie zurück und blieb stehen, überrascht über den Anblick, der sich ihr bot. Michel hielt den Degen in der linken Hand, und das, obwohl sie ihn bislang für einen Rechtshänder gehalten hatte. War er dies – bis aufs Fechten? „Schade,“ sagte der Herr von Bresse gerade: „Ihr seid kein echter Gegner für mich. Genug gespielt.“ Da sie sicher annahm, dass keiner der beiden Männer wagte die Augen vom anderen zu nehmen, also keiner wissen konnte, wer zurück gekommen war, meinte sie: „Michel.“ Beiden Agenten des Kaisers entging der panische Schrecken, der in diesem Moment Bresse durchfuhr, war er doch davon ausgegangen, sein bezahlter Mörder würde mit einer derart jungen Frau zu Rande kommen. Michel lächelte jedoch etwas zynisch: „Ja, es ist für Euch schade... - dass ich kein Linkshänder bin.“ Mit einer eleganten, fließenden Bewegung befand sich seine Waffe in seiner Rechten. Noch ehe Bresse die plötzlich andersherum gedrehte Parade gefunden hatte, traf ihn der Degen des Agenten ins Herz. Michel fuhr herum: „Wie hast du den Mörder...?“ „Es wird nach einem natürlichen Tod aussehen.“ „Sehr gut. Schnell, bring mir sein Messer her.“ Er bückte sich bereits, um in Bresses Wams nach dem Halsband zu suchen. Nur Sekunden später war sie zurück: „Ah, gut. - Hier. Schraube die Juwelen ab, die Liste muss sich darunter befinden.“ Sie gehorchte, bemerkte aber auch, dass er das Messer in die Wunde steckte, die sein Degen hinterlassen hatte: „Ob das die Polizei glaubt?“ fragte sie: „Du willst es so aussehen lassen, als ob der Meuchelmörder Bresse getötet hat und selbst dann auf der Flucht starb?“ „Bessere Ideen? Wenn wir wegen der Tötung dran sind, kommen wir nie vor Gericht, weil uns ...Graf Uther vorher den Kopf abreißt. - Ich räume meinen Degen weg.“ Als er zurückkehrte, sah er mit gewissem, allerdings wohl verborgenem, Amüsement, dass sie die kleinen Zettel der Liste in ihren Ausschnitt steckte. Nun, das war in der Tat ein recht sicherer Hort für diese – der nächstbessere, der ihm einfiel, wäre das Lager eines feuerspeienden Drachen: „Hast du alle?“ „Nein, noch zwei.“ „Gut.“ Er wartete bis sie alle hatte: „Ich lege das Halsband dem Meuchelmörder in die Hand. Vielleicht wird Bresse auf die Art sogar zum Helden....Hauptsache ist die Liste. Komm jetzt, wir müssen uns umziehen. Und diese Zofe wird auch bald kommen...“ „Bist du verletzt?“ „Nicht der Rede wert.“Aber ihn freute diese Frage. Als nur kurz darauf Madelon mit dem gebügelten Ballkleid das Zimmer betrat, fand sie das vorgebliche junge Ehepaar in Unterbekleidung, vor, während edle don sich in der Waschschüssel wusch und ihr den Rücken zudrehte. Nie wäre die Zofe auf die Idee gekommen, dass diese Zwei nicht einmal verheiratet waren – und beide soeben Tote hinterlassen hatten. Zu freundlich, zu entspannt waren sie ...und das Trinkgeld zu reichlich. Michel war zufrieden, dass sie ihren Hauptauftrag erfüllt und die Liste gesichert hatten. Freilich war es ärgerlich, nicht aus Bresse herausbekommen zu haben, ob er allein handele oder Hintermänner gehabt habe, aber darum sollte sich der Geheimdienst kümmern. Er persönlich tippte eigentlich auf einen Alleingang Bresses. So dumm wäre niemand gewesen, dem es allein um die Liste gegangen war. Das hatte finanzielle Hintergründe, so vermutete er, und der Herr von Bresse hatte sich irgendwo nach dem Tod seiner Frau ein neues Leben aufbauen wollen. Der Preis des legendären Schmuckes seiner Freunde war ihm da nur zu gelegen gekommen. Aus eben dieser alten Freundschaft hatte er wohl auch den restlichen Schmuck verschmäht. Nur: wer war derjenige im hohen, ja, höchsten Rang im Hintergrund, der der neue Freund hatte werden sollen? Auftraggeber oder doch nur Bresses Hoffnung? Darum sollte sich Graf Uther kümmern. Er kleidete sich allein an und bemühte sich, sich nicht einmal zufällig umzudrehen, wo Madelon Sarifa beim Einkleiden in das Ballkleid und dem Haare-Hochstecken half. Mochte ihm die Assassine auch gewisses Vertrauen entgegenbringen – in bestimmten Punkten war sie heikel und auf ihre Sittsamkeit mehr als bedacht. Das musste er nicht unnötig provozieren. Er hatte den toten Meuchelmörder liegen sehen – nichts zeugte von einem unnatürlichen Tod und er hatte sich da durchaus nicht zum ersten Mal gefragt, wie weit Assassinen ihren wahrhaft unheimlichen Ruf verdient hatten. Dass sie es hatten, stand nach den kurzen Tagen seiner Bekanntschaft mit einer unerfahrenen jungen Frau dieses Volkes außer Frage – wie fähig hatte dann ihr Vater sein müssen? Er drehte sich erst um, als Sarifa sagte: „Schau mal, Michel!“ Und er gab zu, er war überrascht. Das seidene, grüne Hofkleid mit dem weißen, kurzärmeligen Hemd darunter stand ihr einfach, betonte ihre zierliche Form. Und die zu einem Knoten empor gesteckten schwarzen Haare, die nur vorn einzelne Strähnen über die Schultern fallen ließen, verliehen ihr einen recht vornehmen Ausdruck. „Ausgezeichnet,“ meinte er unwillkürlich: „Danke, Madelon.“ Die Zofe knickste: „Danke, edler don. - Nur noch...“ Sie schob eine rote Rose in den dunklen Haarnoten. „Du bist wirklich eine Schönheit, mein Engel.“ Er trat zu seiner vorgeblichen Frau: „Ich möchte wetten, ich sollte meinen Degen dabei haben, um deine Verehrer abzuhalten.“ „Oh, das schaffe ich allein,“ wollte Sarifa schon antworten, ehe ihr bewusst wurde, dass das zum einen nur diese nördliche Höflichkeit war, zum anderen noch die Zofe dabeistand. So äußerte sie lieber: „Danke für das Kompliment, mein Bester.“ Michel entspannte sich. Sie lernte, dann konnte das doch noch ein netter Abend werden. Zwei Stunden geschah auch nichts, das ihn an diesem Glauben irre werden ließ. Natürlich musterten die meisten Anwesenden die neue dame de la Montagne, aber Sarifa lächelte, plauderte höflich und benahm sich wirklich gesittet. So wagte er es dann auch allein durch den Raum zu spazieren, alte Bekannte zu treffen, Höflichkeiten auszuteilen – und sich ebenso verwundert wie alle anderen zu zeigen, dass der Herr de Bresse noch nicht eingetroffen war. Ein Aufschrei, ein Klirren ließ ihn herumfahren. Ein junger Mann stand vor Sarifa, deren Haar nun offen fiel. In der Wand hinter dem Mann steckte...oh nein! Michel eilte hinzu und riss das Wurfmesser aus der Mauer, bemüht, es außer Sicht zu bringen, ehe sich jemand das genau betrachtete. Warum nur hatte er nicht gesehen, dass ihre Haarspange ein solches war? Warum nicht daran gedacht, dass sie keinen Schmuck trug, wenn er nicht tödlich war? „Mein lieber, aggressiver Engel,“ sagte er, als er beruhigend ihre Hand nahm: „Was ist denn hier geschehen? Ich hoffe doch, nichts Ärgerliches?“ „Er...“ Sie musste sich zusammennehmen: „Er sagte, ich sei keine Dame!“ Oh, bei allen jaulenden Höllenhunden... Immerhin lebte der Herr de Marenne noch, obwohl er sein Glück kaum erkennen, geschweige wohl denn zu schätzen wusste: „Deswegen musst du doch nicht gleich den Familienschmuck durch die Gegend werfen...“ Er drückte ihr möglichst unauffällig und doch nachdrücklich die Spange, die Wurfklinge, in die Hand, ehe er an den jungen Edelmann gewandt meinte: „Mein lieber Marenne, ich sehe mich gezwungen, Euch darauf aufmerksam zu machen, dass eine solche, spöttisch gemeinte, Bemerkung in der Landschaft, aus der meine werte Gemahlin kommt, weitaus ärger betrachtet wird. Hättet Ihr diese Äußerung in Gegenwart ihres Vaters oder ihrer Brüder getan, so könntet Ihr vermutlich inzwischen sechs Löcher in Eurem Körper zählen, durch die neu die Sonne scheint. Was Euch im Übrigen zumindest einmal auch passieren könnte, wenn Ihr das in meiner Gegenwart wiederholt. - Aber ich bin sicher, Ihr habt meine Gemahlin nicht beleidigen wollen.“ „Nein, natürlich nicht, Montagne. - Ich bitte um Verzeihung, ma donna. Es sollte ein wenig spöttisch sein, ja, aber nie im Leben eine Beleidigung, meiner Treu!“ Marenne war zugegeben noch immer etwas von der Tatsache überrascht, dass ihm postwendend eine Haarspange nachgeworfen worden war – dass es sich um eine Wurfklinge gehandelt hatte, war ihm entgangen. Und er war ein wenig erstaunt über den gewissen kühlen Klang in der Stimme eines Mannes, den er immer für einen Dandy gehalten hatte. Da schien jemand sehr fürsorglich für seine neue Ehefrau: „Darf ich Euch als kleine Sühne zu einem Getränk einladen?“ Sarifa warf unsicher einen raschen Blick seitwärts und Michel antwortete daher: „Nun, meinetwegen dürft Ihr – wenn Ihr Euch weiterhin zu benehmen wisst.“ „Natürlich. - Darf ich bitten? Ihr seid eine schöne und temperamentvolle Frau, ma donna. Ich hätte nie erwartet, dass der gute Montagne solch ein Juwel auftut...“ Marenne gab sich deutlich Mühe die Wogen zu glätten. Die Bemerkung, sie sei keine Dame hatte nur auf unadelige Herkunft anspielen sollen, nicht auf unehrliche. Letzteres war in der Tat eine Beleidigung, die der Gatte der so Bezeichneten mit dem Degen sühnen durfte. „Ich bedauere meine Impulsivität, edler don,“ meinte auch Sarifa höflich, die sicher war, dass da noch ein Tadel ihres Ausbilders auf sie wartete. So benahm sich keine vornehme Dame. Michel atmete tief durch. She´s a must to avoid, a complete impossibility She´s a must to avoid, you better take it from me You think she´a prize, at the start But take my advise - play it smart Hermans Hermits ** Der erste Fall ging ja einigermaßen über die Bühne – zumindest leben beide noch und haben die Liste. Nur scheinen sie zufällig auf etwas ganz anderes gestoßen zu sein. Oder? Graf Uther wird wohl noch einiges zu tun bekommen. Das neue Abenteuer wird ca 2 Wochen auf sich warten lassen, da ich für mehrere Tage offline bin, also auch auf Anschreiben etc. nicht antworten kann. Kapitel 8: Die Ruhe im Auge des Sturmes --------------------------------------- Sarifa behielt Recht. Die gesamten drei Tage Rückweg in die kaiserliche Hauptstadt durfte sie sich Verhaltensmaßregeln einer Dame und auch einer Agentin anhören – nun, das hatte sie verdient, gab sie sich zähneknirschend zu. Immerhin hatten sie die Liste und die Polizei hatte Michels rasch aufgebaute Finte geglaubt, angenommen, der Meuchelmörder sei auch der Dieb des Halsbandes und der Herr von Bresse habe sich ihm heldenhaft in den Weg gestellt. Da sich dann auch noch einige Diener daran erinnern konnte, den Meuchelmörder als Verehrer der toten Zofe gesehen zu haben, war die Sache soweit klar gewesen, zur Erleichterung der beiden Agenten, die so unangenehmen und auch unpassenden Fragen aus dem Weg gingen. Erst in Paradisa, der Hauptstadt, sagte Michel: „Du kannst dann zu deiner Wohnung fahren, ich bin sicher, du wirst alles bereit vorfinden. Ich muss noch Bericht erstatten. Wenn sich etwas Neues ergeben sollte, wird dich Graf Uther sicher holen lassen.“ „Ja. Noch eine Frage: ich bekomme doch Geld?“ „Ja, natürlich. In deiner neuen Wohnung werden sicher auch die entsprechenden Unterlagen liegen. Ich vermute, auf deinen Namen läuft ein Fach bei einer Bank. - Oh, ehe ich es vergesse; was stört dich am meisten an mir?“ Ihr Talent mit Dolchen wirkte irgendwie doch. „Dein Parfüm,“ erwiderte sie ehrlich, wenn auch irgendwie überrascht über die Frage. Etwas erstaunt entfuhr es ihm: „Ich hätte nicht mal gedacht, dass du das mitbekommst...Naja. Es ist sowieso das Teuerste auf dem Markt....es gibt sicher billigere.....“ Ein Lächeln verriet sie: „Gut, danke. Ich bekomme Kopfschmerzen davon. Dann auf Wiedersehen, Michel.“ „Auf Wiedersehen, mein aggressiver Engel.“ Sein Lächeln zeigte wiederum ihr, dass er bei weitem nicht zornig war auf sie und wohl sie auch nicht negativ in seinem Bericht erwähnen würde. So stieg sie aus der Kutsche, um eine andere aufzusuchen, die sie in ihre Wohnung bringen sollte. Graf Uther ihr hatte ja versprochen sich darum zu kümmern. Und mit Geld konnte sie auch ihren braven alten Wallach auslösen und in einem Mietstall unterstellen. Mochte Michel auch der Meinung sein, man dürfe sein Herz an kein Pferd hängen – sie hatte es getan. Graf Uther legte unverzüglich die Feder beiseite, als Raoul ihm Michel meldete, sichtlich erleichtert: „Michel, wie schön....die Liste?“ „Bitte.“ Der junge Mann platzierte die Zettel auf dem Schreibtisch, ehe er sich ohne weitere Aufforderung setzte. „Wie es zu erwarten war von Euch. Bericht.“ Wie üblich hörte der Leiter des Geheimdienstes schweigend zu, ehe er meinte: „Zu viele Tote, meiner Meinung nach. Und Ihr ward wohl in Anbetracht der...heimischen Umstände nicht auf der gewohnten Höhe, mein Lieber.“ Da Michel den Kopf senkte, wusste er, dass diese sanfte Kritik genügte: „Nun gut, ich werde dezent nachforschen lassen in Bresse und anderswo, ob der..hm...verstorbene Herr für den Norden arbeitete oder selbst tätig war. Und mit wem in Paradisa er Kontakt hat. Hohe oder höchste Ebene....hm.“ Das klang nicht gut und bedurfte einer neuen Überlegung: „Wie lief es sonst mit Sarifa?“ Der Jüngere erlaubte sich ein ehrliches Lächeln: „Redet Ihr von dieser bezaubernden, wenn auch impulsiven, jungen Dame, die mitten auf einem Fest mit einer Klinge um sich wirft? - Nein, im Ernst. Sie ist intelligent, in ihrer Weise sehr professionell, gut ausgebildet und verfügt über eine rasche Auffassungsgabe.“ Uther dachte an den Bericht: „Sie hat keine Tötungshemmung.“ „Bedingt. Man kann sie zügeln.“ „Ihr könnt das. Gut, das habe ich mir erhofft. Ich hoffe allerdings auch, dass Ihr Euch nicht in sie verliebt.“ „Lieber in ein Rudel wilder Wölfe. Das wäre harmloser,“ entfuhr es Michel prompt. Der Graf, der seinen Ruf als Frauenliebling kannte, lächelte etwas. „So ist es gut. - Heute Abend findet ein Empfang des Kaisers statt. Vielleicht sollten wir uns beide dort sehen lassen? Oder seid Ihr zu müde, mein Lieber?“ „Nein. Ich werde mich nur sinnvollerweise umziehen.“ Sarifa war beglückt, als sie ihre neue Wohnung bereits eingerichtet sah, wenn auch aus gleich mehreren Gründen. Das eine, kleinere, Zimmer war mit Bett, Schreibtisch und Kleidertruhe recht wohnlich gehalten. Auf dem Tischchen stand eine Schatulle, deren Inhalt ihr zeigte, dass sie in der Tat gut bezahlt wurde – und ihr Geld bei einer Bank aufgehoben wurde. Der Vermieter, der unter ihr wohnte, hatte ihr bereits gesagt, dass er aus der kaiserlichen Kasse die Miete für ein halbes Jahr im Voraus erhalten hatte, was nicht nur ihn sehr freute. Dann könnte sie morgen nach dem alten Wallach sehen und ihn näher zu sich holen, ja, wieder mit ihm reiten. Als die junge Assassine das größere Zimmer betrat, hätte sie fast stillos aufgequietscht. Es war einfach perfekt. Das, worin mancher Mieter das Wohn- oder auch Empfangszimmer sehen würde, war leer. Allerdings befanden sich auf dem Boden nahtlos aneinandergelegte dicke Matten – zum Springen und Fallenlassen. An einer Wand hatte der fürsorgliche Graf Uther mehrere realistische Holzfiguren in Menschengestalt anbringen lassen – zum Üben mit den Messern. In der Tat. Da wusste jemand, was jemand ihres Volkes benötigte. Sie musste ihm wirklich sehr danken. Ohne weiter nachzudenken, warf sie nachlässig einen Dolch auf eine der schwarzen Menschenfiguren. Hm. Mit dem weichen Boden.....ja, das wäre nur zu gut zum Trainieren. Fast so gut wie Zuhause. Aber hier fehlten ihr Brüder und Cousins als Übungspartner. Kaiser Dagobert war durchaus angetan, seinen Bruder und dessen besten Mann auf dem Fest zu erblicken, aber er fühlte ein gewisses Unbehagen. Nicht, weil er daraus schließen konnte, dass ein Auftrag erfolgreich abgeschlossen war, eher wegen einer anderen Sache. Uther scheute derartige Empfänge und wenn sich der Leiter des Geheimdienstes hier sehen ließ statt an seiner Arbeit zu sitzen, hatte das zumeist die Ursache, dass er ein dringendes Zweiergespräch mit ihm suchte. Das wiederum bedeutete in aller Regel akute familiäre Probleme, denn natürlich hatte Uther nicht nur in seiner Position als Kaiserbruder jederzeit Zutritt zu ihm, allerdings in seinem Arbeitszimmer, dessen Wände durchaus manchmal Ohren hatten. So lächelte er ein wenig der um über dreißig Jahre jüngeren Kaiserin zu: „Es wird eine kurze Nacht,“ murmelte er. Anawiga nickte, ebenfalls lächelnd, um die Einigkeit des Paares zu betonen. Sie wusste, dass ihr Schwager wichtige Aufgaben für seinen Bruder erledigte, wenn auch nicht welche, aber das wäre bei dem dünnen Eis einer politisch geschlossenen Ehe wohl auch zuviel verlangt. Immerhin achtete Dagobert ihren Rang als Ehefrau, Kaiserin und Stiefmutter seiner Söhne, auch, wenn sie manchmal gewünscht hätte, einiges wäre anders. Aber, dieses Thema hatte er ihr bereits in der Hochzeitsnacht erklärt, und so wenig sie persönlich davon hielt, so musste sie doch die politische Notwendigkeit einsehen, die der Kaiser zu beachten hatte. Sie wusste es durchaus zu schätzen, dass ihre Briefe an ihren Vater nicht kontrolliert wurden und sie ebenso wenig auch nur die feinsten Öffnungssspuren an den Briefen König Kasimirs an sie entdecken konnte. Schließlich hatte sie Kaiser Dagobert einmal direkt befragt, bei einem der Vier-Augen-Gespräche, zu denen er sie doch regelmäßig in ihrem Schlafzimmer aufsuchte, wenn schon zu nichts anderem. Sie würde wohl nie vergessen, wie er gesagt hatte: „Liebe Anawiga – ich halte Euch nicht nur für eine schöne, sondern für eine überaus intelligente Frau. Was immer Ihr Eurem Vater schreibt, was immer er Euch schreibt – es wird keinen Krieg bedeuten. Aber, mir fällt ein, ich wollte Eich eigentlich bitten, einige soziale Institutionen, wie Schulen für Hebammen, anzustoßen und zu leiten. Wärt Ihr dazu bereit?“ Natürlich war sie es gewesen – und sie war sowohl über die großzügige finanzielle Unterstützung überrascht gewesen, die ihr zur vollkommen selbstständigen Verwendung zugewiesen worden war, als auch über die Tatsache, dass weder Dagobert noch Uther sich darin einmischten, jedoch durchaus manchmal ehrlich interessiert nach Fortschritten fragten. Nein, sie hätte es weitaus ärger treffen können. Mochte Dagobert auch viel älter sein als sie, mehr an Respekt konnte eine politische Braut sicher nicht erwarten oder gar erhalten. Aber sie achtete ihren Ehemann nicht nur darum. Sein und seines Bruders unermüdlicher Einsatz für das Reich war oft nach außen unsichtbar, aber sicherte den meisten Bürgern ein ruhiges Leben. Michel übernahm wieder seine gewohnte Rolle als eitler, wenn auch höfisch gewandter Stutzer und flirtete hier mit einer Dame, dort mit einer anderen. „Oh, sehr geschmackvoll, meine Teure,“ erklärte er einer geschmeichelten Schönen, ohne den Gedanken verhindern zu können, dass Sarifa solch ein vulgär ausgeschnittenes Kleid wohl nie angezogen hätte. Bei einer anderen ertappte er sich bei der Überprüfung, ob man mit dieser Kette die Trägerin erwürgen könnte. Selbst bei einem kurzen Gespräch mit einem kaiserlichen Rat fiel ihm auf, dass jemand mit mehr Impulsivität diesen vermutlich mit einem Messer an die Wand nageln würde. Als Michel de la Montagne den Kaiserpalast verließ um nach Hause gefahren zu werden, fiel ihm auf, dass er den gesamten Abend eigentlich nur an seine neue Partnerin gedacht hatte. Unterdessen saßen die mächtigsten Brüder des Kaiserreiches im Morgengrauen im Arbeitszimmer des Geheimdienstleiters und sahen in den brennenden Kamin. Der Kaiser seufzte. „Lass mich raten: einer meiner Söhne?“ „In der Tat.“ In Uthers Stimme lag gewisses Mitgefühl. „Markward?“ „Dankward. - Markward ist noch immer unterwegs, wie du es wolltest. Ich lasse ihn unter dezenter Beobachtung halten, schließlich soll er es nicht bemerken. Obwohl er sich denken könnte, dass du ihn überwachen lässt.“ Denken war bei Markward allerdings Glückssache, aber das wollte er dem leidgeprüften Vater nicht unter die Nase reiben. „Also der Jüngere. Was war es diesmal? Wieder Drogen?“ „Nein. Ich muss ein wenig ausholen, Dagobert. - Wir wissen beide, dass der Junge leichtlebig, ja, bodenlos leichtsinnig, ist und hatten ja auch schon beide den Verdacht, dass das jemand aus seiner direkten Umgebung fördert. Leider konnte ich nichts herausbekommen. Allerdings fiel mir ein Name auf, der immer wieder beiläufig erwähnt wurde. Als ich vor zwei Tagen ein Gespräch mit Graf Lothar hatte, dem Obersten Leiter der Polizei, erzählte mir dieser ein Problem seinerseits und bat den Geheimdienst um Hilfe.“ Der Kaiser nickte. Lothar war einer der wenigen Menschen, die um Uthers wahre Tätigkeit wussten: „Und dieses Problem war der gleiche Name?“ Doch das war keine Frage. „Ja. Es handelt sich um einen Händler in Lavinia am Südmeer. Einen Doctor Valerius Marteau. Übrigens ein Doktortitel in Philosophie, nicht Medizin, er studierte auch in Lavinia, das ja dafür bekannt ist. Die örtliche Polizei hält ihn für einen Mann, der sein offizielles Geschäft nur zur Tarnung betreibt, jedoch einer der größten Händler mit illegalen Rauschgiften im Reich ist, konnte jedoch nichts Handfestes finden. Einer ihrer Männer, der auf der Suche nach Hinweisen war, ist spurlos verschwunden. Lothar setzte zwei seiner eigenen Leute an, einen Mann und eine Frau. Beide wurden tot aufgefunden, das Wie ihres Todes erspare mir lieber. Jedenfalls hat Marteau auch gute Beziehungen zu Dankward, von denen Lothar Gottseidank wohl noch nichts weiß. Dessen Kämmerer hat Marteau seit Monaten gewisse Gelder überwiesen. Für was können wir uns beide denken.“ Uther sah seinen Bruder an: „Ich werde mich um ihn kümmern, denn er scheint auch ausnehmend gute Kontakte bei der Polizei zu haben.“ „Und ich werde Dankward wegschicken, wie ich es ihm schon angedroht habe. Eine Schifffahrt von mehreren Monaten auf das Westmeer sollte seinen Kopf klarer machen.“ „Tue das, denn ich bin mir nicht sicher, wie groß Marteaus Einfluss auf ihn ist, oder auch, wie weit dieser gehen würde, um sich selbst zu schützen.“ Dagobert sah keinen Grund an der Aussage seines Bruders zu zweifeln, der sich, solange er zurückdenken konnte, stets als sein bester Freund erwiesen hatte, zu manchen Zeiten auch als sein einziger. Und dessen scharfen, analytischen Verstand er stets anerkannt, ja, ein wenig bewundert hatte: „Du glaubst, Dankwards Leben ist in Gefahr. - Nur der Neugier halber: du willst Michel schicken?“ Darin lag jedoch keine Frage. Uther genoss es wieder einmal mit einem geistig ebenbürtigen Partner zu sprechen: „Und Sarifa. Die Klingen des Kaisers.“ „Sie werden kaum erfreut sein. Sie kamen eben von einem Auftrag zurück.“ „Sie sind beide Profis. Und das wird gegen Marteau nur sinnvoll sein.“ Der Kaiser nickte nur. Gemeinsam sahen die mächtigsten Männer des Reiches in das Kaminfeuer und ohne es zu wissen dachten beide zurück an einen Kerker im Dämmerlicht, als sie fünf und sieben Jahre alt gewesen waren, das Leben nur noch auf Abruf besessen hatten – und die Hand des Bruders der einzige Halt gewesen war. Damals hatten sie sich gegenseitig versprochen sich nie im Stich zu lassen – und jetzt, fünfzig Jahre später, stellten sie fest, dass sie es beide eingehalten hatten. ** Das nächste Kapitel spielt in Lavinia. Es wird allerdings wohl erst in zwei Wochen kommen, da meine beta mich auf einen Logikfehler in der Episode um Dr. Marteau aufmerksam machte und ich da noch umschreiben muss. Kapitel 9: Lavinia ------------------ Der jüngere Sohn des Kaisers betrat das Arbeitszimmer seines Vaters mit Unbehagen. Nie zuvor hatte Kaiser Dagobert vier Leibwachen ausgeschickt, um ihn herbeizuzitieren. Diese kleine Machtdemonstration hatte ihren Zweck auf den knapp Siebzehnjährigen nicht verfehlt. Auf dem gemeinsamen Weg in den Palast hatte Dankward zum ersten Mal seit langem nicht nur den Vorteil und die Narrenfreiheit des Kaisersohnes gesehen – sondern auch die Tatsache, dass es tatsächlich eine Person im Reich gab, die die Macht und das Recht hatte ihn einer Strafe auszusetzen. Er verneigte sich als er allein mit dem Kaiser gelassen wurde, ehe er nähertrat. Dagobert blickte nicht auf sondern las weiter. Dankward presste die Zähne zusammen. Aber er durfte den Kaiser nicht ansprechen, soweit reichte seine Erziehung. Nur die etwas fahrige Handbewegung mit der er seine blonden, schulterlangen Haare zurückstrich, zeugte von seiner ungewohnten Nervosität. Erst nach einer Weile sah sein Vater auf: „Ich habe dir bereits des Öfteren gesagt, dass dein Umgang mir nicht gefällt, deine Sitten beklagenswert sind und in keiner Weise deiner Stellung entsprechen. Ja, ich meine mich zu erinnern, dass ich dich kürzlich darauf aufmerksam machte, dass dein nächster Fehler schwerwiegende Folgen haben wird.“ „Darf ich fragen....“ „Welcher Fehler diesmal? Du hast dich mit einem Mann gemein gemacht, der demnächst vor Gericht erscheinen muss. Um dir und mir die Peinlichkeit zu ersparen, dass du als Zeuge aussagen musst, halte ich es für ratsam, dass du mit Kapitän Polo die schon lange geplante Reise nach Süden über das Westmeer antreten wirst, um dort Handelsbeziehungen zu knüpfen.“ Dankward wurde blass: „Über das Meer...mit dem Schiff? Das ..das sind Wochen in fremde Länder... - Und wenn ich nicht reisen will?“ „In diesem Fall werde ich, natürlich zu meinem größten Bedauern, dafür sorgen, dass du an Bord gehst.“ „Vater....!“ Er begegnete einem derart eisigen Blick, dass er sich eilig korrigierte: „Eure Hoheit...“ „Du darfst deine Sachen packen. - Die vier Männer der Leibgarde werden dich von nun an bis auf das Schiff begleiten. Geh.“ Dem Sohn war klar, dass es diesmal bitterer Ernst war. Gehorchte er nicht, würde er eben in Ketten an Bord gebracht. So verneigte er sich wortlos – und wirklich entsetzt. So hart hatte er seinen Vater noch nie gesehen. Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass er ihn womöglich ein Leben lang vollkommen falsch eingeschätzt hatte, Nachsicht mit Schwäche verwechselt hatte. Graf Uther betrachtete seine beiden Agenten, die mit dem Rücken zur Fahrtrichtung ihm gegenüber in der Kutsche saßen. Offiziell reiste er zu einem kleinen Kuraufenthalt auf seine Güter. Es war nicht notwendig, dass jemand stutzig wurde, dass er Richtung Süden fuhr, wollte er doch eigentlich dort Verbindungsleute sprechen, die sich aus dem ein oder anderen Grund nicht mehr in der Hauptstadt sehen lassen konnten. So jedoch wollte er die Gelegenheit nutzen, die Einsatzbesprechung mit den beiden gleich in der Kutsche zu erledigen. Der Weg nach Lavinia dauerte doch einige Tage und bis zu seinen Gütern war es der gleiche. Er nahm die dicke Akte neben sich auf: „Hier sind die Unterlagen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass Ihr gerade erst zurückgekommen seid, aber bedauerlicherweise ist es notwendig.“ „Natürlich.“ Michel lächelte ein wenig zynisch: „Wenn Ihr nach mir ruft, geht es immer um Leben und Tod, den Untergang des Reiches...“ „Bitte. Ich übertreibe nie.“ „Nein, das ist ja genau das, was ich Euch vorwerfe. Ihr übertreibt nie – darum kann ich daraus nur schließen, dass das Leben des Kaisers in Gefahr ist.“ Graf Uther seufzte: „Bin ich so leicht zu durchschauen? - Es handelt sich tatsächlich um eine Gefahr für die kaiserliche Familie oder gar den Kaiser selbst. Euer Ziel heißt Doctor Valerius Marteau. Kurzfassung: er hat Einfluss, anscheinend erheblichen Einfluss auf Dankward.“ „Drogen?“ Michel sah zu seiner Partnerin: „Dankward ist der jüngere Sohn des Kaisers, siebzehn, und ...nennen wir es, den schönen Dingen des Daseins mehr als aufgeschlossen.“ Die junge Dame bewies, dass sie mitdachte: „Ihr befürchtet, dass Marteau den Kaisersohn oder gar den Kaiser als Ziel hat?“ Der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes nickte: „Ja. Aber der Kaiser wollte Dankward auf eine längere Reise schicken, damit er in Sicherheit ist.“ „Soll ich Marteau töten?“ Wohl nur diese beiden Männer in der Kutsche zuckten bei der sachlichen Frage der Assassine nicht zusammen, ja, Uther erwiderte im gleichen kühlen Ton: „Nein, meine Teure. Mir wäre es deutlich lieber wenn er vor Gericht kommen würde. Der Kopf der Schlange ist wertvoller als der Hals. Die Polizei ermittelt bereits gegen ihn. Hier sind die Unterlagen, Michel. Ihr könnt sie auf dem weiteren Weg nach Lavinia lesen. Ein Polizist aus diesem Ort ist spurlos verschwunden, zwei Leute, die Graf Lothar aussandte und verdeckt ermitteln sollten, wurden umgebracht.“ „Das sind die Aufträge, die ich liebe,“ kommentierte Michel, zuckte jedoch die Schultern: „Ich gehe nicht davon aus, dass das unerfahrene Leute waren.“ „Nein. Sicher nicht.“ Graf Uther blieb ehrlich: „Eure Aufgabe ist es, den Beweis dafür zu finden, dass Marteau nicht der ehrbare Händler ist, der er zu sein scheint. Irgendwo muss er Schriftstücke oder andere Nachweise für seinen Drogenhandel haben. - Aber passt auf. Da sind zwei Männer um Marteau, die mir nicht gefallen. Einer heißt nach Angaben der Polizei Leon Hongo. Vermutlich stammt er aus dem weiten Süden, nicht aus dem Kaiserreich. Der Andere soll angeblich aus dem Nordosten sein, aber die Polizei konnte in seinem Heimatort nichts über ihn herausbekommen. Vermutlich handelt es sich um einen falschen Namen. Ein Gunter Dent. Offiziell handelt es sich bei beiden um Sekretär und Buchhalter, aber das sollt Ihr überprüfen. - Ich werde bald aussteigen. Ach ja.“ Ein gewisses Seufzen lag in seiner Stimme, von dem seine Gegenüber wussten, dass es rein privat war. Michel de la Montagne nickte denn auch: „Ihr solltet froh sein, einige Tage in den heißen Quellen ausspannen zu können.“ So lautete der Vorwand. „Sehr wenige Tage. Bedauerlicherweise ist meine Anwesenheit in der Hauptstadt aus den verschiedensten Gründen notwendig.“ „Dankward wird also abreisen? - Was ist mit Markward?“ „Der reist weiterhin durch die Provinzen. Ich lasse ihn beobachten, aber das wird er vermutlich doch wissen.“ Graf Uther bemerkte, dass Michel etwas den Mund verzog: „Vorsicht!“ mahnte er. „Ich sag schon nichts. Nur gehören beide Söhne des Kaisers nicht zu meinem liebsten Umgang. - Schon gut. Gibt es noch etwas, was man nicht den Akten entnehmen kann?“ „Ich denke nicht. Nur, alle zwei: seid vorsichtig. Drei verschwundene oder tote Polizisten sind eine Warnung.“ Michel und Sarifa nickten. So fuhr er fort: „Aus diesem Grund möchte ich auch, dass wir diesmal Verbindung halten. Ich bin mir im Klaren, Michel, dass Ihr einige Male nur überlebt habt, weil Ihr eben keine verdächtigen Kontakte aufnahmt, aber diesmal ist es etwas anderes. Eine andere Organisation ist dabei und ich möchte sicher gehen. Falls sich etwas ereignet, von dem Ihr wissen solltet, werde ich Euch eine Taube schicken. Teilt mir die nächste kaiserliche Poststation, die Ihr aufsuchen könnt, so rasch es geht, mit.“ Michel sah ihn an und lächelte flüchtig: „Eure Besorgnis um mich, uns, ist wirklich rührend, gerade wenn man weiß von wem sie kommt. Ich kann Euch jedoch versprechen, dass ich bei meiner Planung eine gewisse Vorsicht walten lassen werde.“ Und Sarifa hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass diese beiden sich auch auf persönlicher Ebene sehr schätzten – allerdings alle zwei nicht zuließen, dass das Einfluss auf ihre Tätigkeiten hatte. Sehr professionell. Einige ermüdende Reisetage später saßen sich die beiden Agenten in ihrem Zimmer gegenüber. Wie schon bei ihrem ersten Auftrag gaben sie sich als Ehepaar aus. Sarifa mochte die Luft hier im Süden von Paradisa, warm und ähnlich duftend wie zuhause, aber sie schwieg dazu. Das war nicht relevant. Michel dagegen war angetan, dass er schon alles in allem siebzehn Nächte neben einer Assassine geschlafen hatte und noch immer lebte, aber auch er sagte dazu nichts. Wichtiger war der Fall: „Morgen Abend ist der letzte Tag vor Lavinia. Die Stadt ist schon fast tausend Jahre alt, ein wesentlicher Handelsknoten für den Seehandel über das Südmeer. Sie ist reich geworden, sehr reich und leistet sich auch eine nicht zu unterschätzende Stadtbefestigung, wie sie auch nur zu nötig war in so manchen vergangenen Zeiten. Außerhalb liegt ein wichtiger Stützpunkt der kaiserlichen Marine, gerade auch, um den Handel zumindest in Küstennähe zu schützen, auch das regt die Wirtschaft an,“ erklärte Michel: „Ich habe mir die Unterlagen jetzt des Öfteren durchgelesen. Graf Uther hatte Recht: drei Tote sind eine Warnung. Drei Polizisten starben, trotz der Unterstützung des Polizeiapparates.“ „Oder wegen der Unterstützung des Polizeiapparates,“ erwiderte Sarifa sanft. Er wollte sie ausbilden, da sollte sie sich zurücknehmen. Zufrieden nickte er: „Du hast vollkommen Recht, meine Sachlichkeit. Darum werden wir es anders machen. Zumindest die beiden Leute, die Graf Lothar ausschickte, versuchten sich bei Marteau mit Hilfe der örtlichen Polizei unter falschem Namen anstellen zu lassen. Sie sind offenkundig aufgeflogen. - Wir werden auf keine Unterstützung der Polizei zurückgreifen. Zunächst zumindest. Und wir werden getrennt nach Lavinia anreisen, unter falschen Namen. Ich habe unsere echt falschen Pässe hier und muss nur noch die Namen eintragen. Zum Glück wird in Lavinia die Hochsprache des Reiches gesprochen, wenn auch als etwas manchmal schwer verständlicher Dialekt, gerade bei den einfachen Leuten. - Du, mein Engel, darfst sowohl deine Selbstbeherrschung als auch deine Fähigkeit zur Spionage unter Beweis stellen. Ich möchte, dass du ein junges Mädchen aus dem Süden spielst. Nach dem Tod deines Vaters musst du dich über Wasser halten und suchst Arbeit. Dein Name ist Samara. Du wirst dich bei verschiedenen Handelshäusern in Lavinia bewerben, darunter auch bei Marteau. Und du nimmst, was du bekommst. Die Polizei ist seit drei Jahren hinter Marteau her, da spielen Wochen keine Rolle. Wichtiger ist das Ergebnis.“ Sarifa zog ein wenig die Augen zusammen: „Das stimmt fast mit meiner eigenen Geschichte überein.“ Der kaiserliche Agent lächelte flüchtig: „Ja. Eine halbe Lüge ist viel schwerer zu entlarven als eine ganze. - Was natürlich bedeutet, dass du brav als harmloses Mädchen ohne deine geliebten Messer herumlaufen musst.“ „Keine Messer, keine Toten.“ „Ich wäre dir sehr verbunden. Überdies hast du ja schon bewiesen, dass du auch ohne Messer nicht gerade einfach umzubringen bist.“ „Und was machst du?“ „Ich werde den guten Marteau herausfordern. Er mag mit weiteren Polizisten rechnen, aber kaum mit einem so jungen Mädchen - und einem anderen Rauschgifthändler.“ „Oh. Du willst als Konkurrent auftreten? Das dürfte teuer werden.“ „Ja, aber zum einen ist Graf Uther nie knauserig und zum zweiten steht uns diesmal auch noch das Budget der Polizei zur Verfügung. Keine Sorge. - Wenn wir uns aus irgendeinem Grund treffen, wirst du mich nicht kennen.“ „Aber wir müssen Kontakt aufnehmen.“ „Ja.“ Er sah aus dem Fenster: „Hm. Fast Neumond. Sagen wir, bei dem nächsten Vollmond auf dem Friedhof von Lavinia. Ich meine mich zu erinnern, dass er nicht an der Hauptkirche liegt sondern in einem Außenbezirk.“ Dann fiel ihm ein, dass empfindsame junge Damen womöglich Gänsehaut bei der Vorstellung bekommen könnten und fragte doch nach: „Oder wäre dir ein anderer Treffpunkt lieber?“ „Nein. Nachts auf einem Friedhof ist es schön ruhig.“ Äh, ja... So saß Sarifa auf den Stufen der kleinen Kapelle auf dem Friedhof von Lavinia, in ihrem Umhang und bei der dichten Wolkendecke der warmen Nacht praktisch unsichtbar. Hätte Michel nicht gewusst, wonach er suchte, hätte er sie übersehen. So jedoch glitt er ebenso dunkel gekleidet aus der Schwärze. „Schön, dich zu sehen, mein holder Engel.“ „Michel, ich freue mich auch.“ Sie tat es wirklich. So allein zu sein, dazu unter Tarnung – sie hatte das nie zuvor getan und spürte eine gewisse Anspannung, die jetzt in der Erleichterung mündete einmal Vertrauen haben zu dürfen. Ungewohnt, für sie. Er setzte sich neben sie: „Dein Bericht.“ Die Assassine erwiderte prompt sachlich: „Ich hatte mich unverzüglich bei zwei Handelshäusern vorgestellt, aber Absagen bekommen. Die nächsten Bewerbungen brachten mehr Erfolg – und ein Vorstellungsgespräch bei Marteau. Er meinte, er wolle mich als Schreiber anstellen, genauer, als persönliche Gehilfin, wenn ich nach einer Probezeit seinen Ansprüchen genüge.“ Hm. Was auch immer sich der gute Doctor darunter vorstellen mochte – in eine bestimmte Richtung würde das garantiert nicht gehen: „Und bislang tust du es?“ „Ja, hoffe ich. - Ich muss Getränke servieren und Sachen bringen, nichts, was nicht jeder hinbekommen würde, denke ich. Er empfahl mir ein Untermietzimmer bei einer alten Frau, da ich sagte, ich würde in einem Gasthof wohnen. Ich nahm dankbar an, da mir das zu meiner Rolle zu passen schien. Das Zimmer wurde prompt durchsucht.“ Michel setzte sich ruckartig alarmiert auf. „Bist du sicher? Konnten sie etwas finden? Deine Rüstung, deine Dolche?“ Sie schüttelte den Kopf: „Die liegen versteckt unter den Bodenbrettern und diese hat niemand bewegt. Sicher bin ich, ja, Ich habe einzelne Haare an meinem Koffer und der Truhe, die dort im Zimmer stand, verteilt, die zerrissen oder zumindest bewegt waren.“ Ein Naturtalent, nicht nur mit Messern, wie es schien: „Ausgezeichnet, meine Liebe. Weiter.“ Etwas kleinlaut gab sie zu: „Gefunden habe ich aber bislang nichts, was auf Drogen hinweist.“ Das war auch nicht zu erwarten innerhalb von kaum zwei Wochen, aber er wollte sie beruhigen:. „Das macht nichts. Er ist wohl sehr vorsichtig?“ „Sehr. Die beiden Männer um ihn – Dent und Hongo....sie sind alles, aber keine Schreibtischtäter. Hongo ist oft außer Haus, angeblich führt er als Buchhalter Aufträge aus. Frag mich nicht welche. Er trägt jedenfalls ein Messer unter dem Wams. Er stammt wohl von jenseits des Meeres: seine Haut ist dunkler als selbst in meiner Heimat und er hat sehr schwarze Augen. Aber Dent, der Schreiber.....willst du nur das Sachliche oder auch meinen persönlichen Eindruck?“ „Auch den. Du bist eine Assassine.“ „Danke.“ Sie lächelte, etwas geschmeichelt: „Aber sagen wir es so: wenn Dent mich in die Finger bekommen würde, hätte ich vermutlich wenig Chancen. Er ist....ausgebildet, aber verrückt. Wie soll ich das nennen....“ „Dann solltest du aufpassen,“ warnte Michel besorgt: „Aber er ist kein Assassine?“ „Nein, sicher nicht. Ich halte ihn, wie auch Hongo, eher für einen ehemaligen Kämpfer, Krieger oder so etwas – aber eben verrückt. Er sieht einen so an...Nicht nur mich, auch andere Frauen. Doctor Marteau hat ihn allerdings gut unter Kontrolle.“ Sie dachte nach: „Oh, Hongo ging öfter mal, also, vier Mal in dieser Zeit, in den Schuppen hinter dem Geschäftshaus. Er liegt am Ufer eines kleinen Kanals, der zum Meer führt. Vielleicht solltest du dir den mal ansehen.“ Sie war wirklich aufmerksam. So viele Informationen in so kurzer Zeit unauffällig zu erhalten, war nicht einfach, das wusste er, und er ertappte sich bei gewissem Stolz auf seine doch unerfahrene Partnerin: „Werde ich machen. Noch etwas Wichtiges?“ „Nein. Wie war es bei dir? - Halt. Michel, der Doctor sagte vor einigen Tagen, er solle mir Grüße von Graf Lothar ausrichten.“ Der kaiserliche Agent erstarrte: „Was hast du darauf getan?“ „Ich konnte mit diesem Namen in dem Moment nichts anfangen und fragte erstaunt: mir? Da sagte er: Entschuldigung, wie ich sehe, kennt Ihr ihn nicht, und ging. Mir fiel erst später ein, dass das der Oberste der Polizei ist, nicht wahr?“ Graf Uther hatte ihn erwähnt, aber sie den Namen nicht als wichtig eingestuft und ihn wieder vergessen. Michel spürte einen gewissen Schauder: „Ja. Und es mag durchaus sein, dass der eine oder andere Polizist sich dabei verdächtig gemacht hat. Der Kerl ist wirklich verdammt vorsichtig.“ „Sehr. Aber er ist zu mir recht freundlich. Er hat unten, im Erdgeschoss, die normalen Angestellten, im ersten Stock sind sein Büro, das von Hongo und Dent. Ich sitze direkt vor dem seinen. Sonst ist nichts da. Nun, in Hongos Zimmer sind sehr viele Akten, er ist ja der Buchhalter und führt diese. Dents Zimmer ist dagegen fast leer. Nur auf seinem Schreibtisch liegen immer Papiere, aber die sind immer dieselben, soweit ich sah.“ „Gut.“ Er überlegte flüchtig, ob er sie anweisen sollte, die Akten in Hongos Zimmer zu durchsuchen aber das wäre zu gefährlich – und zum jetzigen Zeitpunkt wohl auch noch zu verfrüht. Solche Risiken hob man sich für später auf, wenn man kein Selbstmörder war. „Ich gehe heute Abend auf das Fest der Milanos. Du wirst von ihnen gehört haben. Eine der reichsten Händlerfamilien der Stadt. Ich bin der neue Geschäftspartner der Familie.“ Und sie besaßen ein eigenes, großes Stadthaus im Zentrum, gegen das Doctor Marteaus bescheiden wirkte, nun, nach dem Rathaus sicher das größte: „Wie bist du denn da reingekommen?“ Echte Bewunderung und Neugier lag in ihrer Stimme. Er zuckte lächelnd die Schultern, durchaus geschmeichelt: „Ein Empfehlungsschreiben aus der Hauptstadt und genügend Bargeld in der hiesigen Bank. Die Milanos sind ein wenig in der finanziellen Klemme, nachdem sie Pech hatten und zwei ihrer fünf Schiffe nicht ankamen.“ „Womit handeln sie?“ „Gewürze und andere exotische Waren von jenseits des Südmeeres. Ein sehr einträgliches, aber auch riskantes Geschäft. Stürme, Piraten und andere Kleinigkeiten....Ich vermute, dass auch Marteau von daher die Drogen bezieht. Er ist ein direkter Konkurrent der Milanos im Südhandel. Offiziell, zumindest.“ „Also heute Abend auch auf dem Fest?“ Sie dachte mit: „Ich hoffe es.“ „Was soll ich weiter tun?“ erkundigte sie sich. Er war ihr Ausbilder. „Deine Rolle als Samara spielen und die Augen offenhalten, wo er die Papiere über seine Nebentätigkeiten verstecken könnte. Aber ja keine Experimente und kein Risiko. Ich werde mir nach dem Fest den Schuppen ansehen. - Sarifa – sei wirklich vorsichtig. Es gab schon zu viele Unfälle.“ Und er dachte daran, dass einer der brutal ermordeten Polizisten eine Frau gewesen war – Dents Werk? Sie lächelte: „Danke. Du aber auch.“ „Dann geh jetzt, mein Engel, und pass auf Verfolger auf.“ „Natürlich.“ Sie erhob sich: „Du aber auch! Wann treffen wir uns wieder?“ „Wo ist dein Zimmer?“ Sie sagte ihm die Adresse. „Gut. Ich melde mich, sobald ich was Neues habe. Du suchst, wenn es irgend geht, keinen Kontakt mit mir, sondern spielst um jeden Preis das harmlose Mädchen.“ „Ja.“ Er sollte sie ausbilden und sie war froh darum, dass er es auch wirklich tat, sie nicht als Konkurrentin betrachtete. So zog sie nur ihren Umhang enger über ihr einfaches braunes Kleid: „Auf Wiedersehen, Michel.“ „Auf Wiedersehen, mein Engel.“ Auf dem Fest im von Kerzen hell erleuchteten Saal des Stadtrates sah sich Michel ziemlich als Mittelpunkt. In einer weltoffenen Stadt wie Lavinia waren neue, reiche Leute immer interessant und da er als Handelspartner der Milanos durch diese eingeführt wurde, glaubte ihm seine Rolle jeder. Er trug fast seine gewöhnliche Kleidung als Adeliger, hatte sich aber bei dem Zierrat zurückgehalten. Höfisch war etwas anderes als diese Händler zu imitieren, die eher Untertreibung schätzten. Dafür zeigte der Zobelbesatz an seinem nur schmückenden kurzen Umhang, dass er gute Verbindungen in den Nordosten jenseits des Kaiserreiches hatte – und über genügend Geld verfügte. Diese dezente Anspielung wurde in Handelskreisen durchaus verstanden, ebenso, wie die Bernsteinkette, die auf seiner Brust lag. Sein übliches Taschentuch ließ er hier ebenfalls weg, um als seriöser Geschäftsmann durchzugehen. Manche junge Dame zeigte offen ihr Interesse an dem unbekannten, reichen, durchaus gut aussehenden Mann, der ohne Begleitung erschienen war. Zu seiner gewissen Verwunderung war darunter auch eine, die gemeinsam mit Doctor Marteau gekommen war. Er hatte zunächst geglaubt, sie sei dessen Geliebte, manche Stimmen hatten das auch bestätigt. Sie war sicher zwanzig Jahre jünger als der Mittvierziger, dessen braune Haare die ersten grauen Strähnen zeigten. Warum also flirtete sie nun mit ihm, Michel? Es konnte nur einen Grund geben, da Marteau nach der offiziellen Vorstellung das Gespräch mit ihm mied: sie sollte ihn aushorchen, herausfinden, wer oder was dieser ominöse Martin van Maat war. Da hatte Michel vollkommen recht. Auf der Heimfahrt in der Kutsche erkundigte sich Valerius Marteau, beiläufig seinen blondierten Schnurrbart streichend: „Nun, Anna?“ „Er ist sehr nett, freundlich, kennt sich in solchen Gesellschaften aus...“ „Aber?“ „Ich weiß es nicht. Es ist nur so ein Gefühl...“ Sie brach ab. „Gefällt er dir?“ fragte Marteau plötzlich. „Er sieht gut aus. Aber gefallen...“ Sie zuckte die schmalen Schultern. Er musterte sie. Er hatte das Gefühl, dass sie log und da hatte er Recht. Ihr gefiel dieser Martin van Maat, aber sie wagte es nicht, das ihrem Liebhaber zu sagen. Ein Grund dafür war der monatliche Scheck, der auf ihrem Bankfach einging und sehr üppig bemessen war, ohne, dass Doctor Marteau Besonderes von ihr verlangte. Er sah wieder geradeaus: „Könnte er in Tarnung sein?“ „Du meinst, Polizei?“ Sie war erstaunt: „Er hat doch soviel Geld. Überlege nur, dass Herr Milano ihn als Teilhaber aufnahm.“ Das war ein Argument: „Und Milano ist zwar ein ehrlicher Idiot, aber in Geschäftsdingen sehr nüchtern. Das hätte er nie getan, wenn das Geld nicht wirklich da liegen würde. - Was also sagt dein Gefühl über diesen van Maat?“ „Sei vorsichtig.“ „Gut. Dann flirte mit ihm, verdreh ihm den Kopf. - Aber gehe nicht zu weit. Immerhin gehörst du mir.“ Anna ließ sich an ihn ziehen, mit einem seltsam verträumten Lächeln, denn in Gedanken war sie bei einem anderen Mann. Michel hatte sich unterdessen ein Ruderboot „ausgeliehen“ und paddelte damit lautlos und unter einem schwarzen Umhang den kleinen Kanal an der Rückseite der Handelshäuser entlang. Einige Schaluppen und kleine Lastkähne lagen dort vor Anker, am Ufer kleinere Lagerhäuser, in denen wohl Waren zwischengelagert wurden. Das Haus Marteaus konnte er unschwer daran ausmachen, dass dieses Grundstück das Einzige war, das von einer Mauer umgeben war. In der Tat, der gute Doctor war ein vorsichtiger Mann. Leise legte er neben einem leeren Kahn an und stieg an Land. Die Mauer war über mannshoch und als er nachtastete, bestätigte sich sein Verdacht: da waren Scherben eingelassen. Das würde unangenehm werden. Aber es musste ja auch eine Tür für die Waren geben und so schlich er weiter auf dem schmalen Rand zwischen Kanal und Mauer. Tatsächlich fand er bald ein vergittertes, mit schweren Riegeln versehenes, Tor und betrachtete das Grundstück, soweit er bei dem Sternenlicht etwas erkennen konnte. Da war der Lagerschuppen, von dem Sarifa gesprochen hatte. Hm. Es wäre durchaus interessant zu wissen, was dort so sicher geschützt werden sollte. Er erstarrte förmlich zur Salzsäule, als er eine Laterne erkannte, die sich näherte. Ein Wächter. Na, klasse. Und das Beste daran war der Hund, der diesen begleitete, und anscheinend ihn gewittert hatte, denn der zog derart an der Leine, dass sein Herr aufmerksam wurde. Marteau sicherte sich offenkundig gut ab. Er warf einen Blick zum Himmel. Nein. Heute Nacht konnte er hier nicht einbrechen. Es würde bald hell werden und er musste noch die Strecke zurückrudern, um das Boot wieder seinem Besitzer zu überlassen. So oder so hatte er morgen Mittag bereits ein Arbeitsgespräch mit seinem neuen Kompagnon und musste da ausgeschlafen erscheinen. Zum Glück hatte seine Ausbildung auch gewisse Wirtschaftskenntnisse gefördert. Und eine Runde Nachdenken wäre auch sicher nicht schlecht – ebenso wie eine Mütze Schlaf. Während er zurückpaddelte, dachte er nach. Sarifa hatte gesagt, dass Marteau misstrauisch war, ihr ja auch schon mindestens eine Falle gestellt hatte – und ihr Zimmer war durchsucht worden. Aber noch schien sie aus dem Zustand der Verdächtigung nicht in den der Gewissheit überführt worden zu sein. Und er hatte bei den Nonpareils gesehen, dass sie schauspielern konnte, eher sogar durch ihre Unerfahrenheit glaubwürdiger wirkte. Er musste hoffen, dass sie mehr herausfand. Er selbst sollte sich den Schuppen in der nächsten Nacht ansehen. Der Nachtwächter war nicht das Problem, es schien nur ein Mann zu sein, der Hund allerdings....Nun, das müsste machbar sein. Er musste sich nur etwas für diesen überlegen – denn seine Neigung zum Selbstmord hielt sich in engen Grenzen. Er rechnete zwar nicht damit, dass Marteau seine Drogen da lagerte, aber wer wusste schon, was es dort noch Interessantes gab. Sarifa ging am folgenden Tag über den Flur des Verwaltungsgebäudes, eine schmale Akte in der Hand. Hongo hatte sie ihr mit der Anweisung überreicht, sie sollte sie Doctor Marteau geben und sie war etwas erstaunt über ihr eigenen Gefühl bei diesem Satz, das sie zur Vorsicht mahnte. Sollte sie sie öffnen? Nein, lieber nicht. Es war nicht gesagt, dass sie nicht beobachtet wurde, auch, wenn sie niemanden feststellen konnte. Aber gerade einer Assassine war nur zu bewusst, wie man sich in solch einem Haus praktisch unsichtbar machen konnte. So klopfte sie nur höflich an und trat ein. „Doctor Marteau, das hier lässt Euch Herr Hongo bringen.“ Der Händler betrachtete seine Gehilfin: „Danke, mein Kind. Legt es nur hierher. - Offen, dann unterschreibe ich es gleich und Ihr könnt es wieder Hongo geben.“ „Wie Ihr wünscht,“ erwiderte Sarifa wohlerzogen, aber noch immer mit einem unbehaglichen Gefühl. Sie öffnete die Akte und drehte sie um, ohne zu zeigen, dass ihr beinahe schwach wurde. Das war eine Lieferbescheinigung über Arcanum, die neueste Modedroge der Hauptstadt, wie ihr Michel erklärt hatte. Und das mit der Unterschrift Doctor Marteaus versehen war genau der Beweis, den Graf Uther und vor allem Graf Lothar benötigten, um ihn vor Gericht zu bringen... Ihr Herz begann zu rasen. War das die Lösung dieses Falles? Sie nahm sich zusammen. Es war unmöglich, das zu unterschlagen und Michel zu geben. Hongo würde sich beschweren, wenn er die Akte nicht zurückbekam, oder gar..... Sie spürte, wie eine eisige Hand nach ihrem Magen zu greifen schien, auch, wenn sie pflichtgemäß lächelte, als sie die Akte nahm und damit das Büro verließ. War das die Falle, an der die Polizisten gescheitert waren? Es war so einfach jetzt mit der Unterschrift das Haus zu verlassen – und damit das eigene Interesse daran mehr als deutlich zu zeigen. Wo war überdies Dent? Unten? Sollte er sie abpassen, ermorden? Und warum sollte ein Rauschgifthändler überhaupt solche Verträge abschließen? Sicher, er musste Unterlagen besitzen, aber doch nicht so offen....Das wäre mehr als leichtsinnig und so war ihr Doctor Marteau bislang nicht erschienen. Sie spürte, wie ihre Knie etwas zitterten, und musste sich an ihre jahrelangen Selbstbeherrschungsübungen erinnern. Das war schwieriger als sie es sich zuvor vorgestellt hatte, immer harmlos zu bleiben. Ihr war jedoch nur zu klar, dass sie haarscharf einer tödlichen Falle entkommen war – und allein ihr eigener Instinkt sie gewarnt hatte. Aber sie wusste, sie war ruhig und ihr Lächeln nur höflich-freundlich, als sie kaum zwei Minuten später die Akte wieder Hongo übergab. ** Das war knapp. Das nächste Kapitel bietet eine Überraschung für die beiden Agenten: Polizeieinsatz. Kapitel 10: Polizeieinsatz -------------------------- Michel lehnte am folgenden Mittag ein wenig nachlässig dem alten Giovanni Milano gegenüber. Der grauhaarige Patriarch des Handelshauses hatte seinen neuen Partner durchaus durch einige Fragen überprüfen wollen, nichts, was ungewöhnlich war, und nichts, was dem Agenten schwergefallen wäre. „Wisst Ihr, mein teurer van Maat, Ihr scheint ja recht gute Beziehungen in den Osten zu haben, wie Euer Zobel gestern zeigte. Was meint Ihr, wären Eure dortigen Partner bereit, das Geschäft mit uns und damit dem Süden auszuweiten? Jenseits des Meeres sind derartige Pelze sehr begehrt, aber das werdet Ihr wissen.“ „In der Tat. Sollte Euch, mein lieber Milano, allerdings entgangen sein, dass dem dortigen König, übrigens dem Vater unserer derzeitigen Kaiserin, über Flüsse ein sichererer Weg des Handels zur Verfügung steht, als quer durch das Kaiserreich und dann das Südmeer? Auf Flüssen sind Stürme und Piraten doch seltener als auf dem offenen Meer. König Kasimir wäre geradezu töricht einen derartigen Umweg zu wählen.“ „Natürlich, ich vergaß für einen Augenblick.“ Nichts in Milanos Stimme verriet, dass das stimmte: „Und selbstverständlich würde König Kasimir wenn, dann seinen Handel direkt über seinen Schwiegersohn, unseren verehrten Kaiser, ablaufen lassen.“ Nun, er gab zu, dass dieser Martin van Maat ein sehr gutes Wissen über Handel und Wirtschaft im Reich und darüber hinaus besaß – und überdies über gewisse Verbindungen zum Hofe zu verfügen schien, war doch das Empfehlungsschreiben durch den Wirtschaftsberater des Kaisers persönlich unterzeichnet worden. Nicht gerade unnütz, als Händler. Nein, es war sicher richtig gewesen, ihn als stillen Teilhaber zu nehmen. Still, denn van Maat hatte sich verpflichtet, nur sein Geld zu geben und sich aus der Firmenführung herauszuhalten. Natürlich gegen eine gewisse Kontrollberechtigung, denn ein Narr war dieser vielleicht Dreißiger nicht. Aber die fast eine Million Gulden, die er in die Firma eingebracht hatte, sicherte der Familie Milano den vorfinanzierten neuen Bau eines Ersatzschiffes für die Untergegangenen und damit auch weiteren Kredit bei anderen Händlern und Banken für ein zweites. Elementar. Der Agent lächelte flüchtig. Er konnte die Gedanken des Handelsherrn förmlich nachverfolgen. Und so ganz uneigennützig war es nicht gewesen, so viel Geld hier hereinzustecken. Es war eine kerngesunde Firma, mit etwas Pech, mehr nicht. So gehörte nun ihm ein Drittel der Anteile, wenn auch unter falschem Namen, aber das ließ sich eines Tages korrigieren. Graf Uther hatte, ebenfalls aus seinem Privatvermögen, die andere Hälfte der Einlage des „Martin van Maat“ gegeben. Man konnte manchmal das eigene Geldverdienen mit dem Nützlichen für den Kaiser verbinden, ohne auch nur eine Partei zu schädigen. Michel hatte seine Kontaktadresse bei einer Brieftaubenstation der kaiserlichen Post bei Graf Uther bereits am zweiten Tag seines Aufenthaltes in der Handelsstadt angegeben. Als er nach fünf Tagen wieder nachfragte – schneller konnten nicht einmal die Tauben des Kaisers fliegen - , war es ebenso vergebens gewesen, wie die folgenden Versuche. Diesmal allerdings gab ihm der Mann eine kleine Patrone: „Bitte sehr.“ Der Agent prüfte kurz, ob der Bleiverschluss noch ordnungsgemäß versiegelt war, ehe er draußen öffnete. Das sah nicht gut aus, denn der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes hielt sich gewöhnlich aus Aktionen heraus. Also musste in diesen siebzehn Tagen bereits etwas in Paradisa vorgefallen sein. Ach du liebe Güte. Er las die wenigen Zeilen zwei Mal, ehe er hastig überlegte. Was, um Himmels Willen, sollte er jetzt machen? Sarifa etwas sagen? Nein, beschloss er. Sie war eine Anfängerin und so gut sie bislang zu arbeiten schien – er sollte nicht die Pferde scheu machen, ohne zu wissen, was wirklich los war. Und das bedeutete, er musste heute Abend zu dem Treffen mit Graf Lothar statt bei Marteau einzubrechen, um herauszufinden, was den Leiter der kaiserlichen Polizei ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Wollte er sie kontrollieren? Traute er Graf Uthers Leuten nicht oder war etwas ganz anderes geschehen? Es war ein kleiner Park, in dem sich gewöhnlich am Wochenende die Bürger Lavinias zum Spaziergang trafen, zum Reden über dies und das, aber auch zum Geschäftemachen. Jetzt war er menschenleer und Michel blickte sich suchend in der Dunkelheit um, ehe er einen Mann auf einer Bank sitzend entdeckte und hinüberging. Ja, das war Graf Lothar, er kannte ihn vom kaiserlichen Hof. Leider bedeutete das andersherum, dass auch dieser Michel de la Montagne kannte und so hatte er sich vorgesehen. „Guten Abend, Graf. Welche Überraschung.“ „Ihr seid pünktlich.“ Ohne Vorwarnung entzündete der Polizeichef ein Zündholz. Michel schlug es mit einer hastigen Armbewegung weg: „Wollt Ihr uns umbringen?“ fragte er ärgerlich: „Wenn mich jemand sieht...“ Wohl kaum jemand hätte diese harte Stimme mit der gezierten, ja überhöhten Sprechweise des Michel de la Montagne in Verbindung gebracht. - und dieser war nur zu dankbar darum, durchaus ein Grund für seine gewöhnliche Rolle. „...Wird er viel Spaß daran haben.“ Graf Lothar hatte die dunkle Seidenmaske vor dem Gesicht erkannt: „Ich war neugierig, verzeiht. Ich habe selten mit Menschen zu tun, die mir unbekannt sind. - Ich kam her, weil sich etwas ergeben hat, das Euren Aufenthalt hier wohl überflüssig macht. Einer meiner Leute – also jemand, der mir direkt untersteht und nicht für die Polizei in Lavinia arbeitet - meldete mir ein Schiff, das auf Doctor Marteaus Namen läuft und bereits morgen mit der Abendflut einlaufen soll, die Goswintha. Wir werden es durchsuchen. Ich kam her um die Aktion persönlich zu leiten.“ Michel nickte leicht: „Vorausgesetzt, dass sich auf diesem Schiff tatsächlich Drogen befinden und Ihr diese Marteau zuweisen könnt, dann wäre unsere Aufgabe hier erledigt.“ „Ja. Ihr könnt Eurem Partner sagen, dass er weg kann. Soweit ich hörte, arbeitet er verdeckt bei Marteau.“ „Ja. Und der ist sehr misstrauisch.“ Es war wohl besser für alle, wenn Graf Lothar nicht erfuhr, dass es sich nicht nur um eine PartnerIN sondern auch noch eine Assassine handelte. „Ja, ich habe die ...hm...Unfälle, die meinen Leuten zustießen, nicht vergessen. Nun, sagt ihm, dass er gehen kann.“ „Wenn es möglich wäre.“ „Was meint Ihr?“ fragte der Polizeichef erstaunt. Michel blieb sachlich. Es war die emotionslose Diagnose eines Profis: „Marteau ist kein Idiot. Es besteht die Möglichkeit, dass er Vorsorge getroffen hat, für den Fall, dass sein Schiff durchsucht wird. Sei es, dass er flieht oder etwas anderes in der Hinterhand hat. Meine....Mein Partner müsste dann zusehen, dass er in Tarnung an ihm dranbleibt. Übrigens wäre das auch sinnvoll für den Fall, dass Eure Durchsuchung des Schiffes nichts bringt. - An Eurer Stelle würde ich mich auch einmal mit dieser Anna unterhalten. Sie ist Marteaus Geliebte.“ Als ob die kaiserliche Polizei das nicht wüsste: „Ja, davon hörte ich. Was macht Euch sicher, dass sie gegen ihn aussagen wird?“ „Ich habe mit ihr geredet.“ Graf Lothar hörte die gewisse Arroganz, aber dieser Mann konnte sie sich wohl leisten. Uther hatte ihn seinen besten Agenten genannt, und derartiges Lob wollte etwas heißen. „Eine Frage habe ich noch: konntet Ihr in Erfahrung bringen, warum meine Leute aufgeflogen sind?“ Michel stellte für sich fest, dass der Graf wohl wirklich um seine Mitarbeiter besorgt war und gegebenenfalls trauerte: „Marteau stellte auch meinem Partner Fallen – bislang vergeblich. Wie gesagt, er ist sehr vorsichtig.“ Graf Lothar seufzte unhörbar. Er hatte einen Beruf in dem er sich daran gewöhnen musste Kreuze hinter Namen zu machen – freuen tat ihn das noch immer nicht gerade. „Wie kann ich Euch erreichen, um Euch das Ergebnis der Durchsuchung mitzuteilen?“ „Wann soll sie stattfinden?“ „Sobald das Schiff einläuft. Also,geplant ist mit der Abendflut – je nachdem, wie pünktlich es ist. Ihr wisst ja, Schifffahrt auf dem Südmeer ist durchaus risikoreich.“ Und mehrere Tage Verspätung wären nur zu normal. „Allerdings erhielt ich die Nachricht bereits von der Insel Minia, die nur fünf Tagesreisen von Lavinia entfernt liegt. Dort fuhr es pünktlich ab und es sind bereits Gewässer, die von der kaiserlichen Marine kontrolliert werden.“ Das bedeutete, dass Graf Lothar nach Erhalt der Nachricht alles in Windeseile organisiert und sich und seine Männer in schnelle Sonderkutschen gesetzt hatte. „Ich werde am Hafen sein.“ Das müsste doch machbar sein. Immerhin galt er als Teilhaber der Milanos – und die verfügten über noch über drei Schiffe, die den Handel nach Süden unternahmen. Es wäre für einen Handelsmann in einer neuen Stadt, zumal wenn er dort investierte, nur zu gewöhnlich, den Hafen anzusehen. Hauptsache war, dass nichts schiefging und er Sarifa rechtzeitig zurückholen konnte, ehe der gute Marteau sie als Geisel nahm. Umgekehrt: wenn die Durchsuchung nichts brachte, so wäre sie noch immer an dem Verdächtigen dran. Hoffentlich würde es ihr gelingen ihre Rolle als Samara weiterzuspielen und durch nichts zu verraten, was sie konnte. Immerhin hatte sie erwähnt, dass sie Dent für gefährlich hielt – und er traute der Einschätzung einer Assassine. Mochte Marteau auch der Kopf sein, so war Dent wohl die Faust der Gruppe. Als Michel zum Hafen kam, wurde er bereits erwartet. Er zog sich die Maske über, ehe er die im Voraus bezahlte Mietkutsche verließ. Er trug gewöhnliche, bürgerliche Kleidung und nur der Degen an der Hüfte verriet, dass dieser Mann wohl nicht ohne Grund das Gesicht verbarg. Der Kutscher hielt es denn auch für besser sofort umzudrehen und zu verschwinden. Man sollte einem Meuchelmörder nicht im Weg herumstehen. Ein Unbekannter löste sich aus den Schatten eines Lagerschuppens und kam heran: „Mir wurde gesagt, ich soll jemanden wie Euch erwarten. Für ein bestimmtes Schiff.“ Der gute Mann schien nicht über die Maske verwundert. Allerdings war er ebenfalls bewaffnet: „Die Goswintha.“ „Gut.“ „Wer sagte das?“ Prompt kam die Bestätigung: „Graf Lothar. - Kommt. Das Schiff sollte bereits durchsucht werden.“ „Es war pünktlich.“ „In der Tat.“ Nur wenige Minuten später traf Michel den Leiter der kaiserlichen Polizei am Kai. Dieser hatte ihn erwartet: „Das Schiff wird soeben durchsucht. Die Besatzung ist verhaftet und sitzt jeder für sich. Bewacht.“ „Ihr habt Leute aus Lavinia dabei?“ „Nein. Meine eigenen. Allerdings musste ich natürlich den Leiter der örtlichen Polizei verständigen. Ich tat das jedoch so kurzfristig, dass es nahezu unmöglich war, dass er seine eigenen Mitarbeiter herschickt. Irgendjemand in der hiesigen Polizei hat mir zu gute Kontakte zu Marteau.“ „Ja. Und das kostete vermutlich drei Menschenleben bislang.“ Michel sagte es sachlich, ohne jeden Tadel. Er hatte bereits mitbekommen, dass Graf Lothar sich selbst Vorwürfe machte. Hm. Unmöglich, dass der örtliche Polizeichef seine Mitarbeiter herschickte, ja. Aber wenn der falsche Jemand etwas mitbekam – ein Bote war schnell bei Marteau... Graf Lothar ließ die Augen nicht von dem verdächtigen Schiff: „Dann könnt Ihr Euren Partner zurückrufen.“ Nicht noch ein Toter, und das auch noch von einer Seite, die er zum Hilfe gebeten hatte. „Ja, sobald die Durchsuchung hier abgeschlossen ist. Ich neige nicht zu halber Arbeit.“ „So hörte ich. Graf Uther bezeichnete Euch als seinen besten Mann. Und er neigt wiederum nicht zu Übertreibungen. Er nannte Euch und Euren Partner die Klingen des Kaisers.“ „Schmeichelhaft.“ Michel fuhr herum, als eine Kutsche in den Hafen geprescht kam, die Hand am Degen, wie auch der Leiter der kaiserlichen Polizei. Der Fahrer stoppte die Pferde erst, als er fast den Kai erreicht hatte. „Graf Lothar!“ schrie jemand in der Kutsche. Der eilte hin, nur, um sich nach wenigen Worten umzudrehen, die Lippen zusammengepresst. Michel ging zu ihm, ein seltsames Gefühl im Magen. Da war etwas schiefgelaufen. Die folgenden Worte des Polizeichefs bestätigten es: „Ich ließ zur Sicherheit das Anwesen Marteaus überwachen. Er bekam anscheinend mit, dass etwas gegen ihn unternommen wird. Er hat sich mit Hongo, Dent und einer jungen Frau im ersten Stock seines Handelshauses verschanzt. Ihr Name ist Samara.“ Er bemerkte das unwillkürliche Zucken der Hand seines Gegenübers zum Degengriff: „Oh. Ich verstehe. SIE ist Euer Partner. Aber warum ist sie mitgegangen? Sie muss doch wissen, dass sie als Geisel dienen soll. Und das, wo zumindest Dent und auch vermutlich Hongo bereits mehrfach getötet haben.“ Oh, was für eine reizend hilflose Geisel, dachte Michel automatisch, wenn auch etwas zynisch. Aber er meinte ehrlich, unwillkürlich bemüht, seine Partnerin zu verteidigen: „Sie hat keine Waffe und ihr Auftrag lautete an Marteau um jeden Preis dranzubleiben. Sie wird ihre Rolle solange spielen, wie sie kann.“ Und wenn nicht, gab es Tote. Sarifa war niemand, den man selbst als Mehrfachmörder mal eben um die Ecke bringen konnte. Allerdings - sie hatte gemeint, dass sie gegen Dent keine Chance hätte... „Ich fahre mit Eurer Kutsche zu dem Haus. Und es wäre freundlich, wenn mich einige Eurer Männer begleiten würden.“ „Natürlich. - Allein mit dieser Geiselnahme ist Marteau doch fällig. Er muss sehr überrascht und überaus verzweifelt gewesen sein. Und ich kann daraus nur schließen, dass an Bord dieses Schiffes wirklich etwas äußerst Belastendes liegt. - Allerdings: Ihr riskiert das Leben Eurer Partnerin. Es mag sein, dass bei einem Eingreifen als erstes sie getötet wird. Übrigens auch Euer Leben.“ Und dass der Polizisten bei ihm, aber das wollte er nicht sagen, da er ihn nicht beleidigen wollte. Feige waren Uthers Agenten jedenfalls sicher nicht. „Ja. - Alles für den Kaiser, nicht wahr?“ Michel sah zu dem Kutscher: „Fahrt uns zurück!“ „Samara“ kauerte in einer Ecke von Marteaus Arbeitszimmer und starrte teilnahmslos vor sich hin. Zumindest konnte man diesen Eindruck haben und Sarifa legte Wert darauf. Es passte zu ihrer Rolle. Tatsächlich bemühte sie sich jedoch Leon Hongo zu beobachten, der die Fensterläden schloss, der einzige der drei Männer im Raum, der sich bewegte. Sie seufzte unhörbar. Es wäre ihr weitaus lieber gewesen, wenn Dent das Zimmer verlassen hätte. Er saß auf einem Stuhl und blickte ins Nichts. Ab und an jedoch sah er zu ihr und sie bekam jedes Mal eine Gänsehaut. Marteau hatte ihm zwar verboten sie anzufassen, aber allein die Tatsache, dass das nötig gewesen war, baute die Assassine nicht gerade auf. Er hatte sie gezwungen hier mit hineinzugehen, ehe sie Möbel und anderes in das Treppenhaus und den Gang gestellt hatten. Sie hätte sich wehren können, aber da war die Anweisung so lange wie möglich harmlos zu scheinen. So hatte sie das schockierte Mädchen gespielt und tat es noch immer. Sie wusste wirklich nicht, was das Ganze sollte, aber sie fand es am Besten Michels Befehl zu folgen. Ihr Partner würde schon wissen, was er machte – und sich um alles kümmern. Sie sah zu Doctor Marteau, der sich an einer Wand zu schaffen machte. Als er bemerkte, dass sie ihn betrachtete, drehte er sich um und lächelte: „Keine Sorge, Samara. Ich will Euch nichts tun. Habt Ihr schon einmal davon geträumt, in den Süden zu gehen?“ „Ich stamme aus dem Süden des Kaiserreiches....“ „Nein, jenseits des Südmeeres. Ich habe dort Freunde. - Könnt Ihr Euch ein Leben vorstellen unter Palmen, mit Dienern....“ Sarifa starrte ihn an, fast ihre Rolle vergessend: „Aber...ich kann die Sprache dort nicht....“ „Das macht nichts. Oh, Ihr sollt nicht für mich arbeiten. Ich dachte an Heirat.“ „Wie bitte?“ Jetzt war sie endgültig perplex. Marteau lächelte dünn: „Wenn ich Euch nicht umbringen will....es dient nur meiner Sicherheit, denn dort könnt Ihr dann nicht gegen mich aussagen. Oh, keine Sorge. Ich bin durchaus bereit eine gewisse....Abmachung zu treffen.“ „Aber...ich liebe Euch nicht.“ Zum ersten Mal war das Zittern in der Stimme der Neunzehnjährigen echt. „Ich Euch doch auch nicht. Samara, mag sein, dass Ihr mich nicht liebt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Ihr andere mehr.....fürchtet.“ Sein Blick streifte Dent. Sarifa begriff. Sie kauerte sich enger zusammen und schlug die Hände vor das Gesicht, um rasch unbeobachtet nachzudenken. Wie würde „Samara“ auf dieses Angebot reagieren? „Wir haben noch Zeit, meine Liebe,“ meinte Marteau nur und machte sich wieder an der Wand zu schaffen, wo sich langsam eine schmale Türöffnung zeigte. „Fertig, Leon?“ „Ich habe alles gesichert,“ gab Hongo zurück. „Moment, Doctor....eine Kutsche am Eck....“ Er bemühte sich durch die Fensterläden zu spähen: „Bestimmt vier Männer....“ „Polizei?“ „Möglich...“ „Komm, Gunter. Wir erledigen sie unten. Leon, passe auf die Kleine hier auf.“ Marteau und Dent verschwanden durch den bisherigen Ausgang und Sarifa atmete durch. Mit einem Schlag waren ihre Chancen gestiegen etwas zu unternehmen. Und Kutsche, Polizei – das hieß auch Michel, da war sie sicher. Auf ihren Partner konnte sie sich verlassen. So versuchte sie ein zitterndes Lächeln, als sie bemerkte, dass Leon Hongo einen Dolch zog: „Ich tue nichts Schlimmes,“ erklärte sie etwas leichtfertig: „Es wäre wirklich nicht nötig, den in der Hand zu haben. Bitte. Legt ihn weg....“ Der dunkelhaarige Mann mit den fast schwarzen Augen musterte das Mädchen nur kurz. Sie saß zusammengezogen in dem Stuhl, war offenkundig verschreckt – nun ja, wohl zusätzlich noch durch das Messer. Und wer wusste schon, ob sie sich nicht bei seinem Chef über ihn beschweren würde. Der gute Doctor hatte auf ihn durchaus den Eindruck gemacht auf die Kleine zu stehen. „Na schön,“ murmelte er daher und legte den Dolch vor sich auf den Tisch. Sarifa fasste ihr Glück fast nicht. Wie konnte man derart leichtsinnig sein? Weil sie ein Mädchen war? Nun gut, er hatte ihr eine Chance gegeben und die wollte sie nutzen, ehe die anderen beiden zurück waren – oder auch die Polizei hier war. Sie lächelte dankend: „Das ist wirklich sehr freundlich von Euch....“ Noch während sie sprach, war ihre Hand unter den Tisch geglitten und hatte den gekippt. Das Messer rutschte zu ihr. „He!“ Hongo sprang auf – nur, um sich im nächsten Augenblick durch einen Tritt gegen seine Knie auf dem Boden zu finden. Für einen Moment war er zu verwirrt, um zu reagieren – eine Sekunde zu lang. Denn das nur scheinbar so harmlose und verschreckte Mädchen kniete neben ihm und drückte die Spitze der Klinge in seinen Schritt, dort, wo er, wie viele Männer, einen künstlichen Beutel trug, der seine Männlichkeit betonen sollte. Spötter nannten es einen Schambeutel oder Schamkugel. „Ich möchte Euch wirklich ersuchen Euch weder zu bewegen noch einen Laut von Euch zu geben,“ meinte Sarifa sachlich und drückte die Spitze des Messers ein wenig fester hinein. „Ich muss nämlich ehrlich zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wann ich Euch so Schmerzen zufüge und ab wann es eine richtige Schweinerei geben wird.“ Leon Hongo bekam plötzlich das Gefühl, dass hier so einiges nicht richtig wäre. Dieses zierliche Mädchen sollte vor ihm zittern – und er hatte dagegen den unerwarteten Eindruck, dass bei der verdächtig sachlichen Ruhe ihrer Stimme in diesem Satz jeder Psychopath panisch die Flucht ergriffen hätte. Nein. Sie war doch nur ein junges, ahnungsloses Mädchen und so holte er tief Luft. Es kam nie zu dem Schrei. Etwas zersprang und er spürte plötzlich die Kälte von Stahl an seinem empfindlichsten Körperteil, die fast zart drückte. Als er vorsichtig an sich heruntersah, erkannte er, dass genau der Teil seiner Bekleidung, der seine Männlichkeit betonen sollte, gerade unter dem Druck der Klinge zersprungen war. „Keine Panik,“ flüsterte er in hektischer Furcht. „Ich schreie nicht, ich bewege mich nicht mehr...ja? Alles in Ordnung. Gaaanz ruhig.... ja?“ Nichts in seinem Leben hatte ihn auf offenkundig verschreckte Mädchen vorbereitet, die die gleiche Wirkung wie eine von der Leine gelassene Bulldogge ausüben konnten: „Einigen wir uns? Ja?“ Sarifa setzte sich bequemer hin, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil in Druck oder Aufmerksamkeit nachzulassen. Michel würde bald kommen, da war sie sicher.´ „Unter diesen Voraussetzungen, ja.“ Leon Hongo wagte nicht einmal mehr durchzuatmen. Die Polizisten waren durch den Haupteingang gestürmt, die Treppe empor, nur, um festzustellen, dass diese mit Möbelstücken blockiert worden war. Als sie sich darübermühten, benutzten die zwei Obenstehenden die Gelegenheit mit ihren Degen anzugreifen. Allerdings war Marteau und Dent klar, dass diese Vier geübte Kämpfer waren – und in der Überzahl. Als sie die anderen drei Männer hinter sich bemerkten, war es schon zu spät. Michel hatte Graf Lothar und einen seiner Leute darauf aufmerksam gemacht, dass es Probleme geben könnte, wenn Marteau nicht gerade ein Dummkopf war. So waren sie durch ein Fenster des leeren Erdgeschosses gedrungen und die kleine Holztreppe hinaufgelaufen, die gewöhnlich Marteaus Angestellte verwendeten – und die man vom Haupteingang aus nicht sah. Michel kannte sie, denn in seiner sorgfältigen, wenn auch nur möglichen, Vorbereitung eines Einbruches hatte er auch den Grundrissplan eingesehen.. Daran hatte der Doctor der Philosophie durchaus verständlicherweise nicht gedacht und sah sich nun einem Maskierten gegenüber, der etwas spöttisch den Degen hob: „Gebt Ihr auf, Doctor Marteau?“ Wo steckte der dritte Mann und wo Sarifa, dachte er gleichzeitig. Statt einer Antwort griff der Händler an. Von der Kraft und dem Können ein wenig überrascht, überdies durch seine Gedanken unkonzentriert, gelang es Michel gerade noch den Stoß abzulenken. So ritzte die Klinge eines Gegners bloß seinen Oberschenkel. Er sprang zurück und beugte rasch etwas das Knie um das Ausmaß der Verletzung festzustellen, aber es handelte sich nur um einen Hautriss. So attackierte er unverzüglich selbst, mit all der Präzision und dem geschulten Auge, das die Leibwachen des Kaisers auszeichnete. Umsonst hatte er nicht fast zehn Jahre dort geübt. Graf Lothar entging das Können nicht und er vermutete durchaus zurecht, dass dieser Mann wirklich kaisertreu war – und wohl nur die Profession des Leibwächters mit der eines Agenten, nicht den Herrn gewechselt hatte. Dent verteidigte sich dagegen in fast hektischer Wildheit, wenn auch mit Können und Erfahrung, gegen die vier Polizisten, dennoch ein hoffnungsloser Kampf. So beschloss der Leiter der Polizei abzuwarten und den Degen in der Scheide zu lassen. Es sah nicht so aus, als ob er jemandem helfen musste Er behielt Recht. Nur zwei Minuten später flog der Degen des Hausherrn beiseite und der Maskierte drückte seine Klingenspitze gegen dessen Brust. „Ich möchte Euch wirklich empfehlen, Doctor Marteau, dass Ihr Euch ergebt.“ Der überdachte seine Lage kurz. Diese Polizisten hatten ihn, Geisel hin oder her, denn auch Dent wurde gerade überwältigt, blutüberströmt jedoch lebendig. Leider. Aber er selbst bezahlte dem Obersten Richter in Lavinia genug, so dass er mit einem milden Urteil davon kommen sollte. Kein Grund sein eigenes, kostbares Leben zu riskieren. Daher hob er ein wenig melodramatisch die Hände. „Gut.“ Michel nahm seinen Degen nicht weg, sah jedoch zu Graf Lothar, der herangekommen war: „Ich überlasse ihn Euch.“ „Danke. - Dent scheint schwerverletzt. Was für ein Dummkopf.“ Als ob seine Männer Anfänger wären, zumal in dieser Überzahl: „ Marteau, wo sind Hongo und die junge Dame?“ fragte er, während er ihm die Hände auf den Rücken fesselte. „Oben. Er...er soll sie bewachen.“ Der Doctor vermutete, je mehr er kooperierte, umso milder würde sein Urteil werden. „Hongo ist allein mit ihr?“ Michel war mehr als alarmiert: „Ich kümmere mich darum!“ Sarifa und ein potentieller Serienmörder in einem Raum! Da war jemand wohl sehr besorgt um seine Partnerin, dachte Graf Lothar noch ein wenig amüsiert. Er sollte nie erfahren, dass die Befürchtung des besten Agenten des Kaisers der noch möglichen Aussage der rechten Hand des Verdächtigen vor dem kaiserlichen Gericht galt – und sicher nicht seine Partnerin. „Bringt sie zu den Kutschen .- Oh, Doctor Marteau, Ihr habt doch nicht etwa erwartet, in Lavinia vor Gericht gestellt zu werden? Ich bin Graf Lothar, der Leiter der kaiserlichen Polizei. Und Euer Prozess wird vor dem kaiserlichen Gerichtshof in Paradisa stattfinden.“ Als Michel die Tür aufstieß, zuckten die beiden dort zusammen. Er sah auf den ersten Blick, dass alle Zwei am Leben waren und begann erleichtert seine Tarnungsprogramm abzuspulen: „Ma donna, schön, Euch gesund vorzufinden. - Vielleicht erlaubt Ihr mir die Klinge zu übernehmen? Hongo, im Namen des Kaisers: Ihr seid verhaftet.“ „Gott sei Dank,“ brachte der Gefangene hervor, der sich seit geschlagenen zwanzig Minuten nicht mehr auch nur um einen Zentimeter bewegt hatte. Sarifa überließ den Dolch ihrem Partner. Sie hatte die Warnung begriffen, zumal jetzt auch andere Männer hereinkamen: „Oh ja, danke,“ sagte sie nur. „Dann kommt, ich bringe Euch raus...hier, der gehört Euch,“ meinte Michel, an die Polizisten gewandt, ehe er den Arm um seine Partnerin legte. „Weg hier...“ flüsterte er. So folgte sie eilig. Kaum draußen riss er die Maske ab: „Wo sind deine Sachen? Wie lange brauchst du um Lavinia zu verlassen?“ „In dem Untermietzimmer – Zwanzig Minuten.“ „Gut. - Dort vorne gibt es Mietkutschen. Wir treffen uns am Hauptplatz, wo man die Fernkutschen mieten kann.“ Keine Dreiviertelstunde später waren die „Klingen des Kaisers“ aus Lavinia verschwunden. Graf Lothar ließ auch nicht nach ihnen suchen. ** Das ging aber schnell...^^ Und so heißt das nächste Kapitel auch: Fragen. Kapitel 11: Fragen ------------------ Volle drei Stunden lang herrschte Schweigen in der gemieteten Kutsche nach Norden, ehe Sarifa den Kopf hob und ihren Begleiter ansah. Er war deutlich noch immer in Gedanken, bemerkte aber wohl ihren Blick, denn er wandte sich ihr zu. „Entschuldige,“ sagte sie daher. Immerhin war er ihr Ausbilder: „Darf ich dich etwas fragen?“ „Ja,“ erwiderte er, von dem gleichen Gedanken bewegt. „Nun, eigentlich sind es zwei Dinge. Habe ich etwas falsch gemacht?“ „Nein. Du hast deine Tarnung aufrecht erhalten und ich kann mir vorstellen, dass das gerade für dich unter diesen Umständen nicht einfach war. Und die zweite Frage?“ „Ich hätte alle Drei am liebsten umgebracht,“ gestand die Assassine, um fortzufahren: „Eigentlich war unsere Reise und diese Rolle vollkommen sinnlos, oder?“ Michel wurde aufmerksam: „Was meinst du?“ „Auch ohne meine..unsere Rollen hätte die Polizei doch jetzt Doctor Marteau verhaftet.“ „Möglich. - Aber es war nicht umsonst, ganz sicher nicht. Als Graf Lothar Graf Uther um Hilfe bat, tat er dies, weil die Polizei nicht weiterkam und schon drei Polizisten tot waren. Es war nur logisch, Außenstehende zu suchen. Niemand konnte vorhersehen, dass Lothar einen solch guten Tipp so kurz danach bekommen würde. Ohne dich als Geisel...nun, du hast gesagt, dass Marteau eine Gehilfin suchte. Auf jeden Fall hast du so einer jungen Frau Angst erspart.“ „Ja, das mag sein.“ „Aber dich stört etwas?“ „Ja,“ gab sie etwas zerknirscht zu: „Ich weiß, ich bin unerfahren...“ „Und hast einen verflixt guten Instinkt. Denn, mein Engel, genau darüber denke ich seit Stunden nach.“ Jetzt hatte er ihr volles Interesse: „Was meinst du?“ „Wie gesagt, es war von Lothar nur zu logisch gedacht, sich an Außenstehende zu wenden. Davon sollte und dürfte niemand außer diesen beiden gewusst haben. Die Polizei versuchte seit geschlagenen drei Jahren Marteau etwas anzuhängen, ihn zu überführen. Das funktionierte nicht, ja, selbst Lothars Leute flogen auf und wurden ermordet. - Und plötzlich, aus dem Nichts, kommt ein Tipp an Lothar, der nicht nur stimmt, sondern ein Schiff mit einer Ladung benennt, die Marteau mehr als bloß in Schwierigkeiten bringt. Warum?“ „Ein sehr guter Tipp also, an den Leiter der kaiserlichen Polizei direkt.“ „Ja.“ Sie war ja am Hafen nicht dabei gewesen. „Und ich grübele die gesamte Zeit schon darüber nach, wer daran Interesse haben könnte, Marteau nicht nur auffliegen zu lassen, sondern jetzt.“ „Hm“ machte Sarifa: „Wenn du Recht hast und jemand Marteau ans Messer liefern wollte, dann müssen sich für den die Voraussetzungen geändert haben. Erst wusste er von den Handelsaktivitäten und es störte ihn nicht und jetzt wollte er sie beenden.“ „Ja, das wäre naheliegend. Womöglich hat er von den Ermittlungen der Polizei etwas mitbekommen, erst in der letzten Zeit, und hat beschlossen, den Doctor fallen zu lassen. Nur, wer? - Aber das wird Graf Uthers Sorge sein, nicht die unsere. Ich werde ihm jedenfalls von unserem Verdacht berichten. - Das und der Papierkram ist meine Sorge. Du darfst dagegen gleich nach Hause.“ Der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes seufzte unhörbar, als Michel ihm Bericht erstattete. „Ja, das klingt leider nur zu logisch. Nach drei Jahren vergeblicher Ermittlung gleich solch ein Durchbruch. Hm. Lothar sollte seinen Informanten befragen, von dem der Tipp stammte. - Nun, erholt Euch ein wenig. Wo kann man Euch finden, falls ich Euch brauche?“ Der Agent lachte auf: „Immerhin seid Ihr ehrlich. Ihr sucht mich nie, weil Ihr Sehnsucht nach mir bekommt.“ „Michel....“ Uther wand sich tatsächlich etwas: „Ihr kennt das Problem.“ „Natürlich. Und alles für den Kaiser, nicht wahr? - In drei Tagen werdet Ihr mich wohl bei Sarifa finden.“ Während er den mehr als irritierten Blick betrachtete, grinste er erneut: „Ihr ward anscheinend so freundlich ihr einen Übungsraum einzurichten und sie bat mich um...äh...Unterstützung. Ihr braucht keine Sorge um ihre Tugend zu haben – eher um mein Leben.“ „Ich würde es allerdings bedauern Euch zu verlieren.“ Aber erstmals lächelte auch der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes entspannt. Diese Entspannung hielt allerdings nicht sehr lange vor und als er nach drei Tagen Lothars, wenngleich mündlichen, Bericht hörte, wurde er nur noch nachdenklicher. Sein Verstand sagte ihm, was möglicherweise passiert sein konnte – aber etwas in ihm wollte und konnte es nicht glauben. Es half nichts. Er musste mit dem Einzigen reden, den das etwas anging und den er so lange kannte: seinen Bruder. So traf er den Kaiser zu einem scheinbar gemütlichen Frühstück auf einer Wiese unweit der Stadtmauern der Hauptstadt. Als sich die Diener weit genug zurückgezogen hatten, griff der Kaiser nach einem Backwerk und seufzte. „Dein Faible für derartige Treffpunkte wird immer eigenartiger.“ „Du wärst eher für die Gartenlaube oder mitten im Wald?“ Uther lächelte. „Dagobert, gerade du solltest wissen, dass man da leicht belauscht werden kann. Hier sehen wir jeden, der sich uns nähert schon in hundert Schritt Entfernung.“ „Noch schlimmer als sonst? Dankward ist auf seiner Seereise....“ „Ja. Dazu: Lothar hat in den Unterlagen Dr. Marteaus Buchungen gefunden, die er aber niemandem zuordnen konnte – oder wollte. Mir jedoch ist klar, dass es sich dabei um die Zahlungen handelt, die Dankward über seinen Kämmerer ausführen ließ. Er scheint jedoch soweit außer Gefahr zu sein – wenn er sich zukünftig von derartigen Dingen fern hält.“ „Das wird er,“ versprach der Kaiser ingrimmig: „Gott weiß, dass mir seit Jahren klar ist, dass der Junge bei weitem nicht so erwachsen ist, wie er es mit siebzehn sein sollte, oder es auch nur je werden wird...“ Immerhin wurde er mit vierzehn zum Ritter geschlagen und galt als waffenfähiger Mann: „...aber er gefährdet nicht nur sich sondern auch mich und das Reich. Das kann ich nicht mehr dulden.“ „Was hast du vor?“ „Hm. Wofür interessierten wir uns in seinem Alter?“ „Dagobert, wenn du dich daran erinnerst – du warst da seit zwölf Jahren Kaiser und wir schlugen diverse Aufstände nieder. Du kannst Dankward kein Militärkommando anvertrauen.“ „Natürlich nicht. - Er hat keine Interessen außer Frauen, Orgien und Drogen...Hm. Ich könnte ihn zu einem Bischof machen.“ Uther konnte nicht anders als loszulachen: „Diesen Satz würde so mancher fromme Kirchenfürst als Attacke gegen sich betrachten.“ „Nun, du weißt, was ich meine. Er hätte eine Stadt zum Verwalten, würde gewisse Verantwortung bekommen, aber immer noch dem jeweiligen König oder Stadtrat praktisch gleichgeordnet sein. Er könnte nicht viel anstellen. - Und, seien wir ehrlich, auch als Bischof könnte er angenehm leben. Ich möchte ihn nicht umbringen. Er ist mein Sohn.“ Und gerade sie, die so früh ihren Vater verloren hatten, ihn vermisst hatten, sehnten sich nach einer Vater-Sohn-Beziehung. Vier und sechs Jahre alt waren sie bei dessen Todgewesen, Dagobert dann nominell der Kaiser – und doch Spielball in der Hand mächtiger Könige und Städte. Ein Fürst hatte es letztendlich gewagt, Dagobert und Uther zu entführen, mit ihrer Ermordung zu drohen, sollte er nicht als Vormund eingesetzt werden. Selbst den kleinen Jungen im Kerker war zu diesem Zeitpunkt klar gewesen, dass dies nur der erste Schritt war. Würde der Fürst von Cuilin Vormund des kindlichen Kaisers werden, wäre es nur eine Frage der Zeit, ehe beide Jungen zufällig sterben würden und er sich selbst zum Kaiser ernennen konnte. Dann war etwas geschehen, mit dem niemand gerechnet hatte. Die Kaiserin, im gesamten Reich als dümmlich und bequem verschrieen, selbst ihren Söhnen eher als flüchtige Erscheinung bekannt, war durch die Entführung ihrer Kinder mehr als alarmiert worden. Und sie hatte es, unter Berufung auf die Taten von Vater, Großvater und Urgoßvater der Söhne, geschafft, Städte und Königreiche auf ihre Seite zu ziehen, ein Heer auf die Beine zu stellen. Und als Fürst Cuillin, erschreckt über das Heer vor seinen Mauern, seine Geiseln gesucht hatte, waren sie verschwunden gewesen. Ahnungslos darüber, dass ihre Mutter zum ersten Mal in ihrem Leben politisch agierte, hatten die Brüder einen Ausbruch durch die Latrinen der Burg beschlossen und gewagt – Uthers Idee und Dagoberts Planung. So konnte die erleichterte Kaiserinmutter ihre Söhne in die Arme schließen, während die beiden wiederum mehr als erfreut waren, ihre Mutter wiederzusehen, noch dazu in dieser Begleitung. Und einer der erfahrenen Krieger um sie hatte nur gesagt: „Ihr seid in der Tat der Sohn Eures Urgroßvaters, Hoheit.“ Das hatte sich zwar auf Dagobert bezogen, aber galt auch für Uther. Und bedeutete die Anerkennung der Kinder als Kaiser und seinen Bruder. Denn Urgroßvater und Großvater hatten das Reich in seiner derzeitigen Ausweitung geschaffen, Vater es bis zu seiner Ermordung vermocht es einigermaßen zu stabilisieren. Und danach hatten sich die jungen Brüder weiteren Aufständen gegenüber gesehen. Noch ehe beide fünfzehn und siebzehn waren hatten alle Zwei nicht nur getötet, sondern auch Männer in den Tod geführt, Städte erobert – und sich geschworen, so etwas nie mehr zuzulassen. Jetzt seufzte Uther ein wenig: „Nun, Dankward wird nicht sonderlich begeistert sein – oder doch. Ich gebe zu, ihn bei seiner Impulsivität nie so recht einschätzen zu können.“ „Sage ruhig Naivität. - Lothar wird mir sicher noch Bericht erstatten. Die Festnahme und Anklage gegen einen so großen Drogenhändler wird er mir kaum verschweigen wollen. Gibt es da noch etwas, was ich vorher wissen sollte?“ „Du meinst, ob er herausfinden konnte, wer deinen Jüngsten zu diesem Lebenswandel angestiftet hat und ihn auf Drogen brachte? Ich denke, nein.“ Der Kaiser musterte seinen Bruder: „Aber? Uther, du hast da etwas, von dem du weißt, dass es mir nicht gefallen wird – aber du wirst es trotzdem sagen. Also, mach es kurz.“ „Ich glaube nicht, dass es ein Mitglied seines Hofes war. Du hast bei seiner Volljährigkeit, seinem vierzehnten Geburtstag, verlässliche Männer ausgesucht, auch zuvor schon die Lehrer für ihn. Ich habe sie alle wiederholt überprüfen lassen. Dennoch muss es wer sein, dem er meint vertrauen zu können. Und der jetzt in der Lage war den Tipp auf Marteau zu geben.“ Der Kaiser versuchte nicht so zu tun, als ob er nicht verstanden habe: „Markward? Ich bitte dich. Ja, sie streiten sich öfter, schon um meine Nachfolge, aber ….“ Dagobert seufzte: „Markward könnte keine Intrige aushecken und wenn sein Leben davon abhing.“ Der Leiter des Geheimdienstes zuckte die Schultern: „Das ist mir bewusst. Ich frage mich nur, wer in Markwards Umgebung diesen und seinen Bruder beeinflussen könnte. Dankwards Begleitung ist auszuschließen, Markwards wurde bei weitem noch nicht so intensiv untersucht. Er hat eben den unauffälligeren Lebenswandel. - Deine Söhne sind beide, leider, nicht von übermäßig großem Verstand.“ Uther wollte nicht gerade sagen, dass sie eben nach ihrer Mutter kämen. Hitta war eine warmherzige, nette Frau gewesen – und Dagobert hatte sich bei ihr entspannen können, sie dafür geliebt, dass sie in ihm nicht den Kaiser sondern den Mann sah – aber klug war etwas anderes. Ihm war jedoch auch klar, dass sein Bruder um die Geistesschwäche seiner Söhne wusste und darum noch keinen von ihnen zum offiziellen Nachfolger ernannt hatte. „Markward ist noch immer auf Reisen und ich werde seine Umgebung überprüfen lassen. Jemand von dort müsste es sein, der so interessiert daran ist Dankward zu diskreditieren.“ Und da war auch die seltsame Bemerkung des Herrn von Bresse vor seinem Tod, dass er neue Freunde in hohen Kreisen bekommen würde – einen Freund des ältesten Kaisersohnes? „Nun, tue das. Und ich werde mich mit Kirchenkreisen in Verbindung setzen, um ein passendes Bistum für Dankward zu finden.“ „Daraus wird er allerdings, zu Recht, schließen, dass du ihn nicht als Thronfolger siehst,“ warnte Uther prompt. „Er wird keinen Aufstand wagen, so dumm...Nun gut. Ich werde ihm sagen, dass er solcherart zuerst in kleinem Rahmen Regieren üben kann, das sollte ihn ruhig stellen. - Noch etwas?“ Dagobert trank ein wenig Kaffee. „Ja. Eine..hm...delikate Sache.“ „Delikater als die, dass meine Söhne in Intrigen gegen das Reich verwickelt sind?“ „Anawiga.“ Der Kaiser erstarrte und ließ um ein Haar seine Tasse fallen: „Hast du sie bei etwas erwischt....?“ „Nein, diesbezüglich keine Sorge. - Ich sagte ja, delikat.“ Uther seufzte erneut: „Ich rede jetzt als dein Bruder, nicht als Leiter des Geheimdienstes, nicht als dein Kammerherr. - Du bist vor drei Jahren auf Staatsbesuch zu König Kasimir gereist. Als du zurückkamst, hattest du nicht nur die Handelsverträge dabei sondern eine neue Kaiserin. Nicht, dass ich dich nicht verstehen würde. Anawiga ist schön und klug,“ ergänzte er: „Aber du...nun, seien wir ehrlich, du wolltest keinen dritten Sohn, keinen Halbbruder für deine Zwei, um nicht Intrigen, ja, Bruderkrieg hervorzurufen. Ich finde, du solltest diese Entscheidung überdenken. Noch bist du nicht zu alt, um nicht die Erziehung eines weiteren Sohnes bis zu seiner Volljährigkeit erleben zu können. Und weder Dankward noch Markward wären würdige Nachfolger für dich, Vater, Großvater.“ Der Kaiser holte tief Atem: „Du schlägst mir allen Ernstes vor....?“ „Ich schlage dir vor, die Frau, die du geheiratet hast, auch in dein Bett zu holen, ja. Einen Versuch wäre es doch wert und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dich abstößt.“ „Eher im Gegenteil,“ gestand Dagobert, ehe er sagte: „Nun, ich gebe zu, dass ich mir in den letzten drei Jahren durchaus darüber im Klaren geworden bin, dass meine beiden Söhne nicht gerade als Nachfolger geeignet sind. Allerdings gab ich mich immer der Hoffnung hin, dass du...“ „Wir sind nur eineinhalb Jahre auseinander, Dagobert. Und Ehrgeiz war noch nie meine Sache.“ „Ich werde darüber nachdenken. Aber....es klingt so dumm, aber trotz aller ihrer Fehler und sonst etwas – ich mag meine Söhne.“ „Ich weiß.“ Uther dachte an den Auftritt Markwards, zum Glück war nur er anwesend gewesen, als sich der damals Achtzehnjährige lautstark darüber beschwert hatte, dass der Kaiser und nicht er Anawiga geheiratet hatte. Immerhin war sie nur wenig älter als dieser, kaum ein Jahr, und er hatte in ihr wohl eine passende Frau gesehen, nicht ahnend, dass auch sein Vater eine Liebesheirat eingegangen war. Denn nichts anderes war es gewesen, das den sonst so kühlen Dagobert dazu gebracht hatte, innerhalb von drei Wochen seine bisherige Idee, nach Hittas Tod unverheiratet zu bleiben, über den Haufen hatte werfen lassen. Dieser hatte seinem Ältesten nur sachlich erwidert, dass er ihm keinerlei Rechenschaft schuldig sei – ihn allerdings dann durchaus zur Vorsorge auf eine lange Bildungsreise durch das Reich geschickt, um Schwierigkeiten in Bezug auf die neue Kaiserin von Haus aus zu vermeiden. Auf dieser Reise befand sich der älteste Kaisersohn noch immer – und schien solchen Gefallen an der Sache gefunden zu haben, dass er noch keine Bitte um Rückkehr gesandt hatte. Das wiederum war eine Tatsache, die den misstrauisch gewordenen Uther nur noch mehr beunruhigte. Aber er war niemand, der seinen Bruder mit falschem Alarm aufschrecken wollte. Nutzte jemand seine Vertrauensstellung bei Markward aus, würde derjenige eben beseitigt werden, unauffällig. Auch, wenn es Uther hasste, zu derartigen Methoden zu greifen, so ordnete er stets seine persönliche Meinung der Staatsräson unter. Das hatte ihm nicht nur ein schweres Gewissen sondern auch manch schlaflose Nacht beschert – und den Verzicht auf ein Familienleben. Er hatte sich nur eine einzige Schwäche geleistet: eine einzige Frau in einem einzigen Leben.....und sie hatte bis zu ihrem frühen Tod verstanden, dass er sie nicht mit sich nehmen konnte. „Nun, ich habe dir meine Meinung gesagt, wie auch immer du entscheidest.“ „Ich weiß.“ Dagobert lächelte seinen Bruder aufrichtig an: „Und glaube mir, ich weiß zu schätzen, was du da für das Reich und mich tust und getan hast. Ich fürchte nur, so jemanden wie dich zu finden, wird jedem zukünftigen Kaiser schwer fallen.“ „Wenn wir beide gut gearbeitet haben, wird es zukünftig auch nicht mehr nötig sein. Immerhin gibt es seit über dreißig Jahren keine Aufstände oder Bürgerkriege mehr. Nur noch Meuchelmörder. Und auch das werden wir noch in den Griff bekommen.“ „Meuchelmörder erinnert mich daran – schon Nachricht in Bezug auf die Assassinen?“ „Ja. Sie leben noch immer in dem Dorf, das Großvater ihnen zuwies. Offiziell leben sie von Schafzucht und deren Produkten. Damit tauchen sie auch in den umliegenden Orten auf dem Markt auf. Umgekehrt besucht sie niemand, wohl eher aus Vorurteil als dass es berechtigte Gründe gäbe. Einer meiner Männer ging in das Dorf. Er gab an, aus dem Norden zu stammen und sich verlaufen zu haben. Sie gewährten ihm Gastfreundschaft und eine Frau begleitete ihn am nächsten Morgen bis zu der Straße in die nächste Stadt. Bis auf die Tatsache, dass auch alle Frauen sozusagen Männerkleidung trugen und bewaffnet waren, fand er es ein normales Dorf.“ „Konnte eine der umliegenden Städte oder Königreiche sagen, warum sie keine Kriege gegeneinander mehr machen? Drohen ihnen die Assassinen?“ Uther lächelte ein wenig: „Ich fürchte, sie brauchen nicht zu drohen. Ihre Anwesenheit genügt. Der Ruf ist Legende. Aber ich bin an der Sache dran.“ „Gut. Rede vielleicht auch einmal mit Sarifa. Privat, natürlich. - Noch eine schlechte Nachricht?“ „Nein.“ Die Brüder sahen sich an, ehe sie beide ihr Frühstück friedlich und schweigend beendeten. Anawiga war ein wenig nervös, das verriet ihr immer wieder zur Tür ihres Schlafzimmers gehender Blick. Der Kaiser hatte sich angekündigt. Nun, formell bat er stets um ihre Erlaubnis, aber ihr war klar, dass er immer kommen würde - und ihre Damen nur knicksen und ihn zu ihr lassen würden. Dennoch hielt er an der höflichen Form fest, wenn er mindestens alle vierzehn Tage sie zu einem Vier-Augen-Gespräch aufsuchte. Doch heute war es etwas anderes. Er war erst letzte Woche hier gewesen. Warum also wollte er heute mit ihr reden? War etwas geschehen? Sie konnte sich keinen Fehler ihrerseits denken, ja, sie hatte ihm doch froh berichtet, dass die Hebammenschule nun wirklich so gut angelaufen war, dass es in nur wenigen Jahren keine Stadt, keinen Marktflecken im Reich ohne eigene Hebamme geben würde. Dann sollte es in die Dörfer gehen. Auch die Sondierungen nach intelligenten Bauernkindern zumindest im Kernland war recht positiv gewesen. Sicher, das Schulwesen würde noch lange brauchen. Kinder wurden zur Feldarbeit benötigt und tagelang auf sie zu verzichten, würde gerade arme Leute schwer treffen, aber zumindest Sonntags sollte es möglich sein. Nein. Es konnte nicht um ihre Arbeit gehen. Worum allerdings dann? Und genau darum war sie ein wenig unruhig. Sie trug nicht mehr das steife Hofkleid sondern ein bodenlanges, ungeschnürtes Hemd mit einer ebensolangen Weste darüber, und plötzlich kam sie sich hilflos vor. Aber sich jetzt umziehen zu lassen würde das Gerede der Damen und des Hofes nur anstacheln, das wusste sie. Nein. Sie sollte ruhig bleiben. Niemand konnte ihr einen Fehler nachsagen, auch und gerade nicht im höfischen Alltag oder gar den Verdacht eines Seitensprunges auf sie lenken. Solange sie nicht in ihrem Schlafzimmer war, befanden sich stets mindestens zwei Frauen um sie, die der Kaiser ausgesucht hatte. Und selbst nun schliefen zwei vor ihrer Tür. Sie zuckte dennoch zusammen, als ihr Ehemann eintrat, verneigte sich jedoch eilig höflich vor ihm. Dagobert schloss die Tür: „Guten Abend, meine Liebe. Bitte, nehmt doch Platz.“ Das war wie immer und sie gestattete sich ein Aufatmen. „Guten Abend, Euer Hoheit.“ Er setzte sich ebenfalls und sah auf den Tisch: „Ihr habt Euch sicher gewundert, warum ich dieses Gespräch wollte – es geht um die Familie, meine Söhne, um genau zu sein.“ Das war schwer, dachte er. Aber dann erinnerte er sich an die Abende bei König Kasimir, an denen er mit dem König, dem Thronfolger und der jungen Prinzessin ohne Diener beisammen gesessen hatte – und irgendwann bemerkt hatte, dass nur er und Anawiga sich unterhielten, Kasimir und sein Sohn fast amüsiert zuhörten. Die Abende, in denen er sie schätzen gelernt hatte, so sehr, dass er sie als Ehefrau mitnahm. Nein. Sie würde es verstehen, ihn verstehen. „Wie Ihr Euch sicher entsinnt, sagte ich Euch in unserer Hochzeitsnacht, dass es unmöglich für mich wäre, einen dritten Sohn zu bekommen, und daher, trotz Eurer unleugbaren Schönheit darauf verzichten müsste.“ Ja, daran erinnerte sie sich nur zu gut. „Und nun?“ Was hatte sich geändert? „Nun bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es gerade gegenüber dem Reich unverantwortlich wäre, einen der beiden zum Thronfolger zu ernennen.“ Er atmete durch: „Falls....falls ich Euch nicht zuwider wäre, hätte ich gern einen Sohn von Euch.“ Anawiga holte tief Luft, ehe sie sagte: „Das liegt bei Euch, Ihr seid der Kaiser und mein Ehemann.“ „Würdet Ihr Euch weigern?“ „Ich dürfte es nicht.“ „Ich bin mir über unseren Altersunterschied im Klaren, Anawiga. Ich bin in Euren Augen ein alter Mann.“ Sie stand auf. „Gebt mir einen Moment...das...das kommt ein wenig plötzlich.“ „Natürlich.“ Dagobert seufzte innerlich. Er hatte das wohl alles falsch angepackt. Sie drehte sich zu ihm um. Sie schätzte ihn, seinen Verstand, seine Ehrlichkeit. Und dass er ihr jetzt wohl wirklich die Wahl ließ. Aber....ja, aber. So sehr sie in der Hochzeitsnacht bereit gewesen war, sich in das unvermeidliche Schicksal einer jeden Frau zu fügen, jetzt zögerte sie. Warum, dachte sie dann. Hatte sie nicht schon dagelegen und sich gefragt, ob es vielleicht doch an ihr läge? Sie ihm zu hässlich wäre? Er sah sie an, so – fast ängstlich? Sie straffte sich: „Ich werde Euch meine Entscheidung gleich sagen, Dagobert – aber, bitte, zuvor küsst mich.“ Dann würde sie wissen, ob sie seine körperliche Nähe als unangenehm empfinden würde oder nicht. Zumindest hoffte sie das. Der Kaiser stand langsam auf und trat zu ihr: „Bitte, nicht aus Pflichtbewusstsein,“ sagte er: „Ich möchte nicht erlitten werden.“ Sie lächelte etwas. Nein. Entweder ganz oder gar nicht. Graf Uther betrat am nächsten Mittag ein wenig beschwingt ein zweistöckiges Privathaus in einem gut bürgerlichen Wohnviertel Paradisas. Er war davon in Kenntnis gesetzt worden, dass der Kaiser sein Frühstück am Bett seiner Gemahlin eingenommen hatte, und dass der gesamte Hof vor Gerüchten nur so schwirrte, hatte er das doch nie zuvor getan. Ein Mann eilte im Erdgeschoss auf ihn zu: „Graf Uther! Ich hätte mir denken können, dass die junge Dame, deren Namen ich nicht weiß, in Euren Diensten steht.“ „Nun, Mario, du wirst es auch gleich wieder vergessen.“ Der Hausbesitzer war ein ehemaliger Agent des Geheimdienstes und bei der Liste, die Michel für mögliche Wohnungen Sarifas erhalten hatte, war auch diese draufgestanden. Verschwiegenheit war eine der wichtigsten Tugenden. „Natürlich. - Nun, die junge Dame ist nicht allein.“ „Lass mich raten: ein blonder Mann um die Dreißig?“ „Ja, das wisst Ihr also auch schon.“ Mario bewunderte den Geheimdienstleiter wirklich. Seiner Meinung nach wusste der immer alles. „Aber, wollt Ihr wirklich jetzt hochgehen...?“ „Oh, ich bin sicher, ich störe nicht.“ Der Hausbesitzer wagte das zwar zu bezweifeln, zog sich aber nur mit einer Verneigung zurück, als der Graf die Treppe emporstieg. Möglichst leise öffnete der die Wohnungstür – mit einem Schlüssel, den er besaß. Und fragte sich im nächsten Moment, ob er wirklich nicht stören würde. Da war ein Knarzen, ein Vibrieren, ein Aufstöhnen.... Allerdings aus dem so genannten Wohnzimmer, das er als Trainingsraum umbauen hatte lassen. So ging er möglichst leise weiter. Wann konnte man schon einmal einer der legendären Assassinen beim Üben zusehen? Er blieb im Türrahmen stehen. Sarifa trug ihre gewöhnliche Männerkleidung, beide Dolche an den Unterarmen. Sie atmete etwas heftiger, während Michel um sie schlich. Plötzlich trat er zu, brach die Bewegung aber sofort ab, ohne dass die junge Assassine auch nur gezuckt hatte. Mehrere Scheinangriffe folgten, während er um sie ging – nur, um dann doch einmal fest zuzutreten, gegen ihre Kniekehlen. Sarifa stürzte prompt nach vorn. Noch während des Falles jedoch ging sie in eine Rolle vorwärts, eine rasche Armbewegung ließ beide Messer fliegen. Michel wich zurück und musterte die Zielscheibe kritisch: „Gut. Einmal kampfunfähig, einmal tot.“ Sie sprang auf: „Zu langsam, oder? - Oh, Graf Uther.“ Schade, dachte der Ertappte: „Fleißig am Üben, wie ich sehe. - Ihr seid verletzt, Michel?“ Der deutete auf den blauen Fleck an seinem Hals: „Sie ist nur einmal etwas zu leicht durch meine Deckung gekommen. Nicht der Rede wert. - Einen neuen Auftrag?“ „Das weiß ich noch nicht. Und genau das macht mich besorgt. Ihr sollt nur jemanden unauffällig überwachen. Sein Name ist Alessandro Pisi. Er stammt aus Aquatica, einer selbstständigen Handelsstadt im Südosten. Er hatte schon einmal einen Aufstand gegen die Stadtregierung, den Stadtrat, angezettelt, wurde dafür und für Attentate auf diesen zum Tode verurteilt, konnte jedoch verschwinden. Jemand glaubt nun, dass er ihn wieder in der Stadt gesehen hat. Für weitere Informationen kommt bitte beide mit mir.“ Kapitel 12: Aquatica -------------------- Der Weg in das südöstliche gelegene Aquatica dauerte selbst mit der anstrengenden Schnellkutsche mit allen zwei Stunden Pferdewechsel und nächtlicher Fahrt über eine Woche – genug Zeit, dass Michel sich die Unterlagen durchsehen und auch seine Partnerin darin einweihen konnte. „Aquatica ist, wie Lavinia, einer der Schlüsselhäfen des Kaiserreiches für den Handel über das Südmeer. Allerdings gibt es einen bemerkenswerten Unterschied in diesen beiden durch die Geschäfte reich gewordenen Städten. In Lavinia regiert eine Oligarchie aus Handelsherren, die immer wieder durch Wahlen bestätigt werden. Ihr Interesse liegt vornehmlich im Handel, aber auch die, sagen wir, einfachen Leute können damit gut leben, werden doch auch Hafenarbeiter, Lieferanten, Kutscher und so weiter gebraucht. In Aquatica dagegen regieren im Endeffekt nur zwei Familie, die einander auch noch spinnefeind sind. Meuchelmörder sind da an das Tagesordnung. Und beide Clans achten sehr darauf, dass ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte herrscht, sprich, beide gleich verdienen. Die einfache Bevölkerung ist weitaus ärmer als in Lavinia, da es weniger Konkurrenz gibt.“ „Und der Kaiser greift nicht ein?“ „Nein, das tut er nie in die Belange einer Stadt oder eines Königreiches, nur, wenn das gesamte Reich gefährdet ist. Oh, du kennst die Geschichte des Reiches nicht so?“ Und da die Assassine den Kopf schüttelte: „Der Urgroßvater und Großvater von Kaiser Dagobert und Graf Uther, haben in langen Kriegen das Reich so geschaffen wie es heute ist, also auch dieser Größe. Sagen wir ruhig, mit Schwert und Flammen. Gegen Ende seines Lebens wurde Kaiser Lothar, also, dem Großvater, klar, dass sich das reich stabilisieren musste, nicht mehr vergrößern, und überlegte sich einiges, das sein Sohn, Kaiser Merowin, dann fortführte. Das Reich war zu groß geworden, als dass der Kaiser alles bis ins kleinste Detail regeln konnte. So setzte gerade Merowin auf die kleinen, örtlichen Häuptlinge, Könige und Städte, die sich selbst verwalten sollten. Damit entmachtete er natürlich auch die großen Herzöge, die bislang immer über mehrere Kleinkönigreiche geherrscht hatten. Es kam zu Aufständen. Als Kaiser Dagobert sechs Jahre alt war, Uther vier, wurde ihr Vater ermordet. Es waren sehr unruhige Zeiten. Um es kurz zu machen, es gelang ihrer Mutter und ihnen, die kleinen Könige und Städte auf die Seite zu bekommen, die durch diese Selbstständigkeit nur gewinnen konnten und wohl auch keine Lust verspürten, dass ihnen jemand genau auf die Finger sah. Der letzte Aufstand wurde niedergeschlagen, als Kaiser Dagobert zwanzig wurde. Seit siebenunddreißig Jahren herrscht nun Frieden im Reich, wenn auch um den Preis, dass es nicht immer in allen Städten und Königreichen optimal läuft.“ „Dann hatten die beiden eine sehr unruhige Kindheit.“ „Nenne es eine blutige. Ich glaube, Dagobert war noch nicht vierzehn, als er selbst das Todesurteil gegen seinen Cousin unterschrieb. Seine Mutter als Regentin hatte für Milde plädiert, war er doch ihr Neffe, aber Maxim hatte da schon den dritten Aufstand gegen Dagobert verloren....Nun ja. Immerhin durfte sein Sohn leben bleiben.“ „Dass solche Männer immer Söhne haben,“ entfuhr es Sarifa. „Konstantin wurde Bischof. Er lebt reich und zufrieden in einer Stadt...oh, hier in der Nähe. Und in seiner Stadt kann er treiben, was er will, er hat also auch Macht. - Zu unserem Fall. In Aquatica gibt es wie gesagt, zwei Familien, die sich um die Macht und den Reichtum streiten, ohne groß etwas davon abzugeben. Dagegen wandte sich Alessandro Pisi, den wir überwachen sollen. Da er allerdings Mitglieder der Familie ermordete, wurde er gefasst und sollte hingerichtet werden, konnte aber entkommen. Das war vor vier Jahren. Jemand von Graf Uthers Leuten ist sich allerdings sicher, ihn gesehen zu haben und alarmierte den Grafen. Der schickt uns nun, um das zu überprüfen. Es wird nicht einfach in einer so großen Stadt jemanden zu finden, der sich nicht finden lassen will. Immerhin habe ich die Straße, in der er ihn gesehen hat. Und die liegt in einem Wohnviertel. Mit etwas Glück wohnt Pisi dort.“ „Was sollten wir mit ihm machen? Ich meine, wenn er gegen Ungerechtigkeit steht....“ „So ist das sehr nett und wenn er nur Reden geschwungen hätte, meinetwegen Demonstrationen angezettelt hätte, hätte ja keiner was dagegen gesagt, nun ja, die zwei Familien vielleicht. Aber bei Mord hört es auf. Und, wenn er wieder zurück ist, so deutet das darauf hin, dass er ein Ziel hat, etwas vorhat, das ihm so wichtig ist, dass er dafür sein Leben riskiert. Hier, übrigens. Das ist ein Bild von ihm, eine Skizze.“ Sie nahm es: „Es dürfte höchstens so alt wie du sein. - Übrigens, wir haben auch schon getötet.“ „Ja, aber wer in seinen Methoden nicht wählerisch ist, sollte es in seinen Zielen sein, nicht, meine Sachlichkeit?“ „Das ist wahr. Und das unterscheidet auch Assassinen von Meuchelmördern.“ „Was genau eigentlich?“ Sie wollte schon um ein Haar auffahren, ehe sie bemüht nüchtern sagte: „Gib mir Geld und ich töte die Zielperson, so handhaben es die Meuchelmörder. Dabei ist es ihnen gleich, wer das Ziel ist oder wie sie morden. Ein Assassine dagegen wird nie Geld nehmen für einen Toten. Und es ist eine Sache der Ehre jemanden in die Augen zu sehen, während man ihn tötet. Kein Assassine mordet von hinten oder durch eine Falle, sondern riskiert, bei der Durchführung der Tat selbst getötet zu werden.“ Michel dachte an den toten Meuchelmörder im Schloss der Nonpareils – von vorn. „Assassinen spielen also immer fair? Woher dann der Ruf? Nun ja, eure Ausbildung gibt dem anderen auch kaum Chancen.“ „Möglich. Aber ich kenne mehrere Geschichten, in denen sich meine Verwandten von einem Ziel zurückzogen, weil die Gerüchte um es nicht stimmten. Sie hätten ihm nicht in die Augen sehen können.“ „Das heißt, man kann einen Assassinen nicht kaufen, er entscheidet selbst, wann und wen er tötet? Warum hast du dich dann Graf Uther angeschlossen?“ „Er erteilt keine Mordbefehle. Er weiß, was wir sind und dass wir kaisertreu sind. Aber er suchte eine Spionin.“ Mit durchaus anderen Möglichkeiten, aber das erwähnte er lieber nicht. So offen war sie selten. „Hm. Nur mal so angenommen, mein Engel, jemand würde mich umbringen – würdest du dich bemüßigt sehen, den als ...dein Ziel zu nehmen?“ „Du bist mein Partner.“ Michel überlief ein gewisser Schauer bei diesem Tonfall – aber durchaus zufrieden meinte er: „Dann kümmern wir uns mal um Aquatica und diesen Pisi.“ „Ich kenne übrigens jemanden in Aquatica.“ „Oh. Und wen?“ „Tante Anna. Sie heiratete einen Künstler aus dieser Stadt.“ „Sie stammt aus deinem Dorf.“ „Sie ist eine Assassine, wenn du so nicht fragen willst. Und sie wird mir helfen.“ Michel wollte schon fragen, ob sie ihrer Tante vertraute, aber er ließ es sein. Sie hätte sie kaum erwähnt, wäre sie sich ihrer nicht sicher. Und was wusste er schon von Assassinen unter sich. So meinte er: „Das könnte in der Tat hilfreich sein. Dann suchen wir sie auf, sobald wir in einem Gasthof untergekommen sind – oder nein, vorher schon. Vielleicht kann sie uns einen empfehlen. - Wir werden auf jeden Fall als Ehepaar auftreten. Einen Plan kann ich erst vor Ort machen. Auf jeden Fall müssen wir Pisi auftreiben.“ „Wie heißen die beiden regierenden Familien?“ „Pagnotta und Cosa.“ Die junge Assassine nickte und merkte sich diese Namen, ehe sie aus dem Fenster der Kutsche blickte. Dunkle Zypressen standen vor einem blauen, wolkenlosen Himmel und sie fühlte sich an zuhause erinnert. Von hier aus wäre es nur noch gut eine Woche.... Aquatica war nur zur Hälfte von einer Stadtmauer umgeben – auf der anderen Seite lag das Meer und der Hafen wurde durch Türme und vorgelagerte Molen geschützt. Sarifa fragte einige Male, ehe sie das Haus des Künstlers don Leon fand, ein kleines, schmales Gebäude in einem Wohnviertel. Michel blieb an ihrer Seite, sich ebenso wie sie umsehend. Rechter Hand war eindeutig das Atelier, dort stand ein Mann um die Fünfzig an einem Porträt, links befand sich wohl die Küche der Familie, denn eine rundliche Frau desselben Alters rührte dort in einem großen Kessel. „Tante Anna...“ sagte Sarifa Diese fuhr herum, grübelte für einen Moment sichtlich. So meinte die Assassine: „Ich bin Sarifa.“ „Himmel, ja, Mädchen, ich hätte dich nicht erkannt. Bist du groß geworden!“ Die Dame schoss förmlich auf ihre Nichte zu und umarmte sie, ehe sie leise fragte: „Er...?“ „Er ist mein Partner.“ „Oh.“ Das temperamentvolle Benehmen der Tante fiel abrupt von ihr ab: „Kommt. Habt ihr Gepäck? Ja? Schnell.“ Michel holte die Koffer, die sie im Vorraum stehen gelassen hatten. Als er nur eine Minute später zurückkehrte, sah er mit gewisser Überraschung, wie Donna Anna eine zuvor unsichtbare Tür öffnete, die zu einem wohl geheimen Raum führte. Sie entzündete dort Kerzen. Sarifa folgte ihr ohne Zögern und so auch der kaiserliche Agent. Anna schloss die Geheimtür: „So, hier seid ihr sicher und könnt erst einmal bleiben. Dort, hinten ist eine Latrine. Ich sage Leon Bescheid, wenn er seinen Kunden los ist.“ Sie bemerkte, dass Michel stutzte: „Oh, du kannst ihm vertrauen, Junge. Er ist nicht nur mein Mann sondern mein Partner.“ Zum ersten Mal bekam Sarifas Ausbilder das eigentümliche Gefühl, dass unter Assassinen ein „Partner“ etwas ganz anderes war als im kaiserlichen Geheimdienst. Aber dazu sollte er besser schweigen. Das war für ihn fremdes Gebiet. So nickte er nur. Anna verschwand und er sah sich um. Ein breites Lager, ein Tisch, vier Stühle – ein recht bequemes Versteck, dachte er. Sarifa setzte sich: „Hier sind wir erst einmal sicher.“ „Ja,. Ich hätte nicht gedacht, dass Assassinen über solche Kontakte verfügen,“ gab er zu, ehe er sich einen Stuhl heranzog. „Du wusstest ohne mich ja nicht einmal, dass es uns gibt.“ Aber sie lächelte: „Hoffentlich kann Onkel Leon uns weiterhelfen.“ „Nun, auf jeden Fall haben wir ein Dach über dem Kopf.“ Eine halbe Stunde später kamen Anna und Leon in den geheimen Raum. „Willkommen, Sarifa,“ sagte der Hausherr. „Und, wie darf ich dich nennen?“ „Michel.“ Der Agent hatte sich entschlossen Sarifas Familie in gewissen Grenzen zu vertrauen. Die beiden setzten sich zu ihren Gästen. „Ich werde euch dann essen und trinken besorgen,“ meinte Anna: „Aber zuerst das Wichtige. Ihr habt hier ein Ziel?“ „Ja.“ Sarifa sah seitwärts: „Das Bild...“ Michel zog die Skizze hervor: „Sein Name ist Alessandro Pisi.“ Er bemerkte die Reaktion: „Ja, er wurde hier zum Tode verurteilt, soll aber wieder in Aquatica sein. Und das bedeutet, dass er etwas vor hat. Er wurde in einer Straße gesehen, der Strada Barona. Womöglich wohnt er dort.“ „Hm.“ Leon dachte nach. „Das ist nicht gerade ein gutes Wohnviertel. Viele kleine Wohnungen für arme Leute. Sehr viele Wohnungen. Gut, um sich zu verstecken. Kann ich das Bild haben? Ich werde mal einen Freund ansprechen. Aber das wird schwierig.“ „Dessen bin ich mir bewusst.“ Michel reichte die Skizze hinüber: „Das Problem ist, dass er sicher hier etwas plant, sonst würde er nicht das Risiko eingehen.“ Anna nickte: „Und das sollt ihr verhindern, oder? Gut. Leon kümmert sich darum. Und ich versorge euch. Wenn wir mehr wissen, könnt ihr dann auch weitermachen. Bis dahin wird niemand wissen, dass ihr hier seid.“ „Danke, Tante,“ meinte Sarifa und Michel gleichzeitig: „Danke, donna Anna, don Leon.“ Der Hausherr hob die Hand: „Schon gut. Ich mache mich gleich auf den Weg zu meinem Freund.“ „Wird der sich nicht wundern?“ erkundigte sich Michel dann doch. Leon lächelte: „Ich habe einen wunderschönen Charakterkopf gesehen und skizziert – nun möchte ich den Besitzer dieses Gesichtes fragen, ob ich ihn malen darf. Künstler gelten als exzentrisch, Michel. Das ist durchaus ein Vorteil. Es ist bedauerlich, dass ihr in diesem Raum bleiben müsst, aber die Geheimpolizei des Rates beobachtet Fremde genau. Es steht zu erwarten,dass sie euch suchen, wenn ihr durch das Stadttor kamt, aber in keinem Gasthof abgestiegen seid.“ Das erschwerte die Sache. In Lavinia war es einfacher gewesen, die Stadt offener. „Und wenn wir eine Wohnung mieten?“ „Ja, das wäre sicher am günstigsten. Allerdings werdet ihr doch dort wohnen wollen, wo auch eure Zielperson ist. Und einige Tage werde ich benötigen.“ „Natürlich,“ gab der Agent zu: „Ich wollte nicht undankbar erscheinen.“ „Dann mache ich mich an die Arbeit, Anna, Liebes, besorgst du ihnen etwas zu essen?“ „Natürlich,“ meinte diese: „Ich kann euch immer nur abends etwas bringen, untertags sind unsere Dienstboten und Leons Schüler und Kunden im Haus, da ist es zu unsicher. - Wenn du magst, übe ich mit dir, Sarifa. Oh, nein. Ich vergaß. Du hast ja mit deinen Brüdern bei den Männern gelernt.“ „Ja,“ gab die junge Assassine zu: „Aber danke, Tante. Und ich habe wirklich Hunger.“ Nach dem Essen, bei dem donna Anna ihnen Gesellschaft leistete, zog sie sich zurück – bis morgen Abend. „Ich glaube, Leon hat dann etwas, er ist nicht ungeschickt,“ meinte sie noch: „Wasser steht hier, die Latrine ist dort.“ Michel wartete, bis sie weg war, ehe er leise sagte: „Assassinen sind in der Tat immer für eine Überraschung gut.“ „Was meinst du?“ „Niemand, der diese rundliche, quirlige Frau sieht, würde sie für eine halten.“ „Hast du gedacht, alle Mitglieder meines Volkes seien jung? Überdies darfst du nicht vergessen, dass die Tante seit Jahren hier lebt und kaum mehr in Übung ist, dafür aber stets unter Tarnung. Sie hat sich und Onkel Leon eine Existenz geschaffen, nach der sie leben. Nur in familiären Fällen werden sie...geweckt?“ schlug sie vor, da sie nicht wusste, wie sie das nennen sollte. „Auch wieder wahr. Und du hast mit den Männern geübt, weil du eben den Bären getötet hast, das hast du mir mal erzählt.“ „Ja. Frauen lernen in aller Regel nur Selbstverteidigung mit den Messern, nicht jedoch die Spionageseite.“ „Ich bin ganz froh drum,“ meinte er mit einem Lächeln: „Dann machen wir es uns hier bequem. Es wird langweilig werden, die nächsten Tage, aber das gehört dazu. Und ist auch die größte Gefahr.“ „Du kannst mir ja weiter etwas beibringen,“ schlug sie vor und ging zu ihrem Koffer. „Gut. - Dieses Lager dürfte für uns beide reichen.“ „Ja.“ Etwas erleichtert, dass er nicht auf den Boden verbannt wurde, stand er auf. Nach zwei mehr oder weniger langweiligen Tagen in dem geheimen Zimmer, kam abends don Leon mit einem strahlenden Lächeln, hinter seiner Frau mit dem Essen herein. Die beiden Agenten merkten auf. „Esst nur,“ meinte der Hausherr: „Dabei kann ich es euch erzählen.“ Er wartete, bis sie gehorchten: „Ich habe ihn gefunden. Er sieht fast wie auf der Skizze aus und wohnt in einem Mietshaus in der Strada Barone, gemeinsam mit einer Frau. In dem gesamten Haus sind einzelne Zimmer vermietet, insgesamt über dreißig. Es ist ein dreistöckiges Haus,. An die Nachbarhäuser gebaut, die ähnlich aussehen. Zumeist leben zwei oder mehr Personen in solch einer Unterkunft. Wie erwähnt, keine gute Wohngegend. Die Frau, mit der er zusammenlebt ist ungefähr sein Alter, also so alt wie du, Michel, um die dreißig. Sie ist dunkelhaarig, braune Augen und stammt wohl nicht aus der Stadt hier, denn sie heißt Nica Niamh.“ Michel lächelte ein wenig: „Ihr seid ein wenig unkorrekt, don Leon. Sie nennt sich Nica Niamh, nicht wahr?“ Dieser gab das Lächeln zurück: „In der Tat, Junge. Ich kenne keine Gegend des Reiches, in der man so heißt. Aber, was euch am meisten freuen wird: es gelang mir für euch ein Zimmer in diesem Haus zu mieten. Ab morgen. Der Hausherr kassiert die Miete immer in bar am Beginn der Mietwoche, also morgen. Sieben Gulden die Woche. Wie gesagt, keine gute Gegend.“ Sarifa, die das in der Hauptstadt als Miete für den Unterstand ihres Pferdes bezahlte, zuckte die Schultern: „Das ist gleich, Hauptsache, wir kommen an ihn und sie heran.“ Dann bemerkte sie, dass sie ihrem Ausbilder vorgegriffen hatte und sah beiseite, aber Michel nickte nur: „In der Tat, meine Sachlichkeit. Danke, don Leon, Ihr habt uns einen großen Gefallen getan.“ „Keine Ursache.“ So zogen die beiden am folgenden Tag in betont einfacher Kleidung in das Zimmer ein, das schlechter war als das Geheimversteck von Tante Anna – zwei Strohsäcke bildeten die einzige Einrichtung und eine Latrine befand sich im Hof – eine für alle Menschen in den dreißig Zimmern oder eher Unterkünften, denn in manchen hausten Menschen mit mehreren Kindern. Michel sah sich ein wenig um. Die Fensterläden waren geschlossen, aber Licht und Wärme drang durch die Astlöcher darin. „Na, der Vermieter scheint ja keine Unkosten zu scheuen. - Egal. Wichtiger ist, dass wir im gleichen Stock wie Pisi und seine Freundin sind und noch besser, näher an der Treppe, so dass wir sie beobachten können.“ „Wird ihnen nicht auffallen, wenn unsere Tür immer einen Spalt offen ist?“ „Das würde ihnen auffallen, wenn sie keine Anfänger sind, ja. Aber ich werde in Sitzhöhe ein Loch in die Tür bohren, so dass wir abwechselnd hinaussehen können. Vor allem du, denn ich werde unter dem Vorwand Arbeit finden zu wollen, durch die Stadt bummeln. Erstens erklärt das unsere Anwesenheit gegenüber dem Sicherheitsdienst des Rates, zum zweiten – vielleicht höre ich, was Pisi hierher zurückgetrieben hat. Du beobachtest nur und schreibst auf. Vielleicht empfangen sie Besuch oder haben andere Angewohnheiten.“ Sarifa nickte nur. „Das klingt ein wenig langweilig, aber...“ „Genau, aber. Langeweile ist etwas, dass in unserem Beruf nie aufkommen darf. Man übersieht dann leicht etwas – und wenn Pisi hier jemanden umbringt oder sonst was anstellt geht das auf unser Konto.“ „Das ist mir klar. Wie sieht es mit einkaufen aus?“ „Ich bringe was mit. Wenn wir etwas mehr wissen, gehst du einkaufen, auf den örtlichen Markt oder so. Vielleicht ebenso wie Nica.“ Michel verschwand, nachdem er das Loch gebohrt hatte. Erst mehrere Stunden später kam er zurück und klopfte, ehe Sarifa ihm öffnete: „Oh, mein Schatz,“ sagte er zur Begrüßung. Hinter verschlossener Tür wurde er sachlicher: „Was Neues?“ „Pisi ging einmal weg und kehrte bislang nicht zurück. Von einer Frau auf die Onkel Leons Beschreibung passt sah ich nichts.“ „Hm. Ich übernehme die Wache – leg dich ein wenig hin. Eine Arbeit habe ich nicht gefunden, aber dafür dürften die Leute des Geheimdienstes einen langweilige Zeit verbracht haben.“ „Du wurdest beobachtet?“ „In der Tat. Und ich frage mich, ob der Kaiser, Nicht-Einmischung hin oder her, es nicht bemerkenswert findet, wenn eine Stadtverwaltung derart viel Personal in ihre Sicherheit steckt statt in den Aufbau der Sozialstrukturen. Aber darüber muss nicht ich entscheiden.“ Er setzte sich an die Tür: „Übrigens ist jeden Morgen Markt – gleich um die Ecke. Da kannst du hingehen und uns etwas besorgen.“ „Kochen kann man hier ja leider nicht.“ Nun gut, es gab einen gemeinsamen Herd für alle unten im Hof, aber Sarifa vermutete schwer, dass das nichts für sie wäre. Sie sollten behutsam und unauffällig vorgehen. Zwei Tage später kam Michel von seinen Erkundigungen fast aufgeregt zurück und seine Partnerin sah ihn an: „Hast du was?“ „Ja. Du auch?“ „Ja. Nica ging heute und gestern immer um neun Uhr zum Markt. Das heißt...“ ergänzte sie korrekt: „Sie ging weg und als sie wiederkehrte war ihr Korb mit Brot und Obst voll. Pisi dagegen blieb drinnen.“ „Gut. Dann entwickeln sie eine Angewohnheit. Das mag uns noch nützlich sein. - Ich habe herausgefunden, dass in den nächsten Tagen hoher Besuch erwartet wird. Markward.“ „Der älteste Sohn des Kaisers? Ah ja, es hieß ja, er reise durch die Provinzen.“ „Ja. Und das könnte durchaus der Grund sein, warum Alessandro Pisi hierher zurückkehrte. Sicher, der Kaiser mischt sich nie ein, aber die Ermordung seines Sohnes könnte da schon etwas bewirken. - Komm mit. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Mit einem wohlverborgenen Lächeln bemerkte er, dass die Assassine sich ihr Haar ordnete, ehe sie mit ihm hinaustrat. Auch dieses Volk war wohl nicht von weiblicher Eitelkeit verschont. „Weißt du, mein Engel, es gibt Dinge, die du weitaus besser kannst als ich.“ Damit hatte er sie neugierig gemacht. Kapitel 13: Spaziergang ----------------------- Was ein Partner für einen Assassinen bedeutet, wird Michel erst später herausfinden – und damit ihr... Spaziergang Während Sarifa an Michels Arm durch die Straßen von Aquatica ging, konnte sie nicht umhin, einen Vergleich mit Paradisa, der Hauptstadt des Reiches, aber auch Lavinia und den beiden kleineren Städten, die sie im Süden mit ihrem Vater besucht hatte, anzustellen. Auch dort hatte es ärmere Stadtviertel gegeben und Stadtpalais im Zentrum, aber nie zuvor war ihr der Unterschied so abrupt vorgekommen. Gerade in der Hauptstadt lagen die großen Häuser der Reichen zwar nahe des kaiserlichen Palastes, aber dann folgte ein weiter Ring aus mehr oder weniger großen Häusern, in denen Händler aller Gattungen, Hofbeamte und andere durcheinander lebten, manche Häuser besser, andere weniger üppig ausgestattet. Nur direkt am Flussufer befanden sich wirklich ärmliche Katen. Auch in den beiden Städten im Süden hatte es diese breite Übergangsschicht der Häuser gegeben. Hier traf sie zum ersten Mal auf einen scharfen Kontrast. Die Viertel, die sie durchschritten, waren alle wie das, in dem sie untergekommen waren, maximal so wie das, wo Tante und Onkel lebten. Das war wohl direkt schon ein gutbürgerlicher Stadtteil. Was die junge Assassine dann wirklich schockierte, war die Tatsache, dass sie an eine breite, mit Bäumen bepflanzte Straße kamen, hinter der sich der Kern der Stadt befand – und damit große Palais, breite Straßen, Vorgärten. Sie sah seitwärts: „Ein hübsches Stadtzentrum,“ sagte sie und spürte den warnenden Händedruck ihres Partners. Sie hatte die beiden Verfolger ebenfalls bemerkt – waren sie als Fremde besonders verdächtig oder wurde jeder so überwacht? So änderte sie den eigentlich geplanten Satz um in: „Hast du dort schon nach Arbeit gefragt?“ „Nein, das wäre sinnlos, mein Schatz. Dort befindet sich nur das Rathaus und die Häuser der Familien, die Aquatica regieren. Da kommt man als Fremder nicht so rasch hinein. Ich habe es hier....“ Er deutete herum: „Versucht. Hier sind Händler und so, die wohl einen Schreiber suchen sollten. Leider hat mich noch keiner genommen. - Oh, sieh nur, dort können wir uns etwas hinsetzen.“ Er wies auf eine kleine Weinstube am Rande der Paradestraße, die um diese Tageszeit praktisch leer war – zu spät für die Mittagspause, zu früh für ein Abendessen. Zufrieden bemerkte er, wie ihre „Schatten“ Abstand hielten und draußen blieben, als sich die beiden Agenten setzten. Er bestellte zwei Gläser des hier üblichen Wein-Wassergemisches bei der vielleicht vierzigjährigen Besitzerin. Während diese einschenkte, fragte er leise: „Hast du unsere Begleiter gesehen?“ Eine kleine Prüfung durch ihren Ausbilder? Aber sie erwiderte korrekt: „Zwei. Einer der dort draußen, der anscheinend sehr angelegentlich Zeitung liest, der zweite ist verschwunden.“ „Sehr gut. - Wir werden an dieser breiten Straße weitergehen. Nur kurz, dann gelangen wir auf den Rathausplatz, der auch als Marktplatz für Gewürze und andere Fernhandelsgüter gilt. Das wird alles direkt hier um Zentrum verhandelt, nicht auf den kleinen Märkten, die sich nur von hier versorgen können.“ Sie brauchte nicht zu raten, wer daran am meisten verdiente. „Ist dort jetzt Markt?“ „Nein. Stets nur Freitags, dann jedoch den ganzen Tag. - Danke, Wirtin. Soll ich Euch gleich bezahlen?“ „Das wäre freundlich.“ Dann könnte sie hinten aufräumen und müsste nicht aus Sorge um ihre paar Münzen die Gäste bewachen. Michel, der nichts anderes hatte erreichen wollen, wartete, bis sie in der Küche verschwunden war, ehe er leise meinte: „Pass auf, mein Engel. Markward wird durch das Stadttor kommen, mit seiner Begleitung, sicher zu Pferd und diese breite Straße entlangreiten, nachdem ihn Leute des Rates am Tor begrüßt haben. Dann wird er hier weitergeführt werden...“ „Noch immer zu Pferd?“ „Ja. - Zum Marktplatz. Dort wird ihn der gesamte Rat erwarten, vermutlich mit Frauen. Er wird absteigen, das erfordert die Höflichkeit. Der Bürgermeister wird reden, dann Markward, dann gehen sie zusammen in das Rathaus. Entweder er wird dort übernachten oder bei einem der Familienoberhäupter. Ich vermute allerdings, da sie immer vollkommen gleich stehen wollen, dass sie ihn im Rathaus lassen. Und jetzt die Frage an die Fachfrau: wo könnte Pisi ein Attentat auf Markward durchführen?“ „Nett, dass du mich mit einem Meuchelmörder vergleichst!“ fauchte sie prompt. „Sarifa...du weißt, was ich meine.“ Immerhin hatte sie noch keinen Dolch gezogen. Sie lernte dazu. Nun ja, sie hatte keine dabei, um harmloser zu erscheinen.... Ja, das stimmte und so dachte sie nach: „Wenn er auf dem Pferd sitzt ist ein direkter Angriff mit einem Messer schwer. Außerdem dürften einige Bürger dastehen und zusehen, so dass nicht gesagt ist, dass man durchkommt, wenn man es möchte. Allerdings wären Pfeil und Bogen von einem der Häuser aus eine Alternative...“ „Du baust mich gerade auf. Wir können unmöglich die gesamte Straße bewachen.“ „Das ist mir klar. Ich war aber noch nicht fertig. Ein weitaus sicherer Angriff ist möglich, wenn er absteigt, während der Reden. Da bewegt sich niemand. Und man kann mit Messer oder Pfeil besser zielen.“ „Also der Rathausplatz? Nun, den sehen wir uns dann mal gleich an. Das Rathaus selbst ist allerdings bewacht.“ Er bemerkte, dass die Assassine die Schultern zuckte: „Pisi ist so gesehen ein normaler Mann, er hat weder Kriegerausbildung geschweige denn deine.“ „Ja. Aber bei einem Spaziergang hier durch die Stadt denke ich fast, dass er Recht hat, die Umstände hier anzuprangern.“ „Wenn er es dabei belassen hätte....Es gab schon Tote. Und es ist nicht unsere Aufgabe seine Motive zu loben sondern womöglich dem Sohn des Kaisers das Leben zu retten.“ „Ja.“ Sarifa war das klar: „Dann gehen wir.“ Der Rathausplatz war eine ebene, gepflasterte Fläche, die sich mit zwei Stufen von den umliegenden Straßen abhob. Spätestens hier musste Markward absteigen. Einige Menschen gingen dort momentan ihren Geschäften nach oder spazierten darüber. „Das ist das Rathaus von Aquatica!“ Michel deutete auf ein neues hell gestrichenes Gebäude mit oben spitz zulaufenden Fenstern und Türen, dessen Simse und Öffnungen rot angestrichen waren. Das große Dach zeugte von einer weiten Ausrichtung auch in die Tiefe. Sieben breite Stufen führten zu dem Eingang. Das Ganze war teuer gewesen und bewies den Reichtum der Stadt. Nun ja, Teilen der Stadtbevölkerung, dachte Sarifa zynisch, sah sich aber scheinbar bewundernd um. Der Platz war eng mit Häusern umstanden, die sicher auch nicht gerade armen Leuten gehörten, aber älter als das Rathaus waren. Anscheinend waren einige innen nun mit Durchgängen versehen, da sie kein Portal zum Platz entdecken konnte Die ursprünglichen Eingänge waren wohl zugemauert worden, um repräsentativere und modernere Wohngebäude zu schaffen. Nur eine einzige Baulücke fiel ihr auf, aber als sie genauer hinsah, entdeckte sie den Grund. Ein wenig nach hinten versetzt führte eine alte Holztreppe am Haus empor, bis zu einer Tür in das Ziegeldach. Dort oben musste sich einst der Lagerraum der Handelsleute befunden haben. Das erklärte ihr jetzt auch die hier üblichen Löcher an der Giebelfront um den Platz. Dort war wohl ursprünglich ein Kran angebracht gewesen oder auch eine weitere Tür. „Gehen wir hinüber in den Schatten?“ schlug sie vor. „Natürlich, mein Liebes..“ Michel nahm an, dass sie einen guten Grund für die Bitte hätte, und begleitete sie höflich zu den Häusern, sich dabei unter den Menschen umsehend. Aber er konnte ihre Verfolger nicht mehr entdecken. Hatten sie aufgegeben? Sie als harmlos eingestuft? Oder waren sie nur abgelöst worden? „Keiner mehr da...“ murmelte Sarifa allerdings auch. „Ablösung?“ „Setzen wir uns da auf die Treppenstufe.“ Ein guter Einfall, dachte der Agent. Diese Treppe war zurückgesetzt. Um sie beobachten zu können musste ein Verfolger sich so hinstellen, dass er sie sehen konnte – und würde einem misstrauischen Gemüt auffallen. Aber leise meinte er: „Und, eine Idee?“ „Ja.“ Sie ordnete ein wenig ihr Kleid: „Wir sitzen hier genau gegenüber dem Portal des Rathauses. Hier ist der einzige Ort, wo man relativ einfach in einen der ehemaligen Speicher eines Hauses kommt. Und die Speicher haben Öffnungen zum Platz.“ „Heute sind da aber keine Speicher mehr, sondern Zimmer für die Dienstboten oder so etwas.“ „Hier ist aber eine Treppe von außen hoch. Und ich möchte da gern mal nachsehen.“ „Wenn die Tür versperrt ist..?“ Er sah ihr Lächeln: „Schon gut, ich frage nicht weiter. - Ich kann niemanden entdecken.“ „Sie haben wohl aufgegeben. Sie können schließlich unmöglich alle Fremden komplett überwachen. Und sie wissen ja, wo wir wohnen.“ „Überdies, was wir offiziell hier wollen. Nämlich ich Arbeit suchen. Da dürfte es weitaus verdächtigere Gestalten geben. Und, wollen wir mal ehrlich sein, ihnen ist Pisi wohl noch nicht aufgefallen....“ Er sah sich um: „Also, dann hoch mit dir. Ich bleibe hier unten, erst einmal.“ Sarifa stand unverzüglich auf und huschte die Holztreppe empor, die selbst unter ihrem Gewicht ächzte, und blickte sich rasch um. Nein, hier war man nur direkt vom Marktplatz aus zu sehen und nur, wenn jemand zufällig genau hier hoch guckte. Die Tür war mit einem Vorhängeschloss gesichert, aber sie hatte vorgesorgt und zog ihre Brosche aus dem Kleid, stocherte mit der ungewöhnlich stabilen Nadel darin herum. Diese Schlösser gaben in aller Regel nach, waren aber schon weitaus moderner als die schweren Kastenschlösser in so manchem neuen Haus. Für die brauchte man auch immer ein Messer....Sie trug die Brosche, um auch ohne ihre Dolche nicht waffenlos zu sein. Behutsam öffnete sie die Tür einen Spalt breit – und weiter, als sie im Halbdunkel erkannte, wo sie gelandet war. Nein, dieser Dachspeicher diente keinen Handelswaren mehr, aber jeder Menge Möbel, die wohl nicht mehr gebraucht wurden, einigen Schinken und Würsten, die hier zum Trocknen aufgehängt wurden und in den Säcken vermutete sie Mehl. Es roch frisch, so dass es hier wohl weniger Mäuse gab. Sie ging lautlos hinein und merkte fast unverzüglich am leisen Stöhnen der Außentreppe, dass Michel ihr folgte. Er zog die Tür hinter sich zu: „Und?“ flüsterte er. Sie trat zu dem kleinen Loch, das auf den Platz wies – und das Rathaus - , musterte die Lage, ehe sie sich umsah: „Je nachdem, wo wer bei den Reden steht – von hier aus wäre ein Ziel mit Pfeil und Bogen gut anzuvisieren. Und man selbst verschwindet über die Treppe in der Menschenmenge, ehe jemand etwas mitbekommt.“ „Bogen und Rest Pfeile könnte man hier liegen lassen, ja. Und mit Wurfmessern?“ „Riskant,“ meinte die Assassine. „Ich bin geübt, aber ich würde mir keinen zielgerichteten Wurf über mehr als zwanzig Schritte zutrauen. Und trifft man nicht, ist das eine Warnung für das Opfer beziehungsweise die Wachen. Wenn, dann Pfeil und Bogen. Überdies kann er das auch unter der Kleidung transportieren.“ „Er weniger aber diese Nica. - Hm. Komm, verschwinden wir. Morgen früh gehst du mit Nica auf den Markt.“ „Ich schließe besser wieder zu, oder?“ „Ja.“ Er war erfreut dass sie daran dachte, aber auch das konnte. „Und dann gehen wir nach Hause.“ Graf Uther betrachtete ein wenig nachdenklich den Wandteppich neben sich, während sein Gastgeber ihm berichtete. „Mein Mann erklärte nur, dass er einen anonymen Brief erhalten hatte. Da dessen Angaben alle stimmten, soweit er das mit dem Schiff auf die Schnelle überprüfen konnte, sandte er mir Nachricht. Sicher, es ist ein unglaublicher Zufall, dass der Tipp wirklich dazu führte Marteau hochzunehmen und nun vor Gericht zu stellen, aber ohne diese anonymen Hinweise kämen wir oft nicht weit. Was also beunruhigt Euch daran so?“ Graf Lothar sah sein Gegenüber an. Er schätzte durchaus den Verstand des Kaiserbruders. Zuerst hatte er angenommen, dieser würde den Titel des Leiters des Geheimdienstes sozusagen nur ehrenhalber tragen, aber inzwischen wusste er, dass Uther vermutlich mehr als jeder andere für das Reich arbeitete – und für seinen Bruder. „Sagen wir, mich stören Todesfälle, die es zu einer richtigen Zeit gibt und mich stört ebenso ein perfekter Hinweis auf einen Mann, der praktisch über Jahre außer Reichweite der Polizei war. Jemand wusste nicht nur, was Marteau treibt, sondern hatte Einblick in seine Unterlagen.“ „Ich tippe auf einen Konkurrenzhändler mit guten Kontakten zu den Absendern der Waren. Womöglich hatte sich Marteau es sich mit denen verscherzt.“ „Womöglich. Konnte Euer Mann sagen, aus welchem Ort die Nachricht kam?“ „Mit der kaiserlichen Post, aus Vivisco. Aber das liegt nicht gerade am Meer, so dass ich eher vermute, dass dort der Brief eben nur aufgegeben wurde. Wer auch immer der Absender ist hatte gute Verbindungen zum Meer.“ „Ja. Und er verfügt ohne Zweifel über ein gutes Informantennetz. Das ist es, was mich beunruhigt. Jemand mit Verstand, Verbindungen, von dem wir alle zwei nichts wissen.“ „Ich verstehe.“ Der Leiter der Polizei dachte nach: „Nun, mit Marteau sind wir fertig. Aber ich werde einmal meine Leute anweisen.....oder nein. Er kannte unser Vorgehen. Das solltet Ihr übernehmen. Eure Aktionen, und die Eurer Leute, sind doch schwerer aufzuspüren.“ „Freundlich formuliert, Lothar. Nun, ich werde darüber nachdenken. Und die Sache sicher nicht auf sich beruhen lassen.“ Vivisco...warum nur erinnerte ihn der Ort an irgendetwas aus seiner Vergangenheit? Im Moment fiel ihm nicht gerade viel über die Kleinstadt ein. Sie hatte Mauern, war in agrarischem Umland der Handelsort für Feldfrüchte und Wein....Nun, er musste wirklich gut nachdenken. Mit einem entschuldigenden Lächeln meinte er: „Es tut mir Leid, Lothar, das war nicht gegen Euch oder Eure Leute. Ich fürchte, ich werde langsam paranoid und sehe überall Verschwörungen, auch, wenn es keine gibt.“ „Das nennt man in unserem Fall wohl eine Berufskrankheit, Uther. Darf ich Euch ein Glas Wein einschenken? Und lassen wir die Arbeit Arbeit sein.“ Zurück in ihrem Zimmer setzte sich Michel auf den Boden an der Tür um den Gang durch das kleine gebohrte Loch beobachten zu können: „Schlaf du,“ meinte er: „Gegen Mitternacht wechseln wir. Wenn du mit Nica auf dem Markt warst, kannst du dich dann wieder hinlegen. Ich glaube nicht, dass sie viel machen, ehe Markward hier ist.“ „Sofern er das Ziel ist.“ „Ja, natürlich. Es ist nicht sicher, aber etwas muss ja Pisi hierher zurückgezogen haben. Immerhin riskiert er erkannt und hingerichtet zu werden.“ Er wandte ein wenig den Kopf, um ihr nicht direkt beim Ausziehen des Kleides zuzusehen, auch, wenn sie sich im Unterhemd hinlegen würde. Sie war auf ihre Sittsamkeit mehr als bedacht und er wusste nur zu gut, dass ihre Wurfmesser unter dem Umhang auf ihrem Koffer lagen. Er hatte die Dolche schon einmal um die Ohren bekommen – das musste wirklich nicht noch einmal passieren. Insgesamt gab er sich allerdings zu, dass dieses einfache Leben hier Sarifa wohl eher passte als das höfische – oder sie kannte es besser. Bislang hatte sie keinen Fehler begangen. So fuhr er nur leise fort: „Und eine der Sachen, die in unserem Beruf wichtig sind, ist es, Ahnungen zu haben, diese weiterzuverfolgen. Natürlich die richtige Ahnung. Das unterscheidet uns auch von der Polizei. Wir sind sozusagen freier in den Entscheidungen. Falls ich falsch liege und Pisi ein Mitglied der Pangnotta oder Cosa als Ziel hat, wäre das nicht nur peinlich sondern fatal. Andererseits – die hätte er sich auch in den letzten Jahren schnappen können, wo auch immer er da steckte. Er kam jetzt vor einigen Wochen zurück und das muss einen Grund haben.“ Sarifa legte sich auf den Strohsack und bemühte sich die Flöhe zu ignorieren: „Ja, das ist wahr. Aber ich möchte ihn ungern umbringen. Je mehr ich über Aquatica erfahren, umso sicherer bin ich, dass er eigentlich Recht hat. - Schön, wir retten Markward das Leben, aber....“ „Aber die Ehre einer Assassine ist dagegen ihn heimtückisch zu töten, schon klar. Andererseits weißt du, dass er bereits von einem Gericht wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde.“ Er ahnte ihr Lächeln mehr als er es sah: „Ja, schön und gut, aus diesem Grund könntest du jeden Mann des Heeres und der Leibwachen hinrichten lassen, jeden Assassinen...Aber dennoch. Er hat heimtückisch Menschen getötet.“ „Wir werden sehen.“ Sarifa zog sich ihren Umhang über und versuchte einzuschlafen. Michel erwachte von Stimmen auf dem Flur. Instinktiv griff er zu seinem Degen, den er neben das armselige Bett gelegt hatte, ehe ihm einfiel, dass seine Partnerin kurz nach Nica auf den Markt gegangen war. Es war ihre Stimme – und sie schien sich zu unterhalten. Leise stand er auf. Mit einem Mann? Vorsichtig schlich er zur Tür und sah durch das Loch. In der Tat. Da stand Sarifa und bedankte sich höflich bei einem Kerl, der ihr wohl den Einkaufskorb getragen hatte. Unwillkürlich sah er sich nach seiner Waffe um, besaß aber genügend Selbstbeherrschung nichts zu unternehmen. Was auch immer sie getan hatte mochte nützlich für den Fall sein. So wich er zurück. Als sie allerdings im Zimmer war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nun, meine Teure, du verlierst keine Zeit.“ „Was meinst du?“ Sie ließ den Korb mit frischem Brot und Obst zu Boden. „Ich schicke dich einkaufen und Nica beobachten – und du kommst mit Pisi als Trageburschen zurück.“ „Er war so freundlich mir zu helfen, ja. Hätte ich ablehnen sollen?“ Michel seufzte, ehe er ehrlich bekannte: „Das ist ein echtes Problem. Hättest du abgelehnt, wäre er vielleicht auf den Gedanken gekommen, dass du weißt, wer er ist. Das wäre schlecht. Umgekehrt – das würde kein Profi machen.“ „Also war es doch schlecht?“ „Ich fürchte, es war gut, weil es schlecht war. Er wird dich jetzt für eine harmlose junge Frau halten und sicher keine Agentin.“ Er raufte sich die langen Haare: „Ah! Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du die Unmöglichkeit in Person bist?“ „Ja, du.“ Da musste er doch lachen: „Schon gut, Partnerin. - Dann lass mal sehen, was du eingekauft hast. Ich habe Hunger. - Übrigens: hat Nica etwas unternommen? Und wieso hast du ihn getroffen?“ „Nica kaufte ein, ganz normal, wie jede Hausfrau. Dann kam er dazu, sie unterhielten sich kurz, ehe sie nach Hause ging, also, zumindest in die Richtung. Er kaufte noch ein paar Lederhandschuhe.“ „Pfeil und Bogen....“ Die Handschuhe würden die Finger vor der zurück schnellenden Sehne bewahren. „Möglich. Ich stolperte dann zufällig und er war so nett mir zu sagen, dass er den gleichen Weg habe. Moment, das bedeutet ja, dass er weiß, wo ich wohne, oder? Er ist wohl sehr aufmerksam. - Magst du das hier? Orangen?“ „Wir sind im Süden, in der Tat. Zuhause bekommt man so etwas so gut wie nie, nicht einmal in Paradisa. Und ja, er ist sehr aufmerksam. Sonst wäre er kaum vier Jahre auf der Flucht gewesen oder hätte hierher zurückkehren können, ohne dass es der emsige Sicherheitsdienst des Stadtrates mitbekommt. Vielleicht bist du ihm aufgefallen und er wollte sicher gehen, dass du keine Polizistin oder Agentin bist. In völliger Verkennung der Lage hielt er dich wohl für harmlos.“ Hoffentlich. Aber da er Sarifa schon lächelnd gesehen hatte, wusste, wie freundlich und arglos sie wirkte, vermutete er doch, dass Alessandro Pisi gar nicht bemerkt hatte, wie nahe er dem Tod in höchsteigener Person stand. „Bogen oder Pfeile hat er keine gekauft?“ „Nein. Nur die Handschuhe. Aber es wäre auch töricht alles auf einmal zu erwerben....“ „Wie recht du doch hast, meine Sachlichkeit. Nun, um unserer Tarnung willen werde ich einmal wieder auf.. äh, Arbeitssuche gehen. Wir wollen doch die eifrigen Sicherheitsleute hier nicht arbeitslos machen. Nun, vor allem Pisi nicht misstrauisch.“ „Was machst du eigentlich, wenn dich jemand einstellen will?“ „Zeit schinden. Ich sage dann, dass ich mehrere Angebote habe und es mir überlegen will. Bedenke, Markward soll in fünf Tagen komme, danach ist unsere Anwesenheit hier wohl überflüssig. Wobei es mich schon interessieren würde, woher der gute Pisi wusste, dass der Kaisersohn nach Aquatica reist.“ „Er wird wohl bei den Gerüchten hellhörig geworden sein, als der Name seiner Heimatstadt fiel.“ „Da magst du Recht haben. Und schließlich werden diese Reisen durch X Leute bekannt gegeben – jeder erzählt gern herum, dass er mit so einem hohen Herrn reist, für ihn Pferde besorgt und so weiter.“ „Du magst Markward nicht?“ „Merkt man das so? Ich halte ihn für einen Trottel, aber das beruht wohl auf Gegenseitigkeit.“ Sarifa lachte auf: „Hast du ihm mit deinem Taschentuch vor der Nase herumgewedelt?“ Michel de la Montagne nickte mit einem fast bübischen Grinsen. „Er hält meine Tarnung für echt und mich darum für...nun ja. Ich hingegen kenne ihn. Und er ist...gleich. Er ist möglicherweise der zukünftige Kaiser und da muss man den Mund halten.“ „Ist er das nicht sowieso? Ich meine, als der älteste Sohn?“ „Nein. Im Reich gilt eine andere Regel. Der Kaiser bestimmt seinen Nachfolger. Theoretisch könnte Dagobert jeden auf der Straße benennen. Aber es bleibt natürlich eher immer in der Familie. Und jetzt schäle mir schon die Orange, mein Engel – wer ist hier die mit den Messern?“ ** Das nächste Kapitel bring einen Streitpunkt ans Tageslicht: Ungewitter. Kapitel 14: Ungewitter ---------------------- Als Sarifa am folgenden Tag vom scheinbar harmlosen Marktgang zurückkehrte, war sie ein wenig verwundert, Michel nicht an seinem Beobachtungsplatz sondern auf dem Bett vorzufinden. Allerdings schlief er nicht sondern hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt. Das bedeutete, so gut kannte sie ihn zwischenzeitlich, dass er nachdachte. Sie setzte den Korb ab und schloss die Tür hinter sich: „Neuigkeiten?“ fragte sie nur. „Wie man es nimmt. Mir ist ein Gedankenfehler aufgefallen. Was meinst du, können wir deine Verwandtschaft noch einmal in Anspruch nehmen?“ Er setzte sich auf: „Ich muss unbedingt wissen, wann genau Markward erwartet wird – und ab wann der Marktplatz gesperrt wird.“ „Gesperrt? Oh, natürlich. Da dürfen dann sicher nur ausgewählte Zuschauer direkt bei der Begrüßung dabei sein oder dann erst recht im Rathaus.“ „Ja, daran hatte ich zunächst nicht gedacht. Also muss Pisi vorher auf den Platz – und wir natürlich auch.“ „Ich denke schon, dass das Tante Anna herausfinden kann.“ „Und, auf welchem Weg man hinten herum in die Häuser gelangen kann. Ich denke kaum, dass Pisi von vorn hineingeht, nicht einmal über die Treppe, die dir auffiel.“ „Du hast selbst gesagt, dass er keine diesbezügliche Ausbildung hat.“ „Aber er ist kein Idiot, sonst wäre er nicht unbemerkt hierher zurückgekehrt. Es war reiner Zufall, dass er einem von Graf Uthers Männern auffiel. Und selbst der war sich nicht sicher. - War etwas Besonderes?“ „Nein. Sie lächelte mir zu und ich gab das Lächeln zurück, wie man das eben bei flüchtigen Bekannten macht, aber ich ging dann in die andere Richtung und brachte noch etwas mehr Brot mit als nötig...mir fiel nichts besseres ein.“ „Nun, das kann man auch hart in Suppe essen....Gut. Dann gehe zu deiner Tante und bitte sie, ob sie das herausfinden kann. Ich werde Pisi folgen, wenn er das Haus verlässt.“ Er bemerkte ihren zweifelnden Blick: „Was ist? - Ich habe meinen Beobachtungsposten nur verlassen, da ich mittlerweile seinen Schritt kenne und hier alles still war.“ „Entschuldigung,“ murmelte sie eilig: „Ich gehe dann sofort.“ „Gut.“ Als sie verschwand, wurde Michel das erste Mal bewusst, dass er den Schritt seiner Partnerin noch immer nicht kannte, aus dem schlichten Grund, weil sie mit der Lautstärke einer Katze ging. Ob ihre Schuhe auch eine solche Spezialanfertigung wie ihr Umhang waren? Jedenfalls war es beruhigend, jemanden mit solchen Fähigkeiten nicht auf der Gegenseite zu wissen. Als Sarifa zu dem Haus den Malers kam, wurde ihr sofort bewusst, dass sie nicht offen sprechen durfte. Im Atelier diskutierte don Leon mit zwei Männern, in denen sie Beamte des Stadtrates vermutete. So wandte sie sich zur Küche. „Ich bitte um Verzeihung, ma donna....“ Tante Anna fuhr herum, beherrschte sich aber: „Was wünscht Ihr?“ „Ich suche eine Stellung. Könnt Ihr ein Mädchen brauchen?“ „Oh nein, wir können ja schon froh sein, dass wir unser jetziges Personal zahlen können! Immerhin hat mein Mann auch zwei Lehrlinge mit durchzufüttern statt wie üblich mit ihnen Geld zu verdienen, nein, das könnt Ihr vergessen. Egal zu welchem Preis Ihr Euch auch verdingen wollt.“ Anna nickte zum Atelier. Sarifa schloss kurz die Augen um anzudeuten, dass sie verstanden hatte, meinte jedoch: „Ich bin wirklich fleißig und ehrlich, ma donna....“ „Ach, was, das sagen sie alle. Du lieber Himmel, seit Gerüchte umlaufen, dass der Sohn des Kaisers für eine Woche herkommen soll, tauchen lauter Leute aus dem Umland auf, die Arbeit suchen. Ja, glaubt ihr denn, dass wir davon etwas haben, wenn dieser Markward eine Woche Gast der Stadt ist? Das muss doch alles Aquatica bezahlen, also wir. Vergesst es.“ „Oh, der Sohn des Kaisers? Davon hörte ich noch gar nichts. Wann soll er denn kommen?“ „Schon in zwei Tagen. Und jede Menge Ärger wird es geben! Da drüben, bei meinem Mann stehen gerade Männer des Stadtrates, dass man nicht auf den Marktplatz darf und was weiß ich welche Straßen gesperrt sind. Ist das denn zu fassen? Auf dem freitäglichen Markt können wir doch immer einige Bilder feil halten. Und diese Woche nicht, nur wegen dieses Kaisersohnes!“ „Hütet Eure Zunge, ma donna!“ warnte einer der Männer, die sich gerade von don Leon verabschiedet hatten. „Und, wer ist denn dieses schöne Kind?“ „Ach, wieder jemand der Arbeit sucht,“ meinte Anna unverzüglich und stemmte die Hände in die Hüften: „Was heißt, ich soll meine Zunge hüten, hm? Das ist nicht der Kaiser, sondern nur sein Sohn, und wer weiß, welchen von beiden er zu seinem Nachfolger ernennt. Vielleicht endet der Gute auch als Mönch in einem Kloster, so handhaben es doch die hohen Herren gern. Das ist noch lange kein Grund uns vom Geldverdienen abzuhalten.“ „Es ist ja nur der eine Markt, ma donna. Und nur die Hauptstraße und der Marktplatz sind gesperrt. Wir informieren auf Befehl des Rates alle Händler des Marktes. Ärgerlicher als für Euch ist es für diejenigen, die mit Schiffen anlanden. Aber vielleicht erlaubt der Rat in seiner Güte auch, dass der Markt ausnahmsweise am folgenden Tag stattfindet. - Hm, Ihr sucht also Arbeit, schönes Kind...?“ Sarifa holte etwas zu tief Luft, sagte jedoch freundlich: „In der Tat. Ebenso mein Mann. Wir wollen unser Glück hier versuchen. Man sagt, Aquatica sei eine wohlhabende Stadt, die aufblüht, also wohl auch fleißige Hände benötigt.“ „Das ist wahr. Woher stammt Ihr denn?“ „Oh, aus dem Süden, dem Königreich Cinquanta.“ Das war nicht gelogen. Der Maler griff ein: „Ich glaube, liebes Kind, dass Euer Besuch hier vergeblich war. Ihr könnt wirklich gehen. - Ich danke Euch, ihr Herren, für Eure Informationen. Leider ist es dann auch vollkommen unmöglich, dass ich meine Bilder Markward zeigen kann?“ „Oh ja, don Leon. Ich weiß, dass der Stadtrat schon einiges von Euch kaufte, aber ...“ „Es wäre doch auch Werbung für unsere Stadt, wenn eines meiner Bilder gar im kaiserlichen Palast zu Paradisa hängen würde.“ „Na schön. Ich werde meinen Vorgesetzten davon in Kenntnis setzen.“ Der Beamte sah sich um, konnte aber Sarifa nicht mehr entdecken. In der irrtümlichen Annahme, sie hätte nach dem dezenten Rauswurf des Ehepaares das Haus verlassen, verabschiedeten auch er und sein Kollege sich. Tatsächlich hatte sich Sarifa hinter der Tür zum Keller verborgen, in der Hoffnung, hier würde keiner hereinsehen bis die Beamten weg waren. Erst dann kehrte sie zur Küche zurück, wo Tante Anna bereits die Geheimtür öffnete: „Komm hier herein, Kind. Was gibt es?“ „Wir bräuchten genaue Zeiten, wann Markward erwartet wird, wann der Marktplatz gesperrt wird. Haben das Euch die Männer gerade sagen können?“ „Ja,“ erwiderte Don Leon sofort: „Nun, Hauptstraße und Marktplatz werden ab Sonnenaufgang freigehalten, also bereits sehr früh. Markward übernachtet das letzte Mal in einem Dorf mit Poststation, aber der Name wird dir nichts sagen. Es ist geplant, dass er um neun Uhr morgens Einzug hält. Die Bevölkerung ist zu jubelndem Empfang angewiesen. Gegen halb zehn sollte er dann am Marktplatz eintreffen. Die Begrüßung durch den Bürgermeister findet vor dem Rathaus statt, dann, gegen elf sollen alle in das Rathaus gehen und dort zu Mittag speisen. Markward bleibt auch im Rathaus wohnen, wo später der Abendempfang für geladene Gäste stattfinden soll. Beim Mittagessen ist nur der Kaisersohn und der Innere Rat anwesend. Beim Empfang vor dem Rathaus wohl auch der Äußere Rat und alle Familienangehörigen. Die kommen dann erst abends wieder zu der großen Feier. In den nächsten Tagen soll er dann in der Stadt herumgeführt werden, den Hafen, die Stadtbefestigungen, dann ein Kloster....“ Der Maler zuckte die Schultern: „So etwas eben.“ Mist, dachte die junge Assassine ein wenig undamenhaft. Bei diesem Besichtigungsprogramm gäbe es sicher auch Möglichkeiten einen Anschlag zu verüben. Man musste nur wissen, wann der Kaisersohn wo wäre. Da Alessandro Pisi aus Auqatica stammte, kannte er bestimmt auch einige Leute, die er fragen konnte, Urteil hin oder her. „Angenommen, man will ein Attentat bei der Begrüßung auf dem Marktplatz vollziehen – welche Möglichkeiten gibt es, von hinten in die Häuser am Marktplatz zu gelangen?“ „Praktisch keine während des Empfangs,“ erwiderte Tanta Anna sofort: „Das sind die Häuser von Ratsherren. Hinten sind zwar Dienereingänge und kleine Gärten für Gemüse, aber dort werden sicher auch Wachen stehen. Der Rat ist nicht gerade dumm – und nicht sonderlich beliebt.“ „Schön, das werde ich meinem Partner sagen.“ Als sie Bericht erstattet hatte, dachte Michel einen langen Moment nach, ehe er meinte: „Das ist schlecht. Theoretisch kann Pisi auf Markward schießen, während der die Hauptstraße langreitet, auf dem Marktplatz, bei jedem Besichtigungspunkt. Nur im Rathaus selbst können wir es ausschließen, da wird es von Wachen nur so wimmeln – und er ist doch bekannt. Hm. Ich bleibe an ihm dran, wenn er hier das Haus verlässt, wohin immer er dann geht. Und du, mein Engel, wirst dich am Abend zuvor in das Haus mit der Treppe schleichen und dort warten. Wenn er kommt, bring ihn um.“ „Ich bin nicht dein Henker.“ Der Agent sah zu ihr, ein wenig überrascht. „Dir sollte klar sein, dass wir dem Sohn des Kaisers das Leben retten müssen.“ „Aber deswegen muss ich niemanden töten, schon gar nicht aus dem Hinterhalt.“ Oh oh, dachte er mit jäher Besorgnis. Sie stand noch immer ruhig da, aber dennoch war da plötzlich eine Aura um sie, die ihm nicht gefiel. „Das habe ich auch nicht gesagt,“ gab er daher nach: „Aber ich glaube kaum, dass du Pisi mit schönen Worten davon abhalten kannst. Er hat schon gemordet.“ „Wie du und ich auch.“ Ihre Stimme war wie eine Schneeflocke, dachte er plötzlich: weich und eiskalt. „Wie du dich vielleicht erinnerst, hat allein der Kaiser und in seiner Vertretung die Stadträte und Könige das Recht über Leben und Tod zu entscheiden. Nicht jeder Bürger. Das sichert das ruhige Leben aller. Und gerade du bist doch immer so gegen Meuchelmörder.“ Wo lagen gleich nochmal ihre Messer? Es gab Angenehmeres als einer wütenden Assassine gegenüberzustehen. „Der Stadtrat von Aquatica ist nicht sonderlich beliebt. Wer sagt dir, dass das Todesurteil gegen Pisi rechtmäßig zustande kam und nicht nur angeblich die Morde von ihm verübt wurden? Ich werde tun, was ich kann, um Markward das Leben zu retten. Aber ich werde niemanden töten, nur weil du es willst.“ „He, Moment mal! Glaubst du im Ernst, ich würde einen Menschen umbringen oder meinetwegen auch umbringen lassen, weil es mir Spaß macht? Als ich den Eid auf den Kaiser ablegte, ihn um jeden Preis zu schützen und zu verteidigen, war mir klar, dass ich dafür auch töten würde müssen. Im Krieg und später dann auch so.“ Wann hatte er angefangen, töten als normalen Bestandteil seines Lebens zu sehen? Als er das erste Mal einen Degen in der Hand hielt war er sieben gewesen – zu jung, um zu begreifen, was es in Wahrheit bedeuten konnte. „Im Übrigen finde ich es mit Verlaub gesagt merkwürdig, dass mir ausgerechnet eine Assassine einen Vortrag über die Moral des Tötens halten will.“ „Das ist der Unterschied zu einem Meuchelmörder und auch einem Krieger.“ Sarifa entspannte sich etwas: „Ein Meuchelmörder tötet jeden für Geld. Ein Krieger für den, dem er seinen Treueeid schwor.“ „Und das ist nicht sonderlich angenehm, das kannst du mir glauben. In einer Schlacht weißt du nicht mehr, was passiert, ob der, der neben dir fällt ein Freund oder ein Feind ist. Du kämpfst nur noch gegen alle Degen und Messer, die auf dich einstürzen, nur noch um zu überleben.“ „Wie alt warst du in deiner ersten Schlacht?“ „Vierzehn. Gerade zum waffenfähigen Mann erklärt worden. Nun, du warst sieben, als du den Bären erledigt hast....“ „Weil ich musste, um meine Brüder zu schützen. - Das ist doch der Unterschied. Assassinen töten nicht um des Tötens willen, nicht um Geld oder Treueid. Ein Assassine tötet nur einen Menschen oder eben auch einen Bären, wenn dieser ihn angreift um sich selbst zu schützen oder seine Familie. Oder aber, weil es für alle besser wäre, wenn eine bestimmte Person nicht mehr lebt.“ „Und das entscheidet dann der Assassine? Zum Teufel auch, Sarifa, denkst du, dass irgendein Mensch soviel höher steht, moralisch gesehen, dass er einen anderen bewerten darf?“ „Nein. Deswegen kommt das ja auch so gut wie nie vor. Niemand ist nur böse oder unmoralisch. Und solange es nicht möglich ist Tote wieder zu Leben zu erwecken, sollte man mit solch einem Urteil vorsichtig sein. Darum auch meine Vorsicht mit Pisi. Greift er mich an, wird er sterben. Versucht er Markward zu attackieren, vielleicht. Markward wird leben, solange ich dafür verantwortlich bin. Ich bin nicht unzuverlässig. Aber ich bin kein Auftragsmörder!“ Michel atmete tief durch: „Das habe ich ja auch nur gemeint - wir haben dem Kaiser einen Treueeid geschworen und das heißt eben auch, seinen Sohn zu beschützen.“ He, dachte er plötzlich, ich habe einen Streit, nun ja, eine Meinungsverschiedenheit überlebt! So lächelte er: „Ich habe durchaus schon mitbekommen, dass die Gerüchte um euer Volk und die Tatsachen andere sind. Ich bin nicht gerade dämlich.“ Und er sollte sie ausbilden: „Ja, das weiß ich doch.“ „Fein, mein Engel. Dann essen wir jetzt etwas. Und gehen dann abwechselnd auf Wache. Morgen und übermorgen werden lange Tage.“ Die Nacht lag still über dem Stadtzentrum von Aquatica. Nur wenige Nachtwächter gingen spazieren. Selbst die Wachen vor den Häusern der beiden regierenden Familien waren nur Schatten in der Dunkelheit, die schweigend vor sich hinstarrten und auf den baldigen Morgen warteten, wenn ihre Ablösung kommen würde. Nur die Wolken und der Mond waren Zeuge als Sarifa sich von der hinteren Straße an ihr Ziel anpirschte. Wie ein Schatten in der Nacht überkletterte sie die Mauer des Gemüsegartens und huschte weiter, bemüht nicht in ein Beet zu treten und so Fußabdrücke zu hinterlassen. Mit äußerster Behutsamkeit und antrainiertem Geschick bewegte sie sich langsam immer weiter vor zu der Treppe in den Speicher. Da sie keinen Wächter hier entdecken konnte, schlich sie Stufe um Stufe empor, gegen einen zufälligen Blick eines Nachtwächters durch ihren Umhang geschützt – und der Tatsache, dass diese Männer Laternen trugen, was ihre Nachtsicht erschwerte. In der Dunkelheit war es etwas schwerer das Vorhängeschoß an der Tür auf zu bekommen, aber sie hatte es bereits einmal geöffnet und so gelang es ihr auch ein zweites Mal. Hinter sich abzuschließen war ihr allerdings verwehrt und sie hoffte nur, dass eine mögliche Kontrolle das als Versehen betrachten würde. Zur Sicherheit turnte sie allerdings in das Dachgebälk und ließ sich dort einigermaßen bequem nieder. Jetzt blieb ihr nichts als geduldiges Warten. Michel hatte nicht gewagt ein Auge zu schließen, nachdem seine Partnerin sich auf den Weg gemacht hatte. Markward kam um neun, die Straßen sollten ab Sonnenaufgang gesperrt sein....wenn Alessandro Pisi kein Narr war, würde er sich vorher schon verbergen. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass der Sohn des Kaisers wirklich sein Ziel war. Allerdings war dem Agenten beim besten Willen kein anderer Grund eingefallen, warum sich ein verurteilter Mörder wieder in seiner Heimatstadt herumtrieb, so zeitlich passend herumtrieb. Als er fast lautlos eine Tür gehen hörte, den bekannten Schritt im Gang vernahm, war er auf den Beinen. Einen Degen mitzunehmen war ihm verwehrt. Wenn er in eine Kontrolle geriet, die durchaus denkbar war, würde er auffallen und eher verhaftet werden als seiner Zielperson weiter folgen zu können. Das Allerletzte, was er Graf Uther beichten wollte, wäre, dass der Tod von dessen Neffen durch eine Polizeikontrolle aufgrund seiner Dämlichkeit passiert war. Nein, danke. Er hatte erst zwei Mal das mehr als zweifelhafte Vergnügen gehabt, zu erleben, warum Uther wirklich der Bruder des Kaisers war, mit der gleichen respektheischenden Ausstrahlung. Mochte Dagobert, zumal in der Vergangenheit, auch schneller mit Todesurteilen bei der Hand sein, so würde er persönlich das Beil des Henkers einem erneuten Tadel Uthers vorziehen. Oh nein, der schrie nicht, aber gerade wenn er so leise und sachlich redete, dann liefen einem Schauder über den Rücken, eine Eigenschaft, die erst gestern auch Sarifa bewiesen hatte. Ob sich da zwei verwandte Seelen erkannt hatten? Unter diesen Gedanken war Michel dem gleichaltrigen Verdächtigen auf die Straße gefolgt. Allerdings war er zu vorsichtig, sinnlos aus dem Haus zu stürmen und dem zu folgen. Es war durchaus möglich, dass Nica dessen Sicherung übernahm. So sah er sich kurz um. Erst, als er niemanden entdecken konnte, folgte er Pisi in die Dunkelheit, bemüht, sich so weit außer Sicht zu halten wie es eben anging. Er war nicht überrascht, als sich seine Beute in Richtung auf das Stadtzentrum bewegte, aber es verwunderte ihn dann doch, als sich Pisi in eine Gaststätte begab. Er lieb draußen. Das war ein Risiko, aber wer sagte ihm, dass der nicht dort hinein gegangen war, um einen Verfolger zu erkennen? Allerdings – wer sagte ihm auch, dass es keinen zweiten Ausgang gab? Ein wenig hektisch zog er sich zurück – nein, keine Gasse rechts oder links, aber das war natürlich keine Sicherheit. Michel atmete erst auf, als er Alessandro Pisi wieder auftauchen sah – zu kurz, als dass der auch nur etwas getrunken hätte. Also war er doch auf der Suche nach Verfolgern. Nun, er sollte den emsigen Sicherheitsdienst hier kennen. Der kaiserliche Agent hätte ihm sagen können, dass sie beide nicht beschattet wurden, aber das wäre wohl zuviel der Nächstenliebe. Wohin ging Pisi nun? Michel folgte am Rande der Sichtweite, stets bemüht, sich bei einem möglichen Umsehen in eine Nische zu drehen. Der Verfolgte suchte anscheinend die Hauptstraße ab. Wollte er doch hier ein Attentat verüben? Das wäre schlecht, denn Sarifa wartete ja am Marktplatz und überhaupt – wollte Pisi wirklich ein Attentat durchführen? Oder gar eines verhindern, das der Stadtrat plante? War der der Held und nicht der Verbrecher? Ärgerlich schüttelte Michel den Kopf. Er sollte keine Hypothesen aufstellen sondern den geflohenen Mörder überwachen. Sarifas Meinung musste ihm ganz schön zugesetzt haben. Hätte es wohl jeden, das gab er zu, der sein Gewissen nicht verkauft hatte. Eigenartig, das gerade von einer Assassine zu hören zu bekommen. Aber vielleicht genau darum... Was machte Pisi nun? Er verließ die Hauptstraße und ging einen deutlich kleineren Weg in das Zentrum der Stadt. Sollte er ihm dahinein folgen? Oder war das auch nur wieder eine Methode einen möglichen Verfolger festzustellen? Vorsichtig war der Kerl, das musste er ihm lassen. Sollte er das Risiko eingehen ihm zu folgen oder das, direkt zum Marktplatz zu gehen, in der Hoffnung, dass dieser schon dorthin gelangen wollte? Nein. Er musste ihm folgen, wenn auch noch vorsichtiger und noch weiter zurückfallend. Möglichst lautlos lief er durch die Hauptstraße – und eilte gerade um die Ecke, als er begriff, warum der Aquaticer abgebogen war. Dort vorn kam ein Nachtwächter, allerdings ohne Laterne, die ihm wohl ausgegangen war. In der Tat, ein schlauer Kopf, das musste er zugeben. Hätte Alessandro Pisi für den Geheimdienst gearbeitet, hätte er ihn lobend erwähnen können. So allerdings erschwerte der nur seine Arbeit. Fast fünf Minuten später drückte sich Michel ebenso wie seine Zielperson an die Rückwand eines Stadtpalais – vor ihnen lag der Marktplatz und hier waren einige Wachen aufgestellt. Der Agent war ein wenig erleichtert, dass er richtig geraten hatte, allerdings auch besorgt über die Wächter. Wenn einer von denen Pisi fassen würde, wäre das ja nicht so schlimm – zumindest im Hinblick auf die Tatsache, dass Markward Aquatica wieder heil verlassen sollte. Aber falls sie ihn selbst erwischten...Ohoh. Graf Uther wäre kaum amüsiert. Und, was trieb Sarifa? Wartete sie wirklich dort oben geduldig? Doch. Sie war bislang noch jeder direkten Anweisung gefolgt und hatte bestanden. Er sollte ihr vertrauen, auch, wenn sie eine gewisse Meinungsverschiedenheit gehabt hatten. Jeder hatte schließlich das Recht auf seine Meinung, solange der Auftrag nicht darunter litt. So folgte er wie ein lautloser Schatten Alessandro Pisi, der mit offensichtlicher Ortskenntnis den Marktplatz unbemerkt umrundete, immer wieder in Nischen und Säulen Deckung suchend – und damit dies auch seinem Verfolger zeigend, ehe er schließlich die alte Holztreppe emporhuschte. Erleichtert folgte ihm Michel. Kapitel 15: Verantwortung ------------------------- You wash your hands and come out clean Fail to recognise the enemies within You say we're not responsible But we are, we are. Ana Johnson Alessandro Pisi öffnete das Vorhangschloss und stutzte ein wenig – das ging heute so glatt, als ob es schon offen gewesen wäre, aber das war sicher ein Irrtum. Er hatte tagelang geübt es rasch aufzuschließen, so dass es weniger verwunderlich war, dass es nun so gut funktionierte. Rasch schlüpfte er in den dunklen Raum und schloss die Tür hinter sich. Für einen Moment versuchte er sich zu orientieren. Die ersten Stahlen der Sonne kamen bereits über den Horizont und bald würde er hier deutlicher etwas erkennen können. Möglichst leise schlich er zu der Frontseite des Hauses und zog unter seinem Umhang ein längliches Pakte heraus. Als ihm dieses aus der Hand rutschte und zu Boden fiel, erstarrte er kurz, aber es war nichts weiter zu hören. Michel, der ihn als Schatten gegen die kleine Fensteröffnung durch den Türspalt beobachtete, dachte für sich, dass Pisi für einen erfahrenen Mörder relativ nervös wirkte. Aber natürlich war ein Attentat auf den Kaisersohn etwas anderes als in wohlbekanntem Umfeld zwei halbwüchsige umzubringen, aus jeder der Herrschaftsfamilien einen. Er wollte ihm jetzt eigentlich nicht direkt folgen, aber andererseits stieg die Chance gesehen zu werden von Minute zu Minute. Es waren Wächter auf dem Rathausplatz, es begann zu dämmern...Nein, er sollte eigentlich auch unter dem Dach verschwinden. Wo war eigentlich Sarifa? Dann erst erkannte er sie, als er im Dachbalkengewirr suchte. Mit dem Umhang war sie wirklich nur mit äußerster Mühe auszumachen, und nur, wenn man wusste, wonach man suchte. Er hätte schwören können, nicht einmal das Knarren eines Balkens zu hören,als sie sich mit einem weiten, lautlosen Sprung hinter den Attentäter brachte, der soeben an das Fenster treten wollte – einen Satz, der fatal an eine Großkatze im Dschungel erinnerte. Michel gab zu, in diesem Fall ungern die Lockziege zu sein, selbst, wenn er gewusst hätte, dass Jäger hinter dem nächsten Busch lauerten. „Guten Morgen, Alessandro!“ Diese fast freundliche, wenn auch vollkommen unerwartete, Begrüßung ließ Pisi für fast eine Sekunde erstarren, ehe er herumfuhr. Nur mühsam erkannte er in der Dunkelheit vor sich einen Schemen, dessen Kapuze auch noch das Gesicht bedeckte. Eine Frau? Sein Verstand schien ihm soeben abhanden gekommen zu sein und sein Herz raste. Michel, der ahnte, welchen Schock der Mann gerade erhalten hatte, beeilte sich, leise in den ehemaligen Speicher zu gelangen. Auch eine Form der Ablenkung, die seine Partnerin da gewählt hatte... Ohne Alessandro Pisi in das Gesicht zu blicken und so ihr eigenes im Schatten lassend, meinte sie kühl: „Ich kann viel verstehen, manchmal sogar Morde – aber das, was Ihr hier vorhabt, widerstrebt mir zutiefst. Markward hat Euch nichts getan, sein einziger Fehler ist der, dass er Eure Heimatstadt besucht. Haltet Ihr dieses Euer Vorgehen gegen ihn wirklich für moralisch zu rechtfertigen? Ich persönlich habe dafür nur Verachtung übrig.“ Während sich der Angesprochene bemühte, seine Gedanken zu ordnen – sie wusste von dem geplanten Attentat? Woher? Wer war sie? Was wollte sie von ihm? Und warum ging die Strafpredigt nicht weiter? - spürte er plötzlich etwas hinter sich, dann einen Schlag ins Genick, der ihn bewusstlos zusammenbrechen ließ. „Rabiat,“ kommentierte Sarifa: „Fesselst du ihn? Das ist schwer.“ „So schwer nun auch nicht.“ „Versuche mal mich mit einem Strick zu fesseln...“ „Nein, danke. Aber, wie gesagt, er ist kein Profi.“ „Stimmt. Und wir stehen direkt neben ihm.“ Alessandro Pisi erwachte mit dem Eindruck gestern zuviel getrunken zu haben, ehe ihm das Geschehene einfiel und er erschrocken die Augen öffnete. Er lag noch auf dem Boden des Speichers. Im ersten Morgenlicht erkannte er neben sich einen maskierten Mann, der fast gemütlich an einen Balken gelehnt saß. Die junge Frau, so es denn eine war, mit der Kapuze, wandte ihm den Rücken zu und sah aus dem Fenster. So sehr er erschrocken war – die Maske und das Vorgehen beruhigten ihn fast. Das waren keine Wachen aus Aquatica, sicher nicht. Nur, wer waren sie dann? „Wer seid Ihr?“ erkundigte er sich. „Gratulation, Alessandro,“ sagte der Maskierte ein wenig spöttisch: „Kein Versuch, das Attentat zu leugnen?“ „Wozu? Wenn Ihr es nicht wüsstet, wärt Ihr kaum hier. - Und was Eure Moral angeht, donna – es ist die einzige und letzte Chance, den Kaiser auf diese Stadt aufmerksam zu machen. Wart Ihr nicht hier auf den Straßen, wisst Ihr nicht, was hier abgeht?“ „Nicht, dass es mir gefällt,“ gab Michel zu: „Aber Kinder der herrschenden Familien umzubringen oder auch Markward hat nun gar nichts mit Moral zu tun. Meinetwegen hättest du den Bürgermeister erledigen können, in einem Duell von Angesicht zu Angesicht....“ Er ertappte sich dabei, Sariafas Vortrag zugehört zu haben: „Aber doch keine Halbwüchsigen.“ „Ach ja, die Morde an den beiden Jungs.“ Pisi klang bitter. So bitter, dass sich Sarifa umdrehte: „Ich verstehe“, sagte sie: „Folter?“ „Folter,“ bestätigte Pisi nur: „Ich hätte vermutlich auch ein Attentat auf den Kaiser gestanden.“ Michel dachte kurz nach: „Und wer war es dann?“ Der Gefangene lachte auf – wohlweislich nicht zu laut. Das fehlte ihm noch, dass Aquaticas Wachen kamen. Die würden sich bestimmt nicht mit ihm so unterhalten: „Ja, wer. Das habe ich jetzt erst mitbekommen, bei meiner Rückkehr. Ich...nun, ich wollte wegen Markward hierher zurück, das gebe ich zu. Jemand muss doch den Kaiser aufrütteln. Und da wollte ich auf dem Friedhof auch meine Opfer besuchen. Würde es Euch wundern, dass auf den Gräbern diese Namen nicht stehen?“ Er bemerkte den Blickwechsel: „Stimmt auffallend. Ich habe meine Freunde recherchieren lassen – es gab nie Familienangehörige dieses Namens, nicht bei den Cosa und nicht bei den Pagnotta. Sie ließen mich Morde gestehen und verurteilten mich dafür zum Tode, die es nie gegeben hat. - So gesehen habe ich glatt einen Mord zuviel übrig. Aber, wer seid Ihr?“ „Sag so etwas wie Markwards Schutzengel.“ Pisi wusste nicht, ob er aufatmen sollte: „Natürlich, Ich hätte mir denken können, dass der kaiserliche Geheimdienst den Sohn des Kaisers nicht allein reisen lässt....“ „Achtest du mal draußen auf die Leute, mein Engel?“ bat Michel: „Ich muss nachdenken.“ Während seine Partnerin wortlos gehorchte und an das Loch trat um hinauszusehen, sagte er langsam: „Jetzt mal eine blöde Frage, lieber Alessandro – was weißt du von der Geschichte des Kaiserreiches?“ „Was....?“ „Gleich. - Du sagst also, du bist gefoltert worden, damit du die Morde gestehst.“ „Ja. Und wenn Ihr mir nicht glaubt, braucht Ihr nur meinen Bauch ansehen.“ Michel streckte die Hand aus und schob das Oberteil kurz hoch, ehe er die hässlichen Narben rasch wieder bedeckte: „Schön. Das sieht wirklich übel aus. Vermutlich hätte da jeder gestanden. - Also, zum Kaiserreich. Der Großvater von Kaiser Dagobert war der letzte, der es erweiterte. Die Verwaltung aller Gegenden hatten bis dahin immer Herzöge, also Befehlshaber der diversen Heerteile, wahrgenommen. Er fand es nun zu groß geworden, um das Ganze auf sieben Männer aufzuteilen – und denen damit sehr viel Macht zu geben. Er starb und sein Sohn Merovin wurde Kaiser. Er machte auf diesem Weg weiter und setzte auf die Verwaltung vor Ort, kleine Königreiche und Städte, die ursprünglich selbstständig gewesen waren. Diese waren ihm dankbar, die Herzöge, wie du dir vorstellen kannst, weniger. Das Ganze endete mit seiner Ermordung. Dagobert und sein Bruder waren keine sechs. Ihre Mutter schaffte es mit Hilfe der Städte und Könige die Herzöge zu entmachten. Die weiteren Aufstände schlug der Kaiser dann selbst nieder, den letzten vor siebenunddreißig Jahren. Und genau darum kann er nicht einfach in Aquatica reinregieren. Er würde alles, was das Kaiserreich in den letzten hundert Jahren stabilisiert hat, aufs Spiel setzen. Er braucht einen guten Grund, einen so guten, dass die anderen Städte oder Könige sich nicht bedroht fühlen. Verstehst du?“ „Ich denke schon, aber...“ „Hör der Abwechslung halber einfach zu, Junge.“ Das klang gegenüber einem Gleichaltrigen herablassend, aber Michel meinte es freundlich: „Du bist der lebende Beweis dafür, dass hier was nicht richtig läuft. Dein Todesurteil war kein Justizirrtum – das war Justizmord. Und da Todesurteile in kaiserlichem Namen gefällt werden, dürfte es Kaiser Dagobert nicht sonderlich freuen. Also machst du folgendes: wenn wir weg sind, wird es dein Problem sein, hier heraus und aus Aquatica zu kommen. Dann gehst du nach Paradisa. Dort...nun ja...entweder du schaffst es so hineinzugelangen, wenn nicht, gibst du bei den Posten an, dass du Klage gegen dein Todesurteil beim Kaiserlichen Gerichtshof erheben willst. Dort wirst du hingebracht und kannst deine Geschichte erzählen. Wenn die Richter herausfinden, dass du die Wahrheit gesagt hast und gar keine Morde stattfanden, wird nicht nur dein Todesurteil aufgehoben sondern ganz sicher auch die gesamte Rechtsprechung hier überprüft. Das kann der Kaiser dann machen, ohne dass es Aufstände im gesamten Reich gibt. Verstanden?“ Alessandro Pisi dachte einen Moment nach, ehe er zu der jungen Frau blickte, die ihm den Rücken zuwandte, noch immer die Kapuze über dem Kopf: „Seid Ihr auch der Meinung, donna?“ „Ja.“ Sie sah sich nicht um: „Falls du allerdings Markward doch noch etwas antun willst, wirst du lernen, dass ein Todesurteil aus Aquatica nicht der sicherste Tod ist, der einem passieren kann.“ Der Gefangene blickte zu Michel, ohne einen unwillkürlichen Schauder unterdrücken zu können: „Ihr nanntet sie Engel...“ „Sie ist einer. Mein ganz persönlicher Todesengel. Und bei einem Fehler, Alessandro, würdest du sie wirklich kennenlernen. - Ich halte dich für recht intelligent. Das, was ich dir anbiete, rettet dich und hilft deiner Heimat. - Ah, da kommt er ja.“ Jubelrufe waren von draußen zu hören: „Oder, mein Engel?“ Sie nickte, ohne sich umzudrehen, und musterte den knapp über Zwanzigjährigen, der gerade seinen Hengst zügelte, sofort eilten Männer hinzu, um das Pferd zu halten, und abstieg. Er genoss die jubelnde Begrüßung sichtlich, dachte sie, als er seine mittelblonden, langen Haare etwas zurückstreifte, die er durch einen schmalen Goldreif aus der Stirn hielt. Seine Kleidung war eindeutig adelig, wenn auch bei weitem nicht so übertrieben, wie es Michel in Tarnung zu tragen pflegte. Eigentlich sprach auf den ersten Eindruck nichts gegen ihn, aber ihr Partner kannte ihn wohl ja auch genauer. Und er sah recht einnehmend aus. Markward war sicher keine zwei Jahre älter als sie – und es deutlich gewohnt vor einer Menge aufzutreten. Sie hörte seiner höflichen Begrüßungsrede nachdenklich zu, während Michel noch mit Alessandro Pisi redete. Doch, diese Lösung gefiel ihr – Hilfe für diesen und auch für Aquatica. Moralische Entscheidungen waren schwer, das hatte ihr Opa schon gepredigt, vor allem, weil man Tote nicht wieder lebendig machen konnte. Früher, ehe ihr Verwandten in das Kaiserreich kam, waren sie schneller zur Hand gewesen zu töten, zu richten, aber sie waren erwachsen geworden, wenn man so etwas über ein Volk sagen konnte. Wenn sich diese Versammlung unten auflöste würden Michel und sie verschwinden und Pisi sich überlassen. Am besten wäre es dann wohl zur Tante zu gehen und dort abzuwarten bis Markward abgereist war, aber das sollte Michel entscheiden. Er war der Ausbilder – und sie hatte seine Nerven vermutlich schon genug strapaziert, aber er schien nicht gerade der gegenteiligen Meinung gewesen zu sein. Dennoch sollte sie wohl noch einmal mit ihm darüber reden und sich wohl auch entschuldigen. Graf Uther sah sich um, als er die Betriebsamkeit im inneren Palasthof wahrnahm, während er durch den Säulengang zum Verwaltungstrakt schritt. Tatsächlich, dort stieg gerade die Kaiserin aus der Sänfte, wie immer in der Öffentlichkeit mit einem weißen Schleier über den blonden Haaren, gehalten von einer kronenartigen Haube. Höflich blieb er stehen und neigte den Kopf. Mit einem Lächeln kam Anawiga zu ihm: „Guten Tag, Graf....“ „Guten Tag, teure Schwägerin. Ich sehe, Ihr wart wieder an der Arbeit?“ „Ja. Die Hebammenschule beginnt wirklich zu florieren. Wir haben schon mehr Bewerberinnen als Plätze.“ Schließlich gab es auch wenig ehrbare Arbeit für unverheiratete Frauen. „Wie schön für Euch und alle. Darf ich Euch zu Euren Räumen begleiten?“ Er bot ihr die Hand. „Gern.“ Die Kaiserin lächelte erneut. Sie wusste nur zu gut, dass ihren Schwager ihre Arbeit wirklich interessierte – und sie nur solcherart in der Öffentlichkeit miteinander reden konnten, um sie nicht zu diskreditieren: „Habt Ihr Nachricht vom Kaiser?“ Sie gingen nebeneinander durch die Palastflure, in fünf Schritten Abstand gefolgt von den Hofdamen und Leibgarden. „Nein. Was nur gut ist. So wird er, wie erwartet, in vier Wochen von seiner Inspektionsreise durch das Kernland zurückkehren.“ „Bis dahin seid Ihr der Regent.“ „Nun, da seine Söhne nicht in Paradisa sind...“ Uther blieb diplomatisch, hörten doch einige Leute zu. Anawiga war dies bewusst: „Natürlich.“ „Ich denke, Ihr könnt stolz sein, verehrte Schwägerin. Euch werden mehr Frauen ihr Leben verdanken als meinem teuren Bruder.“ „Kinder zu bekommen ist eben auch Frauensache. - Und ich gebe zu, ich hoffe, diesbezüglich den Kaiser bald erfreuen zu können.“ „Dies ist auch meine Hoffnung.“ Also doch, dachte Anawiga. Sie hatte durchaus Uther hinter Dagoberts Meinungsänderung vermutet. Nur, warum? Wenn der Kaiser seine Söhne nicht als Erben wollte – warum hatte sein Bruder nicht alles daran gesetzt der neue Kaiser zu werden? Sie bemerkte, dass er etwas lächelte – also wusste er, was sie dachte. Er war sicher in keinster Weise dümmer als sein älterer Bruder, eher gefährlicher für Gegner. Es war jedoch rein ehrliche, weibliche Neugier, die sie fragen ließ. „Ihr selbst hofft nicht mehr..?“ Er war unverheiratet. Aber dann erschrak sie fast, als sie einen nie zuvor gesehenen Ausdruck von Schmerz und Trauer in seinen Augen entdeckte. Hastig bat sie: „Vergebt, Graf...ich...es lag mir fern, Euch zu beleidigen.“ „Ihr könnt es nicht wissen.“ Uther sah sich rasch um, ehe er leise gestand: „Es gab einmal eine Frau, die ich nie vergessen konnte. Sie starb bei dem Versuch meine tote Tochter zur Welt zu bringen.“ Darum also war er so an den Hebammen interessiert. Und darum hatte er wohl auch nie wieder geheiratet. „Ich hoffe, dieses Schicksal bleibt mir erspart.“ „Oh, davon bin ich überzeugt,“ beteuerte Uther eilig, der in keinster Weise daran gedacht hatte, dass der Tod bei jeder Schwangerschaft wartete und seine Schwägerin nicht hatte erschrecken wollen: „Und die Ärzte hier am Hofe sind weitaus besser gerüstet als die damals....“ „Natürlich.“ Das mochte stimmen, aber ihr war durchaus bewusst, das jede Schwangerschaft ihre Risiken bot. Auch ihre Mutter war bei der vierten Geburt in fünf Jahren gestorben. Um seinen Faux-pas ein wenig wieder gut zu machen, meinte der Graf: „Ihr würdet mir im Übrigen eine Freude bereiten, wenn Ihr morgen Abend als Vertreterin des Kaisers und erste Dame des Reiches mit bei dem Empfang für den neuen Botschafter aus Westceltica an meiner Seite wärt. Wie Ihr vielleicht wisst sind dies Verpflichtungen, die ich nicht sonderlich schätze, allein.“ „Oh, gern.“ Das war eine nette Abwechslung im doch manchmal recht eintönigen Alltag. „Dann wünsche ich Euch noch einen angenehmen Tag.“ „Danke, gleichfalls teure Schwägerin.“ Auch, wenn seiner nun aus allerlei Bürodingen und einer Sitzung der Berater bestehen würde. Schließlich war er der Regent, der Vertreter seines Bruders. Michel hatte sich entschieden Aquatica so rasch es ging zu verlasen, in der Hoffnung, dass die Abreise nicht zu auffällig wäre und sie vor Markward weg wären. Don Leon hatte ihre Taschen abgeholt, die Miete bezahlt und auch Karten für die Kutsche besorgt. Jedoch atmeten die beiden Agenten erst auf, als sie das Gebiet verlassen hatten, das Aquatica kontrollierte. Diesmal benutzten sie nicht die Eilkutsche sondern übernachteten in Gasthäusern und an Poststationen. Lange hatten sie das Thema umgangen, aber am vierten Abend meinte Sarifa, als sie allein in ihrem Zimmer waren: „Es tut mir leid.“ „Was?“ „Du sollst mich ausbilden....und ich habe dir widersprochen.“ „Ja, hast du. Und es wäre in manch einer heiklen Lage besser einfach zu gehorchen. Andererseits...“ Er setzte sich bequemer auf den Stuhl: „Es war vielleicht auch gut. Als man mir einen Degen gab war ich sieben, als ich das erste Mal damit tötete vierzehn – man vergisst, dass es auch andere Möglichkeiten geben könnte als jemanden umzubringen. Sicher, in einer Schlacht oder auch einem Duell bleibt nur die Wahl zwischen töten und selbst sterben, aber wenn es eine Wahl gibt, sollte man sie nutzen.“ „Glaubst du, Alessandro geht zum kaiserlichen Gerichtshof?“ „Ja. Er ist kein Idiot und seine Lust den Märtyrer zu spielen war ziemlich schnell wieder erloschen. Er würde wohl auch die...nennen wir es politische Lösung vorziehen. Zumal der Kaiser dann legal eingreifen kann und weder Könige noch Städte sich durch solch einen einmaligen Vorfall bedroht fühlen könnten. Und die lieben Cosa und Pagnotta sich deutlich zurücknehmen müssten.“ „Ja, das habe ich verstanden.“ Sarifa legte sich auf das Bett: „Lernen alle Adeligen mit sieben fechten?“ „Im Prinzip ja. Der Lehrplan der Knappenschule ist ähnlich dem in den Burgen und Schlössern.“ „Knappenschule?“ Das konnte sie nicht wissen: „Das ist der Name für eine Schule für adelige Waisen am Kaiserhof. Man lernt dort alles, was einem der Vater oder die Mutter sonst beigebracht hätten.“ Waise? „Dann hast du deine Eltern früh verloren.“ Michel seufzte etwas, aber sie hatte wohl als seine Partnerin ein gewisses Anrecht zu fragen, zumal, wenn er bedachte, dass sie aus einer anderen Kultur kam, und aus einer großen, mehr oder weniger glücklichen Familie: „Meine Mutter starb als ich sechs war. Und....nun ja. Ich war unehelicher Geburt.“ Unehelich hieß unehrlich – und bedeutete keine Erbansprüche, kein Anrecht darauf ein Handwerk, einen anderen ehrbaren Beruf, zu erlernen. Die junge Assassine setzte sich unwillkürlich auf: „Dann hattest du Glück in diese Schule zu dürfen?“ „Ja. Kaiser Dagobert ernannte mich zum vollgültigen Erben meiner Mutter, da es auch keine andere männliche Verwandtschaft ihrerseits mehr gab. Und in der Schule fragte dann auch niemand mehr. Es gab genug andere Kinder, deren Eltern beide tot waren. Darum schickten sie mich dann ja auch in die kaiserlichen Leibgarden. Zum einen weil ich recht gut mit dem Degen umgehen konnte, zum zweiten, damit ich die Ausbildung weiter belegen konnte. Nach der Schlacht gegen die Nordleute bot mir Graf Uther an für ihn zu arbeiten. Das klang recht interessant – und ich gebe zu, so gern habe ich die Gutsverwaltung auch nicht. Ich war da Zwanzig. - Bei dir war ja die gesamte Familie da? Nur dein Vater wurde ermordet?“ „Ja, von einem Meuchelmörder. Das hat der allerdings nicht lange überlebt.“ „Kann ich mir vorstellen. Deine Mutter?“ „Mutter, Onkel und mein ältester Bruder..“ „Du hast fünf Brüder. Und wie viele Cousins und Cousinen?“ „Dreizehn Cousins und vierzehn Cousinen. Nun, das hört sich mehr an als es ist. In unserem Dorf sind wir ja alle miteinander verwandt. Auch, wenn ab und an Leute wie Tante Anna nach außen heiraten und manchmal auch andere zu uns hinein.“ „Was muss denn jemand tun um in euer Dorf ziehen zu dürfen?“ fragte Michel in ehrlicher Neugier: „Ich zum Beispiel?“ „Jemanden aus dem Dorf heiraten und mitarbeiten.“ Sie überlebte kurz, aber sie sollte ihm besser nicht sagen, dass er gegen jeden einzelnen ihrer Brüder kämpfen müsste. Das stand ja nicht zur Debatte. Michel lächelte denn auch nur: „Schafe hüten und die Felder bestellen? Nun, ich bin froh, dass ich das nicht selbst machen muss sondern das meine Bauern tun.“ „Weißt du, wer dein Vater war? Ich meine, wenn deine Eltern nie verheiratet waren...?“ Sie brach ab. Das war wohl zu neugierig. Uneheliche Geburt war ein heikles Thema, auch, wenn es bei ihm wohl einigermaßen gut gegangen war, dank des Kaisers. So war es allerdings kaum verwunderlich, dass er sehr kaisertreu war. „Es gab und gibt manchmal Gründe, die eine Heirat ausschließen,“ sagte er sachlich, wenn auch abschließend. Also war sein Vater wohl ein Kirchenmann gewesen, ein Bischof – die durften ja nicht heiraten. Aber das erklärte auch die Intervention des Kaisers, wenn da der Vater für den Sohn gesprochen hatte und die Lage geschildert hatte. Nun, Michel schien mit seinem Leben zufrieden zu sein – und sie sollte ihre Neugier wirklich im Zaum halten. „Hast du Nachricht an Graf Uther geschickt?“ „Ja, eine kurze Nachricht per Brieftaube. Den Rest bekommt er mündlich, wie immer. - Leg dich hin, ich mache die Kerze aus.“ Sarifa rutschte brav etwas, ehe sie ein Messer unter ihr Kopfkissen steckte: „Drei Wochen werden wir noch nach Paradisa brauchen, oder?“ „Sechzehn Tage, vorausgesetzt, wir bekommen keinen Dauerregen und die Straßen sind einigermaßen frei.“ Er blies die Kerze auf und legte sich nieder, wie immer demonstrativ weit außen. „Und wir treffen keine Räuber,“ meinte sie leise. Michel lachte auf. ** Im nächsten Kapitel ziehen einige Leute Bilanz... Kapitel 16: Bilanz ------------------ Während die Kutsche die beiden Agenten am Hügelland von Pisan vorbei, das sich am Fuß der Hochberge erstreckte, und im milden südlichen Klima von Weinbergen und weiten Fruchtplantagen bedeckt war, nach Nordosten, in die Hauptstadt brachte, betrachtete in einer kleinen, südlicher gelegenen Stadt ein Mann mittleren Alters nachdenklich seine langen Finger. Fast nachlässig drehte er den Ring dort. So gut sich alles anließ – es gab noch immer Punkte, an denen der Plan scheitern konnte. Dagobert hatte weiß Gott seine Fehler, aber er war leider nicht dumm. Und sein kleiner Bruder schon gar nicht. Es wäre töricht gewesen anzunehmen alles funktioniere, nur, weil Uther bislang nichts davon mitbekommen hatte. Die Betonung lautete: bislang. Er sah zu dem staub- und kotbedeckten Mann vor ihm auf: „Du warst rasch hier, Bote. Gib mir deine Nachricht.“ Er nahm den Brief: „Gut. Lass dir in meinem Vorzimmer deinen Lohn auszahlen. Wann kannst du erneut nach Paradisa aufbrechen?“ „Morgen, Herr.“ „Ich werde dir weitere Anweisungen mitgeben. Geh.“ Der Bote würde einen guten Lohn bekommen Investitionen zahlten sich aus, zumal, wenn Dagobert den Fehler beging, weiterhin nie herausfinden zu wollen, woher die Meuchelmörder, die Geißel dieser Zeit, wirklich stammten. Wüsste er, dass seine gut gemeinten Sumpftrockenlegungen derart viele Leute verarmen hatten lassen, da der große Fluss nun andere Wege nahm und die bisherigen Felder brach liegen ließ...nun, das passierte eben, wenn man nicht selbst überall war. Nicht, dass er sich beschwert hätte. Dagobert und sein Berufsheer vor der Tür zu sehen war nichts, was jemand sich wünschen würde. Und es war eine schlichte Tatsache, dass Dagoberts Feinde oft recht früh und unerwartet starben. Uther hatte da einen Blick drauf. Nein. Er selbst hatte so viel Zeit, Geld und Geduld investiert, da sollte er nun gegen Ende nicht hektisch werden, nicht jetzt noch die Sache eigenhändig in Gefahr bringen. Er las den Brief langsam, ehe er ihn nachlässig in das Feuer des Kamins hinter sich warf. Hm. Hatte Uther einen Fehler begangen? Wer war dieser Michel de la Montagne, mit dem er bei dem letzten Fest erschienen war? Der Beschreibung nach ein junger Landadeliger mit unstillbarem Hunger nach Luxus. Aber was hatte der mit Uther zu schaffen? Wollte der Kaiserbruder den überwachen? Selbst? Ungewöhnlich. Und alles, was an den kaiserlichen Brüdern ungewöhnlich war, war nachhakenswert. Seine Leute sollten sich diesen Knaben aus der Marche mal genauer ansehen. Bedauerlicherweise schien die junge Kaiserin schüchtern oder vorsichtig genug zu sein, keinen Fehler zu begehen, sich in keine einzige auch nur andeutungsweise kompromittierende Situation zu begeben, schon gar nicht mit Uther. Der Mann blickte in das Feuer. Den Verdacht des Ehebruchs auf Kaiserin und Kaiserbruder zu werfen wäre zu hübsch – aber da passten beide geradezu höllisch auf. Schade. Uthers Hinrichtung durch den eigenen Bruder wäre ein reizendes Ziel seiner Rache – und die dieser Anawiga auch. Was stand nochmal auf Ehebruch der Kaiserin? Nun, gleich. Solange sie sich keinen Fehler leisteten konnte er nur in seinen Phantasien schwelgen. Er hatte Jahrzehnte in die Rache investiert – und langsam musste er es durchziehen, wollte er seinen Triumph noch ausgiebig erleben. Das sollte er nicht dadurch riskieren, dass er leichtsinnig wurde, höhere Ziele anstrebte als zu erreichen waren. Uther musste als erstes fallen. Und dann würde es Dagobert. „Du musst kochen lernen,“ grinste Michel an diesem Abend. Sarifa stöhnte leise auf: „Ich wusste wirklich nicht mehr, was ich tun soll.“ In der offiziellen Kutsche waren heute andere Passagiere zugestiegen, darunter auch eine Frau, die sich unverzüglich mit der einzig anderen weiblichen Reisenden über Kochrezepte hatte unterhalten wollen. Stundenlang. Die Fähigkeiten der Assassine diesbezüglich beliefen sich eher auf die notwendigsten Kenntnisse und so war sie etwas in Schwierigkeiten gekommen, ehe Michel das Thema auf Seide und andere Stoffe aus Aquatica gelenkt hatte. Mochte er sich auch darüber amüsieren, dass seine Partnerin die sogenannten weiblichen Künste nicht beherrschte, so war er doch hilfsbereit genug sie nicht im Stich zu lassen. Überdies kannte er ihre Fähigkeiten und hatte einen gesunden Respekt vor ihrem Umgang mit etwas spitzeren Gegenständen. Tatsächlich hatte er gemeint, die Finger der Assassine zu ihrem Armdolch zucken zu sehen und hatte lieber eingegriffen. Jetzt meinte er: „Du hast dich ganz tapfer geschlagen. Das gehört eben zu einem Leben wie dem unseren dazu. In Rollen zu schlüpfen. Und ich hätte gedacht, dass du das kannst.“ Sofort wollte sie sich verteidigen: „Ja, das wurde mir beigebracht. Und wenn ich mich an den Herd stelle, bekomme ich etwas Essbares heraus. Nur...Kochrezepte, über Stunden.....“ „Ich gebe zu, die Gute war lästig. Morgen noch, dann steigt sie um.“ „Ich habe morgen Kopfschmerzen.“ Michel hätte zu dieser sehr weiblichen Verteidigungsstrategie etwas sagen mögen, hielt es aber für besser zu schweigen, da die junge Dame gerade ihren linken Dolch abschnallte.So meinte er nur: „Nun ja, im Notfall könnte ich eine andere Kutsche mieten. Nur für uns zwei.“ Die Zweideutigkeit entging Sarifa: „Nein, das wäre doch zu teuer. Der Graf wird nicht jede Rechnung von dir bezahlen.“ Lieber nicht nachhaken: „Nein, aber er ist nie knauserig, das solltest du schon mitbekommen haben. Und ich habe da sowieso etwas freiere Hand als andere.“ „Nun ja, er hält dich für seinen besten Mann. Warum eigentlich?“ „Ich war bislang erfolgreich. Nicht, dass ich angeben will, aber ich hatte wirklich gute Lehrer.“ „Ich hoffe, ich auch.“ Michel, der sie ausbilden sollte, schwieg lieber. Da wäre wohl jede Antwort falsch gewesen. Nach einer Pause, in der sie ihre Dolche unter den Umhang, aber doch griffbereit neben ihre Bettseite legte, meinte sie: „Woher hast du eigentlich gewusst, dass Alessandro Pisi genau in dieses Haus gehen würde?“ „Du hast die Treppe gesehen und meintest, es sei ein guter Ort. Ich nahm an, dass jeder, der ein Attentat am gleichen Ort begehen will, auch ähnlich denkt. Das Risiko in ein anderes Haus zu gehen, dort unbemerkt durch alle Stockwerke, wäre einfach viel zu hoch gewesen. Die wenigsten Mörder sind bereit Selbstmord zu begehen. Assassinen ausgeschlossen, ich weiß, aber das macht dein Volk ja auch legendär.“ Er hatte sich ebenfalls die Oberbekleidung ausgezogen und streckte sich neben ihr aus: „Überdies: ich mache diese Arbeit seit zehn Jahren. Irgendwann entwickelt man einen gewissen Sinn für Gefahren und auch dafür, wie die andere Seite denkt. Schwer zu erklären..“ „Wie auf der Jagd? Wenn man weiß, dass das ein ideales Versteck wäre?“ „Vermutlich. Ich habe nur mit dem kaiserlichen Hof gejagt, da ist das etwas anderes.“ „Natürlich.“ Aber Sarifa lächelte nur: „Dann mach die Kerze aus, ja?“ „Natürlich, mein Engel.“ In Paradisa erstattete Michel wie üblich unauffällig dem Geheimdienstleiter Bericht, während sich Sarifa nach Hause auf den Weg machte, durchaus froh, dass die lästige Nacharbeit, auch die Abrechnungen der Spesen, an ihrem Ausbilder hängen blieb. Sie machte sich nach einem kurzen Abstecher in ihre Wohnung zu dem Mietstall auf, in dem sie ihren Wallach untergestellt hatte, um nach ihm zu sehen. Zu ihrer unangenehmen Überraschung tauchte fast unverzüglich der Besitzer des Mietstalles auf. „Ah, ma donna...Ihr wart einige Wochen nicht hier. Ich dachte schon, Ihr hättet das hier vergessen.“ „Unwahrscheinlich, nicht wahr?“ Aber sie ließ das Pferd los und griff in die Tasche, in der naheliegenden Annahme der Besitzer wolle die ausstehende Miete einkassieren. Dieser, ein Mann um die Fünfzig, der kaum größer als Sarifa war, schob das Geld auch ein, ehe er sagte: „Nun, wie Ihr wisst, ma donna, gibt es in Paradisa nur wenig Mietställe, die anderen liegen alle vor den Stadtmauern. Ich habe ein Angebot für diesen Platz bekommen. Der Herr würde zehn Gulden bieten, viel mehr als Ihr wohl bereit wärt, für dieses alte Pferd zu zahlen, das ja vermutlich hier in Eurer Großzügigkeit nur das Gnadenbrot bekommt....“ Er brach ab, denn der Blick der jungen Dame gefiel ihm irgendwie nicht: „Oder doch?“ „Zehn Gulden für ein Pferd sind in der Tat ein Wucherpreis!“ Sie musste nur an Aquatica denken. „Nun, ich sagte dem Herrn zu, sobald Ihr wieder hier seid, Euch zu kündigen. Der Pferdemetzger...äh..ich meine, ich wollte nicht ohne Euer Einverständnis....Ich meine....“ Ihm lief ein kalter Schauder über den Rüclen, den er sich nicht erklären konnte. Sarifas dunkle Augen blitzten: „Wenn ich ihn hier nicht mehr vorgefunden hätte, wäre es Euch schlecht bekommen, soweit habt Ihr Recht. - Nun, ich werde einen anderen Platz für ihn finden.“ Der Vermieter lächelte fein: „Irgendwo, sicher, ma donna. Hauptsache, er ist morgen hier raus.“ „Das wird er.“ Sarifa bemühte sich ihren Zorn zu zügeln. Vermutlich hatte Michel Recht und keiner betrachtete sein Pferd als seinen Weggefährten oder gar Freund. Wieso wollte eigentlich jemand dann soviel für die Unterstellung bezahlen? Nun ja, in der kaiserlichen Hauptstadt lebten viele Adelige und reiche Bürger, denen wohl die Nähe wichtiger war als der Preis. So machte sie sich auf den Weg zu Michel, um den um Rat zu fragen. Immerhin lebte er seit Jahren in Paradisa. Dieser war soeben nach Hause gekommen und seufzte unhörbar, als er das Problem seiner Partnerin vernahm. Er wusste, dass sie an dem alten Wallach hing, aber er hatte schon nicht verstanden, warum sie sieben Gulden die Woche für den Unterstand bezahlte. Allerdings schien sie in dem Pferd eine Art Familienangehörigen zu sehen und überdies war mit einer deutlich angesäuerten Assassine schlecht zu diskutieren. Hätte der Stallvermieter den Wallach wirklich einfach, in der irrigen Meinung ihr sei das gleich, dem Pferdemetzger ausgeliefert, so hätte der törichte Mann wohl den letzten Fehler seines Lebens begangen. So seufzte der Adelige nur, diesmal lauter: „Na schön. Du hast doch Zugang zum kaiserlichen Palast? Den Passierschein?“ „Ja.“ „Ich schreibe dir ein paar Zeilen und du fragst nach Stallmeister Charibert, ja?“ „Gut, danke,“ erwiderte Sarifa beruhigt, die keinen Schimmer davon hatte was ein Stallmeister eigentlich tat und annahm, er sei eben eine Art Stallvermieter für die Pferde des Kaisers. Michel ahnte das zwar, aber wenn er ihr gesagt hätte, dass der Stallmeister nicht nur sämtliche kaiserlichen Pferdeställe unter sich hatte, sondern auch der Anführer des berittenen Teiles des Heeres war, wäre es ihr vermutlich auch gleich gewesen. So erklärte er nur: „Ich hatte bei ihm Unterricht. Sei nett zu ihm.“ „Sicher. Meinst du, er kann meinen Wallach unterstellen?“ „Ja, vermutlich.“ Und mit diesem Empfehlungsschreiben würde er es wohl tun. So stand sie nur zwei Stunden später vor einem Mann um die Fünfzig, dessen Gesicht und Hände verrieten, dass er sich viel an der frischen Luft aufhalten musste. Durch nichts zeigte Charibert, dass er sich wunderte, ein junges Mädchen vor sich zu sehen. Wollte sie ihren Mann oder Verlobten besuchen? „Ein Brief, ma donna?“ „Ich....ich denke, darin ist mein Anliegen an Euch erklärt,“ meinte sie etwas vorsichtig. „Michel?“ Er betrachtete das Siegel, ehe er öffnete. Schön, das war mal etwas Neues. Er kannte seinen ehemaligen Schüler als durchaus den Frauen zugetan, aber er war sicher, dass der noch nie versucht hatte eine junge Dame dadurch zu erobern, dass er einen Platz für ihr Pferd suchte. Das war amüsant. War der gute Michel etwa mal mehr als nur verliebt? Nun ja, sie war hübsch, wenn auch wohl eine Bürgerliche. Aber sie war in keiner Weise scheu oder auch nur eingeschüchtert von der Tatsache, wem sie hier gegenüberstand. Interessant. „Nun ja, ich könnte Euer Pferd unterstellen, ma donna,“ sagte er: „Allerdings wohl eher in den Stallungen vor der Stadt, hier ist der Platz doch recht beengt.Was natürlich für Euer Tier auch Weideauslauf bedeuten würde.“ „Oh ja, das würde ihm sicher gut tun. Was...was wollt Ihr dafür haben?“ Der kaiserliche Stallmeister, einer der höchsten Beamten des gesamten Reiches, sah sich bestätigt, dass sie keine Ahnung von seiner Tätigkeit hatte: „Tja, für wen arbeitet Ihr denn, ma donna?“ „Mein Geld kommt aus der kaiserlichen Kasse,“ erwiderte sie diplomatisch und bemerkte, wie der Mann die Brauen hob: „Stört es Euch?“ „Nein, ich wundere mich nur soeben Euch noch nie bei Hofe gesehen zu haben. Und ich habe ein vorzügliches Personengedächnis. Nun, gleich. Arbeitet Ihr für den Kaiser, so stelle ich Euer Tier kostenlos unter, einverstanden?“ Soweit käme es noch, dass Dagoberts rechts Hand Geld bezahlte, das die Linke wieder einnahm. „Danke, das ist sehr freundlich von Euch.“ Sarifa lächelte dankend – und ahnte nicht im Mindesten, welchen Schreck ihr bisheriger Vermieter in weniger als einer Stunde erhalten würde, wenn zwei kaiserliche Stallknechte in Begleitung zweier Leibwachen einen alten Wallach abholen kommen würden – und er sich verzweifelt fragte, wer diese junge, deutlich einflussreiche Dame sei, die er offensichtlich verärgert hatte. Fast zwei Stunden vor den Toren der Stadt hatte ein vornehmer Herr an einem warmen Spätherbstmittag ein eigenes Speisezimmer in einem guten Gasthof gemietet. Der Wirt bediente ihn daher auch äußert höflich, nicht ahnend, dass es sich um den Bruder des Kaisers handelte. Dazu war die Kleidung, die Uther gewählt hatte, doch zu einfach, wenn auch adelig. Er sah erst auf, als ein junges Paar eintrat: „Ah, schön, dass Ihr so rasch kommen konntet. Nehmt Platz.“ Michel und Sarifa gehorchten. „Ein ungewöhnlicher Treffpunkt, werter Graf“ meinte der Agent nur. „Ich wollte verhindern, dass Euch jemand Falsches sieht. Oder auch mich. - Ich habe einen Auftrag für Euch.“ „Oh, wir hatten ja auch erst vier Wochen frei.“ „Eben. - Es geht um einen Mann namens Henri Gustav. Er wurde von der kaiserlichen Polizei verhaftet, da er im Verdacht stand, an einem Überfall auf die Stadtkasse von Lorgnan beteiligt gewesen zu sein. Leider blieb es bei dem Verdacht, es konnte ihm nichts weiter nachgewiesen werden. Ich erfuhr davon, da alle Verhaftungen gemeldet werden und einer meiner Männer mitdachte – der Geheimdienst hat Gustav auch schon einmal beobachtet. Er hatte Kontakte zu einigen Leuten, die an der Westküste mit Piraten in Verbindung stehen sollen. Piraten benötigen oft auch Geld, wenn ihre Jagden durch die kaiserliche Marine schlecht laufen oder sie ein Schiff im Sturm verlieren. Gustav wird in drei Tagen freigelassen, in Lorgnan. Eine Adresse ist nicht weiter bekannt, allerdings wurde er in einer Gastwirtschaft dort verhaftet und zuvor auch öfter gesehen. Zum Schwarzen Lamm. Ich möchte, dass Ihr ihn beobachtet, was er tut, ob er Kontakt zu anderen aufnimmt, vor allem zu Männern aus Küstendörfern. Die Küste in der Gegend von Lorgnan, Sarifa, gehört zur Provinz Borea und ist recht steil und felsig. In den unzähligen Buchten dort mag sich ein Schiff der Piraten verstecken.“ Er reichte Michel eine Akte: „Bitte. Notwendige Bankbriefe liegen ebenfalls dabei, für Eure Auslagen. - Sarifa, darf ich Euch eine etwas neugierige Frage stellen? Woher kennt Ihr Charibert?“ Etwas überrascht antwortete sie: „Den Stallmeister? Michel war so freundlich ihn zu bitten, dafür zu sorgen, dass ich mein Pferd unterstellen kann.“ Der Bruder des Kaisers blickte zu diesem: „Charibert – ein Pferd unterstellen? Dahinter steckt wohl eine interessante Geschichte.“ „Äh, ja....“ Michel streifte ein wenig verlegen sein Haar zurück. Für höfische Verhältnisse war das in etwa das Gleiche, als ob er den Kanzler gebeten hätte, ihm einen Tisch in einer Wirtschaft zu reservieren: „An dem Wallach hängt meine Partnerin sehr und er musste aus dem Mietstall raus....“ „Sehr schön. Der Kämmerer erzählte mir nämlich etwas irritiert, dass wir seit Neuestem fremden Pferden das Gnadenbrot geben, warum er nichts davon wisse. Und Charibert hüllte sich in Schweigen. Oh, bis nächste Woche bin noch immer ich der Regent, falls Ihr das vergessen habt.“ „Ich musste den armen Kerl doch irgendwo unterstellen,“ sagte Sarifa empört – so nachdrücklich, dass Graf Uther, der zweitmächtigste Mann des Reiches, beschloss, die Unterbringung eines alten Pferdes würde das Reich nicht so sehr an den Rand des Untergangs treiben wie die Verärgerung der Assassinen. Tierlieb waren sie also auch noch.... So meinte er nur sachlich: „Ich habe den Wirt bereits angewiesen eine private Eilkutsche zu beschaffen. Raoul hat Euch die notwendige Kleidung gegeben, meine Teuerste?“ „Ja, danke. Zwischen adelig bis bürgerlich sehr breitgefächert.“ „Das liegt daran, weil wir nichts über die Zusammenhänge in Lorgnan oder auch Henri Gustav wissen. Eure..hm...Assassinengarderobe habt Ihr ja stets bei Euch?“ Ein leichter Ruck ihrer Hand und ein Messer lag darin. Graf Uther erlaubte sich ein Lächeln: „Sehr gut. - Michel, noch Fragen?“ Der schlug die Akte zu und schob sich die Bankanweisungen in das Wams: „Habt Ihr Neuigkeiten aus Aquatica?“ „In der Tat. Alessandro Pisi stellte sich dem kaiserlichen Gericht zu Paradisa. Sie ermitteln nun und er sitzt in Gewahrsam. Wenn seine Version stimmt, dürfte es bald in Aquatica Ärger geben.“ „Sie haben ihn gefoltert,“ erklärte Sarifa. „Folter ist bedauerlicherweise manchmal notwendig – wenn auch ein sehr dummes Mittel der Ermittlung,“ sagte Uther nüchtern: „Man erfährt das, was man hören will und nicht unbedingt die Wahrheit. Andererseits – wenn man im Feld steht und einen feindlichen Spion erwischt, ist es für zumindest die eigenen Männer lebensrettend zu erfahren, wo die Falle ist. Eine schwierige moralische Frage, Sarifa. Wie alles, für das man Verantwortung übernimmt. - Zu Henri Gustav?“ „Keine Fragen,“ meinte Michel sachlich: „Wir fahren unauffällig mit der Tageskutsche in Lorgnan ein und werden uns diese Wirtschaft Zum Schwarzen Lamm einmal ansehen. Dann entscheide ich weiter. Wann wird Gustav freigelassen? Ja, in drei Tagen erwähntet Ihr, aber das wird eng. Morgens oder abends?“ „Morgens gegen zehn. Länger darf es die Polizei nicht hinausschieben.“ „So müssen wir bis dahin in Lorgnan sein. Hm.“ „Die Eilkutsche könnte wirklich hilfreich sein,“ meinte Sarifa ehrlich: „Wenn ich mich recht entsinne liegt Lorgnan näher an Paradisa als die Marche, aber doch gute drei Tagesreisen....“ „Da hast du recht, meine Sachlichkeit.“ Michel sah auf: „Dann entschuldigt Ihr uns.....“ „Natürlich. Die Kutsche dürfte Euch erwarten. Viel Glück.“ Und das klang ehrlich. Nur wenige Minuten später jagte die Eilkutsche Richtung Nordwesten. In zwei Stunden würden die Pferde gewechselt, bei Nacht, wenn auch langsamer, weitergefahren. Anstrengend für die beiden Kutscher und die Passagiere, aber die einen wurden zu gut bezahlt um sich zu beschweren, die anderen wussten um die Notwendigkeit. „Piraten,“ sagte Sarifa nur: „Im Südmeer gibt es auch welche.“ „Immer auf den Meeren, mein Engel. Manche Leute halten die Störung des Handels für eine simple Methode, um an Geld zu kommen. Die kaiserliche Marine ist da gut beschäftigt. Was weißt du von Lorgnan oder auch der Provinz Borea?“ „Sie heißt Provinz, weil es dort keinen König gibt und eigentlich auch so gut wie keine Städte. Also, zumindest keine selbstständigen.“ „Ja. Indirekt gehört es noch zum Kernland und untersteht Kaiser Dagobert. Nun ja....Es sind freie Bauern, wenige Städte, die größte und der größte Hafen ist Lorgnan. Ist recht gut befestigt, weil früher immer wieder Angriffe aus Westceltica kamen, aber das hat sich zum Glück gelegt. Jetzt sind nur noch die Piraten lästig. Oder, um es so zu sagen, eine echte Behinderung des Handels. Lorgnan ist insgesamt eine Hafenstadt, viele fremde Leute sind da und entsprechend rau sind die Sitten. Als meine Frau, oder überhaupt als weibliches Wesen solltest du aufpassen, beziehungsweise dich sehr zurückhalten. Nicht, dass ich anzweifle, dass du dich verteidigen kannst, aber wir wollen unauffällig bleiben.“ „Wir waren doch schon in zwei Hafenstädten,“ erklärte Sarifa ein wenig verwundert: „Und weder Lavinia noch Aquatica schienen mir diesbezüglich besonders....wild.“ „Ja, aber sie liegen auch am Südmeer. Das ist einfacher zu befahren, weniger Stürme und so. Hier sind die Sitten...härter. Ich werde vermutlich mich auch mit einigen Leuten herumschlagen dürfen und bitte das wörtlich zu nehmen.“ „Deine Heimat, die Marche, liegt doch nicht soweit weg.“ „Ja, ist aber das ist mehr angestammtes Bauernland. Das hier...in Borea wohnten lange nur Fischer und im Hinterland einige Bauern mit ärmlichen Feldern. Um die Städte zu gründen und zu besiedeln rief der Kaiser vor gut hundert Jahren, oder eher mehr, Siedler aus allen Teilen des damaligen Reiches. Es kamen naturgemäß auch viele Glücksritter und Leute, die sich anderswo nicht mehr blicken lassen konnten und das hat sich bis heute mehr oder weniger erhalten. Die städtischen Behörden sind gut beschäftigt. Deswegen will ich auch vorsichtig sein, was dieses Schwarze Lamm betrifft und erst einmal allein hingehen. Für den Fall, dass das eine Seemannswirtschaft ist.“ Sarifa nickte. Das klang lästig. ** Piraten können weitaus mehr als lästig fallen, wie die beiden noch feststellen werden.... Das nächste Kapitel wird voraussichtlich erst in zwei Wochen online kommen. Kapitel 17: Emsby ----------------- Lorgnan entpuppte sich als kleine, fast übermäßig befestigte kleine Stadt, an deren Stadtzentrum Sarifa nichts fand, was die wilden Gerüchte bestätigt hätte, als sie in einem Gasthaus unterkamen, das eindeutig für Händler besserer Gattung die Anlaufstelle darstellte. Michel gab denn auch zu, dass die Gerüchte in der Marche wohl übertrieben worden waren, bestand jedoch darauf, sich als einfacher Mann allein zum Schwarzen Lamm zu begeben, der einzigen Kontaktadresse, die sie bekommen hatten. Und dieses lag, soweit reichte der große Stadtplan, den Graf Uther ihnen mitgegeben hatte, eindeutig in der Hafengegend. Sarifa, die darin nur die nördliche und höfische Manier erkennen konnte, jedoch keine Beleidigung ihrer Fähigkeiten, wartete geduldig in ihrem Zimmer. Es war schon weit nach Mitternacht, ehe ihr Partner zurückkehrte. Sie setzte sich abrupt auf, sagte aber lieber nichts, da er recht finster dreinsah. Und eine dunkle Prellung am Unterkiefer zeigte, dass seine Aussage, er werde sich schlagen müssen, nicht ganz sinnlos gewesen war. Michel bemerkte ihre Reaktion und achtete darauf, die Tür sorgfältig zu schließen, ehe er meinte, durchaus geschmeichelt: „Du solltest meinen Gegner sehen. Und der durfte dem Wirt noch zehn Gulden zahlen, weil er gegen diverse Tische geprallt ist und sie zerlegt hat. Ich bin meist ausgewichen, weil der Kerl komplett betrunken war. - Das könnte mühselig werden.“ „War Henri Gustav nicht da?“ „Doch, schon. Und das gezeichnete Bild entspricht ihm wirklich mehr als... Aber er saß in einem Eck und sprach mit niemandem.“ „Er wurde heute aus dem Gefängnis entlassen, womöglich sucht er Verfolger.“ „Genau das denke ich auch, meine Sachlichkeit. Ich hütete mich daher auch nur den Anschein zu erwecken an ihm interessiert zu sein und ließ mich mit einem anderen Mann auf ein längeres Gespräch ein. Ich gab an Arbeit zu suchen, am Hafen oder so, weil ich nicht mehr auf See fahren wolle. Ich bin jungverheiratet und meine Frau erwarte ihr erstes Kind...“ Er bemerkte den zweifelnden Blick der Assassine: „Mir fiel nichts Besseres ein, um mein Interesse an egal was für einer Arbeit hier zu bekunden. Der meinte, ich solle mich an den Hafenmeister wenden, der vergäbe die Arbeiten hier. Besagter Hafen ist übrigens von den ganzen....hm...“ Wie sollte er das einer sittsamen jungen Dame erklären? „...Kneipen und anderen Dingen durch eine Palisade getrennt. Nicht aus Holz, sondern aus Ziegeln, vermutlich aus Brandschutzgründen. Nun, gleich. Als Gustav endlich ging, folgte ich ihm möglichst unauffällig. Zu meiner Überraschung marschierte er hier ins Stadtzentrum und stieg in eine Kutsche. An deren Schlag war ein Wappen angebracht, und glaube mir, ich kenne alle hier im Kernland: das war das Wappen der Emsby.“ Sarifa hob die Brauen: „Ein Adeliger, Piraten und ein Überfall auf die Stadtkasse?“ Er teilte diese Überraschung: „Auf alle Fälle hat der Herr von Emsby interessante Bekannte. Nun gut, vielleicht arbeitet Gustav schlicht bei ihm, er muss ja schließlich von etwas leben.“ „Michel,“ meinte Sarifa sanft: „Würdest du einen Dienstboten in deiner eigenen Kutsche abholen lassen?“ „Womit du Recht hast.“ Er ließ sich auf das Lager fallen: „Ich bin ein wenig müde, mein Engel. Wann gibt es hier Frühstück?“ „Wann du willst. Allerdings kostet es unten einen halben Gulden für uns beide, wenn wir hier oben essen einen viertel.“ Michel hütete sich zu lächeln: „Ein halber Gulden wäre offiziell ein Dukat, ein Viertel ein Silberpfennig, aber das sagt natürlich hier niemand. Heißt das im Süden anders?“ „Ich kenne nur Gulden. Innerhalb des Dorfes gibt es ja kein Geld.“ „Eines Tages besuche ich dich doch. - Gut. Dann schlafen wir uns aus, frühstücken und gehen, lassen unser Gepäck aber hier. Das dürfte unauffälliger sein. Und wir werden uns morgen Nachmittag und Abend mal ganz dezent das Herrenhaus von Emsby ansehen. Es liegt an der Küste, wenn ich mich recht erinnere.“ „Du kennst den Herrn von Emsby nicht?“ „Nein.“ Er dachte nach: „Ich weiß, dass ich damit etwas verbinden sollte, aber mir fällt nichts ein. Vielleicht bin ich ihm einmal bei Hofe vorgestellt worden, aber.....“ Er zuckte die Schultern: „An all die Leute erinnert sich kein Mensch.“ „Vielleicht fällt es dir wieder ein.“ Sarifa legte sich ebenfalls wieder hin: „Dann gute Nacht.“ Am folgenden Tag regnete es, als die beiden Agenten die Stadt verließen, und herbstliche Winde fegten über das Land. Wie üblich lagen kurz außerhalb der Mauern Pferdeställe und Michel mietete zwei Tiere. Sarifa trug ihren Umhang und darunter verborgen ihre Assassinenkleidung, er selbst hatte sich als einfacher Bürger in schlichten Brauntönen angezogen, seine blondgelockten Haare straff nach hinten zu einem Zopf gebunden und jeden Schmuck abgelegt. Nach zwei Stunden Ritt beneidete er seine Partnerin. Sein eigener kurzer Umhang war inzwischen ebenso durchweicht wie die gestrickten Strumpflinge und es wurde ungemütlich kalt – sie war unter dem ihrem noch immer trocken. Allerdings kannte er aus seiner Militärzeit und auch von diversen Aufträgen derartige Unannehmlichkeiten – es gab weitaus Ärgeres, was einem passieren konnte. Allerdings zügelte er sein Pferd unter einem dichten Baum, ehe er aus der Satteltasche die Landkarte hervorzog. Sarifa hielt sofort neben ihm: „Was ist?“ „Wir sollten nicht durch das Dorf Emsby reiten. Wer weiß, wer dort seinem Herrn so alles dient. - Ah, das ist gut. Der Herrensitz liegt ein Stück außerhalb. Das hier sollte er sein, direkt an der Küste. Dann werden wir ein wenig querfeldein reiten. Das Wetter ist uns hold, denn kaum einer wird auf dem Feld arbeiten.“ „Wie du meinst,“ sagte die Assassine höflich. Fast drei Stunden später hielt Michel erneut an und stieg ab. Seine Partnerin fragte nicht warum, da sie die Ursache entdeckte. Vor ihnen lag das Meer samt der Steilküste von Borea. Sie banden ihre Tiere an, ehe sie gegen den Wind vom Meer weitergingen. „Sehr steil,“ murmelte Sarifa und betrachtete die fast fünfzig Meter tiefe Klippe vor sich. „Stimmt. Geh nicht zu nahe heran.“ „Ich bin schwindelfrei,“ protestierte sie prompt. „Nicht deswegen. Aber es ist Kalkfelsen und der bröckelt.“ Wo er Recht hatte....Sie wich etwas zurück: „Wo liegt nun Emsby?“ Michel deutete nordwärts: „Ungefähr dort. Ich hoffte, man würde den Herrensitz von hier aus sehen.“ Die Küste machte in der Tat einen eleganten Schwung landeinwärts. Sarifa dachte nach: „Der Regen vermindert die weitere Sicht. Aber näher heranreiten wäre auch schlecht, oder?“ „In der Tat. Während wir eine..hm...Besichtigung machen könnten jemandem die Tiere auffallen. Nehmen wir ihnen den Zaum aus dem Maul und lassen sie hier.“ Michel wischte sich kurz den Regen aus dem Gesicht: „Und wir gehen spazieren.“ Falls Sarifa Einwände dagegen gehabt hätte bei dem auffrischenden Wind und Regen einen Spaziergang zu machen, so war sie doch Profi genug um zu wissen, dass die Pferde auffällig waren. Hier wuchsen wenigstens noch Büsche und würden sie einigermaßen verstecken, jedoch keine Bäume. Und in die Richtung, in der das Herrenhaus lag, wuchsen nur noch niedrige Heidekräuter und andere Zwergbüsche. Der ständige Wind mochte die Ansiedlung von Bäumen verhindern. Michel kam zu ihr: „Lass deine Dolche hier,“ meinte er und ergänzte eilig: „Ich weiß, dass du sie gern trägst, aber, falls wir auffallen, sei es, dass wir nur beobachtet werden, sei es, dass wir als Gäste empfangen werden – das würde unsere Tarnung auffliegen lassen.“ „Du bist also unbewaffnet.“ Mit innerem Seufzen schnallte sie die Dolche ab. „Ich verstehe nur mühsam....“ „Armreifdolche sind keine gewöhnliche Tracht einer Bürgerin, meine Teure. Und wenn Emsby oder einer seiner Männer mitdenkt, würde er sich wundern.“ „Sie sollen uns doch gar nicht sehen.“ „Stimmt. Aber man weiß ja nie. Ich hoffe sowieso, dass das schlechte Wetter die Leute im Warmen hält und keiner guckt ob hier Fußgänger herumlaufen.“ Und so gesehen war der Regen ein Segen, so lästig und kalt er sonst auch sein mochte. Das stimmte freilich und so schob sie ihre Messer in die Satteltasche, allerdings froh, dass er keine weiteren Anweisungen hatte. So wichtig es auch sein mochte harmlos zu erscheinen – ohne Klingen war sie nur ungern. So zog sie nur die Kapuze tiefer über ihr Gesicht: „Gehen wir.“ So liefen die beiden an der Steilküste entlang, bis Michel stehenblieb: „Oha...“ Das galt der Befestigungsmauer vor sich. Der Herrensitz von Emsby war von einer fast drei Meter hohen unvermörtelten Mauer aus grob behauenen Steinen umgeben – zur Landseite hin. Zur Steilküste hatte man sich die Arbeit gespart. Vorsichtig trat Sarifa an den Rand und beugte sich vor, ehe sie zurückkam: „Sie waren nicht leichtsinnig. Die Klippe wurde abpoliert. Hinaufzuklettern wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Aber du sagtest ja, dass es immer wieder Überfälle von Westceltica gab.“ „Ja. Solange das Kaiserreich in sich zerstritten war, ja, Bürgerkrieg herrschte, nutzten es die lieben Nachbarn aus. Jetzt ist nur die Preisfrage, wie wir hineinkommen.“ „Dort scheint eine Art Garten zu sein....“ Die Assassine deutete nach rechts. Michel erkannte im strömenden Regen tatsächlich Beete und einen Brunnen. Sicher war das erst in den letzten zehn Jahren angelegt worden, als die Überfälle aus Westceltica aufgehört hatten und man sich den Luxus eines Gartens außerhalb der Mauern leisten durfte. Das bedeutete, wenn der Gärtner keine Umwege durch das Haupttor machen wollte, würde es wohl eine kleinere Pforte auf dieser Seite geben, da hatte sie Recht. „Hm, sie haben die Tür wohl ein wenig getarnt,“ meinte er mehr zu sich selbst. „Siehst du Wachen?“ „Nein. Du?“ „Nein. Aber es sind ja auch deutlich friedlichere Zeiten. - Falls uns wer fragt, was wir hier machen, ich suche Arbeit und ein Zimmer für dich und mich. Wir bleiben bei der Legende, die ich dem anderen Mann im Schwarzen Lamm erzählte.“ „Das heißt, ich bin schwanger? Ich habe keine Ahnung, wie man sich dann benimmt.“ „Auch nicht anders. Denke ich. - Komm.“ Tatsächlich fanden die Zwei eine kleine, sichtlich neue Tür in der Mauer, die allerdings von innen versperrt war. Sarifa, die die schmaleren Finger besaß, tastete durch den Spalt und schob den Riegel hoch. „Ein gewisses Talent als Einbrecher kann man dir nicht absprechen,“ murmelte Michel, ehe er voran in den Hof des Herrenhauses ging: „Mach wieder zu,“ warnte er noch, ehe er sich umsah. Tatsächlich war kein Mensch zu sehen. Hühner bevölkerten einen Misthaufen, er erkannte die üblichen Stallungen, eine Schmiede, in der allerdings kein Feuer brannte. Insgesamt war alles vollkommen still. Fast zu still, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Aber Geräusche der Menschen mochten auch im Wind und Regen untergehen. Im Erdgeschoss des Haupthauses selbst schimmerte Licht und so ging er vorsichtig näher. Sarifa folgte ihm unverzüglich. Beide entdeckten durch die kleinen, in diesem Klima wohlweislich mit teuren Glasscheiben bedeckten Fenster mehrere Männer. Und stillschweigend waren sie sich einig, dass man wohl lange suchen müsste, um erneut eine derartige Ansammlung von Galgenvögeln zusammen zu bekommen. Einer der Männer trug eindeutig adelige Kleidung. Das und sein Platz am Kopf des Tisches verrieten, dass es sich um den Hausherrn, den Herrn von Emsby, handeln musste. Michel erkannte Henri Gustav, der anscheinend allerlei erzählte. Sarifa wandte den Kopf und sah sich um. Es war ungut, wenn beide aufmerksam in eine Richtung blickten – zumal auf feindlichem Gebiet. Sie bemerkte, dass auch ihr Partner zu dieser Entscheidung gekommen war, denn er drehte ebenfalls den Kopf. „Zur Tür,“ flüsterte er, in der Hoffnung, dass sie ihn verstehen würde. Er hatte seinen Entschluss gefasst. Das gesamte Haus war bis auf diese Männer anscheinend unbewohnt – verdächtig, in einem solchen Herrenhaus keine Frauen, keine Mägde zu sehen, die Wasser holten, keine Eier sammelten, Wäsche wuschen und anderes. Auch die Schmiede war kalt.....Sehr verdächtig. Aber Beweise für eine Schuld Emsbys oder auch Gustavs waren sicher nur im Haus zu bekommen, im Arbeitszimmer des Hausherrn. Das war das Risiko, und sie mussten es eingehen. Falls sie erwischt würden, müsste ihre, zugegeben dünne, Tarngeschichte herhalten. Aber sie waren einfach gekleidet, und es sollte nicht verwunderlich sein, wenn Leute in einem Herrenhaus nach Arbeit fragten. Er warf einen Blick zum Haupttor. Doch, es war zumindest für einen Fußgänger offen.... Gut. So rannte er zu der Tür des eigentlichen Herrenhauses, ehe er sich erneut zu seiner Partnerin umdrehte: „Denk an unsere Geschichte,“ mahnte er leise: „Erfahrungsgemäß liegen die Zimmer des Hausherrn unten, also, die offiziellen, weil er hier arbeitet und Besucher empfängt. Ich mach mal auf.“ Er öffnete, scheinbar ein wenig schüchtern, um, falls er gleich von drinnen entdeckt wurde, seine Rolle zu spielen, während sich Sarifa noch einmal umsah. Irrte sie sich oder beobachtete sie jemand? Nun, das war egal. Beweise mussten her, sonst würde Gustav ein zweites Mal dem Gefängnis entkommen und die anderen gleich dazu. Dazu mussten sie nur die Rollen spielen, Michel auf Arbeitssuche und sie als seine Frau. Im Haus empfing sie Düsternis und Kühle, aber auch Schutz vor dem Regen. Michel stellte fest, dass er förmliche Pfützen hinterließ – das würde auffallen, wenn jemand aus der Halle links kam. Ärgerlich. Aber momentan schienen sich alle dort aufzuhalten. Er sah sich rasch um. Eine steinerne Treppe führte schmal und eng in den ersten Stock, eine weitere wohl in den Keller. Sie war allerdings mit einer festen Holzbalkentür verschlossen. Eine weitere Pforte führte geradeaus – in das Arbeitszimmer des Hausherrn? Stimmen kamen nur von links aus der Halle und so ging er möglichst leise geradeaus, öffnete dort die Tür. Ja, das war das gesuchte Zimmer und es war leer. Sehr gut. Da er bemerkte, dass ihm seine Partnerin lautlos gefolgt war, ließ er sie eintreten und machte wieder zu. Hoffentlich würden ihre Spuren trocknen, ehe es jemand bemerkte. Er ging zum Schreibtisch: „Komm her, schnell. Wir sollten hier keine Wurzeln schlagen. Sie sind doch zu sechst.“ Und sie beide waren unbewaffnet, schon um ihrer Tarnung willen. So durchsuchte er eilig die Papiere, die auf dem Schreibtisch lagen, fand aber nichts, was nicht für einen vornehmen Herrn üblich gewesen wäre. Rechnungen, Pachterträge und anderes. Nun gut. Wenn Emsby tatsächlich etwas mit den Piraten zu schaffen hatte, würde er kaum Beweise offen herumliegen lassen. Er öffnete die Schubfächer, als er hörte, wie Sarifa scharf einatmete, und aufblickte. Seinen Fluch unterdrückte er lieber. „Was für reizende, pitschnasse Täubchen,“ sagte der Herr von Emsby, der soeben sein Zimmer betreten hatte, leider in Begleitung von Henri Gustav und den anderen Vier, die alle Degen oder Messer in den Händen hielten. „Diebstahl, also?“ „Äh, nein, das...das ist nicht so, wie es aussieht, edler don,“ beteuerte Michel sofort, möglichst in dem Dialekt der einfachen Leute: „Ich...ich suche Arbeit....Meine Frau...sie erwartet ein Kind, wisst Ihr?“ „Bis eben nicht. - Hm. Hübsches Kind, muss ich sagen. Schnappt euch die beiden.“ Sarifa warf einen raschen Blick seitwärts, aber sie erkannte, dass auch Michel keine Chance sah zu entkommen. Ein Sprung durch das Fenster war unmöglich. Zum einen war es zu klein, zum anderen musste dahinter die Klippe sein – das wäre ein Sprung in den sicheren Tod. Und die sechs Männer standen zwischen ihnen und der Tür, fünf kamen auf sie zu. Zwei von ihnen zogen Stricke aus den Gürteln, was den beiden Agenten verriet, dass die Sechs genau gewusst hatten, dass sich Fremde hier befanden. Egal, warum, gleich, wie. Eine kurze, fachmännisch durchgeführte Überprüfung ergab, dass die Einbrecher weder Messer noch Degen trugen. „Ich habe etwas gegen Diebe,“ sagte Emsby derweil: „Genauer gesagt, ich kann es buchstäblich auf den Tod nicht leiden, wenn mich jemand bestehlen will. Habt ihr wirklich gedacht, ich hätte euch nicht über den Hof kommen sehen? Fesselt sie. Und....oh, was hast du denn an, meine Schöne? Das sieht aber so gar nicht nach einer ehrbaren Bäuerin aus. Also professionelle Diebe, hm?“ Er wartete, bis seine Männer den beiden Gefangenen die Hände auf den Rücken gebunden hatten: „Das ändert die Sache erheblich. Ich werde euch nicht den Behörden von Lorgnan übergeben, die euch doch nur durchfüttern und dann wieder laufen lassen würden. Nein, wir werden ein Exempel statuieren. Es ist schon später Nachmittag, wie günstig.“ Michel und Sarifa sahen sich an. Exempel aus diesem Mund – das klang nicht gut. So versuchte er es noch einmal: „Edler don, könnt Ihr denn niemanden brauchen, der für Euch arbeitet? Ich bin wirklich fleißig und...“ „Halt den Mund. - Bringt sie hinunter. Und wenn er noch einmal etwas sagt, schlagt ihn zusammen.“ Michel presste die Lippen zusammen. Das war ja eine hübsche Lage, in die er sie beide da gebracht hatte. Aber woher hätte er auch ahnen sollen, dass Emsby derart skrupellos reagierte. Hinunter? Also in den Keller? Was sollte das? Er sah ein wenig besorgt zu seiner Partnerin, aber Sarifa schien ihre Angst nur zu spielen. Immerhin etwas. Wenn sie eine Chance bekamen mussten sie sie nutzen. Aber es kam keine Chance. Sie wurden beide in den Keller geführt, durch einen Weinkeller hindurch, eine weitere schwere, verriegelte Tür wurde geöffnet. Dahinter zeigte sich Fels, eine weitere steile Treppe führte hinunter. Jetzt beschloss Sarifa, es noch einmal zu versuchen. „Edler don, bitte....“ „Gib dir keine Mühe, schönes Kind,“ sagte Emsby fast väterlich: „Ich würde dir sowieso nicht glauben. Und es ändert auch nichts an meiner Meinung, dass Diebe, die mein Geld stehlen wollen, durchaus einen kleinen Unfall haben können. - Bindet sie unten an den Steg.“ Steg? Die Gefangenen begriffen erst, als sie erkannten wohin die Stufen führten, die sie hinuntergezerrt wurden. Dämmerlicht drang von draußen in eine große Höhle und sie hörten das Meer rauschen. Ein vielleicht einen Meter breiter Bach floss aus dem Hintergrund zum Ausgang und wand sich über den schlickigen Boden. Am Fuß der Treppe befand sich ein Steg, wie er gewöhnlich zum Anlegen von Schiffen diente. Eine Holztreppe führte an ihm hinunter auf den Höhlenboden. Zwei der Männer zerrten Michel dorthin. Ehe er ganz begriff, legte sich Metall um seinen Hals und er wurde an eine Holzstütze des Steges gezogen. Vermutlich wurde hier ein Schiff angebunden, wenn der Wasserspiegel höher war – und da verstand er. „Edler don....“ begann er, als einer der Männer ihm die Faust in den Magen rammte und er sich keuchend im Schmerz und der Übelkeit vorbeugen musste, soweit es die Kette um seinen Hals zuließ. Sarifa hatte besorgt zugesehen, aber zwischen Gustav und einem anderen Mann stehend, die Hände auf den Rücken gefesselt, hatte sie wenig Chancen etwas zu unternehmen. Wo war Emsby denn bloß? Er kam mit etwas erst jetzt die Treppe hinunter, das klirrte. „Hier, für die Kleine.“ Gustav nahm das Metall und grinste: „Oh, gute Idee, don.“ Er bückte sich und befestigte das seltsame Gewirr an dem Holzbalken, an den auch Michel gefesselt war, der sich langsam erholte und nun zu erkennen versuchte, was passieren sollte. Sarifa wurde neben ihn gestoßen. Noch ehe sie ganz verstand, schloss sich etwas schmerzhaft beißend und fest um ihren linken Knöchel und sie hätte fast aufgeschrien. „So, ihr zwei Hübschen,“ meinte Gustav grinsend: „Wir werden, na, so in sechs Stunden nach euch sehen. Viel Spaß!“ Die Männer wandten sich zum gehen und Michel sah entschuldigend seitwärts, bemüht, seine Rolle noch immer zu spielen: „Es tut mir Leid, Liebling....aber jeder kann sich mal irren.“ „Ich auch,“ fauchte sie zurück: „Als ich einmal zu oft Ja gesagt habe!“ „Oh, ein Sprung in der Laute?“ fragte Emsby ein wenig höhnisch: „Ihr habt noch Zeit euch zu streiten, keine Sorge. Aber wir gehen jetzt.“ Die Gefangenen sahen ihnen nach, bis sie die Treppe empor gegangen waren und die feste Tür hinter sich zuzogen. Michel murmelte einen Fluch, ehe er hinunterblickte, so gut es die Kette um seine Kehle gestattete: „Ein Tellereisen? Tut es sehr weh?“ „Es könnte schlimmer sein – es ist immerhin nicht gezackt. Aber ich fürchte, mein Knöchel ist zumindest geprellt. - Wäre es jetzt nicht an der Zeit deinen Plan B auszupacken?“ Er seufzte etwas: „Ich versuche meine Handfessel aufzubekommen, damit ich die Kette um den Hals und dein Eisen abnehmen kann. Allzu lange sollten wir uns hier nicht aufhalten.“ „Sie kommen erst in sechs Stunden wieder. Warum eigentlich?“ Er war verwirrt, ehe ihm einfiel, dass sie aus dem Binnenland stammte: „Die Flut kommt wohl. Und das bedeutet, dass diese Höhle sicher auch unter Wasser steht. Wenn ich mir den Steg so ansehe, kann man hier mit einem Schiff bei Flut hereinfahren. In Borea ist der Tidenhub oft fünf Meter.“ „Das wäre über uns,“ konstatierte sie nüchtern. „Also sollen wir ertrinken – und rein zufällig werden unsere Leichen dann irgendwo gefunden. Ein netter Unfall, bedauerlich, aber dem Herrn von Emsby kann nichts nachgewiesen werden. Übrigens – es ist kein Wunder, dass die kaiserliche Marine das Versteck der Piraten nicht finden konnte. An eine Höhle dachte sicher niemand.“ „Ja, das Geheimnis haben wir geklärt. Jetzt sollten wir nur zusehen, dass wir das auch noch jemandem erzählen können.“ Er versuchte den Knoten um seine Handfessel zu erreichen. Aber er war durchnässt und die straffe Fesselung ließ seine kalten Hände noch zusätzlich steifer werden. Er sah seitwärts. Er trug die Verantwortung für ihre Lage – aber sie machte ihm keine Vorwürfe. Sie blickte zu ihm auf, blass durch den Schmerz, jedoch bemüht sich zusammenzunehmen: „Was hast du?“ „Ich habe nur gerade gefunden, dass du wirklich hübsch bist.“ Sarifa lachte auf, ein heiteres Lachen ohne jede Hysterie: „Und das fällt dir gerade ein?“ „Ich habe dich nie zuvor im Halbdunkel einer Höhle gesehen,“ gab er zu, als er bemerkte, dass er sich wirklich beeilen sollte. Der Bach war nun fast zwei Meter breit – und das Wasser floss IN die Höhle. Die Flut hatte eingesetzt. Kapitel 18: Flucht ------------------ Michel dachte kurz nach, ehe er in sachlicher Erkenntnis der Tatsachen sagte: „Kommst du mit deinen Händen an meine Fessel? So schaffe ich nicht sie aufzuknoten.“ Sie hatten sie ja beide auf den Rücken gebunden. „Wäre eine Klinge nicht hilfreich?“ Sie klang schüchtern. „In der Tat. Leider habe ich dir ja befohlen...Moment.“ Er sah seine Partnerin an, so gut er es mit der Halsfessel konnte: „Sag nicht, du hast eine mitgenommen.“ „Keinen Armreifdolch,“ beteuerte sie eilig: „Die hattest du mir ja verboten. Aber die Kette um meinen Hals, unter dem Hemd...der Sichelmond-Anhänger ist eine kleine wenn auch nicht allzu scharfe, Klinge.“ Michel atmete tief durch, ehe er ehrlich zugab: „Du hast doch auch immer die nettesten Überraschungen parat, mein Engel. Dann müsstest du dich nur so drehen, dass ich an deinen Hals komme und die Kette öffnen kann. Ein normaler Verschluss?“ „Ja, nur eingehakt.“ Sie bückte sich und drehte sich so gut es ging. „Sehr schön. Das vereinfacht die Sache doch. Denn irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Zeit knapp wird.“ Er strich ihre Haare beiseite und tastete ein wenig mühsam mit den steif und taub gewordenen Fingern nach dem Verschluss, während er laut nachdachte: „Der Bach wird durch das Meer zurückgestaut, das Wasser wird schneller steigen als uns lieb sein kann. Und oben, durch die Tür brauchen wir es gar nicht versuchen. Der Riegel auf der anderen Seite sah mir, trotz deiner Einbrecherqualitäten, doch recht stabil aus. Überdies sind diese Kerle auch sicher noch da. Zum Meer kommen wir nicht, wenn ich auch nur einen Blick auf die Strömung werfe. Also bleibt uns bloß der Ausweg das Bachbett entlang, egal, wo immer das hinführt.“ Er sah zum Hintergrund der Höhle: „Aber ich hoffe, da gibt es einen Notausgang, wenn ich mir so die in den Stein gehauenen Stufen dort betrachte. Das scheint eine Schmugglerhöhle und ein Fluchtweg gewesen zu sein, ehe die Piraten das übernommen haben. Und ich bin mir sehr sicher, dass der gute Emsby da mit drin hängt. Normale Adelige bringen Einbrecher nicht gleich um. Und dann noch so melodramatisch...M..“ Er unterdrückte seinen halb wütenden, halb verzweifelten Fluch, als er spürte, dass ihm die Kette aus den Fingern glitt. Die beste Chance war vertan, hatte er vertan. „Siehst du sie wo liegen?“ Denn das Wasser umspülte bereits ihre Füße. Wie sollte man den Anhänger finden, ja, aufsammeln? „Sie ist in meinen Ausschnitt gerutscht,“ gestand Sarifa etwas verlegen, da sie um die Konsequenz wusste: „Ich werde mich umdrehen, damit du sie nehmen kannst.“ Das war schwieriger als gedacht, denn sie musste feststellen, dass sie ihren linken Fuß praktisch kaum mehr belasten konnte. Das Tellereisen um ihren Knöchel schmerzte immer mehr und sie befürchtete fast, dass es nicht nur eine Prellung wäre. Aber sie war nicht wehleidig – und die Lage zu ernst. „So....warte, ich bin gleich dran.“ Michel spürte ihren Atem an seinen Händen, dann schob sie sich so gut es ging an seine Finger und er tastete. Es war wahrlich nicht das erste Mal, dass er der weiblichen Anatomie derart nahe kam, aber er konnte sich nicht entsinnen, das schon einmal unter derartigen Umständen getan zu haben, zumal bei einer jungen Dame, die solche Annäherungen in aller Regel mit gezielten Messerwürfen beantwortete. Seine Hände waren kalt und es musste für Sarifa auch nicht gerade angenehm sein, aber sie hielt still, während er nach der Klinge zwischen ihren Brüsten suchte. Dabei stellte er für sich fest, dass sie eine Abart eines Schnürmieders trug, kleiner, nachgiebiger und vermutlich in der Bewegung mitgehend. Unter dem Hemd war es ihm nie aufgefallen, zumal er sich doch wohlweislich hütete sie genauer zu betrachten, wenn sie sich ein Bett teilten. „Ich habe sie,“ sagte er nach einer scheinbar endlosen Zeit. Das kalte Wasser um sie war bis zu den Knien gestiegen und die Strömung in die Klippe war deutlich zu spüren: „Jetzt nicht bewegen....“ Er zog den Anhänger heraus: „Gut. Jetzt dreh dich um, dann schneide ich dich los.“ Sarifa gehorchte, wenn auch ein wenig mühsam: „Ich wäre dir dankbar, wenn du nur den Strick schneidest,“ meinte sie fast angestrengt spöttisch. „Ich gebe mir Mühe.“ Er war froh, dass sie so ruhig blieb, das machte es auch für ihn einfacher. Und er hatte nicht dieses widerliche Eisen um den Fuß. Es musste ihr ziemliche Schmerzen bereiten. Sie sah blass aus. Hoffentlich würde sie laufen können... Er tastete mit den kleinen Fingern, um nicht die kostbare Klinge zu verlieren, ehe er zu säbeln begann: „Erinnere mich nur daran, dass ich dir nie wieder sage, dass du unbewaffnet bleiben sollst.“ „Ich werde es tun.“ Sie atmete tief durch. „Habe ich dich erwischt?“ Er war ihr Partner und so gab sie ehrlich zu: „Nein. Es wird nur immer schwerer für mich auf beiden Beinen zu stehen und die Strömung macht mir zu schaffen.“ Er war für einen Augenblick irritiert, ehe ihm auffiel, dass sie doch kleiner als er war und folglich tiefer im Wasser stand. „Einen Moment noch, dann kannst du dir das Eisen abnehmen. Und dann wäre ich dafür, dass du mein Halsband entfernst.“ Endlich fiel der Strick und Sarifa rieb sich die schmerzenden Handgelenke, ehe sie sich bückte und mit dem Kopf unter Wasser versuchte das Tellereisen zu öffnen. Michel sah zu ihr, so gut er es vermochte, bis sie wieder auftauchte und ihm das Messer abnahm. „Ich bekomme es nicht auf,“ gestand sie und begann seine Stricke durchzuschneiden: „Aber so geht es schon einmal schneller...“ Ihre Hände schmerzten durch das gestaute Blut, aber das war ein gutes Zeichen, hieß es doch, dass es wieder floss und wohl keine dauerhaften Schäden zurückbleiben würden. Michel atmete auf, als seine Fessel fiel und rieb sich ebenfalls die Handgelenke, während seine Partnerin die Kette um seinen Hals löste: „Ich werde dich halten,“ meinte er, da ihnen das Wasser bis zur Hüfte reichte, nun, ihm, sah er ein, während es Sarifa schon einige Zentimeter höher umspülte: „Dort hinten, im Bachbett, dürfte es nicht mehr so strömungsreich sein, aber das Wasser wird auch da noch zurückgestaut. Aber jetzt mache ich erst einmal dieses Eisen auf.“ Er tauchte unter und bog die beiden Teile so weit auseinander wie es ging. Sarifa gelang es, ihr Bein anzuheben und er ließ die Falle wieder zuschnappen, ehe er auftauchte. Sie legte sich ihren Anhänger um, bevor sie nach ihrem Partner griff: „Ich fürchte, ich muss auf dein Angebot eingehen...“ „Dazu ist es da.“ Er legte den Arm um sie: „Komm, wir sollten wirklich zusehen, dass wir verschwinden. Immerhin haben wir Glück gehabt, dass nicht das Schiff hier hereingerauscht kam.“ „Ein bisschen Glück könnten wir gebrauchen,“ murmelte sie. „Nun, der Bach muss ja woher kommen. Und mir machen die Stufen Hoffnung, dass das als Fluchtweg bei einer Belagerung oder auch für Schmuggel dienen sollte. Dann müsste es einen zweiten Ausgang geben.“ „Ich würde mich gern bei don Emsby für das hier revanchieren...“ „Nicht nur du, mein Engel.“ Er stellte fest, dass sie zwar nichts zu diesem Thema sagte, aber ihren linken Fuß kaum belastete. So bemühte er sich, sie halb zu tragen, aber das erwies sich bei der Strömung, dem kalten Wasser und der Tatsache, dass sie beide durchgefroren waren, die Hände durch die Fesselung und die Kälte steif waren, als ziemlich schwierig. Aber keiner der Zwei verlor auch nur ein Wort darüber, da sie die Notwendigkeit einsahen, sich die Luft für den Überlebenskampf aufzusparen. Irgendwann stellten sie fest, dass sie zwar das Bachbett ohne Meeresströmung erreicht hatten – jedoch in völliger Dunkelheit und noch immer stieg das Wasser. Der Bach wurde zurückgestaut und erreichte ihre Knie. Michel tastete sich vorwärts, stets den linken Arm um seine Partnerin. Sarifa holte tief Atem, ehe sie sagte: „Lass es.“ „Was?“ Michel war wirklich irritiert. „Ich...ich kann nicht mehr weiter. Und wenn du versuchst mich mit zu nehmen, wirst auch du deine letzte Chance verspielen.“ Er tastete nach ihr. Sie keuchte, war wohl wirklich durch die Schmerzen und die Kälte am Ende – er wusste, dass sie ärger dran war als er. Frauen froren leichter, das war ihm klar, und da war dieses ver....Eisen gewesen. Er fühlte sich schon erschöpft, was musste sie erst empfinden? „Hör mir gut zu, Sarifa,“ erklärte er so nüchtern er noch konnte, dabei selbst tief Atem holend: „Ich habe keine Ahnung, was Assassinen unter Partnern verstehen. Aber das Eine sage ich dir: ich werde dich hier nicht zurücklassen. Ich werde dich mit mir hier raus holen. Es ist meine Schuld, dass wir hier gelandet sind und ich hole uns beide hier raus, hast du das verstanden?“ „Es ist doch meine Schuld...“ „Wovon redest du?“ „Hätte dich Graf Uther nicht dir zugeteilt hättest du doch immer anders gehandelt und auch jetzt, oder?“ „Ja,“ musste er zugeben. „Aber mehr Leute ändern auch immer eine Lage. Und noch einmal: ich lasse dich nicht hier zurück. Was glaubst du, was Emsby und Co machen, wenn sie dich hier finden?“ „Ich weiß...und es freut mich nicht.“ Sie lehnte sich gegen die Wand: „Aber....“ „Du hast als Kind einen Bären getötet, schon vergessen? Jetzt komm. Und wenn du nicht mehr gehen kannst, was ich gern glaube, trage ich dich.“ „Blödsinn. Michel, du bist doch auch durchfroren und müde.“ „Es ist Blödsinn sich zu streiten, wenn irgendwo dahinten ein paar Kerle drauf lauern uns um die Ecke zu bringen. Also, komm her, mein Engel, und lass dich tragen.“ Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. „Es..ist dir wirklich ernst, oder?“ Sie tastete nach seinem Rücken: „Ich bin ja schon die brave Schülerin.“ „Gut.“ Er musste nach Luft ringen, als er sie auf dem Rücken trug, ihre Hände um seinen Hals: „Und du hast Recht...ich hätte noch immer anders gehandelt, wäre ich allein gewesen...mehr Risiko. Vermutlich hätte ich mit Gustav gewürfelt....Aber das ist eben so.“ Sie spürte, wie er sich in der Schwärze vorwärts tastete, jeden Schritt in der Strömung suchte – und nicht zuletzt unter ihrem Gewicht keuchte. Aber er war der Anführer, es war seine Entscheidung sie mitzunehmen, und sie war dankbar dafür, das gab sie gern zu. Wie immer das hier ausging, sie würde ihm nie vergessen, wie er sich voran mühte, belastet durch sie und ihre Schwäche. Kaiser Dagobert stieg vom Pferd, ein wenig froh, die Inspektionsreise beendet zu haben. Noch war er in der Lage tagelang zu reiten, musste sich nicht in eine Kutsche setzen – und er wusste, dass so mancher Herzog oder Kleinkönig auf ein derartiges Zeichen seiner Schwäche wartete. Natürlich war der Hof von seiner Rückkunft bereits in Kenntnis gesetzt worden, aber er war doch überrascht, dass ihn sein Bruder unter dem Portal erwartete. War es Zufall, dass sich Uther gerade von seinem Schreibtisch losgerissen hatte, oder war etwas geschehen? Aber das konnte er wohl nur herausfinden, wenn er mit ihm sprach. Natürlich ohne die Diener, Hofbeamten und Wachen, die ihn ebenfalls empfingen.... So stieg er die Stufen empor, wo sich der Jüngere höfisch verneigte: „Willkommen zu Hause.“ „Danke, Uther. Gibt es etwas Wichtiges?“ „Nichts, was dich davon abhalten sollte, zunächst ein Bad zu nehmen.“ Graf Uther hatte die versteckte Frage verstanden: „Die Inspektionsreise war sicher nicht nur amüsant. Das Wetter in den vergangenen Tagen war beklagenswert feucht.“ „In der Tat.“ Etwas beruhigt fragte Dagobert: „Wie geht es meiner Gemahlin?“ „Soweit ich weiß befindet sich die Kaiserin wohl. Sie ist fast jeden Tag an der Hebammenschule.“ „Nun, dann komm.“ Erst unter vier Augen würden sie offen miteinander reden können, das hatten sie die Jahre im Krieg und der Intrigen gelehrt – und nur, wenn sie sicher sein konnten, dass es keine unerwünschten Zuhörer gab. Zunächst freilich würde sich der Kaiser die Berichte seiner höchsten Beamten anhören, Uthers Bericht als Regenten, ehe sie sich in dessen abgeschirmten Arbeitszimmer auch über nicht offizielle Dinge unterhalten konnten. So war es schon später Abend als Dagobert und Uther sich an das Feuer setzen konnten und die Beine ausstreckten. „Das Reiten macht mir langsam zu schaffen,“ erklärte der Kaiser: „Die Jahrzehnte im Sattel rächen sich.“ „Dies und die Tatsache, dass du jahrelang nicht ohne Schwert und Rüstung herumgelaufen bist. Beides schwer und schadet den Knochen. Nun, daran lässt sich nichts ändern. - Das heißt, das Bad hat dir nicht gut getan?“ fragte der Jüngere plötzlich besorgt. Dagobert hörte es und spürte wieder dieses warme Gefühl. Sein kleiner, immer loyaler, Bruder...„Oh, doch. Nimm es nicht zu ernst. Ich bin nur ein wenig abgespannt. Reiten, Besprechungen, reiten, eine neue Stadt, Besprechungen.....diese Inspektionen sind notwendig aber anstrengend. Ich würde es gern sehen, wenn Markward oder Dankward dies übernehmen würden, aber....Was treiben sie übrigens? Dankward ist noch nicht zurück?“ „Nein. Allerdings erhielt ich Nachricht, dass das Schiff in Moricone anlegte. Da dein Sohn an Bord ist, hielt es der Hafenmeister für wichtig genug, eine Taube an dich zu schicken.“ „Moricone. Das ist der südlichste Hafen des Reiches. Wann war das?“ „Vor drei Wochen. Sie segelten von dort aus nach Süden.“ „Dankward selbst schrieb nichts?“ Der Vater in ihm hoffte noch immer. Uther zuckte die Schultern: „Er wird kaum begeistert von deinem Befehl gewesen sein.“ Der Kaiser seufzte: „Es wird ihm gut tun einmal zu arbeiten, den Kopf freizubekommen von seinen Festen und Weibergeschichten. Himmel, Uther, wir beide waren in dem Alter ja auch nicht gerade Kostverächter – aber wir wussten uns zu benehmen!“ „Und sicherten uns gegen unerwünschten Nachwuchs ab.“ „So gut es ging,“ gab Dagobert zu, schreckte dann zusammen: „Hat einer der beiden etwa...?“ „Nicht, das ich wüsste, aber allein das war ein guter Grund Dankward wegzuschicken. Markward war übrigens in Aquatica. Laut Augenzeugenberichten benahm er sich durchaus würdig. Aquatica...da möchte ich dir morgen jemanden vorstellen, dessen Bericht dich vermutlich kaum entzücken wird. Ich ließ es natürlich überprüfen.“ Dagbert lächelte ein wenig: „Natürlich. - Und ebenso natürlich wird es Ärger geben, oder? Aquatica, ja, ich erinnere mich. Arrogante Stadtherren, aber reiche Handelsmetropole. Ich habe mir immer schon gewünscht, diesen Pagnotta und Co einen auf die Finger geben zu können. Aber mir fehlte leider jeder rechtliche Vorwand. Du hast den Hebel gerade gefunden?“ „Michel und Sarifa.,“ gab Uther offen zu: „Sie sollten etwas für mich überprüfen – und das kam dabei heraus. Aber dazu morgen, wenn ich dir Alessandro Pisi vorstelle.“ Der Kaiser wurde hellhörig: „Pisi? Sollte mir der Name nicht etwas sagen?“ Das Gedächnis seines Bruders war noch immer besser als seines: „Er wurde wegen Mordes in Aquatica zum Tode verurteilt, entkam aber und ging an den Kaiserlichen Gerichtshof wegen Berufung.“ „Er wusste, dass das geht? Ein gebildeter Mann.“ „Michel gab ihm den Tipp.“ „Wo ist der eigentlich? Schon wieder unterwegs?“ Das bedeutete erfahrungsgemäß einen neuen neuralgischen Punkt. „Die Beiden..nun ja, deine Klingen, sind in Borea. Die Piraten dort könnten einen Fehler begangen haben. Das sollten sie überprüfen.“ „Mich ärgert, dass die Marine das Versteck noch immer nicht gefunden hat. Diese Piraten kommen angerauscht, überfallen ein Kauffahrtsschiff, das ihnen an Anzahl der Männer unterlegen ist, greifen sich die Ladung und verschwinden wieder spurlos.“ „Laut Überlebenden sitzen in dem Piratenschiff über zwanzig Mann. Mit der Beladung durch die Beute wird das Schiff schwer und kann nicht weit fahren – also nicht über das Meer nach Westceltica. Sie müssen von Boreas Küste stammen, was auch erklärt, warum sie sich derart gut auskennen. Und sie müssen jemanden in Lorgnan sitzen haben, der ihnen Schiffe mit wenig Besatzung und guter Ladung anzeigt. - Apropos Westceltica, der neue Gesandte von dort stellte sich offiziell vor.“ „Ja, das sagte mir der Kanzler. - Kluger Kerl?“ „Behutsam, diplomatisch, würde ich sagen. Und ein wenig enttäuscht.“ Uther lächelte: „Die Tatsache, dass du eine Kaiserin hast, schien ihn zu überraschen. Er hielt Anawiga zunächst für meine Ehefrau. Dann jedoch machte er mich darauf aufmerksam, dass König Ethelweg zwei Töchter hätte, für die er einen Ehemann sucht.....“ Ein seltenes, verschmitztes Lächeln zuckte um Uthers Mund. Dagobert lachte auf: „Er konnte keine an mich losschlagen, also bot er sie dir an? Wie umsichtig!“ „Er wollte wohl seinem König keine negative Antwort schicken. Ich lehnte dennoch höflich und dankend ab.“ „Das kann ich mir vorstellen. - Tja, Anawiga. Ich denke, mein kleiner Bruder, dass ich dich jetzt verlassen werde. Ich habe mit ihr noch nicht gesprochen.“ „Ich wünsche dir eine angenehme Nacht.“ „Ohne Zweifel. - Du solltest nachts auch schlafen, statt den Geheimdienst zu leiten.“ „Es arbeitet sich am besten, wenn alles still ist, Dagobert. - Dennoch werde ich bald deinem Rat folgen. Da ich nicht mehr die Regentschaft habe, kann ich mich mehr um meine eigenen Aufgaben kümmern.“ „Ich belaste dich sehr, Uther, aber, glaub mir, allein hätte ich das nie geschafft. Nicht früher, und auch jetzt nicht, da sich meine beiden Söhne als....wenig belastbar erweisen.“ Dagobert legte die Hand auf die Schulter seines Bruders: „Ich wünschte, jeder Kaiser hätte eine solche rechte Hand.“ „Danke.“ Als Uther allein war, sah er nachdenklich in das Feuer. Wie hatte Dagobert zuvor gesagt? In dem Alter seiner Söhne wären sie keine Kostverächter gewesen, aber sie hätten sich zu benehmen gewusst? Nun ja. Das war noch immer sein wunder Punkt, der schwarze Fleck. Er hatte versagt. Er wusste es noch als sei es heute geschehen. Wie alt war er gewesen? Dreiundzwanzig? Zu alt um keine Erfahrung zu haben, zu alt, um eigentlich nicht zu wissen, was sich ziemte..... Ein Herbstabend, ein Weinfest, als sie wieder im Winterquartier in Paradisa angekommen waren, der Kriegssommer vorbei war, und er hatte sich allein unter die Menge gemischt, in adeliger Kleidung, aber nichts an ihm hatte den Kaiserbruder verraten. Einmal ein ganz normales Leben zu führen, war ihm verlockend erschienen. Irgendwann war er diesem blonden Mädchen begegnet – und in diesem Moment hatte er alles vergessen. Ihr Lächeln hatte ihn fasziniert, ihre Schönheit verzaubert, ihre Intelligenz angezogen. Sie hatten zusammen getrunken, Weinglas auf Weinglas, geplaudert, ein wunderschöner Traum, aus dem er nie hatte erwachen wollen. Mit für ihn ungewohnter Schüchternheit und Unbeholfenheit hatte er ihr Komplimente gemacht und dann irgendwann den Mut aufgebracht sie zu küssen... Er erinnerte sich noch als sei es gestern gewesen, wie sein Herz geklopft hatte, als er sie bat mit ihm auf einen Spaziergang abseits zu kommen und sie zugestimmt hatte. Irgendwann war er aufgewacht, in einem Zimmer, das er nicht kannte, das Mädchen im Arm. Die Morgensonne schien durch die Fenster auf seine bloße Brust und wurde nur langsam bewusst, was wohl geschehen war. Dagobert war unverheiratet, es würde das Reich erst recht an den Rand des Abgrundes treiben, würde der jüngere Bruder dies zuerst sein und womöglich noch einen Sohn bekommen...Nein, falsch, auch nur einen unehelichen Sohn bekommen.....Was war er nur für ein Narr gewesen, alles aufs Spiel zu setzen, was sie in den vergangenen Jahren erkämpft hatten, nur um eines Mädchens willen... Da hatte er den scharfen Atemzug neben sich vernommen. „Was habe ich getan....“ hatte sie entsetzt geflüstert – und ihm war bewusst geworden, dass auch sie einen schweren Fehler begangen hatte. Uneheliche Kinder galten als ehrlos, die Mütter wurden allerlei Demütigungen ausgesetzt, kaum etwas konnte sie schützen. In adeligen Kreisen war es dann nur zu üblich – und möglich - diese Kinder abzugeben, Bauern zuzuweisen, um selbst der Schande zu entgehen. Aber ein potentieller Ehemann würde bemerken, dass sie keine Jungfrau mehr war.....Sie begann zu weinen. Instinktiv drückte er sie näher an sich. Nein. Sie hatte keinen Fehler begangen. Er hätte aufpassen müssen, daran denken müssen, dass der Wein den Verstand betrügt. Vermutlich hatte sie im Gegensatz zu ihm nie zuvor einen getrunken. Verlegen hatte er beteuert: „Es...es tut mir Leid.. Ich...wenn was passiert ist, mache ich das irgendwie gut, versprochen.“ Nun, diese Nacht hatte keine Folgen gezeitigt, aber ihm war klar gewesen, dass er einmal versagt hatte. Gründlich, und damit einen unschuldigen Menschen, sich, Dagobert und das Reich um ein Haar an den Rand des Abgrundes gebracht hatte. Und er schwor sich, dass er das nie wieder tun würde. Daran hatte er sich gehalten, gehandelt, wie er gehandelt hatte, in den letzten Jahrzehnten. ** Die beiden Agenten kommen sich wohl langsam näher - hoffentlich auch aus der Klemme... Kapitel 19: Agentenleben ------------------------ Michel zitterte vor Kälte und Erschöpfung, als er sich in der Dunkelheit des unterirdischen Ganges die raue Wand entlang tastete. Aber er wusste, er musste durchhalten. Sarifa war ärger dran als er selbst – und mochte ihr Gewicht ihn auch zusätzlich behindern, ihm war klar, dass er die Verantwortung trug. Nur noch einen Schritt, noch einen.... Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sich etwas verändert hatte. Der kalte Bach umspülte nicht mehr seine Füße – und seine klammen Finger berührten etwas anderes als Fels – Metall. Fast mühsam hob er den Kopf. Über ihm war Schwärze und Feuchtigkeit wie auch um sie, aber es war die Dunkelheit der eingesetzten Herbstnacht und Regen, was sich da oben befand. Ein Ausgang, wenn auch ein steiler Schacht. „Sarifa!“ flüsterte er. Sofort spürte er ihre Anspannung. So fuhr er fort: „Steig ab, hier ist ein Ausgang....“ Erleichtert glitt sie von seinem Rücken, warnte jedoch: „Ich glaube, ich höre etwas hinter uns...“ Die Bande mochte bemerkt haben, dass sie fehlten. Aber nachsehen war wohl in der überfluteten Höhle unmöglich. „Vielleicht. - Hier gehen Eisenklammern hinauf. Bleib hier. Ich gehe nachsehen. Wenn uns kein Empfangskomitee erwartet, werde ich leise pfeifen. Dann gehe ich und hole die Pferde, das werde ich schon irgendwie schaffen. Und du kletterst hier empor, bleibst aber in dem Schacht. Nur für den Fall, dass diese Mistkerle hier entlangkommen.“ „Ja,“ meinte die Assassine nur, zu müde um mehr zu reden, aber auch in dem Bewusstsein, ihre Kräfte für die Kletterpartie aufsparen zu müssen. Michel würde noch erschöpfter sein, immerhin hatte er sie doch einige Minuten jetzt getragen, wie viele vermochte sie nicht zu sagen. Der Agent kletterte über die Krampen empor, so rasch er es noch konnte. Es gab eine Chance, vielleicht die letzte zur Flucht. Immerhin war es Herbst und die Dunkelheit war relativ früh hereingebrochen. Vorsichtig sah er über den Rand von etwas, das er als alten, verfallenen Brunnen erkannte. Das Herrenhaus konnte er nicht entdecken und er war froh darum. Irgendwo hörte er trotz des Regens das Meer. Dorthin müsste er und dann zusehen, dass er die Pferde fand. Es war besser zu türmen und Graf Uther zu verständigen, der sich sicher mit der Marine um weitere Dinge hier kümmern konnte. Wichtiger war es, dass sie alle zwei in die Wärme und ins Trockene kamen und Sarifa ihren Knöchel ruhig lagern konnte. Ein Arzt wäre wohl auch nicht schlecht.... Er stieg aus. Wo war jetzt nur das Meer? Er war so müde, dass er sich kaum mehr bewusst machen konnte, wo welche Geräusche herkamen. Aber er pfiff und machte sich auf den Weg, weit weniger elegant als gewöhnlich. Sarifa hatte es trotz allem gehört und tastete nach den eisernen Klammern, die ihr Partner erwähnt hatte. Als sie feststellte, dass dies praktisch nur vierkantige Nägel waren, die in Abständen rechts und links in den Fels getrieben waren, seufzte sie in Gedanken. Es war notwendig, dass sie allein hier hinaufkam. Michel würde es unmöglich schaffen sie hoch zu tragen. Außerdem war es peinlich. Zum Glück stammte sie aus einer Region, in der verstiegene Schafe und Ziegen von Felsen zu holen zum Alltag gehörte. Sie musste zwar auf ihr linkes Bein verzichten, aber wer auch immer diese Steighilfen angebracht hatte, hatte es dem Kletterer nicht zu schwer machen wollen. Es war trotz ihrer Müdigkeit leichter, als sie gedacht hatte. Allerdings spürte sie, dass sie vor Erschöpfung zitterte, als sie unterhalb des alten Brunnenrandes an den Klammern hing. Jetzt blieb ihr nichts als warten. Michel benötigte einige Zeit um die Pferde zu finden und dann wieder den alten Brunnenschacht. Er half Sarifa hinaus und auf das Reittier. „Nichts wie weg,“ sagte er: „Inzwischen müsste Emsby und seiner Bande aufgegangen sein, dass wir entkommen sind. Vielleicht denken sie, dass wir ertrunken sind und nur fortgespült, aber das glaube ich nicht.“ Er stieg selbst auf und nahm die Zügel des zweiten Pferdes: „Ich führe dich lieber. - Ich hoffe nur, dass die Bösewichte denken, dass wir als professionelle Einbrecher abgeschreckt wurden und lieber Borea verlassen als nach Lorgnan zu gehen. Aber wenn sie uns den Weg zwischen Emsby und Lorgnan verlegen....“ Ja, das war auch der Assassine bewusst. Ein strategisch arbeitender Jagdtrupp würde sie früher oder später finden – und in ihrem Zustand war keiner von ihnen kampffähig. Sie hätte schon genug Probleme damit gehabt ihr Tier zu lenken und war froh, dass Michel es an das seine band. So fragte sie nur: „Findest du den Weg?“ „Nein,“ gab er zu. Nicht bei diesem Regen, Wind und seinem Grad der Erschöpfung: „Ich hoffe, dass die Pferde nach Hause finden. Die ungefähre Richtung habe ich ja, zur Kontrolle. Leider werden die Stadttore schon geschlossen sein.“ Während des schweigsamen Ritts durch die Dunkelheit dachte er allerdings immer wieder nur an eine einzige Frage: warum war kein Personal auf Emsby gewesen, dafür aber diese fünf Galgenvögel? Aber in seiner Müdigkeit fand er keine Antwort. Es war schon weit nach Mitternacht als sie bei dem Haus der Pferdevermieters ankamen. Ein gutes Stück entfernt konnten sie die Mauern von Lorgnan erahnen. Als endlich auf Michels Klopfen reagiert wurde, war der Empfang alles andere als freundlich. „Verschwindet, dämliches Pack!“ „Wir bringen Eure Pferde zurück,“ antwortete Michel etwas ärgerlich. Sie waren müde, erschöpft, durchgefroren und hier war die Wärme und Hilfe so nahe....Und dieser.... Dann erst bedachte er, dass sie einfache Kleidung trugen, und diese auch noch gelitten hatte. Sie sahen wohl wirklich eher wie Landstreicher aus. Musste denn heute alles schief gehen? Nun, er sollte sich nicht beklagen. Sie waren alle beide noch am Leben – und das hatten Emsby und Co sicher nicht geplant. „Zu spät auch noch!“ Der Pferdevermieter hinter der Tür war noch immer unfreundlich: „Dafür werdet Ihr mir morgen noch einen Tag bezahlen.“ „Meinetwegen, aber lasst mich und meine Frau irgendwo ins Trockene.“ „Ich öffne meine Tür niemandem bei Nacht.“ „Euren Stall. Ich bezahle auch dafür.“ „Ach ja, von was?“ „Ich habe Geld. - Hört, meine Frau ist vom Pferd gefallen und hat sich ihren Knöchel verletzt, darum konnten wir auch nicht früher kommen. Wenn Ihr mich schon nicht einlasst, dann doch wenigstens sie....“ Michel fuhr herum, als er trotz des Regens hinter sich ein Geräusch hörte. Sarifa, die endgültig am Ende ihrer Kräfte angekommen war, war bewusstlos vom Pferd gefallen. Bestürzt lief er zu ihr, so rasch er noch konnte: „He!“ Er zog sie hoch, nicht ahnend, dass nun zwei Paar Augen aus dem Haus sie beobachteten: „Wie geht es? Komm schon, wir haben es gleich, mein Engel. Wach auf.“ „Ach, das arme Ding,“ flüsterte die Frau dem Vermieter zu: „Lass sie schon rein. Wenigstens in den Stall.“ Mit gewissem unwilligen Brummen rief der Vermieter: „Na schön, geht in den Stall.“ „Gut.“ Michel wollte seine Partnerin eigentlich tragen, aber auch seine Muskeln versagten den Dienst. Alles, was er noch tun konnte, war, ihr beim Aufstehen zu helfen und sie etwas zu stützen, während sie im Regen mit den Pferden hinüber in den Stall gingen. „Sie scheint ziemlich verletzt....“ murmelte die Frau. „Ich bringe ihnen was.“ „Mach keinen Unsinn. Die bezahlen dir das nie!“ „Schau dir die Kleine doch an, die kann nicht einmal mehr gehen. Glaubst du, dass ist gespielt? Komm schon...“ Sie stupste ihn an: „Wenn uns jemand überfallen wollte, würde der das anders machen. Und bedenke auch, dass die Wachen von Lorgnan patrouillieren.“ Michel band die Pferde einfach an, ohne sie abzusatteln, während sich Sarifa aufatmend ins Heu fallen ließ, dann jedoch ihre Hose etwas emporzog, um nach ihrem Knöchel zu sehen und ihn abzutasten. Er war geschwollen und dunkel zeichneten sich unter der Haut Blutergüsse ab, wo das Tellereisen sie gequetscht hatte. Immerhin war nichts gebrochen, sonst hätte sie kaum auch nur so leicht auftreten können. Dennoch war ihr klar, dass es Tage, wenn nicht Wochen dauern würde, bis ihr Bein wiederhergestellt sein würde, und schmerzfreies Gehen möglich wäre. „Wie sieht es aus?“ Michel setzte sich neben sie. Immerhin waren sie hier im Trockenen, auch, wenn sein Zähneklappern verriet, dass er sich besser aufwärmen sollte. „Hm. Üble Quetschung. Das kann dauern.“ „Du wirst mich kaum so brauchen können.“ Sie ließ den Stoff fallen und richtete sich wachsam auf. Auch Michel vernahm nun die Stalltür und erkannte verwundert eine Frau, die offenbar schwerbeladen hereinkam, dazu noch eine Laterne trug. „Ich bringe Euch heiße Milch, ma donna,“ sagte diese: „Und etwas für einen Kräuterumschlag. Ihr seid verletzt.“ Sie setzte die Laterne ab und reichte Michel den dampfenden Topf, ehe sie die anderen Dinge unter ihren Armen freigab. „Ja, danke.“ Die Assassine begutachtete rasch die Gaben, ehe sie ehrlich dankbar sagte: „Das ist reizend von Euch.“ Michel nahm vorsichtig den Topf mit der Milch. Seine Hände zitterten und die ungewohnte Wärme schmerzte, aber das war alles gut. So würde er sich auch inwendig ein wenig erwärmen können. Während er aus dem Topf trank, zeigte seine Partnerin der Frau ihren Knöchel. „Oh je, da seid Ihr wohl zwischen Steine geraten.“ Sarifa überlegte kurz die Formulierung, ehe sie nach einer kaum bemerkbaren Pause erwiderte: „Ja, ich...ich bin vom Pferd gefallen und sehr unglücklich gestürzt.“ „Ich mache den Umschlag feucht, dann könnt Ihr es umwickeln. Gebrochen ist nichts?“ „Ich denke nicht. Morgen früh wollen wir ja zurück in die Stadt, wenn die Tore geöffnet werden. Mich wundert sowieso, dass Ihr hier draußen lebt.“ „Nun ja, mein Mann vermietet ja Pferde.“ Die Frau tauchte den Stoff in die Pferdetränke: „und wenn man nicht da ist, verschwindet leicht eines. Darum kommen ja auch immer wieder Wachen vorbei.“ „Ah, gut zu wissen.“ Michel reichte Sarifa die heiße Milch: „Danke, ma donna. Immerhin können wir uns hier etwas aufwärmen.“ „Der Winter hier hat begonnen, sobald die ersten Herbststürme von Norden kommen und nicht mehr von Westen der Wind weht. So, hier kommt zerriebener Beinwell, das dürfte Eure Schwellungen ein wenig lindern.“ Sie machte den Umschlag. „Danke.“ Sarifa stellte die Milch ab. Jetzt, wo sie in der einigermaßen Wärme des Stalles saß und versorgt wurde, wurde ihre Müdigkeit übermächtig. „Ich gehe,“ sagte die Frau: „Gute Nacht.“ Die beiden übermüdeten Agenten tranken noch die Milch, ehe sie sich einfach in das Heu fallen ließen und tatsächlich tief und traumlos schliefen. Michel erwachte, als die Vögel draußen das erste Tageslicht des Herbstmorgens begrüßten. Der Regen schien aufgehört zu haben, dachte er noch, ehe er realisierte, dass es wohl mehr als gut gewesen war, dass er als erster munter war. Sarifa lag eng an ihn geschmiegt und er hatte im Schlaf den Arm um sie gelegt. Als er ihn vorsichtig wegzog, erwachte die Assassine prompt. „Guten Morgen,.“ sagte er eilig: „Wie geht es?“ „Besser. Aber natürlich werde ich den Fuß noch immer kaum belasten können.“ „Ja. Und wir werden bestimmt noch eine Erkältung bekommen. Aber wir leben.“ „Und wie. Emsby wird sich noch wundern.“ „Ja, der schuldet uns noch was.“ Michel musste nur daran denken, dass sie seiner vorgeblichen Frau das Eisen umgelegt hatten und nicht ihm, wohlwissend, dass es oft für die Männer die größere Belastung war ihre Frau nicht schützen zu können. „Ich gehe mal und bezahle unseren unfreundlichen Vermieter. Die Stadttore müssten bald geöffnet werden. Vielleicht komme ich irgendwie dazu eine Sänfte zu organisieren. Denn großartig laufen wirst du nicht können. Unser Aussehen ist zwar momentan nicht so, dass wir eigentlich in die Stadt dürften, aber ich habe den kaiserlichen Passierschein...wenn er nicht aufgeweicht ist...“ Er tastete hastig in der versteckten Tasche nach: „Nun ja, aufgeweicht, aber noch lesbar,“ erklärte er dann: „Ich lege ihn mal her zum Trocknen.“ Er stand auf. Sarifa richtete sich auf. Die extreme Erschöpfung war verschwunden, aber ihr Knöchel schmerzte noch immer. Allerdings schien die Schwellung ein wenig zurückgegangen zu sein, auch, wenn sich der Bluterguss weiter ausgebreitet hatte. Nun gut. Es war nichts gebrochen und sie würde sich erholen. Wenn es ging so rasch wie möglich, denn das Halali gegen Emsby und seine Spießgesellen würde sie nur zu gern mitansehen. Und noch lieber mitmischen. Einige Zeit später kehrte Michel zurück: „So. Mein Passierschein. - Erstaunlich, wie freundlich Leute werden können, wenn man mit Gold bezahlt.“ Er schob das Dokument ein. „Nun, du musst zugeben, bei deinem augenblicklichen Äußeren nimmt jeder nicht gerade Zahlungsfähigkeit an. Du gehst jetzt nach Lorgnan?“ „Nein. Eine der Wachen, die hier auf Morgenpatrouille vorbeikamen, schickt eine Sänfte. Unser Vermieter bat ihn darum.“ „Das war wohl teuer.“ „In der Tat, meine Sachlichkeit. Aber im Rahmen. Es ist nicht mein Geld sondern geht auf Spesen. Und wir kommen so auch ungesehen in unsere Gastwirtschaft, für den Fall, dass Emsby schlauer als erwünscht ist, und jemand am Stadttor postiert hat. Dann ziehen wir uns um, du gehst ins Bett und ich zur kaiserlichen Briefstation. Graf Uther muss erfahren, was wir herausgefunden haben.“ „Und was geschieht dann?“ Sarifa passte das Programm nicht so ganz, aber ihr war klar, dass sie ihren Fuß schonen musste. „Wir werden sehen. Normalerweise würde ich sagen, dass jemand von der Marine uns kontaktiert um näheren Bericht zu erlangen und dann die Marine zuschlägt.“ „Wir nicht?“ Das hörbare Bedauern in der Stimme der Assassine ließ ihn antworten: „Nun, wie gesagt, wir werden sehen. Aber wenn die Marine die Federführung hat, müssen wir tun, was sie anordnen. Kompetenzgerangel zwischen zwei kaiserlichen Stellen wäre fatal, wenn nur die Ergebnisse zählen.“ „Natürlich,“ beteuerte Sarifa prompt, die aus einem Volk stammte, in dem das Ergebnis die Mittel heiligte. So waren die beiden eineinhalb Stunden später in ihrem deutlich bequemeren Gasthofzimmer. Um ihren Zustand zu erklären, hatte Michel, neben reichlichen Gaben von Trinkgeld, die Legende in die Welt gesetzt, dass sie überfallen worden wären. Erleichtert zogen sich beide komplett aus und um, alle zwei wohlweislich mit dem Rücken zum Partner. Dann legte sich Sarifa brav ins Bett und Michel meinte: „Ich gehe jetzt zur Station. Der Wirt soll dir noch eine heiße Rinderbrühe hochbringen lassen. Ich esse dann unten, wenn ich fertig bin.“ Er trug nun die bestickte Kleidung eines reichen Kaufmannes, darüber einen pelzverbrämten Umhang, die gelockten Haare offen und wohl frisiert, und kaum jemand hätte in ihm den durchnässten Bauern von gestern erkannt. „Ich erstatte Bericht und gehe zum Hafen.“ „Und was machst du da?“ „Mit dem Hafenmeister reden. Du erinnerst dich, ich bin auch Mitinhaber einer Handelsflotte aus Lavinia. Da wird er schon mit mir sprechen wollen. Und ich möchte noch wissen, wer außer ihm von den Ladungen und der Besatzung der Schiffe weiß, ehe wir an die Marine übergeben. Immerhin haben wir Zwei einen Ruf zu verlieren.“ „Und wenn dich Emsby oder Gustav oder einer ihrer Kumpanen erkennt?“ „Das werden sie nicht. Und wenn, dann bitte ich die nächsten Wachen um Hilfe. Am Hafen sind einige – und ich habe einen kaiserlichen Passierschein. Keine Sorge, ich stürze mich nicht in ein Getümmel. Die gestrige Aufregung reicht mir.“ „Den Bericht an Graf Uther schickst du mit einer Taube.“ „Ja.“ Er war verwundert. Sarifa zuckte die Schultern: „Ich fürchte, der arme Vogel bricht sich das Bein....“ „Oh, es wird kurz. Zum einen ist es wichtig, dass die Piraten wohl unter Emsby in einer Höhle sind. Und für die Bitte um ein Treffen gibt es bestimmte Zeichen, Kürzel, so dass ich nur noch die Ortsangaben ausführlich schreiben muss.“ Sie nickte: „Ich verstehe. Dürfen wir beim...Abschluss dabei sein?“ „Wie gesagt, wenn die Marine federführend ist, ist sie es. Wir werden sehen. Unsere Aufgabe ist das Suchen von Informationen – weniger die Durchführung. Was durchaus ein Vorteil sein kann. - Gute Besserung.“ Er verließ sie. Als er fast fünf Stunden später in ihr Zimmer zurückkehrte, fand er die Assassine im Bett sitzend bei Übungen mit den Armreifdolchen. Sie zog sie eindeutig schnell. „Ah, hast du schlafen können?“ fragte er, während er sich den Umhang abnahm. „Ja, und gegessen habe ich auch. - Wie lief es?“ „Die Taube ist unterwegs, ich habe das Treffen in drei Tagen angesetzt. Vorher wird die Rückantwort kaum bei der Marine sein. Also haben wir Zeit uns zu erholen.“ „Gut.“ Sie schob ihre Waffen wieder an die Unterarme: „Bis dahin werde ich auch laufen können.“ „Wie ich erwähnte, mein aggressiver Engel: die Marine ist federführend.“ Sarifa seufzte: „Ja, ich halte mich daran. - Warst du am Hafen?“ „Ja.“ Er öffnete sein Wams und zog es ab: „Der Hafenmeister war erst wenig gesprächig, aber etwas Bestechung ließ ihn besser plaudern. Was mich störte. Denn er ist Angestellter der Stadt und sollte genug Geld bekommen, dass er nicht bestechlich wäre. Jedenfalls sind die meisten Arbeiter am Hafen nur für Beladen und Ausladen angestellt, ungelernte Kräfte, die oft genug auch bald wieder verschwinden. Unmöglich, dass jemand von denen Einsicht in die Ladepapiere bekommt oder genügend Überblick hat, Piraten zu informieren. Bleiben nur der Hafenmeister und sein Schreiber. Beide wissen genau, welches Schiff mit welcher Ladung abgeht. Wenn die Schiffe in den Hafen kommen, melden sie sich auch bei den Zweien und geben ihre Ladung an, damit sie weiterverladen werden kann. Ich gab den Namen aus Lavinia an: Martin van Maat. Eine Nachfrage würde ergeben, dass der tatsächlich Geschäftsmann dort ist, nun ja, Partner der Milanos, einer angesehenen alten Handelsfamilie. Nicht weiter verdächtig, dass der sich nach neuen Gelegenheiten umtut.“ „Das ist wahr. Also der Hafenmeister oder sein Schreiber.“ Sie sah zu ihm, da er sich auf das Bett setzte. „Du willst schlafen.“ „Ja. Ich bin doch noch etwas angeschlagen. Gegessen habe ich unten.“ „Dann werde ich nicht mehr üben.“ „Ich wäre dir sehr verbunden.“ Er legte sich nieder, wie stets, bemüht seitwärts zu bleiben. Noch vor dem Einschlafen kreisten seine Gedanken allerdings erneut um die ungelöste Frage: warum hatte Emsby sein Personal weggeschickt, aber diese fünf Männer auf Besuch gehabt? Am vierten Tag mietete Michel eine Kutsche, allerdings ohne Fahrer. Das machte es etwas teurer und der Besitzer verlangte eine Kaution, die der Agent ohne mit der Wimper zu zucken hinterlegte. In weiser Voraussicht hatte er einen weiteren von Graf Uthers Bankbriefen eingelöst. Es war verständlich – und der Kutsche würde nichts zustoßen. Sarifa stieg vor dem Gasthof in die Kutsche ein, den Assassinenumhang über einem gutbürgerlichen Kleid. Der Treffpunkt lag ein gutes Stück außerhalb der Stadt. Immerhin hatte der Regen aufgehört. Es war stürmisch, ein kalter, klarer Herbsttag, aber sie war fest entschlossen sich damit zufriedenzugeben. Michel fuhr in flottem Trab zu der Kreuzung, die er angegeben hatte, bog dann in Richtung auf einen kleinen Weiler ein, als er vor sich einen Reiter am Straßenrand erblickte, der ihnen langsam entgegenkam. Er erkannte die Kleidung und wurde langsamer, hielt, sich bereits eine Maske vor das Gesicht streifend. Der Fremde zügelte sein Pferd neben der Kutsche und hob die Hand. Er mochte um die Vierzig sein, ein Mann in den hellen Strumpflingen und dem blauen Wams der kaiserlichen Offiziere der Marine. Sein Umhang war gerade lang genug, um rechts und links von ihm über den Sattel zu hängen, dabei kaum die daran befindliche Degenscheide bedeckend. Ohne seine Irritation über die Maske zu zeigen meinte er: „Ich vermute, wir haben hier ein Treffen.“ „Das vermute ich auch,“ erwiderte Michel und zog die Bremse: „Um es bequemer zu haben, binden wir die Pferde an und setzen uns hinein .“ Während der Offizier abstieg und neben Michel sein Tier an einen Baum band, erklärte er: „Mein Name ist Ramon de Navarone, Fregattenkapitän in besonderem Auftrag der kaiserlichen Marine. Euren Namen brauche ich nicht zu erfahren, aber mir wurde gesagt, dass Ihr die Klingen des Kaisers seid.“ Er warf einen Blick zur Kutsche. „Ja, mein...Partner und ich. Es wurde beliebt uns so zu nennen.“ De Navarone, sieh an. Der König dieses Landes war schon recht alt und sein ältester Sohn von Sechsen führte seit Jahren die Regentschaft, die anderen waren wohl in kaiserliche Dienste getreten. Immerhin war der Kapitän einer Fregatte, noch dazu zur besonderen Verwendung, schon ein höherer Rang. Darüber standen nur noch Admiräle. Das hatte nichts mehr mit Offizierspatent kaufen zu tun, dahinter steckte Können. Nur die ersten Ränge konnten noch erkauft werden. „Kommt, Kapitän.“ Ramon de Navarone war ein wenig erstaunt, eine mit einem Umhang und einer Kapuze verhüllte aber doch weibliche Gestalt zu sehen, wie ihm ein Blick auf die ruhig im Schoß liegenden Hände verriet, ehe er das Kleid darunter bemerkte. „Don de Navarone,“ erklärte Michel: „Fregattenkapitän der Marine, und, wie ich schwer vermute, der Leiter der heutigen Aktion.“ „In der Tat,“ bestätigte der schwarzhaarige Neuankömmling und streifte in automatischer, höfischer Höflichkeit einer Dame gegenüber sein Haar zurück und die Reithandschuhe ab: „Ich freue mich, die Klingen des Kaisers zu treffen. Euer Bericht.“ Michel gehorchte und schloss: „Wir hatten Glück, aber ich hatte einfach auch nicht vermutet, dass das Herrenhaus so vollkommen leer wäre und dachte, wir würden als Bauern unter dem üblichen Treiben, zumal bei diesem Wetter, nicht auffallen. Immerhin war der Garten nicht verwildert, alles schien gepflegt.“ „Ich habe bereits einen Späher ausgesandt,“ erklärte der Fregattenkapitän: „Heute sind jede Menge Personen anwesend, auch Frauen. Da das mutmaßliche Piratenschiff nicht vor Anker lag und auch nur fünf weitere Männer anwesend waren, dürfte es wohl gerade ausgelaufen sein und Emsby hatte seine Leuten freigegeben, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.“ „Es sollte Aufmerksamkeit erregen, wenn das Personal so oft freibekommt,“ warf Michel ein, unwillkürlich an seine eigenen Güter denkend. „Sie nehmen es wohl als Marotte Emsbys dankend an. Aber ein Schiff in einer Höhle – daran dachte natürlich niemand. Sie werden wohl eine Art kleine Korvette haben, deren Reichweite zwar kürzer als der einer Fregatte ist, aber deren Mast man umlegen kann. Das erklärt einiges. Vor allem, warum sie so gut verschwinden können.“ „Es fragt sich, ob diese fünf Männer auch heute noch dort sind. Das hängt wohl von ihrer Arbeit ab.“ „Sie hatten eine Aufgabe, die auch keiner der Angestellten sehen sollte, ja. Fragt sich nur, was. Nun, wenn wir sie haben, werden sie reden.“ „Euer Plan, don Kapitän?“ Ramon de Navarone erlaubte sich ein Lächeln: „Ihr überlasst es mir?“ Durchaus ungewöhnlich bei Leuten, die anscheinend das Vertrauen des Kaisers direkt genossen. Da gab es so manchen, der das heraushängen ließ. Nicht, dass Dagobert dies selbst getan hätte. Michel zuckte ein wenig die Schultern: „Es ist Euer Auftrag.“ Der Kapitän nickte. Er hatte durchaus Verständnis dafür, dass sie neugierig waren, wie die Sache weitergehen sollte: „Ich führe das Kommando über meine eigene Fregatte, die Aquila, und zwei Korvetten, die für diesen Auftrag ebenfalls mir unterstellt wurden. Alles in allem an die neunzig Mann. Da es in den letzten Tagen keine Piratenüberfälle gegeben hat, warten sie wohl noch auf Nachricht aus Lorgnan und die richtige Beute.“ „Ihr baut eine Falle,“ konstatierte Michel. „Ja. Ich reite zurück nach Lorgnan und werde mich im Hafen umsehen ob ich ein Schiff finde, wie es dem Beuteschema entspricht, aber eher werde ich wohl die Korvetten tarnen. Die Schiffe liegen im Augenblick vor der Insel Miu. Sobald eine der Korvetten überfallen wird, werden sie sich zur Wehr setzen und sich gegenseitig helfen. Wie Ihr sicher wisst, verfügt die kaiserliche Marine über Lichtsignale. Statt der gedachten zehn oder fünfzehn Kauffahrer werden fünfundzwanzig erfahrene Kämpfer an Bord sein, die mit dem Degen und dem Säbel umzugehen wissen. Hinter dem Seehorizont, das ist der scheinbare Sichthorizont auf dem Meer, warte ich, denn ich würde wetten, dass sich die Piraten nach einem misslungenen Überfall in ihren bislang so sicheren Schlupfwinkel zurückziehen. Dann schließt die Aquila die Falle, so dass ihnen der Seeweg versagt ist. Falls sie sich nicht zurückziehen steht es drei Schiffe gegen eines.“ „Und über Land?“ erkundigte sich Sarifa: „Das Herrenhaus ist gut geschützt – und es gibt einen Notausgang.“ „In der Tat, ma donna. Aber in den folgenden Tagen werde ich noch Männer herkommen lassen. Die Marine sucht die Piraten seit zwei Jahren, da ist es nicht notwendig, es nun zu übereilen.“ Der Korvettenkapitän sah, wie die anscheinend recht junge Frau höflich den bedeckten Kopf tiefer senkte. Wer das wohl war? Eine Frau, noch dazu jung, als kaiserliche Agentin hätte er nie vermutet. Aber genau das war wohl ihre beste Tarnung, in aller Regel zumindest, denn dieses Mal war ja etwas schief gelaufen. „Nun, ich werde auf jeden Fall Männer hier lassen, die das Herrenhaus beobachten, für den Fall, dass unerwartet Emsby zu fliehen beabsichtigt, oder auch seine Bauern als Geiseln nehmen will. Bislang scheint er ja anzunehmen, dass Ihr ertrunken seid oder zumindest so eingeschüchtert, dass Ihr nur geflohen seid.“ „Ich nehme letzteres an, don Kapitän.“ Michel sah unwillkürlich aus dem Kutschenfenster: „Er erschien mir mehr als selbstsicher. Und trotz unserer Vorsicht – wir sahen niemanden in Lorgnan, der nach uns suchte.“ „Euch sah hoffentlich umgekehrt auch niemand,“ entkam es de Navarone prompt. „Wenn, so dürfte uns niemand erkannt haben. - Oh, beobachtet doch ein wenig den Hafenmeister und dessen Schreiber. Sie kennen sich mit jeder Ladung aus und ich hörte, dass der Hafenmeister alle Arbeiten im Hafen verteilt, so gut wie jeden nimmt, der sich bewirbt....“ „Ich werde es tun. - Don, ma donna.....“ Der Fregattenkapitän stieg aus. Noch ehe er davon ritt, hatte Michel ebenfalls sein Pferd abgebunden und lenkte die Kutsche zurück nach Lorgnan, wenn auch deutlich langsamer als der Marineoffizier. ** Im nächsten Kapitel heißt es: Zugriff! Kapitel 20: Zugriff ------------------- Kaiserin Anawiga winkte ihren Hofdamen: „Legt das Kissen nur dorthin, in die Sonne. Man soll die letzten warmen Herbsttage doch im Freien genießen.“ „Verderbt Euch nur nicht die vornehme Blässe,“ warnte eine der Damen, legte jedoch das Kissen auf die schmale Holzbank. „Ich bleibe nicht lange,“ murmelte Anawiga und nahm ihre Stickarbeit aus den Händen einer anderen Hofdame, ehe sie sich setzte. Es fiel ihr sogar sich selbst gegenüber schwer zuzugeben, dass sie nur hierhergekommen war, weil man von diesem Garten aus Blick auf den Reitplatz hinter dem Schloss hatte – und Dagobert dort unten einen neuen Hengst ausprobierte. Sie hatte es zufällig gehört und beschlossen hierher zu gehen. Etwas verlegen stickte sie weiter, blickte aber immer wieder hinunter – und begegnete den grauen Augen des Kaisers. Dieser zügelte den jungen Hengst und verneigte sich höflich etwas, ehe er ihn seitwärts trieb, zu Übungen die sie auch aus ihrer Heimat kannte. Diese Pferde wurden im Kampf eingesetzt und es war wichtig, dass sie beweglich, gehorsam und auch furchtlos waren. Jeder Adelige lernte Reiten sobald er laufen konnte, das Fechten nur kurz darauf. Jungen, natürlich nur. Aber dieses lebenslange Üben hatte wohl auch zuwege gebracht, dass Dagobert, obwohl er dreißig Jahre älter als sie war, noch immer kaum Spuren des Alters zeigte. Sie kannte einen Berater ihres Vaters im Alter des Kaisers und der besaß nicht einmal mehr seine Zähne. Daher hatte sie Dagobert auch für jünger gehalten als er war – aber sie bereute ihre Einwilligung in keiner Weise. Sie hoffte nur, dass sie ihm bald den gewünschten dritten Sohn schenken durfte, aber das ließ sich nicht beeinflussen. Leider. Der Kaiser schwang sich aus dem Sattel und überließ den Hengst dem heraneilenden Stallknecht, ehe er die schmale Treppe emporstieg. Die Hofsamen versanken in tiefem Knicks, Anawiga erhob sich und verneigte sich. „Mein Liebe, schön, dass Ihr den Garten erfreulich findet.“ „Danke, Euer Hoheit.“ Sie vergaß nie den Unterschied zwischen der Öffentlichkeit und dem Privaten und Dagobert lächelte: „Ich hoffe, Euer Eifer für weibliche Tätigkeiten lässt Euch noch Zeit...?“ „Selbstverständlich. Ich besuche jeden Tag die Hebammenschule....“ Was meinte er? War ihm etwas zugetragen worden? Anawiga kannte Intrigen und Gerüchte bei Hofe nur zu gut, daher bemühte sie sich auch nie allein zu sein, schon gar nicht mit einem Mann und schon überhaupt nicht mit Uther. „Und eine weitere Schule?“ Eine neue, weitere Aufgabe? Ihre Augen leuchteten auf, aber sie erwiderte gesittet: „Wie immer es Euer Hoheit beliebt.“ Auch Dagobert waren die Ohren um sie nur zu bewusst: „Gut. Dann erlaubt, dass ich Euch nach dem Abendessen aufsuche. Und, damit Ihr nicht vor Neugier vergeht: die Knappenschule für die Waisen, die bei Hofe aufgezogen werden. Es sind viele Mädchen dabei, und wenn sich auch mein Bruder um die Jungen kümmert, so bedürfen diese doch wohl einer weiblichen Hand.“ Anawiga verneigte sich in schweigender Zustimmung. Sie wusste, dass das eine Belohnung für erfolgreiche Arbeit war – noch mehr Selbstständigkeit und vielleicht irgendwann sogar Einbeziehung in Staatsgeschäfte. Aber auch ohne dieses war sie sehr zufrieden, nicht nur sticken und lesen zu müssen, sondern arbeiten zu dürfen, Erfolge haben zu dürfen. Erst in der Zweisamkeit ihres Schlafzimmers würde sie mehr erfahren. Vielleicht würde ihr Dagobert auch eines Tages mitteilen, was sein Bruder eigentlich tat, ob ihre Vermutung, er leite geheime Operationen, ja, den Geheimdienst, richtig war. In der Öffentlichkeit war Uther immer ein etwas gelangweilter, stets ruhiger Mann, der offensichtlich mit seiner Position als Kaiserbruder zufrieden war und nichts weiter tat als Bücher zu lesen. Anawiga, die die enge Beziehung der Brüder zwischenzeitlich mitbekommen hatte, war zu intelligent, um nicht daran zu zweifeln. Michel kehrte ein wenig verwundert von seinem Spaziergang durch Lorgnan zurück. Sarifa hatte ihn gebeten, ihr zwei Bänder aus Seide zu besorgen – in dem unüblichen Maß von einer Hand Breite und fast zwei Metern Länge. Sie setzte sich auf, als sie sie sah. „Danke. Das wird nützlich sein.“ Sie schwang sich aus dem Bett und stellte den verletzten linken Fuß vor. Die Schwellung war zurückgegangen, aber die Quetschungen hatten ein dunkles Lila angenommen. Belastung schmerzte sie noch immer, aber sie sah keinen Grund, sich darüber aufzuhalten. Schmerz war zu ertragen – nicht bei der Verhaftung dabei sein zu können nicht. Sie wickelte sich die Seide fest um Fuß und Knöchel. Michel bemerkte ihre Übung: „Du hast dich schon öfter verletzt, hm? Schafe und Ziegen oder Assassinen?“ „Beides. Man klettert oft über Felsen um verirrte Tiere einzusammeln,“ erklärte sie ohne aufzublicken: „Aber zwischen einer Zerrung und einer Quetschung wie der hier besteht doch ein Unterschied.“ „Mit dieser Bandage wirst du auftreten können.“ „Ja.“ Zu ihrer Erleichterung fragte er nicht, ob schmerzfrei. Er vermutete, dass sie kampffähig wäre, wenn auch nicht besonders gut laufen konnte, und nahm sich vor gegebenenfalls darauf Rücksicht zu nehmen. So wandte er sich um und zog sich die vornehme, wenn auch bürgerliche Kleidung aus. Statt der Strumpflinge mit der angenähten Ledersohle wählte er nun schwarze, sohlenlose, um Stiefel anziehen zu können. Über das Hemd kam jetzt ein schwarze Wams, das keinerlei Status seines Trägers anzeigte. Darüber legte er den Ledergürtel, in den er später seinen Degen stecken würde, wenn sie aus den Mauern waren. Die Stadtväter von Lorgnan schätzten Bewaffnete zu Gast eben so wenig wie in jeder anderen Gemeinde. Auch in Paradisa benötigte man in der Regel eine Erlaubnis des Kaisers – oder war von Adel. Als er sich umdrehte, hatte seine Partnerin bereits ihre Rüstung angelegt und griff nach ihrem Umhang. „Gut,“ meinte er: „Die Kutsche müsste gleich gebracht werden. Nimm hier meinen Degen unter deinen Umhang. Es ist nicht notwendig, dass der Wirt das sieht.“ Sie nahm die Scheide samt der darin verborgenen Waffe. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass der Wappenschild des Degengriffes einen herabstoßenden Falken zeigte: das Wappen der kaiserlichen Armee. Nun, er hatte ja gesagt, dass er dort gekämpft hatte und bei den Leibwachen ausgebildet worden war, die als einzige einen derartigen Wappenschild besitzen durften. Nur natürlich, dass er die erhaltene Waffe noch trug. Sie war sicher wertvoll. Sie nahm sie unter den Umhang und drückte sie mit ihrem linken Arm an sich, ehe sie ihrem Partner die Rechte reichte, um sich über die Treppe hinunterführen zu lassen, wo bereits die gemietete Kutsche ohne Fahrer stand, Der Besitzer wartete daneben und ließ sich von Michel erst die Kaution geben, ehe dieser seiner vorgeblichen Frau den Schlag öffnete und hinein half. Am zuletzt vereinbarten Treffpunkt hielt der Agent die Kutsche an und band das Pferd fest, ehe er sich die Maske überstreifte. Die Dämmerung war hereingebrochen, und er suchte in der Umgebung nach den Marinekämpfern, die er nicht entdecken konnte. Sie schienen ihr Handwerk auch an Land zu verstehen. Gut. Er sah sich um, da Sarifa eigenständig ausstieg. Ein wenig schonte sie das verletzte Bein, aber die Bandage schien ihr zu helfen. „Nimmst du auch eine Maske?“ Sie schlug die Kapuze empor und band sie fest. „Meinst du, dass es nötig ist?“ „Nun ja, man erkennt so eigentlich nur deine Nasenspitze und die Mundpartie,“ gab er zu. „Zudem wird es dunkel, und sie verrutscht wohl nicht im Kampf?“ „Wenn du im Kampf das Gesicht eines Assassinen siehst, bist du schon tot. Du weißt es nur noch nicht.“ Äh....gut zu wissen. „Nun, wie du meinst. - Ah, wir werden abgeholt.“ Ein Mann kam herangelaufen: „Im Auftrag don de Navarones,“ meldete dieser sich: „Ich soll Euch zu ihm bringen.“ „Danke.“ Die beiden Agenten folgten ihm. In einem Wäldchen, das diese Bezeichnung kaum verdiente, da die Büsche nur brusthoch unter dem stetigen Meerwind wuchsen, warteten der Fregattenkapitän und seine Männer sitzend. Es mochten gegen sechzig sein. Ramon de Navarone winkte, um sich kenntlich zu machen und die beiden kamen zu ihm, kauerten neben ihm nieder. „Wir sind soweit,“ sagte er: „Die Aquila ist draußen auf Posten und wird ein Entkommen über das Meer verhindern. Wir gehen von hier aus über das Herrenhaus hinein, eine zweite Gruppe bewacht den Ausgang durch den Schacht. Es dürften so gegen fünfundzwanzig Piraten, Emsby selbst und die fünf Unbekannten im Haus sein.“ „Das Personal?“ erkundigte sich Michel sofort. „Wurde vor dreißig Minuten weggeschickt, was uns die Sache erleichtert. Vermutlich, als die Piratenkorvette unten einlief.“ „Vermutlich. - Irgendwo muss ja auch das Lager sein, in dem sich die geraubten Waren befinden.“ „Ja. Wir werden es finden. Oder auch nicht, denn womöglich sind diese Fünf die Weiterverteiler. An Emsbys Stelle würde ich Waren aus Raubzügen nicht dort lagern, wo aus Zufall einer der Bediensteten sie finden könnte.“ „Das wäre in der Tat eine gute Erklärung für ihre Anwesenheit.“ „Ihr und Ihr, ma donna, bleibt bei mir. Es ist dunkel genug geworden.“ Er richtete sich etwas auf:„Zugriff!“ befahl der Fregattenkapitän nur kurz und knapp. Seine Männer gehorchten sofort. Mit einem Gefühl, das einer grimmigen Zufriedenheit nahekam, sahen Michel und Sarifa zu, wie fast zwanzig Mann sich nach links wandten, zu dem Brunnen huschten, der ihnen vor wenigen Tagen Rettung geboten hatte. Gegen dreißig Marinekämpfer liefen dagegen zum Tor des Herrenhauses, bemüht, den Hof und das Haus selbst zu erreichen, ehe sie bemerkt wurden und das Portal verschlossen werden konnte. Keiner der erfahrenen Männer schätzte das Anrennen gegen eine drei Meter hohe Mauer. Der Fregattenkapitän und die beiden Agenten folgten etwas langsamer und blieben hinter den Männern stehen, die sich um den alten Brunnenschacht auf den Boden legten. Sie mussten fast zwanzig Minuten warnten, ehe ein schwacher Lichtschein aus dem Schacht drang, dann eine Laterne, schließlich ein Schemen eines Mannes auftauchte. Michel und Sarifa waren sich gedanklich einig, dass die Marinekämpfer wirklich erfahren waren. Der Kapitän hatte seine Leute gut ausgesucht. Sie warteten ab, bis alle Flüchtigen aus dem Schacht gestiegen waren, sich kurz umsahen, ehe ein scharfer Ruf ertönte: „Los!“ Die vielleicht zehn Männer erstarrten für einen Sekundenbruchteil, ehe sie ihre Waffen zogen, sich gegen die aus der Nacht auftauchenden Seeleute zu wehren versuchten. Gegen die Übermacht hatten sie allerdings kaum Chancen, zumal der Überraschungseffekt auf der Seite der Angreifer lag. Nur ein Mann versuchte nicht sich zur Wehr zu setzen sondern rannte los. Er hatte die Nerven und die Übersicht besessen sich zu orientieren. Entkam er dem Ring der Männer um sich, so war nicht davon auszugehen, dass dort noch jemand war. „Ich!“ zischte Michel und war bereits unterwegs. Sarifa würde mit ihrem verletzten Fuß den Flüchtigen kaum abfangen können, Navarone sollte sich um seine Leute kümmern, so war er die beste Wahl. Natürlich auch, weil er Henri Gustav zu erkennen glaubte und der ihn geschlagen hatte. Profi hin oder her, das musste er nicht unbedingt vergessen. Die beiden Wege kreuzten sich und der Flüchtige erkannte vor sich eine schattenhafte Gestalt. Er blieb stehen und zog seinen Degen. Michel folgte diesem Beispiel. „Bis hierher und nicht weiter!“ „Verschwinde lieber,“ gab Gustav zurück, ehe er in Position ging. Der Fregattenkapitän und Sarifa waren gefolgt, wenn auch langsamer, und betrachteten, so gut es in der Nacht möglich war, das entstehende Duell, wenn auch mit unterschiedlichen Gedanken. Die Assassine war eigentlich sicher, dass ihr Partner gewinnen würde. Allerdings wusste sie auch, dass er erkältet durch die Stunden im kalten Wasser war, vielleicht langsamer als notwendig. So hatte sie die Rechte an ihre Brust gelegt – nicht die romantische mitleidende Haltung einer Frau, wie de Navarone glaubte, sondern um in kürzerer Zeit ihr Messer werfen zu können, sollte es nötig sein. Der Fregattenkapitän beobachtete den Degenkampf mit sachlicher und fachlicher Neugier. Ein Duell in der Dunkelheit war etwas, das man gewöhnlich mied. Soweit er erkennen konnte, focht Henri Gustav mit der Manier eines Mannes, der seinen Degen oft genug in Zweikämpfen auf Leben und Tod geschwungen hatte. Der unbekannte Agent dagegen...hm. Er müsste sich sehr täuschen, wenn der nicht von Adel war. Jeder adelige Junge begann mit sieben mit dem Degen zu üben und dieses Training lieferte den Edelmännern gewisse Vorteile, wenn sie gegen Bürgerliche kämpften, da diese erst mit vierzehn mit einer Waffe hantieren durften. Aber dennoch – adelig hin oder her: die Technik des Maskierten war trotz der Nacht hervorragend. Das lernte man bei keinem x-beliebigen Fechtmeister. De Navarone hatte selbst seit seinem vierzehnten Lebensjahr beim kaiserlichen Heer, dann der Marine gelernt, zuvor beim Fechtmeister seines königlichen Vaters und glaubte es einschätzen zu können. Das war Heeresschulung, wenn nicht gar Leibwachen. Nun gut, kaum verwunderlich, dass der kaiserliche Geheimdienst seine Leute aus diesen loyalen Männern holte. Was um.....? Michel war langsamer geworden, das wusste er. Dieser Gustav kämpfte leider nicht schlecht und er selbst spürte ein Brennen in der Brust – die Erkältung machte sich bemerkbar und er würde bald husten müssen. Fatal in einem Kampf auf Leben und Tod. Er musste jetzt hier rasch ein Ende setzen. Gustav wollte ihn töten um fliehen zu können, ahnte wohl nichts von Sarifa und de Navarone, die nicht mit seinen Kumpanen beschäftigt waren. Natürlich wollte ihm seine Partnerin helfen, da war er sicher, aber das wäre ihm doch unangenehm. Man focht sein Duell allein durch. Also sollte er sich schnell etwas einfallen lassen. Er parierte einen weiteren Vorstoß seines Gegners durch ein schlichtes Beiseiteschlagen der Klinge zum einen, um Gustavs Spitze aus ihrer bedrohenden Richtung zu bringen, zum anderen um seine eigene Attacke vorzubereiten. Noch während dieser seinen Degen wieder in die Kampfposition zurückbringen wollte, zog Michel plötzlich und abrupt seine eigene Waffe zurück, in die Vertikale und drehte sich beiseite um aus der Angriffsrichtung zu gelangen. Im gleichen Augenblick fiel sein Degen aus der Rechten – um mit der Linken aufgefangen zu werden. Die Blöße seines Widersachers war damit viel weiter geöffnet worden, denn Gustav noch parieren konnte, als jetzt ein Stoß von schräg unten geführt durch die Linke gegen sein Herz kam. Henri Gustav starb, noch ehe er den Boden berührte und ehe in seinem Kopf die Frage des Wie bewusst wurde. Der Fregattenkapitän bemerkte gerade erst, dass er seit einiger Zeit keinen Atem mehr geholt hatte und holte Luft, während Michel sich endlich den Hustenanfall erlaubte. „Der Wurfstoß des Meister Leonardo!“ flüsterte Ramon de Navarone fasziniert. „Wie bitte, Kapitän?“ erkundigte sich Sarifa, die das Gefecht zwar durchaus auch professionell gesehen hatte, aber jetzt mehr besorgt über Michels Husten war. „Das, was Euer Partner da machte....Man hört davon, aber man sieht es kaum. Um das so durchzuziehen muss man nicht nur ein erfahrener, geübter Fechter sein sondern auch mit beiden Händen fechten können.“ Der Maskierte kam heran und so fuhr er dort: „Meinen Glückwunsch, don. Meister Leonardos Wurfstoß durchzuführen.....Darf ich fragen, wie oft Ihr das geübt habt?“ „Könnt Ihr.“ Michel atmete noch immer schneller: „Aber ich weiß es nicht. Tausend Mal für das eine Mal in dem es nötig ist.“ Er bemerkte das unwillkürlich beistimmende Nicken der Assassine. Ihr Volk hielt es wohl genauso. „Natürlich,“ meinte der Marineoffizier. „Dann gehen wir zu meinen Männern. Ich werde jemanden schicken, der den Toten einsammelt.“ So kehrten die Drei zu dem alten Brunnenschacht zurück, wo die Piraten gefesselt auf dem Boden lagen. Mit einem raschen Blick überzeugte sich der Kapitän, dass keiner seiner Leute fehlte. „Da haben wir wohl alle,“ meinte er zufrieden: „Im Haus scheint auch aufgeräumt zu sein.“ Das bezog sich auf das Winken einer Fackel auf der Mauer in kurzen Abständen – ein Marinesignal. „Der Brunnen im Garten,“ murmelte Michel, der unter den hiesigen Gefangenen den Hausherrn nicht entdecken konnte und laut nachdachte. Emsby gehörte doch kaum zu der Sorte Helden, die bis zum Ende tapfer kämpfen. Sarifa blickte zu ihm. „Emsby kennt sich doch mit dem Höhlensystem am Besten aus. Wenn der Brunnen dazu gehört, und er mitbekommen hat, dass sie in der Zange sitzen....“ Sie drehte sich schon um und verschwand in der Dunkelheit, so rasch es mit ihrem Fuß ging. Michel seufzte leise, sah jedoch zu dem Fregattenkapitän: „Sie hat Recht,“ konstatierte er, ein wenig überrascht, dass sie nicht nur seinen Gedankengängen gefolgt war, sondern sie auch weiterdachte. „Gehen wir ihr nach,“ schlug der Aktionsleiter vor. Seine Männer waren beschäftigt, aber er konnte doch nicht ein halbes Mädchen gegen einen Verbrecher bestehen lassen. „Oh ja. Wenn sie Emsby sieht, ist er tot.“ De Navarone wollte lächeln, aber in der Stimme des Agenten hatte etwas gelegen, das zeigte, dass das nicht nur ein Kompliment für seine Partnerin sein sollte. Während sie eilig zu dem Garten schritten, wenn auch nicht liefen, um nicht womöglich Emsby auf sich aufmerksam zu machen, meinte der Fregattenkapitän: „Ich hatte einmal eine Bulldogge, sehr mutiges Tier. Griff sogar einen Bären an. Allerdings war sie nur von mir zu halten. Jeden anderen hätte sie in Stücke gerissen.“ Michel wusste nicht so recht, was er zu diesem Vergleich sagen sollte. Don Emsby sah sich hektisch um, obwohl er in der Dunkelheit des Geheimganges beim Schein seiner Kerze nicht mehr viel erkennen konnte. Als er bemerkt hatte, dass seine Leute oben am Schacht bereits gefangen genommen wurden, war er umgedreht, froh, dass ihn seine Vorsicht dazu gebracht hatte, als letzter in den Geheimgang zu gehen, als das Haus überfallen worden war. Kaum zehn Männer waren in den Keller entkommen, als die Marine sein Haus gestürmt hatte. Völlig überraschend, gab er zu, und der Schreck steckte ihm noch immer in den Knochen. Zum Glück kannte er noch einen weiteren Ausgang aus dem Gang – und davon hatte die Marine bestimmt nicht einmal geträumt. Er musste hier raus und versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen, mit nichts als dem, was er auf dem Leib trug. Wie auch immer er das anstellen sollte, wusste er doch nicht einmal den Namen seines Handelspartners. Er würde einfach am Treffpunkt abwarten, bis die Händler diesmal umsonst anreisen würden und mit ihnen gehen. Endlich. Der Schacht. Er blies die Kerze aus, ehe er aus dem Gang nach den Krampen tastete, die das Klettern hier im Brunnenschacht erleichtern sollten. Wenn er fallen würde, wäre es ungemütlich nass, denn dort unten sammelte sich Regenwasser für den Garten. Leise stieg er empor. Sein Atem ging zwar etwas schwer, aber er vermutete nicht, dass man ihn hören konnte. Überdies wusste ja niemand, dass er hier war. Geräusche in der Nacht, Stimmen, zeugten davon, dass sein Haus besetzt war und auch bei dem entfernteren Schacht die Marine die Oberhand gewonnen hatte. Er unterdrückte einen sehr unvornehmen Fluch, ehe er ein wenig mühsam aus der Tiefe kletterte. Sein Degen erwies sich dabei eher als hinderlich. Aber endlich war er draußen und in Sicherheit.... „Willkommen, don Emsby.“ Sarifas sanfter Satz ließ den Edelmann herumfahren und zum Degen greifen. Diese Bewegung kam nicht zum Abschluss, als er erkannte, dass er einer jungen Frau gegenüberstand. „Oh, Ihr seid doch die junge Dame....“ meinte er lächelnd: „Dachtet Ihr, ich würde Euch nicht an der Stimme erkennen?“ Warum sie nur die Kapuze so tief in das Gesicht gezogen hatte? „Ihr könnt mich nicht aufhalten – auch, wenn ich zugeben muss, dass ich ein wenig überrascht war, hier die Marine zu sehen.“ „Warum sollte ich Euch nicht aufhalten?“ In den Händen der Assassine lagen zwei Dolche. „Ich habe die längere Waffe.....“ Er zog den Degen, noch immer lächelnd. „Männer!“ fauchte Sarifa prompt voller Verachtung – und die beiden dieses Geschlechtes, die ihr gerade zu Hilfe eilen wollten, blieben unwillkürlich stehen. „Oh oh,“ sagte Michel nur: „Wartet lieber hier!“ Er spurtete los. Ramon de Navarone gehorchte, beobachtete aber die Szene durchaus interessiert. Die junge Dame fuhr keinen Deut freundlicher fort: „Immer zu glauben, wer den Längeren hat gewinnt! Man muss mit einer Waffe auch umgehen können.“ „Dann zeigt mal, was Ihr könnt, mein....“ Emsby kam nie dazu diesen Satz zu beenden. Ein ersticktes Keuchen war alles, was er noch hervorbrachte, dann fiel der Degen aus der schlaff werdenden Hand, ehe auch der Besitzer stürzte. „Mein aggressiver Engel,“ seufzte Michel ein wenig, der neben ihr stehengeblieben war, beobachtete allerdings das Messer in ihrer Linken. „Er lebt noch.“ Sie schob es weg, ehe sie zu dem Verletzten ging und den Degen wegtrat: „Der Kerl ist mit den Piraten im Bund und er wollte uns umbringen. Ich finde, was diesen letzten Punkt betrifft, ist er sehr gut weggekommen.“ „Er wird dem Henker nicht entgehen, ma donna.“ Der Fregattenkapitän war heran: „Meinen tiefen Respekt übrigens. Ich kenne kaum jemanden, der so gut mit einem Messer umgehen kann, und auch noch im Wurf wirklich niemanden. Sind das Spezialanfertigungen?“ „Ja.“ Sie bückte sich und zog ihren Dolch aus dem Bewusstlosen: „Der Wurf ging in die Schulter und sollte seine Nerven und Muskeln dort beschädigt haben. Er wird heftig bluten, aber nicht sterben. Denke ich.“ „Ich würde nie mit Euch streiten,“ sagte Ramon de Navarone nicht nur aus Höflichkeit. Immerhin wusste er nun, warum das die Klingen des Kaisers waren. ** Schön, wenn jemand vorsichtig ist.... Das nächste Kapitel bringt Michel in eine peinliche Lage – und er lernt einen von Sarifas Brüdern kennen... Kapitel 21: Der Falke --------------------- Worterklärung: shahin bedeutet Falke, mahedj eine ägyptische (weiße) Gazelle Zurück in Paradisa erstattete Michel Bericht. Da er dabei immer wieder von Hustenanfällen unterbrochen wurde, meinte Graf Uther abschließend: „Der Kaiser wird vom Admiral der Marine ohne Zweifel ausführlichen Bericht bekommen, auch, was die Verhöre angeht, ehe man die Gefangenen nach Paradisa bringt. Für Euch, und wohl auch Sarifa, werde ich zusehen, dass Ihr einige Zeit Erholung bekommt. Nicht einmal ich erwarte, dass sich Eure Opferbereitschaft auf Eure Gesundheit erstreckt.“ Michel lächelte unwillkürlich ein wenig zynisch: „Nur auf das Leben, nicht wahr, Graf Uther? - Schon gut. Ich wäre neugierig, wie es ausgegangen ist. Und, was diese fünf Männer bei Emsby taten. Denn im Endeffekt sind dieser Umstand, und die Tatsache, dass Emsby seine Leute wegschickte, weil dieses Quintett anwesend war, schuld an unserer Patsche gewesen.“ „Das gebe ich zu. Bei diesem Regen tragen alle Menschen in einem Schloss- oder Burghof Kapuzen, wenn sie arbeiten und Ihr wärt nicht aufgefallen. - Nun, geht und erholt Euch, Michel.“ „Danke.“ Er stand auf. Fast zehn Tage später erhielt Michel einen kurzen Brief mit ominösen Kürzeln, die er jedoch entziffern konnte. So begab er sich zum Kaiserpalast, allerdings in keiner Weise direkt zu Graf Uther. Zum einen aus gewohnter Vorsicht, zum zweiten, weil ihm seit zwei Tagen ein Mann aufgefallen war, der sich relativ häufig auf seinem Schatten sehen ließ. Nun, dachte er ein wenig zynisch, da hatte der Gute wohl ziemlich langweilige Tätigkeiten beobachten können. Allerdings: wer beschattete ihn und warum? Den Agenten oder den Adeligen? So ging er zuerst in die Kanzlei des Kaisers, traf einige bekannte Gesichter, mit denen er höflich plauderte. Tatsächlich. Sein Schatten war auch hier im Palast. Er hatte also eine Zulassung. Warum? Das Erste, was er nach einigen Umwegen, inklusive einer geheimen Tür, Graf Uther mitteilte. Der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes dachte kurz nach. „Ein Meuchelmörder hätte bereits zugeschlagen, gewöhnlich. Aber es ist nicht sicher. Vielleicht auch nur ein Spion – aber warum Ihr? Weiß es Sarifa bereits?“ „Nein. Ich habe sie seit fast zwei Wochen nicht gesehen.“ „Ihr solltet sie informieren. Zur Sicherheit. - Zu Emsby und den Piraten. Sie wurden an das kaiserliche Gericht überstellt. Ersten Ermittlungen zufolge wurden sowohl die Piraten als auch Emsby für ihre Tätigkeiten in Gold bezahlt. Die fünf Männer waren zu dem Zweck anwesend, die Beute zu übernehmen und in eine Scheune auf einem Feld, einige Stunden von Emsby entfernt zu bringen. Dorthin kamen mehrere Händler und nahmen die Waren mit, bezahlten dafür. Das war der Anteil der Piraten, der Fünf und don Emsbys. Sie behaupten weder zu wissen, wer die Händler sind noch an wen diese verkaufen. Es seien aber immer wieder andere Händler gewesen.“ „Hm,“ machte Michel. „Womöglich stimmt das. Es sind normale Händler, die von jemandem beauftragt werden, dort Waren zu holen. Sie bekommen das Gold zum Ankauf und bringen es dann dem Auftraggeber. Dieser verkauft die Waren anschließend in eigenem Namen.“ Uther zog die Brauen zusammen: „Mir wäre es lieber, wenn es mehrere kleinere Hehler sind.“ „Es wäre sicherer, wenn die Zwischenhändler, die die Waren bei Emsby aufnehmen und wohin auch immer transportieren, ahnungslos sind.“ „Schon. Aber bedenkt, wohin dieser Gedankengang führt. Ein Hehler, der in so großem Stil über sicher größere Distanzen hinweg handeln kann, hat gute Verbindungen.“ „Sehr gute,“ bestätigte Michel: „Und ich denke da auch an den Unbekannten, der in Lavinia Doctor Marteau hochgehen ließ. Dort hatten wir ebenfalls jemanden mit guten Verbindungen und Informationen, auch von jenseits des Südmeeres.“ „Und derjenige müsste auch über genug Geld verfügen, dass die zusätzlichen Waren in seinem Handelsvolumen nicht auffallen, auch die Steuerbehörden nicht mitbekommen, dass sich der Mann mit Piraterie ein Vermögen verdient. Selbst, wenn man die Unkosten abzieht – der Schaden an der Schifffahrt war enorm.“ Uther holte tief Atem: „Michel, Euch ist klar, wohin das führt?“ Dieser nickte, ehe er sachlich antwortete: „Ein sehr großes Handelshaus, oder eher sogar, wenn man die juristischen Möglichkeiten bedenkt, einen Stadtrat, einen König.....Oh, Mist.“ „In der Tat. Ich werde möglichst unauffällig Informationen sammeln lassen. - Euer Verfolger. Soll ich ihn festnehmen lassen? Mir wäre lieber, es würde Euch gelingen herauszufinden, wer ihn beauftragt hat. Und womit.“ „Gut. - Aber es wäre günstiger, wenn Ihr Sarifa von der Beschattung in Kenntnis setzt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen zweiten Verfolger habe und ihn nur nicht bemerkt habe.“ Der Bruder des Kaisers erlaubte sich ein flüchtiges Lächeln: „Ihr gestattet mir die Ansicht, dass er Euch aufgefallen wäre. Ich werde ihr jedoch einen Brief zukommen lassen.“ „Danke.“ „Und Eure Gesundheit?“ „Ich bin wiederhergestellt.“ Mit etwas schlechtem Gewissen fuhr Michel fort: „Ich hoffe, auch Sarifa.“ Er hatte kein einziges Mal in den vergangenen Tagen ihr eine Nachricht geschickt – nun gut, die erste Zeit war er wirklich krank gewesen. „Dann geht. Und seid vorsichtig.“ Sarifa saß derweil in einer kleinen Taverne, in der wollenen Kleidung einer einfachen Bürgerin. Neben ihr befand sich ein schwarzhaariger junger Mann Mitte Zwanzig in grauem Umhang, dessen dunkle Augen immer wieder aufmerksam durch die Stube huschten. Sie meinte leise: „Ich habe mich über deine Nachricht sehr gefreut, Shahin. Du hast einen Auftrag hier? Oh, ich weiß, dass du nicht darüber sprechen darfst, ebenso wie ich über meine, aber...du hast ihn noch nicht erledigt?“ „Nein. Ich benötige noch einen Beweis, kleine Schwester.“ Und kein Tod ohne Beweis, so lautete die unumstößliche Regel ihres Volkes. Sollte seine Zielperson jedoch heute vor seinen Augen den Fehler begehen....nun, diesmal würde es diesem nicht gelingen, sein Opfer mundtot zu machen. Umgekehrt. Sie lächelte verstehend: „Dein Ziel befindet sich hier. - Wie geht es Zuhause?“ „Unverändert, würde ich sagen. Das heißt, Mahedj hat seine Volljährigkeit gefeiert, aber das wirst du wissen. Mutter freut sich sehr über deine monatlichen Briefe. Übrigens: habe ich mich getäuscht oder bist du verletzt?“ „Nur eine Quetschung und fast schon verschwunden,“ murmelte sie unwillig. „Und der Täter?“ Leiser Spott lag in der Stimme des Bruders – er kannte sie. „Ich traf ihn mit dem Messer, auf ihn wartet jedoch der Henker.“ „Du hast an Selbstbeherrschung gewonnen, Schwesterchen.“ „Shahin!“ Sie funkelte ihn an. „Sarifa.“ Er funkelte zurück, ehe sie beide lachten. Das Spiel spielten sie, solange sie zurückdenken konnten. Der Assassine lehnte sich etwas zurück, als er sein Ziel fixierte, das gerade den Arm um ein sehr junges Mädchen, ein halbes Kind, legte, das wohl in der Küche aushalf. Ohne den Blick zu lösen meinte er: „Du solltest gehen, Sarifa. Wenn ich den Auftrag erfüllt habe, werde ich dich noch einmal aufsuchen, ehe ich heimreise.“ Sie folgte nicht seinem Blick sondern meinte nur: „Das wäre nett. Falls ich nicht da bin, wird dir mein Vermieter, er wohnt unten, sagen können, ob ich länger abwesend bin oder du auf mich warten kannst. Auf unser beider Wiedersehen, Shahin. “ Sie legte eine Münze für ihr Getränk auf den Tisch, ehe sie ging. Zuhause sprach sie ihr Vermieter an und reichte ihr einen kleinen Brief mit den Worten: „Ich kenne das Siegel, aber ich weiß von nichts, ma donna.“ Es war das Privatsiegel des Kaiserbruders. Uther war nur darum so offen damit umgegangen, da der Mann jahrelang für den Geheimdienst gearbeitet hatte. Sarifa las und hob die Brauen. Michel wurde verfolgt? Als Agent oder als Adeliger? Auf jeden Fall sollte sie sich das morgen früh einmal ansehen. Jetzt würde ihr Partner zuhause sein, sein Verfolger womöglich Nachtruhe halten – falls es nicht zwei waren. Schon früh am Morgen war die junge Assassine in Bürgerkleidung in Michels Gegend unterwegs, ihr langes Haar am Hinterkopf emporgesteckt. Scheinbar geschäftig ging sie durch die Straßen, erst als sie das Haus, eher das Stadtpalais, entdeckte, in dem er als Michel de la Montagne standesgemäß im ersten Stock residierte, wurde sie etwas langsamer. Ohne den Kopf nach rechts oder links zu drehen ging sie weiter, wobei ihr Blick allerdings überaus aufmerksam Passanten und Menschen an den Fenstern musterte. Und da sah sie ihn. Einen Mann, den sie kaum hätte beschreiben können, außer mit dem Wort durchschnittlich. Er war wie ein gewöhnlicher Bürger gekleidet, braune Strumpflinge, braunes Wams, selbst seine Haare waren braun. Er lehnte an einem Tor und betrachtete scheinbar nichtstuend die Straße. Sarifa entdeckte ein Stoffgeschäft und ging hinein, betrachtete die Stoffe, redete mit der Inhaberin – der Unbekannte blieb stehen und tat nichts. Jetzt war sie sicher. Der Kerl stand zu etwas anderem hier als zu arbeiten. Michel trat aus dem Haus, das unvermeidliche Taschentuch schwenkend. Anscheinend hatte er eine Sänfte bestellen lassen, denn nur eine Minute später kam eine, von zwei Männern getragen. Er gab die Adresse an und stieg ein, ohne sich auch nur umzudrehen. Der Beobachter folgte sofort. Es war nett von Michel, dem das Leben so zu erleichtern, dachte Sarifa prompt. Eine Kutsche wäre viel schwerer zu verfolgen gewesen. Hm. Es wurde Zeit, dass sie ihrem Partner mitteilte, dass sie auch hinter ihm war. Nur, wie? Sie folgte der Sänfte, damit dem Beobachter, der eifrig auf einer Kreidetafel notierte, was sein Opfer tat. Ein amüsanter Tag, dachte die Assassine, Michel war bedacht darauf, dem Verfolger Daten zu geben, der an Vergnügungen interessierte Adelige zu sein, und keinerlei Hinweis zu liefern, Agent zu sein. Stundenlange Lederauswahl, um sich Stiefel anmessen zu lassen, ein Besuch bei seinem Schneider, um Rechnungen zu bezahlen, eine lange Unterhaltung mit einem Pelzhändler, ein Treffen auf ein Kartenspiel mit Bekannten....Die Sänfte wartete immer davor. Es musst ganz schön teuer sein, die Männer so den gesamten Tag zu beschäftigen, aber die waren gewiss erfreut. Hm. Sie sah sich um. Als sie einen vielleicht zehnjährigen Jungen entdeckte, ging sie zu ihm. Der starrte sie erst misstrauisch an. Während Michel Karten gespielt hatte, hatte sie eine Idee gehabt – und einen Brief geschrieben. Jetzt hob sie die Hand mit einem Gulden darin: „Magst du dir den verdienen?“ Den Gulden ansehend meinte der Junge: „Ja, ja, klar, ma donna. - Was soll ich denn dafür tun?“ erkundigte er sich dann doch. „Nichts schlimmes,“ beruhigte sie sofort. „Siehst du dort die Sänfte? In die wird bald ein sehr vornehmer Mann steigen, mit vielen Bändern und Rüschen, blond. Ihm und nur ihm gibst du diesen Brief. Dann bekommst du den Gulden. Wenn er eine Antwort hat, sogar zwei. In Ordnung?“ Der Junge sah sie an, dann nickte er, anscheinend bewusst erwachsen tuend: „Ein Liebesbriefchen, oder? Schon gut. Das habe ich für meine Schwester auch schon gemacht. Gebt her.“ „Ich bin dort in dem Tor.“ Die Assassine zog sich zurück. Selbst wenn jemand anderer den Brief lesen würde, würde er nur an die Bitte um ein Rendezvous denken. Es war ein Treffpunkt genannt, unterschrieben hatte sie nur mit „dein Engel“. Sie mussten sich absprechen. Michel trat aus dem vornehmen Gasthaus und wollte zu seiner Sänfte gehen. Ein verschmitztes Lächeln galt seinem Verfolger. Der stand immer noch da – langsam musste der doch mal müde werden. Aber er war sicher, dass das kein Meuchelmörder war. Der hätte doch schon zugeschlagen. Als ein Straßenjunge auf ihn zulief, dachte er automatisch an einen Bettelversuch und wollte schon unwillig abwehren, ehe er den Zettel in der Hand sah. So blieb er stehen, jedoch unwillkürlich angespannt. Eine Nachricht? Sarifa oder Graf Uther? Eine Falle? Aber er nahm den Brief und wollte schon einsteigen, als der Junge meinte: „Edler don...könnt ihr ihn nicht gleich lesen...? Ich meine, ich bekomme mehr, wenn Ihr antwortet, hat die junge Dame gesagt.“ Sarifa! Michel öffnete. Eine kurze Anweisung für einen Treffpunkt heute Abend. Sie wollte sich wohl mit ihm besprechen. Unterschrieben hatte sie, wie vermutlich nur er sie nennen durfte. Und wovon niemand wissen konnte. Nicht einmal Graf Uther hatte er es erzählt. „Dann sag der jungen Dame, dass sie ihr Rendezvous haben kann.“ Der Junge strahlte und rannte mit der guten Nachricht zu Sarifa zurück. Da er seine zwei Gulden bekam, schloss er daraus, dass es sein Glückstag sein musste. Mutter würde reichlich einkaufen können. Michel war pünktlich am vorgesehenen Treffpunkt, sein Verfolger getreulich hinter ihm. Hoffentlich hatte Sarifa das einberechnet. Hatte sie, stellte er fest. Sie hatte etwas von einem großem Tor geschrieben und das musste nur das dort sein. Ein Durchgang zu einem dunklen Hinterhof. Er blieb stehen und sah sich um. Das war nicht weiter erstaunlich. Ah, da war ja der Schatten. Er wirkte müde. Also gab es wohl keinen zweiten. Dann konnte einem das Kerlchen ja fast Leid tun. Wo steckte seine Partnerin? Es war dämmerig geworden und das hier war nicht gerade das beste Wohnviertel Paradisas. Er hatte zwar auf die gewöhnliche Kleidung verzichtet, trug aber schon für seinen Verfolger noch immer Adelskleidung. Und das mochte trotz der Polizeipräsenz in der Hauptstadt manchen auf den Appetit bringen. Nur wenige Passanten waren auf der Straße, wohl alle auf dem Weg nach Hause. Die Einzige, die ihre Arbeit noch vor sich hatte, war vermutlich das Mädchen das dort entlang stolzierte. Sie hatte ihr Kleid auf einer Seite emporgesteckt, so dass der Blick auf ihr Knie sichtbar wurde. Auch ihr Ausschnitt war gewagt, um nichts anderes zu sagen. Eindeutiger Beweis für ihre Profession, selbst ohne die gelbe Schleife am Ärmel. Und dann erkannte er sie. Sarifa! Er hatte zwar gehört, dass sich Assassinen in jede Lage einfügen könnten, aber seine gewöhnlich so sittsame, geradezu prüde Partnerin in der Rolle einer Bordsteinschwalbe zu sehen, raubte ihm den Atem – und auch die Tatsache, dass er schlicht bislang nie bedacht hatte, wie ...ja, wie aufreizend sie wirken konnte. Sie blieb mit einem verheißungsvollen Lächeln vor ihm stehen und strich sich das Haar zurück: „Ah, der edle don hat Interesse?“ Äh...Er musste sich zusammenreißen: „Wie teuer wäre denn Interesse?“ Sarifa gab zu, keine Ahnung zu haben, wiegte sich jedoch in den Hüften: „Nur Interesse, edler don? Oder mehr?“ „Ich zahle dir zehn Gulden.“ „Zwanzig,“ erwiderte sie prompt: „Edler don...Ihr bekommt auch gute Ware.“ Sie lächelte erneut, als sie sich an ihn schmiegte und die Hände um seinen Nacken legte: „In den Hof,“ flüsterte sie und Michel ließ sich in die Dunkelheit des Hinterhofes zurückdrängen und schlang die Arme um sie, als er spürte, das sie sich etwas reckte, um ihn zu küssen. Jahrelange Übung half ihm das trotz seiner Verblüffung zu erwidern. Der Beobachter lächelte etwas. Sie würde dem jungen Schnösel schon beweisen, dass sie zwanzig Gulden wert war. Behutsam schlich er hinterher und warf einen Blick in den Hinterhof. Was er dort sah, ließ ihn grinsen und sich zurückziehen. Na, der war beschäftigt. Das sollte doch heute für seinen Bericht reichen. Sein erster Bericht war nach nur zwei Tagen von seinem Auftraggeber mit einem schlichten „Ungenügend!“ kommentiert worden. Jetzt bemühte er sich,möglichst jede Einzelheit aufzuschreiben. Aber das nun detailliert zu beschreiben war wohl kaum notwendig. So beschränkte er sich darauf sich an die gegenüberliegende Straßenwand zu lehnen. Nach Hause zu gehen wagte er nicht. Sein Auftraggeber verzieh einen Fehler – keine weiteren. Sarifa küsste in täuschend gespielter Leidenschaft noch immer eng an ihn geschmiegt Michel, als eine männliche Stimme neben ihnen sagte: „Soll ich in zwanzig Minuten wiederkommen?“ Sie fuhren auseinander, aus jahrelanger Übung kampfbereit, ehe sie erkannten, wer neben ihnen stand. Während Sarifa erleichtert sagte. „Oh, großer Bruder!“, war der Kopf des Agenten plötzlich seltsam leer. Hatte er je gedacht, es sei peinlich beim Küssen eines Mädchen ertappt zu werden, um wie viel mehr war es das bei einer Assassine und deren großem Bruder? Wieso lebte er selbst eigentlich noch? Und – was hatte der gerade gefragt? Sie fuhr nüchtern fort: „Tarnung. Wir werden beobachtet.“ Ihr Bruder, der einen ähnlichen Umhang wie sie trug, nun aber die Kapuze abgezogen hatte, nickte: „Braune Kleidung, braune Haare? Er steht gegenüber der Toreinfahrt.“ „Wir brauchen seinen Auftraggeber und was er ihm berichtet.“ Shahin hob ein wenig die Rechte. Für einen Moment blitzte Metall in der Lederscheide am Unterarm auf: „Ich übernehme ihn. Du gehst harmlos. Und...dein Partner...lässt sich beschatten.“ Michel wurde klar, dass er auf die beiden Assassinen vermutlich momentan äußerst unprofessionell wirkte. So meinte er eilig um auch etwas zu der Sache beizutragen und damit diesen Eindruck zu verwischen: „Ja. Kein zweiter Verfolger war festzustellen. Aber er soll am Leben bleiben, damit sein Auftraggeber nicht weiß, dass wir ihn kennen.“ „Oh, du kennst meine Schwester.“ Der Assassine lächelte, ehe er sich die Kapuze überstreifte und ebenso spurlos in der Nacht verschwand wie er gekommen war. Michel drehte den Kopf: „Sarifa...“ Gewisser Vorwurf schwang darin, da er den Schock noch immer kaum verarbeitet hatte. „Ich wusste nicht, dass mein Bruder herkommt,“ sagte sie daher etwas verlegen: „Er wird mich beschattet haben.“ „Und du hast ihn nicht bemerkt.“ Nun ja, er auch nicht. „Nein,“ gab sie zerknirscht zu: „Aber meine großen Brüder sind da recht fähig.“ Immerhin hatten sie mehr als vier Jahre länger Übung als sie. Die Jungen begannen bereits mit drei mit dem eigentlichen Training, sie war erst mit sieben nach Großvaters Entscheidung – und nach dem Tod des Bären – zu ihnen gestoßen. „Ist er dein ältester Bruder?“ „Nein.“ Sie wollte nicht darüber reden. Also fuhr er möglichst sachlich fort: „Was meinte er mit den zwanzig Minuten?“ Das war so ziemlich die verwirrendste Anrede in solch einer Lage gewesen, die er sich vorstellen konnte. Sie zuckte die Schultern, da sie annahm, dass er das doch wissen sollte, immerhin war er der umhertändelnde Höfling aus dem Norden: „Er wollte wissen ob es Tarnung ist ober ob wir...äh....Ernst machen. Dann wäre er später wieder gekommen.“ Jetzt stutzte Michel: „Das heißt, er hätte nichts dagegen?“ Ihre Verwunderung war echt: „Es ist doch meine Sache.“ Sehr ungewohnt für einen Mann, in dessen Kultur eine Frau jungfräulich in die Ehe gehen sollte, uneheliche Kinder eine Schande waren. „Und...ich meine, wenn du ein Kind ohne Ehe bekommst?“ „Es wäre doch ein Assassine.“ Sie klang - und war - erstaunt, aber dann fiel ihr seine Vergangenheit ein: „Das ist wohl anders als hier. Jedes Kind, dessen Mutter oder Vater ein Mitglied unseres Volkes ist, ist auch eines. Sonst gäbe es uns kaum noch. Keine Fünfzig unseres Volkes haben das große Unglück jenseits des Meeres überlebt. - Wann, meinst du, kann ich gehen?“ Ein wenig erleichtert, dass das Gespräch nüchtern wurde, antwortete er: „Ich würde noch etwas warten. Zwanzig Gulden war doch ein hoher Preis. Oder wir gehen zusammen zu mir.“ Ihr Einwand war nur sachlich: „Nein, dann kennt der Beobachter mein Gesicht länger und kann mich beschreiben.“ Da hatte sie Recht. Obwohl, wenn der Beobachter ein gewöhnlicher Mann mit normalen Instinkten war, würde er bei dieser Kleidung auf alles andere denn ihr Gesicht achten. Das führte zu etwas anderem: „Sag mal, woher hast du denn diese...hm...Garderobe bekommen?“ „Raoul stellte sie mir zusammen. Ich hätte keine Ahnung gehabt,“ erklärte sie ehrlich. Und Graf Uthers Diener verfügte über eine riesige Gewandauswahl in vielen Größen für Agenten. Er sollte mit Raoul mal ein ernstes Wort reden, dachte Michel unwillkürlich, aber das wäre wohl unprofessionell. „Wo hast du deine...normale?“ „Du meinst die Assassinenkleidung? Ein Stück entfernt versteckt. Ich kann in sieben Minuten umgezogen dir folgen.“ „ Eher meinem Verfolger.“ „Ja. Sha...mein Bruder auch.“ Michel stellte fest, dass ihm die Vorstellung von zwei Assassinen nach Hause begleitet zu werden irgendwie gefiel, als wohl einzigem Menschen weit und breit. „Gut. Danach kommst du unauffällig zu mir und dein Bruder auch. Wir beide zumindest müssen uns besprechen, wenn wir wissen, wer der Knabe ist – und wer ihn mir auf den Hals gehetzt hat.“ „Ja.“ „Wie geht es eigentlich deinem Fuß?“ Das hätte er sie schon längst fragen müssen, dachte er etwas frustriert. Anscheinend ließ seine gewohnte Höflichkeit im Umgang mit ihr nach. „Ich bin kampffähig.“ Ihm war klar, dass sie kaum mehr sagen würde: „Das ist gut. Auch eine Erkältung bekommen?“ „Ja, aber nichts Arges. - Ich war auch schon ausreiten.“ „Dein Wallach?“ „Natürlich. Er steht in den kaiserlichen Ställen, dank dir.“ Das Gefühl in ihrer Stimme ließ ihn prompt bemerken: „Du hast ihm einen Namen gegeben.“ „Ja“, gestand sie: „Obwohl du meinst, man sollte es nicht. Aber da hatte er ihn schon. Sabri.“ „Und bedeutet das etwas?“ „Ja, Ausdauer, Geduld. - Ich werde jetzt gehen, sehr zufrieden mit unserem – Geschäft.“ Michel nickte: „Du gehst in die Richtung aus der du kamst?“ „Ja. Ich benötige sieben Minuten um mich umzuziehen.“ „So lange werde ich nicht hier bleiben können, aber ich bummele mehr oder weniger in deine Richtung, dann kannst du dich unserer kleinen Karawane anschließen.“ Er lächelte: „Übrigens. Ein Kompliment für deine Idee mit dem Treffen hier. Es war auch ein guter Einfall dem Jungen den Brief zu geben.“ Sarifa deutete einen Knicks an: „Danke für das Lob, mein Lehrer. Mein Lob ist dein Lob. - Bis später.“ Sie warf ihre Haare zurück und als sie den Hinterhof verließ war ihr Gang bereits wieder aufreizend. Fand zumindest Michel, der sich nur zu gut an sein Bemühen erinnerte aus dem Spiel nicht Ernst werden zu lassen. Hm. Für die Zukunft sollte er zusehen, dass solche Szenen nicht zur Regel wurden. Ansonsten würde er wohl doch Sarifas Sittsamkeit zu nahe kommen. So gesehen war die abrupte Abkühlung durch ihren Bruder nicht ganz unrecht gewesen. Er zählte viermal bis sechzig, ehe er langsam mit einem fast dümmlich zu nennenden Lächeln aus der Einfahrt trat, scheinbar seine Garderobe noch etwas zurechtrückte. Sein Schatten schloss sich ihm sofort an. Obwohl er sich Mühe gab, konnte er allerdings den folgenden Assassinen hinter diesem nicht entdecken. Und auch Sarifa nicht, obwohl sie sich nur kurz darauf angeschlossen haben musste. Diese Umhänge waren ideal für ein derartiges Versteckspiel, das hatte er ja durchaus des Öfteren schon bemerkt. An einem größeren Platz, an dem noch einige Sänftenträger in der Hoffnung auf einen späten Kunden warteten, nahm er eine und kehrte nach Hause zurück. Sarifa sah zu ihrem Bruder, als der Verfolger vor dem Haus stehenblieb, in dem Michels Wohnung lag. „Jetzt?“ Unwillkürlich überließ sie ihm als Älterem und damit Fachkundigerem die Führung. „Er wird warten, ob dein Partner noch einmal das Haus verlässt. Sagen wir, eine halben Stunde. Dann wird er zu seiner Unterkunft gehen und ich ihm folgen. Wenn ich seine Notizen kenne, komme ich.“ „Ein Fenster auf der Rückseite wird offen sein,“ versprach sie: „Ich werde bereits zu meinem Partner gehen, zur Sicherheit und auch, damit ich dieses Päckchen los werde.“ Sie bezog sich auf die ausgeliehene Garderobe, die sie unter dem Arm und dem Umhang trug: „Der Verfolger ist nicht ungeübt, aber nicht ausgebildet.“ „Meine Meinung, kleine Schwester. Und er wird seinen Dolch, den er links unter dem Wams trägt, noch kaum benutzt haben. Richtig, meine ich.“ „Ja, glaube ich auch.“ Auch ihr war die etwas gehemmte Bewegung des linken Armes aufgefallen – in aller Regel sicheres Zeichen, dass sich ein harter Gegenstand an der linken Brust befand, in diesen Zeiten ein Dolch. „Dann bis später.“ Sie ging weiter und schlug einen großen Bogen, um durch die Gärten zur Rückseite des Hauses zu gelangen. Wie sie erwartet hatte, hatte Michel ein Fenster dort geöffnet. Es war ein wenig schwieriger mit dem Bündel im Arm zu klettern, aber sie war rasch in seinem Schlafzimmer. „Dein Bruder?“ erkundigte er sich unverzüglich: „Beschattet er ihn weiter?“ Eigentlich zweifelte er nicht daran, aber er war nicht gewohnt, jemand anderen für sich handeln zu lassen. Sarifa nickte und hielt ihm die Garderobe hin: „Ja. Er will versuchen, an die Notizen zu gelangen, was der Verfolger so alles aufgeschrieben hat. - Kannst du dafür sorgen, dass Raoul das Kleid wieder erhält?“ „Ja. Auch, wenn sich mein Verfolger wundern könnte. Nun, dann hat er noch etwas mehr zu schreiben. Angeblich bringe ich meine Kleidung in den Palast zum Waschen.“ Er grinste etwas: „Gib schon her.“ Er legte das Bündel nachlässig auf einen Stuhl in der Ecke, ehe er nachdenklich meinte: „Hm. Aber wird mein Verfolger nicht misstrauisch, wenn seine Notizen fehlen oder er den Einbruchsversuch bemerkt?“ „Er wird meinen älteren Bruder nicht bemerken,“ sagte sie so überzeugt, dass Michel ihr lieber Glauben schenkte. So warteten die beiden Agenten schweigend. ** Das nächste Kapitel bietet jede Menge Leute, die nachdenken und ihre Strategien entwickeln. Kapitel 22: Strategien ---------------------- Fast zwei Stunden später tauchte der Assassine als lautloser Schatten an Michels Fenster auf und war eine Sekunde darauf in dessen Schlafzimmer. Sicher, dass er nie wieder bei offenen Fensterläden schlafen würde, schloss der Wohnungsinhaber diese und drehte sich fragend um. „Meine Schwester, Partner meiner Schwester....“ sagte Shahin und zog ein Bündel Papiere aus seinem Wams: „Die Notizen.“ „Danke.“ Sarifa nahm sie, während Michel rasch einige weitere Kerzen anzündete, ehe sie sie ihm reichte. Er blätterte durch: „Au weia. Das ist ja jede einzelne Tätigkeit aufgelistet, wann ich mit wem geredet habe, alles. Der Gute ist sehr genau. - Aber ich nehme nicht an, dass jemand daraus etwas über meine Arbeit entnehmen kann.“ Er gab es Sarifa: „Sieh du es dir an.“ Dann schaute er auf seinen Besucher, der jetzt seine Kapuze abstreifte – Hinweis darauf, dass er sich hier sicher fühlte, sozusagen im Familienkreis. Nun ja, das hatte Tante Anna in Aquatica auch. Partner waren bei Assassinen wohl stets vertrauenswürdig. „Nur eine Frage: wenn er erwacht und feststellt, dass die Papiere nicht da sind?“ „Er wird nicht erwachen,“ erwiderte Sarifas älterer Bruder prompt. „Ich gab eine Menge Hopfenkonzentrat in sein Bier. Er schmeckte es nicht und wird tief schlafen.“ Michel nickte zufrieden: „Und dann seid Ihr einfach in sein Zimmer gegangen und habt die Papiere ausgeliehen? Ich frage, weil ich Eure Vorgehensweise nicht kenne.“ „Du kannst mich duzen, Partner meiner Schwester. - Einfach, ja. Der Riegel war kein Hindernis.“ Das konnte sich der kaiserliche Agent denken. Wieder fiel ihm auf, dass sich die Geschwister nicht mit Namen ansprachen. Routine, wenn Dritte dabei waren, vermutete er. Aber auch der Assassine redete ihn nur mit „Partner meiner Schwester“ an und fragte nicht nach Namen. „Kein Hinweis auf den Auftraggeber.“ „Nein. - Aber in seiner Brieftasche hatte er eine Quittung der kaiserlichen Post. Er hat wohl kürzlich eine Brieftaube abgehen lassen.“ „Deren Ziel ist schwer nachzuvollziehen. - Hatte er die Brieftasche abgelegt?“ „Nein. Ich zog sie aus seinem Wams. Keine Bedenken, Partner meiner Schwester. Die Spitze meiner Klinge lag dabei auf seinem Herzen. Wäre er erwacht, hätte er dies bereits im Jenseits getan.“ Er sollte besser nichts dazu sagen: „Und auf dem gleichen Weg gehen alle Papiere an ihn zurück.“ „In der Tat. Allerdings werde ich die Brieftasche nur neben ihn auf das Bett legen.“ Und der Mann würde annehmen, sie sei ihm im Schlaf herausgerutscht. Einfacher und doch sicher. „Meinen Respekt übrigens für deine Beobachtungstechnik. Ich konnte dich nicht entdecken.“ „Danke.“ Sarifa lächelte: „Ich sagte dir doch schon, dass ich nicht an meine großen Brüder heranreiche. - Was machen wir?“ „Dieser Bericht wird abgehen. Der Auftraggeber sollte dadurch überzeugt sein, dass ich nichts als ein vergnügungssüchtiger Edelmann aus dem Norden bin, wie es meine Tarnung besagt, und auf weitere Beobachtungen verzichten. Allerdings werde ich die nächsten Wochen noch gründlicher auf die Welt hinter mir achten, für den Fall der Fälle. - Mich würde nur interessieren, warum meine Wenigkeit so interessant wurde. Ich mache meine Arbeit seit zehn Jahren und nie ist so etwas passiert.“ „Ein kleiner Fehler von irgendjemandem,“ vermutete Shahin. „Aber eben dies mag tödlich sein. Dann soll der Beobachter leben, um die falsche Spur zu verstärken.“ „Ja. Und ich werde dafür sorgen, dass jemand ihm folgt, wenn er abgezogen wird. Kein Assassine, zwar, aber da muss eben zweite Wahl reichen.“ Michel bemerkte das flüchtige Lächeln der Geschwister und nahm das als Ermutigung eine persönliche Frage zu stellen: „Hantierst du auch mit Wurfmessern, Bruder meiner Partnerin?“ „Nein,“ gab Shahin ruhig zurück: „Sie ist als Mädchen, Frau, leichter und schwächer als ein potentiell männlicher Gegner, also sollte sie möglichst aus dem Nahkampf bleiben, auch wenn sie selbstverständlich geübt ist. Ich habe meine Dolche, aber nutze sie nur direkt.“ „Gibt das dem Gegner nicht Zeit zur Abwehr?“ entfuhr es Michel. Im nächsten Moment realisierte sein durch intensives Fechttraining geschultes Auge die Bewegung vor ihm. Noch ehe die Information sein Bewusstsein erreichte, hatten jahrzehntelange Übungen schon die automatisierte Reaktion ausgelöst. Er drehte sich nach links, während bereits seine Rechte hochflog, um die Messerhand des Assassinen aus der Bahn zu bringen. Dieser zog seinen Dolch noch vor dem Zusammenprall der Unterarme zurück und schob ihn ein. „Schnelle Reaktion,“ war sein Kommentar. „Ein fähiger Partner für meine kleine Schwester.“ Michel zwang das Adrenalin mühsam zurück nach dieser unvermuteten Attacke. Das war eine Probe gewesen, ein Scheinangriff. Und verdammt flink. „Nette kleine Überraschung.“ „Die Schnelligkeit der Hand betrügt das Auge. Oft – aber nicht immer. Und deines sieht die Bewegung.“ Shahin nahm das Bündel Papier. „Ich bringe es zurück und verlasse mit dem Morgengrauen Paradisa.“ „Grüße Mutter und die Brüder,“ sagte Sarifa: „Mein Auftrag hält mich hier.“ „Ich weiß, kleine Schwester. - Partner meiner Schwester....“ Der Assassine öffnete den Fensterladen und sah sich kurz um, ehe er hinunter in den Garten sprang. „Tja, dann geh du auch,“ meinte Michel. „Ich werde morgen in den Palast eilen und nach einigen sinnlosen Unterhaltungen mit Graf Uther reden, damit der Gute seinerseits beobachtet wird. Vielleicht bekommen wir sogar heraus, wohin sein Bericht geht.“ Der Kaiserbruder nickte, als er von den abendlichen Geschehnissen gehört hatte: „Der Verfolger ist im Palast?“ „Ja. Er hat wohl einen Passierschein.“ „Gut. Gebt mir, sagen wir, zwanzig Minuten nachdem Ihr mich verlassen habt, dann spaziert ein wenig durch die Öffentlichkeit, redet, tut, was Michel de la Montagne eben tut, wedelt dieses unsägliche Taschentuch....“ Der Jüngere lächelte etwas: „Es ist ein Markenzeichen. Und lenkt von meinem Gesicht ab.“ „Dessen bin ich mir bewusst. Und ich bin in der Tat froh darum, dass Ihr dies spielt. - Der Mann wird beobachtet und wir sollten den Adressaten des Briefes herausfinden können. Und damit auch den Auftraggeber.“ Graf Uther sah kurz auf den Tisch: „Es gefällt mir nicht, dass ein offenbar intelligenter, wohlhabender Mann Piraterie betreibt, ohne dass Dagobert oder ich davon Kenntnis erhalten haben, mir gefällt noch weniger, dass jemand Euch beschatten lässt – und da sind auch noch die Zwischenfälle in Lavinia und der Marche. Denn bedenkt, dass de Bresse vor seinem Tod ja meinte, er habe einen Freund in hohen Kreisen. Irgendetwas passiert im Reich. Und das wird nichts Gutes für den Kaiser bedeuten. Ein Gegner oder gar mehrere? Eine Verschwörung oder Zufälle?“ „Wir werden es herausfinden.“ Der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes blickte seinen Besucher an: „Ja, das werden wir. Aber erlaubt mir die Feststellung, dass ich das WIE dieser Erkenntnis gern selbst bestimmen würde.“ „Ihr nehmt es sehr ernst.“ „Ja. Und Ihr solltet es auch.“ Sachlich und doch fast ein wenig hochmütig kam die Antwort auf diese Warnung: „Ich bin nicht immer das, was ich scheine, Graf Uther.“ Der legte die Finger kurz an die Stirn: „Verzeiht. Ich bin müde.“ Dieses ungewohnte Eingeständnis ließ Michel aufhorchen: „Ihr solltet Euch vielleicht nicht noch weitere Aufgaben vom Kaiser aufhalsen lassen. Ihr seid, mit Verlaub, nicht mehr der Jüngste.“ „Die Kaiserin wird mich in Bezug auf die Knappenschule entlasten, zunächst nur, was die Mädchen betrifft, aber das werden wir sehen. Und, wenn wir Glück haben, werden wir weitere Hilfe bekommen. Markward kehrt zurück.“ „Ihr hofft, in der dreijährigen Reise durch das Reich hat er sich weiterentwickelt?“ „Ihr mögt ihn nicht.“ Das war eine reine Feststellung. „Nicht sonderlich. Schön, ich kenne ihn nicht so gut, wir waren kaum ein halbes Jahr gemeinsam bei den Leibwachen, schließlich ist er sieben Jahre jünger als ich, aber....“ Michel zuckte die Schultern: „Nun, immerhin darf ich Euch gegenüber offen sein.“ „Wenn man die Jahre in der Knappenschule einrechnet, arbeitet Ihr seit vierundzwanzig Jahren für mich, Michel. Es wäre ein arges Zeichen meiner mangelnden Menschenkenntnis, wenn ich Euch nach all dieser Zeit nicht kennen würde.“ Graf Uther erlaubte sich ein Lächeln: „Und Euch vertrauen könnte.“ „Danke.“ Das war ehrlich. Michel wusste nur zu gut, wie wenigen Personen im ganzen Reich der Kaiser und sein Bruder je vertrauen konnten oder würden. Er gehörte zu diesen wenigen, denen beide den Rücken zudrehen könnten. Unwillkürlich ergänzte er: „Ich hoffe, eines Tages könnt Ihr das auch von Sarifa sagen.“ „Ich auch. Geht nun. Und.....vielleicht solltet Ihr Euch in zwanzig Minuten in den Empfangsräumen des Kaisers sehen lassen.“ „Wie Ihr befehlt.“ Nachdem Uther die entsprechenden Anweisung gegeben hatte, Michels Verfolger seinerseits zu beobachten, nahm er seinen nächsten Termin wahr und besuchte den Leiter der Knappenschule, nicht überrascht, dass auch die Kaiserin pünktlich kam. Anawiga war zu intelligent um sich nur mit Lesen und Handarbeiten zu beschäftigen, und so hoffte er, dass sie ihm früher oder später diese gesamte Schule abnehmen würde. Natürlich waren auch zwei Hofdamen dabei, wenngleich sichtlich gelangweilt, und ein Schreiber. Schwager und Schwägerin achteten sehr darauf, dass nicht auch nur der Schatten eines Verdachtes der Untreue auf sie fallen könnte – zu erfahren mit Hofintrigen und politischen Spielchen. Hoffentlich, dachte der Bruder des Kaisers, würde das auch Markward beachten. Immerhin hatte dessen deutlich sichtbare Vorliebe für seine gleichaltrige Stiefmutter ja dazu geführt, dass er auf diese Bildungsreise geschickt wurde. Inzwischen waren sich Dagobert und Uther allerdings sicher, dass Anawiga zu klug wäre, auf solche Avancen einzugehen, und, so schmeichelte sich zumindest der Kaiser, ihn auch zu sehr schätzte. Nur wenige Tage später musste der Geheimdienstleiter allerdings Michel sein Versagen beichten. „Der Mann, der Euren Schatten verfolgen sollte, nahm an, dass dieser eine Brieftaube schickte und realisierte zu spät, dass der ein Päckchen mit einer gewöhnlichen Postkutsche sandte, die unverzüglich die Stadt verließ, noch ehe mich der Mann erreichen konnte, dass die Tore geschlossen würden. Daher war die Adresse nicht mehr festzustellen. Die Kutsche fuhr allerdings nach Vivisco. Wie Ihr Euch ohne Zweifel entsinnt, liegt dort die größte Brieftaubenstation des Reiches, ist das der Knotenpunkt der gesamten kaiserlichen Post. Dennoch: ein Päckchen kann man nicht mit einer Taube schicken.“ „In der Tat.“ Michel zwang sich zur Ruhe. Es war eine so schöne Spur gewesen..... „Und Euer Mann beobachtet meinen Verfolger weiter?“ „Das tat er. Heute Morgen wurde der Unbekannte allerdings tot in seinem Bett in der Gastwirtschaft aufgefunden.“ „He, Moment mal! Ihr habt mich doch nicht im Verdacht?“ „Nein. Euch nicht und auch Sarifa nicht. Es scheint eine Lebensmittelvergiftung gewesen zu sein, auch andere Gäste, die dort zu Abend aßen, zeigten Symptome von Übelkeit in mehr oder minder starker Ausprägung. Graf Lothar lässt als Leiter der Polizei das überprüfen und gegebenenfalls die Taverne schließen.“ „Und, dass sein Auftraggeber ihn beseitigen wollte?“ „Unwahrscheinlich. Das Päckchen könnte kaum seinen Bestimmungsort erreicht haben, wenn es noch von Vivisco aus weitergeschickt wird. Und der Mordbefehl würde auch mindestens zwei Tage mit einer Taube benötigen. - Ich schickte zwar Anweisung, dort nach einem solchen Päckchen in den Poststationen Ausschau zu halten, aber bislang ergebnislos.“ „Dann ist diese Spur also kalt. Und ich werde nach einem neuen Verfolger Ausschau halten müssen.“ „Nicht, wenn der Auftraggeber den Bericht über Eure Aktivitäten der letzten Tage liest. Bedenkt, dass Spione kosten – und wenn Ihr als harmlos eingestuft seid...“ „Ich bin trotzdem gern vorsichtig.“ „Das ehrt Euch. Markward wird in drei Tagen eintreffen und offiziell im Palast empfangen werden. Seid anwesend.“ Michel seufzte etwas, nickte jedoch. Der älteste Sohn des Kaisers würde gewiss außerhalb der Stadt übernachten, um dann offiziell einzuziehen und sich bei seinem Vater zurückzumelden. Da ziemte sich die Anwesenheit eines jungen Edelmannes, der sich bei dem möglichen künftigen Kaiser sichtbar machen wollte. Und das würde der Michel de la Montagne, den er spielte, sicher wollen. Tatsächlich befand sich Markward bereits eine Tagesreise vor Paradisa, als Gast des Herzogs der Westmark – ein einst mächtiger, nun aber mehr ehrenvoller Titel. Schon Dagoberts und Uthers Vater Merowin hatte die sieben Herzöge, die das Reich unter sich aufgeteilt hatten, entmachtet und auf die Städte und Königreiche in Selbstverwaltung gesetzt. Nach seiner Ermordung hatten die Herzöge noch einige Aufstände gegen den kindlichen, dann jugendlichen Kaiser versucht, waren jedoch gescheitert. Jetzt saß der vielleicht Mitte der Vierzig zählende Pippin seinem Gast gegenüber, und strich langsam durch seine langen, dunklen Haare. Wie es die Hofmode verlangte trug er keinen Bart. Markward zuckte ein wenig die Schultern, als er das Gespräch fortsetzte. „Ich hatte ja nun drei Jahre Zeit mich im Reich umzusehen. Und ich sah oft genug, dass die Ratsherren oder kleinen Könige überaus eigenständig agieren. Meiner Meinung bräuchten sie wieder eine härtere Hand.“ „So haltet Ihr die Hand des Kaisers für zu milde?“ „Das habe ich nicht gesagt,“ beteuerte Markward eilig: „Mein Vater kümmert sich allerdings nur noch um die Stammlande und reist nicht mehr durch das gesamte Reich. Nun, er wird älter und das Reich ist groß.....Eine zwischengeschaltete Instanz wäre meines Erachtens durchaus wieder ratsam.“ Pippin nickte etwas. Das war wohl die Zusage, wenn Markward Kaiser würde, die Herzöge wieder in die alten Rechte einzusetzen. Mehr würde der Junge trotz all seiner Unerfahrenheit nicht äußern. Allerdings hatte der Herzog der Westmark in seiner Kindheit miterlebt, wie sein eigener Vater gegen Dagobert auf dem Schlachtfeld gescheitert war – und sich nur durch bedingungslose Unterwerfung nicht bloß das Leben sondern auch den Titel und die Ländereien retten konnte. Der Kaiser war damals zu ihnen gekommen, nicht hierher in den Sommersitz, sondern in die alte Familienburg am Fuß der Berge, hatte ihn als einzigen Sohn und Erben seines Vaters für einige Jahre nach Paradisa geholt. Und er selbst hatte später durch Hofämter, Verwaltung und Krieg immer wieder näheren Kontakt mit Dagobert gehabt – genug, um ihn einschätzen zu können. „Ich denke nur Ihr täuscht Euch, wenn Ihr glaubt, Euer Vater sei schon altersmilde oder gar schwach.“ „Spielt Ihr auf meinen Bruder an, lieber Herzog? Dankward hat sich wohl derart daneben benommen, dass unser Vater, der Kaiser, keine andere Möglichkeit sah, als ihn auf eine Reise ohne Wiederkehr zu schicken. Ich bitte Euch – eine Expedition in die Länder südlich des Südmeeres. Da hausen Leute, die auch noch den harmlosesten Besuchern die Kehle durchschneiden. Angeblich leben dort sogar noch Assassinen.“ Markward lehnte sich zurück: „Nun gut, wenn die Expedition und damit mein Bruder zurückkommt, werde ich bereits als Thronfolger ausgerufen sein.“ „Bedenkt, dass die Kaiserin noch jung ist.“ „Selbst dann wäre mein...hm...Halbbruder ein kleines Kind.“ Und nicht einmal Vater wäre so vertrottelt anzunehmen, dass er den Regenten für seinen Konkurrenten spielen würde. „Noch gibt es keinen offiziellen Thronfolger. Und es ist das Recht des Kaisers einen auszuwählen.“ Ah, der Herzog wollte anscheinend wissen ob er an alle Möglichkeiten gedacht hatte: „Natürlich. Aber bedenkt auch, dass ein Kaiser ohne Hausmacht eine lächerliche Figur ist. Und die Stammlande um Paradisa müssen nach allem Recht in der Familie bleiben. Mein Kaiser und Vater kann nur ein männliches Familienmitglied vorschlagen. Mich oder meinen Bruder. Und ich werde darauf drängen, dass er es bald tut. - Falls die Wahl auf mich fällt, wäre es wohl in unser beider Interesse, wenn Ihr mich unterstützt.“ „Durchaus,“ erwiderte der Herzog nachdenklich: „Ich vermute einmal, dass Ihr auch einen Plan habt, falls die Wahl nicht auf Euch fällt....?“ Markward wurde vorsichtig. Er hatte den Rat erhalten die Herzöge auf seine Seite zu ziehen, aber nicht zuviel zu erzählen. Und sein Ratgeber meinte es gut mit ihm, schließlich wollte der sein Kanzler werden, der zweite Mann im Reich. Kaiser zu werden war für diesen unmöglich – was in dem Kaisersohn Beruhigung hervorgerufen hatte. So erklärte er nur: „Wie ich schon sagte – es gibt keine Alternative zu mir.“ Pippin nickte. Möglich. „Dann trinken wir auf Eure Zukunft.“ Das war unverbindlich. Denn wenn Markward sich zu weit aus dem Fenster lehnte....Dagobert hatte noch auf jedes Risiko für seine Stellung prompt reagiert. Und der Kaiser machte keine Drohungen, schon gar keine leeren – das waren Versprechen. Der vornehme Mann in dem schwarzen, bodenlangen Umhang musterte ein wenig überrascht den eng beschriebenen Papierstoß auf seinem Schreibtisch, ehe er den ersten Zettel aufnahm und sich setzte. Nun ja. Er hatte es ausführlich haben wollen und es wäre töricht einen Mann zu tadeln, der diesem Wunsch nachgekommen war. Michel de la Montagne... Was für ein Tagesablauf. Reicher Nichtstuer würde es wohl noch am besten treffen, auch, wenn er zwischenzeitlich wusste, dass der auch an einigen Handelshäusern und Bergwerken beteiligt war. Seine Vorfahren hatten ihn da wohl versorgt und der reiche Erbe gab das Geld mit vollen Händen aus. Das Treffen mit einer Straßenhure...Hm. Damit war auch seine Idee, dieser Montagne teile mit Uther das Bett, wohl hinfällig. Der Kaiserbruder war bemerkenswert desinteressiert an allem was Röcke trug, so dass der Einfall nahe lag. Aber vielleicht war der Gute einfach derart überarbeitet, dass er froh war allein liegen zu können. Uther war wohl nur zufällig mit diesem jungen Schnösel bei dem Empfang erschienen. Vermutlich hatten sie sich getroffen und schon um seine Tarnung zu wahren hatte der Geheimdienstleiter Montagne begleitet. Den konnte er also ausschließen. Er warf den Bericht nachlässig in die Feuerschale, die kurz aufloderte, während er nach einem silbernen Becher griff und einen Schluck Wein trank. Dagobert. Der Kaiser war ein charismatischer Heerführer, ein Visionär, was Politik betraf – und sein kleiner Bruder sorgte dafür, dass Dagoberts Fuß nie über Kleinigkeiten strauchelte. Nach allem, was er über die beiden Brüder herausfinden hatte können und selbst entdeckt hatte, war Uther das größere Problem, der Vorsichtigere, der Stratege der beiden. Fiel der kleine Bruder war der Kaiser soweit ohne Rückendeckung. Und so betrachtete er selbst Uther als seinen Gegner, nicht Dagobert. Der angeblich so langweilige, immer ruhige Bruder, der scheinbar kaum etwas tat, war in Wahrheit vermutlich derjenige, der die Fäden des gesamten Reiches in den Händen hielt. Und er würde Uther beweisen, dass auch der irren konnte. Sicher, dass die Marine die Piraten in Borea ausgehoben hatte, war ein unangenehmer Rückschlag gewesen, aber seine Finanzlage war durchaus nicht schlecht – und weder Emsby noch die Seeleute kannten ihn und würden ihn verraten können. Vorsicht zahlte sich eben aus. Der Mann lächelte: „Dann werden wir sehen, wer von uns klüger ist, Uther.“ Der Fall des Geheimdienstleiters würde beweisen, dass er selbst in Wahrheit mindestens an diesen Platz gehörte, wenn nicht als Kaiser. So lange wartete er schon im Schatten auf seine Gelegenheit. Nicht, dass er gegen die kaiserlichen Brüder etwas persönlich gehabt hätte. Sie waren ihm gegenüber immer gerecht, ja, nett gewesen, aber da war der Entzug seines Erbes, der Tod seines Vaters – und das Bewusstsein, der Bessere zu sein. So now you know, after time hast past, You can never be sure, you´re always the best Cause I´m back from the shadows coming after you On your brightest day, on your darkest hour Shadow games, Yugioh Kapitel 23: Bei Hofe -------------------- Michel de la Montagne betrat die große Empfangshalle des kaiserlichen Palastes mit einer Gruppe junger Edelmänner, wenngleich niemand derart viel Zierrat an sein Wams genäht trug und wohl auch niemand es gewagt hätte, selbst hier ein weißes Taschentuch in der Hand zu halten. Während er die gut vierzig Meter über den Mosaikboden zum anderen Ende schritt, wo sich die halbkreisförmige Nische befand, in der der Stuhl des Kaisers stand, betrachtete er unwillkürlich den Raum, in dem er doch schon so oft gewesen war. Es war eine dreischiffige Halle, deren weitaus größter Raum im Mittelteil lag, von den Seitenschiffen durch Säulenreihen aus farbigem Marmor abgetrennt. Oberhalb der Säulen endeten die Seitenschiffe bereits, während sich über dem Mittelteil ein weites Dach aus goldbemaltem Zedernholz spannte. Jeweils oberhalb einer Säule und unterhalb des Dachbeginns lagen die einzigen Fenster des ansonsten nur Fackeln in wertvollen Glasbehältern erleuchteten weiten Raumes. Die Außenseite der beiden Schiffe war mit Fresken geschmückt, die nun jedoch kaum zu erkennen waren, drängten sich doch dort bereits vornehm gekleidete Damen und Herren. Natürlich. Niemand bei Hofe wollte den Einzug des ältesten Sohnes, des womöglich nächsten Kaisers, verpassen. Eigentlich war es fast klar, warum der gute Markward derart arrogant war, dachte Michel unwillkürlich. Und er gab ehrlich zu, dass nicht allein das sein Problem mit dem war. Dankward war vergnügungssüchtig und nutzte seine Stellung schon seit einigen Jahren diesbezüglich aus. Er war anscheinend jung und dumm genug anzunehmen, dass Macht mit Reichtum und Vergnügen gleichzusetzen war und hatte keine Ahnung von der mühevollen Arbeit eines Herrschers. Gut. Dumm und vergnügungssüchtig war eines – dumm und ehrgeizig wie Markward etwas anderes. Natürlich hatte Markward die schulischen Leistungen erbracht, die von ihm gefordert wurden, aber ihm fehlte einfach eine gewisse Schlauheit, eine Raffinesse, die für einen Mann auf dem glatten politischen Parkett eines Kaiserhofes, geschweige denn beim Rennen um die Macht lebenswichtig war. Wer in den Ring stieg um die Krone zu bekommen, musste wissen, dass er dabei mit seinem Leben spielte. Und Michel hatte schon seit mehr als zehn Jahren die Befürchtung, dass Markward sich weder auf sich selbst noch seinen Bruder bei einer möglichen Regierung verlassen könnte – und dass Dagobert und Uther diese Ansicht teilten. Michel sah nun lieber geradeaus, zu dem Halbrund, das dem Kaiser vorbehalten war. Für Besucher und Höflinge galt eine unsichtbare Schranke davor, nur angezeigt durch die beiden Säulen, die die Apsis zur Halle hin begrenzten. Dagobert saß dort im Hofgewand, zwar in Wams und Beinlingen, wie es modern war, aber darüber einen an den Rändern mit Gold bestickten bodenlangen roten Umhang, gefärbt aus Purpurschnecken, wie es allein dem Kaiser zustand. Eine Krone in seinem grauen Haar benötigte er nicht. Die Kaiserin, die links neben ihm stand, hatte über ihren blonden, teilweise emporgesteckten Locken dagegen einen Reif aus filigranem Gold angelegt, zusätzlich zu ihrer Kleidung aus Brokat und Taft Zeichen ihres Ranges. Rechts neben dem Kaiser, wie auch Anawiga zwei Schritte hinter dem Stuhl, wie es das Protokoll verlangte, stand Graf Uther. Über seinem dunkelblauen Wams lag die Goldkette mit dem kaiserlichen Hausorden – und wohl nur wenige in der Halle wussten, dass er ihn nicht wegen seiner Bruderschaft erhalten hatte, sondern wegen seiner stillen Verdienste um das Reich. Michel überlegte prompt, ob Markward den subtilen Hinweis verstehen würde – dies war eigentlich der Platz des Thronfolgers. Das höfische Protokoll konnte sehr genau sein und manchmal grausam – aber Uther stand dort gewiss auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers. Aber er verneigte sich lieber tief vor Dagobert, weniger vor der Kaiserin und dem Grafen, wie es üblich war, ehe der Kaiser etwas winkte, und sie sich zu dem anderen Zuschauern in der Halle zurückziehen durften. Sicher waren heute hier fast fünfhundert Menschen anwesend, eher mehr. Er nickte dem einen oder anderen Bekannten zu, lächelte hier und da – und erstarrte unmerklich, als er entdeckte, wer nun den Saal betreten hatte. Einige Leute hatten bereits bemerkt, dass etwas ungewöhnlich war, denn das leise Stimmengewirr verschwand kurz, ehe hastiges Getuschel zu hören war. Denn Stallmeister Charibert, einer der engsten Vertrauten des Kaisers, nach Uther und dem Kanzler als Heerführer wohl der mächtigste Mann des Reiches, war eingetroffen – mit einer jungen Dame an der Hand, die hier nie zuvor erschienen war. Während die Zuschauer noch rätselten, ob es sich um eine neue Frau oder seine Tochter handelte, war Michel mehr als überrascht, seine Partnerin hier so in der Öffentlichkeit zu sehen, noch dazu in einem überaus vornehmen Überkleid aus Seide, das er noch nie an ihr gesehen hatte. Die weiten Ärmel berührten fast den Boden – das war ein Stil, der dem Hochadel vorbehalten war. Der Schmuck um ihren Hals war auch mehr als prunkvoll, hätte er wetten sollen, hätte er auf die kaiserliche Schatzkammer als Ursprung getippt. Charibert wollte sie also dem Kaiser offiziell vorstellen – und das sicher auf Uthers Bitte. Nur, warum? Immerhin erklärte das den seltsamen Brief ohne Unterschrift, den er heute morgen vor seiner Tür gefunden hatte: bei Fragen seid verwitwet. Nun ja, Sarifa war durchaus, gerade in der kaum drei Tage entfernten Marche, als seine Ehefrau aufgetreten, und auch, wenn es mehr als unwahrscheinlich war, dass sich der Landadel nach Paradisa begab, so war es doch besser vorsichtig zu sein, und sich eine, wenn auch dünne, Geschichte bereit gelegt zu haben. Das war immer das Risiko bei Fällen, die im eigenen Umland passierten. Zugegeben, auch bei anderen. Das war grundsätzlich die größte Bedrohung bei verdeckten Ermittlungen. Er betrachtete Sarifa, die mit geziemender Verlegenheit aber unbestreitbarer Eleganz neben dem Stallmeister herschritt. Wohl kaum einer in der kaiserlichen Halle ahnte, dass die Anmut ihrer Bewegungen nicht von den Übungen mit einem Tanzmeister herrührten, sondern aus anderweitigem Training stammten. Und dass diese junge, dunkle Schönheit aus dem Süden mit Abstand die gefährlichste aller Frauen hier war. Nein, sie machte keinen Fehler, dachte er, als sie vor dem Kaiser knickste, ein wenig stolz auf seine Schülerin. Dennoch hätte er fast aufgestöhnt, als er die silberne Spange erkannte, mit denen sie ihre Haare aufgesteckt hatte – ihre Wurfklinge. Und den Leibwachen des Kaisers war sie entgangen. Nett. Nun ja, eine Assassine war wohl nie unbewaffnet und seit dem Abenteuer von Emsby war er der Letzte, der ihr irgendwelche dekorativen Klingen verbieten würde. Dagobert sagte formell: „Ich freue mich, Euch zu sehen, Charibert. Würdet Ihr mir die junge Dame in Eurer Begleitung vorstellen?“ Der Stallmeister ließ die Hand der jungen Dame los: „Sarifa ist eine...alte Bekannte von mir, Durchlauchtigste Hoheit. Sie stammt aus dem Königreich Cinquanta.“ Es war das südlichst gelegene Königreich, über das Kaiser Dagobert gebot, auf drei Seiten vom Meer umgeben, von Bergketten durchzogen, und eigentlich keiner der Anwesenden war je dort gereist. Zu friedlich war der Süden, zu weit entfernt. „Ihr Vater, und nach dessen Ermordung nun ihr Onkel, sind der Fürst ihres kleinen Volkes, das Eurer Durchlauchtigsten Hoheit und auch König Elymian ergeben ist.“ „Ich hörte davon. Willkommen, Prinzessin Sarifa, an meinem Hofe,“ erwiderte der Kaiser huldvoll. Michel schluckte etwas. Prinzessin Sarifa? Schön, sie hatte ja gesagt, ihr Vater und jetzt ihr Onkel seien die Anführer der Assassinen – irgendwie hatte er nie weitergedacht, dazu war ihr Verhalten eindeutig zu unhöfisch. Gut, korrigierte er sich, für nordische Verhältnisse. Aber sie hatte offenkundig dazugelernt, versank noch einmal tief vor Dagobert im Knicks, ehe sie Charibert seitwärts folgte. Langsam begriff er auch, was Uther beabsichtigt hatte. Durch die Vorstellung bei Hofe war sie einigen bekannt und konnte daher auch im Palast aus- und eingehen, ihn und Uther leichter aufsuchen. Und als junge Dame auch hier Ermittlungen durchführen, die ihnen als Männern unmöglich waren. Andere Aufträge würden sie schließlich eher nach auswärts führen. Und die Vorstellung durch Charibert war so etwas wie der Eintritt in die gute Gesellschaft – niemand würde nun ihren Prinzessinentitel oder ihre Herkunft anzweifeln. Womöglich fand sie sogar einen Ehemann – eine Tatsache, die ihn ein wenig wurmte, wie er feststellen musste. Hoffentlich machte sie jetzt nichts falsch. Sie durften sich nicht kennen, wenn sie sich trafen. Aber er stellte rasch fest, dass er kaum in ihre Nähe kommen würde. Eine Menge Neugierige schwirrten um sie und Charibert hatte alle Hände voll zu tun, ihr unauffällig Beistand zu geben. Das änderte sich allerdings schlagartig, als draußen zwei Posaunenstöße erklängen – das Willkommen für den ältesten Sohn des Hauses. Nur kurz darauf betrat Markward, gefolgt von den fünf Herren die seine Entourage bildeten den Saal. Er war in dunkelgrün gekleidet, ein samtenes Wams und ebensofarbige Strumpflinge mit Ledersohlen. Auf den schmalen Kronreif, den er in Aquatica auf seinen halblangen, blonden Haaren getragen hatte, hatte er wohlweislich verzichtet. Selbstbewusst schritt er durch die Mittelhalle – und beobachtete durchaus aufmerksam, wer den Kopf neigte – und wer nicht. Dann jedoch verbeugte er sich tief vor seinem Vater. „Willkommen zurück, Markward,“ sagte Dagobert freundlich, der die Hoffnung auf ein friedliches Familienleben nicht aufgeben wollte. „Ich hoffe, deine Reise war interessant und hat dich viel gelehrt.“ „Ja, in der Tat, mein Kaiser und Vater. Ich würde Eurer Hoheit gern von den Eindrücken berichten.“ Freundlich und formell, dachte die Kaiserin. Er ist nicht mehr so impulsiv wie vor drei Jahren. Nun, er würde viel gesehen haben, mehr, als sie es je können würde. Da konnte man sicher viel lernen. „Ich grüße auch Euch, Hoheit,“ meinte Markward mit einer leichten Verneigung zu ihr, ehe er kurz zögerte: „Oder soll ich Euch Frau Mutter nennen?“ Eine Falle, dachte Anawiga jäh alarmiert, auch, wenn sie nicht wusste, worin sie lag. War es, weil sie zu spüren glaubte, wie sich Dagobert anspannte? So lächelte sie ein wenig ihrem Stiefsohn zu, ehe sie zu ihrem Gemahl blickte: „Ich weiß bedauerlicherweise nicht, wie es im Kaiserreich gehandhabt wird....“ Dagobert hätte nie offen gezeigt, dass er erleichtert war, aber um dem Jungen wieder die Grenze aufzuzeigen, blieb nur eine Lösung: „Nun, schon um die jeweilige Stellung zu betonen: ja, rede sie mit Frau Mutter an.“ „Wie Euer Durchlauchtigste Hoheit wünscht....“ Markward verneigte sich erneut: „Ach, verehrter Onkel.....“ Sarifa hatte das Zwischenspiel ein wenig verwundert zur Kenntnis genommen. Aber da sie trotz der Menschen um sich ihren Partner im Auge behielt, war ihr das kurze Anspannen seiner Wangenmuskeln nicht entgangen, als er die Zähne zusammenpresste. Also war das, was der Kaisersohn gesagt hatte, falsch oder töricht. War Markward dumm oder sollte es eine Provokation sein? Die Höflinge um sie bewahrten ein gleichmütiges Gesicht – die beste Taktik bei einer Konfrontation zwischen Kaiser und seinem möglichen Nachfolger, aber sie warf Graf Uther einen Blick zu. Der bemerkte es ebenso wie Michel und beiden war klar, dass die junge Dame nicht ohne Grund mit ihrem Haar spielte. Nickte Uther, so war Markward tot. Der Assassine würde es wie jedem Angehörigen ihres Volkes gleich sein, wenn sie bei diesem Attentat selbst umkam. Der Graf schüttelte daher kaum merklich den Kopf, für die meisten anderen Anwesenden ein sanfter Tadel der Höflichkeit. Aber er sagte nur höfisch-geübt: „Willkommen zuhause, mein lieber Neffe. Ich bin sicher, du hast viel zu erzählen, ich hoffe auch mir. Man lernt im Leben draußen doch mehr als aus Büchern.“ Markward neigte zustimmend den Kopf. Ah ja. Vater hatte prompt reagiert, als er auch nur den Anschein erweckte immer noch auf die Kaiserin zu stehen. Nun gut. Er hatte bereits gehört, dass die Ehe wohl nicht nur auf dem Papier bestand, entgegen seiner Erwartung, wie er zugab, immerhin war Dagobert doch schon ein alter Mann. Aber es war ein Fakt der Vergangenheit. Und ihm selbst gehörte die Zukunft. Dagobert winkte etwas: „Ich bin sicher, viele möchten sich mit dir unterhalten.....“ Das war das Zeichen, die strikte Hofordnung aufzulösen, in der Halle herumzuspazieren, Bekannte zu treffen. Auch Anawiga mischte sich unter die Höflinge – Uther war bereits wie üblich verschwunden. Natürlich drängten sich viele um den zurückgekehrten Kaisersohn. Michel nutzte dagegen die Gelegenheit, seine Partnerin zu suchen. „Ah, eine neue Schönheit am Hofe,“ sagte er in der Art seiner Tarnung und obwohl Sarifa nur zu gut wusste, dass es gespielt war, hätte sie fast das Gesicht verzogen, zumal er wieder mit diesem Taschentuch wedelte. Immerhin hatte er das Parfüm gewechselt. So neigte sie jedoch nur lächelnd den Kopf: „Treffen wir uns später?“ murmelte sie, um lauter fortzufahren: „Danke, ich habe kein Interesse.“ „Oh, wie überaus bedauerlich, meine Teure. - Komm zu mir,“ ergänzte er leise, während er sich bereits abdrehte um einer anderen Dame Komplimente zu machen. Viel später warf sich Markward nachlässig in seinen Hocker am Schreibtisch in den ihm zugewiesenen Räumen und sah zu dem Mann vor ihm auf, während er die Hände hinter dem Kopf verschränkte. „Nun, es lief doch alles gut, Chilperich.“ Sein Kämmerer, keine zehn Jahre älter als er, mit dunkelbraunen, schulterlangen Haaren und grauen Augen, nickte: „Bis auf Euren Faux-pas mit der Anrede der Kaiserin.“ „Ich wollte wissen – und habe gesehen, wie der alte Herr darauf reagiert. Nun gut, ich lasse die Finger von ihr. Andere Mütter haben auch hübsche Töchter – und Kaiserinwitwen können auch in einem Kloster leben.“ „Seid nicht voreilig,“ mahnte Chilperich: „Noch lebt Euer Vater und wenn jemand Euch so sprechen hört...“ „Ja, ich gebe zu, dass Vater recht gesund wirkt. Und des lieben Dankwards Schicksal zeigt, dass er durchaus bereit ist auch gegen seine Söhne weit zu gehen. Du hast Recht.“ Zuerst hatte Markward Chilperich nicht vertraut, als er ihn mit den anderen Herren vom Kaiser zu seinem vierzehnten Geburtstag zugewiesen bekommen hatte, dem Tag seines Erwachsenwerdens. Keine Lehrer mehr sondern nur Begleiter. Aber bald hatte er festgestellt, dass der Mann, der seine Finanzen verwalten sollte, ihm gegenüber loyal war, die kleinen Dinge abseits der Wege dem Kaiser verschwieg und bald auch die größeren. Chilperich hatte ihm klar erklärt, dass er hoffte, eines Tages die Nummer Zwei zu werden, der Kanzler – was Markward beruhigt hatte. Er traute niemandem, der nicht eigennützig zu handeln schien. Und da sein Kämmerer aus bürgerlichen Kreisen stammte, würde er nie mehr werden können als die Nummer Zwei, besaß er doch keine Hausmacht, keine Anerkennung, kein Heer. „Und vergesst nicht, dass Euer Vater schon mit vierzehn Jahren bereit war, seinen Cousin hinrichten zu lassen.“ „Schon gut, ich passe auf. Ich werde den braven Sohn spielen, nichts tun, was Vater nicht will, mich in die Verwaltung einarbeiten lassen....“ „Soll ich einen Mann auf Graf Uther ansetzen?“ Markward war ernstlich erstaunt: „Chilperich – auf Onkel Uther? Der ist ein Bücherwurm und sitzt nur in seinem Zimmer herum. Ab und an schickt ihn Vater auf Reisen, damit er wohl nicht vollkommen verstaubt.“ „Bedenkt, dass er heute auf dem Platz stand, der Euch zustehen würde, nach dem Protokoll.“ „Gleich. Er ist nur zwei oder drei Jahre jünger als Vater und kinderlos. Kein Problem. - Oh, weißt du vielleicht, wer das hübsche Kind war, das da heute dauernd neben Charibert stand? Seine neue Frau?“ „Nein, eine Bekannte. Prinzessin Sarifa, so wurde sie heute vorgestellt, weit aus dem Süden.“ „Unerfahren bei Hofe, also.“ Der Kämmerer wusste sich das Lächeln zu deuten: „Stallmeister Charibert hat das Ohr des Kaisers – und wird es kaum gern sehen, wenn Ihr seinem Schützling den Hof macht.“ „Ach, ein wenig Tändelei, dagegen kann er nichts sagen. Gut. Sieh zu, dass du einen Spion auf Onkel Uther ansetzt. Wenn der mal sein Zimmer verlassen sollte.... Morgen habe ich einen Termin, da wird er auch dabei sein. Vater möchte, dass ich ihm und dem Rest der Familie von meinen Reisen berichte.“ „Was Ihr natürlich tun werdet – mit einigen Auslassungen.“ „Die Besuche bei den Herzögen und auch bei Cousin Konstantin werde ich wohl unterschlagen, ja. Es könnte doch Misstrauen erregen. - Charibert kenne ich. Er ist der Anführer des Heeres. Kanzler ist ja wohl immer noch der alte Godomar. Du lieber Himmel, der muss doch schon an die Siebzig gehen!“ „Er ist sechzig, Markward. Fünf Jahre älter als Euer Vater,“ erlaubte sich der Vertraute den Hinweis: „Und seit dreißig Jahren Kanzler.“ „Er wird es wohl auch bleiben bis Vater oder er das Zeitliche segnet. Nun gut. Du hast doch noch immer Leute an Anawiga dran?“ „Eine ihrer Hofdamen berichtet mir regelmäßig, ja. Bislang scheinen die Nächte Eures Vaters mit ihr keine ...Folgen gezeitigt zu haben.“ „Gut. - Dann geh, Chilperich.“ Der Kämmerer gehorchte, ohne sein Lächeln zu zeigen. Sein Herr würde mehr als zufrieden mit dieser Entwicklung sein. Sein Auftrag hatte gelautet das Vertrauen des möglichen zukünftigen Kaisers zu erlangen, den jüngeren Kaisersohn zu verführen, um diesen elegant aus dem Weg zu schaffen. Markward sollte Kaiser werden, das war der Wunsch seines Herrn, je eher, desto besser. Nicht ohne Eigennutz. Dagobert war ein deutlich schwereres Ziel als dieser überhebliche Junge. Er selbst würde einen Spion auf Uther ansetzen und dann ausführlich Bericht über das Gespräch mit Herzog Pippin der Westmark und auch den Einzug in Paradisa schreiben und abschicken. Dann würde sein Gebieter weitere Pläne machen. Markward war die Fliege im Netz einer Spinne. „Du gestattest mir doch meine Überraschung, Partnerin,“ begann Michel, als diese ihn abends bei sich aufsuchte: „Nicht nur, dass du bei Hofe eingeführt wirst, nein, gleich auch noch von Charibert und als Prinzessin.“ Sarifa zuckte ein wenig die Schultern: „Graf Uther ließ mir ausrichten, dass es wichtig sei. - Habe ich einen Fehler begangen?“ „Nein. Du warst formvollendet – und sehr charmant. Ich möchte wetten, dass da einige Männer auf dich hoffen.“ „Danke.“ Sie lächelte, aber er wusste, dass sich das nur darauf bezog, dass sie keinen Fehler begangen hatte. Eitelkeit war ihr relativ fremd. „Der gute Graf hat nicht zufällig erwähnt, warum es wichtig ist?“ „Stallmeister Charibert sagte nichts davon. Und er richtete mir das nur aus.“ „Moment. Sag jetzt nicht, Charibert sei bei dir aufgekreuzt!“ „Nein, wir trafen uns im Stall. Ich sah doch nach meinem Sabri. - Warum wäre es so ungewöhnlich, wenn er zu mir käme?“ Er überlegte kurz, wie er das seinem ahnungslosen Engel erklären sollte: „Sarifa, er ist ein vielbeschäftigter, einflussreicher und mächtiger Mann, es...ja, es wäre sehr ungewöhnlich.“ „Was war eigentlich so schlimm daran, dass Markward fragte, ob er die Kaiserin mit Frau Mutter anreden sollte? Immerhin sind sie doch fast gleich alt, da kommt er sich wohl eigenartig vor.“ Sie besaß keine Kenntnis von höfischen Finessen, da würde er ihr wohl noch so einiges erklären müssen: „Wenn es das nur wäre....Er wurde auf diese lange Bildungsreise geschickt, weil er eben die Ehefrau seines Vaters....äh...sehr gern sah.“ „Ich glaube nicht, dass er das noch tut. Er hat später mit allerlei jungen Frauen herumgemacht.“ Michel seufzte: „Deine Wortwahl! Er hat nicht mit ihnen herumgemacht – und schon gar nicht in aller Öffentlichkeit. Das war Tändelei, Spiel.“ „Verzeihung. Es ist sehr anstrengend immer aufpassen zu müssen, dass man nichts Falsches sagt.“ Wem sagte sie das: „Oder tut. Ich hatte beim Empfang mal kurz den Eindruck, als ob du zum Messer greifen würdest.“ „Ich wusste nicht, wie arg es ist, was Markward da sagte. Mir kam es harmlos vor, aber alle spannten sich an. Darum dachte ich, dass es vielleicht eine sehr große Beleidigung wäre.“ „Keine Beleidigung, aber eine gewisse Provokation, ja. Aber sie wurde dann ja dezent umschifft.“ „Wirst du noch verfolgt? Ich war vorsichtig, sah aber niemanden unten.“ „Nein, ich habe auch niemanden bemerkt. Womöglich wurde ich als harmlos eingestuft.“ „Nun, ich hoffe ich auch.“ „Ja.“ Und Michel dachte an die Wurfklinge in ihrem Haar. Vier Männer trafen sich in einem nüchternen Arbeitsraum des Palastes. In der Mitte befand sich ein großer Tisch, auf den Zwei jede Menge Papiere, Akten legten. Der dunkel Gekleidete von ihnen war Graf Lothar, der Leiter der kaiserlichen Polizei, der andere Kanzler Godomar, der als Zeichen seiner Amtswürde über dem orangenfarbenen Wams eine goldene Kette mit mehreren kleinen Münzen daran trug. Der Kaiser und sein Bruder seufzten unhörbar, aber Dagobert winkte den Beiden sich zu setzen. Sie hätten nicht ohne Grund eine derart kurzfristige wichtige Sitzung beantragt. Der Kanzler begann: „Euer Hoheit, Graf Uther....Es geht um einen Mann namens Mario de Bellisario. Er lebt bei Piedamonte, im Königreich von Pisan, auf der Burg seiner Familie. Die örtliche Polizei hat ihn im Verdacht, der Kontaktmann zu den meisten Meuchelmördern zu sein, die im Reich herumlaufen. Angeblich soll er auch die Bezahlung für sie weiterleiten. Das heißt, er müsste im Besitz einiger, wenn nicht fast aller Namen sein.“ „Aber?“ fragte Dagobert prompt. Graf Lothar blickte auf die Akten: „Ich setzte drei Männer auf ihn an. Einer fand Zugang zu ihm und kehrte nicht zurück, die anderen beiden kamen erst gar nicht soweit. Dann versuchten wir es nochmals – von den beiden Männern fehlt jede Spur. De Bellisario scheint ein überaus vorsichtiger Mann zu sein.“ „Ihr wollt also meine Leute?“ erkundigte sich Graf Uther. „Ja. Vielleicht eine undichte Stelle bei der Polizei, vielleicht extreme Vorsicht des Verdächtigen...ich weiß es nicht. Jedenfalls hat sich nun etwas in der Sache getan. Es gelang meinen Leuten eine Frau zu verhaften, eine bekannte Meuchelmörderin, ihr Name ist Amalaswintha Krenska, nennt sich aber meist donna de Cyr. Das war gestern Abend. Bei sich trug sie ein Einladungsschreiben de Bellisarios. Aus diesem kann man lesen, dass er sie nicht persönlich kennt, aber für eine bestimmte Tätigkeit anheuern wollte. Und soweit ich weiß, verfügt Ihr mindestens über eine junge Dame.“ „Überaus riskant,“ erwiderte der Kaiser: „Es ist möglich dass Bellisario sie kennt, dass er sie auch nur prüft....“ „In der Tat,“ meinte Graf Lothar: „Aber wir haben alles zusammengetragen, was wir konnten. Und mit fünf Toten bezahlt.“ „Es wäre wichtig, Euer Hoheit, dass wir diese Meuchelmörder in den Griff bekommen,“ erklärte der Kanzler: „Das war doch auch schon lange Euer Wunsch.“ Dagobert sah zu seinem Bruder: „Deine Meinung?“ „Ich werde mir die Akten durchlesen,“ sagte Uther: „Und danach meine Leute fragen, ob sie den Auftrag übernehmen wollen.“ Godomar blickte ihn erstaunt an: „Ihr fragt Eure Männer, ob sie wollen?“ „Wenn es bereits Tote gab halte ich es für notwendig. Ich schicke niemanden ungewarnt in ein offenes Messer. Und dieser Auftrag wäre eines. Ich vermute doch nicht, Graf Lothar, dass Eure Männer Anfänger oder Stümper waren.“ Uther klang kalt und der Polizeichef schüttelte nur den Kopf. ** Ein neuer Auftrag..Und Sarifa hat wohl in Markward einen neuen Verehrer. Ob das eine so gute Idee Uthers war...? Kapitel 24: Donna de Cyr ------------------------ Graf Uther wartete ohne den Blick von den vor ihm liegenden Dokumenten zu lassen, ehe er aufsah, da Michel und Sarifa zu ihm vorgelassen wurden. Wie immer würden sie durch geheime Türen gekommen sein, aufgepasst haben, dass niemand sie beobachtete. „Bitte, nehmt Platz,“ sagte er: „Ich habe einen neuen Auftrag für Euch. Allerdings werde ich Euch erst einmal etwas dazu sagen, ehe ich Euch frage, ob Ihr diesen Auftrag annehmen wollt.“ „Oh,“ machte Michel unwillkürlich: „Das heißt, etwas überaus Riskantes?“ „Fünf Tote, bislang. Männer Eurer Klasse.“ „Wunderbar. Das sind die Aufträge, die ich liebe, bei denen die Vorgänger umgekommen sind. Aber mal im Ernst, Graf Uther, ich arbeite nicht für Euch um Karten zu spielen. Und ich dachte, ich hätte bewiesen, dass ich kein Feigling bin.“ Der Kaiserbruder hob die Hand: „Vergebt, das wollte ich Euch damit auch nicht unterstellen. Aber Mut ist auch eine Frage der Intelligenz. Man muss wissen, wann man zurückzustecken hat.“ Solcherart getadelt senkte Michel den Kopf: „Jetzt bitte ich Euch um Verzeihung. Ich habe geurteilt, ehe ich die Fakten kenne.“ „Eure Zielperson steht vermutlich mit Meuchelmördern in Verbindung, macht für sie Kontakte und übernimmt die Zahlungen. Er ist adelig, lebt auf einer Burg und hat Wachpersonal. Graf Lothar setzte alles in allem fünf Männer an. Von einem weiß er, dass er Kontakt zur Zielperson hatte, andere kamen wohl erst gar nicht so weit. Es wurde nur eine Leiche gefunden.“ „Darum möchte er keine weiteren Polizisten ansetzen, wie schon in Lavinia,“ sagte Michel. „Ich verstehe. Dennoch: ich gehe dorthin.“ „Und Ihr Sarifa?“ Die Assassine zuckte ein wenig die Schultern: „Jeder muss sterben, nicht wahr? Selbstverständlich gehe ich, Graf Uther.“ Der Geheimdienstleiter nickte. „Dann möchte ich Euch, Michel, bitten draußen zu warten.“ Dieser hob die Brauen: „Einzelanweisung?“ „Ja. Keiner von Euch soll wissen, was der Andere für eine Aufgabe hat, oder welchen Namen. Eine Sicherung.“ „Aber damit haben wir auch keine Rückendeckung durch den Partner. Und Ihr wollt anscheinend diesmal selbst planen. “ Michel erhob sich. „Ich bin draußen.“ Das klang in der Tat nach einem heiklen Auftrag. Aber Meuchelmörder waren eben eine mehr als lästige Zeiterscheinung, wenn man einige von denen aus dem Weg ziehen könnte, wäre es nur positiv. Und zumal den Kerl fassen konnte, der ihnen Aufträge verschaffte. Falls die Theorien der Polizei stimmten. Fünf tote Ermittler sprachen jedoch für sich. Sarifa setzte sich aufmerksam hin und Graf Uther lächelte ein wenig: „Die Polizei konnte eine Meuchelmörderin festnehmen, die einen Einladungsbrief des Verdächtigen dabei hatte. Er scheint sie nicht zu kennen.“ Die junge Assassine wartete einen Moment, ehe ihr bewusst wurde, dass ihre Meinung gefragt war: „Es wäre natürlich möglich, dass er es doch tut. Was sagt sie?“ „Sie wurde gestern Abend festgenommen und scheint nicht sonderlich kooperationswillig. Natürlich könnte man sie brechen, aber das dauert. Und ich schätze Folter nicht sonderlich.“ „Ich verstehe.“ „Der Verdächtige heißt Mario de Bellisario, er lebt in einer Burg bei Piedamonte im Königreich Pisan. Wenn Ihr als Amalaswintha Kerka, oder eher, wie sie sich zu nennen beliebt, donna de Cyr dort ankommt, seid Ihr soweit auf Euch allein gestellt. Ihr müsst sie spielen, ihre Rolle übernehmen. Euer Ziel wäre es herauszufinden, ob Bellisario die Namen der Meuchelmörder besitzt, sie womöglich sicherzustellen, und auch Informationen zu erlangen, wohin das Geld fließt. Falls Euch Bellisario nicht glaubt, dass Ihr donna de Cyr seid, habt Ihr ein Problem.“ „Nicht mehr lange, dann,“ meinte Sarifa nüchtern: „Wenn Bellisario mit Meuchelmördern handelt, sind womöglich auch welche bei ihm. Hm. Darf ich eine Frage stellen, Graf Uther?“ „Natürlich.“ „Woher kennt er Meuchelmörder? Weiterempfehlung untereinander kann es doch kaum sein, niemand soll ja schließlich wissen, dass man einer ist. Bei meinem Volk ist das etwas anderes, wir leben ja ein einem kleinen Dorf, da kennt jeder jeden, aber bei diesen.....?“ Sie brach lieber ab. Der Geheimdienstleiter dachte einen Moment nach, ehe er lächelte: „Ich glaube, ich habe die hübscheste und klügste Assassine angeheuert. In der Tat. Ihr habt Recht. Woher kennen sie sich und auch Bellisario. Das solltet Ihr herausfinden. Und, wenn sie tatsächlich alle aus einem Dorf stammen, was da passiert ist. Denn noch vor zwanzig Jahren gab es kaum derartige Mordanschläge.“ Sie nickte: „Wann würdet Ihr mich abziehen oder wie kann ich mit Euch Kontakt aufnehmen?“ „Gar nicht. Ich möchte diesmal jede Kontaktaufnahme mit der Post oder Brieftauben meiden. Womöglich sind die Polizisten genau dadurch verdächtig geworden. Ich werde in vier oder fünf Wochen nach Pisan reisen, offiziell, nun, es wird sich ein Grund finden, inoffiziell, damit Markward und Dagobert ungestört sind.“ Sie hob die Brauen: „Markward soll das glauben?“ Fast ein wenig bitter meinte Uther: „Er wird. - Bei dieser Reise komme ich auch nach Piedamonte. An einem dieser Tage findet dort ein berühmtes Winterfest statt. Ich werde ohne Zweifel dort der Ehrengast sein.“ „So werde ich Euch finden.“ Falls sie sich frei bewegen konnte und überhaupt noch am Leben war. Denn sie nahm eigentlich nicht an, dass die Polizei neugierige Anfänger hingeschickt hatte – und sie wusste nur zu gut, was für Typen sie in Lavinia begegnet war, auf deren Konto Polizistenmorde gingen. „Davon bin ich überzeugt, Sarifa. Darf ich Euch viel Glück wünschen? Oder was sagt Euer Volk?“ Das mochte sie einem Fremden nicht erzählen: „Es stimmt so schon. Danke, Graf Uther.“ „Raoul wird Euch Kleidung besorgen. Dann hier. Das sind die Unterlagen, persönliche Dokumente der Dame und der Einladungsbrief. Ihre Beschreibung in den Passierscheinen ist einigermaßen passend. Ihr solltet Euch das auf der Anreise gut einprägen. - Aber das hätte ich nicht sagen brauchen.“ Sie lächelte etwas als sie sie nahm. Nein, das hätte er nicht. Ihre Gedanken flogen schon weiter. Ihren Umhang sollte sie in Paradisa lassen, so gern sie das nützliche Kleidungsstück mitgenommen hätte. Einige Meuchelmörder hatten Assassinen bereits kennengelernt und das leider überlebt und es war nicht auszuschließen, dass sie sie damit in Verbindung bringen würden. Für ihre Rüstung galt dies nicht, war sie doch eine Sonderanfertigung für sie persönlich. Michel kam herein, nachdem er sie kurz verabschiedet hatte. Beiden war klar, dass, wenn sie sich wiedersahen sie sich nicht erkennen sollten – oder möglicherweise bereits tot wären. Er setzte sich und wartete. Graf Uther seufzte ein wenig, aber wiederholte dann Zielperson und Einsatzort, ehe er fortfuhr: „Bellisario erwartet sicher einen erneuten Versuch Ermittler bei ihm einzuschleusen. Darum wäre das überaus gefährlich. Ich möchte anders vorgehen. Daher sollt Ihr diesmal auch nicht für Sarifa planen. Ich vertraue Euch, aber nur wenn Ihr nicht wisst, welche Rolle sie hat, könnt Ihr sie auch nicht verraten.“ „Außer, sie führen sie mir vor. Aber dann sind wir beide aufgeflogen, ja, ich verstehe.“ „Es gibt überdies ein Problem. De Bellisario ist von Adel und er war einige Jahre in Paradisa.“ „Das heißt, er kennt mich?“ „Es wäre möglich, dass Ihr Euch bei Hofe begegnet seid, ja.“ „Dann wäre es das Einfachste, wenn ich unter meinem eigenen Namen nach Piedamonte reise.....warum?“ „Es ist bekannt für seine Lederwaren. Stiefel, Sattelzeug, was auch immer Ihr kaufen wollt – der Kaiser zahlt.“ Michel lachte unwillkürlich auf: „Vorsicht, Graf Uther! Ich könnte das eines Tages ausnutzen.“ Dieser war sicher, dass das nicht passieren würde. „Ihr wollt bis zum Winterfest bleiben. An diesem werde ich auch teilnehmen, als Ehrengast. Ihr solltet versuchen, irgendwie mit Bellisario Kontakt auf gesellschaftlicher Ebene aufzunehmen. Wie, müsst Ihr vor Ort sehen. Auf diesem Fest erst werden wir uns treffen. Zuvor keinerlei Kontaktaufnahme. Euer Ziel ist es, möglichst viel über die Meuchelmörder herauszufinden, wer sie sind, warum er sich um sie kümmert...so etwas.“ Michel nickte: „Woher kam die Polizei auf die Idee mit de Bellisario?“ „Das ist eine der Fragen, die IHR sofort stellt – ich benötigte ein wenig länger. Ein Fehler im System, würde ich sagen. Bei einem toten Meuchelmörder, genauer, sein Anschlag missglückte und er wurde von den Leibwachen des Königs von Cinquanta getötet, fand man einen Bankbrief, der auf Bellisario bezogen war. Dieser geriet daher in das Visier der kaiserlichen Polizei, da Cinquanta das weitermeldete.“ „Cinquanta. Das bedeutet, König Elymian hat Assassinen als Leibgarden?“ „Ich vermute es, fragte aber Sarifa nicht danach.“ Graf Uther schob Papiere über seinen Schreibtisch: „Hier. Seht sie Euch gut an. Es ist der Grundriss der Burg Bellisarios, soweit wir ihn wissen, Berichte über ihn persönlich. Nicht viel. Aber teuer erkauft.“ „Wenn er mit Meuchelmördern zu tun hat, sind wahrscheinlich auch welche in der Burg.“ „Das vermute ich auch.“ „Und dann schickt Ihr Sarifa da rein?“ „Ich hoffe, sie ist erfolgreich, nicht zuletzt, weil...“ Uther brach ab. Er wollte doch nichts ausplaudern. Michel zuckte die Schultern: „Nicht wegen Eurer sicher durchdachten Planung, aber Assassinen und Meuchelmörder....Sarifa zu denen zu schicken ist das Gleiche, als ob Ihr eine Bulldogge in eine Metzgerei lasst.“ „Sie wird sich zusammennehmen, Michel. Gerade weil sie eine Assassine ist hat das Ziel Vorrang.“ Mittlerweile monatelange Erfahrung ließ ihn zugeben: „Ja, da mögt Ihr Recht haben.“ „Eines möchte ich nochmals betonen, Michel. Bellisario ist vorsichtig, das beweist sein bisheriges Verhalten. Es ist durchaus möglich, dass er Euch bei einem ersten Kennenlernen überprüft. Hütet Euch also vor den unsichtbaren Fallen.“ „Ihr meint, Anspielungen, die nur ein schuldbewusstes Gemüt versteht? Habt Ihr das Sarifa auch gesagt?“ „Ich spreche in aller Regel nicht mit Agenten über einen anderen.“ Nach diesem dezenten Hinweis ergänzte Uther doch: „Nein. Sie ist nämlich nicht schuldbewusst. Sie ist eine Assassine und sie hat einen Auftrag.“ Michel lächelte ein wenig zynisch: „Dann sollte ich Euch wohl dankbar sein, dass Ihr Euch Sorgen um mich macht.“ „Das mache ich nie, zumindest nicht, wenn ich Euch Aufträge erteile.“ Der Geheimdienstleiter sah in das Gesicht seines Agenten: „Wenn ich beginnen würde das zu tun, würde ich sofort aufhören diese Arbeit zu erledigen.“ Ja, diese Art von Arbeit forderte eine gewisse skrupellose Objektivität, das war beiden klar. Michel lächelte darum erneut. Aber diesmal lag etwas darin, das Graf Uther sich zu deuten wusste. Michel würde sich vorsehen, da er nie vergessen würde, das der Einsatz in diesem Spiel sein Leben war – aber er würde es auch akzeptieren, wenn die Karten gegen ihn fielen. So sagte er nur: „Viel Glück.“ „Danke.“ Der Jüngere erhob sich. Nur zwei Tage, nachdem die Agenten sich auf unterschiedlichen Wegen aufgemacht hatten um nach Piedamonte zu gelangen, kam Graf Lothar ein wenig aufschreckt zu einer Arbeitssitzung des engsten Sicherheitsrates des Kaisers. Nur die fünf Männer in dieser Runde wussten, wer Uther in Wahrheit war. Erst nach der Besprechung bat Lothar den Geheimdienstleiter mit sich und zog ihn in ein kleines Nebengemach, in dem in aller Regel Pagen oder Diener auf Anweisungen warteten. Nachdem er sogar hinter die Vorhänge gespäht hatte, sagte er: „Es könnte Ärger geben in Sachen Bellsiario. Ein recht hoher Verwaltungsbeamter, ich denke sogar, aus dem inneren Rat des Königreiches Pisan, schickt einen etwas ärgerlichen Brief an mich, warum wir auf Bürger ihres Staates verdeckte Ermittler ansetzen und erwähnte ausdrücklich Bellisario.“ Uther spürte eine eiskalte Hand nach seinem Magen greifen. Jetzt verstand er die Aufregung: „Was schriebt Ihr zurück?“ „Die Wahrheit. Die gesamte kaiserliche Polizei hat da aktuell nichts veranlasst.Aber mich hätte schon interessiert, woher er das weiß. Wir haben nur in sehr kleinem Kreis darüber gesprochen.“ „Ja, nicht einmal Markward war dabei.“ Und den hätte Uther als Tippgeber schon sehen können. „Also nur ein Helfer, ein kleiner Fisch...“ Ein Schreiber, der die Einladungen herausschickte oder einen Bericht las.... „Ja. Aber da ich Spitzel nicht leiden kann, werde ich ihn suchen lassen. Den Kleinen zuerst und dann die Leitfische des Schwarms. Könnt Ihr Eure Leute warnen? Bellisario scheint zu wissen, dass verdeckte Ermittler angesetzt sind – und das ist ärger, als wenn er nur annimmt, das es möglich wäre.“ „Nein, ich kann momentan keinen Kontakt aufnehmen. Eine Sicherung, damit auch die Gegner nichts bemerken.“ „Ihr lasst Euren Leuten viel Freiraum - Aber so müssen sie ungewarnt reingehen. Und es ist ein himmelweiter Unterschied ob er nur ahnt, dass was nicht stimmt, oder nur nach einem Fehler suchen muss.“ „Ich denke, dass sie vorsichtig sind. Und falls Bellisario einen von ihnen vom Zustand des Misstrauens in den der Gewissheit überführt hat, werde ich es erfahren.“ Leider. Donna de Cyr wartete scheinbar gelassen in dem Vorzimmer von Bellisarios Burg. Er hatte die alten Burgmauern recht wohnlich und modern hergerichtet, stellte sie fest. Allerdings störte sie auch die Anwesenheit von zwei Wächtern nicht. Schon am Burgtor hatte es welche gegeben, diese freilich hier im Raum waren von einer anderen Sorte: keine Soldaten, keine Kämpfer, wie sie auch der Kaiser verwendete. Sie wusste, dass mindestens einen Dolch jeder von ihnen unter den halbgeöffneten Obergewändern trug – und sie sie auch schon benutzt hatten. Richtig, wie ihr zweitältester Bruder Shahin es nannte, also, gegen Menschen. Falls sie es erneut taten, fände ihr Auftrag ein rasches Ende. Nicht unwahrscheinlich, bei einem Angehörigen ihres Volkes. Eine andere Tür, als die, durch die sie gekommen war, öffnete sich und sie spannte sich unmerklich an. Ein Mitte der Vierziger stehender Mann trat ein, wohl der Anführer der Wachen, denn einer der beiden hinter ihr meldete: „Donna de Cyr.“ „Euren Dolch, donna,“ meinte dieser nur zu Sarifa. Sie wich instinktiv etwas zurück: „Nein. Ich gebe ihn nicht her. Ich werde ihn wohl nicht brauchen – aber ich gebe ihn nicht her.“ „Don de Bellisario empfängt keine Bewaffneten.“ „Er hat mich eingeladen.“ Würden sie sie angreifen oder rauswerfen? Sie spannte sich weiter an – kampfbereit. Der Neuankömmling betrachtete sie, ehe er sagte: „Nun gut. Aber seid Euch bewusst, dass ich hinter Euch stehe – mit meinem Dolch in der Hand.“ „Tut, was Ihr nicht lassen könnt.“ Oder eher dürft. „Gut. Dann kommt.“ Zwei weitere, vollkommen leere Vorzimmer, dann öffnete Sarifa eine Tür, die eindeutig in das Empfangszimmer des Burgherrn führte. Bellisario saß hinter seinem Schreibtisch. Er war ein Mann Mitte der Fünfzig, graue Strähnen in den modisch langen Haaren verrieten es nur zu deutlich. Seine Augen waren vom Grau der Bergfelsen um die Burg – und ebenso leblos, als er seine Besucherin musterte, dann jedoch seinen eigenen Mann: „Was soll das, Gianno?“ Das bezog sich auf dessen Dolch in der Hand. „Sie hat ein Messer.“ „Und warum hast du es nicht?“ „Ich gab es nicht her,“ warf Sarifa ein, die annahm, es wäre nicht gut, sich den Sicherheitschef zum Feind zu machen. „Ihr wolltet mich sprechen.“ Sie fühlte sich alles andere als wohl. Hinter sich einen Mann mit einem Dolch, mit dem der sicher umgehen konnte, vor sich einen Mann, dessen Nicken in jedem Moment ihr Todesurteil bedeuten konnte. Aber das war eine Lage, für die sie ausgebildet worden war, und so bemühte sie sich um äußerliche Gelassenheit. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass sich ihre Unterarme unter den weitgeschnittenen Kleiderärmeln anspannten. Bellisario betrachtete sie: „Ihr seid Rechtshänderin, donna de Cyr.“ „Ja.“ Um ehrlich zu sein, sie würde auch mit der Linken ein Messer werfen können, aber das musste sie nicht erwähnen. Es war besser, wenn die andere Seite nicht alles wusste. „Nun gut, dann kommt. Ich habe eine Aufgabe für Euch.“ Der Hausherr erhob sich: „Wie ich Euch bereits mitteilte, benötige ich Eure Fähigkeiten auf besondere Art und Weise.“ Ja, das hatte er schon geschrieben. Und? Graf Uther war wohl von einem geplanten Mord ausgegangen, aber Sarifa war sich dessen nicht sicher. Immerhin kannte Bellisario angeblich diverse Meuchelmörder, da wäre es kaum nötig, jemanden quer durch das Reich zu hetzen. So folgte sie schweigend dem Verdächtigen, hinter sich dessen Leibwächter, der anscheinend nervös genug war, seinen Dolch nicht wegzuschieben. Diese donna de Cyr musste einen Ruf wie Donnerhall haben. Zu ihrem gewissen Erstaunen gingen sie hinten aus der Burg heraus. Dort, zwischen der Mauer und dem steil aufragenden Berg, befand sich ein Sandplatz, der eindeutig zum Üben mit Pferden, aber auch sonstigen Einheiten gedacht war. Sechs Männer erwarteten sie, alle in der üblichen, einfachen bäuerlichen Tracht. Sie erkannte allerdings auch die wachsamen Blicke, die über sie streiften, als das Sixtett vor don Bellisario den Kopf neigte, ehe einer meinte: „Ein hübsches Ding fürs Bett, werter don – aber das ist nicht Amalaswintha Kerka.“ Sarifa reagierte instinktiv. Wie wohl jede Schwester mit fünf Brüdern hatte sie auch ohne ihre spezielle Ausbildung wenig Scheu vor körperlichen Auseinandersetzungen. Noch während sie auf den Sprecher zulief, flogen ihre Gedanken allerdings wie ein von der Uhr losgerissenes Perpendikel. Eine Falle, die kannten die wahre donna de Cyr? Oder war es nur einfach eine Behauptung, um eine sich möglicherweise einschleichende Frau zu enttarnen? Was konnte sie tun? Wie sollte sie reagieren? Falls es falsch war, stand es acht zu eins – eine ziemlich miese Quote gegen sie. Noch ehe irgendeiner der Männer so ganz begriff, was da geschah, fand sich der Sprecher rücklings auf dem Boden wieder. Das fremde Mädchen saß auf seiner Brust, die Knie rechts und links neben seinem Kopf, ihn so haltend. Irgendwie war eine kalte Klinge in ihre Rechte gekommen, deren Stahl sich zwischen seine Zähne geschoben hatte. In jäher Panik zog er seine Zunge möglichst weit zurück. Sarifa war jedoch freundlich: „Weißt du, mein Junge.....“ Der Mann war sicher fast zehn Jahre älter als sie: „Wenn du die Welt mit deinen unqualifizierten Sprüchen belästigen willst, solltest du dir vielleicht auch ein wenig über die Folgen Gedanken machen.“ „Seid Ihr Amalaswitha de Kerka?“ erkundigte sich don Bellisario sachlich. „Ihr wolltet donna de Cyr,“ gab sie zurück ohne ihr Opfer loszulassen. „Nun, mir wurde gesagt, das sei ihr Name.“ „Und Euch kam nie die Idee, dass es zwei davon gibt.“ Sarifa nahm Zuflucht zu dem Ersten, was ihr eingefallen war: „Ist Euch nie in den Sinn gekommen, dass das für eine Person ziemlich viel...Arbeit wäre?“ „Eure Partnerin, also.“ „Eher Lehrmeisterin.“ Bellisario blickte zu seinem Mann, der sich nicht zu regen wagte: „Nun, Eure Einführung war jedenfalls nicht übel. Allerdings müsste Euch bewusst sein, dass Ihr nur ihn töten könntet, ehe Ihr selbst draufgeht.“ „Nicht ganz. Ihr steht in Wurfweite,“ gab die Assassine sachlich zurück: „Sein Hals, dann würde ein Wurf Eure Drosselader aufschneiden.“ Sie war ein wenig überrascht, dass er das Lachen begann, ehe er sich leicht, höfisch, verneigte: „Euer guter Ruf und der Eurer Lehrmeisterin scheint nicht übertrieben, donna de Cyr. Ich möchte Euch daher bitten, den etwas vorlauten Marco freizugeben und ihm und seinen Freunden ein wenig von Euren Fähigkeiten beizubringen. Sie sollen lernen wie man sich bewegt, wenn man ein gut geschütztes Opfer angehen will.“ Sie wechselte ihr Gewicht nach rechts und schwang das Bein so elegant über den Liegenden, dass weder der noch sonst wer unter ihr Kleid sehen konnte, ehe sie den Dolch wegschob. „Ich verstehe, edler don. Aber das ist nichts, was man in drei Tagen erlernt. Es sind auch gewisse körperliche Fähigkeiten erforderlich.“ Sie musste Zeit schinden. Graf Uther kam erst zu dem Winterfest und bis dahin war sie hier angebunden. Allerdings: wenn dieser Marco Amalaswintha sofort hatte erkennen können – stammten diese Meuchelmörder wirklich alle aus einem Dorf? Was war dann da geschehen? Sie musste sich mit den Sechsen unterhalten, zunächst aber erst einmal deren Vertrauen gewinnen. Mario de Bellisario nickte etwas: „Sie besitzen natürlich gewisse Kernkompetenzen und sind geübt mit dem Messer. Aber in drei Wochen möchte ich Fortschritte sehen.“ Das war um das Fest herum und so verneigte sich Sarifa zustimmend, ehe sie sagte: „Dann würde ich nur gern meine Tarnkleidung ablegen.“ Mit einem Blick auf ihre neuen Mitarbeiter erklärte sie: „Dann werden wir einmal sehen, wo ihr steht und wo ich stehe.“ Und aus irgendeinem Grund freuten sich die Männer sichtlich nicht so sonderlich darauf, ihr nahe kommen zu sollen. ** Eine Bulldogge in einer Metzgerei..^^ Das nächste Kapitel zeigt Michels Vorgehensweise... Kapitel 25: de Bellisario ------------------------- Michel starrte ein wenig deprimiert in den Nieselregen. Oben auf den Bergen über Piedamonte hatte es bereits geschneit und auch die kaum erkennbare Burg Bellisarios lag schon überzuckert. Der Winter hatte spürbar eingesetzt und er dachte an seine Partnerin, von der er seit fast drei Wochen nichts gehört hatte. Das Mädchen aus dem Süden würde vermutlich ganz schön frieren – obwohl sie mit ihm ja auch schon eine Nach unter freiem Himmel bei Regen ohne Murren geschlafen hatte. Er sollte wirklich aufhören, an sie als gewöhnliches Mädchen zu denken. Ärgerlicher war, dass er selbst nicht gerade weit gekommen war. Sein Auftrag hatte gelautet, sich Mario de Bellisario auf gesellschaftlicher Ebene zu nähern – ein Ding der Unmöglichkeit. Der schien seine Burg nur einmal in der Woche zu verlassen, dann in Begleitung von einigen Bewaffneten. Immer wieder führte ihn dieser Weg schnurstracks zu der Bank de Pisan, ehe er wieder zurückfuhr. Michel hatte sich zwar höflicherweise dem Bürgermeister vorgestellt und dezent nach anderen anwesenden Adeligen gefragt, aber das waren alles nur Besucher. Bellisario mied jeden Kontakt zu Gästen oder auch Einheimischen von Piedamonte. Alles, was er über diesen zusammengetragen hatte können waren Gerüchte, keine Beweise, und er begann zu begreifen, warum selbst erfahrene Polizisten hier auf Granit gebissen hatten, ja, aufgefallen waren, wenn sie ihren Auftrag um jeden Preis erfüllen wollten. Hoffentlich war Sarifa weitergekommen und nicht auf Probleme gestoßen. Sie war nie bei den Leuten, die Bellisario begleiteten – hatte sie eine andere Aufgabe oder war sie aufgeflogen? Aber daran durfte er nicht denken. Er warf sich einen warmen Umhang über. Heute war Markttag wie auch letzte Woche, und da hatte er einige Frauen mit Bellisarios Kutsche in die Stadt kommen sehen, sichtlich Dienstboten, die Einkäufe erledigten. Er musste sich an die halten. Vielleicht konnte er das Eine oder Andere aufschnappen, auch, wenn er mittlerweile nach den frustrierenden Tagen annahm, dass der gute Mario seine Leute perfekt ausgesucht hatte. Wie konnte er selbst nur in diese Burg gelangen? Es wäre zu peinlich, wenn der Graf Uther sagen müsste, dass er das nicht vermocht hätte. Die Lösung zu dem gesamten Problem der Meuchelmörder schien an Bellisario zu hängen. Er verließ die gastliche Stätte und schlenderte durch die kleine Stadt in Richtung auf den Marktplatz. Wie er bereits vergangene Woche gesehen hatte, boten Bauern der Umgebung noch immer eingelagerte Früchte an, auch Reis, der wohl aus dem zwei Wochen entfernten Gebieten des größten Flusses südlich der Hohen Berge stammte. Aber im eigentlichen Winter würden es wohl Händler sein, die Früchte und Gemüse aus dem weit entfernten Süden heranschafften, Melonen und Zitronen, aber auch Kürbisse und Rüben aus den nördlichen Gebieten. Ein Vorteil des riesigen Kaiserreiches war eindeutig der weite und in aller Regel doch sicherere Handel zwischen den Königreichen und Provinzen. Nur dort, wo in den Bergen oder tiefen Wäldern niemand das Sagen hatte, sammelte sich lichtscheues Gesindel – ob auch die Meuchelmörder sollte er ja herausfinden. Er betrat einen Laden am Marktplatz. Schon wegen der Gerüche und Abwasser lagen die wichtigen und für Piedamonte berühmten Gerbereien und Sämereien außerhalb der Stadt, aber die besten Ledermacher vertrieben ihre Sättel und Lederwaren möglichst nahe im Zentrum. Da er erst vor zwei Wochen einen kompletten Sattel und Zaumzeug in Auftrag gegeben hatte, nahm der Händler an, er käme, um nachzufragen, wie weit er sei. Während des Gespräches behielt Michel allerdings den Beginn des Marktes im Auge. Hier gab es eine Wendehaltestelle für Gespanne, hier kamen Kutschen an, und er hoffte, dass auch die Dienerinnen Bellisarios heute wieder für Nachschub für de Küche sorgen wollten. Als er die Kutsche mit dem Wappen am Schlag erkannte, verabschiedete er sich rasch von dem Händler, nicht, ohne dem ein gewisses Trinkgeld dazulassen. Er hatte schließlich einen Ruf zu verteidigen. Zu seiner gewissen – unangenehmen - Überraschung war diesmal nicht nur der Kutscher dabei, sondern auch ein Mann im Harnisch, der eilig vom Bock herabsprang und den Schlag öffnete. War das etwa Bellisario persönlich? Nein, das war eine junge Dame, seine junge Frau oder eher Tochter, war sie doch kaum fünfzehn. Nirgendwo in den Unterlagen war vermerkt gewesen, dass Bellisario Familie besaß. Nun gut. Es war ein Fakt, und damit musste man leben. Ein wenig neugierig trat Michel etwas näher. Die donna de Bellisario schien nicht viel vom Markt zu halten, denn sie wies die drei sichtlich einfacher gekleideten Frauen nur an, die notwendigen Einkäufe zu erledigen, während sie sich umsehen wolle. Der Kutscher fuhr ab und der Bewaffnete folgte der jungen Dame, deren Interesse wohl eher den Putzmacherläden und Schneidern der Wollgasse galt, die sich an einem Kanal fast quer durch Piedamonte zog. Michel blieb in behutsamen Abstand, denn der Leibwächter der jungen Dame blickte sich immer wieder um, schien allerdings nur die direkte Umgebung zu beobachten. Hm. Wenn Bellisario seine Tochter doch recht gut zu beschützen schien, schließlich waren Wachen beim Einkauf nicht sonderlich üblich, so sollte man sich das doch zu nutze machen können. Bislang war er ja nicht gerade weit gekommen und konnte nur hoffen, dass Sarifa mehr Glück gehabt hatte. Er schlenderte in einen Laden, der Posamente, Spitzen, Rüschen und Bänder feilbot und dessen Besitzer eine so sichtlich interessierten Kunden eilig bediente. Schließlich konnte er donna de Bellisario nicht in einen weiblichen Schneiderladen folgen. Mit gewissem Amüsement dachte er daran, dass das wohl für den Leibwächter kein sehr angenehmer Ausflug werden würde. Nach einigen Bändern trat er wieder auf die Straße und sah sich um. Direkt daneben lief der Kanal, der wohl auch der Belieferung der Läden hier diente, lagen doch kleine Kähne am gepflasterten Ufer. Jetzt war nichts mehr von der morgendlichen Geschäftigkeit zu spüren und die ersten Schneeflocken blieben auf den leeren Booten liegen. Es wurde bitter kalt und er fragte sich, ob er das unbeteiligte Mädchen wirklich in so eine unangenehme Lage bringen sollte, wie es sein Einfall gewesen war. Andererseits: ihr würde kaum etwas geschehen und sie war immerhin die Tochter eines Mannes, in dessen Haus Meuchelmörder ein- und ausgingen. Bei diesem Wetter waren kaum Menschen zu sehen, die, die es wohl tun mussten, hasteten mit Kapuzen über dem Kopf zu der Brücke, die über den Kanal in Richtung Marktplatz führte, sicher um dort einzukaufen. Es schien nicht gerade so, als würde die kleine donna zu oft Ausgang in die Stadt erhalten, wenn sie jetzt hier einkaufte. Sein Auftrag lautete, sich mit Bellisario bekannt zu machen – also musste er das Risiko eingehen, dass sich jemand wunderte. Ah, die junge donna kam mit einem Pakt aus dem Laden, das der Bewaffnete tragen durfte. Unprofessionell und natürlich für ihn selbst erleichternd. Sie wandte sich nach links, gefolgt von ihrem Leibwächter. Michel machte, dass er hinterher kam, schien den Bewaffneten rechts überholen zu wollen – ehe er ihm ein Bein stellte. Der Leibwächter stolperte, hielt krampfhaft das Paket unter seinen linken Arm geklemmt und versuchte sich abzustützen. Leider an der Dame vor ihm. Michel half nach, in dem er ihn seitwärts stieß. Donna de Belllisario und der Bewaffnete stürzten aufschreiend in das kalte Wasser des Kanals – immerhin lag kein Boot dort, wie Michel gesehen hatte, ehe er nun hineilte. „Oh je, donna...ist Euch etwas geschehen? Kommt, reicht mir die Hand....“ Wenn sie nicht schwimmen konnten, müsste er auch in das Wasser. Schließlich sollte sie ihn mit ihrem Vater bekannt machen und nicht ertrinken. Irgendwie gelang es ihm das Handgelenk des panisch um sich schlagenden Mädchens zu fassen und sie etwas aus dem Wasser zu zerren „Ganz ruhig,“ redete er weiter, sich mit einem Blick vergewissernd, dass der Bewaffnete zwar sein Paket verloren hatte, aber wohl schwimmen konnte: „Ich habe Euch...so, jetzt fasst meine andere Hand...Vorsicht, sonst falle ich auch noch hinein....so, gleich......“ Er zerrte die junge Dame nicht sonderlich sanft über die Steine der Ufermauer, aber das Mädchen war wohl zu erschreckt, um das auch noch zur Kenntnis zu nehmen. Jedenfalls zitterte sie und er konnte ihre Zähne klappern hören. Mit einem echten schlechten Gewissen löste er seinen warmen Umhang und legte ihn um sie: „Oh, je, arme kleine donna.....Wohnt Ihr hier in der Gegend?- Und was ist mit dem Mann dort?“ Sie bedachte ihren Begleiter, der sich soeben bemühte an eine Treppe zu schwimmen, mit einem vernichtenden Blick, ehe sie doch zugab: „Ich bin Florentina de Bellisario...mein....Meinem Vater gehört die Burg dort oben....“ „Oh, dann seid Ihr sicher mit einer Kutsche hier. Kommt, wo ist sie? Ihr solltet rasch in die Wärme.“ „Ich...ja, danke....“ Sie schien sich jetzt erst auf ihre Erziehung zu besinnen: „Vielen Dank, edler don....“ Doch, ein rascher Blick verriet ihr, dass ihr unbekannter Retter von Adel sein musste. „Ich weiß nur nicht, wo die Kutsche parkt....“ „Kommt. Ich bringe Euch erst einmal in meinen Gasthof, das ist nicht sehr weit, und die Wirtin wird sich gewiss um Euch kümmern. Dann schickt nach Eurem Kutscher.“ Er half ihr auf: „Er kann ja nicht weit sein und Euer Wappen wird die Wirtin sicher kennen.“ „Ja, das...das ist sicher gut.....“ Sie zog den Umhang enger um sich. Ihre Schuhe waren ebenfalls durchnässt und sie hatte das Gefühl jeden Moment zu erfrieren. Dieser...oh, sie konnte gar nicht sagen, für was sie ihren angeblichen Leibwächter hielt. Er hatte sie in das Wasser befördert! Und ihr schönes, neues, bestelltes Kleid im Kanal versenkt. Das konnte sie sicher nicht mehr tragen. Wenn dieser fremde Adelige nicht gewesen wäre..... Nur kurz darauf erklärte Michel seiner Wirtin was – offiziell - geschehen war, und übergab die durchnässte junge Dame deren Obhut, während er sich in den Speiseraum im ersten Stock zurückzog. Allein der kurze Weg vom Kanal hierher hatte ihn frieren lassen und er hoffte wirklich, dass die kleine donna nur eine Erkältung bekommen würde. Allerdings war ihm auch klar, dass er manchmal anders handeln musste, als er eigentlich wollte, um seinen Auftrag zu erfüllen. Jetzt konnte er eigentlich nur hoffen, dass die junge Dame ihrem Vater von ihrer Rettung erzählte und Bellisario Edelmann genug war, sich bei ihm zu bedanken. Das war ihm der bessere Weg erschienen, als sich diesem aufzudrängen. Kam der auf ihn zu, so wäre er selbst womöglich ein wenig unauffälliger. Stimmen aus dem hinteren Zimmer des Erdgeschosses ließen ihn annehmen, dass die Dienstboten inzwischen ebenfalls hier eingetroffen waren. Ein behutsamer Blick aus dem Fenster bestätigte, dass die Kutsche vor dem Gasthof hielt. Gut. Der Rest lag nun bei Bellisario. Er zog sich in sein eigenes Zimmer zurück und beschloss ein wenig zu schlafen. Zwei Stunden später weckte ihn Klopfen: „Ja? Ach, Frau Wirtin.....“ „Vergebt, don de la Montagne, wenn ich Euch störe. Aber don de Bellisario bittet Euch um die Ehre eines Gespräches.“ „Sagt ihm, ich komme.....in den Speiseraum?“ „Ja, ich werde es im ausrichten.“ Die Wirtin zog sich zurück und Michel legte eilig eine goldene Kette um und ordnete die Rüschen und Bänder an seinem Wams, ehe er rasch sein Haar bürstete. Es war wichtig, einen guten Eindruck zu machen. Er ging hinüber und neigte höfisch den Kopf: „Mein Name ist Michel de la Montagne. Ich habe die Ehre mit...?“ „Mario de Bellisario.“ Er war ein Mann Mitte der Fünfzig, graue Strähnen in den modisch langen Haaren verrieten es nur zu deutlich, aber er hielt sich noch sehr gerade. Sicher konnte er fechten, dachte Michel unwillkürlich, aber er bemerkte auch eine steifere Haltung des linken Armes – ein Dolch? Sarifa hätte es wohl genauer abschätzen können. Aber er neigte den Kopf erneut: „Bitte, nehmt Platz, edler don. - Ich hoffe, Eurer Tochter geht es gut?“ „Dank Eures umsichtigen Eingreifens, ja. Ich stehe wirklich in Eurer Schuld, edler don. Glaubt mir, der Mann, der diesen Unfall verursacht hat, wird es bedauern.“ Michel überlief ein gewisser Schauder – er war es ja gewesen, auch, wenn sich Bellisario wohl auf den Leibwächter bezog. Aber er lächelte nur: „Ich bin erfreut, der jungen Dame einen Gefallen getan zu haben. Es befand sich ja niemand auf der Straße. Es war nicht der Rede wert.“ „Bleibt Ihr noch einige Zeit in Piedamonte?“ Wusste er die Antwort? Hatte er ihn schon überprüfen lassen? „Leider ist der Sattler noch immer nicht ganz mit meinem Auftrag fertig. Wie lange dieser noch braucht, konnte – oder eher wollte - er mir nicht sagen. Aber da sich in wenigen Tagen hier ein großes Fest ereignen soll, werde ich dies sicher noch abwarten.“ „Ja, das Winterfest von Piedamonte ist berühmt. Es werden einige Gäste erwartet, sagte mir der Bürgermeister bereits. Dann werdet Ihr doch die Zeit finden mich auf meiner Burg zu besuchen? Ein kleines Abendessen, nur ein wenig Erkenntlichkeit für Eure Freundlichkeit gegenüber meiner Tochter. Kein gesellschaftliches Ereignis, eher familiär...“ Das bezog sich auf die notwendige Garderobe, war aber wohl auch ein Hinweis, dass Bellisario keine engere Freundschaft wünschte, auch, wenn er die Höflichkeit zu wahren gedachte. So lächelte Michel etwas: „Natürlich. Ganz wie es Euch beliebt.“ „Dann sagen wir...am folgenden Freitag? Am Tag vor Beginn des Winterfestes, dass Ihr doch sicher genießen wollt?“ „Natürlich.“ „Ich werde Euch meine Kutsche senden...oder habt Ihr...?“ „Nein, ich reiste mit der öffentlichen Post. Vielen Dank, es wäre sehr freundlich von Euch.“ Man verneigte sich höfisch ein wenig gegeneinander, dass verschwand de Bellisario. Erst dann erlaubte sich der Agent ein gewisses Aufatmen. Freitag käme er in die Burg, würde womöglich Sarifa sehen können, wenn schon nicht mehr. Und auf dem Winterfest wollte auch Graf Uther erscheinen, das erste Mal, dass er zu seinem Auftraggeber Kontakt aufnehmen konnte. Hoffentlich würde er etwas herausfinden oder hatte seine Partnerin bereits etwas in Erfahrung bringen können. Immerhin schien sie noch am Leben zu sein, und nicht aufgeflogen, sonst wäre Bellisario kaum so freundlich zu ihm. Oder war das nur eine Falle? Er würde sich vorsehen müssen. Und, um jeden Argwohn zu vermeiden, unbewaffnet hingehen. Tatsächlich ließ ihn de Bellisario von seiner Kutsche abholen. Neben dem Kutscher saß ein Bewaffneter, der Mann, der ihn persönlich abgeholt hatte, stieg zu ihm in den Innenraum. Er hatte sich ihm als Gianno vorgestellt, und Michel vermutete zu Recht in ihm den Anführer der Wachen. Auf seiner linken Brustseite zeichnete sich für geübte Augen eine kleine Ausbuchtung ab – ein zusätzlicher Dolch neben dem, den er offen in einer Scheide am Gürtel trug. Oben in der Burg sah sich Michel rasch um, seiner Meinung nach keine ungewöhnliche Geste für einen Gast, der ein unbekanntes Schloss betrat. „Kommt nur, edler don,“ sagte Gianno: „Don de Bellisario und donna Florentina erwarten Euch.“ Also die Tochter. Gab es keine Ehefrau? Immerhin schien das Mädchen das kalte Bad unbeschadet überstanden zu haben. „Ich hoffe, die junge Dame befindet sich wohl...“ Das verlangte nach keiner Antwort, war aber eine höfliche Bemerkung. Bei dem Gastempfang in der steinernen Vorhalle stellte Mario de Bellisario seine Tochter seinem Gast noch einmal offiziell vor, ehe er sich noch einmal bedankte und dies auch die – nun weitaus schüchternere - junge Dame tat. Dann wurde zum Essen gebeten, in einem kleinen, deutlich modernisierten Raum, der den heutigen Maßstäben entsprach, beheizbar war und auch die Mauern verputzt. Ein Tisch war für vier Personen gedeckt worden, wie Michel sofort bemerkte. Gab es doch eine donna de Bellisario, eine Ehefrau? Ihm wurde der Platz neben der Tochter des Hauses zugewiesen, üblich höfisch. Drei Lakaien in Uniform in den Farben de Bellisarios standen herum, schoben Stühle zurecht und würden wohl bei Tisch bedienen. Unbewaffnet, wie es schien. Aber dennoch wiegte sich Michel nicht für einen Moment in dem Gefühl der trügerischen Sicherheit. Hier waren Polizisten verschwunden und er verspürte wenig Lust, die Nummer Sechs auf der Liste zu werden. Beim kurzen Gang über den Hof und durch die Burg hatte er seine Partnerin nicht entdecken können – gutes oder schlechtes Zeichen? Er wusste nur zu gut, dass sie, Assassine hin oder her, ihn nicht lange würde decken können, hätte sie erst einmal das Misstrauen des Hausherrn erregt. Es gab da überaus probate Mittel. Leider. Aber er lächelte höflich, als er mit Florentina de Bellisario einige Artigkeiten austauschte, ehe die Tür sich erneut öffnete und ein Lakai eine junge Dame hereinließ. Im ersten Augenblick dachte Michel an die Hausherrin, ehe er sie erkannte. Sarifa! Sie beging nicht den Fehler ihn anzusehen, sondern achtete auf ihren „Arbeitgeber“. Michel erhob sich, wie es üblich beim Eintreten einer Adeligen war. Er durfte nicht wissen, wer oder was sie war. Mario de Bellisario wandte sich ihr zu: „Ah, meine Teure, schön dass Ihr kommen konntet. So können wir doch unser Mahl beginnen....Ich darf vorstellen: Michel de la Montagne, der Retter meiner Tochter – donna de Cyr.“ Zum ersten Mal wagten es die Partner sich in das Gesicht zu sehen, einander anzulächeln, auch, wenn es nur den kurzen, höflichen Moment dauern durfte. „Entzückt, Euch kennenlernen zu dürfen, ma donna,“ sagte Michel nur mit einer leichten Neigung des Kopfes, ohne seine Erleichterung zu zeigen. Also lebte sie noch, war nicht aufgeflogen – was jedoch hatte sie in diesen drei Wochen herausbringen können? Sarifa nickte ihm zu: „Gleichfalls. Ich hörte, dass Ihr donna Florentina aus dem Kanal halft.“ Am Liebsten hätte sie ihn umarmt, aber das wäre natürlich überaus unprofessionell gewesen. Aber nach drei einsamen Wochen, in denen sie jedes Wort, jede Geste auf die Goldwaage legen musste, ohne jedoch zu deutlich zu zögern, war es schön, ein vertrautes Gesicht wiederzusehen. Es gab ein gewisses Gefühl der Sicherheit – war aber auch trügerisch, wie sie wusste. „Bitte, donna de Cyr, nehmt Platz.“ Auf diesen Satz des Hausherrn hin zog ein Lakai den Stuhl neben ihm zurück und die angebliche donna setzte sich, ehe Mario de Bellisario neben ihr Platz nahm: „Nun, können wir essen....“ Beim Essen führten die Vier höflich Konversation, ehe sich die Damen zurückzogen und die beiden Herren sich in dem Arbeitszimmer des Burgherrn niederließen, um noch Wein zu trinken. Michel erzählte dabei, seiner Rolle getreu, vom Kaiserhof, de Bellisario fragte nach einigen Leuten, die er dort getroffen hatte. Allerdings hoffte der Agent, dass seinem Gastgeber nicht auffiel, dass er nach einem Versteck Ausschau hielt. Irgendwo hier im Arbeitszimmer sollten sich die wichtigen Unterlagen befinden, die Nachweise, dass de Bellisario mit den Meuchelmördern in Verbindung stand. Ob Sarifa schon etwas herausgefunden hatte? Er persönlich tippte ja auf diesen Wandteppich, der so unschuldig direkt hinter dem Burgherrn hing – der Einzige im gesamten Raum. Dahinter ließ sich gut ein Wandfach verbergen. Aber ein Einbruch heute Nacht wäre überaus riskant. Irgendwie müsste er seine Partnerin treffen. Nur, wie? Er kannte sich in der Burg nicht aus, sie dagegen hatte bereits drei Wochen hier verbracht. Nein. Er musste hoffen, dass sie ihn aufsuchte, falls er überhaupt hier übernachten durfte. Es wäre allerdings nicht sehr nett von de Bellisario gewesen, den Retter seiner Tochter in die mittlerweile eisige Nacht hinauszujagen. Tatsächlich war es bereits fast Mitternacht, als der Burgherr schließlich meinte: „Ich sollte Euch Euer Gästezimmer zeigen lassen. - Gianno!“ „Natürlich. Vielen Dank.“ Gianno – also der Anführer der Wachen. Dieser musste vor der Tür gestanden haben, da er prompt mit einer Kerze hereinkam. Doch, in der Tat. De Bellisario war ein überaus vorsichtiger Mann. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, don de Bellisario.“ „Euch ebenfalls, don de la Montagne.“ Der Burgherr goss sich noch einen Wein ein. Wollte er noch länger aufbleiben? Dann würde ein Versuch das Arbeitszimmer zu durchsuchen scheitern. Überaus vorsichtig, in der Tat. Michel folgte jedoch Gianno ein Stockwerk höher. „Hier ist ein Waschraum und auch ...äh...“ Gianno suchte sichtlich nach höflichen Worten. Michel winkte daher ab: „Ich verstehe, danke. Und mein Bett?“ „Hier, den Gang entlang. Die vierte Tür.“ Er öffnete sie und trat ein, fast unverzüglich die frische Kerze auf dem Tisch anzündend. Michel sah sich rasch um. Ein kleines Zimmer, dunkle, altmodische Möbel, ein kleines Fenster, das mit einem dicken Fell verhüllt war. Immerhin gab es hier einen Kamin, auch, wenn kaum geheizt werden würde. Es war kalt und als er die Hand auf das Bettzeug legte, so war es klamm. Aber das war in alten Gemäuern eben so und er war froh, dass er in Paradisa ein deutlich moderneres Haus bewohnte. Nun gut, auch da musste er das Holz bezahlen. „Vielen Dank, Gianno....“ Etwas Trinkgeld wechselte den Besitzer, dann fand sich Michel allein. Nur, um herumzufahren, als er im matten Kerzenlicht eine Bewegung hinter sich mehr ahnte als sah. Seine Partnerin lächelte, legte jedoch den Finger auf den Mund, ehe sie zur Tür huschte und lauschte. „Er ist weg,“ flüsterte sie. Sie trug Männerkleidung, aber nicht ihre Rüstung. Ihren Umhang hatte sie sowieso in Paradisa gelassen, um sich nicht als Assassine zu verraten. „Gut. Dein Bericht?“ „Die Unterlagen befinden sich im Arbeitszimmer. Don de Bellisario wird bald ins Bett gehen, denn er bleibt nie nach Mitternacht auf, dann kannst du sie dir ansehen. Ich wusste nicht, welche Unterlagen für Graf Uther wichtig sind. Du musst dir das abschreiben.“ „Er steht in Verbindung mit den Meuchelmördern?“ „Ja. Ich soll welche ausbilden. Michel, sie stammen in der Mehrheit aus zwei Dörfern, die im Sumpf liegen, seit zwanzig Jahren. Der Kaiser und der König von Pisan haben damals den großen Fluss dort umgeleitet und so die gesamte Sumpfregion trockengelegt.“ „Ja, das weiß ich. Es war eine Brutstätte für Malaria und so wurde viel neues Ackerland geschaffen.“ „Fast. Bis auf diese beiden Dörfer. Ihre fruchtbaren Felder wurden in Sumpfland verwandelt. Um nicht zu verhungern, benötigten sie andere Einkünfte. Einer von ihnen hatte bereits als Meuchelmörder gearbeitet und kam als reicher Mann zurück. Darum auch die anderen....“ „Autsch.“ Michel dachte rasch nach. Also aus diesem Grund gab es seit zwanzig Jahren so viele Meuchelmörder. Not – und Hunger – konnten einen Menschen weit treiben. Da war wohl ein Fehler bei der gut gemeinten Trockenlegung passiert – Tausenden ging es besser und zwei Dörfer waren übersehen worden. „Wie sieht es hier mit Wachen aus?“ „Keine hier im privaten Wohntrakt. Es sei denn, es ist etwas geändert worden, weil du hier übernachtest, aber ich konnte auf meinem Herweg niemanden feststellen.“ „Gut. Dann gehen wir gemeinsam zum Arbeitszimmer. Du zeigst mir die Unterlagen, ich schreibe das Wichtigste ab und gebe es dir dann.“ „Wäre es nicht sinnvoller, du nimmst es mit hinaus?“ „Du bist unter Tarnung und im Zweifel, falls unser kleiner Einbruch bemerkt wird, werde ich der Verdächtige Nummer Eins sein. Morgen beginnt übrigens das Winterfest. Graf Uther wird dort sein.“ „Ich weiß. Übermorgen werde ich abreisen, das wurde mir nahegelegt.“ De Bellisario schien sich wirklich abzuschotten. „Du kannst mit dem Grafen fahren. Dessen Kutsche wird kaum durchsucht werden.“ Er musste ein wenig lächeln. Nein. Nicht einmal der König von Pisan würde es wagen, die Kutsche eines Sonderbotschafter des Kaisers anzutasten, um wie viel weniger, wenn es sich dabei auch noch um Dagoberts Bruder handelte. „Gut. Gehen wir hinunter. Ich glaube, ich hörte eine Tür.“ Und in diesem Stockwerk würde nur der Hausherr schlafen. Sarifa nahm die Kerze. *** Das nächste Kapitel bietet dann: Einbrüche und sonstige Überraschungen Kapitel 26: Einbrüche und andere Überraschungen ----------------------------------------------- Nur wenig später standen die beiden Agenten im Arbeitszimmer des Burgherrn. Sarifa stellte die Kerze auf dem Schreibtisch ab. Michel ging zur Wand. Dort, hinter dem einzigen Teppich, vermutete er ein Geheimfach. Er blieb jedoch stehen, als seine Partnerin: „Nein,“ flüsterte, und drehte sich um. Sie hatte drei Wochen in Bellisarios Burg verbracht – also wusste sie mehr als er. Sie deutete auf den Schreibtisch und öffnete ein Schubfach. Er trat zu ihr. Im schwachen Kerzenschein nahm sie Papier heraus, ehe sie sich bückte und nach einem verborgenen Hebel tastete. Michel wartete kurz, ehe er den Grund erkannte: aus der Tischplatte hob sich eine unsichtbare Lade. „Nicht schlecht,“ murmelte er: „Du hast Talent als Einbrecher. Woher die Weisheit?“ Aber er griff schon hin, um die Papiere abzuschreiben. „Beobachtung. Die meisten Menschen fühlen sich sicher, wenn sie allein sind. Kaum einer sieht aus dem Fenster, ob ihn jemand beobachtet,“ gab sie leise zurück: „Das ist hier doch wichtig?“ „Ja. Die Bankdaten und Namen.“ Er schrieb hastig: „Hör zu: du nimmst das, was ich schreibe, und gibst es morgen Graf Uther, egal wie. Kümmere dich nicht um mich, ich komme hier schon irgendwie wieder raus, dies ist wichtiger. Und die Tatsache, dass die Meuchelmörder einen verdammt guten Grund haben, sich solche Aufträge zu besorgen.“ „Gut.“ Die Assassine ging um den Tisch, um zwischen dem Licht und dem Fenster zu stehen: „Du meinst, er wird dich verdächtigen, wenn er etwas bemerkt.“ „Ja. Ich bin hier der Fremde....“ „Ich auch,“ gab sie zu bedenken. „Du warst schon drei Wochen hier. Und ich hoffe doch, dass sie bei dir vor einer Leibesvisitation zurückschrecken“ „Belllisario schreckt kaum vor etwas zurück. Weißt du, wie er den Mann bestrafen ließ, der seine Tochter nicht vor dem Sturz in kaltes Wasser bewahrte?“ „Will ich das wissen? - So.“ Michel wedelte das Papier, um die Tinte trocken zu bekommen: „Hier.“ Sie nahm es und rollte es zusammen, ehe sie es in den Ausschnitt steckte. Zwischenzeitlich hatte er den Schreibtisch wieder so geordnet, wie er zuvor gewesen war: „Was ist eigentlich hinter dem Teppich dort?“ „Eine Falle für Einbrecher, erzählte mir Gianno.“ Die Abende in der Burgschänke waren in der Tat nützlich gewesen, zumal sie im Gegensatz zu den Männern nicht dem Wein zugesprochen hatte. Aber es hatte, jedenfalls einseitig, Vertrauen geschaffen. „Oh. Gut zu wissen. Wie geht die Lade wieder hinein?“ „Moment.“ Sie bückte sich, tastete: „Das müsste doch gehen.....“ „Mach schon. Sonst weiß Bellisario auf Anhieb, dass wer hier war.“ Sarifa war dies ebenso bewusst, aber sie hatte nur vom Fenster aus zugesehen und musste herumsuchen, ehe plötzlich der verborgene Mechanismus schnappte und die Lade sich mit einem gewissen Knack in die Schreibtischplatte senkte. Unwillkürlich erstarrten beide und lauschten. Dann meinte Michel leise: „Mist, da ist doch was gewesen...? Los, hoch in den anderen Stock. Ich muss in mein Zimmer.“ Auch Sarifa glaubte eine Tür klappen gehört zu haben, aber das war nicht sicher. War jemandem doch der um diese Zeit ungewohnte Lichtschein im Arbeitszimmer des Burgherrn aufgefallen? Die Beiden hasteten so rasch es ging, möglichst jedes Geräusch vermeidend, den Gang entlang, die Treppe empor. Michel packte die Assassine am Handgelenk und zog sie mit sich seitwärts, bereits eine Tür öffnend. Sarifa folgte sofort – zum Glück war sie gut genug ausgebildet worden um bei so etwas ihrem Partner zu vertrauen, dachte er noch. Da gab es keine überflüssige Frage: was soll das....? Er schloss die Tür und lehnte sich dagegen, lauschte. Doch, er hatte sich nicht geirrt. „Gianno und Bellisario reden....“ flüsterte er, ehe er sich hektisch zu bewegen begann. Sarifa bemerkte irritiert, dass er sich Wams und Beinlinge förmlich herunterriss, zumal sie in einer Art Badezimmer standen, ehe er ihr die Kleidung in die Hand drückte: „Schnell, bring das irgendwie in mein Zimmer....“ Dann fügte er doch noch erklärend hinzu: „Ich schlief und war nur auf Toilette – keiner traut einem Halbnackten einen Einbruch zu...“ Sie gab ihm die Kerze, ehe sie wortlos die Kleidung nahm und zusammenrollte. Wie auch immer Gianno sie bemerkt hatte – oder auch nur den Einbruch – Michels Idee war das Beste, was sie hatten. Denn er hatte Recht: Nur mit einem Hemd angetan und mit einer Kerze „bewaffnet“, würde er deutlich unauffälliger wirken als vollständig bekleidet. Er verließ das Bad samt der kleinen Toilettennische und ging zu seinem Zimmer, ohne sich nach seiner Partnerin umzudrehen. Kam niemand, wäre es nur umso besser. Er zuckte jedoch unwillkürlich zusammen und blieb stehen, als sich eine Tür auf der rechten Seite öffnete. Gianno, der Anführer der Wachen Bellisarios, samt seinem Herrn kam aus dessen Schlafzimmer. Beide griffen unwillkürlich zum Dolch, als sie ihn sahen. Mario de Bellisario entspannte sich dann, als er bemerkte, dass sein Gegenüber nur ein Hemd trug, das kaum seine Blöße bedeckte. „Oh, guten Abend, oder eher gute Nacht, don de la Montagne. Was führt Euch denn hierher?“ „Äh...der Weg zurück in mein Bett,“ erklärte Michel, etwas erleichtert, dass sein Plan aufzugehen schien: „Aber Ihr, werter don, seht mir etwas beunruhigt aus...und Euer Mann ebenfalls....“ Das bezog sich darauf, dass Gianno den Dolch noch immer in der Hand trug. Durchaus eine heikle Situation und er war vermutlich als einer der Wenigen froh, die Wurfmessser einer Assassine hinter sich zu wissen. Oder vor sich. Wie zum Henker....? Er brach seine Gedanken ab, denn er musste die beiden Männer vor sich von der Tatsache ablenken, dass Sarifa soeben in ihrem Rücken aus seinem Zimmer kam. Anscheinend war sie außen über die Fenster die Wand entlang geklettert, um seinem Befehl nachzukommen, seine Kleidung in sein Zimmer zu bringen. Nun ja, ganz so riskant hatte er das nicht gemeint, aber es war gut. Sie kam eilends heran: „Don de Bellisario...“ Sie atmete rasch, aber das passte zu ihrem Plan. Dieser drehte sich um: „Donna de Cyr...?“ Er war etwas irritiert, war das doch der Trakt für ihn und seine männlichen Gäste, aber es schien wichtig zu sein. „Jemand lief soeben über den Hof, der nicht Eure Farben trug!“ erklärte sie ohne rot zu werden: „Ich war...zufällig unterwegs. Er ging zum Nordturm und ich wollte Euch Meldung machen. Keine Wachen waren zu sehen....Aber Gianno sagte es wohl schon?“ Das klang wie ein Lob von Profis untereinander und der Gemeinte nickte auch etwas geschmeichelt. Der Hausherr blieb sachlich: „Er meldete einen Einbrecher, in der Tat. Donna, Gianno – bringt mir den Kerl, tot oder lebendig. Am liebsten lebendig,“ erklärte de Bellisario, der keinen Grund sah an dieser Aussage zu zweifeln. Und Giannos Vermutung, der Einbrecher sei Montagne, war kaum glaubhaft, zumal in Anbetracht der Tatsache, dass dieser sich gerade anscheinend verzweifelt bemühte, sein Hemd mit einer Hand so herunterzuziehen, dass die donna keinen Blick auf ihn bekam. Niemand würde doch so mangelhaft bekleidet in einer, ja, feindlichen Burg zum Einbrechen gehen. Und donna de Cyr hatte sich in den vergangenen Wochen trotz genauer Beobachtung keinen Kontakt nach außen oder zu sonst wem geleistet. Nein, sie war wohl einwandfrei das, wofür er sie hielt – und Montagne kannte er von seinem Besuch in Paradisa vor einigen Jahren,wenn auch nicht genauer. Aber schon da war er dieser arrogante, übermäßig modisch gekleidete Stutzer gewesen. Nicht gerade jemand, der für die Polizei arbeitete, die bekanntermaßen nicht genug zahlte, um sich einen solchen Lebensstil leisten zu können. Als die Beiden abdrehten, um seinen Befehl auszuführen, wandte er sich daher an seinen Gast: „Ab und an gibt es Idioten, die meinen, hier einbrechen zu können. Eine sehr unschöne Zeiterscheinung, findet Ihr nicht? Ihr entschuldigt mich, ich will die Jagd überwachen. Gute Nacht, derweil.....“ Er öffnete die Tür des Gästezimmers. Tatsächlich, dort lag die restliche Kleidung seines Gastes neben dem Bett, sehr unordentlich. Natürlich verfügte Montagne wohl zuhause über einen eigenen Diener, so dass er nicht daran gewohnt war, solche Handgriffe selbst zu tun. „Nun, dann Euch ebenfalls gute Nacht, don de Bellisario – und gute Jagd.“ Michel wagte erst aufzuatmen, als er allein war. So bekleidet kam er sich in der Tat recht hilflos vor – aber er war mehr als froh um diese Partnerin. Natürlich würden sie den Einbrecher nicht finden, sie hatte jedoch sowohl ihn geschützt als auch ihre Tarnung gewahrt. In der Tat: eine Partnerin. Wobei er noch immer nicht wusste, wie die Assassine das sah. Redeten sie oder jemand ihrer Familie darüber, lag in dem Partner-Begriff immer etwas, das er nicht deuten konnte. Aber fragen wäre wohl mehr als unhöflich gewesen. Allerdings musste er sie noch fragen, was sie eigentlich in den letzten drei Wochen getrieben hatte. Hoffentlich doch nicht Meuchelmörder in der Kunst des Tötens ausgebildet? Aber irgendwie hatte er den Verdacht, dass sie genau das getan hatte. Kaiser Dagobert lächelte etwas: „Es freut mich, Anawiga.“ Sie lagen in ihrem Schlafzimmer – wohl der einzige Ort außer Uthers Arbeitszimmer, an dem er sich unbelauscht wusste. Seine Gemahlin hätte um ein Haar geseufzt: „Natürlich ist Euch bewusst, wie hoch das Risiko ist, dass...dass etwas schiefgeht.“ „Natürlich. Leider sind Fehlgeburten nur zu häufig. Aber ich freue mich, dass Ihr mit Eurer Mitteilung vermutlich schwanger zu sein, nicht noch länger gewartet habt. Habt Ihr bereits den Hofarzt informiert?“ „Nein. Eben, weil es noch sehr unsicher ist. Und ich nicht sicher bin, wer alles mich beobachtet, ja, wen meine Hofdamen informieren.“ „Das ist leider wahr. Diesbezüglich dürftet Ihr die am besten beobachtete Frau des Reiches sein. Aber das gehört dazu, wie Ihr wisst. Ich werde mich also unwissend stellen, möchte Euch jedoch bitten, Euch in der nächsten Zeit zu schonen, wie zum Beispiel die Hofjagd unter einem Vorwand abzusagen.“ „Wie Ihr wollt.“ Anawiga war klar, dass ab nun die Verantwortung allein bei ihr lag – hatte Dagobert doch bewiesen, dass eine mögliche kinderlose Ehe nicht an ihm liegen konnte. Und Kinderlosigkeit war neben Untreue ein Grund die Scheidung zu verlangen. „Ich...darf Euch um etwas bitten?“ „Natürlich, meine Liebe.“ „Schweigt auch gegen Markward und Graf Uther.“ Dagobert betrachtete sie kurz, ehe er sagte: „Ich verstehe. Ja, das werde ich tun – zumindest gegenüber Uther allerdings nur, bis er aus Pisan zurück ist.“ „Danke. Das meinte ich.“ Sie hatte Angst, erkannte er: „Ich werde zusehen, dass Ihr besser geschützt werdet, natürlich unauffällig.“ Markward war doch kein solcher Idiot seine Stiefmutter umzubringen, nur, weil sie ein Kind erwartete. Nun, zumindest hoffte das der geplagte Vater schwer. Uther dagegen würde sicher nichts gegen sie unternehmen – die Idee mit einem dritten Sohn stammte schließlich von ihm. Überdies kannte Dagobert seinen Bruder nur zu gut. Nach seiner so unglücklich endenden Beziehung mit Renata, die bei der Geburt ihrer Tochter starb, hätte er wie immer sonst etwas für das Reich getan – aber nie einer Schwangeren ein Leid zugefügt. Mit leisem Unbehagen wurde dem Kaiser bewusst, dass die Möglichkeit des Sterbens bei jeder Geburt bestand und legte unwillkürlich den Arm um Anawiga: „Es wird schon alles gut gehen,“ murmelte er. Der Bruder des Kaisers ritt derweil mit seiner Entourage in das winterlich kühle Piedamonte ein, höflich begrüßt vom Bürgermeister und einigen örtlichen Adeligen. Er kannte die Riten, die eintönigen Empfänge nur zu gut, aber er war es gewohnt seine Langeweile nicht zu zeigen. Für viele Menschen war es ein Ereignis, von dem sie lange erzählen würden, den Kaiser oder ein Familienmitglied gesehen zu haben, ja, mit ihm gesprochen zu haben. Ebenso hütete er sich zu erkennen zu geben, wie froh er war, als Michel de la Montagne sich ihm näherte, nach einem höfischen Wortwechsel allerdings wieder in der Menge verschwand. Er lebte und hatte den Auftrag wohl erfolgreich beendet, wie eh und je – und Graf Uther gab zu erleichtert zu sein. Allerdings ahnte er da noch nicht, dass er den Schreck seines bisherigen Lebens erhalten würde, als er in der Gästesuite der Ratsherren von Piedamonte allein war. Seine Wachen standen vor der Tür, wie stets Mitglieder der Elitetruppe der Leibgarde. Es war nur ein leiser Laut, ein Knacken, mehr geahnt als gehört. Uther fuhr herum, bereits die Hand unter dem Wams, um seinen Dolch zu ziehen, als er erkannte, wer da so plötzlich hinter ihm war. „Sarifa....“ flüsterte er, um nicht die Männer vor der Tür auf sich aufmerksam zu machen. Verdammt, sie war eine Assassine – und er sollte nie vergessen, dass sie gefährlich war. Aber sie lächelte etwas und griff in ihren Ausschnitt, was ihn zunächst verwirrte, ehe er das beschriftete Papier erkannte. „Michel hält das für wichtig,“ erklärte sie leise: „Bankdaten und Namen. Er hat es abgeschrieben.“ „Gut, danke.“ Er nahm es, bemüht, seinen jagenden Puls zu beruhigen: „Weitere Neuigkeiten, meine Liebe?“ „Die Meuchelmörder stammen zu einem sehr großen Teil aus genau zwei Dörfern.“ „Wie bitte? Oh, verzeiht mein schlechtes Benehmen – nehmt doch Platz.“ Als beide saßen erklärte Sarifa erneut die Lage in zwei Dörfern, die durch die Trockenlegung der Sümpfe ruiniert worden waren. Uther hörte schweigend zu. Erst als sie geendet hatte, meinte er: „Ich werde Kanzler Godomar einmal darauf ansetzen. Entweder ist den verantwortlichen Ingenieuren von zwanzig Jahren ein fataler Fehler passiert – oder aber es war Absicht. So oder so sollte der Kaiser einen Grafen dorthin schicken.“ Also einen Sonderbotschafter mit außergewöhnlichen Vollmachten. „Wenn diese Dörfler um des Goldes willen handeln, sollte man zusehen, dass sie dies im Auftrag des Kaisers tun. - Müsst Ihr zu Bellisario zurück?“ „Nein. Im Gegenteil. Mich sollte niemand von dort mehr sehen. Offiziell reise ich heute ab.“ „Ich bin zu Pferd hier....Hm. Oh, ich lasse eine Kutsche bereitstellen, die mich morgen weiterbringt. Ich habe doch ein Alter erreicht, in dem man mir abnimmt, dass ich durch Reisen ermüdet werde.“ Und im Gegensatz zu seinem älteren Bruder hing nicht die Krone daran, ob er reiten konnte: „Ihr werdet Euch gewiss darin aufhalten können. Könnt Ihr Michel ausrichten, dass er außerhalb von Piedamonte ebenfalls zu mir steigen soll?“ „Natürlich.“ Sarifa lächelte: „Dann benötigt Ihr uns nicht mehr?“ „Nein. Euer Auftrag hier ist erledigt, ich habe dies auch Michel schon wissen lassen. Nur eine kleine Anmerkung: ich dachte eigentlich, dass ich gut geschützt werde – wie seid Ihr hier hereingekommen?“ „Durch das Fenster. Und ja, Ihr werdet gut geschützt. Man muss schwindelfrei sein und ausgebildet, um Euren Wachen zu entgehen.“ „Steigerungen wären wohl möglich,“ erklärte Uther trocken. Immerhin war er so gut bewacht, dass es nur einem Profi gelingen konnte zu ihm vorzudringen. „Übrigens: Ihr habt tatsächlich Meuchelmörder ausgebildet? Ihr habt schon daran gedacht, dass König Elymian gut bewacht wird.“ Er wollte nicht aussprechen, dass er Assassinen als Wachen vermutete. „Ja. Ich habe auch keine Informationen weitergegeben, die meinen Cousins schaden würden. Und keiner der Männer, die bei Bellisario sind, käme an König Elymian heran. Das habe ich ihnen mehr oder weniger deutlich gemacht. “ Sie klang sachlich – obwohl sie die Besorgnis begriff. „Cousins....Weiß Elymian eigentlich, wer ihn bewacht?“ Es war reine, menschliche Neugier, die ihn diese Frage stellen ließ. Schließlich waren Assassinen noch immer von einer förmlichen Dunstwolke aus unheimlichen Gerüchten umgeben. „Nein, wenn Ihr meint, ob er weiß, dass es Assassinen sind. Unser Dorf stellt seit fast zweihundert Jahren die Leibwache für die Könige von Cinquanta und es gab nie einen Grund dies zu ändern. Keiner versagte je.“ „Davon bin ich allerdings überzeugt, meine Teure.“ Er musste nur daran denken, wie einfach sie ihn hätte umbringen können. Zum Glück war ihr Volk kaisertreu. „Ich werde später den Bürgermeister um eine Kutsche bitten, so dass Ihr die Nacht bereits dort verbringen könnt.“ „Danke.“ „Dann geht nun.“ Er beobachtete neugierig, wie sie sich höflich vor ihm verneigte, dann zum Fenster trat und hinabsprang. Als er hinterher ging, um auf die fast fünf Meter tiefer liegende Straße zu blicken, war sie bereits verschwunden. Als Graf Uther am folgenden Morgen in seine Kutsche stieg, war er nicht überrascht, schon erwartet zu werden. Dennoch sprachen weder er noch Sarifa, bis Michel in einer kleinen Postkutschenstation zustieg – für die Wachen und den Kutscher scheinbar freundlich vom Kaiserbruder eingeladen. Erst dann meinte dieser: „Schön, dass Ihr beide den Auftrag erfüllt habt. Nun besitzt der Kaiser auch die Möglichkeit das Unwesen der Meuchelmörder zu beseitigen. Sicher, es wird immer wieder Menschen geben, die für Geld morden und auch welche, die sie beauftragen, aber es wird doch deutlich besser werden, wenn gleich zwei Dörfer als Quelle wegfallen. Wie viele Männer schätzt Ihr, Sarifa?“ „Gewiss über hundert. Dazu Frauen. Darf ich Euch eine Frage stellen?“ „Natürlich.“ „Benötigt Ihr mich sofort wieder? Ansonsten würde ich gern in Morinha umsteigen und nach Hause fahren, auf einen Familienbesuch.“ Uther, der von der Entwicklung in der Hauptstadt keine Ahnung hatte, vermutete, sie nicht schon wieder losjagen zu müssen, war er doch dem Meuchelmörderproblem endlich auf der Spur. „Ihr habt Euch einen Kurzurlaub sicher verdient. Fahrt nur. Ihr auch, Michel?“ Der war erstaunt: „Ich glaube nicht, dass ich in dem Dorf etwas verloren habe.“ „Du bist mein Partner,“ meinte Sarifa mit einem Lächeln: „Und du kennst meinen zweitältesten Bruder ja schon.“ „Du hast fünf.....“ „Ja, drei älter als ich und zwei jünger,“ gab sie zu: „Aber gerade meine großen Brüder sind deutlich besser als ich.“ Irgendwie bot das Michel wenig Trost, wenn er sich an seine kurze Bekanntschaft mit nur einem ihrer Brüder erinnerte. Der war schließlich verflixt schnell mit dem Dolch gewesen. Aber eine Einladung in das ominöse Dorf war nichts, was ein auch nur etwas neugieriger Mann ablehnen würde: „Ich komme ja mit.“ Markward vernahm die Neuigkeit mit einem Stirnrunzeln: „Die Kaiserin ist also möglicherweise schwanger.....“ „Möglicherweise,“ gab Chilperich zu: „Aber Ihr wisst, dass das immer eine sehr gefährliche Zeit ist.“ „Ja. Ich habe auch nicht die Absicht nachzuhelfen...vielleicht in einigen Wochen oder Monaten. Du könntest trotzdem mal behutsam bei einer Hebamme nachfragen.“ „Ich werde nachfragen, aber nicht bei einer Hebamme. Bedenkt, dass die Kaiserin die Hebammenschule leitet und dort angesehen ist.“ „Wo du Recht hast...Nun, ziehe Erkundigungen ein. Aber solange nichts offiziell verlautbart wird, kann man ruhig abwarten.“ Markward lehnte sich zurück: „Mein lieber Vater hat mir übrigens den Auftrag verpasst, mich in die Bergwerke einarbeiten zu sollen, die hier im Kernland sind.“ „Ein sehr interessantes Aufgabenfeld. Oder solltet Ihr übersehen, dass Ihr dann genau wisst, wann und wohin die Lieferungen abgehen?“ „Du bist schlau, mein lieber Chilperich, du wirst ein guter Kanzler sein. Das hatte ich übersehen. Ja, Gold und auch Kupfer, aber auch Eisen könnte man teuer verkaufen..“ Und je mehr Geld er privat zur Verfügung hatte, desto leichter wäre es für ihn auch, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Verbündete und auch Meuchelmörder waren nun einmal eine teure Angelegenheit. Auch, wenn er durchaus Hemmungen hatte, letztere anzuheuern – es mochte notwendig werden. Vater hatte in seinem Alter schon Kriege geführt und Hinrichtungen befohlen, da sollte er nicht mit einem Gewissen zurückschrecken. ** Das nächste Kapitel bietet: Heimkehr Kapitel 27: Heimkehr -------------------- Fast zwei Wochen nach dem Winterfest in Piedamonte traf Graf Uther in der kaiserlichen Hauptstadt ein. Nach einem warmen Bad führte ihn sein Weg direkt zu seinem Bruder. Kaiser Dagobert empfing ihn unverzüglich. Auch in Paradisa war es deutlich kühler geworden, würde aber kaum schneien. Dennoch trug der Kaiser eine wärmende Weste über seinem Wams. Uther sah es ein wenig besorgt, aber das war wohl ein Tribut, den sie langsam ihrem Alter zahlen mussten. Der ältere Bruder winkte, sichtlich erleichtert, den Jüngeren gesund wiederzusehen: „Setz dich. Wie war die Reise?“ Der Geheimdienstleiter nahm Platz: „Recht gut. Wir sind dem Schnee in den Bergen ein wenig vorausgefahren. Auch gab es keine Zwischenfälle, die Wege scheinen sicherer geworden zu sein. Das Winterfest bot neben den gewöhnlichen Empfängen wirklich etwas neues für mich. Diese nächtliche Schlittenfahrt auf dem zugefrorenen Marktplatz in kleinen Schlitten, zur Musik, die Läufer mit den schmalen Brettern...das ist wirklich eigen. - Ich denke, der König von Pisan wird seine Ratgeber überprüfen. Ich gab ihm zu verstehen, dass du hörtest, dass dort jemand spioniert.“ „Gut. Und Bellisario selbst? Das heißt, ehe wir zum Geschäftlichen kommen, noch eine persönliche Mitteilung. Anawiga war schwanger.“ „Sie war?“ Uther begriff: „Wie geht es ihr?“ fragte er unverzüglich. Sein kleiner Bruder und sein Trauma: „Recht gut. Sie wusste, dass damit zu rechnen ist, und...Sie hatte nur einen Tag Schmerzen, danach erholte sie sich. Sie war nur ein wenig unglücklich, aber ich machte ihr Hoffnung.“ „Natürlich.“ Der Graf atmete etwas auf. Schwangerschaften waren immer eine gefährliche Sache für Mutter und Kind. „Du hast die Nachricht dennoch ausgegeben?“ „Ja, allerdings ohne es ihr zu sagen. Es ist zu wichtig für meinen Ruf.“ Ein Kaiser, der zeugungsunfähig war oder auch nur nicht mehr reiten konnte, war kein richtiger Mann mehr und verlor damit nur zu leicht in den Augen der Herzöge oder anderen Mächtigen des Reiches seinen Anspruch auf die Würde und Macht. Sicher, er hatte zwei Söhne vorzuweisen, dennoch bewies die Fehlgeburt der Kaiserin, dass er noch immer welche zeugen könnte. Schließlich war das ihr Fehler – nicht seiner. „Sie wird es wissen,“ meinte Uther, wieder sachlich werdend. Er schätzte die Intelligenz seiner Schwägerin durchaus richtig ein. Dagobert tat dies ebenfalls: „Ja, vermutlich. - Jetzt erzähle mal. Wart ihr in Piedamonte erfolgreich? Wo sind übrigens Michel und Sarifa?“ Nicht, dass es schon wieder einen Brennpunkt gab. Aus langjähriger Erfahrung wusste er, dass, wo immer sich Michel aufhielt, es auch zu Problemen gekommen war. Uther, dem dies bewusst war, erlaubte sich ein heiteres Lächeln: „Sarifa bat um Heimaturlaub und ich bewilligte ihn ihr. Michel hat sie begleitet. Hätte ich gewusst, dass Anawiga schwanger ist, hätte ich das natürlich nicht genehmigt,“ ergänzte er. Natürlich nicht. „Nein. In diesem Fall soll Prinzessin Sarifa wie geplant sie als Hofdame schützen. Aber Anawiga bat mich, dir keine Brieftaube zu senden und ich versprach es ihr. Und jetzt hat es sich ja einstweilen erledigt.“ „Was sagte Markward denn zu der Aussicht auf ein Geschwisterchen?“ „Ich sagte ihm nichts....“ „Er wäre ein vollkommener Narr, hätte er keine der Hofdamen oder Mägde bestochen.“ Ihm fiel ein, dass wohl auch er selbst aufpassen sollte. Allerdings tat er dies sowieso so lange schon, dass es in sein Unterbewusstsein gelangt war und er vollkommen automatisch nur hinter der verschlossenen Tür seines geheimen Arbeitszimmers oder bei seinem Bruder von dem harmlosen Bücherwurm zum Geheimdienstleiter wurde. Dagobert seufzte, nur zu erfahren mit Bespitzelung: „Möglich ist es, ja, aber wie du weißt, ist Markward kein Ränkeschmied. Zumindest keiner, der unauffällig bleibt. - Nun, was war in Pisan?“ Nach einer Kunstpause erklärte sein Bruder nüchtern: „Das Problem der Meuchelmörder scheint lösbar zu sein.“ Der Kaiser setzte sich auf: „Dann erzähle.“ Michel hätte fast aufgestöhnt. Die Reise nach Süden mit der Postkutsche war nicht sonderlich bequem gewesen und jetzt das: „Wir gehen zu Fuß?“ Für einen Mann, der ritt, ansonsten Kutschen oder Sänften benutzte, eine glatte Zumutung, zumal er sein Gepäck wie ein Esel auf dem Rücken trug. Sarifa lachte etwas: „Diesen Weg kannst du nicht mit einer Kutsche fahren. Dort hinauf.“ Sie deutete einen Hügel empor, auf dessen Spitze sich die weißen Häuser eines Dorfes zeigten. Tatsächlich war der Weg dorthin mehr ein Pfad denn eine Straße, und ebenso wie der Rest der Wiesen mit Steinen übersät. Es war eine felsige, karge Landschaft, die sich hier auftat, Wasser schien es soweit nur in den Tälern zwischen den Hügeln zu geben, wo sich auch die kleinen Weiler und Städtchen befanden, die ruhig unter der südlichen Wintersonne lagen. Ihm war aufgefallen, dass er, seit sie die Grenze zu Cinquanta überfuhren hatten, keinerlei Bewaffnete mehr bei Handelszügen gesehen hatte. Kam es hier nie zu Überfällen? Nun, wenn er an die Leibwache des Königs hier dachte – wohl eher nicht. Aber jetzt sollte er sich auf den Moment konzentrieren: „Ich sehe keine Tiere...“ „Nein. Sie werden auf die andere Seite getrieben, in die Berge hinein, aus Sicherheitsgründen.“ „Ehrlich, mein Engel: wer sollte verrückt genug sein euer Dorf anzugreifen oder auch nur Schafe zu stehlen?“ „Niemand. Eben, weil wir vorsichtig sind.“ So konnte man es auch nennen, aber dann fiel ihm ein, dass wohl niemand in der rückwärts gelegenen Kleinstadt oder den umliegenden Dörfern eine Ahnung davon hatte, was diese Ziegen- und Schafhirten sonst noch so trieben. „Dann sind wir wohl auch schon bemerkt worden.“ Es gab gewiss Wachposten, auch, wenn er keinen entdecken konnte. Nur einige Kinder spielten dort seitwärts. „Ja. Komm nur, damit sie mich bald erkennen.“ Er folgte ihr – und dachte zum ersten Mal daran, dass hier vermutlich andere Sitten und Gebräuche galten und er hoffentlich auf die Assassinen nicht ebenso wie ein unerfahrener Tollpatsch wirken würde, wie Sarifa auf ihn in den ersten Tagen. „Was soll ich zur Begrüßung sagen?“ erkundigte er sich daher. „Nichts. Wir gehen zu meinem Onkel, wenn er im Dorf ist, er ist der Anführer und er wird uns begrüßen. Ich stelle dich ihm vor und dann wird er etwas sagen. Fertig. Dann gehen wir zu meiner Familie.“ Sie war etwas überrascht. Er war ihr Ausbilder – und fragte nach? Es war jedoch ihre Heimat, und so kannte sie sich aus, er nicht. Eine sehr gute Eigenschaft, die eigenen Grenzen zu sehen, dachte sie anerkennend. Und ein weiterer Grund ihn zu achten. „Ich weiß nicht, wer von allen hier ist. Mutter wohl sicher und auch Mahedj, er ist ja der Jüngste, wenn auch volljährig.“ „Vierzehn.“ Das war das Alter in dem man zum waffenfähigen Mann erklärt wurde, einen Degen tragen durfte – oder Mädchen in das heiratsfähige Alter kamen. Sie schüttelte prompt den Kopf: „Nein, Siebzehn. Bei uns wird man erst mit sechzehn volljährig, nicht mit vierzehn wie sonst im Kaiserreich.“ Michel wich einem Stein aus, da er unter den Ledersohlen seiner Beinlinge jeden davon schmerzhaft zu spüren bekam: „Aus einem guten Grund, ohne Zweifel.“ „Ja. Wenn man volljährig ist, darf man auch das Dorf verlassen – und das ist doch erst sinnvoll, wenn die Ausbildung als abgeschlossen gilt. Die Grundausbildung.“ „Aha,“ machte Michel, um etwas dazu zu sagen. Einer weiteren Antwort wurde er jedoch enthoben, denn ein schriller Pfiff war zu hören. Sarifa hob den Arm und winkte: „Sie werden jetzt dem Onkel sagen, dass ich komme und in Begleitung bin. Falls er nicht weg ist, aber das ist eher unwahrscheinlich.“ Fast eine Stunde dauerte der Aufstieg zu den scheinbar so nahe gelegenen Häusern. Sarifa ging ohne zu zögern in das Dorf, nickte hier und dort Bekannten zu. Michel folgte ihr, bemüht weder Menschen noch Häuser so deutlich zu mustern, wie es die Bewohner mit ihm taten. Ihm fiel jedoch sofort auf, dass alle Häuser weiß gekalkt waren, wie es der Sitte des Königreiches Cinquanta entsprach, jedoch einen anderen Baustil besaßen. Nur eine Tür, kein Fenster führte in den jeweiligen, durch vier Gebäude begrenzten Innenhof, und ihm wurde bewusst, dass jedes einzelne Haus eine kleine, schwer zu erobernde Festung bildete. Die Frauen trugen, ebenso wie Sarifa, lange, in Stiefletten gesteckte Hosen und eine hemdartige Oberbekleidung, in dunklen Farben aber oft mit roten Mustern darin. Und bei jeder von ihnen, auch anscheinend allen Kindern über fünf oder sechs, entdeckte er einen Dolch im Gürtel. Neugierige Blicke musterten auch ihn und er hoffte unwillkürlich, trotz seines Gepäcks einen guten Eindruck zu machen. Die Männer trugen eine ähnliche Kleidung, wenn auch zumeist in schwarz oder grau. Einen Umhang sah er bei niemandem, trotz des durchaus frischer gewordenen Winterwindes. Aber hier würde es kaum schneien, auch, wenn die Temperaturen absanken. Nur wenige Meilen entfernt wuchs immerhin noch Wein, wenn auch nur an den Südhängen der dort deutlich flacheren Hügel. Er folgte seiner Partnerin zu einem großen Platz, offenkundig dem Dorfplatz, dessen eine Seite von einer großen, zweistöckigen Halle eingenommen wurde. Das Rathaus? Er war ein wenig überrascht, folgte aber eilig Sarifas Beispiel und setzte sein Gepäck ab, als aus einem der gewöhnlichen Häuser ein Mann mit einem grauen Vollbart trat,dessen buchstäblich herausragendstes Merkmal seine hakenförmige große Nase war. Seine langen, grauen Haare trug er mit einem Tuch um die Stirn zusammengehalten. Wie alle hier besaß er dunkle Augen und eine gebräunte Haut. Der Anführer der Assassinen schien überrascht, lächelte dann aber: „Sarifa....“ Mit einem Blick auf ihren Begleiter fragte er etwas, das Michel nicht verstand. Eine andere Sprache? Damit hatte er nicht gerechnet, aber ihm fiel ein, dass ihm gesagt worden war, das Volk, oder eher, dessen Rest, sei über das Südmeer in das Kaiserreich geflohen. Das musste dann die eigene Sprache damals gewesen sein. Sarifa schien etwas verwundert, antwortete aber nur wenige Worte und ihr Onkel wandte sich in der Gemeinsprache des Reiches dem blonden Unbekannten zu: „Sei willkommen, Partner meiner Nichte. Es freut mich dich kennenzulernen. Du arbeitest für den Kaiser?“ Michel zögerte unwillkürlich und seine Partnerin ergänzte prompt: „Verzeih, Onkel, seit wann empfängst du Gäste mit Fragen?“ Der schien tatsächlich betroffen: „Verzeiht meine Neugier. - Sarifa, deine Mutter sehe ich dort und zumindest zwei deiner Brüder. Yamin und Tarik sind außerhalb. Amir müsste heute Abend kommen.“ Diese neigte höflich den Kopf und so tat es auch Michel, ehe beide ihr Gepäck aufnahmen und zu drei Menschen gingen, die gegenüberstanden. Michel erkannte den Assassinen, der in Paradisa ihm geholfen hatte – einen der großen Brüder seiner Partnerin. Der Andere war deutlich jünger, das müsste der Jüngste sein, dachte er. Wie hatte sie gesagt? Mahedj. Die Frau bei ihnen war also ihre Mutter. Er war ein wenig erstaunt, erkannte dann aber die Ähnlichkeit mit Tante Anna in Aquatica. Beide Frauen waren Ende Vierzig, beide sehr rundlich, mit weichen Gesichtszügen. Und beide sahen ungemein freundlich aus – aber er wusste, dass diese Frau mit ihrem ältesten Sohn zusammen den Mörder ihres Manns zur Strecke gebracht hatte. Sie trug ebenfalls den unvermeidlichen Dolch, strahlte nun aber ihre Tochter an, während der ältere Bruder ihm zunickte. Sarifa stellte vor: „Michel, mein Partner. - Meine Mutter Ekhelellu, Shahin kennst du ja schon, und Mahedj, unser kleinster Bruder.“ „Willkommen“, sagte Ekhelellu freundlich: „Ihr kommt gerade Recht zum Essen. Ihr werdet Hunger haben.“ Shahin, also. Michel nickte dem ebenfalls zu. Tatsächlich, auch im heimischen Dorf hatte der die Dolche um die Unterarme geschnallt – wie vermutlich alle Männer hier. Wirklich, wer auch immer diese Siedlung überfallen wollte, er konnte dem Idioten nur viel Spaß beim Sterben wünschen. Aber er sagte nichts und folgte bloß seiner Partnerin und deren Mutter in das Haus, genauer, in den Innenhof. Von hier gingen, wie er bereits von außen gesehen hatte, vier Gebäude ab. Sarifa deutete auf sie: „Hier ist der Stall, dort der Schlafraum für die Männer, dort für die Frauen und das hier ist unser...wie würdest du es nennen? - Wohnzimmer und Küche.“ „Du schläfst bei uns, Partner unserer Schwester,“ erklärte Shahin: „Mahedj, nimm sein Gepäck und bringe es rüber.“ Aha, hier befahl eindeutig der Ältere, schloss Michel daraus. Sie sprachen untereinander auch die Gemeinsprache – höflich gegen den Gast oder war nur der Onkel aus Versehen oder Absicht in die andere Sprache gerutscht? „Ja,“ meinte Ekhelellu: „Beeile dich, Mahedj. Es gibt dann essen. Die Zwei müssen ja ausgehungert sein, nach einer solchen Reise. Und im Norden, so hörte ich, gibt es sowieso nichts Gutes zu essen.“ Sie warf einen Blick auf ihre Tochter: „Du bist schmaler geworden.“ „Ich hatte einen Auftrag,“ betonte Sarifa ein wenig hastig: „Und ich habe wirklich Hunger.“ Sie betraten den dunklen Raum, der nur von einem Herdfeuer erleuchtet wurde und dem Licht, das durch die Tür fiel. Der Rauch des Herdfeuers zog durch einen schmalen Kamin empor. Michel erkannte ein wenig verwundert das seltsame Gebilde über dem Herd. Das waren zwei Töpfe übereinander – oder? Er verstand nicht viel vom Kochen, das gab er gern zu, aber zwei Töpfe übereinander waren doch seltsam. Aber er wollte sich nicht blamieren und setzte sich neben Shahin an den Rand eines Tellers mit fast einem Meter Durchmesser, der auf dem Boden stand. Drumherum lagen Kissen. In der Mitte des Tellers befand sich eine Art Schale. Sarifa nahm ihm gegenüber Platz. „Es gibt unser Essen,“ sagte sie, da ihr die forschenden Blicke nicht entgangen waren: „ Es ist Grieß aus Getreide und Gemüse, was hinter dem Dorf am Südhang wächst.“ „Oh ja.“ Ekhelellu kam mit einem Topf heran und füllte den Grieß auf die Tellerumrandung: „Olivenöl ist mit darin, und unser Gemüse: Karotten, Kichererbsen und anderes. Das gibt es im Norden nicht, oder?“ „Nein,“ gab Michel zu, der sich hütete zu erwähnen, dass für einen Adeligen in seiner Position ein Essen, das nur aus Grieß und Gemüse bestand ein wenig ärmlich aussah. Er wusste nur zu gut, dass auch für die einfachen Leute im Norden Fleisch eine seltene Delikatesse war. Nur der jeweilige Herr besaß das Jagdrecht. „Aber es sieht gut aus,“ fügte er wohlerzogen hinzu. Schließlich wollte er seine Partnerin nicht blamieren. „Danke.“ Die Hausfrau lächelte geschmeichelt und holte den zweiten Topf. Das bunte gemischte Gemüse kam in die vertiefte Mitte des Tellers und sie ließ die Kelle darin stecken. Der Gast aus dem Norden begriff plötzlich, dass das keine Servierschüssel war, sondern alle, die gesamte Familie, aus einem Teller essen würden und er auch. Erstaunlich, dass Sarifa sich bei Tisch gerade anfangs in der Marche so gut benommen hatte. Irgendwie hatte er sie da für verbauert gehalten – aber sie kam wirklich aus einer ganz anderen Welt. Mit gewissem Zögern griff er zu der Kelle und füllte sich das Gemüse in den Grieß direkt vor sich, ehe er sie weiterreichte. Dann wartete er scheinbar höflich, bis er sah, dass die anderen mit der Rechten in den Grieß griffen, sich daraus und dem Gemüse eine Art Ball formten und diesen aßen, ehe er mit gewissem Grusel diesem Beispiel folgte. Immerhin wusste er nun, was die Wasserschüsseln an der Wand für einen Sinn hatten – die Assassinen hatten sich dort vor dem Essen die Hände gewaschen. Da musste er bei der nächsten Mahlzeit unbedingt auch. Nach dem Essen meinte Ekhelellu: „Mahedj, du gehst mit mir, wir müssen die Tiere holen.“ „Ich komme mit,“ meinte ihre Tochter sofort: „Ich war schon lange nicht mehr Schafe einfangen.“ „Dir lasse ich die Ziegen, große Schwester,“ erklärte Mahedj prompt. Shahin sah seitwärts: „Und ich zeige dir unser Dorf, Partner meiner Schwester – Michel.“ „Danke,“ sagte der höflich. Ihm war klar, dass es ein gewisser Vertrauensbeweis war, die Namen gesagt zu bekommen, ja, selbst mit Namen angesprochen zu werden. Außerhalb des Dorfes schien das kaum je der Fall zu sein – nun gut, Tante Anna hatte das anders gehandhabt, aber sie lebte ja auch schon lange in Aquatica. So ging Michel nur kurz darauf neben dem Assassinen durch das Dorf, hinter die große Halle. Auf dieser Dorfseite lagen die Gärten, durch kleine Mauern abgetrennt, an denen sich die Wärme sammelte. Dort wuchsen wohl bis in den Herbst auch Pflanzen, jetzt war es leer dort. Shahin blieb stehen: „Was willst du fragen.“ „Ich wundere mich nur über dieses große Haus....“ gestand Michel. „Unsere Übungshalle. Man ist vor Wetter geschützt und kann das ganze Jahr üben. - Hat dich der Onkel erschreckt?“ „Nein, warum?“ Hatte der doch mit Absicht die ursprüngliche Sprache gewählt? Um nicht von ihm verstanden zu werden? Shahin schien sich jetzt erst daran zu erinnern: „Ah, du hast es nicht verstanden. Er fragte meine Schwester, ob du ihr potentieller Ehemann bist,“ „Und warum sollte mich das erschrecken?“ Sie war eigen, mit dem Temperament eines Jagdhundes, aber weder besonders hässlich noch dumm. Ihr Bruder lächelte fein: „Nun ja, sie hat fünf Brüder und nicht jeden freut die Aussicht, sich uns allen im Kampf stellen zu müssen.“ Andere Länder - andere Sitten, dachte Michel. Ein Glück, das er das nicht plante. Hatte er sich wirklich je ein Rudel wilder Wölfe anstatt seiner Partnerin gewünscht? Wenn er die Familie mit einbezog, würde es wohl auch ein Nest voller Ottern tun. Aber er fragte doch: „Ist das nicht ein gewisses Hemmnis, je die Schwestern verheiraten zu können, wenn man da solch ein Risiko eingehen muss?“ „Oh, es sind keine Kämpfe auf Leben und Tod, nicht in der Familie! Aber man will doch sicher gehen, gutes Blut in die Familie zu bekommen, einen fähigen Kämpfer. Natürlich gerade bei Sarifa.“ Shahin sah auf: „Amir, mein Bruder – dies ist Michel, der Partner unserer Schwester.“ Michel entdeckte einen jungen Mann Mitte der Zwanzig, der auf sie zukam. Das also war Sarifas ältester Bruder. Er sah Shahin recht ähnlich, aber sie waren auch kaum ein Jahr auseinander. Dieser war ebenfalls bewaffnet, wie ungewöhnlich, dachte der Gast aus dem Norden zynisch. „Willkommen in unserem Dorf, Partner meiner Schwester,“ sagte Amir höflich: „Mein Bruder....“ Da er sichtlich hören wollte, über was sie redeten, erklärte Shahin: „Ich sprach gerade über unseren Brauch, dass ein potentieller Ehemann sich den Brüdern der Braut stellen muss. Onkel fing davon an.“ „Kampf aber mehr als Ritual,“ erkundigte sich Michel zur Bestätigung. „Ja. Es geht ja auch um das Bluterbe der Familie.“ Amir lächelte etwas: „Zum Glück hat Djamila nur einen Bruder. Sie ist meine Frau,“ ergänzte er erklärend: „Nicht, das ich mich scheuen würde zu kämpfen, aber es kürzte die Sache doch ab.“ „Und warum ist es bei Sarifa noch einmal etwas anderes?“ Das hatte der Jüngere der beiden Brüder doch gerade noch erwähnt, ehe der Ältere hinzukam? Shahin zeigte beim Lächeln die Zähne: „Ein aufmerksamer Partner für unsere kleine Schwester. - Sarifa ist die einzige Tochter unseres Vaters, sie trägt das Erbe der Familie.“ Moment. Der junge Mann aus dem Norden, in dem bei Geburten Söhnen viel mehr Bedeutung geschenkt wurde als Töchtern, würden sie doch das Familienerbe sichern, stutzte. „In meiner Heimat erbt immer der älteste Sohn, manchmal wird das Erbe auch geteilt,“ sagte er langsam: „Ein Mädchen erbt bei uns nur, wenn es keinerlei männliche Verwandtschaft mehr gibt.“ Die Brüder sahen sich erstaunt an, dann setzte Shahin zum Sprechen an, schwieg jedoch, da Amir bereits antwortete: „Nein, das ist dann etwas ganz anderes. Und auch sinnlos....Männer gehen aus dem Dorf, sie werden vielleicht im Kampf getötet, aber die Blutlinie bleibt über die Kinder der Tochter. Überdies tragen die Kinder der Tochter doch stets dasselbe Blut wie der Erblasser.“ Das musste er noch einmal abklären, dachte Michel, fragte jedoch: „Dann erbt bei euch immer das Mädchen?“ „Das Erbe geht über die weibliche Linie,“ bestätigte Amir: „Sieh – nach dem Tod unseres Vaters wurde der Onkel Anführer der Assassinen, da sie beide auf eine Frau zurückzuführen sind, ihre Mutter. Bei euch wäre wohl ich dran gewesen?“ „Ja,“ gab Michel zu, verwundert, aber durchaus bereit Neues zu lernen: „Dann ist Sarifa die Bluterbin, da sie die einzige Tochter des Älteren ist? Und wenn der Onkel auch Töchter hat?“ „Du verstehst. Sie trägt die Blutlinie als älteste Tochter des ältesten Sohnes. Ihr Ehemann wird Anführer sein und später ihr Sohn.“ „Und wenn sie nie heiratet?“ erkundigte sich Michel prompt, der die Logik in dieser für ihn doch fremdartigen Sitte suchte. Jetzt lachte Amir wirklich auf: „Das wäre das Beste, was mir passieren könnte, dann würde ich der Anführer. Allerdings würde ihr Sohn dann mein Erbe werden oder ihre Tochter die Blutlinie weitergeben. Sollte dies nicht das Fall sein, würde meine Tochter einspringen, so ich eine bekomme.“ „Das klingt sehr kompliziert,“ murmelte Michel: „Und ist vollkommen anders als im Norden. - Nun, ich will sie nicht heiraten.“ „Du bist ihr Partner, ja.“ Der Partner der Erbin der Blutlinie des Anführers der Assassinen – der Erbprinzessin der Assassinen. Prinzessin Sarifa war in der Tat der richtige Titel. Hatte Graf Uther das gewusst und ihm nur nicht mitgeteilt? Möglich war dies durchaus. Er redete nie über einen Agenten mit einem anderen, wenn es nicht nötig war, und obwohl Michel sicher war, dass er das Vertrauen des Kaiserbruders genoss – der sagte ihm nie alles. Um etwas von dem doch heiklen Thema abzulenken, aber mit dem festen Entschluss, ehe er das Dorf wieder verließ herauszufinden, was die Assassinen unter „Partner“ verstanden, meinte er: „Die Leute haben gerade das Dorf verlassen – holen sie alle die Tiere?“ Shahin nickte: „Ja. Sie kommen über Nacht in die Höfe. Dort sind sie vor Wölfen und Bären sicherer als am Berg.“ Oh, da war doch etwas gewesen: „Ich hörte, meine Partnerin habe einen Bären getötet?“ Ihr zweitältester Bruder verzog etwas das Gesicht: „Erinnere mich nicht daran.“ Amir meinte hörbar amüsiert: „An die Blamage deines Lebens, mein Bruder?“ Oh, da war er wohl in ein Fettnäpfchen gesprungen, dachte Michel und erklärte eilig: „Sarifa...meine Partnerin erwähnte es nur beiläufig. Ich weiß nicht viel darüber.“ Shahin richtete seine dunklen Augen auf ihn, als er ernsthaft sagte: „Du bist ein ehrenhafter Mann, Partner meiner Schwester. Aber es ist nicht nötig, mich vor den Erinnerungen zu schützen, die jeder hier hat. - Ich war damals mit meinen kleinen Geschwistern in den Bergen, um die Ziegen einzusammeln. Ich war elf und trug daher die Verantwortung für Sarifa und Yamin. Sie waren sieben und fünf. In einem engen Tal traf uns ein Bär. Wir hatten uns getrennt um die Tiere einzufangen und bedachten nicht, dass sie sich so benahmen, weil ein Raubtier in der Nähe war. Er sah in Yamin eine leichte Beute. Ich bemerkte es und lief zurück, zog mein Messer. Der Bär drehte sich nur um und gab mir einen Prankenhieb. Ich flog zu Boden und wurde ohnmächtig. Peinlich. Der Schlag hatte mir vier Rippen gebrochen und die Narben der Krallen kann man heute noch sehen, aber ich hätte meine Geschwister beschützen müssen. Meinen kleinen Bruder und meine Schwester....“ Shahin sah kurz zu Boden: „Als ich erwachte, stand der Bär aufrecht und ich erkannte, dass Sarifa gekommen war. Sie stand vor ihm. Ich erhob mich mühsam, wollte ihr helfen, aber da.....Hast du je gesehen, wie ein Falke eine Taube schlägt, Partner meiner Schwester? Sie sprang ihm entgegen, wie ein zustoßender Falke, mitten zwischen die tödlichen Pranken. Und noch ehe er sie schlagen konnte, hatte sie ihm die Kehle aufgeschlitzt.“ „Sie war sieben und trug nur einige Krallenspuren davon,“ ergänzte Amir: „Und unser Großvater schloss daraus, dass sie nicht nur die Bluterbin sondern etwas Besonderes ist – darum bekam sie zusätzlich zu der weiblichen auch die männliche Ausbildung. Oh, nicht das du irrtümlich glaubst, sie wäre eine gute Köchin....und lasse sie bloß nie an deine Beete, wenn du Ernte haben willst.“ „Nähen ist auch nicht gerade ihre Stärke,“ meinte Shahin: „Und wenn du verletzt bist, dürfte ein ungelernter Bader die bessere Adresse sein ….“ Brüder, dachte Michel, der das als Einzelkind nur aus Erzählungen kannte. Aber irgendwie wirkte doch alles hier – normal. ** Im nächsten Kapitel gibt es Unterhaltungen – in allerlei Hinsicht. Kapitel 28: Unterhaltungen -------------------------- Markward lehnte sich ein wenig zurück und betrachtete seinen Kämmerer mit einem leisen Lächeln: „Nun, das war doch eine herrlich schlechte Nachricht. Die arme Anawiga war nicht in der Lage Vaters Balg auszutragen...Verzeihung, mein Geschwisterchen, wie ich es ihm gegenüber wohl ausdrücken sollte....“ „Das wäre in der Tat ratsam,“ erwiderte Chilperich trocken: „Und meiner Meinung nach würde es auch nicht schaden der Kaiserin bei passender Gelegenheit Euer Bedauern auszusprechen. Sie hat durchaus trotz dieses kleinen Fehlers das Ohr des Kaisers.“ „Ja, mach ich. - Mehr beunruhigt mich allerdings in der Tat, dass es überhaupt zu solchen Folgen kommen konnte. Ich hielt meinen Vater bislang immer für einen Mann, der aus diesem Alter heraus wäre. Aber das lehrt mich nur, meinen Vater nie zu unterschätzen“ „Durchaus eine weise Entscheidung, mein Gebieter. Habt Ihr noch Wünsche?“ „Ja. Wo steckt eigentlich diese kleine Prinzessin aus dem Süden? Ich habe sie seit vier Wochen nicht mehr bei Hofe gesehen. Da Stallmeister Charibert sie vorstellte, dachte ich, dass sie sich in seinem Umfeld bewegen würde, aber da war nichts....“ „Vielleicht eine alte Verpflichtung ihrem Vater gegenüber, aus irgendeiner Schlacht...“ „Möglich, ja. Und da er seine Pflicht getan hat, wäre der gute Charibert durchaus in der Stimmung, jede weitere Bitte um Protektion abzulehnen. Nun gut, wenn du diese Kleine irgendwo siehst, sag es mir. Sie kam mir recht amüsant vor, anders als die nördlichen Damen. Es mag wirklich reizend werden dieses wilde Füllen zu zähmen.“ „Wie Ihr wünscht.“ Chilperich hütete sich seine Ungeduld zu zeigen. Er hatte weitaus Wichtigeres für die Pläne seines eigentlichen Herrn zu erledigen, Spione auszusenden, Kontakte zu knüpfen, um gegen Graf Uther vorzugehen. Der Herr meinte, dessen Fall würde den Kaiser erheblich schwächen. Aber noch war auch Markward eine Figur im komplizierten Spiel um die Macht und seinem Gebieter nützlich, das hatte ihm dieser erklärt. Und der junge Mann aus bürgerlichem Haus wusste es zu schätzen, dass er plötzlich eine der wichtigsten Personen in den Plänen der Mächtigen geworden war. Das bot allerlei Verheißung für die Zukunft. Schließlich benötigte jeder Kaiser Geheimdienste, Männer, die zu viel wussten, und er empfahl sich dafür. „Sollte ich der jungen Dame dann ein Geschenk in Eurem Namen schicken?“ „Nein, das wäre zu voreilig. Ich weiß nicht, auf was sie steht. Frauen, mein lieber Chilperich, sind wie eine gut verteidigte Stadt. Man muss die Schwachstellen suchen. Nun gut, gehe. Ich werde mich mit diesen Bergwerken beschäftigen, wie Vater es wünschte. Und du hast durchaus recht gehabt. Sie werfen so einiges ab.“ Und eigentlich hätte er sich denken können, dass der Reichtum der kaiserlichen Kernlande, der es diesem ermöglichte ein stetes Ritterheer unter Waffen zu halten, nicht nur aus der Landwirtschaft kommen konnte. Der Kämmerer nickte und ging. Er hatte einiges zu tun – schließlich war Graf Lothar dummerweise sein Spitzel aufgefallen, der ihn mit solch intimen Informationen aus der Kanzlei versorgt hatte. Ein Mann, der die Toiletteneimer beseitigte, wurde in aller Regel nicht wahrgenommen. Jetzt saß der hinter Gittern und wurde bestimmt peinlich befragt. Ein guter Grund, ihm einen unerwarteten Abgang zu bescheren. Sein Gebieter hatte schon Recht: Uther, Lothar, Godomar und nicht zuletzt Dagobert selbst waren nicht zu unterschätzen. Er, Chilperich, allerdings auch nicht. Graf Uther verneigte sich mit deutlicher Erleichterung, als er die Kaiserin bei der offiziellen Übergabe der Knappenschule traf. Anawiga wirkte wie immer. Anscheinend hatte sie die Fehlgeburt gut verkraftet. „Ich bin erfreut Euch wohlauf zu sehen, teure Schwägerin,“ sagte er. „Danke.“ Die Kaiserin kannte zwischenzeitlich seine Bedenken und Sorgen diesbezüglich. Sie war mehr als angetan, dass nicht nur ihr Ehemann sondern auch sein Bruder sich um sie als Person Gedanken machten, nicht nur als potentielle Gebärerin eines Kindes. Und sie hoffte, ihnen eines Tages beweisen zu können, dass sie alles das wert war: „Das Andere.....das ist eben Schicksal und wir müssen es akzeptieren. Dennoch bleibt die Hoffnung auf ein glücklicheres Ende in der Zukunft.“ „Natürlich. Dann werden wir Euch die Knappenschule nun offiziell überschreiben. Ich habe sie doch über ein Vierteljahrhundert gefördert....“ Er klang fast ein bisschen wehmütig, als er sich des Tages entsann, an dem er das Amt nur zu gern übernommen hatte. „Und ich bin sicher, Ihr habt Euch um die Kinder, Jungen und Mädchen, so gut gekümmert, wie es Euch möglich war,“ meinte Anawiga prompt: „Keine Sorge, auch ich werde um jedes Einzelne sehen.“ „Es sind oft sehr dankbare Kinder,“ murmelte Uther nachdenklich: „Ohne Eltern aufzuwachsen ist ein schweres Schicksal. Sie freuen sich, wenn man ehrlichen Anteil nimmt, aber sie merken auch jede Lüge.“ „Das kann ich mir vorstellen. Ich habe zwei kleine Schwestern.“ Anawiga lächelte etwas: „Keine Sorge, Graf. Ich werde mich gut um sie kümmern.“ „Ich wollte Euch keinerlei Nachlässigkeit unterstellen,“ beteuerte er prompt. „Nein, das weiß ich.“ Sie warf einen Blick zu den Damen und Dienern hinter ihnen, ehe sie etwas leiser meinte: „Vielleicht wärt Ihr so freundlich mir eine Liste der Kinder zu geben, die Euch momentan ins Auge fielen. Das würde mir die Arbeit doch sehr erleichtern.“ „Eine gute Idee, in der Tat. Doch, ich weiß die Schule in guten Händen. Das erleichtert mir wiederum den Abschied – denn trotz aller Arbeit habe ich diese stets gern gemacht, seit ich vor gut fünfundzwanzig Jahren die offizielle Schirmherrschaft übernahm. Aber es ist auch gut, wenn man abgeben kann, etwas entlastet wird. Wir werden leider alle nicht jünger.“ Anawiga wusste sich zu deuten, was er eigentlich meinte und antwortete auch auf die versteckte Frage: „Ich tue, was in meinen Kräften steht, Seiner Hoheit zu Diensten zu sein.“ Mehr konnten und durften sie in der Öffentlichkeit nicht über den Kaiser reden, aber Uther atmete unmerklich auf. Doch. Anawiga würde gerade die Einsamkeit eines Herrschers verstehen und lindern – das war das Beste, was einem passieren konnte, wenn man Dagoberts Last trug. Er musste sich etwas weniger Sorgen um seinen Bruder machen. In einer weit entfernten Stadt setzte sich ein Mann in dunklem Umhang, den er nachlässig von seiner Kehle löste, als er zu einem Pokal mit Rotwein griff. Die Kaiserin hatte also Unglück gehabt. Uninteressant für seine Pläne. Selbst, falls sie ein Kind zur Welt bringen könnte – es wäre nicht das Erste, das früh starb. Und es wäre auch nicht das erste kaiserliche Kleinkind, dessen junges Leben an einem Stein endete. Sein Ziel war der Bruder des Kaisers. Und die Informationen, die er aus der Hauptstadt erhielt, ließen hoffen, dass es jemanden gab, der ihm diesbezüglich in die Hände spielen würde. Uther würde und sollte wissen, wem er das verdankte – und dann sterben. Ein kleiner Beweis, dass er selbst der Bessere war. Es stand anzunehmen,dass Dagobert in der Trauer über den Verlust seines Bruders Fehler begehen würde, vielleicht sogar sich zurückziehen würde. Aber soviel Glück wäre fast zuviel, denn er konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass Dagobert zugunsten seines Ältesten abdanken würde. Zugunsten seines Jüngsten sowieso nicht, denn von der Expedition, die der begleitete, hatte man seit Monaten nichts mehr gehört. Und selbst, falls Dankward je zurückkehrte, so waren die Karten in der Hauptstadt bereits neu gemischt – ohne ihn. Ohne es zu wissen, hatte ihm der Kaiser mit der Verabschiedung des Jungen einen großen Gefallen getan. Einer weniger, der zwischen ihm und der Krone stand. Und war erst einmal der so aufmerksame Uther beseitigt, wäre der Rest nicht gerade ein Kinderspiel aber doch deutlich einfacher. Und niemand würde Uther beschützen können, wenn sein eigener Plan in die Tat umgesetzt werden konnte. Das würde noch Wochen, gar Monate dauern aber dafür umso sicherer auch geschehen. Michel sah auf, als Sarifa zu ihm und ihren beiden älteren Brüdern kam. Sie wirkte ein wenig außer Atem, die Haare zerzauster als es jede Hofdame zugelassen hätte – aber die würde auch kaum Schafe und Ziegen einfangen gehen. „Meine großen Brüder,“ sagte sie höflich: „Michel, der Onkel hat gesagt, dass zu unseren Ehren am Abend ein Fest gegeben wird. Das ganze Dorf wird daran teilnehmen.“ „Oh, das ist sehr freundlich,“ erwiderte er in der Hoffnung, dass das richtig wäre. Du lieber Himmel, das war schwerer als er es sich vorgestellt hatte – und die Tatsache, dass jedes Kind, von Erwachsenen ganz zu schweigen, in diesem Dorf bewaffnet herumlief, machte ihn auch nicht gerade ruhiger. Sicher, sie waren nett, freundlich zu ihm – dem Partner der Bluterbin, wie ihm Amir und Shahin ja erst zuvor klar gemacht hatten, aber noch immer wusste er nicht, was sich hinter diesem ominösen „Partner“ bei Assassinen verbarg. Ein Ehemann oder Geliebter schon mal nicht. Eher im Gegenteil. Das war wohl etwas Wichtigeres, auch, wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie oder was. Aber er war mehr als unsicher, ob er fragen sollte – und durfte, ohne sich zu blamieren. „Hast du für morgen bis zum Abend schon Pläne?“ „Magst du in die Berge gehen?“ fragte Sarifa, ahnungslos ob der Tatsache, dass Michels Fußbekleidung - Beinlinge mit daran angenähter Ledersohle und des Wanderns ungeübte Füße - nicht gerade dafür geeignet waren. Amir schüttelte denn auch den Kopf: „Bleibt nur im Dorf, Schwester. Viele haben dich lange nicht gesehen und möchten mit dir reden, nicht zuletzt Mutter. Ich denke, wir werden uns um deinen Partner kümmern – ich vermute, Michel, du hast einige Fragen. Soweit ich weiß, lebt man im Norden ganz anders.“ „Das ist wahr,“ gab dieser zu: „Beides. Danke für das Angebot, Brüder meiner Partnerin.“ „Heute Nacht schläfst du sowieso bei uns,“ ergänzte Shahin: „Es ist üblich, aber uns ist bewusst, das du schon neben unserer Schwester erwacht bist.“ „In allen Ehren!“ protestierte Michel sofort. Zu seiner Überraschung lachten alle drei Geschwister, ehe Sarifa antwortete: „Natürlich – sonst wärst du ja weder mein Partner noch am Leben.“ Äh...Bulldogge, ja. „Mein aggressiver Engel,“ seufzte er allerdings nur, ein Satz, der die Brüder seiner Partnerin diesmal in wirklich schallendes Gelächter ausbrechen ließ. Sarifa funkelte sie an: „Haltet bloß den Mund.“ „Meine kleine Schwester – ein Engel.“ Amir schüttelte den Kopf: „Wie freundlich – hast du ihn noch nie mit Messern beworfen?“ „Doch,“ sagten beide Agenten wie aus einem Mund – eine Tatsache, die ein erneuten Gelächterausbruch provozierte. „Alles klar,“ meinte Amir dann: „Du bist in der Tat ein geeigneter Partner für unsere kleine Schwester.“ „Danke. - Da ich gerade die Dame dort sehe....einige der Frauen tragen Ketten aus Metall am Rockbund. Aus Erfahrung mit Sarifa vermute ich, dass es sich um keinen Schmuck handelt.“ „So ist es,“ erklärte Shahin prompt: „Es sind Wurfketten. Damit kann man Schafe oder Ziegen zu Fall bringen. Man wirft die Kette, diese wickelt sich um die Beine....Man benötigt allerdings eine gewisse Übung damit.“ Eine Assassine trug keinen Schmuck, wenn er nicht tödlich war, dachte Michel. Nun, man mochte damit auch Tiere einfangen können, aber er stellte sich ungern vor, wie es wäre, wenn sich diese Metallkette um seinen Hals schlang: „Du besitzt so etwas nicht, meine Partnerin.“ „Nein,“ gab Sarifa zu: „Ich habe ja die Messer. Die meisten Frauen besitzen nur den Dolch, keine Wurfmesser, keine Distanzwaffen. So ist das nur nützlich.“ Ohne Zweifel, dachte Michel zynisch. Immerhin war er als Gast dieses Dorfes wohl sicher. Kaiser Dagobert erhielt die kurze Brieftaubennachricht mit gewisser Freude aber auch steigender Verwunderung und ließ seinen Bruder zu sich bitten. Uther kam unverzüglich. „Setze dich bitte,“ meinte der Ältere: „Es könnte nützlich sein.“ „Schlechte Neuigkeiten?“ „Eigentlich freudige. Aber rätselhaft. Hier. Eine Brieftaubennachricht von Dankward.“ „So ist die Expedition wieder im Kaiserreich?“ „Ja. Die Taube kam aus Morricone. Ich vermute eine weitere ist von Kapitän Polo an mich unterwegs, aber natürlich wurde Dankwards Brief mir gleich gegeben.“ Der Andere lief sicher über die Kanzlei und Godomar würde ihm Bericht erstatten. Uther las die wenigen Zeilen: „Das klingt nicht so, als ob er dir wegen der Seereise böse wäre. Eher im Gegenteil.“ „Es klingt vor allem nicht nach Dankward,“ erwiderte der Kaiser: „Ich bitte dich: Dankward! Orgien, Frauen, Drogen – und dann schreibt er, wie dankbar er mir sei ihn auf See geschickt zu haben, er habe zu sich selbst gefunden, eine wunderbare Zeit gehabt...?“ „Wir werden es sehen, wenn er hier ist. Aber womöglich hat er die harte Zeit wirklich gebraucht. Dagobert, er ist gerade erst siebzehn.“ „Mit vierzehn ist man ein waffenfähiger Mann, Und wenn ich bedenke, was wir damals....“ „Damals. Wir waren seit Jahren im Krieg. Er genoss den Frieden und seine Früchte – vielleicht ist er jetzt erwachsen geworden. Und einmal hören, was er dazu sagt, dass du ihn zum Bischof machen willst.“ „Ja, du hast Recht. Und ich gebe auch zu, dass ich dieses gewisse Erwachsenwerden mit der Seereise verband. Vielleicht könnte man ihn doch jetzt als Nachfolger ins Auge fassen.“ „Sei nicht voreilig.“ „Nein.“ Dagobert seufzte: „Weißt du, dass ich mir früher nie hätte vorstellen können, wie schwer es ist, das Reich in gute Hände zu übergeben? Ich nahm immer an, dass sich das von allein regele. Als ob sich je etwas vor allein regelt.“ „Das Haupt, das eine Krone trägt, schläft schlecht.“ Uther lächelte mitfühlend: „Sehen wir, wie er sich gemacht hat. Und was er dazu sagt, Bischof ehrenhalber zu werden. Aus dieser Position heraus wäre es noch immer möglich, ihn zum Thronfolger zu ernennen. Übrigens – Markward hat mir einen Spion angehängt.“ Der Kaiser starrte ins Feuer, als ob er vermeiden wolle seinen Nachbarn anzusehen. „Dir.“ Etwas Seltsames lag in dem Wort. Uther verstand den geplagten Vater: „Der Junge versucht sich im politischen Spiel. Und mit Dankward zurück könnte es nur noch komplizierter werden. Zumal, wenn Anawiga erneut schwanger wird.“ Dagobert seufzte etwas, ehe er die logische Schlussfolgerung der letzten Jahre zog: „Dann sollte Michel – und Sarifa natürlich – wieder herkommen.“ „Ich werde wohl eine Taube senden, ja. Schade. Endlich war er einmal an einem Ort, an dem ich keine Sorgen haben musste ob er überlebt.“ Tatsächlich hatte Michel einen sehr unterhaltsamen und informativen Tag im Dorf der Assassinen verbracht. Er vermutete, was er nun nicht über Schafzucht und Gartenbeete wusste, wäre nicht wert gewusst zu werden. Aber er fand doch einmal die Gelegenheit zu fragen, was eigentlich der „Partner“ sei. Amir und Shahin hatten sich, wie versprochen, den ganzen Tag um ihn gekümmert und sahen sich jetzt an, ehe der Ältere antwortete, hörbar erstaunt: „Shahin ist mein Partner.“ „Verzeiht, wenn ich dumm klinge, Brüder meiner Partnerin – ich habe nur das Gefühl, dass euer Volk mit diesem Begriff durchaus etwas anderes verbindet.“ Brüder konnten also auch Partner sein? Oder war das eher immer so? „Ah, ich verstehe,“ meinte Shahin dagegen. „Du hast unsere Schwester nie fragen wollen? - Einen Ehemann, eine Ehefrau sucht man sich aus, um die Blutlinie weiterzugeben. Das ist privat. Ein Partner ist.....eher offiziell, wichtiger.“ Er sah zu seinem Bruder. Amit dachte kurz nach, ehe er sagte: „Ja, Partner unserer kleinen Schwester. Einen Partner sucht man sich aus, um mit ihm gemeinsam zu kämpfen. Man gibt seinem Partner sein Leben in die Hand und umgekehrt. Bedingungsloses Vertrauen.“ „Und,“ ergänzte Shahin: „Man nimmt nur jemanden, dessen Kampffähigkeit man schätzt. Und dem man blind vertrauen kann – und der einem vertraut. Darum sind wir Partner – wir kennen uns und unsere Fähigkeiten seit Kindertagen.“ „Tante Anna hatte ihren Ehemann als Partner,“ sagte Michel nachdenklich. „Ja, das mag sein, oder auch den Bruder. Unsere Eltern waren Partner. Aber das muss nicht so sein. In der Wahl des Partners ist jeder frei.“ Amir lächelte: „Shahin ist mein Partner, Djamila meine Ehefrau – ich würde nicht tauschen. - Mahedj?“ Denn der Jüngste der Brüder kam heran: „Was ist?“ „Agrar ist zurück!“ meldete der Siebzehnjährige. Michel sah ein wenig beunruhigt, wie sich die beiden älteren Brüder anspannten, ehe Shahin meinte: „Er ist kein Narr.“ „Nein, so töricht wird er nicht sein,“ bestätigte Amir: „Und er ist unser Cousin. Danke, Mahedj. Weiß es Sarifa schon?“ „Ja. Aber auch sie meint, dass er kein Idiot ist.“ Mahedj warf einen Blick auf Michel: „Agrar ist unser Cousin, Partner unserer Schwester. Und er hat sie schon gefragt, ob sie ihn heiraten will. Sie lehnte ab.“ Na, dann.....? Aber Michel hatte plötzlich das unbehagliche Gefühl, als ob auch in diesem kleinen Dorf Intrigen oder Ähnliches nicht unbekannt waren. Große Feuer waren auf dem Dorfplatz angezündet worden, um die Dämmerung, aber auch die Kühle, zu vertreiben. Es gab reichlich zu essen, über den Spießen drehten sich Zicklein und Lämmer, und auch, wenn Michel viele dieser Dinge unbekannt waren, so probierte er sich tapfer durch alle Angebote. Er saß neben Sarifas drei momentan im Dorf anwesenden Brüdern, links neben ihm der Onkel, der Anführer, oder genauer wohl der Fürst des kleinen Volkes. Michel schätzte, dass sicher gut zweihundert Menschen in dem Dorf lebten – und es vermutlich wie Tante Anna auch einige gab, die außerhalb wohnten. Auf der anderen Seite des Onkels saßen dessen drei Söhne, folglich Sarifas Cousins. Michel hatte nicht gefragt, ob einer davon dieser Agrar war, der unter Umständen Ärger verursachen würde. Das bekäme sein aggressiver Engel schon in den Griff. Dachte er. An einem anderen Feuer saßen nur Frauen, Sarifa, ihre Mutter und andere, die er schon gesehen hatte. Eine junge Frau warf immer wieder Amir einen Blick zu und er vermutete, dass es sich um Djamila, seine Ehefrau handeln dürfte. Leise erkundigte er sich bei Shahin: „Hast du auch schon eine Ehefrau im Blick, Bruder meiner Partnerin?“ „Nein. Nun, im Blick schon, aber.sie will mich nicht.“ „Und Assasssinenmädchen wählen frei.“ „Ja. Außer, du hast Lust die Hochzeitsnacht nicht zu überleben,“ lächelte Shahin. „Ich könnte mir keinen Grund vorstellen, warum dich eine Frau ablehnt, aber das ist hier wohl anders.“ „Oh, danke. Ja, es ist anders. Ich bin nur der Zweite. Amir war die bessere Partie auf dem Heiratsmarkt. - Agrar.“ Hm? Michel sah jedoch auf. Der junge Mann, der gerade an das Feuer trat, musste also der Cousin sein, der Sarifa heiraten wollte. Und, der wohl Ärger machen wollte, immerhin hatten ihre Brüder doch deutlich angespannt gewirkt. Jetzt blickte auch der Onkel auf: „Agrar? Dies ist ein Fest.“ „Dessen bin ich mir bewusst, Vater“ erklärte der Neuankömmling: „Sarifas Partner, also.“ Michel sah das Aufblitzen, aber war sich zu sicher, dass ihm als Gast des Dorfes nichts geschehen würde, als dass er auch nur gezuckt hätte. Ein silberner Dolch bohrte sich nur Zentimeter vor seinen Knien in den harten Boden. „Ich fordere dich, Partner meiner zukünftigen Ehefrau.“ Das war eine Herausforderung, die er nicht ablehnen konnte, das war Michel klar. Nur – wieso der Cousin und nicht ein Bruder? Aber er griff zu dem Dolch und zog ihn heraus. Im nächsten Moment bemerkte er, dass ihn alle Assassinen anstarrten – Sarifa geradezu entsetzt. Was war denn jetzt los? Irgendwie hatte er doch ein Fettnäpfchen erwischt. „Morgen Mittag,“ sagte Agrar zufrieden und ging. Shahin dagegen meinte nur: „Deine Hand und dein Mut waren schneller als meine Zunge.“ „Ihr habt doch gesagt, dass es nur rituelle Duelle sind....“ versuchte sich Michel zu entschuldigen, der plötzlich etwas Eisiges seine Wirbelsäule entlang streichen spürte. Prompt erfuhr er die Bestätigung. „Nein, nicht mit dem silbernen Dolch. Agrar forderte dich zu einem Ehrenduell. Kampf auf Leben und Tod.“ ** Und Graf Uther meinte, er sei froh, dass Michel mal wo ist, wo ihm nichts passieren könne..... Kapitel 29: Die Nacht vor dem Ehrenduell ---------------------------------------- Think, you need a friend to stand here by your side, yes you did Now you can depend on me to make things right Please, don't bet that you'll ever escape me, once I get my sights on you Got a license to kill License to kill, James Bond, Gladys Knight Michel erstarrte unmerklich, zumal er bemerkte, dass plötzlich vollkommene Stille auf dem Dorfplatz herrschte und ihn alle ansahen. Vorsichtig warf er einen Blick zu seiner Partnerin – oh je. Sie war wütend, da war er sicher. Keiner der ahnungslosen Fehler, die sie im Norden begangen hatte, hatte ihn so in die Klemme gebracht wie seiner nun hier. Da würde er sich noch etwas anhören dürfen, ganz sicher. Er hatte wohl versagt, sie vor den Augen ihrer Familie, ihres Volkes, blamiert. Aber ihm stand jetzt ein Kampf auf Leben und Tod mit einem Assassinen bevor? „Welche Waffen?“ erkundigte er sich fast vorsichtig bei Shahin. „Messer, natürlich.“ Natürlich. „Hm. Degen wäre mir lieber.“ Das erwartete keine Antwort. „Hast du schon einmal einen Messerkampf bestritten, Partner meiner Schwester?“ „Nein.“ „Dein Auge ist geschult und deine Hand schnell – ich werde dir heute Nacht beibringen, wie Agrar kämpft. Und den Rest der Nacht wirst du auf meinem Lager schlafen.“ Äh....Michel spürte, dass er rot wurde. War das ein Angebot? Er war welterfahren genug, um zu wissen, dass es Männer gab, die andere Männer Frauen vorzogen, aber er selbst hielt davon eigentlich nichts. War das der Preis, den er Shahin zahlen sollte, damit dieser ihm auch nur erklärte, wie Agrar kämpfte oder wie man mit so einem Dolch umging? Das wurde ja immer schlimmer. Warum war er bloß in dieses Dorf gekommen? Aber er sagte nur, bemüht, nicht noch einen Fehler zu begehen, der dann womöglich seinen sofortigen Tod bedeutete: „Das Angebot ist freundlich, Bruder meiner Partnerin, jedoch kann ich kaum in wenigen Stunden lernen, was ein Assassine in vielen Jahren lernt.“ Shahin nickte langsam: „Das ist wahr. Aber du hättest eine Chance.“ Und das war das nüchterne Urteil eines Profis. Das war allerdings auch dem Agenten klar. Er hatte einen Fehler begangen – und musste nun dazu stehen, wollte er nicht sich, Sarifa und womöglich den Kaiser bei den Assassinen diskreditieren. Um jeden Preis. „Agrar hat keine Wurfmesser.“ „Nein. Komm.“ Shahin stand ebenso wie Amir auf. Jetzt erst bemerkte Michel, dass das Fest wohl abrupt zu Ende war, denn auch der Onkel neben ihm erhob sich und sah ihn an: „Ich werde morgen auf einen guten Kampf hoffen, Partner meiner Nichte. Aber erwarte nicht, dass ich dir Glück gegen meinen Sohn wünsche.“ „Das erwarte ich nicht, Herr der Assassinen.“ Er sah, dass Sarifa auf ihn zusteuerte – und selbst in Aquatica war sie nicht so wütend gewesen. Ihre Mutter folgte ihr und ihre zwei Brüder stellten sich zwischen sie und ihren Partner. „Sarifa!“ befahl Elkhelellu scharf. Amir fasste seine Schwester an den Schultern: „Sarifa! - Es ist nicht seine Schuld. Wir erzählten ihm zuvor von den Kämpfen, die man überstehen muss, will man in eine Familie heiraten – und, dass diese nur rituell sind. Niemand erklärte ihm ein Ehrenduell. Und er ist ein mutiger Mann. - Shahin, geh mit Michel ins Übungshaus, ich komme nach. - Sarifa,“ wandte er sich wieder an seine Schwester, als die anderen beiden wortlos verschwanden. Diese atmete tief durch. „Gut so, kleine Schwester. Geh mit Mutter. Da ist jetzt Männersache. - Und vor einem solchen Kampf kann ein Mann keine Frau gebrauchen. Keine Küsse, keine Tränen, aber auch keine Vorwürfe.“ Sie nahm sich zusammen: „Ja, ich weiß. Aber...oh, ich könnte Agrar umbringen. Er hat doch gewusst, dass Michel nichts von unseren Sitten weiß. Und ich könnte meinen Partner umbringen, weil er auf so eine dämliche List hereinfiel.“ Agrar plante ihr den Partner zu nehmen, um selbst Partner und Ehemann zu werden. „Er ist ein mutiger Mann,“ wiederholte Amir: „Und niemand darf sich in ein Ehrenduell einmischen. Niemand, auch nicht der Partner.“ Sarifa war das nur zu klar. Darauf stand die Todesstrafe: „Dann seht zu, meine Brüder, dass sein Mut nicht zu seinem Untergang wird. Agrar kann mit dem Armreifdolch umgehen. Michel hat noch nie einen in der Hand gehabt.“ „Shahin wird sich um ihn kümmern. Und Mahedj und ich werden heute Nacht auf dem Dach wachen.“ „Danke.“ Sarifa atmete tief durch, ehe sie sich zu ihrer Mutter umdrehte und der schweigend folgte. Shahin hatte Michel unterdessen zu dem großen Haus geführt das als Übungshaus bezeichnet wurde. Er öffnete die Tür und begann dort verspiegelte Lichter anzuzünden – Kerzen, die mit einem polierten Metallschild versehen waren, zum einen aus Brandschutzgründen, zum anderen, um ein gleichmäßigeres Licht im gesamten Raum zu erzeugen. Es mussten hunderte sein, dachte Michel, aber er sah sich in dem matten Schein der ersten neugierig um. Die gesamte große Halle war mit Sandboden aufgeschüttet worden – sicher aufwendig in dieser bergigen Region. An den Wänden hingen allerlei Haken, momentan leer. Was ihn aber am meisten faszinierte war die Tatsache, dass sich in gut zwei Meter Höhe bis unter das steile Dach ein Gewirr aus Seilen befand. Kein Wunder, dass sich Sarifa so sicher auf engstem Untergrund bewegen konnte. Er fragte allerdings laut nach. „Ja,“ erwiderte Shahin, ohne im Anzünden der Lichter innezuhalten: „Wenn man gelernt hat, auf solchen Seilen nicht nur zu gehen sondern auch zu kämpfen, wird es dir auf festem Untergrund umso leichter fallen. Und man kommt einfacher an sein Ziel, wenn man gut klettern kann.“ Ziel – also Zielperson. Er durfte nicht vergessen mit wem er hier sprach, nicht heute Nacht und nicht morgen gegen Agrar. „Das werde ich kaum lernen.“ „Musst du auch nicht. Wir lernen es ab drei Jahren, und glaube mir, du wiederholst eine Übung so lange, bis du keinen Fehler mehr machst. - So, das reicht an Licht.“ Er kam heran. Eine knappe Armbewegung und sein Dolch lag in der Hand: „Hier. Nimm ihn. Du kämpfst mit dem Degen, also ist deine Hand und dein Arm das Gewicht und den Umgang mit einer Waffe gewohnt. Dennoch hält man ihn in einem Messerkampf anders.“ Er zog seinen zweiten: „Sieh her.“ Michel befolgte die Anweisung möglichst genau. Er wusste, dass davon sein Leben morgen abhängen würde. „Ich werde dir nun einige Paraden zeigen, auf Angriffe, die Agrar sicher versuchen wird. Sie sind unsere Standardattacken in solchen Fällen und er wird annehmen, dass du keine Ahnung hast, auch, wenn er mitbekommen haben sollte, dass wir heute hier noch üben.“ „Danke, Bruder meiner Partnerin. Darf ich dich dann um etwas bitten zu lehren?“ „Nun?“ „Wie entwaffnet man einen Assassinen?“ Shahin grinste zu seinem Bruder, der gerade die Halle betreten hatte: „Ah, ein kluger Mann.“ Amir nickte. Und, da er sah, dass ihr Gast nicht verstand: „Nur ein erfahrener Mann sucht nicht danach seine Stärke in so kurzer Zeit zu verbessern sondern nach den Schwachstellen des Gegners. In der Tat. Ich weiß langsam, warum du der Partner unserer kleinen Schwester bist.“ „War sie noch sehr böse?“ erkundigte sich Michel ein wenig besorgt. „Nein. Sie war es übrigens mehr auf Agrar als auf dich. - Shahin: attackiere ihn.“ Graf Lothar begrüßte seinen späten Gast höflich: „Bitte, nehmt doch Platz, Uther. Ein Glas Weißwein von meinen eigenen Gütern?“ „Ja, danke. Es war heute ein langer Tag.“ Der Kaiserbruder setzte sich: „Ihr hörtet die Neuigkeit?“ „Mehrere.“ Lothar lächelte: „Dass Kapitän Polo eine Brieftaube sandte und Dankward ebenfalls? Oder dass Reginhard als Graf zu den Dörfern im Sumpf geschickt wird? Er ist ein erfahrener Mann und wird, so hoffe ich, den Meuchelmördersumpf im wahrsten Sinne des Wortes trockenlegen.“ „Dagobert hat die Kanzlei darauf angesetzt, Ingenieure zu beauftragen um zu sehen, ob man diese Dörfer wieder trockenlegen kann, ohne erneute Überschwemmungen zu verursachen. Habt Ihr Bellisario verhaftet?“ „Ja. Er wird in Pisan vor Gericht gestellt, seine Güter und die Hälfte seines Vermögens fallen wohl an seine Tochter, die andere Hälfte bekommt der König, der die junge donna dann vermutlich auch als Vormund leiten wird. - Und die Meuchelmörder bei ihm sind auch verhaftet worden. Zwei sind allerdings entkommen.“ „Und Amalaswintha Kerka?“ „Sie beging Selbstmord.“ Uther schwieg. Das konnte wahr sein, musste aber nicht. Er wusste nur zu gut, dass Lothar ebenfalls klar war, dass eine auch nur mögliche falsche Aussage ihrerseits vor dem kaiserlichen Gericht auch Schwierigkeiten für Sarifa und Michel mit sich bringen würde. Das war der Preis, den sie manchmal bezahlen mussten – und in manchen Nächten erdrückte ihn oder auch Dagobert und sicher auch Lothar das Gewissen fast. Aber wenn er an die Toten der frühen Jahre dachte, die geplünderten und eroberten Städte, die verlustreichen Schlachten, so waren diese einzelnen Opfer wohl doch das geringere Übel. Um abzulenken fragte Lothar: „Hat der Kaiser Markward schon erzählt, dass sein Bruder zurückkommt?“ „Nein. Er weiß ja nicht in welchem....seelischen Zustand.“ Überdies sollte der Junge keinen zufälligen Unfall haben und Markwards Spielereien mit Intrigen begannen lästig zu werden. Uther war darüber informiert worden, dass sich dieser mit dem Herzog der Westmark getroffen hatte – und das verschwiegen hatte. Wusste der Himmel was noch so alles. „Es ist nicht immer leicht, Vater zu sein.“ Graf Lothar seufzte ein wenig: „Und dabei ist mein Sohn noch ganz vernünftig.“ „Was hat Theuderich denn getan?“ Echte Anteilnahme lag in der Stimme des Kaiserbruders. „Er ist ja Mathilde de Biron versprochen – und dann verliebt er sich in ein wirklich indiskutables Mädchen. Aber er sah ein, dass man weder die Birons verprellen kann ohne eine Fehde vom Zaum zu brechen, noch ein Mädchen unehrlicher Geburt als Frau für ihn in Betracht kommt. So bezahlt er ihr eine kleine Wohnung hier. Wenn er genug von ihr hat, wird sie ausreichend Geld bekommen, um irgendwo neu anzufangen, wo keiner davon weiß, dass ihre Mutter aus dem Haus der gelüstigen Fräulein stammt.“ „Da habt Ihr Recht, Lothar. Unehrliche Geburt vererbt sich durch die Generationen. Und den weiblichen Nachkommen bleibt, wenn sie nicht einen Mann finden, der ebenfalls unehrlich ist, nichts anderes übrig, als in solchen Häusern zu arbeiten. - Man entkommt diesem Fluch nur, wenn man Glück hat oder einen Gönner.“ „Wusstet Ihr, wer alles unter unehrliche Stände fällt? Ich meine, außer Prostituierten und Henkern?“ „Gaukler, herumziehendes Volk, Kesselflicker, Theaterleute, Bader...“ erwiderte Uther etwas erstaunt. „Ja. Aber in manchen Gegenden auch Polizeibüttel.“ Lothar lächelte: „Ich hörte davon schon früher und ließ sie umcbenennen. Büttel sind unehrlich, Polizisten nicht. Überdies werden sie gut bezahlt, das hebt auch das Ansehen.“ „Man lernt nie aus. - Wobei ich zugebe, dass mir diese ganze „Unehrlichkeit“ zuwider ist. Unehelich geborene Kinder gelten als unehrlich, obwohl sie ja nun nichts für ihre Geburt können, auch der Beruf der Eltern sagt nichts über die Fähigkeiten des Nachwuchses aus. Ich halte das Ganze für eine Erfindung der Handwerker, um bei der Lehre und dann als Gesellen erst einmal ihre eigenen Kinder versorgen zu können.“ „Oh, auch für einen Kaufmannssohn, der ja nun wirklich ehrbar ist, ist es so gut wie unmöglich einen Meister zu finden.“ Lothar lächelte: „Und wenn Ihr oder auch Dagobert auf die Abschaffung solcher alten gesellschaftlichen Regeln drängen würdet, bekämt Ihr wirklich Ärger. Jeder Sohn folgt dem Vater – würde man das ändern, was würde aus dem Erbe des Adels und nicht zuletzt des Kaisers.“ „Das ist mir klar. Es ist nur meine persönliche Meinung.“ Und Graf Uther dachte an Michel. Elkhelellu musterte ihre Tochter. Sie hatte Sarifa einen Tee aufgedrängt: „Du solltest dich hinlegen.“ Diese schüttelte den Kopf: „Könntest du schlafen, Mutter?“ „Nein. Aber du solltest dennoch etwas mehr Vertrauen in deinen Partner haben. Und deine Brüder. Shahin nimmt das wirklich persönlich, warum auch immer.“ Sarifa nickte mit einem kleinen Lächeln, dem ersten seit Stunden: „Vermutlich, weil mein Partner in Paradisa seinen Scheinangriff abblocken konnte. Mein großer Bruder war da sehr angetan.“ „Mag sein. Dann solltest du erst Recht Vertrauen haben.“ „Agrar ist kein schlechter Kämpfer – und er kann seit Jahren mit einem Dolch umgehen,“ wandte Sarifa ein. „Hast du deinen Partner schon kämpfen sehen?“ gab Elkhelellu nur zurück. „Ja, allerdings mit dem Degen.“ „Auf Leben und Tod?“ „Ja.“ Sarifa dachte an das Duell in der Dunkelheit bei Emsby und wie beeindruckt da der Kapitän von Michel gewesen war und dessen Technik. „Du hast Recht. Es wird für Agrar nicht so einfach, wie er glaubt.“ „Dennoch wird dein Cousin, falls er gewinnt, dich erneut fragen, ob du ihn heiraten willst.“ „Und ich werde wieder ablehnen. Einmal, weil ich ihn nicht mag und zweitens: ich habe noch einen Auftrag.“ „Wie du meinst. Aber jetzt erzähle: wie geht es Anna in Aquatica?“ Elkhelellu goss noch einen Tee ein. Die Nacht war bereits halb vorüber, als die beiden Assassinen endlich das Training für Michel beendeten. „Es wird Zeit,“ meinte Amir: „Geht zu Bett. Mahedj und ich wachen auf dem Dach.“ „Gut. Komm, Partner meiner Schwester.“ Michel wurde wieder rot, aber er folgte den Brüdern ohne sichtbares Zögern. Shahin hatte ja gesagt, dass er heute Nacht auf seinem Lager schlafen sollte – und eigentlich gab es nur einen Grund, warum dem so sein sollte. Aber gut. Shahin hatte sich intensiv bemüht ihm den Umgang mit dem Messer beizubringen, Abwehr- und Angriffstechniken geballt in den wenigen Stunden zu lehren. Da durfte er sich nicht beklagen, wenn der dafür einen Lohn haben wollte. Allerdings musste Michel zugeben, dass er keine Ahnung hatte. Natürlich waren ihm derartige zwischenmenschliche Dinge nicht unbekannt, aber er konnte sich nicht vorstellen, wie so etwas zwischen zwei Männern ablaufen sollte. Er wollte sich jedoch auch nicht in die Nesseln setzen und ging wortlos in das Haus, in dem die Männer der Familie schliefen, wie auch er in der vergangenen Nacht. Diesmal allerdings meinte Shahin: „Wie du gesehen hast, Partner meiner Schwester, schlafe ich dort an der Wand. Zieh dich aus und leg dich dorthin, ich bin gleich wieder da.“ Michel gehorchte wortlos und glitt unter die Schafwolldecke. So ähnlich musste sich ein Mädchen in der Hochzeitsnacht fühlen, dachte er plötzlich. Diese seltsame Mischung auf Scham und Angst vor dem Unbekannten. Aber er hatte keine Wahl. Er war auf das Angebot eingegangen und musste nun auch seinen Teil erfüllen. Das Duell morgen würde schwer genug werden, da sollte er nicht auch noch die Brüder seiner Partnerin verärgern. Immerhin war er recht sicher, dass ihm im Falle eines Sieges das kein Dorfbewohner übel nehmen würde, ihn deswegen anklagen oder auch umbringen würde.Wirklich, andere Sitten. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als Shahin den Raum betrat und die Kerze neben der Tür ausblies. „Meine Brüder wachen,“ erklärte der Assassine. Michel hörte, dass der sich auszog: „Warum eigentlich?“ erkundigte er sich, um sich abzulenken. Er spürte seinen Puls rasch steigen, wie sonst nur vor einem Duell. „Agrar. Es würde zwar eine gewisse Blamage für ihn bedeuten, wenn er dich heute Nacht tötet – aber du hast dann eben nicht gut genug aufgepasst. Man würde sagen, du bist selbst schuld. Leg dich auf den Bauch.“ „Oh, und deine Brüder passen auf, dass er das nicht tut.“ Michel gehorchte jedoch, unwillkürlich angespannt. Was nun? In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, was Shahin tat, aber er hörte ein leises Klirren, als ob ein Gefäß abgestellt wurde, dann spürte er die tastende Hand auf seinem Rücken. „Entspann dich, Partner meiner Schwester. So kämpft es sich besser.“ Sagte der, der..... Michel fühlte, wie Shahin über seinen Rücken strich, kühl und etwas Feuchtes an den Fingern: „Was...?“ brachte er unwillkürlich hervor. „Öl. Es entspannt die Muskulatur.“ Der Assassine kniete sich neben ihn und schlug die Decke zurück, ehe er seine beiden Hände über den Rücken des Gastes streichen ließ. „In der Tat, du bist geübt, man kann es deutlich hier spüren“ konstatierte er, ehe er begann, die Muskeln um die Schulterblätter zu massieren: „Entspanne dich. Es wird nicht wehtun.“ Entspannung war wohl etwas anderes, dachte Michel unwillkürlich. Um sich abzulenken fragte er: „Du weißt über Muskeln und ihren Verlauf Bescheid?“ „Aber ja. Das Wissen um die Bauart des menschlichen Körpers brachten unsere Vorfahren von südlich des Meeres mit.“ „Wie haben sie es entdeckt? Leichenschändung ist verboten!“ In der Stimme des Assassinen lag ein Lächeln: „Nun, es ist doch besser mit einem Messer einen toten Körper zu untersuchen als einen lebendigen. Und mir persönlich wäre es gleich, was mit meinem Körper nach dem Tod passiert.“ So konnte man es auch sehen. Michel stellte fest, dass er sich unter der Massage tatsächlich etwas entspannte. Shahins Finger glitten geübt über seine Schultern, seine Oberarme, lockerten sie irgendwie, strichen dann die Wirbelsäule entlang, suchten bestimmte Punkte. „Warum hilfst du mir eigentlich, Bruder meiner Partnerin? Darum?“ „Auch,“ gab der Assassine zu: „Sonst hätte ich dich nicht kennengelernt. Aber du erinnerst dich an meine Attacke auf dich in Paradisa? Du hast mich abgeblockt, ehe ich meine Hand zurückziehen konnte. Und das vermögen nur wenige – selbst wenn ich dich mit diesem Stoß hätte töten wollen, hätte ich versagt.“ Ehrliche Achtung, dachte Michel. Das hatte auch Sarifa so drauf: die Fähigkeiten eines anderen zu schätzen, ohne Heuchelei oder Neid. „Vertraue mir,“ sagte Shahin: „Ich werde dich nicht angreifen oder erwürgen.“ Wieder hörte der Gast aus dem Norden nur das Lächeln in der Dunkelheit: „Das habe ich auch nicht angenommen,“ bekannte er. Sollte er sagen, was er vermutete? Plötzlich erschien ihm alles ganz harmlos zu sein, eher hilfsbereit und eine Vorbereitung auf das Duell morgen, als das, was er gedacht hatte, und er schämte sich ein wenig dafür. War es das, was Sarifa so an den nördlichen Sitten irritierte? Er musste nur daran denken, dass sie ihn für eine wirklich harmlose Bemerkung bei ihrer ersten Begegnung die Dolche um die Ohren geworfen hatte. Nein, entschied er. Er würde Shahin nicht erzählen, was er ihm unterstellt hatte. Das würde bei einem Angehörigen dieses Volkes vermutlich eine echte Beleidigung darstellen. So entspannte er sich endlich und genoss die Massage. ** Zum Glück hat Michel den Mund gehalten. Im nächsten Kapitel geht es zur Sache: Duell. Kapitel 30: Duell ----------------- Michel schlief friedlich, als Amir und Mahedj in das Schlafzimmer der Männer kamen, um ihren Bruder und ihn zu wecken. Shahin war unverzüglich wach, und warf, da seine Brüder ein wenig lächelten, einen Blick auf den Schlafenden. Ihr Gedankengang war ihm klar – er teilte ihn. Für einen Assassinen war solch ein Schlaf am Morgen vor einem Duell auf Leben und Tod der Beweis von Mut und Selbstvertrauen – durchaus anerkannte Eigenschaften. Aber Michel lebte ebenfalls zu lange in einer Welt, in der selbst im Schlaf auf der Hut sein das Leben retten konnte, und drehte sich abrupt um – jäh hellwach, ehe er sich entsann, wo er war, und sich entspannte: „Oh, guten Morgen, Brüder meiner Partnerin. Ist es schon Zeit?“ „Nein. Aber Mutter und Sarifa haben Frühstück gemacht,“ erklärte Amir: „Nicht, dass du etwas essen solltest, aber ein wenig Tee wäre ratsam.“ „Oh, danke. Ja, ich komme dann gleich.“ Als die beiden verschwanden, sah er zu Shahin: „Danke für die Massage – Geist und Körper sind locker.“ „Gern geschehen. Das Öl stellt Mutter übrigens selbst her.“ Der Assassine erhob sich und im Tageslicht erkannte Michel an seiner linken Seite eine hässliche Narbe, die offenkundig alt und verwachsen war – das musste die Bärenwunde sein, als er elf gewesen war. Da sich Shahin anzog folgte der nördliche Adelige seinem Beispiel. Jedes Zögern, jede Verlegenheit war verschwunden. Man kann sich nicht vor jemandem schämen, der drei Viertel der Nacht damit zugebracht hat, einen kampffähig zu machen, ohne selbst etwas dafür zu verlangen. Als die Vier hinüber in das Haupthaus kamen, saßen Elkhelellu und Sarifa bereits um die Tischplatte. Kleine Schälchen mit Tee standen neben den einzelnen Plätzen. Michel warf einen Blick auf seine Partnerin. Sie war ruhig, lächelte ihm sogar flüchtig zu. „Guten Morgen,“ sagte er daher höflich zu ihrer Mutter, ehe er ein: „Meine Partnerin...“ hinzusetzte. Sie musterte ihn prüfend, konnte jedoch keine ungewöhnliche Anspannung entdecken. So hatten ihre Brüder, und vor allem Shahin wohl gute Arbeit geleistet – zumal Michel in der Tat ein mutiger Mann war. Es war ungerecht gewesen, dass sie auf ihn wütend gewesen war. Niemand hatte ihm erklärt, was es mit dem silbernen Dolch auf sich hatte – ihr Fehler. Sie hätte ihn warnen müssen. So meinte sie nur: „Ich weiß nicht, ob meine großen Brüder das erwähnten: es ist allgemein üblich, ein derartiges Duell mit bloßem Oberkörper zu führen.“ „Um die Verletzungen und das Blut gleich zu zeigen?“ erkundigte er sich prompt. Er kannte von Hinrichtungen oder auch Anprangern die Schadenfreude der Menschen. „Nein,“ erwiderte Elkhelellu sofort: „Trink nur den Tee, Partner meiner Tochter. - Wenn du überlebst, wird sich in die Verletzungen Staub und der Sand des Platzes legen, was man auswaschen kann. Sonst könnte sich der Stoff in den Wunden festkleben und ist schlechter zu beseitigen. Die Gefahr einer Blutvergiftung sinkt so. Überdies kann sich der Dolch deines Gegners nicht in deiner Kleidung verwirren.“ Jeder hier kannte sich wohl in Kampftechniken aus, musste er anerkennen. Allerdings: „Auch meine Beinlinge sind nicht unbedingt für ein Duell solcher Art geeignet,“ gab er zu: „Kann ich mir von jemandem Stiefel leihen?“ „Ja, nimm meine, Partner meiner großen Schwester,,“ erklärte Mahedj unverzüglich: „Sie könnten dir über diese...hm...Schuhe passen.“ Er hatte noch nie Schuhe gesehen, die nur aus Strümpfen bestanden und deren einziger Schutz gegen den Boden eine angenähte Ledersohle bildete. Aber er war der Jüngste und er hatte das Dorf erst einmal verlassen, als er mit Mutter und einigen anderen auf den Markt in die nächste Kleinstadt zog, um dort Schafprodukte zu verkaufen. „Und meine Ersatzkleidung,“ ergänzte Amir: „Unsere Hosen sind doch etwas...weiter. Ich gehe und hole welche.“ „Dann wohnst du nicht hier?“ erkundigte sich Michel neugierig. Immerhin hatte Amir doch gesagt, er sei mit einer Djamila verheiratet. „Doch, ich hole sie von drüben, aus unserer Schlafkammer. - Aber meine Frau ist zur Zeit in ihrem Elternhaus, da ihre Schwägerin kurz vor der Geburt des ersten Kindes steht. Da kommen immer alle Frauen der Familie zusammen.“ „Danke. - Eine Frage habe ich noch,“ sagte er zu niemand Bestimmten: „Hat Agrar auch Klingen in den Griffen wie du, meine Partnerin?“ „Nein,“ erwiderte Sarifa sofort: „Wie auch meine Rüstung – das sind Spezialanfertigungen für mich um den Gewichtsvorteil eines Mannes auszugleichen.“ „Schön, wenn man weiß, auf was man alles nicht aufpassen muss.“ „Auf alles,“ erwiderte Elkhelellu prompt: „Wenn es dir meine Söhne noch nicht sagten: es ist ein Ehrenduell. Und da gibt es nur eine Regel: wer überlebt, siegt.“ Oh, seufzte Michel in Gedanken, meinte jedoch nur: „Keine Regel.“ „Gibt es gerade bei euch im Norden nicht das Sprichwort: im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt?“ fragte sie zurück: „Agrar liebt Sarifa und sieht sie ungern auch nur in der Nähe eines anderen Mannes. Das ist der Grund für dieses Duell, auch, wenn ihm klar sein dürfte, dass du der Partner bist, kein Eheanwärter.“ „Ich verstehe. Danke für den Rat, Mutter meiner Partnerin.“ Ihre Namen konnte er kaum aussprechen und so fragte er plötzlich: „Sarifa bedeutet die Anmutige, nicht wahr? Bedeuten alle Namen etwas?“ „Ja,“ sagte Shahin. „Der Name unserer Mutter ist Schmetterling in deiner Sprache, Amir ist ein Befehlshaber, ein Herzog oder Fürst, Shahin bedeutet Falke, Mahedj eine Gazelle. Unsere Brüder, die du nicht kennst: Yamin bedeutet jemand, der die Sache in Ordnung bringt, und Tarik...äh....“ „Ein tapferer Krieger,“ half Elhkehellu aus: „So ungefähr. Manches lässt sich nicht übersetzen.“ „Aber Tante Anna in Aquatica hat einen....nördlichen Namen.“ Michel war sichtlich interessiert und ahnte nicht, dass das etwas war, das die Assassinen schätzten, so kurz vor einem tödlichen Kampf. „Sie änderte den ihren als sie sich mit ihrem Partner in Aquatica niederließ. Es sollten keine Fragen kommen. Geboren wurde sie als Akila, das bedeutet so etwas wie ...klug. In unserer Sprache sucht man immer Namen mit einer schönen Bedeutung aus. Was bedeutet Michel?“ „Tja,“ musste er zugeben: „Im Norden werden Namen weitergegeben, ohne dass man sich unbedingt deren Bedeutung bewusst ist. Manche Namen bleiben in der Familie, von Großvater zu Sohn. Ah, danke Mahedj, danke Amir. Ich werde mich dann umziehen gehen.“ Sarifa folgte ihm, ohne dass jemand ihrer Familie sie aufgehalten hätte: „Michel...“ „Ja, mein Engel?“ Er zog sich das Wams aus und die hemdartige Garderobe der Assassinen über: „Hilfst du mir bei den Armreifdolchen?“ „Natürlich. Hat Shahin dir seine gegeben?“ Sie wickelte die Riemen um seine Unterarme. „Ja. Er sagte, es sei gute Ware.“ „Er schätzt dich. - Michel, ich möchte mich entschuldigen.“ „Warum? Du hast ja nicht wissen können, dass jemand mich zu einem Ehrenduell fordert.“ „Ich dachte nicht, dass Agrar so ein Idiot ist,“ bekannte sie: „Ist es zu fest?“ „Nein.“ Er streckte den anderen Arm aus: „Und mach dir keine Sorgen um mich. Ich will nämlich nicht sterben.“ „Eine gute Einstellung in einem Kampf auf Leben und Tod – vorausgesetzt, man hat keine Angst vor dem Tod.“ „Eine Assassinen-Weisheit?“ Er zog sich die Haare zurück und band sie zu einem Zopf. „Nein. Eher Tatsache. Nur, wenn man nicht in Panik verfällt, hat man eine Chance. - Ich lass dich allein,“ meinte sie etwas verlegen, da er zu seinen Beinlingen griff: „Viel Glück.“ „Danke. - Sarifa – wenn....wenn die Sache schief geht, denk ab und an an mich, ja?“ Sie lächelte etwas und floh dann förmlich aus dem Raum. Michel lächelte ebenfalls, zog sich aber nur um, um sich zu setzen und zu warten. Er hatte bereits angesagte Duelle bestanden und kannte die Anspannung, ebenso wie die vor einer Schlacht. Man konnte in diesen Zeiten kein Adeliger in kaiserlichen Diensten sein ohne zu lernen gelassen am offenen Grab zu stehen. So versuchte er sich zu konzentrieren, die Stimmen draußen zu ignorieren, die eine größer werdende Menschenansammlung verrieten. Er war kein Held, dachte er plötzlich, und wenn ihm jemand mitgeteilt hätte, Agrar sage den Kampf ab, weil er...die Pest hätte, wäre er wirklich nicht böse gewesen. Aber ihm war bewusst, dass er, würde er das Duell ablehnen, selbst das Dorf vermutlich nicht lebend verlassen würde, hätte er doch sich, seine Partnerin vor allem und den Kaiser blamiert. Unmöglich, undenkbar. Sarifa hatte sich im Norden so viel Mühe gegeben rasch alles Notwendige zu lernen, sie hatte manchmal gepatzt, aber ihn nie im Stich gelassen – da wollte er nicht damit anfangen, schon gar nicht vor ihren eigenen Leuten. Er sah erst auf, als Amir hereinkam. „Komm,“ sagte der nur. Michel stand auf und folgte ihm wortlos. Auf dem Dorfplatz zeugte nichts mehr von der gestrigen Feier, alle Überreste der Feuer waren verschwunden. Die gesamte Bevölkerung, er schätzte über zweihundert Menschen, saß in einem weiten Kreis im Schatten der Häuser, der Platz selbst lag in der winterlichen Mittagssonne. Immerhin war nicht Sommer, es würde also nicht zu heiß werden. Er entdeckte seinen Herausforderer am anderen Ende, der sich gerade das Oberteil abstreifte. Als Agrar ihn entdeckte, rief er: „Zu feige, deine Kleidung auszuziehen?“ Er trug an beiden Unterarmen Dolche geschnallt. „Nicht wirklich,“ gab Michel zurück, der bemerkte, dass ihn Amir allein ließ, um sich auf seinen Platz zwischen Onkel und Sarifa zu setzen. Hinter ihm saß eine junge, sehr hübsche Frau von knapp über Zwanzig, seine Ehefrau Djamila. Michel blieb daher stehen und streifte sich den Überhang ab, warf ihn beiseite, dann das hemdartige Obergewand. Plötzlich wurde er sich bewusst, dass ihn alle auf dem Platz anstarrten, ein gewisses Murmeln durch die Menge lief. Was war das denn? Irgendwie wurde er rot, das spürte er. Das war ja schrecklich peinlich. Was hatten sie? Aber ihm war klar, dass er möglichst keine Regung zeigen durfte. Sarifa hätte es ihm erklären können. An seinem Körperbau ließ sich ablesen, dass er durchtrainiert war, kein nördlicher, harmloser Schreiberling, wie es manche hier schon vermutet hätten, die annahmen, sie hätte ihn aus einem ganz anderen Grund zum Partner gewählt. Da war eine große Narbe auf seiner linken Schulter, die unbekannten Ursprungs war, Degennarben über Brust und Oberarmen. Er war ein Kämpfer, und das überraschte durchaus manchen hier. Sarifa wünschte sich inständig auch Agrar wäre erstaunt. Ihre Verwandten hofften auf einen guten Kampf, gleich, wer gewinnen würde. Das war ein Ehrenduell und so häufig fanden diese nicht statt. Agrar kam langsam in die Mitte des Platzes, Michel tat es ihm gleich, ebenfalls zwei Messer an den Unterarmen. „Ihr kennt die Regeln?“ erkundigte sich der Anführer der Assassinen: „Dass es keine gibt? Der Kampf wird erst enden, wenn einer von euch beiden tot ist. Zieht eure Dolche.“ Beide Duellanten gehorchten und wichen unwillkürlich einen Schritt zurück, duckten ab. Jedem auf dem Dorfplatz war klar, dass sie in diesem Moment die Zuschauer vergaßen, sich nur auf sich und den Gegner konzentrierten. Der Assassine stach zu – schnell und gezielt gegen das Herz seines Widersachers. Es war eine der Standardatttacken, von denen Shahin und Amir gesprochen hatten, und Michel parierte mit seiner Klinge auf dem Stahl von Agrars Messer. Ein bizarrer Tanz entstand. Der Assassine war stets in der Vorwärtsbewegung, zwang dadurch Michel öfter rückwärts zu gehen, abzublocken. Oft genug war es knapp, reichte die Zeit nicht für mehr als ein bloßes Beiseiteschlagen des Dolches. Aber ihm war klar, dass Agrar bald eine Pause einlegen würde, wenn er feststellte, dass er so nicht durchkam. Sarifas Brüder hatten ihm geraten, sich auf den Messerkampf einzulassen, ein System zu aufzubauen, um Agrar darüber zu täuschen, was er konnte – und was nicht. Nur im Freistil hätte er eine Chance gegen einen Assassinen, der seit zwanzig Jahren den Umgang mit den Armreifdolchen gewohnt war. Und Michel, der das für einen ausgezeichneten Rat hielt, war entschlossen, dem zu folgen. Dennoch atmete er unwillkürlich ein wenig auf, als Agrar zurückwich. Die erste Runde war vorbei, und sie müssten sich beide jetzt etwas Neues einfallen lassen. So griff diesmal Michel mit dem Dolch an, um seinen Widersacher nicht auf die Idee zu bringen, dass er auch mit der Linken attackieren könnte, wenn auch ohne Waffe. Er war schließlich nicht umsonst einer der Wenigen, die mit beiden Händen fechten konnten, das würde ihm hier vielleicht den überlebenswichtigen Vorteil verschaffen. Aber erst einmal musste er ein Kampfsystem durchsetzen, damit Agrar annahm, er kämpfe immer so, und womöglich unaufmerksam wurde, die falschen Züge vorausahnen wollte. „Er ist schnell,“ murmelte Shahin, sich auf seinen Cousin beziehend: „Aber dein Partner hält mit.“ Sarifa nickte ein wenig, ohne die Augen von den Duellanten zu lassen. Es würde gleich etwas passieren, da war sie sicher. Beide hatten bislang noch nicht alles gezeigt, was sie konnten – und würden dazu übergehen, wenn ihre bisherigen Attacken abgewehrt wurden. Michel griff noch immer an, während Agrar auswich oder Stahl auf Stahl parierte. Er bereitete etwas vor, das war ihr klar – nur, was? Und hoffentlich würde ihr Partner mit einer Finte rechnen. Wieder wich Agrar seitlich aus, wechselte dann jedoch plötzlich die Richtung. Mit der Linken schlug er Michels Waffenhand beiseite und zielte mit seinem Dolch auf dessen linke Brustseite, zum Stich ins Herz. Michel drehte sich blitzschnell seitwärts auf seinen Gegner zu. In der Stille des Dorfplatzes hörte man deutlich das Geräusch, als sein linker Unterarm den Stich an der Innenseite von Agrars Handgelenk blockierte und dessen Waffe so empor schlug. Der Assassine sprang sofort zurück und fasste seinen Dolch wieder fester. Um ein Haar hätte er ihn verloren. Mit der Linken rieb er sich sein rechtes Handgelenk. Anscheinend hatte der Abwehrschlag auch noch eine andere Wirkung gezeigt. Michel griff sofort seinerseits an, nun die Messerhand erhoben, um von oben zustoßen zu können. Agrar wich etwas zurück, ihm leicht die linke Seite zudrehend. Dabei schien er in der Rückwärtsbewegung zu stolpern, fing sich jedoch gerade noch durch einen raschen Seitwärtsschritt, sich gleichzeitig drehend – und dabei seinem Gegner fast den Rücken zukehrend. Michel sah seine Chance und beschleunigte etwas seine Bewegung.und folgte dem Assassinen. Agrar ließ sich jedoch noch aus der Drehung auf die Knie fallen, so dass Michel plötzlich zu nahe bei ihm für einen guten Angriff war. Sein Handgelenk streifte noch Agrars Gesicht ehe das Handgelenk verhältnismäßig weich auf der Schulter aufschlug, den Dolch harmlos in der Luft. Noch bevor dies geschah, oder eher gleichzeitig, fuhr Agrars linker Ellbogen hoch und zurück und traf den nun gebückt stehenden Michel hinter dem Ohr, fast am Nacken. Der wurde beiseite geschleudert, teils durch den Aufprall, teils durch sein instinktives Bemühen, dem Schlag noch auszuweichen, und prallte auf den harten Boden des Dorfplatzes. Allerdings war er zu ausgebildet und zu leidensfähig, um sich nicht unverzüglich wegzurollen und aufzuspringen. Seine Rechte hatte sich um seinen Dolch verkrampft. Eine der ersten Lektionen, die man bei den Leibgarden lernte, war, seine Waffe nie loszulassen, auch, wenn es sich dort um einen Degen und nicht ein Messer handelte. Diese, ins Unterbewusstsein übergegangene, Anleitung hatte ihm jetzt auch hier geholfen. Sarifa holte tief Atem. Das also war die Falle gewesen, die ihr Cousin aufgebaut hatte. Nun, ihr Partner war nicht hineingefallen und trug noch beide Dolche. Das mochte ein Vorteil sein. Sicher, jeder der Duellanten konnte eine Waffe verlieren und hatte doch eine, aber es kostete Zeit, das linke Messer in die Rechte zu nehmen – oder auch nicht, denn sie entsann sich durchaus, dass Michel ebenso mit der Linken fechten konnte, also wohl auch mit einem Dolch darin umgehen konnte. Das konnte sein Vorteil sein, denn Agrar würde kaum mit einem beidhändigen Gegner rechnen, dazu gab es zu wenige Leute, die das konnten. Michel blieb stehen, scheinbar erschöpft und verzweifelt. Er fasste den Dolch mit beiden Händen, als sei er ihm zu schwer geworden. Agrar bemerkte es natürlich ebenso wie die Zuschauer. Shahin und Amir warfen einen raschen Blich auf ihre kleine Schwester, aber da Sarifa regungslos zusah, vermuteten sie, dass Michel jetzt ihren Rat in die Tat umsetzen wollte. Da irrten sie sich, zumindest, was Sarifa betraf. Deren Ruhe kam nicht nur aus dem Vertrauen in ihren Partner sondern auch und vor allem aus der Tatsache, dass ihre Entscheidung schon längst gefallen war. Wenn die Sache hier schief ging, Michel verlor und starb, würde sie Agrar umbringen, gleich, was sie das dann kosten würde. Agrar griff an, aber im nächsten Moment war Michel ihm etwas entgegen gesprungen, direkt bei ihm. Mit dem linken Unterarm drückte er die Messerhand des Assassinen nach außen, ehe er mit beiden Fäusten in dessen Gesicht schlug. Der taumelte zurück und fiel zu Boden. Michel warf sich sofort auf ihn, um seine einzige Chance zu nutzen. Und bemerkte auf der Stelle, dass er seinen Gegner unterschätzt hatte. Trotz des harten Schlages, dessen Wirkung das Blut verriet, dass dieser aus seinem Mundwinkel rinnen ließ, war der aktionsfähig. Er sah die Klinge aufflirren, noch, als er sich auf Agrar warf, und versuchte, den Assassinen nochmals, endgültig, bewusstlos zu schlagen. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, wie die Messerhand seines Gegners schräg über ihm war. Er warf sich seitwärts, so gut es ging, und versuchte mit dem Knie abzublocken. Da er dabei schräg lag, misslang dies. Agrar zog seinen Dolch zurück, zu erfahren, um seine Waffe im Widersacher zu lassen. Die Klinge schimmerte rot. Michel wusste, dass er verletzt sein musste, aber sein Puls raste und das Wissen, dass er keine Zeit mehr zu verlieren hatte, ließ ihn Schock und Schmerz völlig vergessen. Irgendetwas in seinem Kopf wusste, dass er nicht mehr würde stehen können, - und dass sein Widersacher nun mit weiterem Freistil rechnen würde. So drehte er sich, schlug mit beiden Fäusten erneut gegen Kinn und Schläfe. Er lag oben, er hatte den ersten Hieb geführt, jetzt den zweiten, und so klappte es. Agrar wurde benommen. Michel riss dem Assassinen hastig den Dolch aus der Hand und warf ihn beiseite, ehe er ein Knie in die Kehle des Unterlegenen stemmte, sein verletztes Bein dabei nicht belastend. Jetzt tauchte der Schmerz bereits am Rand seines Bewusstseins auf... Nur noch eine Sekunde durchhalten, dachte er verbissen, als er zu Sarifas Onkel blickte. Er brachte kaum heraus, was er sagen wollte: „Habe..ich gewonnen....Herr der Assassinen, oder muss ich ihn töten? Ich ...ich möchte kein Familienmitglied meiner Partnerin umbringen...aber ich werde es tun,...wenn es nötig ist.“ Und es war Onkels Sohn. Der Anführer der Assassinen sah ihn an, ehe er sachlich erwiderte: „Du hast gewonnen. Das Leben meines Sohnes gehört jedoch dir. Töte ihn oder nicht, es ist deine Entscheidung.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Lässt du ihn jedoch leben, so verpfände ich dir mein Wort, dass ich, Moussa, jeden deiner Wünsche erfüllen werde, wenn es irgendwie in meiner Macht steht.“ Michel atmete etwas auf, ehe er sich erhob – und unverzüglich bemerkte, dass sein Bein wegknickte. Mühsam hielt er sich auf seinem gesunden Fuß, stützte sich nur mit dem verletzten ab. Er sah an sich herunter. Blut lief über seine Wade – diese war glatt durchstochen worden. „Agrar...“ meinte er keuchend: „Es war ein faires Duell – und ich wäre töricht... euer Dorf eines fähigen Kämpfers zu berauben.“ Er wollte gehen, aber fiel um ein Haar hin, spürte, wie sich ein Arm fest um ihn legte, dann ein zweiter. Sarifa und Shahin stützten ihn. Agrar drehte sich auf die Seite, um ebenfalls etwas angestrengt aufzustehen. Das Duell hatte bei ihnen beiden sehr an den Kräften gezehrt, erkannte Michel. „Komm,“ meinte seine Partnerin: „Mutter ging schon um ihre Salbe und Verbandszeug zu holen. Du hast gewonnen.“ „Hast du etwa...daran gezweifelt, mein Engel?“ „Nicht wirklich,“ bekannte sie. Michel, der um sich nur anerkennende Blicke entdecken konnte, war trotz seiner Müdigkeit und der Schmerzen stolz auf sich und lachte auf: „Ja, nicht wirklich.“ ** Das nächste Kapitel dreht sich hauptsächlich um die kaiserliche Familie. Kapitel 31: Kaiserliche Familie ------------------------------- Anawiga half dem Kaiser in sein Wams, ehe er sich umdrehte: „Danke, meine Liebe.“ Sie standen im Schlafzimmer der Kaiserin, einen der wenigen Orte des Reiches, in dem sie sich sicher fühlten. „So nervös, weil Dankward nach Hause kommt?“ lächelte sie. Er zuckte die Schultern: „Dankward oder das, was aus ihm geworden ist, ja. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mir gefällt, was aus ihm wurde.“ „Der kurze Brief klang erwachsen.“ „Ja, das meinte auch Uther. Aber muss einem Vater alles gefallen, was ein Sohn macht, nur, weil er erwachsen ist? Ich habe Markward die Bergwerke übertragen, zum einen, damit er sich einarbeiten kann, zum zweiten, weil er sich dann für wichtig hält – und zum dritten, damit ich sehen kann, ob er mich hintergeht. Das Leben eines Kaisers besteht hauptsächlich aus diesen drei Dingen, Familie hin oder her.“ „Ich weiß. Auch mein Vater beklagte sich manchmal darüber.“ „Euer Vater sah mir sehr stolz auf Euch, Eure Schwestern und Euren Bruder aus.“ „Mein Bruder ist der einzige Erbe und das stand nie zur Debatte,“ murmelte Anawiga: „Vielleicht steigt die...die Machtsucht mit dem Wissen, dass es auch andere gibt.“ „Möglich. Ich würde dennoch gern einen meiner Söhne zum Nachfolger machen – und nicht die letzte Option.“ „Dieser Neffe von Euch, der Bischof irgendwo im Süden ist? Konstantin? Ich würde nicht denken, dass er Euch den Tod seines Vaters nicht verziehen hat. Dreißig Jahre sind eine lange Zeit.“ „Natürlich, Anawiga,“ erwiderte Dagobert, höflich aber die Kaiserin sah durchaus die Alarmzeichen, die Schranke. So lächelte sie nur: „Ich wünsche Euch von ganzem Herzen, dass Ihr mit Dankward nun so zufrieden sein könnt, wie Ihr es mit ihm vor einem halben Jahr nicht ward.“ „Danke. Wobei mir noch etwas einfällt, Teuerste. Falls Ihr wieder meint schwanger zu sein, sagt es mir so früh wie möglich. Ich werde Euch dann eine neue Hofdame senden.“ „Danke, Dagobert, aber ich benötige.....Was meint Ihr?“ „Sagen wir, die junge Dame bürgt mir dann mit ihrem Leben für das Eure.“ „Einen weiblichen Leibwächter?“ Sie suchte nach Worten: „Wie ungewöhnlich. Und wie freundlich, dass Ihr so an mich denkt, aber....“ „Keine Sorge. Sie weiß sich zu benehmen. - Und,“ fügte Dagobert mit einem nahezu fröhlichen Lächeln hinzu: „Ich glaube fast, Ihr werdet sie mögen.“ Anawigas Blick verlor von ihrer Besorgnis und ihrer Strenge: „Wenn Ihr dieser Meinung seid, werde ich sie mir gut ansehen.“ Erleichtert entdeckte sie das fast jungenhafte Grinsen ihres Gemahls. Nein. Das sollte wirklich Schutz für sie werden, keine Überwachung oder gar Attentäterin, da war sie nun sicher. Sie hatte durchaus schon gehört, dass eine Königin im Beisein ihres Gemahls erwürgt worden war. Gleich ob Gerücht oder Wahrheit, sie war froh, dass Dagobert so ehrlich schien. Und noch hatte er keine Andere. Sie lauschte dem Hoftratsch sehr genau, aber keine der Schönen hatte seine Aufmerksamkeit mehr als gewöhnlich erregt, keine besuchte er – nur sie. Michel, der nach dem anstrengenden Kampf von Elkhelellu verarztet worden war und ein wenig geschlafen hatte, sah sich noch nicht in der Lage aufzustehen und im Dorf herumzulaufen. Seine rechte Wade war glatt durchstoßen worden, das würde heilen, aber je mehr Ruhe er wohl hatte, desto besser wäre es. So saß er im Schatten vor dem Haus der Familie und beobachtete das Leben auf dem Dorfplatz, die Kinder spielten, Frauen, die Ziegenmilch oder Käse verarbeiteten. Ein Mann mit einem Esel kam über den Platz und lud den Korb vor dem Haus des Anführers ab... Es wirkte alles so ruhig und friedlich und es schien ihm fast eine Illusion, dass er noch vor wenigen Stunden hier um sein Leben gekämpft hatte. Ein Mädchen, vielleicht knapp unter zwanzig, kam zu ihm und ließ sich neben ihm nieder. „Mein Name ist Gadi,“ sagte sie: „Sarifas Partner. Darf ich dich etwas fragen?“ „Ja,“ erwiderte Michel: „Ich muss ja nicht antworten, oder?“ Sie lächelte ein wenig: „Hast du eine Ehefrau im Norden?“ „Nein,“ meinte er etwas verwundert. „Würdest du mich in Betracht ziehen? Ich bin aus guter Familie und meine Brüder sind in der Leibwache König Elymians.“ Womit sie wohl andeuten wollte, dass ihre Blutlinie gut wäre. Michel war etwas perplex. Solch ein Thema, so offen und beiläufig angeschnitten....Er musste sich rasch etwas einfallen lassen, schließlich wollte er sie weder heiraten noch beleidigen. Was nun? „Wie viele Brüder hast du denn?“ fragte er daher erst einmal. „Zwei. Und ich bin das einzige Mädchen.“ „Also die Erbin.“ „Ah, man hat es dir erklärt, Sarifas Partner. Ja, ich wäre eine gute Partie.“ „Gibt es denn keinen Assassinen, auf den dein Auge fällt?“ „Hm,“ meinte sie: „Glaubst du, du würdest mit einem weiteren Kampf nicht fertig werden?“ „Vermutlich schon. Aber es gibt also jemanden, der dich schätzt?“ „Ja, Shahin, der Bruder deiner Partnerin.“ „Er ist mein Freund,“ erklärte Michel: „Und ich schulde ihm einiges. Nach dem Brauch meiner Heimat wäre es undenkbar zwischen ihn und seine Auserwählte zu treten. Ich weiß, dass Assassinenmädchen frei wählen, aber ehrlich gesagt finde ich, du würdest mit ihm besser fahren als mit mir. Schon, weil er aus deinem Volk stammt und ich aus dem Norden.“ Das war wohl auch das, was Gadi angelockt hatte. Er hatte gesiegt, war blond und seine Haut deutlich heller als die der Männer um sie. Sie schien auch nicht beleidigt: „Du hättest mir nur frisches Blut in die Familie gebracht. - Oh, Shahin.“ Denn der war gerade aus dem Tor getreten, um nach dem Verletzten zu sehen, und betrachtete ein wenig erstaunt das Bild, das sich ihm bot. Michel wollte gerade etwas verlegen das Ganze erklären, aber Gadi erhob sich: „Shahin, wenn du nicht zu müde bist – meine Brüder sind ja nicht da, aber du könntest meinen Eltern und mir helfen die Ziegen einzufangen.“ Der junge Assassine erstarrte für einen Moment, dann lächelte er und machte sich neben ihr auf den Weg. Puh, dachte Michel. Hatte er wirklich soeben eine Ehe gestiftet? Er sah auf, als Elkhelellu aus dem Haus des Anführers kam, Sarifa bei sich. Letztere trug etwas in der Hand, das er erst im Näherkommen erkannte: die kleine Patrone einer Brieftaubennachricht. Seufzend streckte er die Hand aus und seine Partnerin ließ sie hineinfallen. Wie er schon vermutet hatte, zeigte sie das Privatsiegel Graf Uthers. „Keine Ruh bei Tag und Nacht,“ sagte er prompt: „Das war wohl ein kurzer Urlaub. Wie kommt eigentlich die Post hierher?“ Er öffnete. Sarifa setzte sich neben ihn: „Der Brief war an die nächste kaiserliche Brieftaubenstation adressiert, mit dem Vermerk, in unser Dorf....nun ja, es heißt hier in der Gegend das „Dorf auf den Felsen“. Einmal in der Woche geht ein Mann hinunter und holt die Post. Schließlich bekommen wir alle Nachrichten, Steuern müssen bezahlt werden und so weiter. Auch die Angehörigen, die auswärts leben, wie ich, schreiben. Nicht immer Brieftauben, aber das läuft genauso. - Sollst du zurück?“ „Wir beide, mein Engel. Und es wird gut und gern drei Wochen dauern, bis wir in Paradisa sind. Mit meinem Bein wäre mir zumindest in den nächsten Tagen eine Eilkutsche doch zu anstrengend. Und es heißt nicht, dass wir uns beeilen sollten.“ Kaiser Dagobert war nervös, das verriet die Tatsache, dass er seinen jüngeren Sohn nicht offiziell in der Halle empfangen wollte sondern in seinem Arbeitszimmer. Das hatte durchaus seinen Grund. Dankward hatte ihm eine weitere Nachricht geschickt, in der er darum bat, nicht einzeln anreisen zu sollen, sondern mit Kapitän Polo, wenn dieser Bericht erstattete. Dagobert hatte es bewilligt, fragte sich allerdings nach dem Grund für diese Bitte. War Dankward so eingeschüchtert von ihrem letzten Zusammentreffen, dass er sich nicht allein hertraute und lieber mit dem Kapitän kam, den er wohl schätzen gelernt hatte? Schön, er hatte ihn zu dieser Reise befohlen und mit unangenehmen Konsequenzen gedroht, aber deswegen konnte ihn sein Jüngster doch nicht fürchten? Oder doch? Dagobert gab zu, dass er keine Ahnung hatte, was aus dem geworden war in diesen Wochen. Nun, man musste abwarten. Uther hatte ihm gesagt, dass er Michel und Sarifa mit einer Taube zurück an den Hof befohlen hatte, das beruhigte ihn bezüglich Anawiga. Eigentlich hoffte er nicht, dass sich auch nur einer seiner Söhne als so verrückt erweisen würde ihre Stiefmutter umbringen zu lassen, weil sie erneut schwanger würde, aber Vorsicht hatte sich in seinem Leben oft genug als der bessere Begleiter herausgestellt. Und, was wusste er von beiden Söhnen? Markward war nicht dumm, aber bislang auch nicht raffiniert genug, Intrigen zu basteln. Dennoch hatte er jemanden bei der Kaiserin bestochen, jemanden an Uther gehängt, sich mit dem Herzog der Westmark und wusste der Himmel mit wem noch getroffen – Dinge, die er noch vor wenigen Jahren sicher nie beachtet hätte. Was Dankward tat, und was beide Jungen im Kampf um die Macht fertigbringen würden, musste sich zeigen. Er sah auf, als der Kanzler den Raum betrat: „Ah, Godomar. Nachricht von Kapitän Polo?“ „Ja. Er bittet Eure Hoheit um Audienz. Er und seine beiden Offiziere sind soeben im Gasthof Zum Schwan abgestiegen und würden sich Euch gern vorstellen.“ „Dankward?“ „Von ihm stand nichts in der Nachricht,“ musste Godomar zugeben: „Vielleicht hielt Polo das für selbstverständlich, dass er mitkommt. Er ist Kapitän der Marine – kein Höfling.“ „Einer der Besten, wenn es darum geht in ungekannte Gewässer zu gelangen, ja. Ich bin wirklich neugierig, was diese Reise auch für den Handel bringt.“ „Wenn es eine gute Nachricht ist, Hoheit, würde ich vorschlagen, dass er anschließend direkt den Vertretern der Stände der Kernlande berichtet. Immerhin zahlen die Kaufleute und Handwerker solche Reisen, da sollen sie auch gerade erfahren, dass sie nicht nur teuer sondern auch sinnvoll sind.“ „Ja. Und neue Waren, neue Absatzmärkte interessieren nun einmal. Ja, eine gute Idee. Wenn sie direkt erfahren, wie nützlich ihre Steuern verwendet werden....danach soll er das vor den Botschaftern der Königreiche und Städte wiederholen, aus genau dem gleichen Grund.“ Godomar nickte und erlaubte sich als jahrelanger Vertrauter die Anmerkung: „Sobald er Euch berichtet hat, und wenn Ihr nichts dagegen habt, werde ich unverzüglich alle Einladungen rausgeben. Das mit Dankward bleibt hier unter uns.“ „Erst einmal, ja. Ich möchte nach dem offiziellen Treffen mit ihm allein reden, vielleicht Uther und Anawiga mit hinzuziehen...eine Familienangelegenheit. Weiß Markward, dass sein Bruder zurückkommt?“ „Er bekam keine offizielle Mitteilung, nicht wahr? Aber soweit mich Graf Uther informierte, hat der Junge einige Spione am Hof.“ „Also, ja. Und mich beunruhigt ein wenig, dass er das hat. Früher hätte er es mir mehr oder weniger erzählt, eigentlich wäre er damit herausgeplatzt. Er wird auch in diesem Sinn erwachsener.“ Leider oder Gottseidank? In der Tat wusste Markward Bescheid. Er saß in seinem derzeitigen Arbeitszimmer in den Bergen und prüfte Minenberichte. Chilperich, sein Kämmerer, hatte ihm die Neuigkeit mitgeteilt. „Dankward ist zurück. Nun, damit ist das Spiel wieder offen. Vorläufig. Bedauerlicherweise hat mich mein Vater noch nicht zum Thronfolger ernannt.....“ „Dankward war auf dem Meer, hat dort Erfahrungen gesammelt. Aber Ihr sitzt hier an der Quelle des kaiserlichen Reichtums. Es scheint so, als ob Euer Vater durchaus Euch bevorzugt.“ „Noch. Sollte sich das ändern.....Du hast doch sicher einen Mann an der Hand, der einen Dolch darin hat?“ Der Kämmerer zuckte nicht mit der Wimper: „Hätte ich. Aber ein offenes Vorgehen gegen Euren Bruder wäre meines Erachtens zu auffällig und auch verfrüht. Wartet ab, was der Kaiser über ihn entscheidet. Es gab bereits Gerüchte, er wolle ihn zu einem Bischof machen.“ „Oh, das wäre eine geniale Lösung....damit wäre Dankward aus dem Spiel und ich der Thronfolger, ohne dass man zu...unschönen Mitteln greifen muss. Denn trotz allem, er ist mein Bruder. Ja, du hast recht. Warten wir ab.“ Markward verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah aus dem Fenster in die Wälder, in denen aufsteigender Rauch die Meiler der Köhler verriet. „Irgendetwas von Onkel Uther?“ „Seit seiner Rückkehr scheint er sich nur mehr in seinem Zimmer aufzuhalten. Ab und an besuchen ihn der Kaiser, Graf Lothar oder auch Charibert, er nimmt an einigen Versammlungen teil, aber er scheint nichts weiter zu tun. Und er hat wohl auch noch nicht bemerkt, dass er einen zweiten Schatten hat. Ich habe meinen Mann angewiesen, dass er Briefe und ähnliches aus dem Papierkorb fischt, aber bislang war nichts Weltbewegendes dabei. Nicht einmal ein Liebesbriefchen, obwohl manche Dame des Hofes sonst etwas drum gäbe würde er sie heiraten.“ „Da können sie viel hoffen. - Und die Kleine aus dem Süden? Diese...mir fällt der Name nicht ein?“ „Prinzessin Sarifa? Ich hörte, aber das war wirklich nur ein Hörensagen, dass sie zu ihrer Familie in den Süden gereist ist, aber wieder an den Hof zurückkehren soll, vermutlich um hier einen passenden, reichen Ehepartner zu finden.“ „Falls sie zurück ist, sage es mir. Dann werde ich die Jagd eröffnen. Mal eine nette kleine Abwechslung....“ „Wie Ihr wünscht.“ Chilperich hütete sich zu erwähnen, dass sein Spionagenetz nur in zweiter Linie Markward diente – sein wahrer Herr hatte vollkommen andere Pläne, darunter auch solche, die dem Kaisersohn nicht gefallen würden, auf den Tod nicht, nein. Dagobert setzte sich unwillkürlich aufrechter, als ihm der Diener Kapitän Polo und Dankward meldete, sowie den ersten Offizier, Romano Fourrier. Die Drei betraten sein Arbeitszimmer und verneigten sich. Dem aufmerksamen Blick des Kaisers entging nicht, dass sich sein Sohn, ebenso wie der erste Offizier, hinter dem Kapitän hielt, und dort auch stehen blieb, ein wenig seitwärts. Er sah gut aus, der Junge, dachte der Vater unwillkürlich. Braungebrannt von der südlichen Sonne und auch eindeutig erwachsener, ja, muskulöser. Das harte Bordleben schien ihm gut getan zu haben. Er verschränkte seine Hände hinter dem Rücken, ebenso wie der erste Offizier, während sich Kapitän Polo noch einmal ein wenig verneigte. Der Kapitän war bereits Ende Vierzig, Falten um die Augen verrieten, dass er viel in Wind und Wetter unterwegs war. Erste graue Strähnen durchzogen sein schulterlanges blondes Haar. Der erste Offizier war deutlich jünger, fast zu jung für diese Arbeit, Mitte Zwanzig, dessen dunkler Teint und schwarze Haare Dagobert an Sarifa erinnerten. „Ich freue mich, Euch alle hier gesund wieder begrüßen zu dürfen,“ meinte der Kaiser: „Ich hoffe, Ihr habt Erfolg gehabt?“ „In der Tat, Durchlauchtigste Hoheit. Wenn Hoheit mir nur einen kleinen Hinweis gestatten würden – Dankward ist mein zweiter Offizier. Und ich habe ihn nicht dazu ernannt,“ ergänzte der Kapitän eilig: „Weil er Euer Sohn ist, sondern da er nach dem unglücklichen Tod des bisherigen der Brauchbarste in der Mannschaft mit gewisser Ausbildung war. Er hat sich in der kurzen Zeit sehr viel seemännisches Wissen angeeignet und ich bin stolz auf ihn.“ Hoppla, dachte Dagobert, lächelte jedoch froh seinem Sohn zu: „Das freut mich zu hören.“ Er war erleichtert, dass dieser ein wenig zurücklächelte, sich aber offenbar weiterhin an die strenge Borddiziplin hielt. „Nun, erstattet mir einen kurzen Bericht, Kapitän, dann würde ich jedoch gern mit Eurem zweiten Offizier allein sprechen.“ „Selbstverständlich, Durchlauchtigste Hoheit. - Wir reisten wie es unser Befehl war, über das Westmeer in Richtung Süden. Das Land dort lag somit stets auf der linken Seite. Wir kreuzten das Südmeer und gelangten so in die wilderen Gegenden, dann dorthin, wo nie zuvor ein Schiff Eurer Hoheit gewesen war. Eine Stadt an der Mündung eines großen Flusses erregte unsere Aufmerksamkeit und wir legten dort mit gebotener Vorsicht an. Die Aufnahme war durchaus nicht schlecht, jedoch auch von Vorsicht geprägt. Man sagte uns, der Fluss käme aus dem Landesinneren und dort würde auch der König leben. Da mir der Fluss breit genug erschien, bezahlte ich einen einheimischen Führer und wir gelangten nach fast vierzehn Tagen gegen die Strömung in die Hauptstadt. Wir mussten die ganze Zeit rudern, aber da der Fluss ruhig blieb, gelang es ganz gut. Weiter im Süden soll es dann Stromschnellen geben, aber der Unterlauf ist breit und mit sumpfigen Ufern versehen. Der König empfing uns und wir erfuhren, wenn auch nur mit Hilfe zweier Dolmetscher, dass er durchaus an Handel interessiert wäre. Wir boten ihm die mitgebrachten Auswahlstücke als Geschenk an – auch, wenn wir es wohl hätten verkaufen sollen, aber es machte einen besseren Eindruck, soweit ich das sagen kann. Gerade der Bernstein und der Wein erregten die Aufmerksamkeit, dass sie selbiges nicht kannten. Als Gegenleistung boten sie uns Gold an, das sie angeblich abbauen. Auf dem Markt sah ich viele Stoffe, aber keine Seide, keinen Brokat und keine Leinenwebereien unserer Güte, so dass man diese dort anbieten könnte. Die Früchte waren mir großteils unbekannt. Unsere Händler könnten dort jedoch Güter aus dem Landesinneren kaufen, die bislang hauptsächlich durch die Wüste und über das Südmeer gebracht werden.“ „Ein goldreiches Land ohne Luxusgüter unserer Breiten, ja, das könnte die Kaufleute interessieren. Kanzler Godomar wird Euch sagen, wann Ihr vor diesen noch einen entsprechenden Vortrag halten sollt. Euer schriftlicher Bericht wird umfassend sein?“ „Selbstverständlich, Hoheit.“ „Der dortige König war an Handel interessiert?“ „So schien es mir. Selbstverständlich würde man dann auch bessere Dolmetscher benötigen, aber ich vermute, dass man am Südufer des Südmeeres solche finden kann. Allerdings....es sind andere Sitten, die uns oft fremd vorkommen. Zunächst zumindest sollten nur erfahrene Leute dorthin, die bereits südlich des Meeres Handel betrieben, wenn mir die Bemerkung gestattet ist.“ „Das erscheint mir ein kluger Rat, Kapitän. - Ein schriftlicher Vertrag...?“ „Ich befürchte, dass dies dort nicht sinnvoll ist.“ „Gut. Danke, Kapitän. - Dann geht. Und erlaubt mir noch mit Eurem zweiten Offizier zu sprechen.“ Ein wenig überrascht über diese Höflichkeit verneigte sich Kapitän Polo erneut: „Dankward!“ befahl er nur. Dieser trat vor. Als Vater und Sohn allein waren, verneigte letzterer sich höfisch. „Du siehst gesund aus,“ konstatierte der Kaiser. „Eine Weile weg von den Feiern und Drogen hat dir gut getan.“ „Danke, Vater....“ „Nun?“ Seit wann redete Dankward denn nicht einfach drauflos? Das Leben an Bord war strikt geregelt. Hatte er das da gelernt oder gab es einen anderen Grund? „Ich...ich möchte mit Eurer Hoheit gern über meine Zukunft reden,“ erklärte Dankward: „Möchte Euch allerdings bitten, auch Onkel Uther hinzuzuziehen. es....es könnte besser sein.“ Dagobert stutzte. „Meinst du, ich bräuchte seelischen Beistand?“ „Ich wollte Euch keine Schwäche unterstellen, vergebt, Herr Vater. Ich dachte nur....“ „Dass er dich besser verstehen könnte als ich? Weil er auch der jüngere Bruder ist? - Nun gut. Ich werde Uther rufen lassen. Allerdings wäre es nett, wenn du mir inzwischen zumindest einen Hinweis darauf gibst, was du willst.“ Er klingelte nach einem Diener und befahl seinen Bruder zu holen. Dankward wartete, bis dieser den Raum verlassen hatte, froh, seinen Vater im Gegensatz zu ihrem letzten Gespräch so aufgeschlossen zu sehen. War es wirklich nur an ihm gelegen? Er hatte inzwischen durchaus den Verdacht. Allerdings war nicht gesagt, dass der Kaiser verstehen würde was er wollte, ja, gar seinen Wunsch gewähren würde. Er begann daher vorsichtig: „Auf der Reise mit Kapitän Polo habe ich sehr viel gelernt. Über mich selbst, aber auch über das Wesen dieser Erforschungsfahrten. Es gibt meines Wissens keinen Ort im gesamten Reich, wo zusammengefasst wird, was die Kapitäne herausgefunden haben, Seekarten, aber auch neue Entwicklungen an technischen Hilfsmitteln.“ „Nun, hier im Palast werden alle derartigen Berichte gesammelt, aber ich verstehe, was du meinst. Du willst eine Art Schule, Akademie oder Universität, schaffen, in der eine Bibliothek lagert, die Abschriften aller derartigen Berichte und Karten enthält, wo neue Kapitäne ausgebildet werden können, nicht nur im Rahmen der Marine, sondern speziell für solche Fahrten ins Unbekannte?“ Erleichtert nickte Dankward: „Und auch Techniker, die neue Geräte entwickeln, genauere, um die Position zu bestimmen, oder auch wieder zu einem bestimmten Ort zu finden.“ „Eine durchaus interessante Idee....Aber kaum das, wofür du Uther haben willst.“ Dagobert bemerkte, dass sein Jüngster erstarrte: „Schon gut. Wir warten auf ihn.“ „Danke, mein Herr und Vater.“ Denn, wenn er sagte, was er eigentlich mitteilen wollte, würde der Kaiser seine Toleranz beweisen müssen – oder seine Bitte ignorieren. Auf jeden Fall wäre es besser, wenn der ruhige Onkel dann bei ihnen wäre. ** Das folgende Kapitel heißt denn auch: Dankward.... Kapitel 32: Dankward -------------------- Der Kaiser erhob sich: „Komm, Dankward, gehen wir dort hinüber. Wenn wir schon auf Uther warten, können wir das auch bequemer tun.“ Bequemer für seinen Sohn, der sonst vor ihm stehen musste. Dieser folgte seinem Vater ein wenig überrascht. Nie zuvor hatte er sich dort auf die hochlehnigen Stühle setzen dürfen, die zu viert um einen Tisch herum gruppiert standen, dicht vor dem Kamin, in dem nun ein Feuer brannte. Es war Winter und Dankward fror zugegeben ein wenig, nachdem er aus der Wärme des tiefen Südens kam. Allerdings war er kaum überrascht, dass sein Vater darauf Rücksicht nahm. Noch vor wenigen Monaten hätte er darin einen Beweis der Schwäche gesehen, aber heute wusste er, dass das Zuneigung war. Zu ihm und wohl auch zu Markward. Der Kaiser hatte sie lange gewähren lassen und der jüngere Sohn fragte sich, was sein großer Bruder jetzt tat. Soweit er wusste, war dieser wieder im Kernlande. Ein wenig zögernd erlaubte er sich die Frage, während sie sich setzten. Dagobert war froh, dass wenigstens das Verhältnis der Brüder gut schien: „Er ist wieder zurück. Ich habe ihm die Aufsicht über die Bergwerke in der Gegend von Gruvenant übertragen.“ „Als Vorbereitung auf die Kaiserwürde?“erkundigte sich der jüngere Bruder ein wenig behutsam, sich durchaus nicht im Klaren wie weit er gehen durfte. „Möglich.“ Dagobert ordnete etwas seine Kleidung und legte die Hände auf den Tisch, in einer fast entspannten Geste. Aber nicht sicher, dachte Dankward. Vater war vorsichtig, jedoch vermutlich nicht ohne Grund. Hoffentlich kam Onkel Uther bald. Er hätte nicht gewusst, über was er mit dem Kaiser noch reden sollte – sah man von seinem Wunsch ab. Er wandte den Kopf, als sich die Tür öffnete und der Diener den Grafen eintreten ließ. Er musste sich wirklich beeilt haben. Höflich erhob sich der junge Mann. „Dagobert....“ grüßte der Kaiserbruder: „Dankward, schön, dich wiederzusehen. Du siehst gesund aus.“ Dieser lächelte ein wenig. Das war Vater und Onkel beiden als erstes aufgefallen „Danke, Onkel Uther.“ „Komm, setze dich zu uns,“ meinte Dagobert: „Dankward möchte etwas erzählen und wollte es nicht ohne dass du dabei bist.“ Mit einem fragenden Blick zu dem jüngsten Familienmitglied setzte sich Uther. Er hatte kein besonders enges Verhältnis zu seinem Neffen, zumal der mit seiner Volljährigkeit einen eigenen Hausstand in Paradisa bekommen hatte. „Nun?“ Dankward zögerte, dann begann er mit seiner Idee einer Sammlung von Seekarten, Schriftrollen und auch einer Schule für Kapitäne, Fördermöglichkeiten für Techniker und Erfinder. „Ich würde auch sehr gern, mit Eurer Erlaubnis, Herr Vater, diese Einrichtung leiten.“ Der Kaiser nickte ein wenig: „Diese Einrichtung halte ich durchaus für sinnvoll. Alles an einem Ort, wo sich jeder Interessierte informieren kann, auch die Gelehrten miteinander reden können. Aber, ich glaube, du meintest etwas anderes, was dir persönlich wichtiger ist.“ Dankward sah auf den Tisch: „Ich...Darf ich fragen, ob Ihr für mich auch eine Aufgabe wie für Markward vorgesehen habt? Oder auch eine...eine Heirat geplant habt?“ Die Brüder blickten sich an. Vor dem Wort Heirat hatte er noch einmal gezögert. War das sein Problem? Hatte er irgendwie eine Frau kennengelernt und wollte diese heiraten? Ihm war sicher bewusst, dass das Einfluss auf das Reich hätte – und er bestimmt nicht irgendjemanden nehmen durfte. So meinte Dagobert langsam: „Ich habe bislang eigentlich deine Rückkehr abwarten wollen, aber ich zog bereits in Erwägung dich zu einem Titularbischof zu machen, also einem Bischof, der kein Kirchenmann ist, keine Messen lesen darf, aber eine Stadt gemeinsam mit dem Rat verwaltet.“ Fast hastig ergänzte er: „Du könntest dich so in die Verwaltung einarbeiten.“ Dankward holte tief Atem. „Titularbischof....“ wiederholte er langsam. „Das würde doch auch bedeuten, ich muss nicht heiraten....?“ Erneut sahen sich die Brüder an, allmählich wirklich irritiert. Dann sagte Uther behutsam: „Ich denke, du solltest ohne Furcht die ganze Geschichte erzählen. Dein Vater und ich können viel verstehen – aber natürlich nur, wenn wir auch über alles Bescheid wissen. Und von dir wissen wir, dass du in den vergangenen Jahren ein ziemlich....freies Leben geführt hast. Jetzt scheinst du zwar von den Drogen weg zu sein, aber....“ Er ließ es unausgesprochen. Dankward nickte langsam. „Danke, Onkel, Vater...Ich..“ Er holte tief Atem: „Ich fange wohl wirklich von vorn an. Nach meiner Volljährigkeit bekam ich dieses eigene Haus, mit Begleitern und Dienern, einem Arzt und so weiter.“ Mehr musste er nicht sagen, das wussten sie ja. „Und mir wurde....klar, dass ich erwachsen bin und die jungen Männer meines Alters sich Geliebte zulegten. Ich wollte also auch.“ Er starrte auf den Tisch, ehe er gestand: „Es ging nicht. Ich...ich konnte nicht. Zuerst dachte ich, es läge an diesem einen Mädchen, aber...es ging nie.“ Dagobert musterte den gesenkten Kopf seines Sohnes: „Das war dir bestimmt peinlich.“ Dankward wagte ein wenig aufzusehen. Verstanden sie seine Verlegenheit? Seine Scham? Noch war kein Tadel gekommen: „Oh, natürlich. Ich...ich ging dann zu meinem Arzt und der gab mir Mittel, die meine....meine Männlichkeit aufbauen sollten. Ich nahm immer mehr und anderes, aber nichts half. Im Gegenteil, ich verfiel diesen Mitteln und konnte schließlich ohne sie nicht mehr auskommen. Um mein...ja, mein Versagen zu verstecken, ließ ich dann diese Feste abhalten. Ihr wisst schon, diese Orgien....“ Er hob etwas die Hand, ließ sie wieder sinken. Noch immer sah er lieber den Tisch an. Die Brüder blickten sich erneut an. Ein Drama – und keiner von ihnen beiden hatte die wahre Ursache gekannt, dem Jungen gar geholfen. Darum hatte Dankward wohl auch Uther dabei haben wollen – der war unverheiratet, hatte keine Geliebte – vermutlich hatte er angenommen, seinem Onkel gehe es wie ihm und hatte auf Verständnis gehofft. „Auf dem Schiff kamst du dann vor den Arzneimitteln weg?“ erkundigte sich Dagobert, bemüht seinem Sohn nicht noch mehr Kummer zu bereiten: „Ich finde es übrigens bemerkenswert leichtfertig von deinem Leibarzt, dir massenhaft solche Drogen zu geben.“ „Er und dann auch von Markwards...sie wussten nicht, dass ich vom jeweils anderen das auch bekam. Aber es half alles nichts. - Ja, auf dem Schiff wurde ich klarer. Und es gab keine Frauen.....“ Dankward zögerte ein wenig: „Mir wurde auf dieser Fahrt bewusst, dass ich wohl nie mit einer Frau...Ich habe mich dann verliebt.....“ Für einen langen Moment herrschte Schweigen, ehe der Kaiser seine Hand ausstreckte und auf die seines Jüngsten legte: „Ich verstehe. Das soll ab und an vorkommen. Du hast dich in einen Mann verliebt.“ Auf einem Schiff waren schließlich nur Männer. Er gab ihn wieder frei, doch ein wenig unsicher, was er nun noch als Vater sagen oder tun sollte. „Ja,“ erklärte Dankward erleichtert über die Reaktion: „Und da...da ging es.“ Dagobert dachte bereits in fast lebenslanger Übung an das Reich, das er führte, und das er in fähige Hände übergeben wollte: „Damit ist allerdings klar, dass du nie Kaiser werden kannst, das verstehst du?“ Sein Sohn blickte zum ersten Mal auf und sah ihm in die Augen: „Ja, Herr Vater. Das macht mir auch nichts. Ich habe an Euch und Onkel ja gesehen, wie hart dieses Leben ist. Ich würde sehr gern Bischof werden. Aber ich möchte Euch bitten, dieses Seefahrerinstitut gründen und leiten zu dürfen.“ Dagobert setzte sich auf. Das war jetzt geklärt und er war als Vater erleichtert – Dankward war erwachsen geworden, hatte sich selbst erkannt. Zu schade, dass es so ablief, denn mit dieser Art wäre er ein potentieller Nachfolger geworden. Aber jetzt war er aus dem Spiel. Ein Kaiser ohne Nachwuchs, ja, eine Kaiserin, die nie schwanger wurde, das würde nur zu leicht einen Aufstand provozieren. Nun stand ein logistisches Problem an: „Ich hatte eigentlich an Knechtsroda gedacht, der dortige Bischof ist verstorben und ich erhielt noch keinen Vorschlag der Kirche, aber diese Stadt liegt im Binnenland, an der Grenze zu König Kasimir. Sie wäre reich und ich wollte dich gut versorgt wissen, ein derartiges Institut gehört jedoch in eine Stadt am Meer.“ „Tailina, am Südmeer, in Navarone,“ schlug Uther vor: „Der dortige Bischof ist mit der kleinen Stadt nicht sehr glücklich, zumal er aus dem Norden stammt. Ein Umzug nach Knechtsroda wäre für ihn eine Beförderung und er wird sich kaum weigern. Auch dürfte die Kirche zustimmen. Und in Navarone gibt es eine lange seemännische Tradition.“ Dankward nickte nur. Er war etwas erschüttert. Er hatte fast Furcht davor gehabt, wie sein Vater dieses Geständnis aufnehmen würde, mit Zorn, ja, Verbannung an irgendeinen öden Fleck des Reiches gerechnet – und nicht mit dieser Einfühlungsgabe, ja, dieser gewissen Erleichterung. Dann begriff er jedoch. Vater und Onkel hatten sich um ihn und seinen Lebenswandel wirkliche Sorgen gemacht – und waren jetzt froh, dass alles geklärt war, es einen Grund gab. Jetzt wollten sie ihm nur helfen, sahen ihn als Person, nicht als nur Nachfolger. So sehr sie sonst das Reich über alles stellten – anscheinend vergaßen sie nicht die Familie, die Menschen. Er hatte es vergessen, sich ihnen nie anvertrauen mögen. „Eine gute Idee,“ meinte der Kaiser: „Ich werde ihm einen Brief schreiben. Wie heißt er noch gleich? Bischof.....Chalderich. Noch eine Frage, Dankward? Sonst kannst du zu dem Kapitän in den Gasthof gehen. Oh, und eines noch: bedenke, dass nicht alle Menschen dein...deine Vorliebe teilen. Bewahre daher eine gewisse Diskretion. Wobei dich dein Titel als Bischof sicher auch schützen wird.“ „Danke, Herr Vater.“ Dankward zögerte einen Moment, ehe er zu Uther blickte: „Ihr.....auch...?“ Wie sollte er das fragen. „Nein.“ Sein Onkel blieb gelassen, wusste er doch, dass über ihn diesbezügliche Gerüchte umliefen: „Vor langer Zeit war ich verheiratet, keine politische Ehe. Ich habe sie nie vergessen können und kann es auch heute noch nicht. Nenne es lebenslange Trauer.“ „Danke.“ Er hätte sich nicht vor ihm rechtfertigen müssen, aber anscheinend begriffen beide, dass er jetzt auch erst lernen musste, mit sich und seiner neuen Lebenssituation umzugehen. „Darf ich Kapitän Polo von meiner...zukünftigen Stellung in Kenntnis setzen?“ „Ja,“ erwiderte Dagobert: „Und erzähle ihm auch vor der geplanten Seeschule, die vermutlich in Tailina beheimatet sein wird. Womöglich hat er Ratschläge für dich. - Dann geh einstweilen, aber halte dich zur Verfügung. Eventuell kannst du bereits in wenigen Wochen nach Tailina reisen, als neuer Bischof und, gemeinsam mit dem Rat, Herr der Stadt.“ „Ich freue mich schon.“ Dankward lächelte, als er sich erhob, mit einer leichten Verneigung gegen Vater und Onkel, ehe er ging, sichtlich erleichterter als noch Minuten zuvor. Dagobert wartete, bis sein Sohn sein Arbeitszimmer verlassen hatte, ehe er seufzte: „So sprachlos war ich selten. Das hat mich wirklich überrascht.“ „Du hast dich gut aus der Affäre gezogen,“ meinte sein Bruder: „Ich bin sicher, der Junge hat nicht gemerkt, wie schockiert du warst.“ Dem Kaiser entkam etwas wie ein Ächzen: „Nun ja, zu hören, dass es solche Männer gibt und dann zu hören, dass der eigene Sohn....Es ist schon etwas anderes. Aber ich bin froh, dass er eine solide und sichere Zukunft für sich akzeptiert und diese Schule ist wirklich eine gute Idee. Er wird gewiss mit Eifer daran arbeiten. - Und es ist für einen Kaiser nie schlecht, einen Verwandten in kirchlichen Kreisen zu haben.“ „In der Tat.“ Uther lächelte: „Und das heißt, falls du Markward zu deinem Nachfolger machen willst, wird er eine Hilfe in Dankward haben. Das haben wir uns doch immer gewünscht.“ Dagobert seufzte: „Markward ist jetzt die einzige Alternative, die mir bleibt. Bis auf......Aber ich möchte ungern zu einer Notlösung greifen.“ Sein Bruder lehnte sich gegen den Stuhl und dachte kurz nach, ehe er feststellte: „Du vertraust Markward nicht. Wegen Anawiga?“ „Sie ist in seinem Alter und ich würde es gern als jugendlichen Irrtum abtun. Nein. Mir gefällt nicht, dass er mir, uns, so einiges verschwieg. Und er rechnete nicht damit, dass Herzog Pippin dir das erzählt. Es fragt sich, ob er die anderen Herzöge auch traf, diese es nur nicht schrieben, weil sie zu weit weg sind oder weil sie auf beiden Schultern tragen wollen.“ Dieses Intrigenspiel kannte er nur zu lange. „Pippin lebte doch fast zehn Jahre hier am Hof, hat hier auch einige Ämter. Er kennt dich.“ Uther zuckte die Achseln: „Aber es hat auch mich überrascht, dass Markward so verschwiegen sein kann, dass er Spione engagiert, kurz, sich in Position bringt.“ „Ja, und daraus kann ich nur schließen: wenn es nicht nach Markward klingt, hat er sich entweder sehr verändert, was ich nach Dankward gern glauben möchte, oder jemand anderer berät ihn. Und mir wäre wohler, wüsste ich, wer. Aber falls ich ihn direkt frage, scheuche ich damit wohl nur seinen Ratgeber auf. Und vielleicht ist alles auch ganz harmlos – er ist nun einmal mein ältester Sohn und schon dadurch der wahrscheinlichste Erbe. Da sammeln sich Karrieresüchtige.“ „Ja. Aber ich verstehe, was du meinst. Ich habe jedoch ebenfalls ein ungutes Gefühl. Wenn ich bedenke, was Michel und Sarifa in den letzten Monaten so herausgefunden haben, vor allem, mit den Piraten und auch anderes – irgendwo im Reich sitzt ein sehr intelligenter Kopf mit Phantasie und exzellenten Plänen. Ich bin sicher, dass dieser Kopf rollen muss, damit wir alle wieder ruhig schlafen können.“ Und, aber das wollte er nicht erzählen, um seine so belasteten großen Bruder nicht zusätzlich zu beunruhigen, manchmal, wenn er darüber nachdachte, umfing ihn das Gefühl eines Netzes, das sich um ihn zuzog, ein Gefühl, das dem eines Hirsches bei einer Treibjagd wohl nicht unähnlich war. Der Kaiser nickte: „Dann viel Glück bei der Jagd, kleiner Bruder. - Ich werde Markward einen Brief schreiben und ihn von der Rückkehr seines Bruders in Kenntnis setzen, und dass dieser bald nach Tailina abreisen wird. Vielleicht möchte er ihn sehen.“ Und möglicherweise würde sich Markward ihm ebenso öffnen wie Dankward. Der Eilkurier überbrachte Markward den Brief in wenigen Stunden. Dieser war ein wenig irritiert eine plötzliche Nachricht seines Vaters zu bekommen, las den Inhalt dann mit gewissem Schmunzeln. Zu schade, dass Chilperich nicht hier war sondern in Paradisa. Der hätte den Witz an der Sache sicher nachvollziehen können. Armer Dankward – ausgerechnet zum Bischof wollte ihn Vater machen, bestimmt eine gewisse Strafe für die Orgien und das Andere....Nun gut. Sein kleiner Bruder war damit aus dem Rennen um die Krone, und Markward beschloss, dass er ihm auch gern persönlich Auf Wiedersehen sagen konnte. Vater würde es sicher schätzen – und er selbst war nun der einzige noch verbliebene Kandidat um das Erbe. Nur ein männliches Familienmitglied konnte die Erblande übernehmen, kein Bischof käme in Betracht, schließlich durften diese nicht heiraten. Damit waren auch Cousin Konstantin und der gute Dankward aus dem Spiel. Ah, das Leben sah wunderbar aus. Er rief nach einem Diener: „In einer Stunde mein Pferd und eine Eskorte. Der Kaiser wünscht, dass ich nach Paradisa komme.“ Immer schön anzeigen, dass er Vaters Vertrauen genoss, das sicherte ihm zumindest im engeren Rahmen einen guten Ruf. Chilperich, Markwards Kämmerer, saß derweil in seiner Stube des kaiserlichen Palastes und erfüllte seine Pflicht als Sohn mit einem Brief. Mehr als zufrieden blickte er auf die Bankanweisung neben sich. „Verehrte Mutter, ich schreibe Euch, um Euch einen Bankbrief mit einer Anweisung auf mein Konto zu senden. Mit dieser Summe sollte es Euch nicht nur möglich sein, die Schulden unseres Vater bei dem Stadtrat von Mirwirt zu bezahlen, sondern auch meinen Schwestern ein Heiratsgut auszubezahlen. Ich hoffe Ihr befindet Euch wohl und kann Euch das Gleiche von mir berichten. Ich hoffe, meine Karriere schreitet so gut voran wie bislang, aber da mir einige Mächtige gewogen sind, nehme ich das an, ohne Eure Mahnung zu vergessen, dass man niemandem von ihnen trauen kann. In treuer Liebe Euer Sohn Chilperich.“ Er versiegelte den Brief. Morgen würde diesen und die Bankanweisung ein kaiserlicher Kurier zu seiner Mutter bringen – ein kleiner Vorteil, den er aus seinem Amt schlug. Für jemanden, der buchstäblich aus dem Nichts kam, hatte er es weit gebracht, dachte er. Sicher, sein Vater war der Vermögensverwalter der Stadt Mirwirt gewesen, aber ein zu hoher Lebensstandard hatte den wohl dazu verleitet die Finger in der Kasse zu haben. Natürlich war das aufgekommen. Mutter hatte schneller verstanden als ihr Gemahl. Noch während der verhaftet wurde, hatte sie die Barsachen zusammengesammelt und war mit ihren drei Kindern aus der Stadt ins Ungewisse geflohen. Chilperich war ihr dafür mehr als dankbar – in Mirwirt wären sie alle vier im Schuldturm gelandet, ohne Chance, je herauszukommen. In der neuen heimat hatte sie jeden Stolz geopfert, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Und er war sehr froh, ihr nun alles zurückzahlen zu können. Buchstäblich. Er sah überrascht auf, als ohne Klopfen seine Tür geöffnet wurde, erkannte dann den Eintretenden: „Markward...ist etwas geschehen?“ Der älteste Sohn des Kaisers lachte: „Nein. Nichts Arges, jedenfalls. Ich hatte nur gerade eine Unterhaltung mit meinem Bruder. Armer Dankward. Bischof von Tailina und das sofort. Allerdings schien er mir nicht sonderlich bedrückt. Er redete wie ein Wasserfall von einer Schule, die er dort gründen wolle, eine Akademie für Seefahrer.“ Er ließ sich nieder: „Das scheint ihm wirklich eine Herzensangelegenheit. Er umarmte mich zum Abschied sogar....“ „Dann wird er kaum gegen Euch intrigieren.“ „Stimmt auffallend, mein Bester. Ich bat Vater um Audienz. Ich möchte ihm doch zeigen, dass ich hier war um meinen Bruder zu verabschieden...und ein wenig über meine Arbeit erzählen. Hast du etwas Neues?“ „Nein, nichts von Wichtigkeit. Auch nichts Neues über die Prinzessin aus dem Süden.“ „Aber du bist dran, sehr gut.Das Leben kann so schön sein. Komm mit. Wir gehen in eine Taverne und feiern ein wenig.“ Chilperich war froh, dass er den Brief an seine Mutter fertig hatte: „Wie Ihr wünscht.“ Dann würde er eben später dem Kurier dieses Päckchen übergeben. Es war nicht notwendig, dass Markward nachfragte, woher all das Geld stammte, denn so viel überwies einem Kämmerer die kaiserliche Kasse nicht. Dankward saß im Gasthof Zum Schwan auf seiner Bettkante. Kapitän Polo war Freunde besuchen gegangen und hatte seinen beiden Offizieren freigegeben, zumal er nun wusste, dass er einen neuen zweiten Offizier suchen müsste. Auf dem Stuhl am Tisch lehnte Romano Fourrier, der erste Offizier, und betrachtete mit einem gewissen Lächeln den Kaisersohn. „Weißt du, du hast ein so offenes Gesicht, Dankward – ich bin fast froh, dass du weg vom Kaiserhof kommst.“ „Was meinst du?“ „Du bist ein verdammt schlechter Lügner, viel zu schlecht für die Politik. Nicht, dass es mir etwas ausmacht. Aber ich habe gesehen,dass du unglücklich warst, ich habe gleich mitbekommen, dass du dich in mich verliebt hast – und ich habe gesehen, dass du immer besorgter wurdest, je näher wir nach Hause kamen. Jetzt brauchtest du nichts zu sagen, und ich wusste schon, dass es dein Vater, ich meine, der Kaiser nicht so schlimm aufgenommen hatte, wie du dachtest.Und jetzt freust du dich, dass dein Bruder da war. Das Problem ist nur, dass das wohl alle sehen.“ „Ja. Er hat mir alles Gute gewünscht – auch, wenn er offenbar sich nicht so ganz vorstellen kann, dass ich wirklich gern Bischof werde und die Seeschule gründen möchte. - Was natürlich auch heißt, dass wir beide uns trennen müssen.“ Romano Fourrier lächelte: „Das hast du doch schon immer gewusst. Entweder ich bleibe bei Kapitän Polo oder erhalte eine neue Aufgabe – so oder so bist du der Sohn des Kaisers und ich nur der eines Kapitäns.“ „Glaubst du, dass mir das etwas ausmacht?“ fragte Dankward etwas ärgerlich. „Das hat es noch nie.“ „Ich weiß. Hat Dagobert....der Kaiser eigentlich gefragt, auf wen dein Blick fiel?“ „Nein. Vielleicht kann er es sich denken, du warst ja vorher mit dabei, vielleicht wollte er sich auch nur nicht in meine Privatdinge einmischen und abwarten, wann ich es ihm erzähle. Für ihn ist es wichtiger, dass ich von den Arzneimitteln weg bin, dass ich, das sagte er selbst, gut versorgt und ruhig lebe – und vor allem das Reich nicht gefährde. Ich glaube, das wäre der einzige Punkt, wo man weder mit ihm noch Onkel Uther diskutieren kann – nur noch mit dem Henker.“ „Man muss wohl ziemlich hart sein um solch ein großes Reich mit so vielen verschiedenen Völkern beherrschen zu können.“ Der dunkelhaarige erste Offizier reckte sich etwas: „Aber ich kann dich ja besuchen, wenn der Herr Bischof dann noch Zeit für mich findet.“ „In Tailina? Das ist nur ein kleiner Hafen.....“ „Noch. Wenn du erst einmal diese Seeschule dort aufgebaut hast, wird auch Kapitän Polo sicher vorbeikommen, das hat er doch schon gesagt. Und überhaupt: Tailina liegt in Navarone, meinem Heimatkönigreich. Einer der sechs Prinzen ist ein hohes Tier in der Marine, vielleicht könnte ich dorthin versetzt werden, wenn ich mal ein eigenes Schiff kommandieren darf.“ „Ja, vielleicht.“ Dankward streckte die Hand aus: „Komm her. Noch haben wir Zeit.....“ Kapitel 33: Bereitschaft ------------------------ Amir hatte einen Esel beschafft, damit Michel den steilen Weg hinunter in die Kleinstadt reiten konnte, wo eine Postkutschenstation lag. Allerdings würde es wohl ein oder zwei Tage dauern, bis sich ein freier Platz fand, da die beiden Agenten nicht vorbestellt hatten und höchstens bis zu sieben Passagiere aufgenommen werden konnten, zusätzlich zu den Transportgütern. Michel bedankte sich höflich dafür. Gehen war mit der durchstochenen Wade noch immer schmerzhaft und schwierig. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass er ein Duell mit einem Assassinen überlebt hatte, war er nicht gerade böse darum. Shahin, Amir, Mahedj und ihre Mutter waren gekommen, um ihre Schwester oder Tochter und deren Partner zu verabschieden. Michel wollte gerade auf den Esel steigen – gewöhnlich kein Tier für einen Adeligen seines Standes – als er erkannte, wer herankam. „Agrar.....“ Der Verlierer des Ehrenduells hob sofort die Rechte und seine Cousins entspannten sich ebenso wie Sarifa, woraus Michel schloss, dass das ein Friedensgeste war, und sich ihm zuwandte. „Ich habe gegen dich verloren, Partner meiner Cousine,“ erklärte Agrar sachlich. „Mein Leben gehört dir. Wann immer du einen Auftrag für mich hast – nenne das Ziel und die Person wird sterben. Natürlich,“ ergänzte er höflich: „Wirst du selbst mit vielem fertig.“ „Danke für das Angebot, Agrar.“ Michel nickte ein wenig: „Es schadet nie Verbündete zu haben, gerade auch im Norden.“ Der junge Assassine blickte zu seiner Cousine: „Ich kann nicht dein Partner sein, das ist mir nun klar. Aber bitte, ziehe mich als Ehemann in Betracht.“ Sarifa lächelte: „Wenn ich heiraten will, werde ich es tun. - Michel.....“ Der nahm es als zarte Aufforderung und schwang sich ein wenig mühsam, wenn auch in der Hoffnung, sich nicht zu blamieren, auf den Lastsattel des Esels. Seine Partnerin griff sich die Zügel und so zogen sie aus dem Dorf, noch ein Stück gefolgt von der Familie und den Nachbarn. Michel und Sarifa waren bereits eine Woche unterwegs, als sie auf Grund eines Achsenbruchs der Postkutsche wie auch vier andere Passagiere einen unerwarteten Halt in einem kleinen Weiler einlegen mussten, der sich am Rande des Einflussgebietes der Stadt Pavero befand, einer wohlhabenden alten Fischer- und Handelsstadt an der Küste des Südmeeres, und dem ausgedehnten Königreich von Pisan. Vor ihnen lag eine Strecke von drei Tagen, die durch mehr oder weniger unbewohntes Gebiet führte. „Gibt es dort Banditen?“ erkundigte sich Sarifa, als sie ein wenig am Rand des Bauerndorfes spazieren gingen. „Vermutlich, mein Engel. Wer Überfälle plant sucht sich immer das Gelände zwischen zwei Mächten. Aber, wenn ich unseren Kutscher richtig verstanden habe, gibt es nur einen Ort weiter eine richtige Haltestelle, wo dann Reiter dazu kommen, die uns durchgeleiten werden und die nächste Kutsche zurückbringen.“ „Im Preis mit eingeschlossen oder müssen wir dafür bezahlen?“ Wollte seine tendenziell aggressive Partnerin wissen, ob sie ihre Messertalente einsetzen könnte? „Im Preis mit eingeschlossen. - Ich weiß nicht, wie das untereinander abgerechnet wird,“ erklärte er dann ehrlich: „Aber ich vermute, dass der König von Pisan und der Bischof von Pavero sich geeinigt haben.“ „Das verstehe ich sowieso nicht so ganz,“ gestand die Assassine: „König, ja, wie König Emylian in Cinquanta oder hier dann der König von Pisan. Wieso haben manche Städte einen Bischof und andere einen Stadtrat – oder gibt es auch Städte, die einen König haben? Ich wüsste nicht.“ Sie war gut ausgebildet in Geographie, das wusste er, aber anscheinend hatte man in ihrem Dorf weniger Ahnung von der Geschichte des Kaiserreiches. Nun, kein Wunder: „Nein, das heißt, die Herzöge haben eine Stadt und ihr weiter gefasstes Umland. Sieben Stück davon gibt es. Das Andere liegt in der Geschichte. Manche Städte hatten so etwas wie Bürgerkrieg und stellten sich dann unter einen Bischof, um eine gewisse Neutralität zu wahren. Du erinnerst dich an Aquatica, wo sich die beiden herrschenden Familien durchaus nicht grün sind? Das, nur noch ein wenig ärger. Und ein immer wieder vom Kaiser und der Kirche bestimmter Bischof hat keine legitimen Kinder, das Amt kann nicht vererbt werden...also Frieden.“ „Das ist auch so in Pavero.“ Das klang logisch. Und sie konnte sich vorstellen, dass die Bürger der Städte auch auswärtige Regenten willkommen hießen, wenn sie nur in Frieden handeln konnten. „Ja. Diese Bischofsstädte sind oft relativ wohlhabend - niemand stritt sich je um ein paar verhungernde Leute. Der Bischof von Pavero heißt Konstantin. Er ist...eine Art Neffe des Kaisers.“ „Ah, war das nicht der, dessen Vater hingerichtet wurde?“ Davon hatte ihr Michel doch schon etwas erzählt und sie wollte demonstrieren, dass sie ihrem Ausbilder zugehört hatte. „Stimmt. Maxim war sein Vater, der Cousin Dagoberts. Er wollte einen gut Teil des Reiches besitzen, mit zwei Begründungen: erstens sei auch der jüngere Sohn erbberechtigt, damit sein Vater, und zweitens Dagobert ein Kind.“ „Letzteres mag gestimmt haben,“ erklärte Sarifa: „Aber es wäre doch idiotisch das Erbe nicht ungeteilt zu hinterlassen sondern es immer weiter unter seinen Söhnen aufzuteilen. Da hätte nach einigen Generationen ja niemand mehr etwas. Außer Krieg.“ „Stimmt, so sahen es auch schon Kaiser Merowin und dessen Vater, auch, wenn es früher durchaus schon vorgekommen war. Das hieß..äh...Realteilung. - Maxim führte drei Mal einen Aufstand, musste sich dann Kaiser Dagobert bedingungslos unterwerfen. Nach dem dritten Mal akzeptierte der keine Entschuldigung mehr sondern ließ ihn hinrichten. Dagobert war damals vierzehn, gerade volljährig geworden, Maxim gegen Ende Zwanzig. Und dieser hatte einen Sohn, Konstantin. Der zählte erst drei Jahre und obwohl er nach dem Recht des Reiches in ein Kloster als Mönch verbannt hätte werden können, noch dazu geblendet, nahm ihn Dagobert – und Uther - zu sich. Mit...lass mich nachdenken...na, als er erwachsen war, erhielt er die Bischofswürde von Pavero. So war sichergestellt, dass er keine erbberechtigten Kinder bekommen würde, aber gut versorgt war. Soweit ich weiß, war er mit dieser Lösung sehr zufrieden. Und Pavero war es auch, denn er war in der Knappenschule ausgebildet worden – und, mit Verlaub, den Städten ist so jemand lieber als ein ungebildeter Bauer, der nur über die Kirche Karriere machte und nichts von Handel oder Bankwesen versteht.“ „Hm. Verständlich.“ Sarifa ordnete ein wenig ihre Kleidung. Wie meist auf Reisen trug sie kein Kleid sondern Hosen. Diesmal hatte sie ihre Rüstung allerdings nicht unter dem Oberteil – sie hatte sie in Paradisa gelassen, um bei den Meuchelmördern nicht als Assassine aufzufallen. Aber das sollte nicht unbedingt ein Problem darstellen, erwartete sie doch keinen professionellen Kampf. Mit einigen hergelaufenen Banditen im Wald würde sie jederzeit fertig werden – ihr Partner ebenso. Und da war dann ja auch noch der Begleitschutz. „Das bedeutet auch, dass Kaiser Dagobert sein Reich nicht teilen wird, sondern es nur einem seiner Söhne hinterlassen will.“ „Ja.“ Michel blickte sich um. In der Schmiede arbeitete der eilig herbeigerufene Wagner noch immer an der Kutsche. Der Aufenthalt hier schien länger zu dauern. Aber das war eben so, zumal auf Reisen, die einen weit durch das Kaiserreich führten. Zwar waren die Fernstraßen in aller Regel in gutem Zustand, aber Steine und ähnliches gelangten immer wieder auf die Wege und gefährdeten die Kutschen und Reiter. „Korrigiere mich, wenn ich mich irre – aber das würde doch bedeuten, dass sich die Söhne jetzt schon um das Erbe streiten, wenn es nur einen geben kann? Oder hat dann Konstantin auch mitzureden?“ „Nein, zu allem. Konstantin ist Bischof und unverheiratet, keine Kinder – nach alter Regel kann nur ein Mann Kaiser sein, der...äh....naja, Kinder zeugen kann und logischerweise auch verheiratet ist.“ „Das bedeutet, er müsste das Bischofsamt nur niederlegen?“ Michel stutzte: „Nein, eigentlich kann man das nicht mal eben so machen. Das ist eine lebenslange Bindung. Theoretisch...ja. - Und die Söhne...ach du je. Dankward mit seinem etwas sehr leichtfertigen Lebensstil und Markward....nun ja, ich mag ihn nicht sonderlich, vielleicht bin ich da ungerecht. Er mag mich allerdings auch nicht.“ „Wenn er dich für einen Idioten hält könnte das an deiner Rolle liegen,“ erwiderte seine Partnerin prompt. Michel musste lachen: „Ja, vermutlich. Das Problem ist, dass er keine Rolle spielt, sondern so ist. Nun, da brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Ich vermute allerdings, dass Dagobert deswegen schon einige schlaflose Nächte hatte. Immerhin kann er die Krone nur einem Familienmitglied, einem männlichen Familienmitglied,“ betonte er für die Bluterbin der Assassinen: „Hinterlassen. Denn die Kernlande, das Stammland, werden nur in der männlichen Linie vererbt. Und ein Kaiser ohne Stammland, ohne Geld, hat kein Heer, ist folglich machtlos.“ „Angenommen, der Kaiser würde noch einen Sohn bekommen – ich meine, die Kaiserin ist ja viel jünger – dann könnte er auch den zum Kaiser ernennen?“ „Zum Thronfolger. Ja. Gar nicht schlecht, mein Engel. Das könnte ein Grund für die überraschende Heirat mit Anawiga gewesen sein. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich sah immer nur Markward und Dankward.“ Michel zuckte die Schultern: „Ist ja auch gleich. Ich denke mal, in doch lobenswerter Selbsterkenntnis, ich komme als Kaiser sowieso nicht in Betracht.“ Leichte Ironie lag in seiner Stimme, als er sich umwandte, um zu der Schmiede zurückzukehren, wo die Kutsche soeben – endlich - aufgestellt wurde. Sarifa erkannte, dass und warum er das Gespräch beenden wollte, folgte ihm, und dachte an seine arrogante Rolle, das ewig geschwenkte Taschentuch, das Parfüm und die vielen Rüschen und musste dann doch noch bestätigen: „Nein, irgendwie so nicht.“ Fast zwei Wochen später traf die Postkutsche mit den Beiden in Paradisa ein. Sie ließen sich jeder nach Hause bringen, ehe sie sich in der Abenddämmerung am Nordturm des Kaiserpalastes wieder trafen, beide mit Umhängen, die Gesicht und Statur verbargen, um sich mit Raoul über verschwiegene Stiegen zu Graf Uther zu begeben. Der empfing sie erfreut, dass sie da waren, meinte jedoch: „Ihr geht ein wenig...mühsam, Michel?“ Ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Besorgnis lag darin: „ Bitte, nehmt Platz.“ „Nichts von Bedeutung. Es ist bereits verheilt. - In den Bergen lauern manche Fallstricke.“ Mehr wollte er von dem Duell nicht erzählen. Der Kaiserbruder bemerkte durchaus das winzige Lächeln, das um Sarifas Mund zuckte, aber er hielt es für besser nicht nachzufragen: „Dann werde ich Euch beiden berichten, was inzwischen hier passiert ist. Die Kaiserin war guter Hoffnung, erlitt jedoch eine Fehlgeburt. Dankward kehrte vom Meer zurück. Mit seinem Einverständnis wird er Bischof von Tailina werden und dort eine Akademie für Seefahrer gründen und leiten. Markward leitet momentan die Bergwerke von Gruvenant.“ Michel zog die Brauen zusammen: „Bischof? Ist Dankward schon bewusst, was das für ihn heißt? Keine Frauen, keine Drogen und auch keine Kaiserkrone.“ „Es ist ihm bewusst. Der Dankward, der zurückkehrte, ist erwachsen geworden. Ohne zu viel zu erzählen – ja, ihm ist vollkommen klar, was das bedeutet. Aber er hat die Liebe zum Meer entdeckt und zu manchen anderen Dingen. So haben der Kaiser und ich beschlossen die Vergangenheit ruhen zu lassen.“ „Aber Markward wurde noch nicht zum Thronfolger ernannt?“ warf Sarifa ein. „Nein. Er wird noch beobachtet. Herzog Pippin, Michel, wenn Ihr das später Eurer Partnerin erklären mögt, wandte sich an mich, dass Markward mit ihm gesprochen hat, ohne das dem Kaiser mitzuteilen. So fragt man sich natürlich, mit wem noch so alles.“ Uther lehnte sich ein wenig zurück: „Es freut mich, dass Ihr beide wieder hier seid. Momentan liegt zwar nichts an, aber ich hätte gern, dass Ihr beide bereit seid für folgende Aufgaben: Sarifa, falls die Kaiserin erneut schwanger ist, möchte ich ihr Euch als ihre neue Hofdame vorstellen. Ihr werdet dafür sorgen, dass weder Anawiga noch dem Kind etwas...Unnatürliches zustößt.“ Die Assassine nickte nur. Ein wenig erleichtert sah er nach rechts: „Michel, ich bin mir bewusst, dass Ihr Markward nicht gerade liebt – aber, wenn er etwas Verdächtiges unternimmt, möchte ich, dass Ihr ihn übernehmt und herausfindet, was er treibt. Und wer ihn berät. Ich sage es Euch dann.“ Michel lächelte flüchtig: „Keine Sorge, Graf Uther. Ich bin ein Profi. Und ob ich ihn mag oder nicht – er ist der Sohn des Kaisers, der mögliche nächste Kaiser. So werde ich es auch professionell angehen.“ „So ist es gut.“ Er dachte kurz nach, ehe er nur meinte: „Ich bin froh, dass Ihr beide wieder hier seid. Irgendetwas liegt in der Luft, ich kann es spüren – und das gefällt mir nicht. Auch der Kaiser ist dieser Meinung. - Oh, Sarifa, Charibert erwähnte, dass Ihr nach Eurem Pferd sehen solltet. Es geht ihm wohl nicht gut.“ Sabri, dachte die Assassine prompt. Er war schon alt, aber sie hatte ihn ins Herz geschlossen, obwohl Michel sie gewarnt hatte, das man das nie mit einem Pferd tun dürfe. „Danke,“ sagte sie jedoch höflich. So war Sarifa bereits früh am nächsten Morgen auf dem Weg zu den kaiserlichen Ställen vor der Stadt, um nach ihrem alten Wallach zu sehen. Sie bemerkte, als sie an dem Stadttor ihren Passierschein vorwies, dass sich dort draußen etwas tat. „Was geschieht dort?“ erkundigte sie sich bei dem Wachposten. „Oh, sie richten den Galgen auf. Heute findet eine Hinrichtung statt. Wollt Ihr zusehen, ma donna?“ „Ich muss zu den kaiserlichen Ställen...“ wehrte sie ab. Nein, das war so nicht nach ihrem Geschmack, auch, wenn sie wusste, dass im gesamten Kaiserreich Hinrichtungen zu der üblichen Rechtsprechung gehörten. Sie bevorzugte die Assassinen-Methode: den Dolch von vorn in das Herz. Aber sie gab gern zu, dass das für die meisten Städte oder auch Königreiche wohl kaum möglich war. So ließ sie sich in ihrer gemieteten Sänfte zu den Ställen tragen – sie hatte dazu gelernt, und nach ihrer Vorstellung bei Hofe wäre es kaum der Tarnung förderlich gewesen hier zu Fuß herzugehen, so gern sie es auch getan hätte. Sabri ging es in der Tat nicht sehr gut und der zuständige Stallbursche sah sich gezwungen die junge Dame zu beruhigen. Immerhin hatte diese das Ohr des Stallmeisters Charibert, des Herrn über den berittenen, und damit größten, Teil des kaiserlichen Heeres und aller der dazugehörigen Pferde. „Er ist schon alt, ma donna....Er wird bald einschlafen. Aber er hat keine Schmerzen, das kann ich Euch versichern.“ „Ja, das sehe ich.“ Nahm sie zumindest an. Er war das erste und einzige Pferd, was sie je besessen hatte, und sie drückte sich an seinen Hals. Mager war er geworden... Sie nahm sich zusammen. „Nun, gebt ihm, was er benötigt. Ich werde wenn möglich jeden Tag kommen, bis....“ „Ja, wie Ihr wünscht, ma donna.“ In Erinnerung an Michel nahm sie eine Münze im Wert von zehn Gulden aus ihrem Beutel und gab ihrem Gesprächspartner diese, ohne zu ahnen, dass der Mann weder Trinkgeld gewohnt war, geschweige denn in Höhe eines Wochenlohnes. Und dass sie Sabri eine äußerst aufmerksame Pflege gesichert hatte. Als sie sich nach Paradisa zurücktragen ließ, wurde sie bald angehalten. Ein kaiserlicher Gardist kam zu ihr an die Tür der Sänfte: „Ma donna, ich bedauere, hier kommt Ihr nicht mehr durch....“ „Ich verstehe nicht.“ „Es findet eine Hinrichtung statt und es kamen schon sehr viele Menschen. Mit der Sänfte kommt Ihr hier nicht mehr durch. Zu Fuß könnt Ihr es versuchen.“ „Das werde ich dann wohl müssen.“ Sie öffnete die Tür. Galant half ihr der Mann aus der Sänfte. Ihre Kleidung zeigte eine Adelige, und in der kaiserlichen Hauptstadt tat man gut daran Edelleuten gegenüber aufmerksam zu sein. Man wusste nie, wer wo was tat. „Danke.“ Sie trat zu den Trägern und bezahlte diese. Sie würden hier warten und sicher nach dem Auflösen der Menschengruppe einen neuen Kunden finden. Sarifa dagegen wandte sich dem Rand der Menge zu, möglichst entfernt von dem Galgen, um über die Wiese dort zur Stadt zu gelangen. Sie fuhr erst herum, als jemand ihren Namen sagte, dann sich eilig korrigierte: „Vergebt mir, Prinzessin Sarifa. Ich war zu erfreut Euch endlich einmal wiederzusehen, um meine Zunge beherrschen zu können.“ Sie neigte höflich-höfisch mit einem Lächeln den Kopf. Was tat Markward denn hier? Immerhin war er in Begleitung eines braunhaarigen Mannes, der offensichtlich bürgerlicher Herkunft, aber offenkundig wohlhabend war. Zumindest trug er eine teure Kette um den Hals und das dunkle Wams war bestickt. Auf den zweiten Blick erst erkannte sie auch zwei Angehörige der Leibgarden. Der Kaisersohn wurde nicht unbewacht gelassen. „Belasst es nur bei Sarifa,“ meinte sie: „Wir sind nicht bei Hofe.“ „Dann sagt Ihr aber auch Markward....“ Narr, dachte sie. Er trug, wie jeder Sohn des Kaisers, nicht den Titel Prinz – den erhielt nur der designierte Thronfolger. Hielt er sich schon so sicher dafür? „Danke,“ sagte sie jedoch nur. Heute war er zwar wie ein Adeliger gekleidet, aber doch nicht seinem Stand entsprechend, wohl, um hier nicht aufzufallen. Auch seine blonden Haare fielen offen und weich über seine Schultern. Wieder einmal fand sie ihn durchaus nicht übel aussehend. „Wolltet Ihr Euch auch die Hinrichtung ansehen?“ „Eigentlich wollte ich nur zur Stadt zurück. Ich kam aus den kaiserlichen Ställen....“ „Ach ja, Stallmeister Charibert sorgt sich sehr um Euch.“ Und das war ein guter Grund die Formen zu wahren. Der Stallmeister war ein langjähriger Vertrauter des Kaisers. Nachdem Vater angefangen hatte ihn selbst als Nachfolger aufzubauen sollte er aufpassen, da nichts zu zerstören. „Warum wird dort jemand hingerichtet?“ erkundigte sie sich dann doch neugierig. „Ein Dieb.“ Er zuckte ein wenig die Schultern. Sie stutzte: „Wegen Diebstahls wird man hier gehängt?“ „Oh, nein. Wird das in Cinquanta anders gehandhabt?“ Markward schob sich enger zu ihr, hütete sich jedoch davor ihren Arm zu fassen. Schön langsam vorgehen, ermahnte er sich. „Wenn jemand stiehlt, zum ersten Mal, und nicht aus Hunger, dann erhält er in den linken Oberarm ein Brandmal. Beim zweiten Mal in den rechten. Und beim dritten Mal wird er gehängt. Ich würde sagen, wegen erwiesener Dummheit, denn genug Warnung hat er erhalten.“ Sie wich möglichst unauffällig einen Schritt zurück, anstatt ein Messer zwischen sich und ihn zu halten, wie es ihr erster Impuls war: „Und wenn jemand wegen Hunger stiehlt?“ „So ist es der ausdrückliche Wunsch des Kaisers, dass diesem eine Arbeit verschafft wird. Geht er dieser nicht nach und stiehlt weiter – nun ja.“ „Ich möchte eigentlich da nicht zusehen,“ gestand Sarifa. Markward wunderte das ein wenig: „Ich habe auf meiner Reise ehrlich gesagt viele junge Damen gesehen, die solche Schauspiele sehr prickelnd fanden. Stört Euch der Tod oder nur das Blut? Das gibt es bei einer Hängung nicht.“ „Mich stört weder Blut noch Tod,“ erwiderte die Assassine prompt: „Nur, dass es als Schauspiel dient.“ „Nun, es dient auch der Abschreckung, findet Ihr nicht? Aber, welch unschönes Thema, meine Teure. Sagt, wann kann ich Euch denn einmal wieder bei Hofe sehen?“ „Oh, das weiß ich nicht....“ Sie hatte keine Anweisung erhalten, aber damit auch keine Einladung. Freilich hatte sie jederzeit Zutritt zu Graf Uther und die entsprechenden Passierscheine, aber das wollte sie gegenüber Markward nicht erwähnen. „Ich denke bald.“ „Wenn Ihr hier, Chilperich, Eure Adresse sagt, werde ich Euch eine Einladung zu einem der nächsten Empfänge zukommen lassen,“ lächelte Markward in freudiger Überraschung. Also hatte Charibert nicht die Hand auf der jungen Dame, sonst hätte sie bereits Einladungen erhalten. Sarifa stutzte, ehe sie ein wenig abwehrend sagte: „Nun, die nächste kaiserliche Brieftaubenstation ist....“ Sie nannte die Adresse. Chilperich nickte und Markward lachte auf: „Schon gut, meine Teure. Ich sehe schon, Ihr seid ein sehr anständiges Mädchen aus dem Süden, nicht wahr?“ Umso reizvoller würde die Jagd werden. Sie sah das Aufblitzen in seinen blauen Augen und der Kaisersohn ahnte vermutlich nicht, wie nahe er daran war, Dolche um die Ohren oder noch lieber woandershin zu bekommen. Jahrelang antrainierte Selbstbeherrschung, anerzogene Kaisertreue sowie Michels Lehren ließen sie jedoch nur sagen: „Ich denke, dort kommt der Verurteilte...Ihr entschuldigt mich gewiss....“ Mit einem weiteren Lächeln ging sie, gerade langsam genug, um es nicht wie eine Flucht erscheinen zu lassen. „Geh ihr nach, Chilperich. Ich will wissen, wo sie wohnt,“ befahl Markward unverzüglich leise. Sein Kämmerer gehorchte. Als er nach einer halben Stunde zurückkehrte, musste er zugeben, dass er die junge Dame verloren hatte – und dass er der Meinung war, es sei keine Absicht gewesen. ** Wenn er meint... Das nächste Kapitel bringt ein „Zwischenspiel“. Kapitel 34: Zwischenspiel ------------------------- Michel seufzte ein wenig, als er im Schlafzimmer nach Einbruch der Dunkelheit ein leises Klopfen an seinem Fensterladen hörte und öffnete, sicher, dass es nur seine Partnerin sein konnte. Sie kam fast lautlos herein, ihren Tarnumhang über sich. „Oh, Ärger, mein Engel?“ Er schloss die hölzernen Flügel hinter ihr. „Nicht wirklich.“ Sie berichtete von dem Treffen mit Markward bei der Hinrichtung: „Dieser Chilperich verfolgte mich, aber ich konnte ihn unauffällig abhängen. Dafür entdeckte ich heute Nachmittag, wie ich es fast schon erwartet hatte, einen Mann gegenüber der Poststation, der nicht einmal so tat, als würde er dort etwas arbeiten.“ „Kein Profi, also.“ „Nein, ich würde sagen, er arbeitet sonst als Knecht oder so.“ „Kein Problem, den abzuhängen?“ „Nein. Aber ich dachte, du, und auch Graf Uther, sollten davon wissen.“ Michel seufzte. „Du hättest dir so ziemlich jeden Verehrer im Reich anlachen können – nein, du suchst dir den ältesten Sohn des Kaisers aus.“ „Ich habe ihn mir nicht ausgesucht!“ protestierte sie prompt: „Und ich war auch vorsichtig. Aber wenn ich nicht mit ihm rede, würde das doch auch auffallen. Jede junge Frau dürfte doch geschmeichelt sein – oder habe ich etwas falsch gemacht?“ ergänzte sie unsicher. „Nein,“ beruhigte er sie sofort: „Du hast schon recht. Wobei ich aus irgendeinem Grund annehme, dass dir diese Aufmerksamkeit nicht sonderlich gefällt – mal abgesehen von deiner Rolle als Agentin.“ Er spannte sich an, als er ein Klopfen an seiner Wohnungstür vernahm: „Bleib hier!“ Noch während die Assassine buchstäblich eines mit den Schatten seines Schlafzimmers wurde, war er mit einer zweiten Kerze zur Wohnungstür gegangen: „Wer ist da...?“ „Michel,“ sagte eine wohlbekannte Stimme und er öffnete mit einem deutlich lauteren Seufzen als zuvor: „Graf Uther...soll ich sagen, ich freue mich, Euch zu sehen?“ „Es wäre nett. - Meine Leibwache und Kutsche wartet unten. Ich sagte, ich wolle Euch eine Einladung geben zu einem privaten Spielabend.“ Michel schloss die Tür: „Sollte sich nicht jemand wundern, wenn Ihr solche Botengänge selbst übernehmt statt Raoul zu schicken?“ „Das ist das Problem,“ sagte der Kaiserbruder: „Oh, ich störe Euch nicht etwa?“ Er hatte einen Kerzenschein im Schlafzimmer entdeckt. Michel bemerkte anerkennend, dass die Assassine mitdachte: „Nicht so, wie Ihr wohl annehmt. Wollt Ihr auch mit meiner Partnerin darüber sprechen? Sarifa hatte eine nette kleine Begegnung mit Markward.“ Uther nickte: „Ich hoffe, er lebt noch.“ kommentierte er nur. „So schlimm bin ich nicht,“ protestierte die junge Dame sofort und kam aus dem Schlafzimmer. „Kommt, setzen wir uns hier drüben hin,“ sagte der Gastgeber. Als sie es taten, fuhr er fort: „Berichte mal, Sarifa.“ Sie tat es und der Geheimdienstleiter nickte: „Nun ja, es ist nicht verboten einer Dame den Hof zu machen. Markward hat anscheinend einen besseren Geschmack als ich ihm das zugetraut habe. Ihr wisst sicher, dass Ihr vorsichtig sein müsst, meine Teure. - Warum ich kam. Raoul sitzt vermutlich in der Klemme. Wie Ihr beide ja wisst, erledigt er für mich allerlei Gänge und Nachrichten, auch andere Dinge, mit denen ich nicht in Verbindung gebracht werden sollte. Er hat dennoch auch eine Familie und ein Privatleben und reiste vor kurzem dorthin. Es ist ein Ort, wo manche wohlhabende Leute auf Erholung gehen, in den Bergen von Ostrien. Neudorf, nennt sich die kleine Stadt, eher ein aufstrebender Marktflecken. Er erfuhr jedenfalls dabei, dass ein alter Freund von ihm unter sehr eigentümlichen Umständen gestorben war und schrieb mir, dass er die Sache selbst überprüfen wolle. Seither hat er sich nicht gemeldet, meine Eilbriefe an ihn blieben unbeantwortet. Raoul weiß mehr über mich als sonst wer – das könnte kritisch werden.“ Uther schwieg einen Augenblick, ehe er ehrlich ergänzte: „Aber ich mache mir auch um ihn selbst Sorgen. Ich kenne ihn seit mehr als vierzig Jahren. Zum Glück war er vernünftig genug mir alles zu schicken, was er bis dahin wusste. Kurzfassung. Bei der Stadt, in den Wäldern, liegt ein größerer Bauernhof. Offiziell sind sie ein Heim für Kriegsversehrte, die dort behandelt werden, bis sie wieder gehen oder auch allein leben können. Sehr nobel und ich meine mich daran zu erinnern, dass sowohl König Martin von Ostrien, der dort zuständig ist, als auch der Kaiser Geld dafür gaben. Das erklärt allerdings nicht, warum sowohl Raouls Freund als auch dieser offenbar dort in Schwierigkeiten kamen. Raoul wollte sich das Haus ansehen, unter dem Vorwand, dorthin spaziert zu sein. Das war anscheinend schon zu auffällig. - Ich möchte Raoul lebendig zurück und wissen, was dort los ist. Graf Lothar hat mir bereits zugesichert, dass Ihr die Unterstützung der Polizei bekommen könnt. Näheres ist hier drin.“ Er legte einen Umschlag auf den Tisch. Michel nahm ihn: „Eine Frage habe ich noch.“ „Nun?“ „Wen würdet Ihr eigentlich schicken, wenn ich vermisst werden würde?“ Leichter Spott lag in der Stimme. Es kam Sarifa wohl nur im Kerzenschein so vor, als ob der Graf traurig blickte, dann lächelte er: „Natürlich Eure Partnerin. - Ich fürchte, Markward wird Euch wieder suchen...“ meinte er dann zu ihr: „Aber bitte, seid schnell.“ „Sind wir doch immer.“ Michel öffnete den Umschlag: „Überdies genial, tapfer und unschlagbar. - Im Ernst, macht Euch nicht zu viele Sorgen. Wir reisen mit der ersten verfügbarenSchnellkutsche morgen früh.“ „Danke.“ Graf Uther ging erleichterter als er gekommen war. Michel blickte zu seiner Partnerin: „Ich lese mir das durch. Packst du und kommst wieder her? Im Zweifel über die Dächer, Markward sollte nichts erfahren.“ „Natürlich. - Armer Sabri. Dann kann ich ihn nicht mehr besuchen.“ „Ehrlich gesagt: armer Raoul wäre vermutlich angebrachter, denn dein Sabri wird gut versorgt, was wir von Raoul nicht wissen.“ Leiser Tadel lag in seiner Stimme. Sie ärgerte sich, derart unprofessionell gewesen zu sein, und verschwand wortlos, während sich Michel an die Lektüre machte, nachdem er rasch eingepackt hatte. Am nächsten Morgen, während eine private – und teurere - Eilkutsche sie nach Osten in das Königreich Ostrien bringen sollte, lehnte sich Michel zurück: „Fragen?“ Sarifa nutzte die Gelegenheit: „Ich meine mich zu erinnern, wo dieses Neudorf liegt. Was allerdings treibt Menschen dazu, dort Erholung zu suchen? Was ist das?“ „Wie du dir unschwer denken kannst, kann das nicht jeder. Nur reiche Händler und Adelige. Es kostet ja ganz schön Geld. Sie kommen an Orte wie Neudorf oder auch das Meer um sich zu erholen.“ Genau das dürfte das Wort sein, das sie nicht verstand, dachte er dann, und erläuterte: „In den meisten Städten ist die Luft schlecht, oft bekommen die Menschen Atemwegskrankheiten, gerade im Sommer. So erscheint es gut, kranke Familienangehörige dann an solche Orte zu schicken, wo sie der Krankheit aus dem Weg gehen oder gar geheilt werden. Es ist eine gute Sache im Prinzip. Darum hat sich dort wohl auch dieses Krankenheim für Kriegsversehrte angesiedelt. Ich glaube kaum, dass da Hinz und Kunz hin darf, sondern nur reiche Leute, Adelige, Offiziere. Nun ja, auch diese müssen wieder lebenstauglich gemacht werden. Ich habe da so einige Verletzungen gesehen....“ Er zuckte die Schultern. „Es ist ein gutes Geschäft mit der Erholung, und ich vermute doch sehr, dass weder die Stadtväter von Neudorf noch König Martin von Ostrien begeistert wären, wenn ihnen da jemand das Geschäft zerstört. Wer auch immer dort krumme Sachen macht muss es gut verstecken. Raoul dürfte nur den Schutz haben – oder gehabt haben, dass er am Kaiserhof arbeitet und nicht einfach eben so umgebracht werden konnte. Was nicht heißt, dass er noch lebt. Falls da wer ein verbrecherisches Geschäft aufgezogen hat, wird er sein kleines Geheimnis auch gern für sich behalten wollen.“ „Was war mit seinem Freund?“ „Raouls Freund hieß Lupegar, Odo Lupegar. Ein Gastwirt aus Neudorf. Der Name des Hauses ist Zur Schönen Aussicht. Er war oft im Wald spazieren und wollte, so sagte er, nach Wegen suchen, die auch seine Gäste gehen können, um eine schöne Aussicht zu haben und so weiter. Eines Tages kehrte er völlig erschöpft nach Neudorf zurück, kaum mehr ansprechbar und erzählte etwas von einem Monster, das ihn gejagt habe. Der herbeigerufene Arzt – da gibt es einige, kannst du dir vorstellen, meinte, er sei verrückt geworden und rede im Fieber. Kurz darauf starb er. Raoul kam wohl nur wenige Tage später dort an.“ „Wie passend. Ein Monster, das jemanden bis zur Erschöpfung jagt? Und Raoul wollte das auf eigene Faust finden? Michel, Raoul hat seine Qualitäten und ist sicher organisatorisch ein Genie – aber auf Monsterjagd zu gehen....?“ „Er wollte nur vor fünf Tagen zu diesem Versehrtenheim gehen, spazieren gehen, offiziell.“ „Und nichts Verdächtiges unternehmen? Nun, dann wäre dieses Krankenheim für uns der erste Anhaltspunkt.“ „So sehe ich das auch. Wenn wir etwas Verdächtiges finden, sollen wir den Leiter der örtlichen Polizei informieren. Er heißt Louis Bleufort. Sie machen dann weiter. Graf Uther geht es um Raoul, und dass dann da gewöhnlichen Verbrechern irgendwie das Handwerk gelegt wird.“ „Du redest in der Mehrzahl.“ „Ich weiß. Aber glaubst du etwa, es war nur einer? Schön, ein Monster?“ Die Assassine nickte ein wenig: „Ja, wer oder was ist das Monster und was ist in dieser Klinik los...Wir werden sehen. Oder hast du schon einen Plan?“ „Indirekt. Wir gehen nach Neudorf, mieten uns ein und dann hören wir uns mal um. Offiziell sind wir dort unter dem Namen Martin und Selena van der Maat, und wollen dieses Versehrtenheim aufsuchen, da dein Vater einen schweren Unfall hatte und du wissen möchtest, ob sie ihn dort auch betreuen können. Ein harmloser Vorwand, um sich das Gebäude mal anzusehen. Selbstverständlich bin ich wohlhabend....“ Sarifa seufzte fast, erwiderte aber nur, um nicht erneut unprofessionell zu erscheinen: „Das bedeutet keine Armreifdolche, keine Rüstung.“ „Stimmt, auch, wenn ich nicht davon ausgehe, dass du unbewaffnet bleiben willst.“ Er lächelte: „Und seit Emsby verstehe ich das nur zu gut. Ich werde allerdings ebenfalls ohne Degen gehen. Falls uns das Monster über den Weg läuft, werden wir hoffentlich auch so damit fertig. Was auch immer dieser Lupegar darunter verstand.“ „Er lag in einem Fieberwahn – da kann man sich nicht sehr ordentlich ausdrücken,“ wandte sie ein. „Stimmt schon. Aber irgendetwas muss diese Assoziation ja ausgelöst haben.“ „Bürgerliche Kleidung also, aber wohlhabend. Hm. Und wenn die ihre Kunden ausrauben?“ „Das wäre eine Möglichkeit, aber bislang hat sich niemand bei der Polizei beschwert. Alles scheint seine Ordnung zu haben. Ich vermute eher, dass sich da jemand eine Nebeneinkunft aufgebaut hat, in welcher Richtung auch immer, von der weder Heimleitung noch Ärzte, geschweige denn der Stadtrat von Neudorf eine Ahnung haben. Neudorf, mein Engel, liegt übrigens in einem Mittelgebirge, du solltest dich heimisch fühlen. Es gibt allerdings bedeutend mehr Bäume. Und, darauf wollte ich hinaus: ziemlich Schnee.“ „Das dürfte in Neudorf und auch in diesem Versehrtenheim gleich sein.“Irgendjemand würde doch für die Gäste den Schnee weg schaufeln oder in den Häusern auch heizen. „Möglich. Aber das und die Kälte sollten wir nicht aus den Augen verlieren.“ Er warf ihr einen raschen Blick zu. Selbst in dem Gewackel der dahinpreschenden Kutsche war sie in all den Monaten, die sie jetzt schon gemeinsam reisten, in der Lage gewesen eine einzige ungewollte Berührung zu verhindern. Sie glich es einfach irgendwie aus – und er musste sich festhalten. Nachdem er allerdings ihre heimischen Übungsmöglichkeiten gesehen hatte, vermutete er schwer, dass das ständige Training auf gespannten Seilen zu einem sehr ausgeprägten Gleichgewichtssinn führte. Nut vier Tage später waren sie, ein wenig müde ohne es zu zeigen, in Neudorf. Das trug diesen Namen nichts weniger als zurecht. Die Stadtmauer war bestimmt schon zweihundert Jahre alt, wenngleich ebenso auf dem neuesten Stand wie der gesamte Ort. Gasthof reihte sich an Gasthof und selbst in dieser Winterzeit waren offensichtlich einige Gäste anwesend. Das Haus, das sie am meisten interessiert hätte, Zur Schönen Aussicht, war geschlossen. Es kostete Michel einige Gulden, ehe er ein Doppelzimmer mit angrenzendem Privatraum für sie auftreiben konnte. Immerhin hatte dies den Vorteil, dass er schon einmal ausführlich mit ihrer Tarngeschichte hausieren gehen konnte und erste Erkundigungen über das so einsam gelegene Haus einziehen konnte. Als sie in ihrem Zimmer waren und sich Sarifa mit Hilfe einer zur Verfügung gestellten Dienstmagd umgezogen hatte, saßen sie in ihrem „Wohnzimmer“ beisammen. Michel zuckte die Schultern: „Hast du etwas?“ „Da ich ja in der Kutsche sitzen blieb, weniger. Nur sagte mir die Magd, dass ab morgen jemand für mich kommt.“ „Ja, ich habe eine Art Zofe bestellt, um unauffälliger zu bleiben. Überdies reden Mägde in aller Regel gern und sie wird versuchen sich bei dir einzuschmeicheln um ständig angestellt zu werden. Das Leben als Zofe ist leichter als das einer Mietmagd. - Mir wurde gesagt, dass dieses Versehrtenheim.....eigen ist. Genauer, wenn dein angeblicher Vater im Krieg ein Bein verloren hat, wäre er dort schlechter aufgehoben. Sie behandeln dort eher Patienten die....wie soll ich das nennen, hinterher im Leben nicht mehr zurecht kommen. Es soll eine neue bahnbrechende Idee sein – es würde zu Dagobert passen, so etwas zu finanzieren, obwohl er es selbst kaum durchlebt hat. Die meisten Männer härten sich ab – man tötet oder man wird getötet. Aber anscheinend gibt es da ein paar andere.“ „Man lernt ja auch bei uns, dass nicht jeder bereit ist einen anderen zu töten,“ erwiderte die Assassine prompt: „Bei uns ist es das Ergebnis eines lebenslangen Trainings. Denn zum Töten gehört nach unserer Auffassung auch immer die Bereitschaft getötet zu werden. Man lernt, das eigene Leben wenig zu schätzen ohne dabei leichtfertig zu werden. Es hat wohl etwas mit der Seele zu tun. Dennoch, das scheint mir ein neue Idee zu sein...“ „Ja, sicher. Und ziemlich eigenwillig. Aber das erklärt auch, warum sie da sich in die Waldeinsamkeit zurückgezogen haben. Umgekehrt – war vielleicht einer ihrer Patienten das Monster, von dem die Rede war? Und wo ist Raoul? Ich würde daher sagen, wir statten morgen dem Hof einen Besuch ab, du suchst angeblich einen Platz für deinen Vater, der ein Bein verloren hat...dann müssten sie ja höflich bedauern oder so....und dann sehen wir weiter. Vielleicht ein kleiner Einbruch bei Nacht....“ „Dir ist eigentlich schon klar, dass du dich bei solchen Einbrüchen nicht darauf berufen kannst, in kaiserlichen Diensten zu stehen.“ „Schon, aber noch kann man einen Adeligen nicht so mir nichts dir nichts einbuchten – ich käme mit einer Geldstrafe und einer ersten Rüge wegen unpassender Späße davon. Hatte ich schon.“ „Du kennst keine Skrupel bei deinen Aufträgen.“ „Nein,“ gab er zu: „Aber du etwa?“ „Du meinst, keine Rücksicht auf Verluste und schon gar nicht auf die eigenen? Ja, solange man sein Ziel dabei erreicht. Deswegen predigte Großvater uns ja auch immer, wir sollten unsere Ziele sehr sorgfältig wählen.“ „Damit hatte er recht. Ich lasse Essen hierher kommen, einverstanden? In der Wirtschaft unten würden wir mehr hören, aber das passt nicht zu unserer Rolle. Vielleicht gehe ich später und du unterhältst dich mit der Magd.“ Da das nichts Neues brachte, waren die beiden Agenten am folgenden Morgen in einer gemieteten Kutsche zu dem Heim unterwegs. Der Pferdelenker kannte sich aus und fuhr die verschneite, gewundene Straße sicher empor. Sarifa fröstelte ein wenig und zog den warmen, mit Fell besetzen Umhang enger. So tief verschneiten Tann hatte sie nie zuvor gesehen. Als die Kutsche dann auch noch abbog, um einen kleinen Weg abseits der Straße in den Wald zu nehmen, sah sie seitwärts: „Der Schnee wird tiefer.“ „Ja, wir kommen höher.“ „Das meinte ich nicht. In solchem Schnee wird es sehr schwer keine Spuren zu hinterlassen.“ „Wie wahr, mein Engel. Aber wir wollen das Haus nicht verlassen. Ich stelle dich vor, dann übernimmst du das Reden und fragst nach einem Platz für deinen Vater uns so weiter. Falls er dich rumführen will, dir ein Zimmer zeigen will, gehst du mit und ich bleibe allein zurück, angeblich, weil mich das langweilt. Tatsächlich werde ich mich auch im Haus einmal umsehen. Wenn ich auffalle, habe ich mich verlaufen. Wenn Raoul noch lebt, sollte er dort sein – allerdings muss ich zugeben, dass seit seinem Verschwinden fast eine Woche her ist. Nein, mehr. Zehn Tage. Da wird die Zeit knapp. Warum sollten sie ihn solange am Leben halten.“ Sarifa dachte ernsthaft über die Frage nach: „Wenn sie wissen, dass er am Kaiserhof arbeitet – und das hat er ihnen sicher gesagt, dass er offiziell der Kammerdiener von Graf Uther ist, müssen sie das doch erst bestätigt bekommen und ihn dann anschließend durch einen Unfall umkommen lassen, das dauert schon ein bisschen, zumal, wenn sie denken Zeit zu haben. Uther oder auch der Kaiser selbst drehen doch nicht Däumchen, wenn einer ihrer vertrautesten Diener umgebracht wird. Das könnte unpassende Aufmerksamkeit auf den Bösewicht lenken.“ „Perfekt. Nur, in zehn Tagen kann man viel herausfinden. Auch aus einem Menschen....“ „Du fürchtest, sie wollten von ihm Staatsgeheimnisse?“ „Ja, auch, wenn Uther ja nicht gerade dafür bekannt ist, mehr zu tun, als in seinem Zimmer zu sitzen und zu lesen. Also, abgemacht. Du übernimmst das Reden, nach dem Anfang, und ich gehe mir die Sache mal ansehen.“ „Gut.“ Die Kutsche fuhr nun scharfe Kehren und sie blickten aus dem Fenster, was passierte. Dieses Versehrtenheim lag wirklich abgeschieden. Der Weg zeigte zwar einige Wagen- und Kutschenspuren, aber er führte nun steil bergab in ein kleines Tal, umgeben von steilen Felswänden. Ursprünglich mochte hier einmal eine gigantische Höhle gelegen haben, deren Decke nun eingestürzt war. Der ehemalige Bauernhof selbst bestand aus mehreren Gebäuden die aneinander gebaut waren und schon von außen davon zeugten, dass hier kein Heu mehr gelagert wurde – die Scheune zeigte Fenster, die nun verhängt waren. Schließlich war Winter und die Heizmöglichkeiten wohl nicht sonderlich groß. Natürlich war die Kutsche dort bemerkt worden und jemand, der einfachen, braunen Kleidung nach ein Helfer oder Knecht, legte die Schneeschaufel beiseite und näherte sich der Kutsche. Der Kutscher rief, wie es üblich war, die Namen seiner Insassen und der Knecht eilte heran: „Oh, don van der Maat, ma donna...Ich werde unverzüglich den Herrn von Eurer Ankunft in Kenntnis setzen.“ Bislang war nichts unüblich und Michel stieg aus, wies den Pferdelenker an zu warten, ehe er seiner vorgeblichen Gemahlin aus der Kutsche half: „Ist dir kalt, mein Engel?“ Sie wollte schon auffahren, dass das nichts mit der Arbeit zu tun habe, als sie erkannte, dass er nur für manche Ohren Gespräch machen wollte und bemühte sich ihn zu imitieren: „Ich komme aus dem Süden, mein Werter. Schnee bin ich noch immer nicht gewohnt. Aber was tut man nicht für seinen Vater. - Oh...“ Michel wandte sich um. Ein Mann mittleren Alter in bürgerlicher Kleidung kam heran und verneigte sich etwas. „Don, donna....mein Name ist Capet. Ich bin der Leiter dieses Heimes. Wünscht Ihr jemanden zu besuchen?“ „Oh, noch nicht, sozusagen.“ Michel deutete vage um sich: „Meine werte Gemahlin hörte, dass Ihr hier Kriegsversehrte heilt und da ihr Vater einen schweren Unfall hatte....Bitte, sprecht mit ihr.“ Don Capet verneigte sich etwas gegen die donna: „Einen schweren Unfall, sagte Euer Gemahl? Mein Bedauern. Was fehlt ihm denn?“ „Er verlor das rechte Bein, die Ärzte mussten es ihm abnehmen...Oh, es war schrecklich,“ beteuerte die junge Dame sofort: „Und ich habe mich überall umgehört, hörte, dass Ihr vollkommen neue Methoden anwendet, und so hoffte ich....“ „Ich kann ihm sein Bein nicht wiedergeben,“ erklärte der Herr des Hauses: „Aber...er leidet darunter sehr?“ „Ja. Oh, wisst Ihr, er war doch früher so ein guter Reiter und fuhr gar zur See und jetzt....“ Niemand, der eine Ahnung von der wirklichen Sarifa hatte, wäre in Anbetracht ihres aufgeregten, fast weinerlichen Tonfalles darauf gekommen, dass sie dieselbe Person war, stellte Michel amüsiert und interessiert fest, ohne freilich etwas zu sagen. Er bemühte sich nur sich umzusehen, die Spuren im Schnee zu deuten, die Fenster, aus denen manche Gesichter nun neugierig blickten. „Ja, ich verstehe, Das kommt durchaus öfter vor, ma donna. Allerdings muss ich zugeben, dass unsere Bemühungen noch sehr neu sind auf diesem Gebiet. Mögt Ihr, und Ihr, don, vielleicht einen Rundgang durch unser Heim machen?“ „Oh ja, gern,“ beteuerte Sarifa, während Michel fast überheblich abwinkte: „Nicht nötig. Gefällt es ihr, bezahle ich. Ganz einfach, nicht wahr? Jetzt werde ich mir einen der neuartigen Glimmstengel in den Mund stecken., da bleibe ich lieber hier draußen.“ Nicht, dass er selbst rauchen würde, aber es war ein guter Vorwand sich zu trennen. Kapitel 35: Raoul ----------------- Michel hoffte, dass Sarifa don Capet lange genug beschäftigen würde, damit er sich möglichst unauffällig dieses Versehrtenheim von außen ansehen konnte. Er tat, als ob er einen dieser Glimmstängel rauche, die seit vergangenem Jahr der letzte modische Schrei in höfischen Kreisen waren – zumindest in der Männerwelt. Seiner Meinung nach hätte das genau so gut Heu sein können und wie er kein Gras aß rauchte er eben auch kein Heu. Aber es war eine gute Tarnung und er bemühte sich ab und an so zu tun, als ob er an dem Stängel lutsche, während er auf dem kalten und etwas matschigen Hof spazierte und die Gebäude betrachtete. Es handelte sich um einen früheren Gutshof samt Meierei, der jetzt umgebaut worden war. Im ersten Stock lagen eindeutig die Zimmer der Patienten, das zeigten die schweren Portieren in den Fenstern, die die Kälte abhalten sollten, aber auch die kleinen Kamine, die über jedem in das Dach eingebaut waren. Hinten, in der früheren Scheune schienen sich andere Zimmer zu befinden und er bummelte näher. Das dürften wohl die Behandlungszimmer sein. Er entdeckte durch die Schweineblasen, die als Kälteschutz dienten und nur bedingt durchsichtig waren, einen Tisch, eine Art Bett, Gerätschaften, die er Ärzten zuschrieb. Bislang wirkte alles echt. Also hatte hier don Capet wohl ein Versehrtenheim, wie er es offiziell behauptete. Nur, wo war Raoul und was war mit dessen Freund passiert? Andersherum gefragt – wer trieb hier dann irgendwelche Sachen, von denen keiner wissen sollte? Dieser Capet hatte auf ihn ja einen seriösen Eindruck gemacht, aber der erste Eindruck konnte täuschen, wie er nur zu gut wusste. Einen Raum weiter entdeckte er eine Art Wohnzimmer und war etwas irritiert. So etwas hatte er bei einer Krankenbehandlung noch nie gesehen, aber gut, das hier sollte ja auch eine neumodische Art der Therapie sein, und selbst in Neudorf schienen die Leute nicht so genau zu wissen, was das sollte. Immerhin schien das Ganze hier keinen Keller zu besitzen. Nun ja, wenn er sich die Umgebung ansah, so befand sich unter der Erde, die den Wald wachsen ließ, wohl Felsboden, in den zu graben etwas aufwendig gewesen wäre. Er dachte noch einmal kurz nach, ohne seine Meinung zu ändern. Falls Raoul noch am Leben war, standen die Chancen gut, dass er sich irgendwo in dem Versehrtenheim befand. Nachdem er und wohl kaum eine Woche zuvor sein Freund hier unerwartet aufgekreuzt waren, wäre es ziemlich ungewöhnlich von einem mutmaßlichen Entführer gewesen, den Gefangenen in einer Waldhütte zu verstecken, wo ihn weitere zufällige Spaziergänger finden könnten. Nach seiner Erfahrung wollten Verbrecher, bei denen etwas schiefgegangen war, in der Zukunft immer hundertprozentig agieren – was erst recht zu Fehlern führte. Kein Keller, also müsste sich Raoul entweder im Haus selbst oder Nebenräumen aufhalten. Wenn don Capet selbst keine Ahnung hatte, wäre es töricht, einen Gefangenen vor seiner Nase zu platzieren. Blieben also die Nebenräume. Überdies: im Zweifel würde seiner Partnerin bei der Führung etwas auffallen. Sie war aufmerksam, das wusste er inzwischen. Sarifa hätte sich über das Lob gefreut. Sie saß mit don Capet in einem Zimmer, das er als sein eigentliches Arbeitszimmer bezeichnete und hatte seine Arbeit erläutert. Seiner Meinung nach genügte es nicht, Kriegsverletzungen nur zu behandeln, Unfallopfer zu schienen und mehr oder weniger zusammenzuflicken und dann in ihren Alltag zurückzuschicken. Die Schmerzen, gerade auch der Behandlung, das Wissen, nun von anderen durchaus missachtet zu werden, und die Erinnerungen an die Situation, würden manche Männer eben überfordern. Hier, in der Waldeinsamkeit, könnten sie Ruhe finden und mit ihm darüber sprechen. Er war überzeugt, dass, wenn er seine Patienten entließ, diese besser mit ihrem ursprünglichen Leben zurecht kommen würden und nicht betteln müssten oder gar Diebstähle begehen. „Aber genug der Vorrede. Ihr wünscht sicher ein Zimmer zu sehen. Vielleicht wenn wir mit dem ehemaligen Kapitän D´Oro sprechen? Ich werde ihn fragen, ob er Euch empfangen möchte. - Ja, ich frage immer. Die Männer hier sind meine Patienten, aber doch waren sie selbständige, oft einflussreiche Personen und sie sollen nie das Gefühl bekommen, es nicht mehr zu sein, nur, weil sie verletzt wurden.“ „Ihr seid sehr aufmerksam,“ erwiderte die junge Dame höflich und auch überrascht: „Wobei, Ihr sagt stets: Männer....?“ „Frauen haben keine Kampfverletzungen und doch deutlich weniger Unfälle, ma donna. Und ein gemeinsames Haus würde den Stolz beider verletzen. Ich würde mir mehr Platz wünschen, um zwei getrennte Häuser zu betreuen, aber das ist eben nicht drin...Vielleicht, wenn sich meine Theorie als erfolgreich erwiesen hat.“ Nun, ungewöhnlich war sie auf jeden Fall: „Ja, dann fragt den Kapitän....“ Michel drehte sich um, als er eine Kutsche kommen hörte. Es war eine für Überlandfahrten, das erkannte er aus jahrelanger Gewohnheit – und aus eben dieser zog er sich dezent hinter ein Mauereck zurück. Der Kutscher sprang vom Bock und rief einen Namen. Er kannte sich aus. Offenbar ein Stallbursche eilte bereits heran und stellte den Pferden Eimer mit Heu hin, und nahm ihre Gebisse heraus, warf ihnen Decken über. Anscheinend sollte die Reise bald weitergehen, während der Kutscher in einer Tür verschwand, die in das Erdgeschoss des Hauses führte. Der kannte sich eindeutig aus. Michel war neugierig und erhaschte gerade noch einen Blick auf einen schmalen Gang, ehe er das Klappern von Küchengeräten hörte. Wollte der nur etwas essen? Nun, man durfte nicht ungeduldig werden bei dieser Art von Arbeit. Sarifa schien den guten Arzt ja zu beschäftigen. Sie wusste vermutlich, dass er Zeit benötigte um wenigstens einige Erkundigungen einziehen zu können. Assassine eben. Und obwohl er zunächst gedacht hatte, sie sei ein harmloses Landei, war er inzwischen in vielerlei Hinsicht eines Besseren belehrt worden – und, das gab er gern zu, er hätte auf sie nicht mehr verzichten mögen. Es hatte in manchen Lebenslagen durchaus etwas für sich einen zahmen Privathenker bei sich zu haben. Zutrauliche Bulldogge, klang das doch etwas höflicher. Moment. Er sah, wie der Kutscher wieder aus der Tür kam, ein Paket unter dem Arm. Ungewöhnlich, um das mal klar zu definieren. Manchmal brachten Kutschen der kaiserlichen Dienste auch Pakete mit – sie lieferten sie aus, aber erhielten sie immer an Poststationen, schon, damit gesichert war, dass keine Kutsche überladen wurde. Was also hatte der Mann hier abgeholt? Dafür, dass er hier beheimatet war und sich nur Nahrung abgeholt hatte, war das Paket zu flach und klein. Es konnte nichts Gesetzliches sein.... Irgendwie sollte er sich mal diesen Küchentrakt ansehen. Aber dort arbeiteten sicher Leute und ihm fehlte ein wenig ein Vorwand da hineinzugehen. Er schüttelte den Glimmstängel aus und ging offen hinüber zu dem Haus, lehnte sich gegen die Wand und ordnete ein wenig seine Beinlinge, strich den Schnee ab. Das war kaum verdächtig, während er versuchte, durch die kleinen, durch Ziegelgitter verschlossenen, Fenster zu sehen. Das war bestimmt eine Vorsichtsmaßnahme gegen Mäuse und Ratten, half aber auch gegen Menschen. Das war ein Vorratsraum, ohne Zweifel. Er kannte den Geruch der hängenden Schinken, entdeckte die Gläser voll mit der eingekochten Herbsternte. Eindeutig wurden die Patienten hier gut versorgt. Einige Schritte weiter befand sich die eigentliche Küche, in der zwei Frauen vor einem großen Feuer standen. Darüber hing ein Kessel an einem Haken und sie warfen zerschnittenes Gemüse hinein. Es gab heute wohl Eintopf. Nett, aber nicht verdächtig. Was hatte der Fuhrmann hier abgeholt? Die Kutsche war inzwischen wieder verschwunden und so riskierte es Michel, um das Haus zu gehen, auf die andere Seite zu blicken. Hier lagerten draußen gefällte und zerkleinerte Holzstämme und er quetschte sich zwischen diese und die Hauswand, um einen Blick in den nächsten Raum zu erhaschen – keine Küche, kein Vorratsraum, eher ein einfaches Arbeitszimmer Dort saß ein dunkelhaariger Mann von vielleicht Mitte Dreißig an einem Schreibtisch, ein zweiter, ungefähr gleichen Alters, der davor stand, schob soeben etwas in seinen Wams, was Michel als Bankanweisungen deutete. Beide trugen einfache, bürgerliche Kleidung, wenngleich der Witterung angepasst, dick und wollen. „Soll ich noch etwas aus Neudorf mitbringen?“ fragte der. „Nein. Zahle das Geld nur ein, dann komme wieder her. Oder, nein, frag don Capet, ob du ihm noch etwas mitbringen soll. Wir wollen doch nett sein.“ Der Sitzende grinste ein wenig: „Und sei morgen früh bereit. Ich habe Geraud bereits gesagt, dass er morgen Spaß bekommt. Endlich kam die Nachricht aus Paradisa.“ „Immer er....“ „Er ist fähig, mein Bester, aber genau deswegen braucht er auch Beschäftigung. Und der alte Mann hat einen netten Unfall in den Bergen. Noch scheint ihn ja nicht einmal die Polizei hier zu suchen.“ „Gut, Matty. Ich bin in, na, vier Stunden wieder da.“ Michel erstarrte und presste sich noch enger hinter das Holz. Diese Beiden mussten seine Zielpersonen sein. Und wer war Geraud? Das Monster, das der arme Gastwirt beschrieben hatte, das ihn gejagt hatte? Es wurde Zeit, dass er Raoul fand. Eines war jedenfalls klar – der Kutscher hatte etwas geholt und dafür die Bankanweisungen gebracht. Falsche Papiere? Drogen? In jedem Fall wäre das Sache der Polizei. Sie sollten sich nur um Raoul kümmern. Er versuchte möglichst leise zum nächsten Fenster zu gelangen. Auch hier verhinderten Ziegelgitter, dass Ungeziefer hereinkam. Alles war dunkel. „Raoul?“ Die rechte Hand des Geheimdienstleiters sollte klug genug sein, nicht zu laut zu antworten. Prompt hörte er: „Michel....?“ „Wir holen Euch raus, habt nur ein wenig Geduld..“ Er lebte, das war schon einmal die Hauptsache. „Danke.“ Das klang beruhigt. Nach Stunden, Tagen, in der Klemme, in denen er seine einzige Hoffnung darauf setzen konnte den harmlosen Kammerdiener zu spielen und dass Graf Uther wie gewohnt schnell mitdenken würde, war er auch wirklich erleichtert. Sie hatten ihn gefunden, und für jemanden wie don Michel würde der Rest kein Problem darstellen. Überdies gab er nur sich selbst zu, neugierig zu sein. Er hatte weder Michel noch Sarifa je in Aktion gesehen. Der Agent spazierte offen und in Sicht zurück, noch immer den Glimmstängel in der Hand, allerdings scheinbar ungeduldig werdend. So trat er langsam wieder in das Haus, wo ihn und seine Partnerin don Capet empfangen hatte. Stimmen von oben ließen ihn innehalten. „Ich bedauere wirklich, dass er Euch so lange aufgehalten hat, ma donna....“ „Ach, das macht nichts,“ meinte Sarifa: „Ich habe schon einige Menschen gesehen, die so verletzt waren. Es tut ihnen gut, wenn sie ihre Geschichte erzählen können. Und Ihr gebt Euch sehr viel Mühe mit Euren Patienten.“ „Ja, danke. Es freut mich das zu hören. Ich muss zugeben, dass viele Menschen nicht einsehen, dass solche Verletzungen nicht nur äußerlich geheilt werden müssen sondern auch innerlich. - Würdet Ihr also in Erwägung ziehen Euren Vater hier herzuschicken?“ „Ja, natürlich kann ich das nicht allein entscheiden, ich müsste ihn fragen und auch Mutter und so....“ Sie entdeckte ihren Partner unten: „Und selbstverständlich meinen Gemahl. – Ich hoffe, Ihr seid noch nicht ungeduldig, mein Teurer?“ Sie hatte eindeutig ihr Benehmen von ihm abgeguckt, dachte Michel – da konnte er sie schlecht tadeln: „Ja, kommt nur. Schön, wenn es Euch gefällt.“ Sie kam, gefolgt von dem Arzt die Treppe hinunter, ein wenig das Kleid emporhebend: „Oh, es sind augenblicklich kaum zehn Patienten hier, da kann man sie schon sehr persönlich betreuen. Don Capet erzählte, dass einige Schwestern aus einem Nonnenkloster sich hier in der Pflege immer abwechseln. Von dort erhält er auch gegebenenfalls notwendige Medikamente.“ Das klang wirklich nicht so, als ob der gute Mann auch nur eine Ahnung davon hatte, dass sein kleines Versehrtenheim für irgendwelche dunklen Zwecke missbraucht wurde. Aber Michel fragte gleichwohl: „Nur Ihr und die Nonnen? Was für eine Menge Arbeit!“ „Oh, nein, natürlich habe ich noch einige Männer für Kutschen, Waldarbeiten und Frauen für die Küche und Putzen. Aber darum muss ich mich nicht selbst kümmern,“ meinte don Capet, als er am Fuß der Treppe war: „Darum kümmert sich Matty. Er ist meine rechte Hand.“ Matty? War das nicht der Kerl gewesen, der den Andere mit den Bankanweisungen in die Stadt geschickt hatte? Dann war der wohl in der Bösewichthierarchie die Nummer Eins. Nur, was taten die hier? Egal, das sollte die Polizei herausfinden. Raoul war wichtig. Und ihr Auftrag. „Dann komm, Teuerste. Auf dem Weg und in Neudorf kannst du mir dann mehr berichten.“ Sarifa zögerte keine Sekunde: „Natürlich, Liebling. Danke, don Capet. Ich muss gestehen, auch, wenn Vater vielleicht nicht her will – ich werde aller Welt von Eurem Heim berichten. Es sollte mehr davon geben.“ „Vielen Dank, ma donna van der Maat.“ Der Arzt schien wirklich beglückt über das Lob. Kaum in der Kutsche berichtete Michel eilig, ehe er von an das Sichtfenster klopfte: „He, Kutscher!“ Der drehte sich ein wenig unwillig um, der Weg empor war steil und er hätte lieber die Straße erreicht: „Ja, don?“ „Sobald wir oben auf der Straße sind, haltet doch bitte an.“ „Gut.“ Nie fragen, das hatte er gelernt, und das Trinkgeld dieses don de Maat war bereits so reichlich gewesen, dass er auf mehr hoffte – das konnte mindestens einen beschäftigungslosen Tag hereinholen. So wunderte er sich auch nur wenig, als seine Passagiere dort ausstiegen und ihn mit einem großzügig bemessenen Aufschlag bezahlten. „Einen kleinen Gefallen könnt Ihr mir noch tun,“ sagte Michel: „Wenn Ihr auf den Hauptplatz von Neudorf fahrt.“ „Ja, natürlich.,“ Da stand er sowieso. „Gebt diesen Brief doch bei der dortigen Polizeiwache ab. Die werden ihn schon weiterleiten.“ Er war an don Bleaufort adressiert, den Leiter der örtlichen Polizei – und der wusste, dass Agenten hier waren. Michel hoffte, dass jetzt nichts passieren würde, dass er nicht im Voraus bedacht hatte, aber das konnte immer vorfallen. „Ja.“ Der Kutscher nahm den versiegelten Brief und schob ihn ein: „Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Ich darf Euch allerdings darauf aufmerksam machen, dass es bald dunkel wird?“ „Ja, danke.“ Michel wartete, bis die Kutsche außer Sicht war, dann sagte er: „Ich werde dir meinen Plan erklären müssen, mein Engel. - Raoul sitzt in einem kleinen Raum im Küchentrakt, auf der Seite, wo eher Büroräume oder so etwas sind. Er scheint soweit in Ordnung zu sein. Aber mindestens drei der Bösewichte schwirren da herum, der Anführer, ein Unbekannter und ein gewisser Geraud, der wohl das Monster sein dürfte. Darum konnten wir ihn jetzt nicht einfach mitnehmen, ohne Aufsehen zu erregen. Ich meine, wir gehen jetzt zurück, sehen nach ihm und bleiben die Nacht bei ihm. Er soll morgen sterben, also sollten wir auf ihn aufpassen. Sobald die Sonne aufgeht, flüchten wir zu Fuß und durch den Schnee. Wir sind beide geübt, aber ich denke, auch Raoul wird das durchhalten. Wir müssen nur aus dem Tal raus und wieder oben auf die Hauptstraße – ohne diesen Weg hier zu benutzen.“ „Raoul wird sich hier auskennen.“ „Stimmt, darauf hoffe ich. Und ich hoffe, dass wir heute Nacht noch herausbekommen, was die...hm...Frevler hier so treiben. Wenn nicht, so sollte Bleaufort morgen früh mit der Reiterei kommen. Sozusagen.“ Sarifa legte ein wenig den Kopf schief: „Dein Bein?“ „Sollte kein Problem darstellen. - Und der Schnee mit dem Kleid?“ „Es wird kalt, aber ich habe Stiefelchen darunter an. Und ich habe meinen Umhang dabei.“ Der war warm und mit Fell umrandet, aber sie bezog sich auf ihren Assassinenumhang. „Und, wenn ich fragen darf, welche Waffe?“ Sie lächelte nur und er hob die Hand: „Schon gut. Aber keine Wurfdolche....“ „Nein. Und keine Rüstung.Wie du es wolltest.“ „Manchmal ist es schwer, hm?“ Er drehte sich um und ging zurück. Sie folgte ihm: „Ach, nein. Ich muss nur immer daran denken, dass es ja für die Tarnung ist und Frauen hier nun einmal unbewaffnet sind. Übrigens, Michel....so werden wir bald gesehen.“ „Ja, klar. Ich will jetzt auch bald in den Wald abbiegen und dann schleichen wir uns an.“ Das würde sie können, davon hatte er schon zu viele Aktionen ihrerseits so mitbekommen. Eine Katze im Nebel war da eher zu hören und zu sehen. Er würde da besser selbst aufpassen müssen. Statt einer Antwort zog die Assassine ihren grauen Umhang aus dem zweiten Unterrock und warf ihn sich über den bisherigen. Sie warteten im Wald bis das gemeinsame Abendessen der Patienten mit don Capet und Matty im Heim stattfand, serviert von den beiden Köchinnen, ehe sie sich zu dem Küchentrakt schlichen und zu der Kammer gelangten, in der Michel zuvor Raoul gefunden hatte. Er öffnete den Holzriegel, der offensichtlich neu angebracht worden war, und sah vorsichtig in den Raum. „Raoul...“ flüsterte er: „Leise!“ Ein Aufatmen in der Dunkelheit ließ ihn in die Kammer gleiten, vorsichtig nach Hindernissen tasten: „Komm rein, mein Engel.“ Sarifa gehorchte und schloss die Tür vorsichtig hinter sich. Dadurch war es zwar dunkler, aber bei einem raschen Blick den Flur entlang mochten die Bösewichte denken, alles sei in Ordnung. Michel, der dem Gedankengang ebenfalls folgte, tastete sich voran: „Wo seid Ihr?“ „Linke Wand ziemlich in der Mitte,“ antwortete Raoul. „Ich bin gefesselt.“ „Die ganze Zeit? Dann werdet Ihr kaum laufen können?“ „Die Hände und ich bin mit dem Hals an einen Haken oder so etwas gebunden. Ich weiß nicht, wie es mit dem Laufen geht.“ Etwas kleinlaut fügte er hinzu: „Laufen ist wichtig für Euren Plan?“ „Nun ja, die wollen Euch morgen umbringen. Ein Geraud... Ich mache Euch erst mal los.“ Raoul schauderte: „Oh...der.....“ „Er hatte Euch in Bearbeitung? Moment, ich habe Euch...ah ja, hier ist die Schnur. Ich brauche eine Klinge.“ Er griff nach hinten, nicht überrascht, dass er bereits Sarifas tastende Hand spürte – und Metall darin. „Er ist ein Monster...sicher mehr als zwei Meter groß und irrsinnig stark. Er...er hat mich verprügelt, aber ich blieb dabei, dass ich der Kammerdiener Graf Uthers sei....mehr nicht.“ „So, die Schnur ist schon los....“ „Vorsicht!“ zischte Sarifa und verschwand bereits in einer Ecke. Michel machte einen Sprung hinter die Tür. Erst dann begriff Raoul, dass sich draußen Schritte genähert hatten. Nur Sekunden später öffnete sich die Pforte und ein Mann sah hinein. Als er den Gefangenen entdeckte, schloss er die Tür wieder und schob den Riegel vor. Seine Schritte verschwanden auf dem Ziegelgang. „Aufmerksames Volk,“ stellte Michel ernüchtert fest und suchte nach Raoul: „Eure Hände....So. Kommt, steht auf. - Kannst du den Riegel aufmachen, mein Engel? Hier wäre dein Messer.“ „Natürlich. Danke.“ Die Assassine nahm ihre Klinge und suchte die Tür: „Mein Vater sagte, alle Gefängnisse sind gleich. Man kommt leicht rein und leicht wieder raus.“ Sie schob das Metall in den Türspalt und versuchte es in den Riegel zu drücken. Alle Gefängnisse wären gleich, ja, das hätten die beiden Männer hinter ihr unterschrieben – nur...der Rest? Raoul hoffte wirklich, dass sie ihn herausholen würden, ja, er hatte um Michel gebetet – aber jetzt war er nicht mehr so sicher, ob er diesen Einblick in ihre Arbeit wirklich bekommen hatte wollen. Michel zog den Gefangenen mit zur Tür: „Schaffst du es?“ flüsterte er. „Ja,“ gab Sarifa leise zurück: „Ich höre nur gründlich, ob da nicht noch jemand kommt. - Könnt Ihr rasch gehen, Raoul?“ „Ich werde es müssen,“ meinte der fünfzigjährige Vertraute des Kaiserbruders: „Aber ich war gut zwei Tage gefesselt. Bleibt Ihr nicht hier bis es dämmert?“ „Das hatte ich zuerst vor, aber die Burschen hier sind mir zu aufmerksam,“ gab Michel zurück: „Im Wald ist es zwar dunkel, aber vielleicht hilft der Schnee und eine Kerze, wenn wir eine finden. Immerhin schneit oder regnet es nicht.“ Er sah, dass seine Partnerin vorsichtig die Tür öffnete: „Du die Kerze,“ flüsterte er: „Ich Raoul. Wir treffen uns bei dem Holzstoß links neben der ehemaligen Scheune.“ Er hatte keine Zweifel, dass sie eine Kerze samt Feuer beschaffen konnte ohne dabei bemerkt zu werden – seine Meinung über ihre Ausbildung war deutlich gestiegen, seit er in ihrem Dorf gesehen hatte, wie hart und mühsam diese war. Allerdings wusste er seither auch, warum Assassinen über einen derart unheimlichen Ruf verfügten – und, wenn er konnte, wollte er nie wieder einen als Gegner haben. Als Partner gern. So legte er nur wieder den Riegel vor, während sie bereits weghuschte. Die beiden Männer sahen sich sorgfältig um, ehe sie hinüber zu der Scheune liefen, sich dort hinter das aufgebaute Holz schoben. „Wie geht es mit dem Laufen?“ erkundigte sich Michel, ohne den Blick von dem dunklen Hof zu lassen. „Es muss gehen“. Raoul war zu nüchtern dazu – und er wollte gern die nächsten Tage überleben. „Wohin wollt Ihr jetzt? Die Straße hoch?“ „Nein, zu einfach. Dort suchen sie als erstes. Und sie haben sicher einen Wagen und Pferde. Wir müssen durch den Wald. Euer Freund wollte doch Spazierwege finden. Gibt es hier einen alten Weg nach Neudorf?“ Sonst wurde es wirklich kritisch. „J-ein. Es ist der alte Weg zu dem Gehöft hier. Capet ließ die Straße bauen, als er es kaufte. Der Weg geht, wenn ich mich recht entsinne von hier praktisch geradeaus und dann einmal scharf nach links und sehr steil empor. Dort kommt man zu der Straße. Aber, don Michel, auf diesem Weg werden sie uns auch schnell einholen.....“ „Leise!“ Der Agent erhob sich etwas, erkannte dann, wer so lautlos herangekommen war und entspannte sich: „Hallo, mein Engel. - Gehen wir. Raoul sagte etwas von einem alten Fahrweg....Licht machen wir erst an, wenn wir etwas entfernter sind. Im Gänsemarsch. Ich gehe voran, du machst die Letzte.“ Nach einigen Minuten intensivem und bemüht leisen Suchens entdeckte Michel den verschneiten alten Weg in den Tannenwald hinein. Jeder Idiot würde bei Tagesanbruch ihre Spuren finden, also sollten sie dann schon möglichst weit weg sein – oder zumindest ein gutes Versteck gefunden haben, bis die kaiserliche Polizei wie angefordert hier war. Das Ganze würde nicht einfach werden, aber, so dachte er zynisch, er wurde noch nie für einfache Aufgaben eingesetzt. So gingen sie im Gänsemarsch in den Wald, zunächst mehr tastend, stolpernd als lautlos. Als Michel die Kerze anzuzünden wagte, wurde es etwas besser, denn er konnte wenigstens die größten Wurzeln und tiefhängensten Äste umgehen. Nach mehr als einer Stunde bat Raoul: „Don Michel, können wir eine Pause machen....Ich bin solche Abenteuer einfach nicht gewohnt.“ „Fünf Minuten.“ Er blieb stehen und sah sich um. Allerlei Geräusche waren im nächtlichen Wald zu hören, aber keine menschlichen Stimmen. Gut. So war der kleine Ausbruchsversuch noch nicht aufgefallen. „Wir sollten, so rasch es geht, weiter. Ich werde Euch stützen.“ „Ach nein, don Michel.“ Aber Raoul gab zu, dass er eindeutig schwerer bei Atem war als die beiden Agenten. Selbst der jungen Dame schien der Gang durch den Winterwald nur wenig auszumachen. „Das...das schickt sich nicht...“ „Das ist momentan ziemlich unwichtig, oder, Raoul? Und außerdem vermisst Euch Graf Uther. Jetzt kommt schon. Ich stütze Euch.“ Er gab die Kerze Sarifa, die sich wortlos an die Spitze setzte. ** Ob die Nachtwanderung im verschneiten Winterwald wirklich Michels beste Idee war? Kapitel 36: Schwierigkeiten --------------------------- Fast vier Stunden später waren alle drei, vor allem aber Raoul, zu müde und sie mussten eine längere Pause einlegen. Überdies war die Kerze niedergebrannt. Sie hatten sich ein Stück einigermaßen schneefreien Boden direkt an dem steilen Abhang gesucht, der das Tal rundherum begrenzte, allerdings wohlweislich noch immer am Fahrweg, der ihnen als einziger eine Orientierungshilfe bot. „Wo geht die Straße hinauf?“ erkundigte sich Michel nach einer Weile. Raoul starrte in die Dunkelheit, als könne er sie sehen: „Ich...ich weiß es nicht genau. Das ist aus Kindertagen. - Ich denke noch ein gutes Stück dort nach vorn.“ „Hm. Es ist Winter, die Sonne dürfte in ungefähr vier Stunden das erste Mal über den Horizont kommen. Und dann wird wohl auch jemand dort aufstehen. Erst dann können wir einigermaßen etwas sehen, bis es hell ist, ist es sicher noch eine Stunde länger.“ „Wir müssen in Bewegung bleiben,“ warnte Sarifa: „Wir kühlen jetzt schon sehr aus und sind dann gegebenenfalls nicht mehr kampffähig.“ „Wie recht du doch hast. Also, kommt, Raoul, keine Müdigkeit vorschützen. Wir müssen langsam, aber ständig in Bewegung bleiben und versuchen bei der ersten Dämmerung diesen Weg hoch zu finden. Eine Kletterpartie in der Nacht ist eindeutig zu riskant.“ Die Talwände zeigten noch immer die Bruchkanten, Raoul würde dort nie emporkommen – und sie boten sich beim Klettern wie auf einem Silbertablett an. Es blieb nur dieser Weg. Irgendwann konnte der Befreite nicht mehr. Erschöpft hielt er sich an Tannenzweigen fest. „Es tut mir Leid,“ keuchte er: „Ich bin wohl ein echter Ballast. Don Michel, donna Sarifa, lasst mich hier....“ „Unsinn,“ gab Michel zurück: „Ein Auftrag ist dazu da um ihn zu erfüllen. Ich werde Euch eben ein Stück tragen. Das dauert, aber wir müssen bald die Straße erreicht haben.“ Er tastete nach ihm, ehe er ihn mühsam auf seinen Rücken stemmte. Sarifa half ihm: „Hast du ihn? - Außerdem, Raoul, können wir nicht Graf Uther, auf die Frage wo Ihr seid, antworten, wir hätten Euch bei der ersten auftauchenden Schwierigkeit zurückgelassen, oder?“ Sie gingen sehr langsam weiter. Als die ersten Strahlen der Sonne durch das Geäst schimmerten, fuhr die Assassine herum: „Michel!“ zischte sie. Der sah sie etwas irritiert an, aber dann erinnerte auch er sich an das kurze Aufbellen eines Hundes. „Sie haben einen oder mehrere Hunde!“ Und er würde darauf wetten, dass sie sie auf ihre Spur gesetzt hatten. Ein schwerer Fehler seinerseits, nicht damit gerechnet zu haben, dass auf einem solchen Hof mindestens ein Wachhund existierte, auch, wenn er keinen gesehen oder gehört hatte: „Übernimm ihn. Es scheint nur einer zu sein. Ich gehe mit Raoul zu dem Aufweg. Der muss doch mal kommen. Da warten wir auf dich.“ Sie nickte nur und blieb stehen. Raoul meinte, wohlweislich leise, in das Ohr seines Trägers: „Aber, don Michel.....man lässt doch nicht eine Dame den Kampf bestehen...“ „Seht Ihr hier eine? - Sie war sieben, als sie einen Bären mit einem Messer erledigt hat, man sollte annehmen, sie wird mit zwanzig mit einem Bluthund fertig.“ Der Kammerherr vermochte dieses Vertrauen nicht so ganz zu teilen, aber er schwieg, spürte er doch nur zu deutlich, wie sehr sein Gewicht don Michel belastete. Sarifa wich etwas zurück und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Felsblock, um den als Deckung zu benutzen, während sie mit ihrer Rechten in ihren Ausschnitt griff. Unter der linken Brust, sicher gelagert in ihrem kleinen Mieder lag ein Dolch in einer sehr weichen Scheide – ebenfalls eine Spezialanfertigung für sie. Sie zog beides und verwahrte anschließend die leere Scheide wieder in ihrem Versteck. Michel hatte sie nicht einmal gefragt, wie sie an ihr Messer kam, er hatte nur gesagt, dass sie keine Wurfdolche dabei haben dürfe – zur Vorsicht, um ihre Tarnung nicht brechen zu lassen. Sie hatte es akzeptiert, ebenso wie er hinnahm, dass sie nie unbewaffnet wäre. Ja, seit dem Emsby-Abenteuer hatte sie den Verdacht, er sei darum sogar froh. Schließlich konnte er seinen Degen oftmals nicht mitnehmen. So wartete sie auf den heranhechelnden Hund. Sie konnte ihn hören, hatte sich jedoch abseits ihrer Spur gestellt, damit er sie nicht sofort für die Beute hielt. Sie versuchte tief durchzuatmen und sich zu entspannen. Opa hatte erzählt, früher wären die Meister ihres Volkes in der Lage gewesen, unbemerkt durch eine Menschenmenge zu gehen, und noch heute wurde diese Kunst gelehrt, wenn auch kaum mehr zu dieser Perfektion gebracht. Sie hatte es gelernt, aber momentan wäre sie schon sehr froh gewesen, wenn sie solange für die Augen des Hundes unsichtbar bleiben könnte, bis seine Nase ihm deutlich anzeigte, dass sie hier wäre. Warum brauchte der solange? Verwirrte ihn die Tatsache, dass er drei Menschen folgte und er nicht wusste, wer sein eigentliches Ziel war? Sie sah in der Morgendämmerung zwischen den Bäumen eine Bewegung in Hüfthöhe, dann eine zweite – und erstarrte. Ein Denkfehler. Sie hatte mit einem Jagdhund gerechnet, den man allein auf Raouls Spur gesetzt hatte – aber der lief an der Leine. Ein Mann war dabei. Und der Dolch in ihrer Hand, so praktisch er war – sie konnte damit nicht, wie mit den gewohnten Wurfmessern auf eine Distanz von zwanzig Schritte gehen. Dazu war er nicht ausbalanciert genug. Sie musste sie näher herankommen lassen und damit stieg das Risiko. Sie musterte den Mann: die Linke um die Hundeleine, die Rechte an der Hüfte, wo er in einer Scheide ein langes Messer trug. Zwei Gegner, ein Messer und ein Gebiss – wie sollte sie nun vorgehen? Im nächsten Moment begriff sie, dass sie sich angespannt hatte. Und Hund und Mann sie entdeckt hatten. Unverzüglich reagierte der Letztere und gab die Leine frei, noch ehe er erkannte, dass dort ein weibliches Wesen war. Der Hund schoss sofort los. Sarifa richtete sich auf und suchte eilig festen Stand, sicher, dass der fast schwarze Jagdhund auf ihre Kehle zielen würde. Sie musste ihn töten, dann den Mann, ehe dieser schreien und Alarm schlagen konnte – fast unmöglich. Vor allem, da dieser nun auch auf sie zulief, sein Messer in der Hand, einen Hirschfänger. Das wurde eng, dachte sie noch, dann war der Hund zwei Meter vor ihr und sprang ab. Es war der antrainierte Ablauf, der ihre Bewegung wie einen Tanz aussehen ließ: sich auf dem linken Fuß aus der Angriffsrichtung drehend, mit der rechten Hand eine halbkreisförmige Bewegung machend, während der Hund neben ihr war, auf die falsche Stelle aufschlagend, heftiger je beabsichtigt. Noch ehe Sarifa ganz begriff, dass er neben ihr im Schnee lag, sie das Rot in der Weiße entdeckte, war der Mann bei ihr, stieß zu. Sie entkam der Klinge nur mit einer raschen Ausweichbewegung der Hüfte, dann hatte sie ihr Messer bereits herumgerissen und stach zu, in der üblichen Manier eines ausgebildeten Assassinen: von vorn ins Herz. Der Mann stürzte zu Boden, noch ehe sie ihre Klinge wieder zurückziehen konnte. So wurde sie um ein Haar mitgerissen, dann erst konnte sie sich abfangen, bücken um ihre Waffe zurückzunehmen. Und fast aufzuschreien. Fest und unglaublich schmerzhaft gruben sich die Zähne des Jagdhundes in ihren rechten Unterarm. Für einen Moment war sie unfähig zu reagieren, in jäher Panik und Schmerz, ehe die erlernte Nüchternheit Platz fand und sie realisierte, dass der Mann tot war, der Hund nun auch, dieser jedoch in seinem Todeskampf um sich geschnappt hatte, vielleicht auch seinen Herrn verteidigen wollte. Fast mühsam wechselte sie den Griff, nahm das Messer in die Linke, noch immer den Hund in ihrem Arm verbissen. Auch der war wohl tot, aber er hatte sich verkrampft. Sie musste mit ihrer Klinge die Zähne aufbrechen um sich zu befreien, teilweise ausbrechen. Das Hundeblut floss ebenfalls über ihren Ärmel. Keuchend richtete sich die Assassine auf und betrachtete kurz die Umgebung, ihren Würgereiz unterdrückend. Beide Verfolger waren befehlsgemäß beseitigt, aber die Bisswunde war tief und sah hässlich aus. Sie ging etwas beiseite in den frischen Schnee und rieb die Verletzung dort aus, das Hundeblut ab, so gut sie es vermochte. Wasser hatte sie keines hier zum Auswaschen – das mochte böse werden. Überdies sah sie sich außerstande, das blutige Messer zurück in ihren Ausschnitt zu stecken. Sie wischte es nur ebenfalls im Schnee ab. Und wer wusste schon, was Michel und Raoul inzwischen begegnete. So ging sie eilig den Beiden hinterher, bemüht, das Zittern in den Beinen ebenso zu unterdrücken wie den pochenden Schmerz in ihrem Unterarm. Die beiden Männer hatten unterdessen einen steilen Hohlweg erreicht, dessen Ende von unten nicht zu sehen war. Michel ließ Raoul von seinem Rücken. „Pause,“ keuchte er. „Danke.. Der Kammerdiener des Grafen Uther ließ sich in den Schnee fallen: „Wie...geht...es Euch?“ Der Agent lehnte sich erschöpft gegen einen Stamm: „Ich werde es überleben,“ murmelte er, ehe er ein wenig besorgt zurückblickte. Der Hund hatte sie nicht eingeholt – also hatte der wohl Sarifa getroffen. Aber wo blieb die? Er meinte während der letzten mühsamen Meter hinter sich etwas gehört zu haben – war es etwa ein Unentschieden gewesen? War seiner Partnerin etwas passiert? Ein unerwarteter Zwischenfall? Eine Bewegung im Wald ließ ihn sich anspannen, ehe er die Assassine erkannte. Allerdings bemerkte er auch, dass etwas nicht stimmte. Sie war langsam geworden, hielt ihr Messer noch in der Hand. Dann entdeckte er, dass ihr Kleid am rechten Ärmel zerfetzt und rot war. Als sie näherkam, sah er, dass sie verletzt sein musste. Auch das noch. Ihre Glückssträhne war für heute wohl zu Ende. Er machte einige Schritte um ihr zumindest symbolisch entgegen zu gehen. Sie nahm es ein wenig erfreut zur Kenntnis, berichtete aber nur geübt: „Ein Hund, ein Mann, beide tot.“ Ein Mann? „Seit wann bereitet dir ein Mann Schwierigkeiten?“ Es sollte sie aufmuntern, aber dann sah er die Wunde: „Mist!“ gab er ehrlich zu, Das sah böse aus. Und Bisswunden waren allgemein gefährlich, konnten nur zu leicht tödlich enden, auch, wenn sie kleiner und weniger tief waren, als das, was seine Partnerin abbekommen hatte. „Dann bleib du bei Raoul, ich gehe den Hohlweg hoch und sichere, ihr beide kommt langsamer nach.“ Sarifa nickte nur. Sie hätte sich gern hingelegt, noch viel lieber die Wunde gereinigt, aber es war notwendig aus dem Tal zu gelangen, also, wozu die eigene Empfindlichkeit zeigen. „Wie geht es Euch, Raoul?“ erkundigte sie sich bloß. Der Fünfzigjährige raffte sich zum Stehen auf. Er konnte doch kaum hier den Erschöpften geben, wenn sich die Dame so verletzt hatte. Ein vorsichtiger Blick hatte ihm gezeigt, dass der Biss im wahrsten Sinn des Wortes „zerfleischt“ verdiente. Sie winkte auch etwas blasser als zuvor. Hoffentlich wurde das keine Blutvergiftung oder wie auch immer man das nannte. Sie brauchte dringend ärztliche Hilfe. „Danke, donna Sarifa,“ sage er daher nur. Hatte er je gern sehen wollen, wie es wäre, wenn sie in einem Fall steckten? „Zählt bis zweihundert, dann kommt nach,“ befahl Michel nur, ehe er sich in den Hohlweg wagte. Da er nicht sehen konnte, wer oder was oben war, war es ein Risiko. Ihm war klar, dass, wenn dieser Matty auch nur ein bisschen denken konnte, er diesen Weg aus dem Tal kannte und sich ausrechnen konnte, dass sie hier versuchen würden emporzukommen. Aber sie hatten keine Wahl. Selbst wenn Bleaufort und seine Polizisten taten, um was er sie in dem Brief gebeten hatte, würde das ihre Jäger kaum stoppen – zumindest nicht schnell genug. Und er verstand aus eigener, leidvoller, Erfahrung einiges von Wunden – Sarifa steckte in Problemen. Schmerz und vor allem eine Infektion konnten sie bald außer Gefecht setzen, ja, lebensgefährlich werden. Er dachte an die Narbe, die er auf seiner Schulter trug – sie war nur deswegen so groß und noch heute unschön, weil sie ausgebrannt hatte werden müssen. Er konnte sich heute noch erinnern, dass er vor Schmerz aufgebrüllt hatte, mit Panik und Ekel den Geruch des eigenen, verbrannten Fleisches wahrgenommen hatte – aber es war die beste, ja, fast einzige, Möglichkeit, eine tödliche Entzündung zu verhindern. Die Alternative, die er kannte, wäre noch eine Amputation, aber das wäre bei seiner Schulter kaum möglich gewesen. Bei Sarifas Unterarm schon...aber er dachte ungern daran. Er ging von Seite zu Seite des Hohlwegs, bemüht, außer Sicht von oben zu bleiben, immer die innere Kurve zu nehmen, aber nichts geschah. Mit gewisser Erleichterung erreichte er oben den Ausgang. Auch hier standen Bäume, aber nach rechts verlief der Weg und er konnte nach nur dreißig Schritten erkennen, dass der sich dort wieder senkte, sicher zu der eigentlichen Straße, die ihr Ziel war. Gleich gegenüber senkte sich das Gelände ebenfalls, dort schien ein Abhang zu sein. Und links von ihm.... Michel erstarrte. Das musste Geraud sein, der Mann, den der verstorbene Gastwirt als Monster beschrieben hatte. Das mochte gut stimmen. Er selbst war ja nicht gerade klein, aber dennoch war der sicher eineinhalb Köpfe größer als er. Er trug einfache, braune, bäuerliche Kleidung, ein weißes Hemd blitzte unten aus seinem Wams hervor, eine Art Stiefel an den Füßen. Die langen, braunen Haare hatte er zu einem Zopf zurückgebunden. Und er stand einfach da – Michel wusste nur zu gut, warum. Gegen diese schiere körperliche Gewalt hatte er unbewaffnet kaum eine Chance. Aber da unten im Hohlweg waren Raoul, ihr Auftrag, und seine verletzte Partnerin. Er musste den Kampf annehmen. Etwas geduckt wich er beiseite. „Oh, du willst kämpfen?“ erkundigte sich Geraud und es klang fast interessiert: „Gut so, dann wird es interessanter. Also, komm nur, Kleiner....“ Der Kerl musste Vorstrafen haben. Er war einfach nicht intelligent genug seine Neigung zur Gewalt auszuleben, ohne sich Ärger einzuhandeln, dachte der Agent automatisch, ehe ihm bewusst wurde, dass diese Neigung sich momentan ausschließlich auf ihn konzentrierte. Na, das konnte ja noch was werden. Für einen Moment wünschte er sich Agrar als Gegner, der wäre wenigstens ein Profi – Amateure waren immer viel schlechter einzuschätzen. Aber letzten Endes war das gleich. Sarifa war verletzt, ihr rechter Arm kaum zu gebrauchen, so, wie das ausgesehen hatte, Raoul war kein Kämpfer und dazu erschöpft – es hing allein an ihm. Er musste gewinnen, diesen Geraud wenigstens solange bewusstlos bekommen, bis mit Sarifa auch ihre einzige Waffe hier war. Er sollte sich wirklich auch einmal Messer einstecken, dachte er etwas unpassend. Rechts von ihm lag nun der Hohlweg, den er emporgekommen war, und wo die anderen beiden kamen, links vielleicht sechs Meter entfernt, der andere Berghang. Hinter ihm war Wald mit großen Felsen dazwischen, vor ihm Geraud – nun, es hatte schon bessere Kampfplätze gegeben. Er atmete tief durch, um sich zur Ruhe zu bringen. Er musste siegen. Gut. Es wäre verrückt irgendeinen Faustschlag versuchen zu wollen, irgendeinen Hebel, um Geraud zu Boden zu bringen. Alles wäre Irrsinn, was ihn nahe an diesen bringen würde. Falls der ihn erst einmal gepackt hatte, konnte er seine schiere Körperkraft einsetzen, die seine eigene gewiss übertraf. Er wich langsam zur Seite. Geraud folgte ihm, ohne jedoch die Distanz zu verändern, sichtlich ein Spiel genießend. Langsam beschreiben sie einen Kreis, während Michel nachdachte. Da war dieser Abhang auf die andere Seite. Falls er ihn irgendwie dorthin hinabstoßen konnte....Nur, wie sollte er das bewerkstelligen, ohne zu nahe an ihn zu kommen? Hatte er zuvor an Agrar gedacht? Amir hatte ihm da eine letzte Chance gezeigt, überaus riskant und nur als allerletzte Möglichkeit. Allerdings hatte er auch dazu gesagt das funktioniere eigentlich nur, wenn man sehr schnell und präzise sei und das oft genug geübt hatte. Michel gab zu, schnell zu sein, aber am Rest würde es hapern. Dreimal üben galt sicher nicht. Allerdings stand zu hoffen, dass Geraud sich nicht ausgerechnet mit Assassinentricks auskennen würde und überrascht genug sein würde. Erneut bewegte sich der Agent im Kreis, scheinbar immer nervöser werdend. Geraud bemerkte, wie der wohlhabend gekleidete Mann vor ihm immer hektischer beiseite sah. Er rechnete damit, dass dem die Nerven versagen und er einfach fliehen wollte, wie alle anderen zuvor, und war bereit, als Michel plötzlich beschleunigte. Geraud benötigte einige Momente, ehe er verstand, dass sein Gegner nicht weg- sondern auf ihn zu rannte und absprang. Unwillkürlich riss er die Arme hoch, aber es war zu spät. Michels Füße trafen ihn mit solchem Schwung an der Brust, dass er nach hinten taumelte, an den Rand des Abhanges. Dort kämpfte er für einen Moment noch um sein Gleichgewicht, ehe er rückwärts fiel Michel prallte hart auf den steinigen Boden und spürte dabei einen Stich, der seinen linken Unterarm durchfuhr – mindestens geprellt oder gestaucht, von den schmerzhaften Prellungen am Rücken ganz zu schweigen. Er raffte sich dennoch auf. Was war mit Geraud? Er blieb keuchend stehend, als er erkannte, dass dort nicht der Abhang lag, den er vermutet hatte, sondern der steile Abbruch einer ehemaligen Steinbruchkante. Geraud lag fast dreißig Meter unter ihm, regungslos, den Kopf seltsam verrenkt. Er starrte hinab, noch immer nach Luft ringend. „Hübsch,“ sagte Sarifa, die neben ihn getreten war, wenn auch etwas außer Atem. „Das muss man dir lassen.“ „Don Michel...“ Raoul kam heran, keuchend, schweißüberströmt, aber bemüht, seine Retter nicht zu enttäuschen und bis an die letzten Grenzen seiner Leistungsfähigkeit durchzuhalten. „Machen wir eine kleine Pause,“ meinte Michel, auch nicht viel besser bei Luft: „Ich glaube, das haben wir uns verdient – und können es uns leisten. Matty hat kaum einen zweiten Mann hergeschickt. Einmal...vertraut er sicher auf Geraud, zum zweiten...hat er kaum so viele Männer....“ Erst als alle Drei besser bei Atem waren, erkundigte sich Sarifa: „Wie hast du ihn eigentlich dort hinunter gebracht?“ „Gestoßen. - Dein ältester Bruder erzählte mir in der Nacht vor dem Ehrenduell von einem Sprung gegen den Gegner. Ich habe es versucht und Geraud gegen die Brust getroffen. Allerdings bin ich ziemlich hart aufgekommen. Aber das war notwendig, sonst hätte er unter Umständen doch erraten können, was ich vorhabe.“ Allerdings rieb er sich den linken Arm. Instinktiv hatte er sich damit abstützen wollen - immerhin schien nichts gebrochen zu sein. „Gehen wir weiter. Wenn wir die Straße erreichen können sie uns nicht mehr einfach verschwinden lassen, dazu ist da doch zu viel Verkehr und ich hoffe überdies auf don Bleaufort.“ Er erhob sich und bot galant zuerst seiner Partnerin und dann Raoul die Hand, um ihnen beim Aufstehen zu helfen: „Wie geht es der Bisswunde?“ erkundigte er sich. „Ich kann gehen,“ erwiderte sie sachlich, was ihn allerdings nur noch mehr besorgt machte. Sie hatte nicht gesagt, dass sie noch kampffähig wäre. Mühsam und langsam folgten sie der ehemaligen, verwachsenen Straße in weiten Serpentinen durch den Wald oberhalb des Steinbruchs. An der letzten Kehre blieben sie stehen, als sie dort drei Kutschen entdeckten, drei Personen, die sich unterhielten. „Polizei!“ sagte Michel, als er das Wappen am Schlag erkannte: „Da hat jemand gut mitgedacht!“ Gottseidank, denn er stützte Raoul bereits wieder seit langen Minuten,. Sie gingen weiter, mit neuer Kraft. Ein Mann blickte empor und entdeckte sie, ehe er die anderen beiden neben sich nur mit einer Handbewegung empor schickte. Sie kamen zu den Dreien: „Kammerherr Raoul?“ fragten sie nur. „Ich....“ gab dieser zu. Michel atmete auf, als ihm die Beiden den erschöpften Mann abnahmen und ging deutlich leichter mit seiner Partnerin hinunter: „Guten Tag, don Bleaufort,“ sagte er höflich. „Ich bin erfreut, dass Ihr hier seid.“ „Dies ist der einzige Weg aus dem Tal, mit Ausnahme des Hauptweges und einiger extrem steiler Pfade. Nachdem ich Euren Brief erhielt, vermutete ich, dass ich Euch hier mit dem Kammerherrn finden würde. Mir wurde gesagt, Ihr seid überaus fähig.“ „Danke, don Bleaufort.“ „Ebenso wurde mir gesagt, dass ich Eure Namen nicht zu wissen brauche. Dann können wir zu dem Versehrtenheim – oh Ihr seid verletzt, ma donna?“ „Mich griff ein Hund an,“ meinte Sarifa abwehrend. Michel schaltete sich lieber ein: „Sie sollte folglich nach Neudorf. Ich erstatte Euch rasch Bericht.“ Dies tat er: „Ich habe also keinen Beweis, was sie dort machen, aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie Raoul festsetzten, den Gastwirt wohl durch den Wald hetzten, wie uns auch, deutete darauf hin, dass zumindest Matty und seine Männer dort etwas treiben, das das Licht scheut.“ „Ja. Und mit der Entführung des Kammerherrn und seinem Überleben haben wir auch seine Aussage – und eine Möglichkeit, das Heim zu durchsuchen. Bislang gab es ja nichts. Nun, was auch immer dieser Matty angestellt hat, vielleicht ist ihm der Tod zweier seiner Mitarbeiter eine gewisse Lehre, gleich, welches Urteil er zu erwarten hat. Falls sich herausstellt, dass er den Tod Lupegars veranlasst hat, wird auf ihn der Henker warten, je nach dem, was sonst noch alles passiert ist. - Anders! - Anders wird Euch nach Neudorf zurückbringen. Der Kammerherr bleibt einstweilen bei mir, ich benötige noch seine Aussage, danach kann er in sein Gastzimmer zurück.“ Er nickte nur noch und wandte sich seinen beiden Männern zu, die mit Raoul erst jetzt ankamen: „Kammerherr....?“ „Ja, ich bin Raoul d`Eltring.“ Sarifa blickte zu Michel. Sie wäre ja gern dabei gewesen, wenn die Polizei Matty verhaftete – in den zwei Kutschen entdeckte sie nun andere Männer. Alles in allem waren es acht, die sollten wohl mit ihm fertig werden. Aber ihr war klar, dass sie wirklich zu einem Arzt musste. Leider hatte sie Mutters Salbe nicht hier, die wirkte bei jeder Art von Wunde. Vielleicht sollte sie sie mal bitten, ihr davon etwas zu schicken – wobei fraglich war, ob der Wirkstoff darin auch solange halten würde. Der nickte auch nur: „Danke, don Beaufort...don d´Eltring...Komm, mein Engel, die Kutsche wartet.“ Während der Fahrt zurück bemerkte die Assassine, dass er wieder seinen linken Arm rieb: „Du hast dich auch verletzt?“ „Nicht der Rede wert. Es ist nichts gebrochen und es ist der linke Arm. Ich bin nur im Fall unglücklich aufgekommen. Das heilt schon. Aber dein Biss muss ausgewaschen werden. Mindestens.“ Er wollte ihr nicht unbedingt Ausbrennen ankündigen. Mehr um abzulenken, fragte er denn auch: „Das ist bei Euch sowieso nicht Sitte, oder? Ich meine, der Stich in meinem Bein, deine Mutter wusch ihn aus, aber dann kam nur die Paste drüber und fertig. Es ist auch ohne Entzündung verheilt.“ „Ja, das ist ein altes Rezept, was meine Vorfahren von jenseits des Südmeeres mitbrachten. Angeblich wächst es dort an Bäumen. Es wird abgekratzt und getrocknet....Es wird immer jenseits des Südmeeres eingekauft, woanders scheint es das nicht zu geben.“ Sie rieb sich die Stirn. Setzte Wundfieber ein? Michel wurde nur noch besorgter. Sicher, sie war jung, gesund und alles, aber das mochte böse enden. Sie war auch sehr blass und schien nicht nur von der Anstrengung schweißgebadet zu sein: „Wo hast du eigentlich dein Messer hin?“ „Hm?“ Oh je. Sie wusste nicht mehr, wo es war? Etwas erleichtert hörte er dann doch ihre Antwort: „Im linken Ärmel. Ich...ich wollte es nicht mehr in den Ausschnitt tun. Das war mir doch zu...zu...“ „Ich verstehe.“ Nanu, eine Empfindlichkeit bei der Assassine? Mal was Neues – und bewies wohl auch nur, dass es ihr nicht gut ging. Er beugte sich nach vorn und klopfte an das kleine Fenster vorn. Der Kutscher sah herein: „Ja?“ „Bringt uns doch zu einem der besten Wundärzte in Neudorf. Die donna ist verletzt.“ „Natürlich.“ ** Das nächste Kapitel bietet denn auch: Medizinische Versorgung. Kapitel 37: Medizinische Versorgung ----------------------------------- In Neudorf halfen die Garderobe der beiden Agenten ebenso wie Michels gewohnt großzügiges Trinkgeld, dass sich ein studierter Arzt um Sarifa kümmerte, also jemand, der eine fast zehnjährige Ausbildung an einer Universität durchlaufen hatte, im Unterschied zu einem Chirurgus oder auch einem Bader, die beide eher überliefertes Handwerk betrieben. Michel hoffte auf diese Art seiner Partnerin größere Probleme zu ersparen. Hier, in einem Ort, an dem viele Kranke ihr Heil suchten, gab es alle drei Arten, verständlicherweise keine Handvoll studierte Ärzte. Die ärmeren Patienten mussten sich eben mit weniger bescheiden und wenn er es so recht bedachte, hatte er großes Glück gehabt, dass seine Schlachtverletzung von einem Hofarzt ausgebrannt worden war und nicht von einem Bader..... Don Theoderich erwies sich als relativ junger Mann von Mitte bis Ende Dreißig, mit ungewöhnlich kurz geschnittenem dunklen Haar, der erst nach einem Blick zu dem vermeintlichen Ehemann und dessen Kopfnicken es wagte, die junge Dame näher zu betrachten. Sein Sprechzimmer sah sauberer und neuer aus, als man es in aller Regel erwarten konnte, doch schwebte der gleiche Geruch nach Salben und Kräutern darin, wie bei einem Apotheker, von dem er sicher seine Waren bezog. In einer Wandnische unter dem Fenster befand sich auch ein entsprechender Tisch. „Ein Hundebiss,“ erklärte Sarifa nüchtern und hielt ihm ihren Arm entgegen: „Ihr könnt es sicher desinfizieren.“ Michel seufzte in Gedanken. Er wusste, wie solche Verletzungen in aller Regel sauber gemacht wurden – es wurde Salz hinein gerieben. Das mochte vielleicht dazu helfen, dass sich die Wunde nicht entzündete, schmerzte jedoch höllisch. So waren gewöhnlich seine Kampfverletzungen behandelt worden. Kannte die Assassine nur die relativ schmerzlose, wenn auch wirksame Salbe ihrer Mutter? „Das sieht nicht sehr gut aus,“ murmelte Don Theoderich: „Wenngleich die Wunde sauber ist. Ihr habt sie wohl gleich ausgewaschen?“ Wieder sprach er mit Michel. Dieser nickte: „Und, ehe Ihr fragt: der Hund ist tot, allerdings durch Stahl, und zeigte wohl auch keinerlei Anzeichen von Tollwut.“ Sarifa hätte gern etwas dazu gesagt, dass so über ihren Kopf hinweg gesprochen wurde, aber sie wusste selbst, dass sie Fieber bekommen hatte und es schmerzte, als der Arzt vorsichtig die Verschnürung des Ärmels entfernte und aus der Wunde zog, dann die Stoffreste, die sich dort verklebt hatten: „Gebt schon Salz darauf....“ meinte sie: „Ich bin nicht sehr wehleidig.“ „Oh, daran würde ich auch nie zweifeln, ma donna,“ erwiderte Don Theoderich freundlich, ehe er sich zu seinem Arbeitstisch im Hintergrund wandte, wo allerlei Krüge, Döschen, Schalen und anderes herumlagen und -standen. „Ich habe durchaus die Erfahrung gemacht, dass Damen dies weniger sind...Natürlich, ohne Euch, edler don, Feigheit unterstellen zu wollen.“ Er drehte den Kopf und lächelte: „Wenn der don und die donna gestatten, würde ich gern anders als die übliche Salzmethode vorgehen.“ Dabei wurde auf eine Speckschwarte Salz gerieben und das dann auf die offene Verletzung gebracht. „Ich habe im Süden an einer berühmten Universität, Brumata, studiert, ehe mich mein Wissensdurst herbrachte. Dort habe ich eine andere Desinfektionsmethode kennengelernt, sicher ebenso wirkungsvoll, aber dennoch weniger Narben hinterlassend. Gerade bei einer so hübschen jungen donna....Nun, Ihr versteht?“ Michel sagte: „Deine Meinung, mein Engel.“ Sarifa nickte: „Tut, was Ihr für besser haltet, Ihr seid der Arzt. - Schmerzt es mehr?“ Don Theoderich schütte etwas Flüssigkeit aus einer undurchsichtigen Flasche in eine andere und hob diese prüfend gegen das Licht, ehe er zu einer Karaffe griff: „Ich schätze, gleich, aber das ist natürlich immer sehr unterschiedlich, je nach Patient.“ „Dann gebt mir etwas, worauf ich beißen kann,“ befahl sie nur. Michel sah, dass der Arzt zu einem Holzstück greifen wollte, das sicher schon viele im Mund gehabt hatten, und winkte ab, ehe er in sein Wams fasste und seine lederne Brieftasche herauszog: „Hier. Es ist Leder und weich, du wirst dich kaum selbst verletzen können.“ „Danke.“ Sie nahm sie mit der Linken, während der Arzt ein Tischchen mit einer irdenen Schüssel darauf heranholte und beides neben sie stellte. „Legt Euren Unterarm darauf, ma donna,“ sagte er, ehe er weiße, sichtlich frische Tücher, aus einer Ablage nahm und mit der Karaffe herankam. „So ist es gut. Ich wasche jetzt den Biss mit einer Lösung aus Essig aus – Essigwasser, sozusagen. Danach werde ich diese Tücher darum binden. Es wird gut sein, wenn Ihr in den folgenden Tagen diese Prozedur wiederholt. Ich schreibe Euch noch auf, wie viel Essig und wie viel Wasser Eure Zofe nehmen soll. Dann wird es allerdings nicht mehr soviel schmerzen, denke ich. - Es geht gleich los.“ Sarifa schob sich statt einer Antwort die lederne Tasche zwischen die Zähne, noch ehe sie merkte, dass Michel ihre Linke nahm. Dann schloss sie die Augen, um nicht aus Versehen zurück zu zucken oder gar eine Abwehrbewegung zu machen. Es war notwendig, ihr Leben hing daran, und alles, was dazu nötig war, musste sie mitmachen. So bemühte sie sich nicht daran zu denken, nicht zu spüren, dass don Theoderich ihren verletzten Arm nahm. Allein das tat bereits weh, aber es würde noch viel schlimmer werden. Jemand drückte ihre Linke und sie wusste, dass dies Michel war, sie so gleichzeitig daran hindernd etwas Dummes zu tun und ihr auch Halt und ein wenig Trost gebend. Für einen Moment war es nur kühl, dann setzte der Schmerz der Desinfektion voll ein. Es brannte und sie biss fest in das Leder zwischen ihren Zähnen. Sie wollte doch nicht schreien, sich nicht vor ihrem Partner und dem fremden Arzt als so schwach erweisen. Michel hatte doch auch in scheinbarer Seelenruhe hingenommen, dass Mutter seine Stichwunde auswusch.... Es roch nach Essig, biss förmlich in der Nase, sie spürte, dass sie zuckte, fühlte sich an beiden Armen festgehalten, hörte den Arzt sagen: „Nur Mut, ma donna, es ist gleich vorbei....“ Sie wurde tatsächlich gleich darauf freigegeben und warf einen Blick auf ihren Arm, dessen Verletzung feuerrot leuchtete, ehe sie bemerkte, dass sich Michel möglichst unauffällig die Rechte schüttelte. Mit etwas schlechtem Gewissen fragte sie: „Geht es?“ „Natürlich.“ Er hätte nie erwartet, eine derartige Kraft bei einer Frau zu spüren. Sicher auch aus Schmerz, aber er nahm sich fest vor, sie nie wieder automatisch wegen ihres Geschlechtes für schwächer zu halten – die Sehnen in ihrer Hand hätten auch vom Degenfechten so ausgeprägt sein können. Für einen Moment hätte er fast geglaubt, sie bräche ihm die Finger. Sarifa holte ein wenig zu tief Luft: „Danke, don Theoderich,“ meinte sie allerdings nur. Der Arzt lächelte etwas: „Das sagen wenige nach der Prozedur. So. Hier. Diese Tücher sind aus Leinen, frisch ausgekocht. Ich werde Euch nun eines darum wickeln, Eure Zofe sollte die anderen dann in gewissem Abstand wechseln, sagen wir, wenn sie sehr trocken sind. Wenn es möglich ist, die Anderen dann auskochen, ehe Ihr sie wieder verwendet.“ „Wir werden nach Paradisa zurückkehren,“ meinte Michel: „Kennt Ihr dort jemanden, der Euer Studium teilt?“ „Nun, ja....Aber ich würde doch vorschlagen, dass Ihr die junge Dame nicht sofort mit auf eine Reise nehmt.“ Don Theoderich sah den Blick und ergänzte eilig: „In Paradisa lebt ein Arzt, der sich don Falis nennt. Er hat mit mir studiert, aber es mag sein, dass Ihr dennoch nicht zu ihm gehen wollt. Er stammt von jenseits des Südmeeres und gelangte mehr aus Zufall nach Brumata. Ich werde Euch seine Adresse aufschreiben.“ „Gern,“ erwiderte Sarifa mehr ehrlich als taktisch: „Auch meine Vorfahren stammen von jenseits des Meeres.“ Don Theoderich neigte den Kopf, während er den Verband verknotete: „So ist es sicher passend, ma donna. So. Aber bitte vergesst nicht den Verband regelmäßig zu wechseln und auch wieder in Essigwasser zu baden. Ich schreibe Euch die Lösung auf und auch Falis´ Adresse.“ Er tat es. Als er Michel den Zettel reichte, war er ein wenig überrascht, wie viel Geld der adelige Herr ihm übergab. In aller Regel wurden Ärzte weitaus schlechter bezahlt – selbst hier in Neudorf. Zurück in ihrem Wirtszimmer legte sich Sarifa auf das Bett, während Michel im Vorraum kurz auf und abging, ehe er herein sah: „Ich gehe dann eine Kutsche für uns Zwei suchen. Ich möchte in deinem Zustand ….ja, ich weiß, es geht dir ganz gut, aber sagen wir, unserem Zustand, nicht mit einer öffentlichen Kutsche fahren. Bleib brav hier. Ich werde der Wirtin sagen, dass sie später Essig hinauf bringen soll auf ärztliche Anweisung. - Oh, und bring niemanden um.“ Sarifa lächelte ein wenig: „Ich werde mir Mühe geben.“ Um den rechten Arm einen Wurfdolch zu schnallen wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Es brannte noch immer, aber sie vermutete, dass das nur gut so war und sie vor einer weiteren Infektion schützen würde. Sie würde allerdings den benutzten Dolch und die Scheide nochmals auswaschen, ehe sie sie wieder in das Mieder schob, und sich den linken Armreifdolch umschnallen. Wer wusste schon, was oder wer kam und es war sicher besser, nie unbewaffnet zu sein. Wenige Minuten später brachte die Wirtin einen Krug mit Essig und einen zweiten mit Wasser in den Vorraum, ehe sie höflich an das eigentliche Schlafzimmer klopfte: „Ich habe hier den Essig hergestellt, ma donna. Darf ich eintreten?“ „Ja.“ Sarifa überprüfte mit einem raschen Blick ob ihre Waffen außer Sicht waren, ehe sie mit einem Lächeln die Frau begrüßte. „Oh je, der edle don sagte mir Euch habe im Wald ein Hund angefallen. Also, so etwas. Ich hoffe, der Arzt konnte Euch helfen?“ Sie warf einen neugierigen Blick auf den weißen Verband. „Ja, das hoffe ich auch,“ erwiderte die Assassine bemüht höflich, da sie vermutete, die Wirtin habe weniger Angst um sie als um den guten Ruf ihres Erholungsortes: „Und was den Hund betrifft...nun, er ist ja tot.“ „Ah das ist gut, sehr gut. Wirklich, manchmal drehen solche Tiere vollkommen durch, obwohl sie in aller Regel ja nur die Bauernhöfe bewachen.“ „Nein, es war abseits des Weges und auch eines Hofes. Ich..ich bin nur ein wenig in den Wald gegangen, um...äh...“ „Oh, ich verstehe. Wie ungemein ärgerlich und natürlich schmerzhaft für Euch.“ Die Wirtin stellte die Krüge neben die Waschschüssel. „Benötigt Ihr noch etwas?“ Sarifa, die erkannte, dass Michel einmal wieder mit Trinkgeld nur so um sich geworfen hatte, schüttelte den Kopf: „Vielen Dank. Wenn mein Gemahl zurückkehrt, wird er entscheiden, ob und was wir essen. Ich möchte mich ein wenig niederlegen. Ich kann don Theoderich als Arzt nur weiterempfehlen.“ „Oh, das ist sehr nett von Euch. Danke, ma donna.“ Die Wirtin verschwand und die Assassine zog den Dolch unter der Decke hervor, wusch ihn in der Waschschüssel gründlich ab, ehe sie ihn an einem Tuch der Wirtschaft trocknete und in die Scheide schob, die nur Sekunden später wieder unter ihrer linken Brust ruhte. Dann schnürte sie deutlich mühsamer die Lederbänder um den linken Unterarm. Jede Bewegung der Finger der rechten Hand schmerzte, und sie hoffte nur, dass das in einigen Tagen besser werden würde. Michel kehrte mit der Nachricht zurück, dass er, wenn auch ein wenig teuer, eine Kutsche gefunden hatte, die sie beide nach Paradisa bringen würde. „Dem Fahrer gehört die Kutsche und auch, wenn er gewöhnlich nur in der Umgebung fährt, mehr für Ausflüge, bringt er uns in die Hauptstadt.“ „Dann bezahlst du ihm viel?“ Er zuckte die Schultern: „Das geht auf Spesen. Und ich wüsste dich, uns, lieber in Paradisa bei diesem Falis oder auch dem Hofarzt. Ich habe mich nur bereit erklärt, diesem Jan die leere Rückfahrt zu bezahlen. Das ist sein gutes Recht.“ „Wann fahren wir?“ Er musterte sie, erkannte dann mit mittlerweile geübtem Blick die leichte Ausbuchtung an ihrem linken Unterarm, wenngleich dieser ein wenig lockerer über dem Hemd geschnürt war: „Du könntest gleich? Dann komm. Jan meinte, wenn wir gleich fahren, könnten wir in einem Dorf übernachten, dann bereits in den Kernlanden in einer Kleinstadt. Und da ich mir nicht sicher bin, ob dein Fieber nicht noch steigt, würde ich vorschlagen, dass wir in Tavernen oder Gasthäusern übernachten.“ Er machte sich Sorgen um sie? Sarifa lächelte: „Es geht mir aber ganz gut.“ „Dann komm, fahren wir, ich bezahle nur noch.“ Die Kutsche erwies sich als nicht gerade luxuriös, Jan jedoch als geschickter und höflicher Fahrer. Er war, ohne es seinen Passagieren zu sagen, dankbar. Zwar war er eine Woche von seiner Familie getrennt, aber dafür bezahlte dieser don das, was er gewöhnlich über einen Sommermonat verdiente – und das mitten im Winter, wo die Saison deutlich schlechter als im Sommer war. So bemühte er sich auch auf den verschneiten Straßen Ostriens ebenso sicher zu fahren, wie auf der Seite der Kernlande, wo zumindest die großen Reisestraßen immer von den zuständigen Edelleuten, oder genauer, deren Bauern, in befahrbarem Zustand gehalten wurden. Als sie Ketcone, eine ummauerte Kleinstadt in den Kernlanden, erreichten, waren so schon drei Tage vorüber. Michel stieg aus der Kutsche und half Sarifa heraus. „Warte kurz,“ sagte er und rief dem Kutscher den gleichen Befehl zu, ehe er in das Gasthaus ging. Kurz darauf kehrte er mit dem Wirt zurück: „Begleitet meine Gemahlin und zeigt ihr das Zimmer...“ meinte er: „Jan, wenn du die Pferde versorgt hast – ich weiß noch nicht, ob wir morgen weiterfahren.“ Der Kutscher glitt von dem Bock: „Wie Ihr wünscht, edler don. Allerdings....“ „Keine Sorge, wie vereinbart komme ich für dein Essen und deine Übernachtung ebenso auf wie für das der Tiere. Auch, wenn es länger wird. Ich fürchte nur, meine Gemahlin hat Fieber.“ „Wie Ihr wünscht.“ Keine Ausgaben, dafür eine sichere Einnahme. Und im Gegensatz zu manchen gab ihm dieser Adelige tatsächlich jeden Abend das Geld – mehr konnte man nicht verlangen. Michel beeilte sich in die Gastwirtschaft zu gehen, um seine angebliche Ehefrau nicht mit dem Wirt allein zu lassen – auch, wenn er sicher war, dass ein törichter Mann bei einer Annäherung den Arm gebrochen bekommen würde - vielleicht auch gerade deswegen. Sarifa hatte sich bereits im Zimmer umgesehen: „Danke, Wirt,“ sagte sie eben und ihr Ausbilder stellte fest, dass sie viel dazugelernt hatte. So kam er herein: „Du benötigst dann Essig?“ „Ja.“ „Herr Wirt, schickt doch dann Eure Frau herauf, mit...“ Er musste es nachlesen, wie viel Essig und Wasser benötigt wurde. Der Wirt nickte: „Ah, eine Verletzung, oder? Sollte ich Euch den wandernden Bader schicken? Der macht das auch immer so und ist heute zufällig hier im Ort.“ Ein Bader, der diese neuartige Technik beherrschte? Aus gutem Grund stimmte Michel zu. Sarifa wartete, bis der Wirt das Zimmer verlassen hatte, ehe sie förmlich zischte: „Hör auf solche Umstände um mich zu machen. Ja, ich habe noch etwas Fieber, aber das vergeht....“ „Nicht nur wegen dir, mein aggressiver Engel.“ Er zog sich das Wams aus und schob den linken Ärmel empor. Dort, wo er sich bei dem notwendigen Sturz auf den Felsboden im Kampf gegen Geraud den Arm gestaucht hatte, zeigte sich dunkel lila eine geschwollene Stelle unter der Haut. „Entschuldige,“ meinte die Assassine unverzüglich, etwas zerknirscht. „Ich habe nicht aufgepasst, dass es so schlimm wurde. Schmerzt es arg?“ „Die Haut spannt, aber wenn hier schon ein Bader ist, sollte er dagegen etwas unternehmen können.“ Zum Beispiel das aufschneiden oder auch Blutegel ansetzen. Er sah sich im Zimmer um. Einfach, aber sauber und das war schon etwas. Fast eine halbe Stunde später kam der Wirt mit dem Bader zurück. Letzterer war ein Mann von über Fünfzig, fast schmal zu nennen. Er trug die gewöhnliche bäuerliche Tracht, allerdings über der dieser eine Art Schürze. Er hatte eine Tasche dabei und verneigte sich ein wenig ungeschickt, sichtlich nicht gewohnt, mit Adeligen umzugehen. Bader waren unehrlichen Standes und auch, wenn ihre Hilfe erwünscht war, riskierten sie bei solchen Begegnungen zumindest unbezahlt zu bleiben. Allerdings wäre auf eine solche Anforderung nicht zu erscheinen auch gefährlich. Unehrlichen Männern wurde gern Diebstahl oder ähnliches nachgesagt, und wenn die Aussage von einem Edelmann kam, wog sie schwer. „Danke, Wirt,“ sagte Michel daher. Dieser ging prompt und er fuhr fort: „Vor einigen Tagen wurde meine Gemahlin von einem Hund gebissen. Die Wunde wurde gereinigt, wir waren bei einem Arzt, aber sieh sie dir an.“ Sarifa streckte den Arm aus. Der Bader warf ihr einen Blick zu, ehe er meinte: „Setzt Euch lieber, ma donna und schiebt Euren Ärmel hoch.“ Sie gehorchte etwas verwundert, ehe ihr klar wurde, dass der Mann sie so wenig wie möglich berühren wollte: „Die Verletzung wurde mit Essigwasser ausgewaschen,“ erklärte sie: „Und wie es der Arzt sagte, habe ich das auch in den vergangenen zwei Tagen getan.“ Sie zog das Tuch ab. Der Bader trat näher: „Oh, sehr gut. Nur die Wundränder sind noch entzündet und es heilt von innen nach außen. Das war kein Stümper, ma donna. Ihr werdet eine Narbe behalten, aber sie dürfte nicht aufschwellen. Ich werde Euch noch einmal einen Essigumschlag machen und das solltet Ihr auch weiterhin. Es wird allerdings noch einige Tage dauern, bis sich die Wunde auch außen schließt.“ „Du kennst dich aus,“ konstatierte Michel: „Ein Bader mit ärztlichen Kenntnissen.“ Der Mann wurde verlegen: „Ich hole Essig und Wasser für die donna....“ Er verschwand. „Was war das denn?“ erkundigte sich Sarifa. „Bader gehören zu einem unehrlichen Stand,“ erklärte er: „Das Besuchen einer Schule oder gar einer Universität ist ihnen nicht erlaubt. Nun, bei einer Universität dürfte es schon am Geld scheitern. Schließlich ist Studieren teuer: Wohnung, Essen und nicht zuletzt der Professor wollen bezahlt werden. Dennoch: das hier ist kein gewöhnlicher Bader, der nur von einem Anderen lernte. Interessant. Aber zu viel wird er nicht plaudern, dazu hat er zu viel Angst. Hier im Kernland mag es gehen, aber in anderen Königreichen dürften Bader nicht so unter gewissem Schutz stehen.“ „Was meinst du?“ „Nun, sagen wir, in Pisan: er heilt dich, ich bezahle ihn oder auch nicht. Er hätte keine Möglichkeit sein Geld von einem Adeligen einzufordern, ja, müsste froh sein, wenn ich ihn nicht aus der Stadt jagen lasse. Hier müsste ich ihn doch anklagen, wenn ich ihn nicht bezahlen wollte und einen Grund angeben. Der wäre nicht schwer zu finden,“ gab er dann zu: „Er hätte dich zu sehr angesehen, zu intim angefasst....“ „Wieso sind Bader eigentlich unehrlich? Sie sind doch so etwas wie einfache Ärzte?“ „Diese Sache mit Unehrlichkeit hat nicht unbedingt etwas mit der Wirklichkeit zu tun. So ist es eben immer schon. - Er kommt.“ Während der Bader den Essigumschlag um Sarifas Arm wickelte, meinte Michel. „Du kannst dir dann auch meinen Arm ansehen. Du scheinst ein geschickter Mann zu sein.“ „Danke, edler don. Hat auch Euch der Hund gebissen?“ „Nein, das passierte bei einem Kampf.“ Narben und Kämpfe waren nichts Ungewöhnliches, denn auch, wenn seit zehn Jahren Frieden herrschte – zu viele Männer hatten zuvor an Schlachten teilgenommen, gerade alle Adeligen. Überdies gab es da auch Meuchelmörder, Räuber, Fehden und anderes, wo sich ein Mann verletzen konnte. Der Bader warf einen raschen Blick auf den linken Unterarm: „Ich sehe schon,“ meinte er: „Ihr habt den Hund wohl getötet....?“ „Er hatte keine Tollwut,“ erwiderte Michel die ungefragte Frage: „Da bin ich mir sicher.“ „Ja, das denke ich, sonst hätte die donna auch mehr Schwierigkeiten.“ Er wickelte ein frisches Tuch um das erste: „So, ma donna....Edler don....“ Michel schob seinen Ärmel weiter empor: „Schneiden oder Blutegel?“ erkundigte er sich nur. „Ich wäre für Blutegel,“ gab der Bader zu: „Es ist nur eine Schwellung, denke ich, eine Stauchung Eures Armes. Darf ich Euch berühren?“ „Nur zu.“ Der Agent zeigte durch nichts, dass ihn das Abtasten schmerzte – der Mann gab sich Mühe. Der Bader nickte leicht: „Ja, gebrochen ist nichts. Ihr seid wohl ein wenig unglücklich aufgekommen. Einen Moment....“ Er ging zu seiner Tasche und nahm ein verschlossenes Glas heraus, in dem sich Blutegel wanden. „Ich reibe Euren Arm zunächst etwas ab,“ erklärte er: „Dann setze ich sie an. Sie werden Euer Blut trinken und die Schwellung sollte zurückgehen.“ Sarifa beobachtete das lieber nicht. Messer, Klingen, Waffen, ja, auch die dazugehörigen Verletzungen – aber diese Tiere sahen einfach nur...eigentümlich aus, um keinen anderen Ausdruck zu verwenden. Sie hatte so etwas nie zuvor gesehen, dessen ungeachtet davon gehört. In ihrer wasserarmen Heimat gab es dergleichen nicht. Michel bemerkte amüsiert die zweite Empfindlichkeit seiner Partnerin innerhalb weniger Tage. Sehr schön, dachte er etwas beruhigt. Auch sie war doch eine normale Frau. Kapitel 38: In der Hauptstadt ----------------------------- Sarifa war froh, wieder in ihrer kleinen Wohnung angekommen zu sein. Um allerdings nichts von ihren Heilungsmöglichkeiten zu versäumen, hatte sie ihren unter ihr wohnenden Vermieter noch gebeten, nach einem don Falis zu suchen. Dieser Arzt war ihr schließlich von don Theoderich in Neudorf empfohlen worden. Als es morgens, nun, der Vormittag war fast vorüber, klopfte, öffnete sie. Ihr Vermieter stand davor: „Äh, ma donna...don Falis wäre da....“ „Und?“ fragte sie irritiert. „Ma donna...Ihr und ich wisst, was Ihr für wen tut.....Aber es wäre überaus unschicklich mit einem Arzt allein zu sein. Bitte, kommt hinunter, meine Frau ist auch da.“ Schon wieder eine ungeschriebene Regel, die sie nicht kannte. Zuhause machte das ihre Mutter, oder, wenn die nicht mehr weiter wusste, deren Cousin....Aber sie nickte nur und folgte ihm die Treppe hinunter in die Erdgeschosswohnung. Sie nahm an, dass die Ehefrau ihres Vermieters auch wusste, dass sie für Graf Uther arbeitete – wie der selbst es auch lange getan hatte. Das bot für sie den Vorteil ihre doch häufigen Abwesenheiten nicht erklären zu müssen. Ein Mann in bodenlangen dunklen Überwurf über seinen Beinlingen und dem gewöhnlichen Wams erhob sich höflich im Wohnzimmer, die Hausherrin versuchte einen etwas ungeschickten Knicks. „Bitte...don Falis.“ Der Arzt musterte nur kurz seine neue Patientin, dann den deutlich umwickelten Arm: „Ich darf es mir ansehen, ma donna?“ „Natürlich.“ Sie setzte sich: „Don Theoderich sagte, Ihr hättet mit ihm studiert.“ Sie streifte den Ärmel zurück und löste die Schmuckbänder um den Unterarm: „Es sieht deutlich besser aus.“ „In der Tat. Ihr habt Euch wohl in den letzten Tagen auch immer die Essigumschläge machen lassen?“ Selbst gemacht, aber wozu das erwähnen. „Ja. Es schmerzt, hilft jedoch.“ Er nahm vorsichtig den Umschlag ab: „Wenn alle Leute ihre ärztlichen Ratschläge befolgen würden, hätten wir deutlich weniger Arbeit. - Ah, ja. Das sieht sehr gut aus. Keine Entzündung. Eine Narbe werdet Ihr freilich behalten.“ „Ja, nehme ich an.“ „Vorsicht, es wird ein wenig schmerzen...“ Der Arzt tastete über die Wunde: „Ja, es sieht gut aus. Noch zwei, drei Tage mit Essigumschlägen, dann würde ich Euch zu anderem raten. Salzwasser. Wenn die Wunde bereits geschlossen ist, badet Euren Arm darin. Die Narbe wird dann flacher bleiben, unauffälliger. Wobei Bisse von Tieren stets ein Risiko sind. Ich vermute, der Hund ist tot?“ „Ja. Und er hatte keine Tollwut.“ Ein feines Lächeln: „Sonst wärt Ihr vermutlich inzwischen in erheblichen Schwierigkeiten, ma donna. So.“ Er sah zu der Frau des Vermieters: „Ich werde Euch noch die Menge an Salz angeben, die Ihr für die donna benötigt. - Und Ihr, ma donna, schont Euch ein wenig. Keinen Empfang bei Hofe...“ „Ich wollte nur hinaus in die kaiserlichen Ställe, nach meinem Pferd sehen.“ „Kein Reiten. Je mehr Ihr Euch noch schont, umso besser wird die Narbe später aussehen. Schickt doch einen Boten.“ Sarifa seufzte, meinte jedoch fast fügsam: „Ja, don Falis.“ Michel dagegen hatte sich nur umgezogen und ein wenig frisch gemacht, ehe er zum kaiserlichen Palast ging, wieder seine Rolle spielend. Hier mit einer Dame flirtend, dort mit einer Magd tändelnd, und niemand, der ihn so sah, hätte auch nur einen Moment daran gedacht, dass dieser aufgeputzte junge Geck mit dem wedelnden Taschentuch erst vor wenigen Tagen im Kampf Mann gegen Mann getötet hatte. Auf verschwiegenen Umwegen gelangte er schließlich zu Graf Uthers eigentlichem Arbeitszimmer, das mit seinem offiziellen durch eine unsichtbare Pforte neben dem Kamin verbunden war. Während Uther als Bücherwurm in sein eines Zimmer ging, wurde aus dem harmlosen Kaiserbruder der Leiter des Geheimdienstes, wenn er durch diese Pforte schritt. Er sah auf, sicher, wer kam: „Michel...“ „Raoul lebt, aber die Polizei wollte von ihm noch Aussagen.“ „Wie ich es von Euch erwartet habe. Nehmt doch Platz.“ Und da sein Blick hinter seinen Agenten glitt: „Sarifa..?“ „Sie ist verletzt worden.“ Der Graf richtete sich auf: „Nun, dann Euer Bericht.“ Er hörte schweigend zu: „Ja, es sind manchmal die scheinbar harmlosen Dinge, die plötzlich gefährlich werden. Nun, ich bin froh, dass Ihr beide hier seid. Und freue mich auf Raoul. - Übrigens: die Kaiserin war krank.“ Michel hob ob des Tonfalles die Brauen: „Krank oder Gift?“ „Das wissen wir nicht.“ Und das bezog auch den Kaiser ein: „Aber sie hatte Magenkrämpfe, Übelkeit, Symptome für eine Vergiftung. Das mag jedoch auch durch falsche Lagerung der Lebensmittel oder Ungeschicklichkeit entstehen. Dennoch ist es auffällig, dass es nur sie traf und kein Mitglied des Hofstaates. Ich fürchte wirklich, ich werde Euch demnächst Eurer Partnerin berauben müssen. Aber auch Euch hier lassen. Da spielt sich etwas ab, das mir nicht gefällt. Ganz und gar nicht.“ Michel nickte nachdenklich. Der Leiter des kaiserlichen Geheimdienstes wartete, sich nur zu bewusst, dass ein intelligenter Mann gerade die Möglichkeiten abschätzte. Der Agent zuckte dann ein wenig die Schultern: „Graf Lothar fand also keinen Beweis.“ „Nein, ich auch nicht, sonst hätte es schon Tote gegeben. Dagobert war überaus besorgt und erbost.“ „Denke ich mir. - Aber wenn Ihr beide keinen Beweis findet, heißt es eben noch lange nicht, dass nicht jemand nachhalf. Und, wenn es Anawiga traf – als Nächstes Euch oder Dagobert?“ „Das ist auch meine Befürchtung. Es könnte sich nur um eine Probe gehandelt haben.“ „Ich verstehe.“ „Haltet Euch beide zur Verfügung. Es mag sein, dass ich kurzfristig entscheide, je nachdem auch, ob Lothar oder meine Leute noch etwas herausfinden.“ „Natürlich.“ „Michel – ich bin froh, dass Euch beiden nichts Ernstes passiert ist.“ Der Agent lächelte ein wenig: „Danke.“ Weit im Süden las ein Mann in seinem Arbeitszimmer den eng beschriebenen Brief, den ihm eine Taube gebracht hatte. Ach, der gute Chilperich. Es war eine seiner besten Ideen gewesen, den aufgeweckten Jungen aus ärmlichsten Verhältnissen zu fördern und sogar an den Kaiserhof zu empfehlen. Er hatte dort rasch Karriere gemacht, war jetzt Kämmerer des ältesten Kaisersohnes und damit in der Lage allerlei mitzubekommen und zu bewirken. Dazu war der Junge ihm bedingungslos treu ergeben – eine Seltenheit in diesen Zeiten. Wie er schrieb, war es ihm also gelungen, das Gift in die Speisen der Kaiserin schleusen zu lassen. Keine Magd, die scheinbar neugierig gefragt wurde, was Anawiga äße, dachte an etwas Arges. Und sein Apotheker, ein überaus geschickter Mann, hatte ihm erzählt, dass nur, wenn diese beiden Gifte zusammen genommen würden, sie eine Wirkung erzielen würden. Das war eingetroffen, und entsprechend dürfte keine der Damen auch nur eine Magenverstimmung erhalten haben – was zum Rätsel für Polizei und Geheimdienst sicher beitrug. Dabei war das alles nur ein Ablenkungsmanöver. Lothar und vor allem Uther würden nun auf Giftanschläge achten – und seinen eigentlichen Plan vollkommen übersehen. Chilperich schrieb ihm, dass diesbezüglich alles vorbereitet sei. Ob Uther wusste, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hatte? Nun, auch einige andere Leute, aber das war eben notwendig, und wer Kaiser werden wollte, durfte nicht zimperlich sein. Er griff zu einer Glocke auf seinem Schreibtisch und befahl dem eintretenden Diener, den Leiter seiner Wachen zu holen. Es war vollkommen unnütz, dass Chilperich erfuhr, dass die Männer, die er für den Anschlag auf Uther ausgesucht hatte und durchaus mühsam überzeugt hatte, gleich nach dem Kaiserbruder das Zeitliche segnen würden. Keine möglichen Erpresser und keine Zeugen am Leben lassen, mit diesem Motto war er schon immer gut gefahren. Er sah auf, als der Angeforderte eintrat und sich verneigte: „Ich benötige zwei oder drei Meuchelmörder. Bedauerlicherweise sind manche Menschen nicht anders zu überzeugen. Und wir wollen uns doch behaupten.“ „Wann?“ „So rasch wie möglich. Ihr Auftrag sollte in einigen Wochen nahe bei Paradisa erledigt werden.“ Und womöglich gab es dann noch einen. Chilperich wusste eindeutig zu viel. Aber noch war der Junge nützlich. Er sollte ihm wohl den Gefallen tun und dessen Mutter in ein vornehmes Stift einkaufen, wo sie in Ruhe ihren Lebensabend verbringen konnte. Ja, doch. Diesen Gefallen war er ihm fast schuldig. Uther, der lesend an seinem Schreibtisch gesessen hatte, erhob sich, als er sah, wer eintrat. Froh ging er seinem alten Freund entgegen: „Raoul!“ „Ich danke Euch, dass Ihr don Michel und donna Sarifa geschickt habt. Es wurde eng. Wisst Ihr, wie es der donna geht?“ „Soweit ich weiß soll sie sich noch etwas schonen, aber das wird schon.“ „Es sah ziemlich grässlich aus,“ gab Raoul zu: „Solche Verletzungen habe ich seit dem Nordfeldzug vor mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen. Sie war auch sehr blass....Und don Michel hat mich getragen, stellt Euch das nur vor. Ich sagte ihm, dass es nicht passend sei, aber er meinte nur, dass er den Auftrag hätte.“ „Das war für dich ein echtes Abenteuer, hm? Setz dich doch und erzähle.“ Uther nahm bereits Platz. „Hast du ihn auch kämpfen gesehen?“ „Nein. Ich sah nur seinen Gegner im Steinbruch unten liegen. Ein sehr großer und starker Mann. Ich glaube, obwohl es für mich ein wenig erschreckend war – die Beiden sind wirklich schnell und tapfer. Ich meine, die donna kam zu uns, obwohl sie verletzt war, verlor sie kein Wort darüber und sagte nur: ein Mann, ein Hund, beide tot. Das war schon ein wenig befremdlich. Auch, dass don Michel, den ich doch als höflichen Mann kenne, dazu nichts sagte. Aber in einem solchen Einsatz ist er wohl anders.“ „Ja,“ gab Graf Uther zu: „Wohl ganz anders.“ Sarifa hörte mit gewisser Trauer, dass Sabri gestorben war, aber sie nahm es zur Kenntnis. Er war schon ein alter Wallach gewesen und für ihre Zukunft interessierte sie nun der Brief, den sie aus dem Palast erhalten hatte: die Berufung zur Hofdame der Kaiserin. Sie wusste nicht, dass eine solche Ernennung in aller Regel eine große Ehre war, nach der viele der Damen strebten. Nicht viel Arbeit, das übernahmen gewöhnlich die Mägde, aber eben im Gefolge der Kaiserin zu stehen....das sicherte einem doch gewisse Aufmerksamkeit. Für die Assassine hatte noch ein eigener Brief dabei gelegen, dass sie sich wegen der Kleidung an Raoul wenden sollte, woraus sie schloss, dass dieser wieder seine gewöhnliche Arbeit aufgenommen hatte. In wenigen Tagen sollte sie bei Anawiga beginnen und sie fragte sich, ob die Kaiserin wusste, dass sie keine normale Hofdame war sondern als Leibwächterin fungieren sollte. Nun, gleich, beschloss sie dann. Sie würde eben auf sie aufpassen. Sie ging zur Brieftaubenstation, sich dabei vorsichtig nach möglichen Beobachtern umsehend. Hatte Markward aufgegeben? Das wäre fast zu schön um wahr zu sein, denn der Kaisersohn hatte auf sie nicht den Eindruck gemacht, ein „Nein“ als Antwort zu akzeptieren. Oder wusste er schon, dank des ewigen Klatsches, dass sie Hofdame werden würde? Wollte er sie im Palast abpassen? Er musste sich doch um die Minen von Gruvenant kümmern, da würde er kaum viel Zeit in Paradisa verbringen. Sie bemerkte den Schatten, der über die Dächer neben ihr huschte, und sah empor, unwillkürlich angespannt, ehe sie ihn erkannte, und wortlos in eine kleine, schmale Gasse einbog, sich in einen Torbogen lehnte: „Mein Bruder.....“ „Hallo, kleine Schwester.“ Der junge Assassine landete vor ihr: „Hast du Zeit? - Und, ich dachte, du hast einen Partner?“ „Ja, zu beidem, Yamin.“ Michel war ein wenig erstaunt, als er nach Hause kam und buchstäblich zwischen Tür und Angel einen Zettel geschoben vorfand. Er nahm ihn und erkannte die weibliche Handschrift darauf. „Komm in die Taverne Zum Tor, nahe dem Nordtor Paradisas, heute Abend.“ Er kannte diese Ecke der Stadt – es war nicht gerade die teuerste. Was wollte Sarifa ihm da zeigen? Denn, dass der Brief von ihr stammte, daran konnte er nicht zweifeln. Hm. Er warf einen Blick zu den lang gewordenen Schatten, ehe er sich zu einer warmen, jedoch alltäglichen Kleidung entschloss. Warme, gestrickte, schwarze Beinlinge, ein weißes Hemd und ein schwarzes, gefüttertes Wams, darüber einen dunklen Umhang, die Haare zu einem Zopf zurück gebunden. So mochte sich auch ein Händler anziehen, kein reicher, aber das wäre in dieser Stadtgegend wohl auch sehr unpassend, ehe er sich auf den Weg machte, wohlweislich allerdings zunächst keine Sänfte nahm, um nicht jemanden auf die Idee zu bringen, er sei Michel de la Montagne. Genau auch deswegen hatte er die Kapuze empor geschlagen. So jedoch benötigte er fast eine dreiviertel Stunde und die Sonne war bereits am Untergehen, als er die Taverne erreichte, die Mauern weiß gekalkt zwischen sichtbaren Holzbalken, Fachwerk, wie viele Häuser in der Stadt. Die Straßen waren einigermaßen sauber und er musste nicht zu sehr aufpassen, wohin er trat. Er sah sich um, konnte seine Partnerin jedoch nicht entdecken. So schlenderte er einmal um den Block, um sich einen Überblick zu verschaffen und den Hinterausgang durch die Küche zu finden. Es war manchmal lebenswichtig die Ausgänge zu kennen, das hatte er gelernt. Er ahnte nicht, dass er bereits gesehen worden war, und der junge Mann, der sich nun zu zwei anderen und einem Mädchen setzte, nur fast anerkennend meinte: „Ein passender Partner, in der Tat. Er überprüft erst die Lage.“ Als Michel kurz darauf die recht gut gefüllte Taverne betrat, musste Sarifa ihrem Bruder Recht geben: ein rascher Blick glitt durch den Raum, musterte die Situation, die anderen Gäste, ehe er sie und zwei ihrer Begleiter erkannte und herankam: „Welch eine Überraschung, meine Partnerin, Brüder meiner Partnerin....“ Denn Shahin und Mahedj kannte er von seinem Aufenthalt im Assassinendorf und er vermutete aufgrund der unverkennbaren Familienähnlichkeit, dass auch der Dritte ein Bruder war, vermutlich einer, den er noch nicht kannte, Yamin, denn er schien älter als Sarifa zu sein. „Schön, dich zu sehen,“ erwiderte Shahin als der Älteste: „Setze dich doch neben mich.“ Michel tat es. So saßen er und Shahin mit dem Rücken zur Gaststube, Sarifa und Mahedj ihnen gegenüber und der dritte Assassine seitlich zu ihnen. „Yamin,“ sagte Sarifa nur und ihr Partner nickte auf diese Vorstellung, sich durchaus im Klaren, dass das ein gewisses Vertrauen beinhaltete. „Ihr seid nicht zufällig hier,“ antwortete er nur: „Aber ich freue mich, Euch alle zu sehen.“ „Nein, sind wir nicht. Wir folgen unserem Ziel.“ Shahin lächelte: „Warum zu dritt? Eine lange Reise. - Kurzfassung: jemand bekam etwas mit und über gewisse....Verbindungen erfuhr auch Onkel davon und setzte uns auf die Spur.“ „Ein Mädchen kam zu einer Polizeiwache in Cinquanta und war völlig verstört,“ erläuterte Mahedj etwas ausführlicher: „Sie sei gerade einem Mann entkommen, der sie ermorden wollte. Die Polizei konnte dem Händler jedoch nichts nachweisen, er ist ein...äh...respektabler Bürger. Aber er reist immer von Süden nach Norden, verkauft Bernstein und andere Dinge im Süden, Gewürze im Norden. Er reist stets allein und an seiner Reiseroute verschwanden junge Frauen.“ Und irgendwen bei der Polizei störte das so, dass er sich an die Assassinen wandte, dachte Michel, der durchaus bemerkte, dass selbst der Jüngste nicht mehr sagen würde. So meinte er, sicher, dass der Mann sterben würde, falls er der Mörder wäre: „Gute Jagd. Eine lange Reise, ohne Partner...“ Das galt Shahin, dessen Partner ja der älteste Bruder Amir war. „Oh, er wird Vater und darum....“ Shahin lächelte. „Übrigens: ich werde Ghadi heiraten.“ „Das freut mich. - Wie geht es eurer Mutter?“ Die Bedienung kam und nahm Michels Bestellung auf, wie alle hier am Tisch weder Bier noch Wein, überdies leicht erfreut, dass keiner der jungen Männer zwischen neunzehn und dreißig sie auch nur genauer ansah – und das Mädchen am Tisch mit „Schwester“ angesprochen wurde. Dieser Tisch würde heute Abend wohl keinen Ärger machen. Und den, so war sie sicher, würde es wie immer an diesem Tag des Jahres geben, der Wirt hatte sie bereits vorgewarnt, sich langsam hinter die Theke zurückzuziehen und ihn herumgehen zu lassen. Kein schlechter Arbeitgeber, wie sie fand. Die Zeit war schon fortgeschritten und der Lärmpegel in der Taverne gestiegen, als sich Mahedj ein wenig zurücklehnte: „Oh,“ murmelte er. Sarifa und Yamin blickten möglichst unauffällig zur Tür, wo gerade eine Gruppe aus sechs mit Degen Bewaffneten durch die Tür kam – sichtlich angetrunken. Shahin und Michel spannten sich unwillkürlich an, wenn auch beide, zur Zufriedenheit des jeweils Anderen, zu sehr Profis waren, um auch nur den Kopf zu wenden. Sarifa meinte leise: „Sechs Bewaffnete, irgendetwas zwischen sechzehn und achtzehn.....ich würde sagen, kaiserliche Leibwachen, aber sie tragen um die Handgelenke weiße Manschetten. Sie sind betrunken.“ „Das gibt Ärger,“ ergänzte Mahedj. „Weiße Manschetten?“ Michel drehte doch möglichst unauffällig den Kopf zu der Gruppe, die an die Theke kam und lautstark Bier verlangte. „Alles klar. Sie sind heute in die Leibgarde aufgenommen worden und wollen das feiern, das ist durchaus üblich. Die weißen Manschetten zeigen die Lehrlinge an. Sie sind mit dem Degen geübt, aber sicher keine Meister.“ „Das gibt Ärger,“ wiederholte Sarifa. „Wir sollten gehen,“ meinte Yamin, der sich als der bislang Schweigsamste der Geschwister erwiesen hatte. Shahin wollte eigentlich nur dem Wirt winken, als er bemerkte, dass die Jugendgruppe den zwischen sich hin- und herschubste – und die anderen angetrunkenen Gäste unsicher waren, ob oder was sie tun sollten. „Sie zögern, weil es Leibwachen sind?“ fragte er stattdessen Michel. Der nickte. Sein Mund war schmal geworden. Ja, auch er und seine Gleichaltrigen waren feiern gegangen – aber zum einen ohne Alkohol, da am nächsten Morgen bereits der normale Alltag mit sehr frühem Aufstehen und hartem Training angesagt war, zum anderen, weil es Kaiser Dagobert durchaus nicht schätzte, wenn seine Leute in aller Öffentlichkeit falsch agierten. Das konnte zum Mindesten zum Rauswurf aus der Garde führen. „Tut mir Leid“, sagte er: „Aber ich sehe da nicht zu. Das ist meine frühere Kampftruppe, ich kenne die Meisten, es sind anständige Kerle. Das da ist weder im Sinn des Kaisers noch im Sinn von Leutnant Guiskard, der die Leibgarde befiehlt.“ „Ich verstehe, Partner meiner Schwester.“ Shahin, der das Kommando führte, sah nur seitwärts: „Mahedj, Sarifa, ihr bleibt hier.“ Michel entkam ein leichtes Zucken der Mundwinkel. Wenn es Ärger gab, waren Assassinen wirklich feine Freunde. Wer auch nur einigermaßen im Raum nüchtern war, wie der Wirt und seine Bedienung, bemerkten trotz allem, dass sich an einem Tisch nur drei Männer erhoben, den Jüngsten und das Mädchen sitzen ließen, und sich nebeneinander den sechs neuen Gardisten näherten. „Auf Dauer oder auf Zeit?“ erkundigte sich Yamin schlicht. „Auf Zeit,“ erwiderte Michel hastig, der die Frage aus doch mehreren Monaten mit einer Assassine deuten konnte: „Sie gehören dem Kaiser.“ Die sechs Jungen hatten bemerkt, dass jemand eingreifen wollte, und schubsten den Wirt weg, der sich eilig hinter seiner Theke verschanzte. Nett, dass ihm seine Gäste helfen wollten – aber zu dritt gegen sechs? Shahin sah zu Michel, der erfreut begriff, dass er die Führung erhalten hatte: „Jungs, ihr stört,“ sagte er kalt: „Und ich bin sicher, dass Leutnant Guiskard das nicht schätzen....“ Er musste abbrechen, denn einer der sechs betrunkenen Jugendlichen hatte die Blicke seiner Kumpanen auf sich gesehen – genau die falsche Geste, die solche Situationen stets zur Explosion bringt, dachten die anwesenden Profis. Für sie war allerdings auch klar, dass das derjenige war, der am ehesten ausgeschaltet werden musste, damit die anderen Ruhe gaben. Michel wich einem, auf seinen Bauch gezielten Degenstoß mit der Hüfte aus, eine Bewegung, die Sarifa an die einer Tänzerin erinnerte. Sie lehnte sich zurück. Ihre beiden großen Brüder und Michel waren in der Lage das zu bereinigen. Mahedj warf ihr einen Blick zu, ehe er ebenso nüchtern-professionell zusah, wie Michel einen mit einem Kinnhaken zu Boden schickte, Yamin sich von der Theke einen Krug nahm und auf einem Zweiten zertrümmerte, ehe er sich mit der Rechten auf der Bar abstützte und sich mit beiden Füßen voran streckte. Ein dritter der Jungen lag auf den Brettern, noch ehe die anderen Drei begriffen, dass sie sich mit Leuten eingelassen hatten, die auch in der deutlichen Unterzahl gewinnen konnten – ihre letzte Erkenntnis für mehrere Minuten, denn jetzt hatte sich auch Shahin zu bewegen begonnen, der bislang als Rückendeckung fungierte, und Michel wandte sich seinem zweiten Gegner zu. Dann ordneten die beiden Assassinen und der Agent des Kaisers ihre Kleidung, ehe Shahin seinen jüngeren Geschwistern zunickte, die sich erhoben, und Michel an die Theke trat. „Entschuldigt den Unrat, Herr Wirt,“ sagte er: „Dies dürfte unseren Teil decken.“ Er legte eine Zehn-Gulden-Münze auf den Tresen. „Für die Jungen würde ich an Eurer Stelle die Polizei holen lassen. Und natürlich deren Anteil verlangen.“ Diese Jungen würden erst wieder aus dem Schuldturm kommen, wenn sie ihre Getränke und das, was zu Bruch gegangen war bezahlt hatten – oder Leutnant Guiskard sie auslöste, was sicher zu ihrer Bestrafung führen würde. Vermutlich würden die Sechs nie erfahren, wie viel Glück sie gehabt hatten überhaupt noch am Leben zu sein. „Oh, danke, don.“ Was sollte man dazu sagen? Die Fünf verließen die Taverne in tiefem Schweigen. Keiner der restlichen, jäh ernüchterten, Gäste wagte auch nur mehr einen falschen Blick, während der Wirt sich umdrehte, um seinen Knecht zur nächsten Polizeiwache zu schicken. ** Merke: lege dich nie mit jemandem an, den du nicht kennst..... Das nächste Kapitel bietet Sarifa am Hofe: „Dame der Kaiserin.“ Kapitel 39: Dame der Kaiserin ----------------------------- Michel und die Assassinen traten unbehelligt auf die Straße und bemühten sich aus dem Viertel zu verschwinden, ehe die Polizei eintraf. Dabei erkundigte sich Mahedj noch einmal, was mit den sechs Jugendlichen geschehen würde. Michel erwiderte nüchtern: „Nun, das hängt nicht zuletzt davon ab, wie reich sie sind – aber Sold wird in der Garde immer erst am Ende des Monats ausgegeben – oder ihre Familie. Wenn sie die zerstörten Krüge und den Tisch nicht bezahlen, landen sie im Schuldturm. Dort muss sie dann ihre Familie oder auch Guiskard rausholen. In beiden Fällen wird es offiziell und sie haben mit einer Rüge, womöglich auch der Entfernung aus den Leibwachen zu rechnen. Der Kaiser schätzt es nicht, wenn sein guter Name durch seine Männer verletzt wird.“ „Was ihn ehrt,“ erklärte Shahin: „Nun, da der erholsame Teil des Abends vorbei scheint, meine Brüder, werden wir zu unserem Ziel gehen und es abwechselnd beobachten. Auch, wenn es unwahrscheinlich ist, dass er in Paradisa zuschlägt, nach seinen bisherigen Taten.“ „Falls er überhaupt die Person ist,“ warnte Michel unwillkürlich. „Natürlich,“ antwortete der zweitälteste Bruder seiner Partnerin nur und wandte sich zu Sarifa, um sich zu verabschieden. Da Mahedj sofort diesem Beispiel folgte, meinte Yamin leise zu Michel: „Ich hörte im Dorf von deinem Duell mit Agrar. Du bist ein mutiger und geschickter Mann, Partner unserer Schwester. Doch beachte eines: wenn du den Kampf mit dem Tiger nicht willst, halte dich aus dem Dschungel fern.“ Er trat zu Sarifa und seinen Brüdern. Michel benötigte einen Moment, ehe er sich daran erinnerte, dass Tiger riesige Raubkatzen waren, die in fernen Ländern südöstlich des Südmeeres und dort in wilden, dichten Wäldern lebten – und als hochgefährlich galten. Er hatte einen Reisebericht eines Kapitäns darüber gelesen. Yamins Anmerkung war eine Warnung gewesen – und er konnte den drei jungen Männern nur hinterher sehen, als sie in der Dunkelheit verschwanden. Eine Warnung, sich auf etwas einzulassen, das er nicht kannte, nicht abschätzen konnte. Nur, was und wen hatte Yamin gemeint? Die Assassinen im Allgemeinen? Die Brüder - oder gar die Schwester? Er lächelte dennoch, als Sarifa zu ihm kam: „Schade, dass diese Idioten den schönen Abend störten.“ „Sie werden es lernen. Und Yamin konnte dich sehen.“ „Oh, er war neugierig?“ „Du hast gegen Agrar gewonnen. - Komm, gehen wir weiter. Ich bin ab Montag übrigens Hofdame.“ „So schnell schon?“ Hatte sie das nicht erst werden sollen, wenn die Kaiserin schwanger wäre? Aber da war dieser mutmaßliche Giftanschlag. „Ja, so sei es besser, wurde mir gesagt.“ „Vermutlich. Er hat die Gabe sich selten zu irren. Kann ich etwas für dich tun?“ „Nein, ich war auch schon bei einer Schneiderin passende Garderobe zu bestellen. Das geht auf...seine Kosten.“ Nein, sie sollte mit Namen auf offener Straße vorsichtig sein: „Und ich muss nichts selbst bezahlen. - Oder doch. Komm noch zu mir und erzähle mir, wie so ein Tag abläuft.“ „Da bin ich leicht überfragt. Das gehörte noch nie zu meinen Aufgaben.“ Am Montag musste Sarifa, wie ihr gesagt worden war, einige bürokratische Unterschriften leisten, ehe sie weiter zum Trakt der Kaiserin geschickt wurde. Ein förmlich wandelnder Blumenstrauß, der ihr entgegen geschoben kam, ließ sie innehalten, zumal ihr Name fiel. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie in dem Träger den Begleiter Markwards, diesen Chilperich: „Mein Herr lässt Euch dies mit seinen besten Wünschen senden,“ erklärte der Kämmerer: „Er hörte, dass Ihr bedauerlicherweise von einem Hund gebissen worden wärt und darum nun erst Euren neuen, ehrenvollen Pflichten nachkommen könnt. Er wünscht Euch weiterhin gute Besserung.“ Er drückte ihr die Blumen in die Hände: „Bitte schön....“ Sie sah sich prompt um. Wohin sollte sie jetzt höflich und höfisch mit diesen toten Grünpflanzen? Man konnte sie ja nicht einmal essen. So drückte sie sie wiederum einem Diener in die Hand: „Sorge für sie und stelle sie dann hier irgendwo hin, damit ich sie später mitnehmen kann.“ Jetzt sollte sie sich wohl bedanken. „Danke, Chilperich, natürlich auch ein Dank Eurem Herrn. Ich wusste nicht, dass ein einfacher Hundebiss sich so schnell herumspricht.“ „Mein Herr Markward ist fasziniert von Euch und Eurer Schönheit und interessiert sich darum für alles, was Euch betrifft, werte Prinzessin Sarifa.“ Ihr war das spöttische Funkeln in seinen Augen nicht entgangen und sie wurde ein wenig kühl: „Ihr seid kein Narr, Chilperich. Und ich frage mich, warum Ihr Euch dann gerade wie einer benehmt.“ Dieser Blumenstrauß war so riesig, geradezu übertrieben, sein ganze Gerede... Der Kämmerer wurde jäh ernst und verneigte sich ein wenig: „Danke. Würde ich selbst um Euch werben....“ sagte Chilperich, durchaus geschmeichelt, dass sie den Unterschied erkannt hatte: „Ma donna, glaubt mir, das würde ich anders tun. Aber selbstverständlich ziemt sich das nicht.“ Dieses Mädchen war keine eitle Schönheit, die am Kaiserhof nach einem reichen Ehemann suchte. „Natürlich,“ erwiderte die Assassine eilig, der klar war, dass ein Bürger und eine Prinzessin schlecht zusammenpassten. „Dankt Eurem Herrn in meinem Namen für die Blumen.“ „Das werde ich tun. Ich darf mich verabschieden...?“ „Ja.“ Als Chilperich ging, durchaus, um Markward von einem gewissen Fortschritt zu berichten – immerhin hatte er die Blumen nicht um die Ohren bekommen -, wusste er, dass dies eine intelligente junge Frau war – und dass es selbst für den Kaisersohn schwierig werden konnte, sie zu erobern. Das allerdings würde er seinem Herrn lieber verschweigen. In den Vorräumen der Kaiserin übergab sie ihre Ernennungsurkunde einem Sekretär, der eilig von dannen huschte und mit einer Dame um die Fünfzig zurückkehrte, die ihr Haar altmodisch-züchtig unter einer weißen Haube trug. Ihrer Kleidung nach war sie von hohem Adel. „Donna Roswitha, die oberste Dame Ihrer Hoheit,“ erklärte der Mann: „Prinzessin Sarifa....“ Die Assassine wusste inzwischen, dass der Titel ihre Stellung als Bluterbin widerspiegelte und durchaus hohen höfischen Rang anzeigte. So neigte sie nur höflich den Kopf. „Ich heiße Euch willkommen,“ sagte Roswitha auch nur: „Bitte, folgt mir. Ich werde Euch Ihrer Hoheit vorstellen.“ Sarifa betrachtete die Räume, durch die sie geführt wurde, mit professionellem Interesse. Aber auch hier befanden sich Männer der Leibwachen. Erst an einer Tür stand niemand mehr. Roswitha deutete nach dem Öffnen nach links: „Dort schlafen wir, ich werde Euch später Euer Zimmer zeigen. Hier, geradeaus, geht es zum Aufenthaltsraum der Kaiserin. Dort hält sie sich auf, wenn sie nicht in ihrem Arbeitszimmer ist oder auf Besuch in der Hebammenschule oder der Knappenschule. Das Arbeitszimmer ist die erste Tür rechts, die zweite ist das Schlafzimmer Ihrer Hoheit. - Ich werde Euch anmelden. Bitte wartet einen Moment.“ Nur kurz darauf kam sie zurück: „Bitte....“ Anawiga betrachtete ihre neue Hofdame, nicht nur neugierig auf ihre neue Begleitung. Der Kaiser hatte ihr gesagt, sie erhalte eine Leibwächterin und da sie nie zuvor eine Frau gesehen hatte, die kämpfte, war sie ein wenig verwundert, wie jung und schlank, ja, fast grazil, diese Prinzessin Sarifa war. Auf der offiziellen Vorstellung im Saal hatte sie sie nicht so genau beachtet. Die höfischen Sitten kannte sie jedenfalls, so, wie sie sich verneigte. „Ich heiße Euch willkommen in unserem Kreis,“ sagte die Kaiserin formell, mit einer Handbewegung zu den anderen fünfzehn Frauen im Raum, die zum Teil auf Taburetts saßen, zum Teil in einfacher Garderobe im Hintergrund standen. „Ich entsinne mich, dass Euch Charibert vorstellte....Ihr stammt weit aus dem Süden, nicht wahr?“ „Ja, Euer Hoheit.“ Zwei Türen nach rechts, die, durch die sie gekommen war, zwei jetzt verhängte Fenster an der linken Seite, eines geradeaus.... Sie sah sie an – und sie hatte zuvor einen sehr ungewöhnlich forschenden Blick durch den Raum geworfen. Interessiert meinte Anawiga: „Oh, erzählt doch davon. Ich kann es mir kaum vorstellen....Meine Damen, bitte lasst uns doch allein.“ Das war unüblich, aber natürlich nicht verboten. Sie musste nur daran denken, dass Dagobert gesagt hatte, sie würde ihr gefallen. Und, wenn sie die Damen richtig einschätzte, waren die nur zu froh, einmal aus dem Zimmer rauszukommen. Verständlich. Wenn sie nicht entlassen wurden, mussten die Frauen sich stets in ihrer Nähe aufhalten. Als sie allein waren, fuhr die Kaiserin fort: „Setzt Euch doch, Sarifa. - Der Kaiser teilte mir mit, dass Ihr mir nicht ausschließlich Gesellschaft leisten sollt.“ „Nicht ausschließlich, nein.“ „Was seid Ihr?“ „Ich soll dafür sorgen, dass Eurer Hoheit nichts Unnatürliches zustößt.“ „Ihr seid vorsichtig. Gut. - Aber....sagen wir es so. Ich habe noch nie eine direkte Leibwächterin bei mir gehabt, aber ich vermute, dass das ein recht...intimes Verhältnis sein dürfte. So möchte ich Euch bitten offen zu mir zu sein. Ich werde es auch sein.“ Sarifa blickte ihre Schutzbefohlene genau an. Das war eine intelligente Frau, kaum viel älter als sie selbst, und sie hoffte, dass das ihre Aufgabe erleichtern würde: „Wie Ihr wünscht.“ „Ihr tragt den Titel einer Prinzessin. Nur zur...Tarnung?“ Sie wollte nicht direkt fragen, ob sie adelig war. „Nein. Hier im Norden nennt man es so.“ „Und wo habt Ihr kämpfen gelernt? Verzeiht, ich sehe, Ihr mögt nicht darüber sprechen....aber...es ist für mich wichtig....“ Anawiga überlegte, wie sie jemandem ihre Besorgnis klarmachen sollte, ohne beleidigend zu werden. „Wart Ihr im Heer? Das wäre für ein Mädchen ungewöhnlich.....“ Schön, dachte Sarifa, warum nicht direkt: „Ich bin eine Assassine.“ Und da die Kaiserin etwas blass wurde, lächelte sie: „Der Ruf meines Volkes....ja, ich weiß....Der Kaiser und Graf Uther waren jedoch der Ansicht, dass ich den bestmöglichen Schutz für Eure Hoheit darstelle.“ „Ihr.....Ihr arbeitet für den Kaiser?“ „Mein Volk ist seit Jahrhunderten kaisertreu. Keine Sorge. Ich werde Euch nicht umbringen.“ Anawiga musste zum ersten Mal lächeln: „Sah man es so deutlich? Entschuldigt. - Nur, wie....“ Sie brach ab, denn ihre neue Hofdame hatte eine Handbewegung gemacht und ein Dolch lag darin. „Oh, ich verstehe.“ Nein, sie konnte ihre Sorge vergessen. Wenn dieses Mädchen sie hätte umbringen wollen – sie wäre bereits tot. Und sie konnte, sollte doch Dagobert und Uther trauen. Sie beobachtete, wie der Dolch zurückgeschoben wurde und entdeckte dabei die ebenfalls kaum wahrnehmbare Ausbuchtung am linken Unterarm: „Ihr tragt zwei Messer.“ Sarifa erklärte offen und ehrlich, bemüht, das erbetene Vertrauen zurückzugeben: „Ja. Wurfmesser. Mit nur einem entwaffnet man sich selbst zu leicht, wenn es mehrere Angreifer sind.“ Woraus Anawiga schloss, dass ihr Gegenüber für einen Angreifer auch nur einen Messerwurf benötigte. „Ich möchte Euch zu meiner Kämmerin machen, natürlich mit Genehmigung des Kaisers. Dabei können wir allein reden, denn keine andere Dame schätzt die Zahlen. Ihr....Ihr könnt doch schreiben?“ „Ja.“ Sarifa war nicht beleidigt. Sie wusste inzwischen um die Schwierigkeit, dass auch Adelige oft nur mangelhaft lesen und schreiben konnten – wenngleich Michel das Problem wohl nicht hatte. „Meine Ausbildung ist durchaus umfassend, Hoheit, wenngleich anders als hier im Norden.“ „Oh, das verstehe ich. Auch in meiner Heimat ist manches anders als hier....Aber der Kaiser und sein Bruder scheinen Eingewöhnung zu verstehen.“ „Ja, sie sind für Männer recht pragmatisch veranlagt,“ kam prompt das nüchterne Urteil der Assassine. Die Kaiserin rang für einen Moment nach Luft, ehe sie schlicht fragte: „Kennt Ihr Männer?“ „Fünf Brüder und einen Partner. Kampfpartner“ , ergänzte Sarifa dann. Jetzt musste Anawiga wirklich lachen: „Dagobert...ich meine, der Kaiser hatte Recht. Wir werden uns verstehen. Ich habe zwar nur einen Bruder, aber ich weiß, was Ihr meintet. - Nun gut. Wie soll ich mich künftig verhalten?“ „Wie immer. Und wenn ich Eure Kämmerin bin...sowieso. Den Rest überlasst mir.“ „Ich sollte wohl wirklich einer Assassine trauen.“ „Es wäre nett, wenn Ihr das nicht erwähnen würdet.“ „Natürlich. Vertraut mir auch.“ Blaue und braune Augen trafen sich. Und aus irgendeinem Grund fragte Anawiga: „Partnerinnen?“ „Partnerinnen.“ „Sie mag also Blumen,“ freute sich Markward: „Aber, dass sie jetzt Hofdame ist, bedeutet natürlich auch, dass man schlechter an sie herankommt.....Die werden ziemlich gut bewacht.“ Chilperich, der bereits ein Attentat auf die Kaiserin veranlasst hatte, nickte: „Es ist schwer.....Darf ich Euch einen Vorschlag machen?“ „Nur zu.“ „Ich könnte jemanden schicken, der sich bei den Mägden erkundigt, ob Prinzessin Sarifa Freude an Schmuck findet. Bislang trägt sie immer nur höchstens ein- und dieselbe Kette um den Hals, abgesehen bei der Vorstellung bei Hofe.“ „Und das war eine Kette Chariberts, da wette ich. Das schöne Kind ist aus gutem Hause aber nicht gerade reich.....Ja, eine gute Idee, werter Chilperich. Dann könnte ich Vaters Juwelier vielleicht veranlassen ihr einiges zu präsentieren....“ Das würde ihn kaum weiterführen, dachte sein Kämmerer prompt, hielt jedoch den Mund. Auf was auch immer Sarifa stand – nicht auf solche gewöhnlichen Dinge, da war er ganz sicher. Und sein Instinkt hatte ihn noch nie betrogen. Selbst mit zwei sehr unterschiedlichen Schwestern und einer Mutter aufgewachsen hatte er gelernt, Frauen einzuschätzen. Und aus irgendeinem Grund dachte er plötzlich daran, dass wohl nur der das Feuer scheute, den es schon verbrannt hatte. Der Kaiser las interessiert einen Brief nun schon zum dritten Mal, als er aufsah: „Uther.“ „Du wolltest mich sprechen.“ „Ja, setze dich doch. Du erinnerst dich an den König von Celtica. Als der neue Botschafter hier ankam, hast du ihn empfangen....“ „Ja, und nur Stunden später sehen dürfen, dass ich seine Heiratsavancen höflich ablehne. Beide Töchter waren zumindest da noch unverheiratet und über dreißig – abgesehen von allen anderen Gründen.“ Dagobert lächelte ein wenig: „Dann wird es dich sicher interessieren, dass Edwina, die Ältere der Beiden, einen Sohn geboren hat, der unverzüglich als Thronerbe anerkannt wurde.“ „Wer ist der Vater?“ erkundigte sich Uther unverzüglich. Möglicherweise musste man auf diesen auch einen oder mehrere Spione ansetzen. „Das ist ein Mann namens....Robin.....Irgend ein kleiner Adeliger aus dem Hinterland. Ich bin neugierig, wie lange er noch zu leben hat, wenn er seinen Zweck erfüllt hat.“ Der Kaiser kannte seine Branche aus jahrzehntelanger Erfahrung. „Das stimmt. Er könnte statt seines Sohnes den Thron wollen...Ach, Politik ist ein Geschäft unter Raubtieren. Man muss hart sein und nüchtern, um hier zu bestehen.“ „Um zu überleben,“ korrigierte Dagobert. „Dankward ist übrigens bestätigt, also kann er gleich als Bischof und Stadtherr anfangen. Er sollte Tailina bereits erreicht haben.“ „Ich bin sicher, er wird sich gut machen.“ „Ja, ich auch. Und, wenn ich als Vater das so sagen darf: ich bin froh, dass er aus dem Raubtierkäfig ist. Er hätte hier kaum bestehen können. - Was mich zu etwas anderem führt: Sarifa ist die neue Hofdame Anawigas. Und schon gleich bat sie mich, Sarifa zu ihrer Kämmerin zu machen. Ich hoffte ja, dass sich die Zwei gut verstehen, aber ist das nicht ein wenig...verfrüht? Du kennst die Assassine besser.“ „Sarifa ist die Bluterbin der Assassinen. Und sie wurde sowohl deren weiblicher Ausbildung unterzogen als auch deren männlicher. Ich vermute, dass sie dem Amt eines Kämmerers gewachsen ist. - Und sie kennt den Raubtierkäfig.“ „Wenn ich das so angucke, was in Michels Berichten aus ihrer gemeinsamen Zeit steht, hat sie nichts dagegen, wenn sich die menschlichen Raubtiere gegenseitig umbringen. Natürlich ein wertfreies Urteil, da sich anscheinend Assassinen ebenso betrachten, jedoch dazu neigen, Unbeteiligte zu verschonen.“ Uther lächelte flüchtig: „Du wirst philosophisch, Dagobert. Aber du hast vollkommen Recht. Und ich bin sicher, dass Anawiga weder besseren Schutz noch eine intelligentere rechte Hand bekommen kann. Zumindest traf ich noch keine. - Was macht Markward?“ „Er verwaltet seinem Auftrag gemäß die Minen. Oder hast du andere Neuigkeiten?“ „Chilperich, sein Kämmerer, ist kaum bei ihm, aber oft hier. Er gab Sarifa in Markwards Namen einen Blumenstrauß und scheint auch ansonsten in dessen Sinn zu arbeiten. Er bestach eine Magd der Kaiserin – diese erzählte es einem meiner Leute.“ „Was sollte sie ihm berichten?“ Dagobert war nicht glücklich. „Ob der Kaiserin schlecht sei, was sie so esse....Es geht wohl um eine mögliche Schwangerschaft – Markward will sich vorsehen. Und ehrlich gesagt, er wäre ein Narr, täte er das nicht.“ „Er ist ein Narr, sonst würde es nicht auffallen.“ Der Kaiser konnte eine gewisse Enttäuschung, ja, Zorn nicht aus seiner Stimme verdrängen. Uther blieb sachlich, durchaus die Nöte des Vaters kennend: „Ich lasse Chilperich seit gestern rund um die Uhr beschatten.“ „Gut. Warum ist es nur so schwer einen Nachfolger zu finden?“ Ein abgrundtiefer Seufzer verriet seine Gefühle. Sein Bruder zuckte die Schultern: „Weil es genug Idioten gibt, die sich um diese Arbeit reißen. Und nur einer, der es nicht will, wird ein guter Kaiser.“ Dagobert entkam doch ein Lächeln: „Naja. Falls du mich meinst: ich halte mich für einen mittelmäßigen Kaiser und überdies: ich wurde dafür geboren.“ Als ältester Sohn des ermordeten Merowin, was wäre ihm außer dem Tod übrig geblieben? Uthers Lächeln war reine Zuneigung, ehe er trocken mit kaum wahrnehmbarer anderer Betonung sagte: „Ja, Bruderherz. Du wurdest dafür geboren.“ Die Kaiserin und ihre neue Kämmerin hatten sich über eine Stunde lang die Abrechnungen angesehen, ehe Anawiga meinte: „Darf ich Euch etwas fragen, Sarifa?“ „Natürlich.“ Die Assassine schob die Bücher zurück. „Kommt Ihr....Ich möchte an einem der folgenden Tage nach Cirelon fahren. Dort befindet sich ein Waisenhaus – also, für nichtadelige Kinder. Um die Kinder nicht zu erschrecken wollte ich allerdings nicht gerade mit vielen Leibwächtern reisen. Wenn Ihr mitkommt.....?“ „Ich fürchte nur, der Kaiser wird auch auf Leibwachen bestehen.“ „Natürlich. Aber....dann sind es nicht gar so viele. Cirelon liegt zwei Tagesreisen von hier.“ „Ich weiß. Und mein Befehl lautet bei Euch zu bleiben.“ Immerhin war es nicht so schwer auf die Kaiserin aufzupassen. Diese arbeitete mit, durch die normalen Türen konnte kein Attentäter gelangen – da waren schlicht zu viele Wachen, und das eigentliche Schlafzimmer der Kaiserin besaß kein Fenster. Einen Angriff mit Pfeilen verhinderten nun im Winter die schweren Vorhänge vor den Fenstern. Im Sommer mochte das anders aussehen. Sarifa hatte sich auch die Klettermöglichkeiten angesehen – schwer, selbst für sie und die meisten Meuchelmörder dürften nicht ihre Ausbildung besitzen. Falls also ein Angriff stattfinden würde, erfolgte dieser unterwegs, sei es auf dem Weg zur Hebammenschule, sei es bei einem solchen Ausflug. Allerdings war Anawiga durchaus spontan und das erschwerte einen organisierten Überfall doch deutlich. „Gut.“ Sarifa dachte plötzlich an Michel. Seit sie hier quasi, wenn auch luxuriös und warm, eingesperrt bei der Kaiserin war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen – genauer, nur einmal über den Hof gehen. Und irgendwie vermisste sie ihn und die Aktionen. Aber das war nun eben hier ihr Auftrag und sie durfte nicht nachlässig werden. Bereits am folgenden Tag fuhren die Damen ab. Dagobert hatte den Ausflug rasch bewilligt, durchaus auch in dem Wissen, dass solche schnellen Entschlüsse Auftragsmörder überraschten. Außer dem Kutscher waren zwei berittene Leibwachen dabei, eine Magd und eben Sarifa. Ohne jeden Zwischenfall erreichten sie auch Cirelon, wo die Kaiserin ihren Besuch abstattete, ehe sie übernachteten und sich wieder auf den Heimweg machten. Für Sarifa war das ganze Drumherum eines solchen Besuches neu und sie fand es ein wenig langatmig, aber auch interessant zu sehen, wie aufgeregt alle waren, nur weil sie Anawiga besuchte. Nun, das gehörte zu den Pflichten einer Kaiserin, das war ihr klar. Sie hatte nur nie zuvor bedacht, wie die andere Seite das sah, wie wichtig solche Besuche den Menschen waren, die vermutlich Jahre davon reden würden. Auf dem Rückweg hielt die Kutsche plötzlich an. Sarifa hörte, dass die Leibgarden nach vorn ritten und blickte hastig aus dem Fenster, ehe sie zu Anawiga meinte: „Keine Sorge, Hoheit. Es ist nur Markward.“ „Oh, er wird sich doch zu benehmen wissen.....“ Die Sorge der Kaiserin um ihren Ruf lag in dem Seufzer. „Das wird er,“ versprach die Assassine, zog jedoch den Vorhang des Fensters zurück. Markward ritt heran: „So haben mich meine Augen doch nicht getäuscht, gleich zwei der schönsten Frauen des Reiches zu sehen. Verehrte Stiefmutter, Prinzessin Sarifa...erlaubt mir, Euch ein Stück zu begleiten.“ So höflich gebeten konnte Anawiga nicht anders als zuzustimmen, um nicht ihren Stiefsohn und damit ihren Gemahl zu beleidigen. Markward ritt fröhlich plaudernd neben der Kutsche her, während sich Sarifa überlegte, ob es wirklich auffallen würde, wenn sie ihm die Kehle durchschnitt. Er hatte es auf sie abgesehen, das war klar, und sie fragte sich, wie weit ihre Selbstbeherrschung noch reichen würde. ** Das nächste Kapitel bringt: Wendungen Kapitel 40: Wendungen --------------------- Die Kaiserin berührte die Hand ihrer Leibwächterin und Sarifa wusste sich das zu deuten. Noch immer redete Markward wie ein Wasserfall – und bemerkte nicht, dass er beiden jungen Damen mehr als auf die Nerven ging, und die Magd, die ihnen gegenüber saß, erheitert war. Wäre er nicht Dagoberts Sohn hätte es ihm die Eine oder Andere auch schon eindringlich zu verstehen gegeben. Jetzt hatte er das Thema Schmuck gewählt: „Ich bin sicher, jede Frau liebt diese glitzernden Verschönerungen an sich, nicht wahr?“ Er drängte seinen Hengst näher an die Kutsche. „Es gibt Schmuck, den man seiner oder der Stellung seines Gemahls zuliebe tragen muss,“ erklärte Anawiga etwas eisig: „Und Schmuck, der einem gefällt. Ich vermute, die meisten Frauen finden keinen Gefallen daran sich zu behängen. Geschmack ist angesagt.“ „Oh, ich wollte Euch oder gar Euren Geschmack nie kritisieren, teure Stiefmutter. Was meint Ihr dazu, Prinzessin Sarifa?“ Die Assassine erwiderte prompt: „Schmuck sollte auch immer nützlich sein.“ „Meine Liebe, genau das ist der Unterschied. Schmuck soll schmücken...“ Sie musste wirklich aus armen Verhältnissen stammen. Verarmter, aber alter, Adel stand zu vermuten, der seine Tochter bescheiden erzogen hatte, um keine Sonderwünsche zu wecken. „Nennt mich nicht Eure Liebe,“ fauchte sie unverzüglich. „Oh, erlaubt mir doch ein wenig Freude an Eurer Gesellschaft.“ Sarifa fragte sich, ob er die immer noch hätte, wenn sie ihm zeigen würde, dass sie wusste, wo es wehtut. Wieder spürte sie die Berührung der Kaiserin, beruhigend. Anawiga hatte in den vergangenen gezwungenermaßen eng zusammen verbrachten Tagen doch einiges über ihr Temperament gelernt. So erklärte sie nur: „Eure Verpflichtungen in Gruvenant und meine bei Ihrer Hoheit scheinen mir da nicht so recht zusammenzupassen,.“ Makrward lächelte ein wenig. Ah, sie wusste, wo er welche Aufgabe hatte. Dann interessierte sie sich also doch für ihn. Sie musste doch zu aufzubrechen sein. „Natürlich,“ bestätigte er jedoch: „Allerdings werde ich, schon um meinem verehrten Vater Bericht zu erstatten, auch immer wieder bei Hofe erscheinen.“ „Selbstverständlich,“ griff Anawiga ein: „Ich bin sicher, Ihr verwaltet die Minen ganz im Sinne Seiner Hoheit. - Begleitet Ihr uns dann jetzt auch nach Paradisa?“ Bitte nicht! „Oh, nein. Ich war nur zufällig auf der Jagd....“ Das war nicht gelogen, allerdings hatte er die Damen abpassen wollen. Jede Chance nutzen, die kleine Südländerin näher kennenzulernen....Sie umklammerte ihre Kette, ach ja, den Juwelier sollte er mal beauftragen. Das da war nichts Besonders, was sie da trug, anscheinend eine silberne Mondsichel. Sarifa löste ein wenig mühsam ihre Finger von der Wurfklinge. Es half nichts. Und wenn er ihr noch so sehr lästig fiel, er tat nichts Verbotenes nach nördlicher Sitte. So musste sie ihn wohl einfach schlicht ein wenig ertragen. Zurück im Palast entließ die Kaiserin Sarifa mit der lächelnden Begründung, sie seien sich jetzt gegenseitig tagelang auf die Nerven gegangen, ein wenig Abstand sei sicher gut. Und sie werde hier ja gut bewacht. Das mochte stimmen und so bummelte die Assassine durch die Gänge, bemüht, neue Eindrücke zu sammeln, neue Flure und Räume zu entdecken. Man wusste nie, wozu Ortskenntnis gut sein mochte. „Hallo, mein Engel.“ Sie fuhr herum. Michel verneigte sich höfisch, ehe er herankam, wie immer hier mit seinem übertrieben geschmückten Wams und heute seidenen schwarzen Beinlingen, die mehr als hauteng anlagen. Gerade noch durch das längere Wams die Schicklichkeit wahrend, dachte sie prompt, sagte jedoch, für den Fall, dass jemand zuhörte: „Ah, der edle don de la Montagne. Es scheint heute nicht mein Tag zu sein. Zuerst unterhält mich der ehrenwerte Markward und nun Ihr.“ „Nun, ich hoffe doch, dass Ihr mich nicht mit ihm vergleicht,“ erwiderte Michel eilends und nickte seitwärts. Zu ihrer Überraschung öffnete er eine Tür. Sie huschte hinein, ein wenig erstaunt, wie gut er sich im Palast auskannte. Es war ein leeres Zimmer und er folgte ihr: „So, hier sind wir eher ungestört,“ meinte er: „Markward hat es wohl wirklich auf dich abgesehen?“ „Er macht ganz den Eindruck.“ In ihrer Stimme lag tiefere Kälte als draußen im Endwinter. „Behalte deine Messer bei dir,“ warnte ihr Ausbilder unverzüglich, der aus erschreckter Erfahrung wusste, wie ihre Dolche aussahen, wenn sie auf einen zukamen. Das wusste sie auch und beschwichtigte schnell, bemüht ihm zu zeigen, dass sie dazu gelernt hatte: „Ja, keine Sorge. Ich bin überdies ja meist bei der Kaiserin, da kommt er nicht hin. Er will keinen erneuten Ärger heraufbeschwören, denke ich.“ „Ja. Er hat dazu gelernt, etwas, was ich schon kaum für möglich hielt. Aber diese Reise hat ihm anscheinend ebenso gut getan, wie die Schifffahrt Dankward. Der ist übrigens jetzt offiziell Bischof und wird sich, sobald er sich so eingearbeitet hat, um diese Schule kümmern.“ „Ein Problem weniger für den Kaiser.“ Die Assassine zupfte den weiten Hofärmel über dem enger geschnürten Hemd zurecht – und damit ihre Wurfmesser. „Und für uns, mein Engel. Denn die Probleme des Kaisers sind die unseren.“ Michel erkannte ein wenig amüsiert die Klinge an ihrer Halskette. Nein, unbewaffnet war sie nie – und schon gar nicht, wenn sie als Leibwächterin fungierte. „Natürlich.“ „Ist dir bei Anawiga eigentlich nicht langweilig? Ich hörte, du bist ihre Kämmerin – sind Finanzen wirklich so dein Ding?“ „Nicht unbedingt, aber es ist auch weniger die Buchführung, ja, auch, aber hauptsächlich können wir so zu zweit reden. Und sie weiß, was meine eigentliche Aufgabe ist. So fällt es nicht auf. Sie denkt mit. Das erleichtert die Sache sehr.“ „Kann ich mir vorstellen. - Ich muss gehen. Du weißt schon, Rolle spielen.“ „Du hast keinen Auftrag?“ Da das ein wenig sehnsüchtig klang, musste er doch lachen: „Nein, wir sind beide hier, bis sich etwas ergibt. Wir sollen sozusagen die Joker im Spiel sein, nein, das verstehst du nicht, du spielst ja nicht Karten, oder?“ „Ich verstehe, was du meinst,“ erklärte sie ernsthaft: „So besorgt sind Graf Uther und der Kaiser?“ „Ja. Bedenke nur, was wir in den letzten Monaten so alles mehr oder weniger zufällig herausgefunden haben, mit den Piraten vor allem. Jemand sitzt irgendwo im Reich und hat einen sehr guten Plan – fragt sich nur, welchen.“ „Vielleicht Markward auf den Thron zu setzen und stattdessen selbst die Kontrolle zu haben. Markward würde es vermutlich nicht einmal merken, dass er nicht selbst entscheidet.“ „Ich hoffe, ich habe mit meiner rein persönlichen Abneigung nicht auf dich abgefärbt.“ Michel war ein wenig besorgt. Sarifa schüttelte den Kopf: „Glaub mir, das schafft er ganz von allein.“ Aus irgendeinem Grund bezweifelte er das nicht: „Dennoch: wir sind beide Profis. Und wenn er eines Tages der nächste Kaiser wird, werden wir ihm helfen. Das Amt und die Würde zählt, nicht unbedingt die einzelne Person. Wobei ich zugebe, dass Dagobert es schon immer verstanden hat, dass ihm Männer folgen. Ich war ja nur in einer Schlacht mit ihm, da beim Nordfeldzug, aber die Rede, die er da hielt...Die hatte es wirklich in sich. Und so muss es schon früher gewesen sein, nach allem, was mir so erzählt wurde.“ „Anawiga mag ihn auch sehr.“ „Das ist ja wohl doch etwas anderes. - Jetzt gehe ich aber wirklich, mein Engel. Warte ein wenig, ehe du mir folgst. Aber ich denke, das hätte ich nicht sagen müssen.“ „Ja, ich glaube auch, dass du das nicht hättest sagen müssen.“ Aber die Assassine lächelte. Als Michel durch die Vorräume des Kaisers schlenderte, Bekannte begrüßte und hier und da nette Wörter für mehr oder weniger hübsche Frauen fand, bemerkte er den Kaisersohn, der anscheinend soeben aus dem Arbeitszimmer seines Vaters kam, also wohl offiziell Bericht erstattet hatte. Wie alle anderen hier neigte er ein wenig den Kopf – immerhin konnte das nun einmal der nächste Kaiser sein und der merkte sich sicher, wer höflich gewesen war und wer nicht. Der Michel de la Montagne, den er hier spielte, würde sich bestimmt nicht die Zukunft verbauen wollen – obwohl er bei dem gewissen verächtlichen Lächeln, das ihm galt, plötzlich den unbändigen Wunsch verspürte zu seiner bezaubernden Bulldogge: „Fass!“ zu sagen. An diesem Abend hatte sich der Kaiser bei seiner Gemahlin angekündigt. Sarifa, die dies noch nie miterlebt hatte, war neugierig, schon aus professionellen Gründen, wie das ablief. Die Beiden boten sich als Ziel förmlich an, und da ihr die oberste Dame schon gesagt hatte, dass der Aufenthaltsraum frei sein würde, nicht einmal die üblichen beiden Mägde direkt vor der Tür der Kaiserin schlafen würden, war sie ein wenig besorgt. Dann jedoch stellte sie fest, dass der Kaiser nicht allein kam – bis vor die Tür des Aufenthaltsraumes begleiteten ihn Männer der Leibwachen, die ansonsten nicht so weit in Anawigas Privatgemächer durften. Dagobert war viel, aber sicher nicht leichtsinnig. Die Damen knicksten vor ihm, seine Gemahlin verneigte sich. Mit einer Geste entließ er die Frauen, nicht, ohne Sarifa ein winziges Nicken zu schenken – ahnte er, dass sie besorgt war? Aber sie ging ebenso wie die Anderen hinaus auf den Flur, in dem die Räume der Hofdamen lagen. Sofort postierten sich vier Männer der Leibwachen vor den Türen zum Aufenthaltsraum und zum Ausgang. Die Assassine war ein wenig beruhigt. Nun gut, auch hier käme ein entschlossener und geübter Attentäter durch, aber es wäre schwierig – und man müsste zu zweit sein, Minimum. Überdies waren auch draußen sicher an jeder Tür jetzt Gardisten. Sie blickte zu Roswitha, der obersten Dame: „Haben wir jetzt frei?“ „Ja. Seine Hoheit bleibt stets bis zum Morgen.“ Irgendwie musste es doch peinlich sein, wenn jedem ehelichen Beisammensein so ein Aufwand vorausging und alle Bescheid wussten, wie oft ….Aber das gehörte wohl zu dem Leben eines Kaisers dazu. Sie beneidete weder ihn noch Anawiga darum. „Dann werde ich noch jemanden besuchen, ehe ich mich schlafen lege.“ „Wie Ihr wollt, Prinzessin. Nur seid im Morgengrauen wieder hier.“ „Selbstverständlich. Gute Nacht, donna Roswitha.“ Als sie an den Wachen vorbeikam, musterten sie diese und ihr war klar, dass sie sich ihr Gesicht merkten, um ihr wieder Zugang zu gewähren. Wirklich, die Leibwachen waren fähige Männer. Kein Wunder, dass auch Michel dort gedient hatte. Diese Ausbildung war in der Tat nicht schlecht und würde auch Assassinen das Leben schwer machen. Dagobert setzte sich an den kleinen Tisch: „Ich entnahm Eurer Bitte Sarifa zur Kämmerin zu machen, dass ich mich nicht täuschte. Ihr kommt mit ihr zurecht.“ „Ja.“ Anawiga nahm höflich erst auf seinen Wink hin Platz: „Es ist angenehm, jemanden um sich zu haben, der eine andere Ausbildung als die meisten hiesigen Damen erhalten hat.“ „Soll ich dem entnehmen, dass auch Ihr mehr Freude an Dolchen als der Stickarbeit hegt?“ Aber der Kaiser lächelte: „Nein, ich weiß. Eure Kenntnisse in Geografie und Politik sind momentan ein wenig verschwendet, nicht wahr? Außer mit mir könnt Ihr Euch kaum mit jemandem unterhalten. Schon aus Klugheit nicht. Aber ich weiß nur zu gut, dass Ihr auch dazu erzogen wurdet, möglicherweise eines Tages für Euren Sohn zu regieren.“ „Es ist wirklich erstaunlich, dass ein Mädchen aus dem Süden mithält,“ gab Anawiga zu: „Aber sie erwähnte, dass sie eine Assassine sei, womöglich darum.“ „Sie hat es Euch nicht gesagt? Sie ist die Bluterbin der Assassinen und ihr Sohn wird der nächste Anführer. Sie wurde ebenfalls zur Regentin erzogen.“ Die Kaiserin atmete tief durch, ehe sie lächelte: „Darum, also. Ich war schon verwundert, warum ein....nun ja....adeliges Mädchen meine Kenntnisse nachvollziehen kann. Aber dazu beherrscht sie wohl auch Kampfkünste.“ „Ich weiß es.“ Dagobert schmunzelte erneut: „Aber ich freue mich, dass ich richtig riet.“ „Ihr kennt mich,“ gab sie zu: „Ich...ich möchte Euch noch etwas sagen.....“ „Nun? Wird es mich so sehr schrecken?“ „Als ob Euch so leicht etwas schreckt. Ich vermute...bitte...nur eine Vermutung, dass ich wieder schwanger bin.“ Dagobert richtete sich auf: „Es wäre....früh....“ „Sehr früh“ gestand sie: „Aber es ist ja auch nur eine Vermutung, aber Ihr wolltet, dass Ihr es so früh wie möglich wisst. Niemand weiß bislang davon. Ich bin sicher, auch noch keine Magd oder so. Es...es sind wohl erst Tage.“ „So sollte es auch einstweilen bleiben.“ Der Kaiser überlegte, wollte dann jedoch nicht erwähnen, dass er verhindern wollte, dass jemand bei einer Fehlgeburt nachhalf. Es gab probate Mittel, das wusste er. Er würde Maßnahmen in der Küche veranlassen. „Dennoch, Ihr solltet Euch zur Sicherheit schonen. Wir werden sagen, dass Eure....Krankheit vor einigen Wochen fast einen Rückfall ergeben hätte und Ihr nun ein wenig Ruhe benötigt. An der Hofjagd in drei Wochen werdet Ihr nicht teilnehmen.“ Er sah ihre Enttäuschung: „Habt Ihr Euch so darauf gefreut?“ „Ja. Ich war noch nie in so hohen Bergen.“ In ihrer Heimat gab es nur mehr bewaldete Hügel. „Ihr könnt ja mitreisen - nur nicht jagen.“ „Danke.“ „Als ob ich Euch einen Wunsch abschlagen könnte, meine schöne Kaiserin.“ Er streckte die Hand aus: „Aber versprecht mir, dass Ihr Euch schont.“ „Ich werde auf mich aufpassen.“ Markward sah irritiert auf, als sein Kämmerer sein Arbeitszimmer in Gruvenant betrat: „Ist etwas geschehen?“ „Möglich.“ Chilperich wartete auf den Wink sich zu setzen, Als er Platz genommen hatte, sagte er: „Es gab ein wenig Änderungen im Tagesablauf der Kaiserin. Soweit ich hörte, wurde ein Koch nur für sie abgestellt und an der Hofjagd übernächste Woche wird sie nicht teilnehmen. Angeblich, weil sie einen Rückfall ihrer Krankheit hatte.“ Makward zog die Augen zusammen: „Hatte sie nicht?“ „Sagen wir, nicht, dass ich wüsste. Allerdings deuten diese Handlungen des Kaisers durchaus auf einen bestimmten Sinn hin. Er handelt nie ohne Ursache.“ Er wartete, bis sein junger Herr allein auf den Gedanken kam. „Sie ist schwanger und es soll keiner wissen?“ „Ich vermute es sehr. Bislang habe ich allerdings keine Bestätigung aus ihrem Umfeld. Entweder wurden die Damen und Mägde zum Schweigen verpflichtet, oder ich irre mich.“ Markward winkte ab: „Nein, das wirst du wohl nicht. Noch etwas?“ „Ich werde beschattet. Und nicht von Anfängern.“ „Der Geheimdienst meines Vaters ist bedauerlicherweise nicht untüchtig. - Hm. Anawiga hatte schon einmal eine Fehlgeburt, darum wohl die Vorsicht. Aber sie könnte es wieder haben. Trotzdem, das ist mir zu unsicher. Vater hat mich noch immer nicht zum offiziellen Thronfolger ernannt. Und er wird es jetzt ganz bestimmt nicht tun, ehe er nicht weiß, ob er nicht einen dritten Sohn hat. Mir läuft die Zeit davon!“ Er schlug auf seinen Schreibtisch: „Ich werde verreisen.“ „Äh...ja?“ Chilperich sah keinen Grund für eine Reise, zumal das wichtige Geschehen in der Hauptstadt passierte. „Darf ich darauf aufmerksam machen, dass Ihr Euren Posten hier nur mit Genehmigung des Kaisers verlassen dürft?“ „Ja, natürlich, das weiß ich. Aber ich werde ihm sagen, dass ich Dankward besuchen will. Da wird er glücklich sein und es mir erlauben. Stattdessen werde ich jedoch Cousin Konstantin besuchen. Aus Pavero schicke ich dann eine Brieftaube, dass ich heil in Tailina angekommen bin, fertig.“ „Wird sich Euer Vater nicht wundern, wenn Dankward nichts über Euren Besuch schreibt?“ erkundigte sich der Kämmerer ehrlich verblüfft. „Ach, das hat er dann eben vergessen. Ich muss mit Konstantin reden. Er will mich unterstützen, das soll er dann mal machen. Komm, wir reiten nach Paradisa.“ Chilperich hätte um ein Haar die Achseln gezuckt. Er hielt diesen Plan für auffällig, um nicht zu sagen töricht. Aber das war Markwards Entscheidung. Er selbst würde nur seinem wahren Auftraggeber Bericht erstatten und dessen weitere Befehle abwarten. Tatsächlich genehmigte Dagobert den Bruderbesuch, froh, dass sich seine Söhne jetzt wohl besser verstanden, als schon in der Vergangenheit. Vielleicht würde Dankward Markward dann auch unterstützen, wenn der Kaiser wäre? Chilperich erhielt auf seinen Bericht nur eine kurze Brieftaubennachricht: „Uther wird am Florianstag zu Herzog Pippin der Westmark reisen. Der Plan wird durchgeführt.“ Sein Auftraggeber war, wie üblich, überaus gut unterrichtet. Und das bedeutete, dass Uther von diesem Besuch nicht lebend nach Paradisa zurückkommen würde. Der Florianstag war in drei Monaten, natürlich. Da lag sicher kein Schnee mehr und die Frühlingssonne hätte die Wege in die Westmark freigemacht. Graf Uther hütete sich den Optimismus seines Bruders bezüglich dessen Söhnen zu bremsen – aber er teilte ihn nicht ganz. Er wusste von Anawigas Schwangerschaft, hatte auch anderes gehört, und rief Michel zu sich. „Markward ist gestern abgereist, angeblich um Dankward zu besuchen,“ begann er, kaum dass dieser saß. „Angeblich?“ Michel hob die Brauen: „Ihr habt anderes mitbekommen?“ „Nun, wenn er nach Süden, nach Tailina will, warum nimmt er zum einen eine Eilkutsche, und dann fragt er noch, ob die Wege nach Pisan offen sind? Das hat einer meiner Männer mitbekommen.“ „Wenn er nach Tailina will, muss er nicht durch Pisan. Wohin will er also?“ „Ich habe Brieftauben ausgeschickt, damit ich informiert werde, wenn er wo gesehen wird, in Pisan, zunächst einmal. Sobald ich weiß, wo er ist, möchte ich, dass Ihr ihm folgt.“ „Er kennt mich,“ wandte Michel ein. „Dann müsst Ihr unter Eurem wahren Namen, aber einem Vorwand, dorthin. Er will mit Sicherheit irgendwohin, zu jemanden, den er während seiner Rundreise kennengelernt hat. Aquatica?“ „Eher unwahrscheinlich, bei den dortigen Machtverhältnissen wird er nicht sonderlich auf Unterstützung hoffen können. - Warum jetzt?“ „Was meint Ihr?“ „Warum macht er jetzt solch einen Patzer? Er hat sich doch einige Zeit als braver Sohn benommen.“ Der Graf nickte: „Er wird über seine Spione mitbekommen haben, dass Anawiga erneut schwanger ist. Und anscheinend genügte das, um ihn in Panik zu versetzen.“ „Er ist ein Idiot. Erstens ist weder gesagt dass es diesmal gut geht...was ich natürlich hoffe, noch, dass es ein Junge wird und drittens, dass der Kaiser den zum Thronfolger macht. Kein Baby.“ Man wusste ja nicht, was aus dem wurde – womöglich Markward Nummer Zwei. „Dieser Tatsachen bin ich mir bewusst, Michel.“ „Der Kaiser auch?“ Da dessen Bruder schwieg: „Nein, sagt nichts. Er hofft auf ein Wunder, dass Markward vernünftig wird und sich mit Dankward so gut versteht, dass der ihm helfen wird?“ „Nun, der Kaiser, wie auch ich, hoffen das Beste für das Reich. Übrigens auch, dass Ihr ihn unterstützen würdet.“ „Ich weiß. Ich werde es auch tun, keine Sorge. Persönliche Dinge haben nichts mit dem Reich zu tun, wie wir beide wissen. Übrigens auch meine Partnerin.“ „Ich bin durchaus erfreut.“ Aber irgendetwas in der Stimme des Kaiserbruders klang resigniert. Zwei Tage später war Michel erneut bei Graf Uther. Der nickte nur, als er hereinkam: „Pavero.“ „Pavero? Markward?“ „Ja, Er nahm in Montemariano eine andere Kutsche und gab das als Ziel an. Ist Euch klar, was das heißt?“ Michel dachte kurz nach: „Pavero ist eine Bischofsstadt – Konstantin? Der Sohn Eures Cousins?“ Und einer der wenigen verbliebenen männlichen Nachkommen der Kaiserfamilie. „In der Tat. Und mich würde wirklich brennend interessieren, was Markward von Konstantin will.“ „Schon verstanden. Ich bin auch fast schon unterwegs. - Euch fällt kein Vorwand ein, warum ich da aufkreuze?“ „Ihr reist woanders hin und seid nur auf der Durchreise. Natürlich erfordert es die Höflichkeit, dass Ihr dem Bischof Eure Aufwartung macht. Dann seid überrascht, dass auch Markward dort ist. Ihr reist nach...nach....“ „Cinquanta. Dort war ich ja erst und ich habe dort.....äh....Handelsverbindungen angeknüpft, die ich jetzt vertiefen möchte. Von jenseits des Südmeeres kommen doch so einige Luxusgüter. Ich werde mir noch etwas überlegen. Auf der Fahrt. Gehabt Euch wohl, werter Graf.“ Er stand auf und verneigte sich übertrieben. Uther seufzte: „Viel Glück, Michel. Und – begeht nicht den Fehler Markward zu unterschätzen. Sympathie oder Antipathie hat hier nichts verloren.“ „Ich weiß.“ ** Also Pavero: Michel, Markward und Konstantin....das könnte eine interessante Mischung ergeben. Kapitel 41: Pavero ------------------ Als Michel in der befestigten Bischofsstadt hoch über dem Meer ankam, deren vier Tore nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren, war er mehr als müde. Markward war mit einer Eilkutsche unterwegs und hatte eine Woche Vorsprung, den er möglichst hatte aufholen wollen. Jetzt konnten es nur mehr drei Tage sein – aber auch in diesen mochte bereits viel passiert sein. So ignorierte er seine Müdigkeit und ging unverzüglich in den Bischofspalast um sich Konstantin vorzustellen. Uther hatte Recht, es war höflich und würde nicht weiter auffallen. Der Palast war zusätzlich von einer hohen Mauer umgeben und es gab eine Menge Wachen – der gute Bischof schien nicht gerade der beliebteste Mann seines Städtchens zu sein, das scheinbar so ruhig um den Dom und den Bischofssitz herum lag. Nur der Wind, der vom unten an den Klippen liegenden Meer kam, bewies die südliche Milde der Landschaft. Bischof Konstantin war ein dunkelhaariger Mann Mitte bis Ende der Vierzig, in der schwarzen, hochgeschlossenen Robe eines Bischofs, mit dessen dunklen Umhang – obwohl er ja eigentlich nur ein Titularbischof war und kein Mann der Kirche. Aber anscheinend sah er sich eher so als als Adeliger. Er saß in seinem Arbeitszimmer und hörte sich die Vorstellung an. „Michel de la Montagne, ich erinnere mich. Es muss aber schon eine Weile her sein, dass ich Euch sah. Ich komme ja nur mehr selten nach Paradisa. Allerdings,“ fügte er mit einem Lächeln hinzu: „Würde keiner, der Euch je sah, Euch vergessen.“ Eine freundliche Umschreibung für diese aufgedonnerte Kleidung und das unvermeidliche Taschentuch. „Meine Neugier treibt mich dennoch zu der Frage, was ein Mann wie Ihr in meinem bescheidenen Ort sucht.“ „Einige Tage der Ruhe, ehe ich weiterreise, wenn Ihr es mir gestattet, verehrter Bischof. Eigentlich möchte ich nach Mania in Cinquanta. Wie Euch sicher bekannt ist, landen dort viele Schiffe von jenseits des Meeres und die Stadt ist berühmt für ihre Parfümeure. Ich kaufe stets lieber vor Ort. Das ist zwar schrecklich anstrengend so zu reisen, aber man bekommt die beste Ware.“ „Das mag sein. Und ja, Ihr seid einer der Männer, die dieser neumodischen Sitte des Parfümierens folgen. Das ist nicht so meine Sache.“ Der Bischof hob ein wenig die weißen Hände, die anzeigten, dass sie selten der Sonne ausgesetzt waren: „In den Kirchen gibt es genug Weihrauch, so dass ich auf weitere Düfte gut verzichten kann.“ Das war verständlich, zumal in manchen Gegenden mit dem Weihrauch mehr als üppig umgegangen wurde. War es hier auch so? Michel gab zu schon länger in keiner Kirche gewesen zu sein, nun, eigentlich seit der Hochzeit des Kaisers nicht mehr: „Natürlich, ehrenwerter Bischof, überdies ist es nur am Hofe notwendig...um, sagen wir ein wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Vor allem bei den Damen.“ „Also werdet Ihr ein paar Tage bleiben? Dann kommt doch morgen Abend zu meinem Empfang. Einige Leute aus der Umgebung werden auch kommen, und natürlich mein Gast.“ Michel hütete sich in jahrelanger Erfahrung zu zeigen, dass er wusste, wer das war: „Oh, ein Amtskollege? - Danke, für die freundliche Einladung.“ „Nein, nicht wirklich. - Natürlich. Kommt dann übermorgen um acht Uhr. Wo seid Ihr abgestiegen?“ Konstantin schien nachzudenken, welches Gasthaus in seiner Stadt einem solchen Besucher ansprechen könnte. „Dem Goldenen Hirschen.“ Der teuerste Gasthof der Stadt. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren, aber dieser lag auch gegenüber dem Bischofspalast und war ihm daher mehrfach günstig erschienen. „Gut. Dann werde ich Euch eine Einladungskarte dorthin zukommen lassen.“ Natürlich, eigentlich hätte er kaum fragen müssen. Er neigte ein wenig den Kopf und bewegte kaum sichtbar die Rechte. Als Höfling würde de la Montagne Bescheid wissen. „Danke.“ Michel verneigte sich auch sofort, denn die Audienz war beendet. Er richtete sich in seinem Zimmer ein, weniger, weil er annahm hier wirklich mehrere Tage zu verbringen, als um es so aussehen zu lassen. Eine Rolle musste stets perfekt gespielt werden. Dieser Empfang sollte zeigen, ob Markward noch hier war – und wie der sich dazu stellte einen Bekannten zu treffen. Er würde kaum wollen, dass seine kleine Reise zu den Ohren seines Vaters gebracht wurde. Entweder er tat als ob alles in Ordnung sei, damit nichts ungewöhnlich oder erwähnenswert schien, oder er versuchte ihn zu bestechen. Chilperich war nicht hier, also müsste der Kaisersohn allein denken – ein Widerspruch in sich. Aber Uther hatte schon Recht: vorsichtig sein und mit allem rechnen. Allerdings würde Markward kaum etwas öffentlich unternehmen können, nicht, solange ihm ein rechtlicher Vorwand dafür fehlte. Und Michel beschloss, dass er sich auf keine Duellforderung des Kaisersohns einlassen würde. Dann schlief er erst einmal aus, ehe er ein wenig durch Pavero schlenderte, ganz in der Rolle eines neugierigen Reisenden. Dabei entging ihm nicht, dass er beschattet wurde. Konstantin schien vorsichtig zu sein. Konstantin? Oder Markward? Hatte der seinem entfernten Cousin schon gesagt, dass niemand aus Paradisa wissen sollte, dass er hier sei? Ein wenig vermisste er selbst seine Partnerin. Er hatte sich in den vergangenen Monaten daran gewöhnt, seine Gedanken mit ihr besprechen zu können, sie einfach an seiner Seite zu haben. Solche Alleingänge hatte er früher stets gemacht, aber irgendwie war eine zahme Bulldogge doch etwas Beruhigendes. Markwards Anwesenheit würde jedenfalls auch erklären, warum sich der gute Bischof nicht die Mühe gemacht hatte, nach dem Wohlbefinden des Kaisers und seiner Familie zu fragen, wie es doch üblich war, kam man aus Paradisa. Und Konstantin gehörte ja, wenn auch entfernt, zur kaiserlichen Familie. Nun, gleich. Er sah sich um. Das Städtchen lebte von Fischerei und Handel, aus beiden Bereichen gab es genug Geschäfte und auch Gasthöfe. Es wirkte eigentlich relativ ordentlich – sah man von den Straßen ab. Aber außerhalb der Kernlande wurde der Müll und sonstige Abfall nie entfernt oder nur selten. Dagobert hatte da ein sehr gutes System eingeführt, nahm Michel zumindest an. In Paradisa wurde auch der Abfall auf die Straße geworfen, allerdings gab es eine Vorschrift, dies nur nach einer bestimmten Nachtzeit zu tun. Dann trieben im ersten Morgengrauen Leute ihre Schweine durch die Straßen, die alles fraßen, was sie vertrugen – und so für ihre Besitzer schlachtreif wurden. Es war eine Möglichkeit auch ärmeren Menschen zu einem Zubrot zu verhelfen. Danach gingen dann die Sammler durch, die in den Überresten nach Verwertbarem suchten und es an einen Alteisenhändler oder ähnliches verkauften. Dann kamen die Ärmsten, die sich selbst diese Lizenzen noch nicht hatten leisten könnten und fegten die Überreste zusammen, um sie auf einem Karren, den ihnen der Stadtrat von Paradisa stellte, hinaus vor die Stadt zu fahren, wo jemand in kaiserlichen Diensten sie verbrannte. Es war auch für die Stadt eine relativ teure Angelegenheit, aber Michel musste zugeben, dass Paradisa seit Jahrzehnten vor großen Cholera-Epidemien und Typhus verschont geblieben war. Hier sah das wohl anders aus, dachte er unwillkürlich, als er am Friedhof vorbeiging und sehr viele Namen aus dem Winter vor vier Jahren las. Dagobert hatte manchmal schon verrückte Ideen – und die Macht sie zumindest im Kernland durchzusetzen. Anscheinend dachte er sich wirklich etwas dabei und Michel entschuldigte sich in Gedanken bei ihm – schließlich hatte es ihn zunächst amüsiert, dass sich der Kaiser Sorgen um den Müll machte. Aber so hatten Menschen sogar Gelegenheit von der Müllabfuhr irgendwie zu existieren und wurden weniger leicht kriminell. Wie sagte man so schön, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ob seinem Beschatter nicht langweilig wurde? Er sollte sowieso in den Gasthof zurückgehen und sich Garderobe für den heutigen Abendempfang aussuchen. Auch hier fiel ihm wieder auf, dass es ungewöhnlich viel Wachen waren. Entweder Konstantin hatte ein überaus hohes Schutzbedürfnis – oder nutzte die eigentliche Stadtwache auch zur Repräsentation. Immerhin würden allen Besuchern die Bewaffneten auffallen – Zeichen eines gewissen Reichtums. Im großen, von breiten Granitsteinsäulen gestützten, Saal erwartete der Bischof seine Gäste, auf einer dreistufigen Empore am anderen Ende des Raumes sitzend. Nun ja, eindeutig gab er gern an, das zeigten auch die sicher teuren Teppiche an den Wänden, die Ständer an den Mauern und Säulen mit je bis zu dreißig Wachskerzen. Michel beschloss jedoch den Mund zu halten. Das ging ihn nichts an und in Pavero war Konstantin nun einmal der Herr. Solange er dem Kaiser die notwendigen Abgaben zahlte, konnte er mit dem Rest seiner Steuern machen was er wollte. Fast direkt neben dem Bischof stand Markward. Als er den Agenten entdeckte, funkelte etwas in seinen Augen und er bückte sich zu Konstantin, um dem etwas zuzuflüstern. Aus langjähriger Erfahrung und gesundem Instinkt hatte Michel das Gefühl es wäre besser zu gehen. Aber er konnte jetzt unmöglich zurück. Etwas betonter als je sein Taschentuch wedelnd ging er durch den Raum und verneigte sich ein wenig, jedoch höflich genug, vor dem Stadtherrn und einmal extra vor dem Kaisersohn. Er zeigte ein gewisses Erstaunen, den hier zu sehen, aber das schien ihm nur zu seiner Rolle zu passen. Offiziell wusste niemand, dass Markward abgereist war, gar in den Süden. Der Kaisersohn lächelte und Michel erkannte in diesem Moment, dass er sich in diesem einen Feind fürs Leben geschaffen hatte, warum auch immer. „Der edle don de la Montagne, welche Überraschung. Nun, werter Cousin Konstantin, ich bin wirklich erfreut, ihn hier und heute Euch sozusagen vorstellen zu können.“ Obwohl das Gesicht des Agenten mit einem fragenden Lächeln verziert wurde, überschlugen sich seine Gedanken. Was war hier los? Was plante Markward? „Oh, natürlich, werter Markward,“ erwiderte Konstantin ruhig: „Aber zunächst würde ich doch vorschlagen, dass wir alle ein wenig von den vorzüglichen Happen meiner Küche zu uns nehmen, die soeben herumgereicht werden. Don de la Montagne, ich bin sicher, selbst Euer verwöhnter Gaumen wird Spaß daran haben. Meine neuen Köche stammen aus dem nördlichen Pisan und haben auch im Süden gelernt. Sie sind wahre Meister ihrer Kunst.“ Falle oder nicht? Hörte er schon das Gras wachsen? War er so nervös, weil seine Partnerin nicht hier war? Michel neigte jedoch nur höflich den Kopf und suchte sich einige der wirklich nett anzusehenden Häppchen von einem vorbei getragenen Tablett. Hier konnte nichts vergiftet worden sein, außer der Bischof wollte alle Besucher umbringen – und dieser selbst nahm auch von einem Diener. Nein. Konstantin war wohl weniger das Problem als Markward. Der hatte irgendetwas vor – nur was? Gegen ihn als Person? Gegen ihn als Agenten? Nein, davon konnte der doch nichts wissen. Sie waren immer so vorsichtig gewesen. Er hätte wirklich nicht geglaubt, dass ein Partner so beruhigend wäre Aber ihm war klar, dass er seine Rolle spielen musste. Aufgeflogen oder nicht, es war seine einzige Chance, und so streifte er umher, machte den Damen Komplimente – und hütete sich davor etwas Verdächtiges zu unternehmen. Es war bereits gegen Mitternacht und die ersten Gäste brachen auf. Michel sah seine Option und wollte sich unauffällig ebenfalls zurückziehen. Als er sich etwas vor dem Bischof verneigte, durchaus Abschied nehmend, meinte Konstantin: „Oh, werter don de la Montagne, kommt doch noch.....Markward, der uns allen Teure, wollte mir noch etwas zeigen und erwähnte, dass er Eure Gegenwart dabei schätzen würde.“ Markward. Aber was blieb ihm schon übrig? So folgte er dem Bischof in einen Seitenraum, von dem aus drei weitere Türen abgingen. Ansonsten war dieser unmöbliert, die Wände unverziert. Eindeutig ein Raum für Diener oder Wachen. Der Kaisersohn stand dort und lächelte ihn an. „Ja, werter Cousin Konstantin, ich habe mich nicht getäuscht. Da Ihr so freundlich wart mir Eure Unterstützung zuzusagen, könnt Ihr dies auch gleich durch Taten beweisen.“ Michel spannte sich instinktiv an. Er war unbewaffnet und sehnte sich mehr denn je nach Sarifa. Hatte ihm das Emsby-Abenteuer nicht bewiesen, wie wichtig es war, eine verborgene Waffe bei sich zu haben? Er blickte jedoch zum Hausherrn. Konstantin streichelte ein wenig sein Kinn: „Nun, gewiss, teurer Cousin. Allerdings muss ich zugeben, dass ich es fast nicht glauben kann.....“ „Genau das ist es ja. Er ist perfekt. Niemand kommt auf den Einfall und ich bin sicher, Ihr wisst, wie mein Vater und Onkel denken.“ Der Bischof nickte ein wenig, ehe er vollkommen gelassen sagte: „Gut. - Nehmt ihn fest.“ Michel wollte herumfahren, fand sich aber in dem Griff von vier Geharnischten, die ihm geübt die Hände auf den Rücken banden: „Was...soll das?“ fragte er daher den Hausherrn. „Ihr seid nicht berechtigt...“ Da sah er Markwards Lächeln und ihm wurde kalt. Was hatte dieser Mistkerl ausgebrütet? Konstantin nickte: „Oh, Ihr versteht nicht? Dann möchte ich Eure Unwissenheit erleuchten, schon aus reinem Mitleid. Mein verehrter Cousin gab mir nur zu deutlich zu verstehen, lieber don, dass Euer gesamtes Verhalten nur Tarnung ist und Ihr in Wahrheit einer der besten Männer des Geheimdienstes seid. Und auf ihn angesetzt.“ Michel starrte Markward zutiefst geschockt an, dann den Bischof. Das war unmöglich, nein, das konnte nicht sein? Wie hätte dieser dämliche Markward davon Wind bekommen sollen? Und, noch schlimmer, was hatten sie nun vor? Darüber sollte er nicht lange im Unklaren bleiben: „Ich gehe dann mal lieber, Cousin Konstantin“ Der Kaisersohn verließ den kleinen Raum, nicht, ohne dem Gefangenen noch einen zufriedenen Blick zuzuwerfen, sich doch das „Viel Spaß...“ sparend. Der Bischof dagegen sagte: „Ich versprach ihm meine gewisse Unterstützung. Falls er sich irrt und Ihr nicht für den Geheimdienst des Kaisers arbeitet, tut es mir Leid um Euch. Denn mein...Verhörleiter wird Euch sicher kein Wort glauben, ehe Ihr nicht zusammengebrochen seid und über alles redet. Bringt ihn in den Kerker.“ Michel rang noch immer nach Worten, aber ihm war bewusst, dass diese verschwendet gewesen wären. Auch Konstantin kehrte nun zu seinen Gästen zurück. Und die Männer hier würden ihrem Befehl folgen. Um Hilfe rufen? Wer sollte ihn auch nur hören oder gar ihm helfen? Markward! Ihm wurde langsam klar, dass dieser nichts von ihm und seinem Verhältnis zu Uther wusste – aber er hatte es behauptet, um einen Mann loszuwerden, den er nicht leiden konnte. Einfach so, obwohl er wissen musste, was das bedeutete. Und leider wusste es Michel auch. Als ihn die Geharnischten durch Seitengänge hinunterführten, konnte er nicht verhindern, dass sich sein Magen verkrampfte. Der Verhörleiter....Er hatte solche Typen schon kennengelernt, wenn auch noch nie am eigenen Leib, aber es ihm war klar, was das für ihn selbst hieß. Der würde ihn unbarmherzig in die Mangel nehmen, wortwörtlich, und es wäre dem vollkommen gleich, wie viele Schmerzen er ertragen konnte. Er würde ihm erst glauben, wenn er nicht mehr wusste, was er sagte. Eine schwere Tür wurde geöffnet und der Gefangene schrak fast vor der dumpfen Luft zurück die aus der Dämmerung eines Treppenhauses aufstieg. Jemand kam mit einer Fackel herauf, ein in bürgerliche Tracht gekleideter Mann, sicher nicht der Henker, aber wohl dieser Verhörleiter. Dieser betrachtete den Gefesselten vor ihm, suchte seine Angst zu finden, seine schwache Stelle. Der Bischof hatte ihm gesagt dass es um hohe Politik ging und dieser Mann nicht leicht zu brechen wäre. Das mochte sein, aber erhöhte den Reiz. Natürlich nur für ihn selbst. „Hinunter mit ihm.“ Die meisten Delinquenten, die das erste Mal eine Folterkammer betraten, verrieten unbeabsichtigt vor was sie am meisten Furcht verspürten. So wich er beiseite, als er in seinem kleinen Reich angekommen war, und musterte den Gefangenen. Michel presste unwillkürlich die Zähne zusammen, als er die wartenden Henkersknechte und die Geräte sah. Er war schon einige Male in solchen Räumen gewesen – aber nie gefesselt und als Opfer. Er spürte, wie eine eisige Faust seinen Magen umkrampfte, während ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Solche Angst hatte er schon lange nicht mehr empfunden. Bei manchen Dingen wusste er nicht, was sie bewirkten, und irgendwie wollte er es auch gar nicht wissen. „Macht ihm die Fesseln auf,“ befahl der Verhörleiter: „Und du solltest dich lieber allein ausziehen. Nur die Oberbekleidung, selbstverständlich, keine Angst....“ Michel gehorchte. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er spürte, wie er zitterte, und bemühte sich nicht das zu verbergen. Er hatte Angst, ja, aber diese Kerle wussten, dass jeder Delinquent hier Panik schob – wozu Kraft damit verschwenden das zu tarnen. Er würde noch alles brauchen, was er besaß. Der Verhörleiter nickte, als er die große Narbe an der Schulter entdeckte, andere, die von Duellen und Kämpfen erzählten. Ja, der Bischof hatte wohl Recht. Dieser Mann war schon durch Schmerzen gegangen. Er würde versuchen zu widerstehen. Das konnte eine interessante Sitzung werden. Michel stöhnte auf, als er gegen ein Brett voller alter Blutflecken gezogen und gedrückt wurde, dessen scharfe, verfärbte Spitzen sich tief in seinen Rücken bohrten. Noch während er aufschreiend dort oben und unten an zwei Walzen angekettet wurde, wusste er, dass er jedes Mal, wenn er sich vor Schmerzen in seinen Fesseln wand, sich an den Dornen nur noch mehr verletzen würde. Mistkerle! Und am Schlimmsten war Markward. Ohne es zu ahnen hatte der zwar auf den Richtigen gezeigt, aber das machte es nicht besser. Der älteste Sohn des Kaisers war bereit gewesen, jeden harmlosen Mann als Agenten zu bezeichnen, nur um eine ihm unsympathische Person loszuwerden. Und leider war er hier allein. Nichts und niemand würde ihm helfen können. Natürlich würde Graf Uther ihn irgendwann vermissen, nachforschen lassen, aber er wusste nur zu gut, dass nichts dabei herauskommen würde. Und er wusste auch, dass er am Ende doch alles erzählen würde, weil ihm gar nichts anderes übrig blieb. Danach war er nutzlos und würde beseitigt werden. Sarifa.... Nie zuvor hatte er einen Namen so intensiv gedacht wie in diesem Moment, als der Verhörleiter auf ihn zukam: „Nun, junger Freund, dann wollen wir doch einmal über die Tätigkeiten des Geheimdienstes reden, nicht wahr?“ Er nickte etwas und die Henkersknechte gehorchten dem stummen Befehl, drehten an der Walze. Michel keuchte auf. Es fühlte sich jetzt schon an, als ob glühendes Eisen durch seine Achseln jagte – und es würde noch schlimmer werden. Irgendwann würden sie ihm die Gelenke ausreißen. „Ich weiß nicht, was Ihr Euch davon versprecht...“ gab er jedoch zurück. Seine einzige Chance war es Zeit zu gewinnen, damit Graf Uther alles ändern konnte, was er wusste. Es würde ein sehr schmerzhafter Versuch bleiben, das war ihm klar. Und vielleicht hatte er nie zuvor seinen Mut so bewiesen wie jetzt. There's a man who leads a life of danger To everyone he meets he stays a stranger With every move he makes, another chance he takes Odds are he won't live to see tomorrow. Secret agent man, Johnny Rivers ** Michel wird Markward kaum für den Friedensnobelpreis vorschlagen – falls er überhaupt je wieder lebendig da rauskommt. Es kann sein, dass das nächste Kapitel nicht nächsten Mittwoch kommt, da mein Computer...erneuert werden muss. Kapitel 42: Partner ------------------- Graf Uther ging langsam durch den Palast. Nachts hatte er wie üblich als Geheimdienstleiter gearbeitet, aber selbst sein gewöhnlich so kurzer Schlaf im Morgen hatte ihn geflohen. Er hatte einen Fehler begangen, das sagte ihm sein Gefühl – und er war niemand, der so etwas nicht bereinigen wollte. Allerdings war durchaus fraglich, wie sich Dagobert dazu stellen würde. Im letzten Vorraum, dem ersten, in dem er als Kaiserbruder angehalten wurde, sagte er nur knapp: „Ich bitte Seine Hoheit um unverzügliche Audienz.“ Der Sekretär nickte nur und verschwand hinter den Türen. Wann immer Uther diese Bitte stellte – es war noch nie in den fast fünfzig Jahren vorgekommen, dass sie ihm verweigert worden wäre. Auch jetzt musste Kanzler Godomar das Feld räumen und warf nur einen besorgten Blick auf den Grafen – er wusste um dessen Tätigkeit. Dagobert erhob sich: „Uther, komm, setzen wir uns an den Kamin, dort ist es wärmer – und ich fürchte, dein Herkommen verheißt nichts Gutes. Du siehst abgehetzt aus....“ fügte er besorgt hinzu. „Eine durchwachte Nacht. - Markward gab dir gegenüber an nach Tailina zu reisen und du hast es ihm bewilligt.“ „Mir erschien ein Bruderbesuch.....Moment. Er gab es nur an. Wohin ist er?“ Dagobert mochte versuchen ein liebevoller Vater zu sein – seinen Verstand schaltete er deswegen noch lange nicht ab. „Pavero. Ich habe Michel hinterher geschickt. Es ist von sicher großem Interesse, was Markward von Konstantin will.“ „Unterstützung für seine Thronfolge. Konstantin ist sozusagen der letzte männliche Verwandte für ihn, außer seinem Bruder, den er hat. Zwar sind beide nun Bischöfe aber er will wohl sichergehen.“ Und Dankward hatte ja schon abgelehnt je Kaiser werden zu wollen. „Ja, vermutlich. Nur, was mich vergangene Nacht um den Schlaf brachte: Markward hat eine persönliche Aversion gegen Michel. Dieser muss, da ihn auch Konstantin kennt, unter seinem richtigen Namen auftreten. Ja, auch Michel mag Markward nicht, aber er ist ein Profi.“ Der Kaiser zog die logische Schlussfolgerung: „Das heißt, du möchtest Sarifa bei Anawiga abziehen und ihm hinterher senden? Uther, ich schätze dich und ich bin der Letzte, der nicht weiß, was du für mich getan hast und immer noch tust. Aber Anawiga ist schwanger.“ „Du willst nächste Woche doch sowieso auf die Reise gehen, diese Hofjagd, und sie mitnehmen. Rund um euch wird es vor Menschen und Leibwachen wimmeln. Und es wird niemandem auffallen, wenn sie dein Zimmer bei Nacht teilt. - Ich habe Sarifa selbst zu Anawiga befohlen und ich würde dich nicht um sie zurück bitten, wäre sie nicht die Einzige, die das schafft. Ich möchte weder dass Markward oder Konstantin, geschweige denn aber auch Michel, mitbekommen, dass sie im Hintergrund agiert.“ Außer, natürlich, ein Notfall traf ein, dann war es wohl kaum zu verhindern. Dagobert atmete tief durch als er seine Hände auf die Tischplatte legte. „Du fürchtest, Markward könne, aus Politik oder schlicht Abneigung, Michel eine Falle stellen, ihn in ein Duell ziehen oder sonst etwas, das Konstantin das Recht gibt ihn zu verurteilen. - Seit wann hast du solche Furcht vor Markward?“ „Seit er diesen Chilperich hat und noch jemanden, den ich nicht herausfinden kann. Markward selbst ist nicht sonderlich intelligent aber ehrgeizig, in aller Regel eine fatale Mischung. Hat er aber auch noch kluge Berater wird es wirklich schwierig.“ Uther seufzte ein wenig: „Ich musste mir in meinem Beruf angewöhnen Namen rot durchzustreichen und mir war immer klar, dass das auch bei Michel passieren kann. Aber, bitte, Dagobert, nicht, ohne dass ich versucht habe, das, was ich als Fehler erkannt habe, auszumerzen.“ Der Kaiser nickte und stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und klingelte. Dem unverzüglich eintretenden Diener befahl er, die Kaiserin und Prinzessin Sarifa zu holen. Uther schwieg überrascht. Erst, als sie allein waren, fragte er: „Du willst es beiden sagen?“ „Das Notwendige, ja. Beide sind intelligente junge Frauen und, wenn ich eines gelernt habe: solche Leute arbeiten besser, wenn sie Bescheid wissen.“ Nur kurz darauf wussten Anawiga und ihre Kämmerin, dass Markward gelogen hatte und zu Cousin Konstantin gefahren war, und Sarifas Partner hinterher gereist war, wohin auch diese zur Sicherung sollte. Sie hatten die seltene Ehre erhalten an dem Tischchen mit Dagobert und Uther zu sitzen. „Markward,“ seufzte die Kaiserin, die diesen Namen langsam nicht mehr hören konnte: „Ja, natürlich werde ich ohne....meine Dame besonders aufpassen. Und ich bin durchaus erfreut, Euer Zimmer teilen zu dürfen, mein Gemahl, mehr von Eurer Gegenwart zu haben.“ Sarifa dagegen erkundigte sich bei ihrem Auftraggeber: „Auch mein Partner soll nicht wissen, dass ich ihn beschatte.“ „Nein,“ erwiderte Uther: „Womöglich entstammt mein Bedenken wirklich nur einer schlaflosen Nacht. Er soll nicht glauben, dass ich ihm nicht vertraue. Nur, für den Fall der Fälle – ein Helfer im Hintergrund schadet nie. Er reiste gestern mit einer Eilkutsche ab. Markward hatte eine Woche Vorsprung, und ich vermute, er wird ihn so gut es geht einholen wollen. Ihr bekommt noch Bankbriefe, damit sollte es Euch möglich sein, von hier bis Pavero die jeweils schnellsten Kutschen zu beschaffen.“ „Weitere Anweisungen?“ erkundigte sich die Assassine sachlich und den anderen Dreien am Tisch wurde etwas kühl. Hastig sagte der Kaiser: „Nur eine: keine Toten.“ Das fehlte noch, dass er seinen eigenen Sohn oder auch seinen entfernten Cousin den Messern der jungen Dame vor ihm aussetzte. Sie würde sie umbringen, dachte er resigniert, und vermutlich keine Sekunde zögern. Assassinen erledigten ihren Auftrag immer und unter allen Umständen, hieß es. Nein, die Hilfe für Michel war eine Sache – das Andere wäre wegen Hochverrates eine Sache für den Henker. Aber noch hatte Markward keinen derart schwerwiegenden Fehler begangen und der geplagte Vater hoffte eigentlich schwer, dass es dabei bleiben würde. Uther behielt Recht: nur einen Tag später als Michel traf Sarifa in Pavero ein, allerdings nicht mit der Eilkutsche. Diese hatte sie an der letzten Station verlassen und sich stattdessen dort zwei Pferde besorgt. Sie sollte Michel zwar nur beschatten, fand es jedoch besser beweglich zu sein. Und im Notfall auch für ihren Partner gesorgt zu haben. Sie war nicht die geübteste Reiterin und hatte zunächst einige Probleme, bis sie herausfand, wie man ritt und ein Handpferd führte. Außerhalb der grauen Stadtmauern von Pavero ließ sie sie im Wald verborgen zurück, gut angebunden, aber die Trensen entfernt, so dass sie weiden konnten, ehe sie einen Bauern, der in die Stadt fuhr, mit einigen Münzen überredete, sie mitzunehmen. Schließlich besaß sie einen Passierschein der kaiserlichen Kanzlei, der ihr jederzeit Ein- und Auslass durch alle Tore des Reiches sicherte. Auch hier wurde kaum ein Blick darauf geworfen, zumal der lange graue Umhang die Tatsache verbarg, dass sie seltsame Kleidung, einen Brustpanzer und Stiefel trug. Nach einem kurzen Dank an den Bauern sprang sie von dem Karren und sah sich rasch um. Michels Angewohnheit und Rolle kennend, fiel es ihr nicht schwer, den Goldenen Hirschen zu finden und in einer beiläufigen Unterhaltung zu bestätigen, dass er wirklich hier abgestiegen war. Dabei fiel ihr auf, dass drüben am und im Bischofspalast reges Treiben herrschte. Kutschen, schwer beladen mit Fässern und allerlei Gütern fuhren vorbei. Sie ging hinterher. Tatsächlich. Sie waren für den Bischof bestimmt und wurden an einer Hintertür ausgeladen. Das sah nach einem Fest aus und Michel würde doch sicher daran teilnehmen. Bald ging die Sonne unter..... Sie suchte sich eine ruhige, unbeobachtete Seitenstraße, ehe sie an einer Wand emporkletterte, um auf die Dächer zu gelangen. Behutsam schlich sie dort im Schatten der Kamine und vereinzelten Dachgärten, auf denen Wäsche zum Trocknen hing, entlang, ehe sie sich an den Kamin des Goldenen Hirschen setzte, bemüht, von keinem Dachgarten, aber auch nicht vom Bischofspalast gesehen zu werden. So zog sie sich die Kapuze ihres grauen Umhangs über den Kopf und wartete geduldig, eins mit den länger werdenden Schatten. Später entdeckte sie ihren Partner, der über die Straße zum Palast ging, offenbar eine Einladung vorwies, wie sicher hundert andere Leute auch. Tatsächlich. Da fand wohl heute ein großer Empfang statt – für Markward oder Michel? Oder war es hier einfach so üblich? Sie beobachtete gelassen, wie hell das Licht in dem größeren Saal dort drüben war – obwohl es noch Winter war, war die Temperatur hier im Süden doch auch schon nachts so erträglich, das man auf die schweren Vorhänge verzichten konnte. Überdies würden die Kerzen und Menschen den Raum zusätzlich aufheizen. Die Zeit schritt voran, und sie erkannte, dass immer wieder einzelne Gruppen, wohl Familien, ihre Kutschen vorfahren ließen und sie bestiegen. Die Lichter im großen Saal wurden dunkler, erloschen. Nur in einigen Zimmern des Bischofspalastes brannte noch Licht, vielleicht Markward und der Bischof? Übernachtungsgäste? Der Empfang schien jedenfalls vorbei zu sein. Das andere Licht dort unten waren wohl die Küchenräume, in denen nun geputzt und aufgeräumt wurde. Sarifa wartete weiter - wurde nervös. Sicher, Graf Uther hatte ihr gesagt, sie solle unauffällig bleiben, weder Michel noch Markward dürften bemerken, dass sie ihren Partner beschattete, aber... Ja, aber. Wo steckte er? Es war schon weit nach Mitternacht und alle anderen Gäste waren gegangen. Warum also kehrte Michel nicht zu seiner Unterkunft zurück? Übernachtete er im Palast, um etwas herauszufinden? Eher unwahrscheinlich, dazu hätte ihm doch jeder Vorwand gefehlt, wenn er schon direkt gegenüber wohnte. Die Assassine beschloss nachzusehen. Er war ihr Partner. Sie überprüfte in einer kurzen Kletterpartie sein Zimmer. Nicht, dass sie einen Fehler begangen hätte. Es war leer. Wo also steckte er? Leider war der Bischofspalast ausnehmend gut bewacht, so dass ein Einbruch kaum ohne weitere Erkundigungen gelingen dürfte. Nun, sie musste irgendwie hinein. Warum nicht den direkten Weg nehmen? Sie zog die Kapuze enger um ihren Kopf und den bodenlangen Umhang fester, als sie sich dem Tor näherte. Die beiden Wachen dort sahen sie nur mit gewissem Interesse an. Sollte sie sie beseitigen? Aber das würde auffallen. Und welche Geschichte sollte sie ihnen erzählen? Als sie vor dem Wächter stand war es der reine Instinkt, der sie ehrlich sagen ließ: „Ich möchte mit dem Bischof sprechen.“ Zur Not bekam sie eben in wenigen Stunden, am Morgen als erste Person Audienz. „Oh, natürlich,“ erwiderte der Posten mit einem eigenartigen Lächeln: „Ich begleite Euch zu den nächsten Posten, ma donna.“ Irritiert, aber zufrieden, folgte sie dem Mann. Falls es eine Falle wäre, könnte sie sich wehren. Allerdings stieg ihre Verwunderung von Posten zu Posten, die sie alle weiter begleiteten, immer dieses seltsame Lächeln dabei. Endlich stand sie allein in einem Zimmer. Einem Schlafzimmer, wie sie rasch entdeckte. Es musste sich um das Schlafzimmer des Bischofs handeln. Jetzt begriff sie auch die Wachen. Deren Verhalten ließ deutliche Rückschlüsse auf dessen Lebenswandel zu – nur keine keuschen. Sie musste nicht lange warten, ehe Bischof Konstantin den Raum betrat. Etwas verwundert schloss er die Tür: „Welche reizende Überraschung, meine Liebe. Ich kann mich gar nicht erinnern jemanden herbestellt zu haben.“ Er wollte näher gehen, als er einen festen Zug an seiner Robe spürte. Erstaunt sah er an sich hinunter – und erschrak zutiefst. Ein Messer steckte zwischen seinen Beinen, hatte seine Kleidung und auch ihn an die Wand genagelt – und seine empfindlichste Körperstelle um Millimeter verfehlt. Noch ehe er reagieren konnte, stand seine Besucherin vor ihm und er spürte kalten Stahl an der Kehle. „Nicht doch, Bischof,“ sagte Sarifa freundlich: „Ihr werdet nicht schreien. Falls Ihr danach Lust verspürt, so kann ich Euch versprechen, dass es ein äußerst kurzer Schrei werden wird.“ Er versuchte seinen Stolz zu wahren – aber mit zwei Klingen an derart sensiblen Stellen war das gar nicht so einfach: „Wer...seid Ihr?“ brachte er hervor und versuchte unter die Kapuze zu blicken. „Ich bin eine Assassine.“ Konstantin schluckte trocken. Er hatte von diesem Volk gehört, wenn auch geglaubt, es sei ausgestorben. Und er wusste, dass nichts und niemand einen Assassinen von dem Weg zu seinem Ziel abhalten konnte: „Bin....bin...ich Euer Ziel...?“ Irgendwie schaffte er es diese Worte hervorzustoßen: „Warum?“ Sarifa erkannte den Mut im Angesicht des Todes an, ehe sie schlicht meinte: „Nein. Ihr steht mir nur im Weg.“ Ein zittriges, erleichtertes Aufatmen: „Oh...ich...ich würde Euch gern aus dem Weg gehen...“ beteuerte er aufrichtig. „Gut.“ Sarifa drückte die Klinge einen Millimeter weiter in seine Haut: „Dann werdet Ihr mir sicher eine Frage beantworten. Anschließend gehe ich und wir scheiden als gute Freunde.“ „Ja, natürlich....“ Der Bischof war in Panik. Nie zuvor hatte er den Tod derart vor Augen gehabt – oder eher nicht, denn das Messer zwang ihn zur Decke zu blicken. „Heute war ein Mann namens Michel de la Montagne bei Euch. Wo ist er jetzt?“ „Warum...?“ Konstantin brach ab, da er spürte, wie die Klinge in seine Haut schnitt und der erste feine Blutstropfen rann: „Er...er ist..im Kerker.“ „Wie unschön für Euch,“ sagte sie kalt, ohne erkennen zu geben, dass sie das besorgt machte. „Was...was wollt Ihr von ihm...?“ „Er ist meine Zielperson.“ Und das war nicht gelogen, wenn auch zweideutig, das gab sie gern zu. „Ich...wenn Ihr wünscht...ich gehe mit Euch hinunter, dann...dann könnt Ihr Euren Auftrag erfüllen.....“ „Natürlich,“ meinte sie zynisch: „Ich gehe freiwillig in Euren Kerker. - Nein. Ihr werdet unverzüglich Anweisung geben ihn aus der Stadt zu bringen. Dann kann ich mich um ihn kümmern.“ „Ja, natürlich.....“ „Ich habe Euer Wort, Bischof!“ Sie zog zu seiner unbedingten Erleichterung den Dolch zwischen seinen Beinen hervor, ohne den an der Kehle freilich wegzunehmen. „Ja, wie Ihr wünscht.... Das Südtor...“ „Gut. So will ich Euch glauben.“ Sie wich zurück: „Falls Ihr mich betrügen wollt, wäre das ein ziemlich dummer Fehler. Ich komme jederzeit an Euch heran, wie Ihr gesehen habt.“ Mit einer raschen Handbewegung zerschnitt sie den Wandteppich neben ihm. Der Bischof nickte nur. Dass sie soeben ein Kulturgut von hunderttausend Gulden vernichtet hatte, sollte er ihr besser nicht sagen. Das war eine Warnung gewesen – und es war nur Geld. Als er blinzelte, war sie weg. Michel hing keuchend in seinen Fesseln. Das war härter, als er es sich vorgestellt hatte – und er hatte nicht gewusst, dass eine solche Tortur derartige Schmerzen verursachen konnte. Ob je jemand erfahren würde, was aus ihm geworden war? Noch hatte er es vermocht seine Rolle zu spielen, nichts als den hochmütigen Landadeligen darzustellen, aber die Arroganz hatte ihn schon lange verlassen. Nur die Tatsache, dass er IHN nicht verraten wollte, hatte ihn noch zum Schweigen gebracht. Aber wie viel würde er noch ertragen können? Oder müssen? Er sah unwillkürlich auf, als der Verhörleiter mit Schergen herankam. „Nehmt ihn!“ befahl dieser. Michel konnte ein eiskaltes Gefühl im Magen spüren, als sie ihn losbanden und ihm die Hände auf den Rücken fesselten. Er fiel fast hin, durch das stundenlange Stehen, den scheinbar endlosen Schmerz. Was kam nun? War es für heute vorbei? Für diese Nacht? Oder wartete auf ihn etwas noch Schlimmeres? Ein schwarzer Sack wurde ihm über den Kopf gestülpt und um seinen Hals festgebunden. Angst. Etwas anderes konnte er nicht mehr denken. Panische Angst. Trotzdem war er Profi genug unterbewusst aufzupassen. Ein Kellergang, Treppen, dann Geräusche wie von rauschenden Bäumen, Kiesel unter seinen Schuhen, dann kühle Frischluft an seinem bloßen Oberkörper, die auch durch den Sack drang. Sie brachten ihn aus dem Bischofspalast. Nur – wohin? Straßenpflaster. Immer wieder wurde er weiter geschubst, fiel oftmals fast hin, wurde gerade noch abgefangen. Keine Vögel, also musste es noch dunkel sein. Jemand sagte: „Öffnet die Pforte, Befehl des Bischofs!“ Eine Tür knarrte leise. Wohin brachten sie ihn? Die Straße wurde ungepflastert und ihm wurde klar, dass er sich nun außerhalb der Stadt befinden musste. Ja, wenn er sich konzentrierte – da waren Bäume, die im Nachtwind sich bewegten. Gab es eine Chance zur Flucht? Zum ersten Mal seit Stunden überprüfte er seine Fesseln. Aber die Stricke waren fest gebunden und es waren mindestens vier Mann um ihn. „Hier, das müsste reichen,“ sagte der Anführer. Wollten sie ihn hier umbringen? Michel spannte sich an, obwohl er gleichzeitig dachte: was für ein sinnloser Aufwand. „Viel Spaß, Kumpel. Dein Tod wird gleich kommen!“ Jemand stieß den Gefangenen voran. Michel fing sich gerade noch vor dem Stürzen, während er bereits hörte, dass die Wachen gingen. Was nun? Gefesselt, halbnackt und ohne Orientierung in einem nächtlichen Wald zu stehen war nicht besonders prickelnd. Und was sollte das heißen: sein Tod würde gleich kommen? Gab es hier Wölfe oder kam ein Henker? Er hörte leise Schritte und spannte sich unwillkürlich erneut an. Eine Hand fasste seinen Oberarm und er richtete sich auf - bereit für den tödlichen Stoß. Sarifa bemerkte es und wusste, warum sie ihn bewunderte. Ihre Schuld, sie hätte es gleich sagen müssen. So meinte sie, während sie ihm die Schlinge vom Hals nahm und den Sack abstreifte: „Man kann dich wirklich keine zwei Tage allein lassen!“ „Mein Engel,“ sagte er nur heiser, aber darin lagen alle Emotionen eines Mannes, der dem alten Herrn mit der Sense gerade entkommen ist. „Es tut mir Leid, ich war etwas spät dran,“ erklärte sie und schnitt seine Hände los. Sein Rücken sah ja übel aus – das waren gut vierzehn Löcher, als ob ein großer Dorn drin gesteckt hatte – natürlich so, dass es nicht tödlich wurde. Das müsste man desinfizieren und er würde kaum lange reiten können, abgesehen von allem Anderen, was sie ihm womöglich angetan hatten. In seiner rauen Stimme lagen noch immer die Schreie der letzten Stunden: „Sagen wir es so, du hast mich aus dem Kochtopf geholt als er schon über dem Feuer hing.“ Er rieb seine taub gewordenen Handgelenke: „Dafür werde ich dich in meinem Testament bedenken.“ „Vergiss es bloß nicht.“ Sie lächelte Er gab das erleichtert zurück, froh, wie selten zuvor in seinem Leben: „Kaum. - Aber, wieso bist du hier?“ „Äh...Graf Uther machte sich Sorgen und schickte mich dir hinterher. Und da du nicht in deinen Gasthof zurückkehrtest, fragte ich den Bischof mal wo du steckst.“ Michel holte tief Atem: „Lebt er noch?“ „Ja.“ „Dann wird er uns verfolgen lassen....“ Und das hier war immer noch Pavero, unterstand seiner Rechtsprechung.... Angst schwappte wieder in ihm hoch. Seine Partnerin sah das nüchterner: „Kaum. Ich habe ihm einen Wandteppich im Wert von hunderttausend Gulden, schätze ich, zerstört. Er wird wissen, dass ich keine Einmischungen in meine Angelegenheiten mag.“ Sie drehte sich um: „Ich habe Pferde besorgt. - Kannst du bist dahin laufen?“ Michel fiel dazu nur eines ein: „Du bist ein Genie.“ „Danke. Sag es nur öfter, dann fange ich an, es zu glauben. Wie bist du denn eigentlich in die Klemme gekommen?“ „Markward,“ gestand er, wenn auch unwillig. Also hatte Graf Uther durchaus Recht gehabt. Dennoch wiederholte sie fast ungläubig: „Der älteste Sohn des Kaisers?“ Der sollte andere Probleme haben. „Ja.“ Während des langsamen, mühseligen und schmerzhaften Ritts durch die Nacht erzählte er. Sarifa holte tief Luft, als er geendet hatte: „Du bist wütend auf ihn, aber mit Recht, würde ich sagen. - Würde es dich trösten, wenn ich ihn umbringe?“ Er ging ihr auch schon länger auf die Nerven. „Weißt du, mein aggressiver Engel, er ist dumm, lästig, hinterhältig und ich mag ihn wirklich nicht. Aber er ist nun mal der älteste Sohn des Kaisers und das macht ein Attentat auf ihn ziemlich unmöglich.“ „Ja, ich sehe es ein.“ Say that somebody tries to make a move on you in the blink of an eye I'll be there too and they better know why I'm gonna make them pay till their dying day I got a license to kill Gladys Knight: James Bond- License to kill ** Das nächste Kapitel zeigt die Folgen dieser Nacht.... Kapitel 43: Folgen ------------------ Michel war mehr als froh, als sie endlich die Grenzen Paveros hinter sich gelassen hatten. Die Sonne war trotz der frühen Jahreszeit bereits aufgegangen und er wagte nun erst zu hoffen, dass Konstantin, oder eher Markward, ihn nicht mehr suchen würde. Natürlich würde ihn der Kaisersohn bei Hofe wiedersehen – aber er musste diese Nachricht zu Uther und vor allem Dagobert bringen. Markward wurde immer skrupelloser, und das mochte nichts Gutes bedeuten. „Mein Gepäck...“ fiel ihm nun erst ein, sicheres Zeichen für seine Übermüdung und auch den gewissen Schock, den er erhalten hatte. „Deine Bankbriefe habe ich geholt, nachdem ich Konstantin besucht hatte,“ erklärte Sarifa: „Und, was ich fand, dass auf deine wahre Identität hinweisen könnte. Zum Glück hatte ich den Geleitbrief so ausgestellt, dass ich auch nachts ausreisen konnte. Auf Goldmünzen und Kleidung wirst du allerdings wohl verzichten müssen.“ Sie hatte ihm ihren Umhang gegeben, damit er nicht fror. „Ja, natürlich, das lässt sich verschmerzen. Entschuldige, Partnerin, ich bin sehr müde.“ Er war es, körperlich, geistig und vor allem seelisch. Er würde einige Zeit benötigen, um sich von den Stunden im Keller in jeder Hinsicht zu erholen. „Verständlich. Und, wenn ich mich an deinen Rücken erinnere, so gehört der ausgewaschen, am Besten mit diesem Essig, wie es die dons Theoderich und Falis praktizieren. Bei mir ist zwar eine rote Narbe geblieben, aber sie ist nicht aufgequollen. Wir machen in dem nächsten Gasthof länger Pause und ich besorge das. Danach kannst du ausschlafen.“ „Es tut mir Leid, dass ich so unfähig war....“ „Michel!“ Sie zog ruckartig ihren Zügel an, so dass ihr Pferd um ein Haar gestiegen wäre: „Was für Ansprüche stellst du denn an dich, um Himmels Willen? Markward hat dich böse reingelegt – aber du hast es geschafft die Nacht über unter Folter den Mund zu halten, und ich glaube nicht, dass das jeder könnte. Ich vermutlich nicht. Und als du dachtest, dass ich der Henker wäre – du hast da noch die Kraft aufgebracht, ihm aufrecht und schweigend entgegen zu treten.“ Er lächelte, ein Schatten seines sonstigen Lächelns, aber immerhin: „Schon recht. Ich komme mir nur gerade sehr wie ein Versager vor, dass mich ausgerechnet Markward reinlegen konnte – obwohl Uther mich noch warnte. Man soll eben nie glauben, dass jemand unfähig ist, nur weil er dumm und unsympathisch ist.“ „Das ist wahr.“ Sarifa trieb ihr Pferd weiter: „Aber was glaubst du, warum mein Volk jetzt immer als Partner arbeitet? Alleingänge sind zu gefährlich. Es gab früher viele, die von einem Auftrag mit gebrochenen Flügeln oder gar nicht mehr zurückkamen.“ „Ja, ich weiß.“ Er sah geradeaus: „Kommt da ein Ort? Vielleicht gibt es dort eine Taverne oder gar einen Gasthof. Ich brauche Wasser.“ Es benötigte fast zwanzig Gulden, um den misstrauischen Wirt zu überzeugen, dass sie keine Banditen wären. Michel wirkte eindeutig verletzt und eine Frau in Männerkleidung war verdächtig. Dann jedoch schluckte er zumindest vorerst Sarifas Erklärung, dass sie aus dem tiefen Süden komme und das eben dort so üblich wäre. Und eben Banditen ihren Begleiter überfallen hatten. Als sie mit heißem Wasser, Essig und Tüchern auf das gemietete Zimmer kam, schlief Michel auf dem Bauch, wachte aber sofort auf. „Ich bin es nur,“ sagte sie: „Der Wirt wollte wissen, wo wir überfallen wurden und war richtig erleichtert, als ich sagte im Süden von Pavero. Das geht die Leute hier kaum etwas an. - Scht.....“ „Ist das Wasser so heiß?“ erkundigte er sich besorgt – durchaus um sich. „Ja, um die Tücher auszuwaschen, du hast don Theoderich und don Falis doch gehört. Und, ehrlich, mein Partner: an deinem Rücken ist momentan nicht viel zu verderben. Es sieht aus, als ob sich die Wunden entzünden und mit etwas Pech bekommst du Wundfieber.“ „Ja,“ murmelte er ergeben: „Wie überaus nachlässig von Konstantin seine Folterkammer nicht regelmäßig sauber machen zu lassen....“ Sarifa lächelte, als sie den Essig in das Wasser goss. Der erste Scherz seit Stunden und sie hoffte, dass er das gut überstehen würde: „So, jetzt geht es los. Es sind vierzehn Löcher....“ Wohlweislich biss er in das mit Stroh gefüllte Kissen, da er sich nur zu gut an ihre Reaktion auf diese Behandlung in Neudorf erinnerte. Nein, dachte er mühsam, er würde nicht schreien, das hatte er heute schon genug.... Der letzte Gedanke, ehe er bewusstlos wurde. Sie bemerkte es erschrocken, aber das half nun nichts, war womöglich eher sogar besser. Erst, als sie bemüht sorgfältig alle Wunden ausgewaschen hatte, drehte sie seinen Kopf beiseite: „He, Michel? - Oh.“ Da ihr dann einfiel, dass er womöglich vergessen hatte, wo er war: „Du kannst langsam aufwachen. Es besteht keine Gefahr.“ Sie strich ihm das schweißnasse lange Haar aus dem Gesicht: „Wenn du magst – ich habe auch Wasser zum Trinken gekauft...“ Michel spürte es und hatte plötzlich den schemenhaften Gedanken, dass es doch etwas Schönes sei, wenn sich eine Frau um einen sorgte. Vier Tage später wusste Graf Uther Bescheid. Er las die Brieftaubennachricht mit zusammengepressten Zähnen. „Markward hat Michel unwissentlich enttarnt und verlangte von Konstantin angebliche Auskünfte über den Geheimdienst. Ich holte ihn raus, aber er ist durch Folter verletzt und nicht weiter reisefähig. Deckung jedoch gewahrt, Näheres folgt. Sarifa. P.S. Markward und Konstantin leben.“ Letzteres war wohl durchaus erwähnenswert, wenn sie auch nur halb den Zorn empfunden hatte, wie er in diesem Moment. Das reichte jetzt wirklich. Er stand auf: „Raoul!“ Sein Diener kam hereingeeilt: „Ja, Graf...? Oh....“ Er kannte ihn gut genug zu zu wissen, dass der gewöhnlich so gelassene Geheimdienstleiter erbost war. Mehr als das. „Ich bitte den Kaiser unverzüglich zu mir!“ Diese Botschaft sollten diesen gesicherten Raum nie verlassen. Die Bitte war derart ungewöhnlich, dass Dagobert alles stehen und liegen ließ, um zu seinem Bruder zu gelangen. Dieser reichte ihm wortlos die Nachricht. Der Kaiser setzte sich ihm gegenüber: „Was zum Henker....? Was sollte denn der Unsinn? Markward weiß doch nichts von Michel, kann gar nichts wissen...Und warum macht Konstantin mit?“ Der Geheimdienstleiter nahm die Nachricht wieder und hielt sie in eine Kerze: „Sie schreibt ja, dass Markward es unwissentlich tat. Er wollte ihn wohl schlicht ärgern oder auch loswerden.“ „Und Konstantin macht mit, weil er Markward unterstützen will – vielleicht um, wenn der Kaiser ist, aus Pavero wieder nach Paradisa zurückzukommen“ Welcher kluge Mann hatte einmal behauptet, es sei leichter ein Königreich zu regieren als eine Familie zu beaufsichtigen? Und er hatte beides am Hals. „So sehe ich das auch. Konstantin möchte wohl der ältere Berater Markwards werden. Und ich frage mich, ob er nicht der zweite Berater ist, der mir schon Kopfzerbrechen verursachte.“ Uther hatte sich beruhigt und war wieder nur mehr nüchtern. „Nein. Dauernde Briefe aus Pavero an ihn wären aufgefallen. Außer, es gibt einen anderen Weg.“ Dagobert legte die Hände gefaltet auf den Tisch: „Nun, du hattest jedenfalls wohl recht sie hinterher zu schicken. Aber wer konnte mit so etwas rechnen? Jedenfalls scheint er in Sicherheit – und ich werde übermorgen auf die Reise gehen. Es wäre fatal, würde jemand denken, dass dieser...Zwischenfall mir wichtig ist.“ Uther nickte: „Da hast du Recht. Aber wir sollten uns wirklich etwas mit Markward überlegen. Seine Intrigen sind nicht nur mehr lästig, sie können zu einer echten Gefahr für das Reich werden, wenn er nicht endlich lernt persönliche Dinge und das Reich zu trennen.“ Das war auch dem Kaiser bewusst: „Nun, zunächst einmal werde ich ihm unverzüglich eine Taube nach Pavero mit dem Rückkehrbefehl schicken. Er braucht nicht zu glauben, dass ich nicht mitbekomme, was er tut. Dem wird er sich beugen müssen. Und dann....Hm. Er sollte Michel dann am Hofe nicht begegnen.“ „Das sehen wir, wenn beide hier sind. Ein Duell sollte allerdings wirklich vermieden werden, in unser aller Interesse.“ Dagobert seufzte. Da hatte sein Bruder wiederum nur zu Recht. „Falls du etwas Neues erfährst, schicke mir einen Eilboten. Die Jagd muss jedenfalls stattfinden, um wie gehabt unsere Tarnung nicht auffliegen zu lassen.“ Weitere drei Tage später saß Markward in Konstantins Arbeitszimmer: „Ich werde nicht zurückreisen, das gibt nur Ärger.“ Der Bischof seufzte ein wenig, als er den Brief der Kaisers auf den Tisch legte, die Hände verschränkte und sich vorbeugte: „Werter Markward, Ihr solltet langsam wissen, dass es Euch nie gelingen wird etwas vor Eurem Vater zu verbergen. Früher oder später kommt er drauf. Und, seid ehrlich: Ihr habt doch gewusst, dass Euch diese Reise Ärger einbringt, wenn er davon erfährt. Ihr werdet doch einen guten Plan haben.“ Und da sein Gast schwieg, richtete er sich auf: „Nein? Nun, die Sache ist klar. Ihr werdet zurück nach Paradisa reisen, eilends und umgehend, wie befohlen.“ „Und warum?“ Konstantin unterdrückte seinen Wunsch, dem dummen Jungen den Kragen umzudrehen. Noch war der mehr als nutzbringend: „Weil ein offener Widerstand gegen den Kaiser Hochverrat ist und ich nicht die mindeste Lust verspüre das kaiserliche Heer vor meinen Mauern zu sehen und abzuwarten, ob er meine Entschuldigung akzeptiert oder mir unten auf dem Marktplatz den Kopf abschlagen lässt. Reist – oder ich werde Euch in Ketten Eurem Vater zurückschicken. Noch seid Ihr nur ein ungehorsamer Sohn, kein Hochverräter. Seid gewiss: der gute Dagobert versteht in dem letzteren Punkt nicht den geringsten Spaß. Er war vierzehn, als er meinen Vater hinrichten ließ und gleich einige andere anschließend. Die Tatsache, dass er schon länger kein Todesurteil gegen einen Hochverräter gesprochen hat, bedeutet nur, dass es nicht nötig war, nicht, dass er nicht jederzeit dazu bereit wäre. Wer gegen Dagobert in den Ring steigen will, sollte sich dessen bewusst sein.“ Dazu wollte Markward nichts sagen. „Was ist eigentlich aus Montagne geworden?“ „Ich dachte schon Ihr würdet nie fragen. Nennen wir es eine.... philosophische Frage. Jemand, ein sehr überzeugender Jemand, erwies sich an ihm noch interessierter als Ihr. - Gute Reise, also, werter Cousin.“ Michels Fieber war nach fünf Tagen genug gesunken, dass Sarifa eine Kutsche besorgte, die sie langsam – und zu zweit allein – in die Hauptstadt bringen konnte. Keiner der beiden hatte es gewagt einen Arzt zu holen – zu deutlich zeigten die Verletzungen, die überdehnten Bänder, dass er gefoltert worden war, ein Verbrecher war. Auf eine Auslieferung nach Pavero konnten beide verzichten. Daher hatte die Assassine die Pflege übernommen, regelmäßig die Rückenverletzungen mit Essigwasser ausgewaschen. Und obwohl Michel sich daran erinnerte, dass ihre Brüder behauptet hatten der ahnungsloseste Bader sei fähiger als sie, und er die schmerzhafte Prozedur verabscheuen lernte: er gab zu, dass sie ihm vermutlich nicht nur einmal das Leben gerettet hatte. Dunkel entsann er sich an Fiebernächte, an Schreie, wenn die Erinnerung kam, aber auch an Arme, die ihn hielten, wiegten, an die warme Stimme, die ihm versicherte, alles sei gut. Jetzt lehnte er seitwärts in der Kutsche, bemüht, seinen Rücken von der harten Lehne fernzuhalten. Immerhin waren die Schmerzen der überdehnten Gelenke in Schultern, Hüften und Knien deutlich geringer und die Wunden der Dornen begannen zu heilen. Er sah aus dem Fenster in die bäuerliche Landschaft des südlichen Pisan. Schon bald würden bewaldete Hügel den Beginn der hohen Berge anzeigen, die Reise schwieriger werden, ehe die waldreichen Ödländer begannen. Dahinter lagen die Kernlande und er würde sich vermutlich erst dort wirklich sicher fühlen. Wenn je, denn noch immer hatte er in Träumen des Nachts die mer als lebendige Erinnerung an das Verhör – und er wusste nun nur zu gut, warum Uther und auch der Kaiser selbst nicht gerade Anhänger dieser Form der Wahrheitsfindung waren. Er wandte den Kopf. Sarifa schlief, ungewohnt für sie, aber sie war wohl recht müde gewesen. Flüchtig überlegte er, ob er auf ihr Angebot zurückkommen sollte, Markward zu töten, aber ihm war klar, dass das auch ihm wirkliche Schwierigkeiten einbringen würde. Überdies sagte ihm seine streng auf den Kaiser ausgerichtete Erziehung, dass man den zukünftigen Amtsträger nicht einfach umbringen durfte, gleich, was der sich geleistet hatte. Wenn sie so schlief, vollkommen entspannt, sah sie fast lachhaft jung und wie ein halbes Kind aus – und hübsch, wie er zugab. Jedenfalls weder wie jemand, der überzeugend eine Meuchelmörderlehrerin spielen konnte oder gar wie jemand, der mal eben in einen gut bewachten Bischofssitz einbrechen und den Hausherrn überzeugen konnte einen Gefangenen herauszurücken. Sarifa öffnete die Augen, da sie die Beobachtung gespürt hatte: „Was ist?“ „Ich habe nur gerade gefunden, dass ich froh sein kann, dass du meine Partnerin bist.“ Sie richtete sich auf: „Was meintest du eigentlich mit Bulldogge?“ Wurde er gerade rot? „Äh, wann?“ „Im Fieber. Hast du mal eine besessen?“ „Ja,“ log er lieber, als ihr zu sagen, dass er sie gemeint hatte. Bei ihrem Temperament konnte es durchaus sein, dass sie beschloss tot sei er ihr doch lieber, Partner hin oder her. „Eine hübsche Bulldogge?“ vergewisserte sie sich. „Ja, weiblich und hübsch, recht temperamentvoll.“ Himmel, was hatte er noch ausgeplaudert? Es gab einige Dinge in seinem Leben, von denen sie auch als seine Partnerin nichts wissen sollte. „Was habe ich denn noch so erzählt?“ „Das Meiste habe ich nicht verstanden. Aber einmal sagtest du eben: eine bezaubernde Bulldogge.“ „Ja....“ Es war wohl günstiger für ihn dem Thema auszuweichen: „Wenn ich in Paradisa bin, werde ich wohl diesen don Falis holen lassen.“ „Er ist bestimmt auch für dich ein guter Arzt,“ gab sie zu: „Aber du wirst kaum in deine Wohnung zurückgehen können. Markward hält dich für tot.“ „Ja, und wenn er schon nicht mitdenkt, so könnte Chilperich auf die Idee kommen meine Wohnung überwachen zu lassen. Und, wenn ich mich nicht sehr täusche, wird deine kurze Nachricht Dagobert dazu bringen Markward nach Paradisa zurückzupfeifen. Er hat es nicht gern, wenn man ihn anlügt.“ „Hoffentlich landet Markward so richtig schön in der Klemme,“ sagte die Assassine inbrünstig. „Arbeit auf den Salzfeldern, zumindest für einige Wochen, wäre ein guter Anfang.“ „Ich schließe mich deiner Meinung voll und ganz an, mein Engel.“ Als Markward in Paradisa eintraf, ahnte er bereits, dass die Sache unangenehm werden würde. Wie sehr allerdings noch nicht, da ihm gesagt wurde, der Kaiser sei noch nicht wieder zurück, Graf Uther sei Regent. So ging so er höflich-resigniert zu dessen Arbeitszimmer und ließ sich anmelden – nur um warten zu dürfen. Er presste die Zähne zusammen. Das sah nicht nach seinem harmlosen Onkelchen aus, da war Vaters Befehl am Werk. Endlich wurde er in das private Arbeitszimmer eingelassen, ohne zu ahnen, dass sich ein zweites, weitaus interessanteres, hinter dem Kamin befand. Uther blickte von seinem Buch auf, damit nur zu deutlich zeigend, dass er nicht zu beschäftigt gewesen war, um den Neffen zu empfangen: „Markward. Soll ich sagen ich freue mich dich zu sehen?“ Autsch, dachte der Angesprochene. Das konnte ja heiter werden. „Ich....bin unverzüglich dem Rückkehrbefehl gefolgt.“ „Ja. Du scheinst doch an deinem Kopf zu hängen,“ kam prompt die nüchterne Antwort: „Etwas, an dem man schon zweifeln konnte.“ Das hieß, Konstantin hatte Recht gehabt und sein Vater hätte ein Ausbleiben als Hochverrat betrachtet. „Es lag mir fern, meinen Vater und Kaiser auch nur zu beleidigen. Ich wollte doch bloß ...familiäre Verbindungen auffrischen.“ „Da deine Reiselust durch die drei Jahre Abwesenheit von Paradisa nicht gestillt zu sein scheint, hat mir mein Bruder und Kaiser für dich folgende Anweisung gegeben: du beziehst, natürlich mit deinem Gefolge, gewisse Zimmer hier im Palast. Diese Zimmerflucht wirst du nur auf ausdrückliche Genehmigung des Kaisers verlassen. Die Minen von Gruvenant wird jemand anderer wohl eifriger und auch dauerhafter verwalten können.“ „Das...das ist Hausarrest!“ protestierte Marward entsetzt. Uther legte sein Buch beiseite: „Wäre dir vielleicht ein etwas tieferer Aufenthalt, unterhalb des Palastes, lieber – in Ketten?“ Das klang fast interessiert. Der Kaisersohn schluckte: „Nein, natürlich nicht! Onkel.....“ „Es werden stets Leibgarden vor den Türen stehen, um, lass es mich so ausdrücken, spontane Ideen deinerseits zu vermeiden. - Markward, wann lernst du es eigentlich?“ „Aber...Hausarrest. Es werden alle wissen!“ „Stimmt auffallend. Stört es dich?“ Selbstredend, das blamierte ihn bis auf die Knochen, aber das sollte er nicht erwähnen, es war doch schon schlimm genug. Vielleicht konnte er Onkel Uther klarmachen, dass es nicht seine Schuld war: „Es ist doch nur...warum ernennt mich Vater nicht zum Thronfolger? Ich bin doch der Einzige. Dankward ist nun auch Bischof.“ Das klang so verzweifelt, dass Uther seufzte. „Glaubst du wirklich, mit derartigen Reisen und Lügen wird man Thronfolger?“ „Aber, was soll ich denn noch machen?“ „Wie wäre es damit, dich endlich einmal um das Reich zu kümmern? Nein, sag jetzt nicht, das darfst du nicht. Kaiser zu sein ist eine sehr schwere und oft genug harte Aufgabe. Es ist nicht damit getan auf einem Sessel zu sitzen und Botschafter zu empfangen. Ich würde nie mit meinem Bruder tauschen wollen und wollte es auch noch nie. Die Verantwortung wiegt schwer. Hast du dich je darum gekümmert? Versucht, deinen Vater zu verstehen, ihm zu helfen, ihn zu beraten?“ Der Graf nickte ein wenig: „Ich kenne viele andere Leute, die mehr für das Reich und den inneren Frieden getan haben als du. Im Endeffekt sogar Dankward, denn ebenso wie ich hat er mit seinem freiwilligen Rückzug einen Bürger- und Bruderkrieg verhindert.“ Jetzt musste er sich schon von seinem Onkel Moralpredigten anhören? Aber Markward hatte den nicht unberechtigten Verdacht, dass noch Ärgeres als Stubenarrest auf ihn warten könnte, wenn er sich im Moment wieder uneinsichtig zeigte. Er hatte selten Uther so streng erlebt. Und Vater würde sicher eher dem als ihm selbst Rückendeckung geben. Nein, Konstantin hatte wirklich Recht gehabt. Er war knapp an einer Anklage wegen Hochverrates vorbeigeschrammt. Und sein entfernter Cousin hätte ebenfalls mit seinem Leben gespielt, wenn er ihm weiterhin Aufenthalt gewährt hätte. Er senkte daher den Kopf: „Ist es denn wirklich zuviel verlangt, wenn ich mein Recht will?“ „Du kannst nicht erwarten Thronfolger zu werden, wenn du …..ich sage es offen, weder die Fähigkeiten noch die Bereitschaft zeigst.“ „Es ist mein Geburtsrecht!“ begehrte der Junge auf: „Ich bin der Älteste, ich bin der Erbe!“ „Nein. Es ist das Recht des Kaisers seinen Nachfolger zu ernennen.“ Die sachliche Analyse hätte von einem Anwalt stammen können. Theorie und Praxis: „Ein Kaiser ohne Erblande ist lächerlich, ohne Geld, ohne Macht – und die Kernlande dürfen nur an ein männliches Familienmitglied gehen. Denkt ihr beide etwa an Dankward oder Konstantin?“ „Der Kaiser,“ betonte Uther mehr als deutlich: „Denkt noch an niemand Bestimmten. Nur, du machst es ihm schwer an dich zu denken. Wenn du einen Rat von mir annehmen willst: mach keinen weiteren Fehler und akzeptiere deinen...beschränkteren Handlungsraum.“ Markward presste die Zähne zusammen, erwiderte jedoch: „Ja, Onkel.“ Vermutlich war dieses Gespräch hier immer noch besser verlaufen als mit seinem Vater. „Wann soll ich...umziehen?“ „Das kannst du sofort. Deine Sachen und Diener befinden sich bereits hier.“ Der Kaisersohn lief rot an: „Das...ist....“ brachte er nur hervor. „Demütigend? Ja. Dann sorge eben dafür, dass zukünftig so etwas unterbleibt. - Oh, und noch ein kleiner Hinweis. Weil ich dein Onkel bin: halte dich von Sarifa fern.“ Markward starrte den Älteren an: „Ihr...Ihr und sie..?“ Nicht so, wie der Junge dachte, aber Uther wollte wirklich nicht seinen Neffen mit einem Dolch in der Kehle sehen: „Lass die Finger von Sachen, die du nicht abschätzen kannst. - Du darfst gehen. Raoul wird dir deine Räume zeigen.“ Und mit dem Zimmerarrest war wohl auch erst einmal abgesichert, dass Michel nach Paradisa zurückkehren konnte, denn auch Chilperich durfte die Zimmer nur mit Genehmigung verlassen. Kapitel 44: Frühling -------------------- Michel blieb in einem kleinen Gasthof außerhalb zurück, während Sarifa nach Paradisa weiter fuhr. Beide wollten sich keinen weiteren Fehler leisten – niemand wusste schließlich, was mit Markward war. Auf ein wenig verschlungenen Wegen gelangte sie zu Graf Uther, der sie weitaus schneller empfing als seinen Neffen – und in seinem eigentlichen Arbeitszimmer, in dem noch immer das wärmende Kaminfeuer brannte. „Sarifa!“ Er erhob sich höflich: „Ich bin wirklich erfreut Euch zu sehen. Wie geht es Michel?“ „Besser, aber er braucht noch Schonung, denke ich. Wir waren nicht beim Arzt. Er wartet auf Eure Anweisungen im Gasthof von Crognan. Wir wollten vorsichtig sein.“ „Gut.“ Er nahm wieder Platz und deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch: „Setzt Euch. Und, da es Euch sicher interessiert: Markward befindet sich hier im Palast, wenn auch unter Hausarrest. Chilperich auch.“ Irrte er sich oder huschte etwas wie Bedauern über das Gesicht der Assassine? „Der Kaiser befindet sich noch auf der Hofjagd, mit allen Botschaftern und auch Anawiga, wollte aber in den nächsten Tagen zurückkehren. Dann solltet Ihr auch wieder Euren Dienst bei ihr aufnehmen. Und jetzt Euer Bericht.“ Er hörte schweigend zu, hob nur die Augenbrauen, als sie ihm mitteilte, wie einfach sie in das Schlafzimmer des Bischofs gelangt war. Erst als sie von der Rückreise erzählt hatte und schwieg, nickte er: „Ich würde sagen, Michel sollte sich einstweilen nicht offiziell im Palast sehen lassen, zumindest, bis der Kaiser wieder hier ist. Kann er bei Euch Unterkunft finden? Gut. Ich werde zusehen, dass ich hier einen stillen Raum für ihn auftreibe, damit sich der Hofarzt um ihn kümmern kann. Nicht, dass ich an Euren Fähigkeiten zweifeln möchte.“ „Natürlich.“ „Euer persönlicher Eindruck von Konstantin?“ fragte er nachdenklich. Sarifa entkam ein Lächeln: „Ich fürchte, Graf, ich wäre nicht objektiv. Mit zwei Klingen an sich ist wohl niemand ein strahlender Held. Aber nach allem, was Michel sagte, war Konstantin durchaus willens Markward einen Gefallen zu tun, warum auch immer. Er glaubte jedoch dessen Theorie nicht so ganz. Er scheint intelligenter als Markward zu sein.“ Wozu nicht viel gehörte, aber das sollte sie dem Kaiserbruder nicht unbedingt erzählen. Das war immerhin sein Neffe. Uther hob die Hand. „Markward braucht Euch nicht mehr zu kümmern, meine Liebe. Ich riet ihm davon ab Euch weiterhin den Hof zu machen. Jetzt glaubt er allerdings ich sei hinter Euch her.“ Ein leises Lächeln: „In Anbetracht Eurer Klingen – ich wäre nicht so lebensmüde.“ Nun ja, dachte sie offen: immerhin hätte er bessere Chancen das zu überleben. „Erhalte ich Nachricht, wann ich den Dienst bei der Kaiserin antreten soll?“ „Ja. Übrigens: Anawiga ist wirklich guter Hoffnung. Jetzt geht. Raoul wird vor der Tür warten. Sagt ihm, er solle tarnende Kleidung für Michel heraussuchen. Ich werde ihn dann bei Euch finden.“ „Ja.“ Sie erhob sich. „Oh, und ehe ich meine gute Kinderstube völlig vergesse: danke für Michels Rettung.“ „Er ist mein Partner.“ So fand sich Michel kaum drei Tage später in einer Markward nur zu ähnlichen Situation. Er saß im Palast, hatte Zimmerarrest, der nur von den Besuchen des Hofarztes und Graf Uthers unterbrochen wurde. Er seufzte, als letzterer eintrat und legte sein Buch beiseite, stand jedoch nicht auf. Der Geheimdienstleiter warf einen Blick darauf: Aufzucht von Lämmern „Ihr scheint Euch zu langweilen, dass Ihr Euch mit Landwirtschaft beschäftigt.“ Er blieb stehen. Eine grüne Samttunika über den schwarzen Beinlingen – die Hauskleidung eines Adeligen, so entspannt, so harmlos... Michel zuckte die Schultern: „Das könnt Ihr Euch doch vorstellen. Keine Übung, kein Ausgang, keine Besucher....“ „Wollt Ihr schon wieder üben?“ fragte Uther ein wenig überrascht, aber auch erfreut. „Es geht mir soweit gut. Aber es wäre ratsam wieder mit dem Training anzufangen.“ Er musste nur an Sarifa denken. Selbst als sie ihn im Fieber betreut hatte, hatte sie gute sechs Stunden des Tages mit Beweglichkeits- und Koordinationsübungen verbracht, zugegeben ein hübscher Anblick, der ihn jedoch auch daran erinnert hatte, dass er froh sein konnte sie auf seiner Seite zu wissen. Ja, noch schmerzte sein Rücken bei unvorsichtigen Bewegungen, aber das würde vergehen. „Schön. Dagobert ist wieder hier und damit auch die Kaiserin. Sarifa ist bei ihr. Das bedeutet, Ihr werdet, wenn Ihr diesen Raum verlassen wollt, Euch Markward stellen – nein!“ meinte er scharf: „Nicht im Duell.“ Er hatte den Ausdruck in Michels Augen richtig gelesen. „Aber in einem, sagen wir, persönlichen Gespräch vor dem Kaiser.“ Michel verschränkte in stummer Abwehr die Arme: „Schön, jetzt habt Ihr mich überrascht. Wo liegt der Sinn – außer, dass ich dieses Zimmer verlassen kann? Markward und Chilperich wissen dann, dass ich lebe, die Aussage der Assassine falsch war, die Assassinen also für den Kaiser arbeiten.“ „Nein. Glaubt Ihr ehrlich, dass Konstantin eine solch peinliche Situation Markward erzählt hat? Er wird ihm gesagt haben, höchstens, dass Ihr weggebracht worden seid oder sonst etwas. Markward wird allenfalls annehmen, dass ein hochgestellter Freund oder gar Dagoberts Agent Euch da rausholen hat lassen. Zumal er ja nur Tage später den kaiserlichen Heimkehrbefehl bekam.“ Der Agent entspannte sich in lang geübter Selbstbeherrschung und nüchterner Überlegung: „Und Konstantin selbst?“ „Er weiß, dass Sarifa...nun, die Assassine ihm sagte, Ihr seid ihr Ziel. Sie hat nie erwähnt, dass sie den Auftrag hat Euch umzubringen. Das nahm er nur an. Und er sollte klug genug sein, zu wissen, dass er sich geirrt hat, sie wohl den Auftrag hatte Euch rauszuholen. Vermutlich von Dagoberts Agenten. Wir lenken alles auf Dagobert und dass er seinen Sprössling überwachen ließ. Das dürfte niemanden verwundern.“ Zumindest niemanden, der denken konnte. Michel seufzte: „Das war dann schon alles für diesen Mist...für Markward?“ Uther betrachtete ihn mit gewissem Mitgefühl: „Rache dient nicht dem Reich,“ erklärte er dennoch aus mittlerweile fünfzigjähriger Erfahrung. Ein zweiter, womöglich noch tieferer Seufzer: „Ja, ich weiß. Aber, wisst Ihr, ich habe mir nie zuvor vorstellen können wie begierig man sein kann, seine Hände um die Kehle eines Mannes zu legen.“ „Oh, ich habe da durchaus Erfahrung mit solchen Wünschen. - Dennoch, Michel, nehmt Euch zusammen. Das Letzte, was das Reich jetzt gebrauchen kann, wäre ein Bürgerkrieg um Dagoberts Erbe. Und Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass die Herzöge nur auf eine Chance warten.“ „Ich nehme mich zusammen, wie Ihr wünscht.“ Michel klang höflich und doch kalt. Er war damit nicht einverstanden. Uther wusste jedoch, dass er sich auf ihn verlassen konnte: „Gut. Dann begleitet mich. Wir haben eine Audienz.“ Als Markward wie befohlen das Arbeitszimmer seines Vaters betrat wollte er sich verneigen, ehe er erkannte, wer da noch abwartend stand. Ihm wurde kalt. Dieser Montagne lebte nicht nur – was hatte er erzählt? Onkel Uther saß seitlich am Tisch, scheinbar desinteressiert. Dagobert hob die Brauen und sein Sohn verneigte sich eilig. Was sollte er jetzt sagen? Er konnte sich jedenfalls vorstellen, was dieser arrogante Schnösel so alles von sich gegeben hatte. Was zum Henker hatte Konstantin sich dabei gedacht? Schön, er hatte ja gesagt, dass jemand ihm Montagne abgeschwatzt hatte, aber hätte er ihn nicht warnen können? Oder hatte er nicht vermocht? Er hatte ihm aus dem kaiserlichen Brief nur seinen Heimreisebefehl vorgelesen – war da auch eine Drohung für den Bischof von Pavero dabei gewesen? Konstantin war zu schlau um sich offen gegen Vater zu stellen. „Ich vermute, ihr kennt euch,“ sagte der Kaiser kühl. „Und ich hoffe, du hast eine Erklärung.“ Hatte er, aber die würde Vater sicher nicht gefallen. Unschuldsbeteuerungen, wenn dieser Geck vermutlich an seinem Körper Beweise trug? Los. Wer Kaiser werden wollte musste durch Unannehmlichkeiten und Prüfungen. „Konstantin versprach mir seine Unterstützung, das wollte ich sehen. Ich hätte ja auch gleich am folgenden Tag den....Irrtum richtig gestellt. Ich wollte nie, dass er stirbt.“ „Hm. Ihr dürft gehen, don de la Montagne.“ Während sich Michel verneigte, fühlte er tiefes Bedauern, das folgende Gespräch nicht mit anhören zu dürfen. Aber als er ging und sich ihre Blicke wie Degen kreuzten, wusste er, dass auch Markward ein Duell mehr als alles ersehnte. Als die engste kaiserliche Familie soweit unter sich war, lehnte sich Dagobert zurück. „Ein recht böser Scherz, also?“ „Ich kann ihn nicht ausstehen,“ gab Markward zu: „Und da Konstantin gesagt hatte, er würde meine...meine Thronfolge unterstützen, wollte ich das überprüfen.“ Bislang hatte er die Wahrheit gesagt, das war beiden Brüdern klar. „Und was sollte der Unsinn er sei der beste Agent meines Geheimdienstes? Erleuchtung? Selbst, wenn das stimmen sollte, so ginge es dich nichts an.“ „Ja, mein Herr und Vater. Es...es erschien mir nur eine Begründung, warum gerade er eine Nacht im Kerker verbringen sollte. Mehr...wollte ich nicht.“ Das war gelogen. Dagobert nickte jedoch nur: „Eine letzte Warnung, Markward. Und meine Worte nicht zu beachten wäre ein fataler Fehler. Noch hast du keinen Hochverrat begangen. Tust du das, wirst du als Verräter hingerichtet, Sohn hin oder her. Wenn du weiterhin solche unangebrachten Handlungen begehst wie Körperverletzung oder geplanten Mord – sagt dir Burg Binuga etwas?“ Markward schluckte. Diese Burg lag im äußersten Nordwesten des Kaiserreiches, in einer endlosen kalten und nebeligen Sumpflandschaft. Für Wachen galt eine Verlegung dorthin als Strafversetzung. Und für einen Gefangenen dort gab es weder Hoffnung auf Wiederkehr noch Annehmlichkeiten. Es hieß zwar, dass schon länger niemand mehr dorthin verbannt worden sei, aber natürlich existierte diese Burg noch. „Ja, mein Vater und Kaiser.“ Er musste sich jetzt erst einmal deutlich zurückhalten. Jeder hatte ihm gesagt, dass Dagobert nie drohte, sondern das Ankündigungen waren. Das war ernst gemeint. „Das gilt auch für Duelle.“ „Ja. Ich habe verstanden.“ Im Zweifel würde jetzt auch noch seine Post überwacht, so dass er kaum mehr Kontakt zu den Herzögen oder auch Konstantin aufnehmen konnte. Oder sollte, um nicht wirklich noch im Moor zu landen. „Dann wirst du dich in deine Zimmer zurückbegeben. Ich habe Kanzler Godomar beauftragt dir einige Lektüre zum Lernen auszusuchen. Du wirst ohne Zweifel ein eifriger Leser sein.“ Auch das noch. „Ja, wie Ihr befehlt.“ Das wurde ja immer schlimmer. Chilperich hatte mit seiner Mahnung recht gehabt. Er musste sich mal mit ihm zusammensetzen und beraten, was jetzt noch möglich war, damit er doch noch Thronfolger werden konnte. Als sich Sarifa zum Dienst bei der Kaiserin meldete, fand sie Anawiga im Kreis ihrer Damen, sichtlich vergnügt von der Reise berichtend. Während sie sich höfisch verneigte, meinte die Kaiserin: „Ah, meine Kämmerin. Donna Maria, gebt ihr doch die Rechnungen. - Ich habe viel eingekauft,“ gestand sie dann: „Aber dort gab es Dinge, die ich nie zuvor gesehen hatte, wie....wie heißt der Stoff für Umhänge? Loden. Ich habe mir zwei schneidern lassen, Und jede Menge Bergkristall gekauft. Daraus lässt sich ein wundervoller Schmuck auf Kleidung nähen. Er wirkt wie Diamant.“ Sie erzählte weiter, ehe ihr auffiel, dass sich ihre Leibwächterin nicht gesetzt hatte. Ein wenig irritiert, dass sie sie nicht sah, guckte sie sich um. Tatsächlich. Dort lehnte die Assassine am Fenster, halb hinaus blickend ohne gesehen zu werden, halb auf den Raum konzentriert. Obwohl man sie doch eigentlich im Hofkleid nicht übersehen konnte, fiel sie nicht auf. Ob es das war, was ihr Volk so geheimnisumwittert machte? Anawiga erzählte weiter, schließlich hatten nur wenige der Frauen sie begleitet – und alle waren neugierig. Sarifa war etwas amüsiert, wie wenig die Kaiserin ein Hehl daraus machte, dass sie die paar Wochen völliger Nähe mit Dagobert genossen hatte. Nun, sie gab zu, dass es hier für Anawiga langweiliger war. Außer den beiden Schulen, die sie betreute, und diversen Pflichtterminen bei Empfängen war ihre erste Aufgabe ein Kind zur Welt zu bringen – worum sie sich ja nach Kräften bemüht hatte. Noch sah man nichts, aber das würde auch noch dauern, wenn sich Sarifa an die Schwangerschaften ihrer Mutter oder Tanten so richtig entsann. Erst als sie beide unter sich waren, im Arbeitszimmer der Kaiserin, fragte Anawiga: „Eure Mission war erfolgreich?“ „Ja.“ „Und..Markward?“ „Steht unter Hausarrest hier im Palast. Ich glaube, er ist knapp wirklichem Ärger entkommen.“ Anawiga seufzte ein wenig: „Väterliche Gefühle lassen sich beherrschen, aber nie ganz verdrängen. Dennoch hat er wohl keinen Verrat begangen.“ „Nein.“ „Mir wäre es um meines Kindes willen lieber, wenn er....aus dem Weg wäre,“ gestand die Kaiserin etwas zögernd: „Vor allem, wenn es ein Junge wird. Selbst, wenn Markward Kaiser ist, das Leben des dritten Sohnes wäre nie gesichert. Dankward ist ja aus dem Machtspiel. Aber natürlich wird Dagobert da selbst entscheiden. Und solange Markward keinen Hochverrat begeht ist er soweit sicher.“ „Ja.“ Sarifa hatte weder einen Grund Markward zu verteidigen noch Anawiga beizustimmen. Das ging sie so gesehen nichts an. Ihr Auftrag lautete die Kaiserin zu beschützen. Und genau das würde sie tun. Anawiga bemerkte die Zurückhaltung: „Verzeiht. Ich war zu offen. - Zu etwas anderem. Ich werde, wenn alles gut läuft, was ich hoffe, nach Auskunft des Hofarztes im Herbst wohl meine schwere Stunde haben. Bleibt Ihr solange bei mir?“ „So lautet einstweilen mein Befehl.“ „Dann wird das ein sehr langweiliger Sommer für Euch. Ich soll Kutschfahrten meiden, Reiten sowieso....Kurz, ich bin hier eingesperrt. Nun, die Knappenschule und die Hebammen darf ich besuchen, jedoch nicht mehr. Der Hofarzt möchte kein Risiko eingehen. Und, wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht. Er überlegte jedoch sogar schon die Fenster wie im Winter oder jetzt noch bei Nacht, zu verhängen, und mich nie der Frischluft auszusetzen, aber das erscheint mir dann doch ein wenig übertrieben.“ „Ist es auch. Ein wenig Luft kann doch nicht schaden. Oder Spaziergänge im Garten.“ Wenn sie bedachte, dass zuhause Schwangere immer noch Ziegen einfingen, sie molken und anderes, und dennoch gesunde Kinder zur Welt brachten, so musste man die Kaiserin ja nicht förmlich einsperren. Anawiga atmete sichtlich auf: „Dann unterstützt Ihr mich? Das wäre nett. Denn ich habe den Eindruck gewonnen, dass Graf Uther Eure Meinung schätzt. Und was mein verehrter Schwager schätzt, schätzt auch der Kaiser.“ Sie hätte fast die Hand vor den Mund geschlagen. So etwas durfte sie nicht von sich geben. „Wenn man nach meiner Meinung fragt, werde ich sie sagen. Wobei – ich war noch nie schwanger und weiß nicht so genau, wie man sich fühlt. Aber meine Mutter war nach mir noch zwei Mal schwanger, meine Tanten, Cousinen...“ Die Kaiserin war halb froh ablenken zu können, aber halb auch wirklich wissbegierig auf dieses Volk: „Eine große Familie. Ihr erwähntet ja, dass Ihr fünf Brüder besitzt. So seid Ihr schon Tante?“ „Ja, mein ältester Bruder hat ein Mädchen bekommen.“ „Oh, war er sehr enttäuscht?“ „Äh, nein. Das ist anders als hier im Norden. Sie wird sein Erbe weitertragen.“ „Könnt Ihr mir das erklären? Ihr seid doch die Erbprinzessin? Warum, wenn Ihr ältere Brüder habt? Gehört das zusammen?“ Echte Neugier bewog Anawiga zu fragen – und ihre gewisse Sorge, ein Mädchen zur Welt zu bringen. Sarifa dachte kurz nach, dann meinte sie: „Nun ja, es ist eigentlich nicht schwer zu erklären. Das Erbe geht bei uns immer über die weibliche Linie.“ Sie lachte auf als sie das Gesicht der Kaiserin sah. Michel war auch so verwirrt gewesen. Weit im Süden lachte dagegen ein Mann herzhaft über die Brieftaubennachricht. „Oh je, oh je, der arme Markward. Und natürlich der arme Chilperich. Hausarrest. Dagobert war wohl ein wenig erbost. Nun gut. Damit hätte dieser dumme Junge rechnen müssen. So sinnlos durch die Gegend zu hetzen, nur, weil Anawiga schwanger ist. Bis Herbst ist noch eine lange Zeit in der viel passieren kann. Ach ja.“ Er hielt den Zettel in eine Kerze. Jetzt wollte Markward, dass er ihm noch helfen sollte. Wie nutzlos. Sein Plan war angelaufen und bereits nächste Woche war der Florianstag. Er nahm ein Glas mit Wein: „Auf dein Wohl, Uther! Genieße deine letzten Tage. Zuerst du, dann deine Mörder, dann Chilperich – und schlussendlich Dagobert. Dann kann Anawiga ihr Balg zur Welt bringen und es wird niemanden mehr interessieren. Falls sie das überlebt. Dankward wäre auch noch da....Hm. Nun, eines nach dem Anderen. Und darum wirst du, lieber Kaiserbruder, jetzt zu Herzog Pippin reisen.“ Es war wirklich ein Vergnügen zu wissen, dass der Andere bald tot sein würde – und man einen perfekten Plan hatte. Schon in wenigen Wochen würde er selbst in Paradisa sein, natürlich noch unter Tarnung. Man sollte Dagobert nie unterschätzen. Und Markward bot sich als Ablenkung ja förmlich mehr als an. Er selbst hätte nie geglaubt, dass das so gut funktionieren würde, als er vor einigen Jahren begonnen hatte, den netten Freund zu spielen. Es war einer der ersten wirklich warmen Frühlingstage als Graf Lothar, der Leiter der kaiserlichen Polizei, in den Vorraum des Kaisers trat, eine schmale Akte in der Hand, und um unverzügliche Audienz bat. Trotz der Frühlingssonne war seine Miene düster – und, wenn er ehrlich war, fror er. Das war kein Gespräch auf das er sich freute. Dagobert ließ seinen alten Mitstreiter und Freund auf der Stelle eintreten – und stutzte. So sah Lothar selten aus: „Was ist geschehen?“ „Darf ich mich setzen?“ „Natürlich....“ Der Kaiser winkte: „Entschuldigt, aber ich vermute, dass Ihr wichtige und überaus unangenehme Neuigkeiten bringt.“ „Ja.“ Lothar holte tief Luft. „Ich erhielt soeben mit eiligster Kurierpost die Nachrichten aus der Westmark.“ Das bedeutete, dass jede Stunde das Pferd gewechselt worden war – und diese eine Stunde mit aller Schnelligkeit gelaufen. „Pippin? - Uther?“ kam es fast atemlos. Das war eine Aufgabe, die er hasste, seit er bei der Polizei war: „Uther. - Es tut mir leid es Euch mitteilen zu müssen, aber er...er hatte einen Unfall.“ Dagobert erstarrte: „Schlimm?“ „Am Ufer der Elande. Die Kutsche kam vom Weg ab und stürzte fast fünfzig Meter hinunter in das felsige Flussbett.....“ Mehr um abzulenken legte Lothar die Akte auf den Tisch des Kaisers. Dieser ignorierte das. „Und....mein Bruder?“ „Die Kutsche wurde völlig zertrümmert, die Pferde sind tot. Der Kutscher wurde ein Stück ab gefunden, wohl durch die reißenden Wasser. Es ist ja Schneeschmelze. Die Lei.-...der Körper von Graf Uther wird gesucht.“ Dagobert schloss kurz die Augen. „Konnten die bei ihm befindlichen Leibwachen sagen wodurch die Kutsche stürzte?“ „Auch sie wurden samt ihren Pferden unten gefunden. Der zuständige Polizeichef vermutet, dass sie noch versuchten die Kutsche zu halten, zu stoppen und dabei mitgerissen wurden.“ „Und....dass Uther überlebt hat?“ Es war sinnlos das zu fragen, dachte Lothar mitfühlend, aber nur zu menschlich. Niemand überlebte einen solchen Sturz. „Es sieht nicht so aus....Aber noch wird er gesucht.“ „Gebt mir sofort alle Berichte, die Ihr bekommt, Lothar,“ sagte der Kaiser mit einer Stimme, die der Polizeichef in all den langen Jahren noch nie gehört hatte. „Natürlich.“ „Dann geht.“ Dagobert wartete, bis Graf Lothar das Zimmer verlassen hatte, ehe er die Hände vor das Gesicht schlug. Der „eiserne Kaiser“ weinte. How can I make amends For all that I took from you? I led you with hopeless dreams - My brother, I was a fool. Vic Mignagno: Brothers ( Full Metall Alchemist) Kapitel 45: Uther ----------------- Don´t cry for the past now, brother mine Neither you nor I are free from blame Nothing can erase the things we did For the path we took was the same Vic Mignagno : Brothers ( Full Metall Alchemist) Graf Uther ließ den Blick nicht von der niederbrennenden Fackel neben der schweren Holztür. Er fragte sich nicht mehr, wie er in diese Klemme gekommen war, nicht mehr, wie er herauskommen würde. Letzteres war unmöglich. Die Handschellen und Ketten, die ihn an die feuchten Mauern hinter sich banden, waren zu fest, die Tür dort verriegelt. Zum Hohn und zur Erhöhung seines Leidens hatten sie ihm Brot und Wasser hingestellt – unerreichbar für ihn. Er wusste, dass seine Entführer keine gewöhnlichen Strauchdiebe waren, dazu war der Plan und seine Umsetzung zu perfekt gewesen. Dahinter steckte vermutlich der gleiche kluge Kopf wie in der Marche, bei den Piraten, in Murcia und Lavinia. Nur, wer war das? Was er gegen ihn persönlich hatte, war klar. Das war eben nichts Persönliches, das war ein wohl gezielter Schlag gegen seinen Bruder. Jetzt fragte er sich nur noch, wie lange es wohl dauern würde. Wie lange brauchte ein Mensch um zu verhungern und zu verdursten? Er hoffte, dass er zuvor wahnsinnig werden würde, aber sein so klarer Verstand würde ihn wohl auch jetzt nicht im Stich lassen. Rettung von außen? Sie hatten ihm gesagt, er es ja auch gesehen, dass ein Unfall inszeniert worden war. Jeder, auch Dagobert, würde nur denken, seine Leiche sei mit der Strömung fortgerissen worden. Und selbst, wenn sie nach ihm suchen würden, wer käme auf die Idee, diese halbverfallene ehemalige Zollburg zu durchstöbern? Ja, wer käme überhaupt auf die Idee, dass er nicht tot wäre? Dagobert würde hoffen, vielleicht auch Michel – aber würde Dagobert Michel erlauben selbst zu suchen? Lass die dumme Hoffnung, du Idiot, dachte Uther ärgerlich. Er hatte seit er fünf Jahre alt war gewusst, dass ein gewaltsames Ende zu den wahrscheinlichsten zählen würde. Das war der Preis der Macht. Aber er zahlte ihn für Dagobert, hatte das immer getan. Hoffentlich war der vorsichtiger. Er starrte die verlöschende Fackel an, bemüht, sich daran noch erinnern zu können. Es wäre das letzte Licht, das seine Augen je wahrnehmen würden, das letzte, ehe das große Vergessen kam. Dagobert sandte einen Brief an Anawiga, um ihr den Tod seines Bruders mitzuteilen. Er hatte zunächst überlegt, ob er davon eine Schwangere in Kenntnis setzen sollte, dann aber beschlossen, dass es unmöglich wäre, das Monate vor ihr geheim zu halten. Dann schickte er einen Diener um Michel. Der kam irritiert. Ging es schon wieder um Markward? „Setzt Euch.“ Er gehorchte fast verstört. So, ja, verfallen hatte er den Kaiser noch nie gesehen. Was war los? „In Anbetracht aller Umstände wollte ich es Euch selbst sagen,“ begann Dagobert ein wenig holperig: „Ich erhielt soeben die Nachricht, dass mein Bruder verunglückt ist. Seine Begleiter wurden gefunden....er nicht....Aber es ist ein Bergfluss.“ Michel presste kurz die Lippen zusammen: „Ein Unfall?“ echote er. Er brauchte nicht zu fragen, wie die Überlebenschancen aussahen. „Es tut mir Leid. - Der Kutscher und die beiden Leibwachen sind tot, ebenso die Pferde. Es war an der Elande, am Pass in die Westmark.“ Mehr als Hilfestellung und aus eigener Hilflosigkeit schob der Kaiser die Akte hinüber: „Die bisherigen Polizeiberichte.“ Automatisch nahm Michel sie und las, ohne dass Dagobert ihn störte. Er wusste, dass da ein intelligenter Mann mit durchaus persönlichem Interesse las. Endlich sah der Agent auf: „Ich habe zwei Fragen, Hoheit.“ „Nun?“ „Warum fuhr er dort entlang? Der Hauptweg in die Westmark geht doch über Kolombe und dann die Pforte von Markheim. Das ist die Händlerroute, dort liegen Gasthäuser und Pferdestationen. Soweit ich weiß, fuhr er dort jedes Jahr.“ „Der Weg die Elande entlang ist kürzer. Und womöglich wollte er auf diese Art einem Attentat entkommen.“ Dagobert zog die Brauen zusammen: „Es ist aber auch viel gefährlicher, gerade im Frühling, ja. Und Eure zweite Frage?“ „Warum sprang der Kutscher nicht ab, warum liegen auch die Leibwachen samt Pferden unten? Die Theorie, dass sie versuchten die Kutsche aufzuhalten, gefällt mir nicht. Man lernt in unserer Ausbildung, dass es zwar jemand versuchen kann, aber der Zweite zur Sicherung bleiben muss – um Hilfe zu holen oder auch nur Bericht zu erstatten. Hoheit, ich bitte Euch, lasst mich und meine Partnerin die Unfallstelle ansehen.“ „Was versprecht Ihr Euch davon?“ „Es wäre sinnvoller Euren Bruder nicht umzubringen, zumal wenn man weiß welche Tätigkeit er hat: Lösegeld oder auch Auskünfte über den Geheimdienst. Der Unfall ist so, dass niemand sagen kann, ob er überlebte oder starb.“ „Was erlaubt Ihr Euch!“ Aber Dagobert dachte nach. „Ich. schätze keine persönlichen Motive bei der Polizeiarbeit,“ sagte er dann: „Rache passt nicht zum Reich.“ „Keine Rache, ich schwöre es Euch. Aber, wenn er wirklich noch am Leben ist....“ „Ich habe meinen Bruder geliebt. Mir vorzustellen, dass er tot ist, hat mir sehr wehgetan. Aber Eure Vorstellung tut mir noch mehr weh.....Nun gut. Ich lasse Sarifa rufen. Ist sie ohne Absprache auch Eurer Meinung – reitet beide so rasch es geht. Ist sie dagegen anderer Meinung: so bleibt Ihr hier.“ Michel neigte gehorsam den Kopf: „Ja, Hoheit.“ Nur kurz darauf erschien die Assassine, die durch Anawiga bereits informiert war. Während sie sich höfisch verneigte, entging ihr nicht, dass der Kaiser aber auch ihr Partner geschockt waren – und sie abwartend ansahen. Nun, auch sie hatte den Grafen geschätzt – und er war ihr Auftraggeber, für jemanden ihres Volkes eine sehr wichtige Person. „Setzt Euch neben Michel, Prinzessin,“ befahl der Kaiser: „Gebt ihr die Akte.“ Sarifa nahm und las. Was stimmte nicht? Denn sonst hätten sie sie ihr doch nie zum Lesen gegeben. Hm. Sie dachte nach: „Ich kenne den Weg die Elande entlang nicht, aber grundsätzlich erscheint mir ein Pass im Frühling unsicherer als die gewöhnliche Handelsstraße in der Ebene. Warum fuhr der Graf dort?“ Dagobert lehnte sich zurück und überließ damit Michel die Antwort. „Das ist auch uns ...mir ein Rätsel, mein Engel. Ich bin diesen Weg einmal geritten. Es ist eine Passstraße, zumeist aufgeschottert, schon für eine Kutsche recht eng. Es gibt immer wieder an Kurven und Steigungen Ausweichstellen. Wenn man von der Westmark kommt liegt links der Fluss, zumeist recht nah, rechts der Wald, oft auch schon ansteigend.“ „Angenommen, ein Baum fällt um, die Pferde erschrecken.....“ Er argumentierte gegen seine Überzeugung, blieb jedoch sachlich, unparteiisch, um so den Kaiser zu überzeugen: „Ja, möglich wäre es. Jedenfalls möglicher als ein Überfall. Versuche mal mit Pfeilen auf eine fahrende Kutsche zu schießen, auf laufende Pferde, um die zu stoppen. Und das Ganze oben von einem dicht bewachsenen Wald aus.“ „Möglich wäre es,“ erwiderte die Assassine sofort zu Michels Erleichterung: „Man hat Zeit sich einen Ort zu suchen und zu zielen. Stürzt ein Pferd, muss auch das andere halten. Allerdings wären da noch die Leibwachen. Es kann, wenn überhaupt, keine Einzelperson gewesen sein. Leichter wäre es natürlich, wenn die Kutsche stand. Du erwähntest etwas von Ausweichstellen.“ „Und ein wirklicher Unfall?“ erkundigte sich Dagobert gepresst. Sarifa schüttelte ein wenig den Kopf: „Eine ungewohnte, anscheinend ungeplante Fahrstrecke, ein Unfall genau an einer Stelle, die alle Spuren vernichtet...Man müsste es sich ansehen. Aber gewöhnlich würde ich davon ausgehen, dass der Kutscher erfahren war und auch die Pferde keine Neulinge, also nicht so leicht durch einen Baum oder etwas natürliches zu erschrecken.“ „Bitte, Hoheit...“ sagte Michel. Der Kaiser griff wortlos zur Klingel. Dem eintretenden Diener befahl er zwei Sonderkurierbriefe ausstellen zu lassen. Als der Mann verschwunden war, meinte er langsam: „Ihr beide scheint Euch einig zu sein, dass es Fragen gibt. Klärt sie so schnell wie möglich. Und, bringt mir Uther, sei er auch tot. - Mit den Kurierbriefen erhaltet Ihr neue Pferde an jeder kaiserlichen Poststation. Geht.“ Die beiden verneigten sich nur knapp und verschwanden, draußen die Kurierbriefe einsammelnd. Während Michel seinen Degen holte und die Pferde organisierte, zog sich Sarifa rasch das Hofkleid aus und ihre eigene Kleidung über, vorsorglich den Umhang samt Kapuze nutzend, um sich zu verbergen. Zum Glück war man in Paradisa seltsame Gestalten gewohnt. Erst, als sie auf kaiserlichen Kurierpferden aus der Hauptstadt waren, meinte Sarifa fragend: „Du kannst schmerzlos reiten?“ „Ja. Es ist kein Vergnügen, ebenso wenig wäre es ein Duell, aber ich kann schon...“ Er deutete auf seinen Degen in der Sattelscheide: „Es gibt wichtigeres als persönliche Annehmlichkeiten. Die nächste Poststation liegt genau eine Stunde von hier. Da bekommen wir frische Pferde. Also, los.“ Er trieb sein Tier an und Sarifa ließ ihres folgen, bei weitem nicht so so sicher im Sattel wie er. Dagobert seufzte, als sie ihn verlassen hatten, ehe er seinen Stolz über Bord warf, und zu Anawiga ging. Diese hatte darum gebetet. Wenn er sie jetzt nicht aufsuchte, jetzt nicht wollte, in solch einer Lage nicht ihre Nähe suchte – hatte sie versagt. Jetzt war sie nur glücklich und bemüht ihn zu trösten, wohlwissend, dass das niemand konnte. So nahm sie seine Rechte und zog ihn zu ihrem Schlafzimmer, bereits mehr als kühl ihre Damen verabschiedend. Dagobert setzte sich, nur zu froh, keinen mehr zu haben, der ihn ansah. Denn Anawiga schloss die Tür hinter sich, verriegelte sie von innen, ehe sie hinter ihn trat und fast zögernd die Hände auf seine Schultern legte. Da er sich sofort rückwärts an sie lehnte, meinte sie leise: „Ihr habt Euren Bruder verloren, aber vor allem Euren besten Freund. Erlaubt Euch Trauer. Niemand kann ohne sie aushalten.....“ Er drehte sich etwas um und schlang die Arme um ihre Taille, zog sie vor, um seinen Kopf an ihrem Bauch zu bergen. Sie hatte recht – aber das, was ihm am meisten helfen konnte, dürfte er nicht aussprechen. Die Wärme ihres Körpers....Sie trug sein Kind. Und trotz allem hatte er doch noch soviel Anstand.... Sie wusste nicht, was er verschwieg, wie sie ihm noch helfen sollte oder konnte. „Dagobert....sagt, was immer Ihr sagen wollt, tut, was immer Ihr tun wollt. Ich schwöre Euch, ich werde nie ein Wort darüber gegenüber jemandem verlieren.“ Ihre Wärme... Sarifa war müde, als sie die letzten Pferde wechselten, aber sie vermutete, dass es für Michel noch schlimmer sein musste. Besorgt musterte sie seinen Rücken. Kein Blut war zu sehen, also die Verletzungen noch nicht wieder aufgebrochen. Sie waren in kaum eineinhalb Tag zu dem Ort gelangt, der vor dem Pass lag. Mit selbst einer Eilkutsche wären es sicher zwei gewesen. Jetzt, nachts, warteten sie ab, schliefen abwechselnd. Morgen früh würden sie zu der Unfallstelle aufbrechen. Sie schlief und erwachte von seiner Bewegung, als er bei Sonnenaufgang aufstand, um die Pferde zu zäumen. Ja, er war müde, noch verletzt, aber da war auch etwas anderes, das sie ein wenig beunruhigte. In jeder Bewegung lag eine gewisse Anspannung. Nun ja, er hatte viele Jahr für den Grafen gearbeitet und nahm das wohl persönlich. Hoffentlich war er Profi genug das zurückzusetzen, objektiv zu urteilen. Beider Frühstück bestand aus Wasser aus der Elande, die hier nach ihrem raschen Weg den Pass hinunter etwas zur Ruhe kam, ehe sie die ab nun mit Kies und gröberen Steinen belegte Straße empor ritten. „Ist das nicht für die Pferde gefährlich?“ erkundigte sich Sarifa: „Vor allem, wenn es nass und steil ist?“ „Ja, wenn man galoppiert. Aber das ist eher für Lastzüge gedacht, damit der schwere Karren nicht im Morast steckenbleibt. Wenn ein Pferd langsam geht passt es schon aus Eigeninteresse auf. - Was natürlich bedeutet, da hast du recht, mein Engel, dass auch die Kutsche kaum dahin galoppiert ist.“ „Und auf etwas Langsames aus dem Hinterhalt zu zielen ist möglich. Sehen wir dann. Wo war die Stelle?“ „Noch höher, fast auf der Passhöhe. Rechts müsste eine Ausweichstelle sein, nein, links, so, wie wir kommen.“ Eine Stunde später erreichten sie eine Ausweichstelle, ebenso geschottert wie der Weg. Vor ihnen lagen zwei tote Pferde, die offenbar aus dem Flussbett heraufgeschafft worden waren. Michel stieg ab und band sein Tier an, das vor seinen zerschmetterten Artgenossen zurückschrak. Sarifa folgte seinem Beispiel, ehe sie sich umblickte. Michel murmelte einen Fluch. Im Schotter waren nur wenige Spuren zu erkennen – und die stammten offensichtlich von der Polizei. Er trat an das Ufer, das hier in der Innenkurve steil abfiel. Fast fünfzig Meter unter ihm sah er die Trümmer der Kutsche. Nein, diesen Sturz konnte niemand überleben. Nur – wo war der Graf? Er war in der Kutsche doch am ehesten davor geschützt gewesen weggespült zu werden. Und doch waren nur drei Leichen gefunden worden. Er drehte sich um und fand sich allein. Ein wenig erstaunt fragte er: „Mein Engel?“ Sie kam hinter Bäumen hervor, kaum drei Meter oberhalb der Ausweichstelle. „Ich suche...“ gab sie an. Er stieg den Hang empor zu ihr: „Was meinst du?“ „Ich habe mir gerade vorgestellt, wie ich hier ein Attentat begehen würde.“ „Dann erzähle mal, Assassine.“ Diesbezüglich war sie ja wohl eindeutig der Profi von ihnen beiden. „Warum diese Strecke....der Kutscher wurde bestochen, erpresst oder vielleicht auch falsch informiert. Jedenfalls fuhr er hier entlang, denn nur auf diesem Weg ist es einsam genug um so etwas durchzuziehen.“ „Stimmt. Auf der Hauptstraße drängen sich Händler förmlich. Von der Westmark aus gehen die Handelswege weiter nach Welstceltica und die anderen westlichen Inseln, aber auch nach Navarone. Weiter.“ „Ich weiß also, dass die Kutsche hier entlangkommt, mit zwei Leibwachen und einem Kutscher. Das sind schon mal drei Leute, die ich ausschalten muss, ehe ich überhaupt eine Chance habe an Graf Uther heranzukommen. Nun gut, ich würde werfen, aber das könnte wohl kaum jemand.“ „Trotzdem: rede lieber von Unbekannten. Wenn du „ich“ sagst, habe ich so ein ungutes Gefühl,“ gestand er. Nun, genauer, er kam sich vor, als würde er neben dem Tod persönlich stehen. Er wollte sie jedoch nicht beleidigen. Sarifa tat ihm den Gefallen: „Also: eine Kutsche, zwei Reiter und das Ziel ist in der Kutsche, kann daher nicht direkt angegriffen werden. Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist das hier der tiefste Abfall zum Fluss hinunter auf der gesamten Strecke.“ „Soweit ich weiß, ja. Du meinst, diese Stelle wurde ausgesucht. Und du könntest Recht haben. Ein Unfall genau hier....Und warum? Es gab offensichtlich keinen Waldbrand, kein Baum fiel um...“ „Ja, so sehe ich das auch. Es ist relativ einfach, oben einen Mann zu postieren, der irgendwie Nachricht gibt, wenn die Kutsche vorbeikommt. Die anderen....Verschwörer haben hier gewartet und gehen nun zurück, um mit einer Kutsche von unten den Berg hochzufahren. Hier treffen sie sich. Wie es die Verkehrsregel verlangt hat die bergauf fahrende Kutsche Vorfahrt und der Lenker des Grafen wird hier in diese Ausweichstelle fahren.“ „Ich verstehe. Mindestens zwei Männer: der Informant oben, ein Kutschenlenker. Zwei andere, Minimum aber auch Maximum aus Sicherheitsgründen, die sich hier hinter den Bäumen versteckt gehalten haben und jetzt die ahnungslosen Leibwachen erschießen. Pfeile sind lautlos, also dürfte Uther nicht einmal etwas bemerkt haben. Der andere Kutscher bringt den seinen um. Zu dritt oder zu viert fallen sie dann über ihn her. Entweder, sie töten ihn sofort oder sie entführen ihn. Mir wäre als Arbeitshypothese lieber, das sie ihn entführen.“ Er dachte kurz nach: „Das heißt aber, dass sie ihn nicht weit weg bringen konnten. Sie mussten ihn sichern und dann wieder herkommen um so schnell wie möglich den Unfall zu inszenieren. Allerdings hat das einen Schönheitsfehler: im Polizeibericht stand nichts davon, dass die Leibwachen oder der Kutscher umgebracht worden sind.“ „Keine Theorie ist perfekt, Überdies: sieh dir die Pferde dort an. Glaubst du, wenn die Menschen ähnlich zugerichtet waren, dass man Pfeilwunden noch fand? Zumal, wenn nicht danach gesucht wurde?“ „Wie wahr, mein aggressiver Engel. Gut. Suchen wir nach Spuren, die unsere Hypothese bestätigen. Wenn ja, müssen hier oben im Wald mindestens zwei Männer eine Weile gelauert haben. Such du sie. Ich sehe mir unten noch einmal die Spuren der Kutsche an. Auf dem Ausweichplatz sind nicht gar so viele Idioten rumgelaufen.“ Michel ging wieder hinunter, versuchte anhand der kaum sichtbaren Abdrücke im Schotter und an dessen Rand etwas zu erkennen. Vergeblich. Als er sich etwas hilflos und wütend umsah, entdeckte er eine Bewegung im Hang über ihm. Auf den zweiten Blick erkannte er einen Mann in einfacher Kleidung, der wohl nicht hier und jetzt am so frühen Morgen mit Menschen gerechnet hatte. Er ließ seine Last fallen und rannte hangaufwärts. „Mein Engel …..“ schrie Michel, instinktiv nicht ihren Namen rufend, und spurtete hinterher. Als er an einem toten Reh vorbeilief, wusste er auch, warum der Mann rannte. Der war ein Wilderer und lief buchstäblich um sein Leben Sarifa war nur zu gewohnt in steilem Gelände zu rennen, rasch vorwärtszukommen. Schafe und Ziegen waren nicht immer willens sich einfangen zu lassen. Im Gegenteil. Schräg stehende Bäume, vereinzelte Felsen boten für sie keine Hindernisse, nur willkommene Sprungmöglichkeiten. Mit einem fast elegantem Überschlag landete sie schließlich vor dem keuchenden Mann und schlug zu. Noch ehe der begriffen hatte, dass er vor einem Mädchen stand, stürzte er bewusstlos zu Boden, sein Messer fallen lassend. Sie hob es auf. Michel war heran, etwas außer Atem: „Das musst du mir auch mal beibringen.....Gut gemacht. - He, aufwachen.“ „Was ist er?“ „Ein Wilderer. Aber, wenn er öfter hier jagt, wird er vielleicht etwas gesehen haben. Ein Wilderer muss ein Gebiet gut kennen, um notfalls fliehen zu können. - Ah, guten Morgen. Reden wir ein wenig, Alter?“ Der kaum dreißigjährige Unbekannte warf einen Blick auf den Degen an der Hüfte des vor ihm Stehenden, dann zu der Frau in der seltsamen Kleidung – und presste die Lippen zusammen. „Schön,“ meinte Michel fast freundlich: „Dann sehen wir mal, ob ich alles richtig verstanden habe. Du gehst hier nicht nur sehr früh am Morgen spazieren, sondern da liegt ein totes Reh. Folglich bist du ein Wilderer, ein Dieb, der das Eigentum des Grundherrn erlegt hat. Und, lass mich raten, du hast mindestens schon ein Brandmal an dir. Kurz und gut, du bist reif für den Strang. Das könnten wir durchaus vergessen – vorausgesetzt, du unterhältst dich mit uns. Wir gehören nicht zur Polizei.“ Und da er den instinktiven Blick seitwärts bemerkte: „Vergiss es. Das könnte nur dazu führen, dass ich böse werde auf dich. Und vor allem meine Partnerin. Mir kann es ja egal sein, aber ich finde, du machst dir da ziemlich unnötigen Ärger. - Also. Reden wir?“ Der noch am Boden liegende Mann nickte. „Du bist öfter hier, denn hier ist dein Jagdrevier. Schon gut. Du bist öfter hier.“ Das klang wohl harmloser für den Wilderer. „Ja.“ „Warst du es auch vor zwei Tagen, als der Unfall passierte?“ „Der Unfall?“ wiederholte der Mann sichtlich verständnislos. „Vorgestern...vor zwei Tagen. Da fiel die Kutsche dort in den Fluss.“ „Nein, die fiel nicht.“ Michel bekam das Gefühl auf den Arm genommen zu werden und wollte schon aggressiv reagieren, als Sarifa meinte: „Aber sie landete unten.“ „Ja,“ gab der Mann zu: „Aber das weiß ich nicht. Die Polizei sagte es.“ „Aber du hast die Kutsche gesehen?“ fragte Michel jetzt irritiert. „Ja, sie stand ja da.“ „Wo?“ „Dort an der Ausweichstelle.“ „Schön.“ Himmel war das mühsam: „Was hast du gesehen?“ „Na..ja....Ihr lasst mich gehen?“ „Rede!“ „Die Kutschen standen da....“ Die beiden Agenten wechselten einen raschen Blick, ehe Michel nachfragte: „Die Kutschen. Mehrere.“ „Ja. Da waren Männer und ein sehr vornehmer Mann, der aus einer Kutsche ausstieg und in die andere...Sehr vornehm mit grauen Haaren, aber gar nicht lang.“ „Was hast du dann getan? „Ich bin weggelaufen. Ich...ich hatte einen Hasen....“ „Alles klar. Der vornehme Mann stieg also in die andere Kutsche, das hast du gesehen.“ „Ja. Ich...das ist alles.“ „Und wohin fuhr diese Kutsche dann?“ Keine Antwort: „Du hast dich sicher noch mal umgedreht, um zu sehen, ob du aufgefallen bist. Also?“ „Ich.....Ihr könntet mir doch etwas geben....?“ fragte der Mann hoffnungsvoll. „Meinen Degen oder den Strang,“ knurrte Michel sichtlich genervt. Der Wilderer überlegte kurz seine Optionen: „Ich schwöre Euch, ich weiß es nicht. Nur...dahin....“ Er deutete den Weg wieder hinunter. „Na, also. Verschwinde.“ Erleichtert gehorchte der Mann. „Kutschen,“ sagte Michel langsam: „Das bedeutet, dass unsere Theorie richtig war. Sie haben Uther entführt. Und da wir schon einige Arbeit in diese Theorie gesteckt haben, ist das erfreulich. Nur – wohin?“ „Das werden wir nur erfahren, wenn wir dort zurück reiten.“ „Wie recht du doch hast, mein Engel. - Dieser Wilderer wäre nicht gerade ein Zeuge vor Gericht, er wusste schon, warum er sich der Polizei nicht zeigte, aber das zählt momentan weniger.“ „Nur Graf Uther.“ „Nur er.“ Beide stiegen den Hang hinunter zu ihren Pferden. ** Das nächste Kapitel heisst Krisis... Kapitel 46: Krisis ------------------ Langsam ritten Michel und Sarifa den Abhang in das Tal hinunter. Linker Hand lag die Elande und stürzte sich frühlingswild in das Tal. Aber sie suchten rechts. Irgendwo dort musste diese ominöse Kutsche der Entführer gehalten haben, irgendwo musste sie auch abgebogen sein. Michel war der Meinung, dass zumindest das erste Lager der Entführer nicht zu weit weg von der Überfallstelle liegen konnte. Sie hatten den Unfall arrangieren müssen, die Kutschen und die Toten in das Flussbett befördern – dabei konnten sie einen Gefangenen, selbst geknebelt und gefesselt kaum brauchen. Das Risiko, dass jemand vorbeikam war zwar nicht sonderlich hoch, aber zumindest sollte man den Beweis für ein Verbrechen beiseite schaffen. Sie hatten fast ihre Übernachtungsstelle erreicht, als beide unwillkürlich anhielten. Hier war ein alter, kaum begangener Weg – wenn auch für eine Kutsche befahrbar. Michel stieg ein wenig mühsamer als gewöhnlich ab, sein Rücken war noch immer nicht vollständig abgeheilt, und betrachtete die Spuren im Gras. „Ich würde hier nicht fahren wollen,“ meinte er: „Aber ich meine eine Kutschenspur zu sehen. Steig doch mal ab, mein Engel. Du bist in felsigem Gelände zuhause.“ Sie gehorchte und kam mit den beiden Pferden am Zügel heran. „Ja, das könnte eine Kutschenspur sein. - Wenn wir uns irren, endet der Weg in einem Feld oder so und wir haben nur Zeit verloren.“ „Wir reiten noch ein Stück weiter. Der Weg geht bergauf. Aber noch ehe wir zu der Kuppe dort oben kommen, steigen wir ab. Reiter sind gegen den Himmel deutlich besser zu erkennen als Fußgänger. Und dann sehen wir, was dort ist.“ Er war der Anführer und so stiegen sie wieder auf, nur, um fast hundert Meter höher erneut aus den Sätteln zu gleiten. Michel drückte Sarifa die Zügel seines Tieres in die Hand, ehe er vorsichtig weiter stieg. Linker Hand lag eine wilde Wiese, früher vielleicht ein Feld, rechter Hand ein Laubwald mit dichtem Untergehölz. Die letzten Meter bis zur Kuppe blieb er geduckt und guckte hinüber. Jenseits der Höhe fiel der Weg wieder ab. Dort floss in einem schmalen Tal ein kleiner Bach, der sicher zur Elande wollte. Eine Brücke führte hinüber. Jenseits erkannte er eine Ruine, wohl eine alte Zollburg aus den Tagen, als die Kernlande und die Westmark noch unterschiedlichen Herren gehört hatten. Der Palas, das Haupthaus, war noch recht gut erhalten, aber die Außenmauer aus Stein und Holz teilweise beschädigt und eingestürzt, kein Tor befand sich in der Öffnung. Nun, das erklärte immerhin diesen Weg. Das war allerdings kaum ein Ort, an dem man eine so wichtige Geisel wie Uther unterbringen sollte. Oder genau das. Denn wer würde in einer Ruine suchen? Er musste sich entscheiden. Überprüften sie jetzt jedes Gebäude am Weg, würden sie viel Zeit verlieren. Ritten sie weiter, übersahen sie womöglich etwas. Er ging zu seiner Partnerin zurück und berichtete kurz, was er gesehen hatte: „Verstecken wir die Pferde. Eine Ruine zu durchsuchen kann nicht ewig dauern. Aber dann sind wir sicher.“ Während sie die Tiere in den Wald führten, die Trensen lockerten und sie anbanden, fuhr er fort: „Bleiben wir jedoch vorsichtig und schleichen uns mehr oder weniger an. Der Bach ist nicht so breit, wir benötigen die Brücke nicht. Aber für den Fall der Fälle – sie hätten eine wunderbare Geisel.“ Er schnallte sich seinen Degen um. Die Assassine nickte. So gingen sie parallel zu dem alten Weg durch den Wald, bis dieser am Abhang endete. Hinter Baumstämmen verborgen musterten sie die Lage. „Sarifa!“ Ihr Name ließ sie seitwärts blicken: „Was ist?“ „Sieh mal zu dem Palas. Irre ich mich oder flackert da etwas?“ Sie konzentrierte sich: „Ja, du hast recht, das könnten Fackeln sein – aber es ist doch Tag. Auf jeden Fall müssen wir vorsichtig sein. Da war zumindest in der Nacht jemand.“ „Ja. - Dort, rechts ist in der Mauer eine kleine Öffnung, vielleicht war das mal eine Hintertür. Wir laufen möglichst rasch dorthin, sichern kurz und dann gehen wir in die Burg.“ Er sah wie sie nickte und nur ihre Arme etwas schüttelte. Er wusste, dass sie mit dieser Geste ihre Messer befreit hatte – jetzt würden sie in Sekundenbruchteilen in ihrer Hand liegen, sollte es nötig sein. „Dann los!“ Halb geduckt rannten sie aus dem Schutz der Bäume, sprangen über den Bach und die wenigen Meter hinauf zu der kleinen Mauerlücke. Dort blieben sie rechts und links stehen, bemühten sich zu lauschen, um die Ecke zu sehen. Nur der Wind war zu vernehmen, nichts Lebendes zu erblicken. Michel nickte: „Zum Palas,“ flüsterte er: „Leise. Wir sichern den ab.“ Zum Glück wusste sie, was er meinte. Eine trainierte Partnerin hatte schon etwas für sich. Vorsichtig und möglichst lautlos liefen sie über den Hof, sich aufmerksam umsehend. Aus der Nähe war deutlich zu erkennen, dass hier wohl schon länger niemand mehr wohnte. Auch die Holztür des einstigen Haupthauses hing nur mehr schräg in den Angeln, das Brunnendach war in sich zusammengefallen. Aber als sie in das Gebäude kamen, lag eindeutig der Geruch von Pechfackeln in der Luft. Ein guter Grund lautlos und vorsichtig zu sein. Sie gingen von Raum zu Raum, immer davor wartend, lauschend, dann sprang Sarifa hinein, Michel die Hand am Degen hinter sich. Aber kein Mensch war zu entdecken. Endlich erreichten sie so den Hauptsaal. Dort brannten Fackeln, das war eindeutig. Der Agent zog vorsichtshalber. Die Assassine war schon weiter, in den Raum eingedrungen. „Michel!“ Da sie so laut redete, schob er den Degen zurück und ging erst dann hinein – und erstarrte, als er vier tote. Mit Degen bewaffnete, Männer liegen sah. „Du?“ fragte er nur. Sie schüttelte etwas empört den Kopf: „Zwei wurden von hinten erstochen. Übrigens: danke für deine gute Meinung, aber das schaffe nicht mal ich in dieser Zeit.“ „Nicht erst seit Pavero habe ich eine gute Meinung von dir.....“ Er ging an die Wand des Saales und bückte sich: „Eine Goldmünze aus Cinquanta,“ sagte er: „Du bist sicher, dass hier keiner deiner Familie durchgekommen ist?“ „Ganz sicher. Wie gesagt: zwei von hinten. - Ich würde sagen, es waren zwei Männer. Sie griffen die ersten beiden von vorn an, als sie ahnungslos waren, dann die anderen beiden, als sie flüchten wollten. Meuchelmörder.“ „Ja. Und das Gold aus Cinquanta beweist, dass die Vier hier eigentlich ausbezahlt werden wollten. Sie warteten auf ihren Auftraggeber und einen Begleiter – aber der wollte anscheinend auf Nummer Sicher gehen und keine Zeugen hinterlassen. Was nur bedeutete, es ging um etwas oder jemanden sehr Wichtigen. - Komm, durchsuchen wir die Burg. Entweder, die Meuchelmörder haben Graf Uther mitgenommen oder aber er liegt hier auch irgendwo. Wir dürfen keinen Fehler machen.“ Sie benötigten eine Viertelstunde um die restliche Burg abzusuchen, ergebnislos. Michel wollte gerade sagen, dass sie wohl nach den Spuren der geflohenen Meuchelmörder suchen müssten, ein sehr schweres Unterfangen, als ihm eine Tür an einem Stallgebäude auffiel, die mit einer Kette gesichert war, an der ein massives Schloss hing. Er ging hin: „Das Schloss ist neu.....“ Eine seltsame Anspannung lag in seiner Stimme, als er versuchte die Kette abzuziehen. „Hier.“ Sarifa hielt ihm den fast zwanzig Zentimeter großen Schlüssel hin, den sie an einem Haken daneben entdeckt hatte. Er öffnete wortlos und zog die Kette ab: „Hier, nimm sie. Nicht, dass noch irgendwer kommt und uns einsperrt.“ Sie nahm sie und folgte ihm hinein. Rechts war früher eindeutig. der Stall gewesen. Geradeaus gingen schmale Holzstufen tiefer. Eine Fackel lag auf einem Sims, schwefelgetränkte Kiefernhölzchen und ein Schälchen mit einem glimmenden Zunderschwamm daneben. Offenbar war hier jemand gewesen, vor nicht gerade allzu langer Zeit. Michel entzündete die Fackel und stieg vorsichtig die Treppe hinunter, wissend, dass Sarifa, die möglichst leise die Kette abgelegt hatte, sichern würde. Unten befand sich eine schwere, massive Tür, und, wenn er hätte wetten sollen, so war das das Gefängnis. Ein schwerer Riegel war vorgeschoben und er öffnete mit pochendem Herzen. Ein fürchterlicher Geruch schlug ihm entgegen, aber dann erkannte er in der Dunkelheit an der gegenüberliegenden Wand eine zusammengesunkene Gestalt. Er fuhr herum und drückte seiner Partnerin die Fackel in die Hand, ehe er hineinlief. „He?“ Er erkannte den Mann dort nur zu gut – bewusstlos oder tot? Vorsichtig öffnete er die Handschellen und fing den Grafen auf, prüfte hastig. „Er lebt,“ sagte er zu Sarifa mit einem nie von ihr gehörten Ingrimm in der Stimme: „Aber ich glaube kaum, dass sie ihm auch nur Wasser gegeben haben. - Aber sie haben ihm Wasser und Brot so hingestellt, dass er es nicht erreichen konnte. Mistkerle! Wären sie nicht schon tot würde ich es erledigen. - He, Graf?“ Er griff nach dem Wasserkrug. „Nein!“ sagte Sarifa, um in Anbetracht seiner mörderischen Stimmung eilig zu erklären: „Gib ihm erst einmal nicht zu trinken. Wasch sein Gesicht, feuchte die Lippen an. Wenn du ihm etwas zu trinken gibst, wird er ersticken. So wurde uns gesagt.“ Ihre Vorfahren waren aus den warmen Ländern südlich des Südmeeres gekommen und würden es wohl wissen. So goss sich Michel nur Wasser in die Hand und befeuchtete das Gesicht, die Lippen, mehr als besorgt. Der Herzschlag war sehr schwach und Uther schließlich nicht mehr der Jüngste. Und da spürte er, wie sich der Mann in seinem Arm bewegte, die Augen öffnete. Erleichtert meinte er: „Wie geht es...?“ Dieser starrte ihn an, dann bewies sein Verhalten, dass er glaubte Opfer einer Halluzination zu sein. Mühsam hob er eine Hand, um Michel im Gesicht zu berühren: „Michel....?“ brachte er irgendwie hervor. „Ja. Ganz ruhig. Ich bin da, wir sind da. Wir holen Euch hier raus.“ „Guter Junge....“ murmelte Uther, ehe er diesmal friedlicher in die Bewusstlosigkeit abglitt. Michel presste die Zähne zusammen. Ihm war bewusst, dass er kaum einen Mann tragen konnte mit seinem verletzten Rücken, aber es musste sein. So drehte er sich nur in der Hocke um, packte die Arme des Bewusstlosen und zerrte ihn sich auf. Sarifa sah es besorgt, hielt es aber für klüger den Mund zu halten. Sie trug eine Fackel und wenn wider Erwarten doch noch die Meuchelmörder hier waren, war sie als Einzige in der Lage die zu erledigen. Sie hatte jedoch ihren Partner noch nie, weder in Emsby noch nach Pavero, in einer solchen Angespanntheit erlebt, die sie allerdings zu einem gut Teil verstand. Uther war ihr Auftraggeber und Michel kannte ihn ja noch aus den Jahren in der Knappenschule als deren Leiter. Die Beiden hatten sich immer recht gut verstanden, das wusste sie. Ein gewöhnliches Attentat wäre schon schlimm genug gewesen, aber den armen alten Mann allein im Dunkel verhungern zu lassen....Nein. Hoffentlich überstand er es. Sie ging voran, leuchtete, bis Michel Uther mühsam die Treppe emporgetragen hatte und sich mit einem Knie auf den Boden ließ. „Sichere,“ keuchte er nur, ihrem Angebot ihm tragen zu helfen, zuvorkommend. „Zum Bach,“ schlug sie dennoch vor: „Etwas Wasser....“ „Ja.“ So ging sie voran, sich sorgfältig umsehend, bis zur Brücke, suchte eine flachere Stelle, wo Michel mit seiner Last zu dem Wasser gelangen konnte. Als er keuchend Uther ablegte, erkannte sie dunkle Stellen an seinem Rücken. Einige der Dornenverletzungen aus Pavero waren wohl erneut aufgebrochen. Ohne darauf zu achten schöpfte er mit den Händen Wasser aus dem Bach, wusch das Gesicht des Bewusstlosen. „Mein Engel....,“ sagte er ohne sie anzusehen. „Ja?“ „Hol die Pferde.“ Sie gehorchte. Ja, Uther sollte so rasch es ging unter ein ordentliches Dach, in ärztliche Behandlung. Er war schon weit über fünfzig, ein alter Mann, und hatte schon seit Ewigkeiten nur mehr am Schreibtisch gesessen. Als die Assassine zehn Minuten später mit den beiden Tieren am Zügel aus dem Wald kam, entdeckte sie ihren Partner, Uther im Arm, am Bachufer kniend. Obwohl Michels lange blonde Haare sein Gesicht und das des Kaiserbruders verdeckten, wusste sie, was passiert war. Er presste ihn so an sich, hielt ihn so..... Mit gewisser Erbitterung führte sie die Pferde über die Brücke. Michel sah auf und sie erschrak fast vor seinem Gesicht: „Er ist soeben gestorben.“ Sie nickte nur: „Wir müssen ihn zum Kaiser bringen.“ „Ja. Unauffällig.....“ Er zwang sich zur Ruhe: „Hilf mir. Ich nehme ihn zuerst vor mir in den Sattel. Mit den Kurierbriefen müsstest du im nächsten Ort eine Kutsche samt Fahrer auftreiben können. Die nehmen wir nach Paradisa. Bis dahin überlege ich mir, wie wir den Kaiser informieren...ohne selbst aufzufallen.“ „Ja.“ Lebenslang antrainierte Professionalität half ihnen beiden über die Trauer und Wut dieses Moments. Als sie den bitteren, schmerzhaften Rückweg begannen, bemerkte Michel, dass Sarifa ihn immer wieder ansah. War sie besorgt, er könne unprofessionell handeln? Er war in der Tat versucht loszustürmen, die Meuchelmörder und vor allem deren Auftraggeber zu suchen, mit eigener Hand zu töten – aber damit hätte der ominöse Mann im Hintergrund nur sein Ziel erreicht, das Reich destabilisiert. Das und nichts anderes konnte hinter dieser feigen Entführung und dem Mord stecken. Das würde auch der Kaiser wissen und hoffentlich beachten. Eines war Michel allerdings auch klar: niemandem würde er sagen, was Uthers letzte Worte zu ihm gewesen waren, als er noch den blauen Himmel sah, die Sonne: Ich liebe dich..... Vor dem nächsten Dorf hielten sie abseits an. Sarifa stieg ab und half Michel Uther zu Boden zu legen. „Hier,“ sagte der Agent: „Mein Kurierbrief und Geld. Damit solltest du eine Fahrgelegenheit hier bekommen.Nichts Tolles, aber das ist gleich. Wir müssen ihn nach Paradisa bringen.“ Sie nickte und meinte: „Angenommen, ich bekomme hier nichts....“ Es war immer möglich, dass keine Mietkutsche in so einem kleinen Ort zur Verfügung stand oder die Einzige unterwegs war. „Dann reite weiter. In zwei Stunden, schätze ich ungefähr, müsstest du Toliens erreichen, wenn ich mich recht entsinne. Das liegt schon an der großen Straße in den Westen und dort ist auch eine kaiserliche Kurierstation. Mit deinen Pässen und Geld wird dir der Stationsvorsteher sicher eine besorgen. Ich bleibe und...verberge ihn vor zufälligen Passanten.“ „Wäre eine...große Truhe nicht auch ratsam?“ „Ja.“ Er seufzte: „Niemand soll wissen, dass wir ihn gefunden haben, bis der Kaiser anders entscheidet. Gute Idee. Also, beeile dich, mein Engel.“ Michel musste fast fünf Stunden warten, ehe sie zurückkehrte, in Begleitung einer Kutsche mit dem kaiserlichen Wappen darauf. Also war auch der Fahrer in kaiserlichen Diensten und würde verschwiegen sein.Sie hatten eine große Holztruhe mitgebracht, in die Michel und der Kutscher den Toten betteten. Der Fahrer sagte nur: „Die junge Dame hier meinte: zum Kaiser?“ „Nicht ganz. Wir fahren bis vor die Tore Paradisas und warten auf weitere Anweisungen.“ „Gut. Wenn alles glatt geht, werden wir morgen Abend bei Paradisa sein.“ Schneller ging es nicht. So sah sich Michel um: „Mein Engel? Gib mir doch meine Papiere zurück. Die Nachricht muss so schnell es geht zu Seiner Hoheit. Reite. Du kannst sicher über...du weißt schon, wen.....Audienz erlangen.“ „Ja.“ Sie stieg bereits wieder auf. Es würde bald dunkel werden, aber ein Reiter war stets schneller als eine Kutsche. Und der Kaiser könnte sich vorbereiten. Das hatten sie zuvor schon besprochen. Sie kannte die kleine Treppe in den Nordturm, die Stelle, wo sie scheinbar an einer Mauer endete, wusste, welche Reihenfolge man dort die Mauersteine drücken musste, um dahinter zu Raoul, und damit auch in Uthers Geheimdiensträume zu gelangen. Chilperich hatte Ausgang. Da zu seinen Pflichten als Kämmerer auch Bankgeschäfte für Markward gehörten, und er nur im Gefolge des Kaisersohnes Hausarrest hatte, war ihm der Ausflug bewilligt worden. Pflichtgemäß hatte er die Bank besucht, Überweisungen und Rechnungen angewiesen, das neu von der kaiserlichen Kasse erhaltene Geld eingezahlt. Er bekam auch für sich selbst von dort jeden Monat ein Gehalt, das er wie immer zu einem Drittel mit gewissem Stolz an seine Mutter überwies, um diese und seine Schwestern zu unterstützen. Ein wenig dankbar dachte er daran, dass sein eigentlicher Auftraggeber nun für seine Mutter einen Platz in einem vornehmen Damenstift als Alterssitz gekauft hatte. Auch die Heiraten seiner Schwestern mit einem Apotheker und einem wohlhabenden Tuchhändler standen kurz bevor. Er hatte es weit gebracht. Jetzt würde er sich noch um einen gänzlich anderen Auftrag kümmern. Er hatte in seiner Bitte um Ausgang auch erwähnt, dass er mit Freunden noch Karten spielen wolle, ja, sogar den Gasthof angegeben. Er wusste, dass er noch immer beschattet wurde. Der kaiserliche Geheimdienst war nicht unvorsichtig.Aber es dämmerte bereits und er würde nur sehr kurz für seinen eigentlichen Auftrag benötigen, so das sein zeitweises Verschwinden wohl nicht auffallen würde. Dann würde er sich in dem Gasthof zeigen, tatsächlich ein wenig spielen und, als sei nichts gewesen, in den Palast zurückkehren, zu Markward, der sich offenkundig nach dem Unfalltod seines Onkels bemühte, sich bei dem trauernden Kaiser nach Möglichkeit in das rechte Licht zu setzen, sich als Thronfolger zu empfehlen. Chilperich beschleunigte seine Schritte, bog rasch um zwei Ecken, ehe er durch eine schmale Passage zwischen zwei Fachwerkhäusern entlanglief, Dann blickte er sich um, suchte nach seinem Verfolger, ehe er eilends noch eine Gasse querte, um hinunter zu dem Kanal zu gelangen, der hinaus in das Viertel der Weber und Tuchmacher führte, zu einer Hofeinfahrt gegenüber der Brücke. Erst da sah er sich erneut um und entdeckte zwei Männer in dunkelblauen, knielangen Umhängen, mit Stiefeln. Einer winkte ihm zu und ihm wurde bewusst, dass sie ihn wohl beschrieben bekommen hatten. So ging er hin. „Alles lief nach Plan?“ „Ja, natürlich. Alles nach Anweisung. Habt Ihr unser Geld dabei?“ „Ja, die Hälfte, wie ausgemacht.“ Er zog einen schweren Beutel unter seinem Umhang hervor. Goldmünzen waren bei Meuchelmördern gern gesehen, verschwiegen sie doch ihre Herkunft, im Gegensatz zu Bankanweisungen. So hatte er zuvor in der Bank einige besorgt - mehr als einige, zugegeben. Der bislang schweigsame Mann nahm den Beutel wortlos und schob ihn bei sich ein. Chilperich ergänzte: „Die andere Hälfte wird unser Auftraggeber Euch persönlich bezahlen, wenn Ihr ihm Bericht erstattet. Mehr geht mich nichts an.“ „Kluger Junge. Ehe Ihr uns jedoch verlasst, soll ich Euch noch etwas ausrichten.“ „Ja?“ Chilperich erwartete einen Brief, eine neue Anweisung, wie er sie schon so oft bekommen hatte, und war ein wenig überrascht, als der Mann lächelte. „Ich soll Euch aus Orledos grüßen.“ Orledos? Das war eine Stadt im Hochland von Navarone, berühmt für ihre exzellenten Klingen. Wer auf sich hielt trug eine Waffe von dort. Er kannte da doch niemanden? Was....? Erst jetzt begriff Chilperich den scharfen Schmerz in seiner Brust, zumal nun auch der zweite Meuchelmörder zustach. Die Frage des Warum erlosch im Gehirn des Kämmerers, kaum, dass sie entstanden war. Den Aufprall auf das Pflaster spürte er bereits nicht mehr. ** Das nächste Kapitel bringt: Trauer Kapitel 47: Trauer ------------------ Raoul schrak zusammen, als er erkannte, wer neben ihm stand: „Ihr...Ich meine, Prinzessin ….Habt Ihr....?“ Da sie einfach nickte, stiegen ihm die Tränen in die Augen. Sie wusste, dass Raoul Uthers engster Vertrauter gewesen war, ein Freund und Wegbegleiter über Jahrzehnte. Er fragte nur: „Hat er...sehr leiden müssen?“ „Ja,“ gab sie ehrlich zu: „Aber er starb in Michels Armen.“ Raoul holte tief Atem. „Wenigstens das,“ flüsterte er, ehe jahrelange Pflichterfüllung ihn fragen ließ: „Was kann ich für Euch tun?“ „Ich muss mit dem Kaiser sprechen, ihm berichten, denn, nur wenn er alles weiß, kann er auch entscheiden. Nur, so gekleidet...?“ Sie deutete auf ihre Assassinengarderobe. Er würde ihr doch bestimmt Hofkleidung verschaffen können, wenn sie an den Fundus an Verkleidungen dachte. „Ich werde ihn herholen,“ sagte Raoul. Und da er ihre Überraschung bemerkte: „Glaubt mir, er kommt.“ Er ging. Sarifa holte tief Atem, ehe sie sich ein wenig müde an die Wand lehnte. Sie war jetzt tagelang unterwegs gewesen, sicher, dank des kaiserlichen Kurierpasses alle Stunde mit frischen Pferden versorgt gewesen, aber sie war weder stundenlanges Sitzen im Sattel gewohnt noch dieses Tempo. Überdies hatte sie auch bei Nacht kaum geschlafen, durchaus auch in der sicheren Annahme, dass der Schlaf sie fliehen würde. Sie hatte versagt, ihren Auftraggeber nicht geschützt. Und ohne Michel hätten sie ihn nicht einmal gefunden. Sie zuckte erst zusammen, als sie erkannte, wer hereinkam, und deutete eilig einen Hofknicks an. Dagobert winkte ab: „Setzt Euch. Raoul sagte, Ihr habt Uther....gefunden.“ „Ja,“ Sie wartete, bis er Platz genommen hatte, ehe sie antrainiert nüchtern Bericht erstattete. Als sie erzählte, wie Michel Uther in diesem alten Kerker gefunden hatte, presste der Kaiser seine Zähne so fest aufeinander, dass die Wangenmuskeln hervortraten. Aber er schwieg, bis sie von ihrer Trennung berichtete und dass eine Kutsche mit Michel – und Uther – unterwegs sei. „Verdurstet!“ sagte er ingrimmig: „Wenn ich je den Mann finde, der diesen Befehl gab....“ Dann jedoch nahm er sich zusammen. Er war acht gewesen als er das erste Mal in einem Heer mitgekämpft hatte, eine Rede an seine Männer gehalten hatte, vierzehn, als er das dritte Mal eine Schlacht gewonnen hatte. Lebenslang hatte er die Trennung zwischen persönlichen Gefühlen und Notwendigkeiten gekannt und so überlegte er auch jetzt erst einmal sachlich die Lage. „Michel dachte wie gewohnt mit. Sehr gut. Es wird besser sein, wenn niemand davon erfährt, dass Uther gefunden wurde, dass ich, wir wissen, dass auch alle Zeugen beseitigt wurden. - Übrigens, gestern Abend wurde Chilperich ermordet aufgefunden.“ „Chilperich?“ Sarifa entsann sich des bürgerlichen Mannes, Markwards Kämmerer und ständiger Begleiter. „Zufall...?“ „Mir wäre wohler, wenn ich das wüsste. - Nun gut, Sarifa. Geht nach Hause und ruht Euch ein wenig aus, ehe Ihr Euren Dienst bei der Kaiserin wieder aufnehmt. Wir werden eine Trauerfeier für Uther offiziell mit einem leeren Sarg abhalten, aber er soll seinen Platz neben unserem Vater einnehmen, wie es ihm gebührt. Ich werde Michel zu Eurer Wohnung senden, dort dürfte er sicher sein. Raoul wird ihm dann weiter Bescheid geben, wenn ich.....wenn ich mir etwas überlegt habe.“ Und er sich etwas beruhigt hatte. Als Michel zu Sarifa kam, war diese bereits gewaschen und hofgerecht umgezogen und bot ihm das Gleiche an. „Unten im Hof befindet sich eine Wasserpumpe. Und ich könnte dir...“ „Nein. Kleidung von dir passt mir bestimmt nicht. Raoul bringt nachher auch sicher etwas mit.“ Er zog sich Wams und Hemd aus: „Wie sieht der Rücken aus?“ „Nicht gut. Mindestens drei Verletzungen sind wieder aufgebrochen. Ich würde sie gern nachher mit Salzwasser auswaschen, so, wie es mir don Falis empfahl. Ich habe noch genug Salz hier.“ Sie bekam fast Angst um diesen Mann, dessen Anspannung sich doch endlich einmal lösen musste. Da war die Sache mit Pavero gewesen und jetzt das....wie viel wollte er noch allein ertragen? Er stand unter solchem Druck und unterdrückte diesen mit ebensolcher Gewalt. Was sollte, konnte, ja, durfte sie tun? Sicher, er war ihr Partner, aber auch ihr Ausbilder. Sollte er nicht besser wissen als sie, wie man mit seelischen Verletzungen umging? Als er nach unten ging und sie das Salzwasser zubereitete, dachte sie nach. Sie hatte immer zu ihrer Mutter flüchten können, auch ihre Brüder. Die Familie half da sehr. Nur, wenn man gar keine hatte? Sollte sie gemein zu ihm werden, damit er sie anschreien konnte? Als er zurückkehrte, hatte sie noch immer keine Lösung gefunden. Michel legte sich wortlos auf ihr Bett in dem er schon einige Nächte verbracht hatte, nach ihrer Rückkehr aus Pavero. Sie hatte dagegen auf den Matten in ihrem so genannten Wohnzimmer genächtigt. Ihr Bett war zu schmal für zwei nebeneinanderliegende Leute – wenn sie nicht überaus eng schliefen. Sie wusch die aufgerissenen Wunden: „Hat dich eigentlich noch nie jemand gefragt, wo du die ganzen Narben her hast?“ „Ja,“ knurrte er unwillig in das Kissen: „Ich sage dann immer: von diesem Nordlandfeldzug. - Diese hier sind jetzt allerdings wohl etwas schwerer zu erklären. - Entschuldige. Ich bin undankbar.“ „Das ist Unsinn und das weißt du auch. Michel, du bist in so einer nervenzerreissenden Anspannung......“ Kurz entschlossen stellte sie die Schüssel neben dem Bett ab und streckte sich auf ihrem Bett neben ihm aus. „Und so kann dich der Kaiser nicht brauchen, aber ich auch nicht. Das weißt du auch. Komm her. Nun komm schon, so hast du erst vor zwei Wochen in deinen Fiebernächten auch gelegen.“ Er zögerte, dann ließ er sich doch an sie ziehen und bettete seinen Kopf zwischen ihren Brüsten, ließ sich einfach festhalten. „Ich weiß nicht, wie es im Norden ist“, gab sie zu: „Aber bei uns ist es keine Schande um jemanden zu trauern. Und du kanntest Graf Uther doch schon sehr lange, praktisch dein ganzes Leben lang....Er war immer nett zu dir...“ Da spürte sie, wie er endlich, endlich zu weinen begann, zunächst ungeübt, dann freier. Sie hielt ihn umarmt und starrte an die Decke, selbst Tränen in den Augen. Irgendwann brachte er hervor: „Er....er sagte zu mir „mein Sohn“...“ Sarifa atmete durch, als sie das gesamte Ausmaß seines Schmerzes begriff. Der einsame, fünfjährige, elternlose Junge und der Schulleiter, der den ihm vermutlich komplett Unbekannten freundlich mit „mein Junge“ oder „mein Sohn“ begrüßt hatte, um dessen Vertrauen zu gewinnen – und der mit dieser Anrede lebenslange, bedingungslose Loyalität erhalten hatte. Aus dieser ersten Begegnung vor fast fünfundzwanzig Jahren hatte sich auch das besondere Verhältnis der Beiden zueinander entwickelt, das so abrupt und grausam geendet hatte.... Als Raoul in der hereingebrochenen Nacht fast zwei Stunden später klopfte, fand er bei beiden Agenten wieder ruhig und gelassen vor. Sarifa hatte sich freilich erneut umgezogen, um keine Spuren zu zeigen. Er brachte Hofkleidung für Michel, aber auch einen dunklen Umhang mit Kapuze für diesen. „Seine Hoheit lässt Euch ausrichten, dass der...der Sarg vorgeblich leer ist, aber in der Tat die...sterblichen Überreste des Grafen enthält. Er wird in dem schwarzen Kabinett aufgebahrt. Nach der zweiten Nachtwache wärt Ihr dort allein, don Michel, falls Ihr hingehen wollt. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der üblichen Vorsicht.“ Ja, das war auch Michel klar. An der eigentlichen Beerdigung würde er nur irgendwo im Hintergrund herumstehen können, wenn überhaupt. Es war freundlich von Dagobert, das so arrangiert zu haben. Überdies sollte er Markward und Chilperich aus dem Weg gehen. Als er letzteres erwähnte, sah ihn Sarifa an: „Oh, das habe ich ganz vergessen dir zu erzählen: Chilperich wurde gestern Abend ermordet aufgefunden. Der Kaiser wollte dazu noch etwas befehlen....“ „Chilperich? Zufall? Das wäre allerdings ein ganz großer.“ Michel nahm die Kleidung: „Nun, ich gehe mich rasch umziehen. Aber, mein Engel, es wäre nett, wenn du mich dann bis zum Palast sicherst. Hier laufen mir einige Personen zu viel mit Dolchen herum.“ Da sie wortlos nickte: „Gut. Dann werfe ich mich mal in....die Rolle. Wenn ich im Palast bin, kannst du ja wieder her.“ „Weniger. Ich soll morgen meinen Dienst bei Anawiga wieder antreten und kann ebenso gut auch in meinem Zimmer dort übernachten.“ „Noch besser. Wenigstens ein Mitglied der kaiserlichen Familie, an das dann keiner herankommt.“ Michel betrat fast lautlos das gewöhnlich unbenutzte schwarze Kabinett. Es hatte seinen Namen von den beiden Säulen aus schwarzem Granit, die die Decke trugen. Jetzt allerdings waren in der üblichen Leere Kerzenleuchter aufgestellt, die einen hellen Ahornsarg zeigten, über den quer ein schwarzes, besticktes Tuchband gelegt worden war. Er trat fast vorsichtig näher. Was sollte er sagen? Es tut mir Leid, dass ich nicht schneller gedacht habe? Sie waren doch nur durch Raten und diesen Wilderer auf die Spur gekommen. Und immerhin hatte er nicht allein in diesem dunklen Loch sterben müssen sondern unter freiem Himmel, in seinen Armen.... „Das ist der Preis der Macht.“ Michel fuhr herum. Er hatte den Kaiser nicht im Dunkel an der Wand sitzen sehen und verneigte sich eilig. Dagobert stand auf und kam näher. „So viele streben nach Macht – und haben keine Ahnung, welchen Preis man bezahlen muss. Vielleicht nicht einmal man selbst, aber die, die einem lieb sind. Und hier der Liebste von allen. Nein, kein Vorwurf an Euch und Eure Partnerin. Ohne Euch wäre er nicht einmal hier.“ Er blieb neben Michel stehen und betrachtete den Sarg. „Wieder ein Geist, der mich nachts besucht, mich fragt, ob ich das, was ich ihm versprach, auch gehalten habe. Die Liste wird immer länger.“ Seine Alpträume ließen ihn nur mehr bei Anawiga Ruhe finden. Verantwortung wog schwer. „Sag mir, Michel – ist das Macht wert?“ Michel bemerkte, dass der Kaiser ihn ungewohnt duzte, aber ihm war auch klar, dass der mehr mit sich selbst redete. So meinte er nur: „Ich weiß es nicht....“ Dagobert betrachtete noch immer den Sarg: „Nicht?“ „Wenn Euer Hoheit mir ein offenes Wort gestatten....ich fürchte, auch er würde es bejahen. Lieber Ihr als Kaiser, der sich Gedanken macht, Sorgen, als...“ Nein, das sollte er nicht aussprechen. Der Kaiser würde ihn auch so verstehen. Dieser nickte nur etwas: „Wärt Ihr auch bereit, den neuen Geheimdienstleiter zu unterstützen?“ „Ja.“ Aber Michel blickte fragend zur Seite. Raoul? Lothar? Zusätzlich zu dessen Aufgaben als Leiter der Polizei? Dagobert hob etwas die Hand. „Ich bin mir noch nicht sicher. Ich möchte nicht so reagieren, wie es die Gegenseite plante. - Ich gehe. Aber seid Euch bewusst, dass Ihr einer der wichtigsten Männer im Reich seid. Und ich Euch vertraue.“ „Danke, Hoheit.“ So offen war Dagobert selten bis nie zu ihm gewesen.....Aber dann blickte Michel auf den Sarg und nahm persönlichen Abschied. Sarifa schrieb einen langen Brief nach Hause, in dem sie offen gestand, dass sie versagt hatte, ihr Auftraggeber ermordet worden sei. Freilich war da die Sache mit Anawiga, auf die sie hauptsächlich aufpassen sollte, aber letzten Endes war das keine Entschuldigung. Und ein Versagen bedeutete Strafe – so lautete die Regel, schon in der Ausbildung der Jüngsten, aber auch die Erwachsenen unterwarfen sich dieser eisernen Disziplin. Und so rechnete sie damit abgezogen zu werden, nach Hause zurückkehren zu sollen – mindestens. Dankward las die Brieftaubennachricht über den Unfalltod seines Onkels betroffen. Sein Vater hatte ihm persönlich in den möglichen Zeilen mitgeteilt, dass Uther gestorben war. Der junge Bischof von Tailina spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen. Das war einfach ungerecht. Onkel Uther hatte sein ganzes Leben lang nichts getan, als seinen Bruder zu unterstützen. Vater musste sich jetzt so einsam und verlassen vorkommen.....Er musste ihm schreiben. Unbedingt. Oder besser noch, wenn schon nicht zu der Trauerfeier, so doch anreisen, um ihm persönlich das Beileid auszusprechen. Vater und Onkel hatten ihm selbst so viel Verständnis entgegengebracht, ihm so geholfen, wie er es nie erwartet hatte. Er griff nach der Klingel auf seinem Schreibtisch „Ich möchte don Rodrigo sprechen.“ Rodrigo war, da Dankward nur den Titel eines Bischofs trug, jedoch kein Mann der Kirche war, das religiöse Oberhaupt Tailinas. Er war zunächst ein wenig, nun ja, dachte Dankward, verschnupft gewesen, dass ihm ein so junger Mann, noch dazu der Sohn des Kaisers vor die Nase gesetzt worden war, aber inzwischen wusste der, dass er selbst Rodrigos Kirchenkarriere fördern würde und sich selbst nur um die Verwaltung und natürlich die Seeschule kümmerte. So kamen sie nach einigen angestrengten Wochen doch gut miteinander aus, oder, wie Rodrigo es genannt hatte: zwei Pferde im gleichen Gespann. Der Priester kam und sah sofort, dass der junge Bischof erschüttert war: „Schlechte Neuigkeiten?“ „Onkel Uther hatte einen tödlichen Unfall. Ich würde gern nach Paradisa reisen, um meinem Vater mein Beileid persönlich auszusprechen. Ein Brief könnte kaum ausdrücken, was ich fühle.“ „Ich verstehe. Ihr seid wohl auch sehr an Eurem Onkel gehangen?“ „Ich habe erst sehr spät erkannt, dass er immer da war. Für Vater, für mich, für alle. Er war so ruhig, aber immer da.“ Dankward stand auf: „Ich denke, ich bin in zwei Wochen zurück. Übernehmt Ihr?“ „Natürlich. Danke für Euer Vertrauen.“ Das war ernst gemeint. Rodrigo war Ende Dreißig, ein Mann aus einfachsten Verhältnissen. Ohne die Kirche wäre er weder zu einer Schulbildung gekommen, noch hätte er gar studieren können – und er hatte durchaus eine gewissen Verachtung des neuen Bischofs höchster Herkunft befürchtet, zumal der kaum über Lebenserfahrung verfügte. Inzwischen wusste er jedoch, dass Dankward zwar sehr wohl darauf pochte Regent Tailinas zu sein, sich jedoch nicht in kirchliche Angelegenheiten mischte und ihn da gewähren ließ. Mehr als das. Der Junge versuchte wirkliche Zusammenarbeit, auch mit diesem Offizier, der aus Navarone gekommen war, um die zu gründende Seeschule aufzubauen. Und jetzt bestellte ihn der Kaisersohn einfach so für zwei Wochen zu seinem Stellvertreter – ein Vertrauensbeweis, ja, ein Lob, obwohl Dankward inzwischen wusste, dass seine Eltern arme Kleinbauern am östlichen Rand des Reiches gewesen waren. Rodrigo verneigte sich etwas, überzeugt, dass er dieses Vertrauen seines Vorgesetzten rechtfertigen würde. Konstantin las die kurze Nachricht mit einem seltsamen Gefühl, ehe er aufblickte, da der Anführer seiner Geharnischten hereinkam: „Neuigkeiten?“ „Zwei Männer wurden im Norden der Stadt tot aufgefunden. Aufgrund ihrer Bewaffnung, ihrer Bekleidung und nicht zuletzt des Goldmünzenbetrages bei ihnen vermuten wir Meuchelmörder. Sie wurden jedenfalls nicht ausgeraubt, Todesursache ist unbekannt. Das Gold wurde beschlagnahmt.“ „Gut. Das Andere teile der kaiserlichen Polizei mit.“ Es gab immerhin einen Wandteppich, den er ersetzen musste. Er stand auf. „Ich reise nach Paradisa, nur mit einem kleinen Gefolge, um dem Kaiser persönlich mein Beileid auszusprechen.“ Und womöglich neue Kontakte zu knüpfen, die alten jedenfalls aufzufrischen. Immerhin war er nun einmal ein Mitglied der kaiserlichen Familie. Markward ging wieder einmal zum Fenster und starrte hinaus. Hatte er zunächst sich fast über Onkel Uthers Tod gefreut, immerhin war ein weiterer Kandidat als Vaters Nachfolger ausgeschieden, so wusste er nun nur zu gut, dass sein Vater trauerte – aber nicht weich wurde. Im Gegenteil. Mittlerweile hatte er durchaus den Verdacht bekommen, dass Onkelchen da Vater eher noch gebremst hatte. Er musste nur einen Blick auf die Papiere auf dem Tisch dort werfen. Der Kanzler hatte ihm lauter alte Hochverratsfälle als Lektüre präsentiert. Markward war klar, dass er sie, langweilig oder nicht, lesen musste. Im Zweifel würde sein Vater ihn abfragen. Und er steckte hier allein. Der arme Chilperich! In den Straßen der Hauptstadt überfallen und erdolcht. Und ihm fehlte jetzt der Berater. Was sollte er nur tun? Sein neuer Kämmerer, den er sicher zugeteilt bekommen würde, würde kaum so viel mitmachen, ihn so gut beraten können. Ach, musste denn alles schief gehen? An seinem ganzen Pech war nur dieser dumme de la Montagne schuld. Wäre der nicht nach Pavero gereist und hätte ihn in die Versuchung gebracht dem so richtig schön eine reinzuwürgen, wäre er sicher noch der Minenleiter von Gruvenant – und damit würde bestimmt auch Chilperich noch leben. So gesehen war Michel de la Montagne Schuld an Chilperichs Tod. Und dafür würde der noch bezahlen, wenn er je Kaiser wäre. Dagobert hatte dagegen eine Besprechung mit seinen engsten Mitarbeitern, die er seit Jahren, Jahrzehnten, kannte: Kanzler Godomar, Graf Lothar, der Leiter der Polizei, und Stallmeister Charibert, der Befehlshaber der Reiterei und damit des wichtigsten und größten Teiles des Heeres. Sie alle trauerten um Uther, aber auch ihnen war klar, dass nun der Geheimdienst führerlos war. Der Kaiser sah in die Runde: „Ich denke, es ist Euch allen bewusst, dass der Platz des Geheimdienstleiters neu besetzt werden muss. Dabei geht es nicht nur um laufende Aktionen, sondern auch und vor allem um das Spionagenetz an sich. Spione und Beobachter müssen bezahlt werden, soll nach außen hin niemand bemerken, dass der Platz an der Spitze unbesetzt ist. Es waren stets nur sehr wenige Vertraute, die Uther in dieser Position kannten, arbeiteten sie auch innerhalb des Geheimdienstes, so dass kaum etwas durchsickern dürfte. Es steht jedoch zu befürchten, dass ein ominöser Gegenspieler durchaus wusste, was Uther tat. Dennoch sollte man ihn nicht bestätigen. Das Geschäft muss weiterhin geführt werden, Unterschriften für Auszahlungen geleistet werden.“ „Da habt Ihr recht. Geschäft wie normal, bis sich der neue Leiter eingearbeitet hat.“ Der Kanzler legte die Hand an seine Amtskette: „Ich hoffe nur, Ihr denkt nicht an mich.“ „Nein. Ihr alle hier im Kreis seid auf Euren Positionen sehr fähig, wie sich in all den Jahren herausgestellt hat, und keiner von Euch hätte die Zeit rein bürokratische Dinge noch zusätzlich zu erledigen.“ Dagobert lehnte sich zurück und verschränkte die Hände in einer Art, die seine alten Mitstreiter aus Jahrzehnten zu deuten wussten. Er hatte seine Entscheidung getroffen, rechnete mit Widerstand – aber er würde sich ihm nicht beugen. „Ich dachte an die Kaiserin.“ Schweigen, ehe Godomar einwandte: „Ich möchte um Himmels Willen nicht den Verstand der Kaiserin anzweifeln – aber sie ist eine Prinzessin aus dem Ausland....“ „Ihr vergesst, dass sie guter Hoffnung ist,“ meinte dagegen Lothar: „Eine Mutter wird immer die Interessen ihres Kindes vertreten. Und dazu gehört auch, dass, wenn sie ihre schwere Stunde hat, auch der Kaiser noch ihr Ehemann und der Kaiser ist.“ Dagobert nickte ein wenig: „Daran dachte ich auch, abgesehen davon, dass sie mir ihre persönliche Loyalität versprach.“ „Aber,“ ergänzte Charibert: „Mit Verlaub, sie ist eine Frau, weich, behindert durch Skrupel. Wie sollte sie die durchaus manchmal notwendigen Mordbefehle geben?“ „Aus diesem Grund wollte ich ihr für äußere Operationen Prinzessin Sarifa an die Seite stellen. Ihr erinnert Euch doch an sie?“ Der Stallmeister nickte: „Selbstverständlich, Hoheit. Graf Uther bat mich sie vorzustellen. Ein Mädchen aus dem Süden.....“ Dagobert lächelte ein wenig: „Dann hat mein Bruder nicht einmal Euch das gesagt. Offiziell ist sie die Kämmerin, in Wahrheit die Leibwächterin der Kaiserin. Sie ist eine Assassine. - Noch immer überzeugt, dass Frauen zu weich sind?“ Assassine. Godomar und Lothar sahen sich an. Also existierte dieses geheimnisumwitterte Volk noch, Dagobert und Uther hatten davon gewusst, aber geschwiegen. Was nur bedeutete, dass sie für den Kaiser arbeiteten. Das erklärte, warum es im Süden derart ruhig war, aber auch, warum durchaus Missionen, die Uther beaufsichtigt hatte, sehr erfolgreich verlaufen waren, ohne dass man wusste durch wen. Charibert wurde ein wenig blass. Dieses hübsche, junge Mädchen, dessen Hand in der seinen vor Aufregung gezittert hatte, als er sie in den Kaisersaal zur Vorstellung führte? Ja, wenn er jetzt so nachdachte – ihre Finger waren rau gewesen wie die eines Mannes, der regelmäßig mit Waffen umgeht. Du liebe Güte. Aber er meinte nur: „Ich verstehe. Ihr wollt die Last des Geheimdienstes auf diese beiden Frauen aufteilen. Dennoch, wer soll den Kontakt zu den Leuten halten?“ „Raoul, wie bislang auch. Und noch jemand, der bis jetzt Operationen draußen durchführte, aber unbekannt bleiben sollte. Die beiden Männer bringen die Erfahrung, die beiden Frauen die Kenntnisse in Politik, Geografie und Verwaltung. Intelligente Menschen wachsen nicht auf Bäumen, meine Herren. Und ich halte die beiden jungen Damen für ausgesprochen fähig.“ Sein Kanzler zuckte ergeben die Schultern: „Wie Ihr wünscht. Ihr habt Eure Fähigkeit für überraschende Entscheidungen behalten.“ „Auf dem Schlachtfeld ist so etwas für den Gegner fatal,“ murmelte Charibert unwillkürlich: „Und Euer Hoheit vermutet wohl diesmal das auch, wenn auch im Intrigenspiel.“ „Darauf hoffe ich.“ Denn Dagobert wollte nicht noch ein Familienmitglied verlieren. ** Die Idee mit den Geistern am Bett stammt aus Richard dem Dritten von Shakespeare. Das nächste Kapitel bringt: Konsequenzen – und die Stellungsnahme des Bösewichts. Kapitel 48: Konsequenzen ------------------------ Weit im Süden erhielt ein Mann den Brief eines Boten mit gewisser Sorge, zumal, als er die Absenderin erkannte. Fürst Moussas Gesicht verdüsterte sich während der Lektüre immer weiter, bis er sich schließlich umwandte und zu seinem Sohn sagte: „Agrar, lass für heute Abend eine Djemma einrufen.“ Agrar erhob sich sofort, nicht, ohne die Bauen hochzuziehen. Eine Djemma, eine Versammlung aller, vor allem jedoch der Ältesten und Ranghöchsten, bedeutete eine Sache, in der der Führer der Assassinen nicht mehr allein entscheiden konnte und durfte. Ein wenig besorgt, schließlich hatte er Sarifa als Absender erkannt, machte er sich auf den Weg. So traf sich das Dorf ohne die Kinder an einem großen Feuer nach Anbruch der Dunkelheit. Im engsten Kreis um das Feuer saßen neben Moussa auch Agrar, Amir und Shahin, so wie die ältesten Männer und Frauen des Dorfes, dahinter die Übrigen in weitem Kreis. Moussa las Sarifas Brief vor, ein durchaus sachlicher Bericht über das Geschehene: ihr Auftraggeber tot, sie jedoch mit dem Auftrag die Kaiserin zu beschützen, ihr Auftraggeber, der auch zugleich der Pflegevater ihres Partners gewesen war. Sie hatte sich bemüht ihre persönliche Meinung herauszuhalten, so, wie es verlangt wurde. Allerdings hatte sie das Verhältnis von Michel zu Graf Uther mit diesem Wort wohl als am Besten charakterisiert empfunden. Moussa blickte in die Runde: „Es stellt sich die Frage, ob sie ihren Auftrag nicht erfüllt hat, ich sie zurückbeordern und bestrafen soll – oder nicht. Des Weiteren stellt sich eine Frage, wie wir mit dem Tod ihres Auftraggebers umgehen.“ Agrar zog seinen Dolch und stellte ihn mit der Spitze vor seine verschränkten Beine: „Ich gab Michel mein Wort in seiner Schuld zu stehen. Sagt er mir einen Namen, so ist diese Person tot.“ „Das mag sein,“ gab sein Vater zu: „Aber das ändert nichts an der Problematik an sich. Was sagst du, Elkhelellu?“ Sarifas Mutter dachte kurz nach, ehe sie meinte: „Der Wille des Auftraggebers lautete, meine Tochter solle die Kaiserin schützen. Dies tat sie und die Kaiserin lebt. Es wäre nicht Recht Sarifa für eine Fehlentscheidung des Auftraggebers zu bestrafen, zumal dieser ja auch die Folgen tragen musste.“ „So sehe ich das auch, Herr der Assassinen,“ warf ein älterer Mann ein: „Etwas anderes ist die Sache mit ihrem Partner.“ „Was ist deine Meinung, Amaschagh?“ Moussas Stimme war respektvoll. Dieser grauhaarige Mann war der älteste Schmied des Dorfes, aus seiner Hand stammte manch exzellente Klinge – und es hieß, das Schmiede mit dem Übernatürlichen in Berührung kamen. Dieser trug ein schwarzes Tuch um seinen Kopf gewickelt – Zeichen seines Berufsstandes: „Gewöhnlich schützt ein Assassine seinen Partner – nicht dessen Familie. In diesem Fall ist alles vermischt. Und zu allem auch noch der Kaiser mit involviert. Unsere Vorväter schworen für die Aufnahme hier im Reich dem Kaiser Treue. Dennoch muss es allen klar sein – auch, wenn Agrar für Michel kämpft, so geht er Entscheidungen ein, die womöglich das Reich betreffen. Und damit letztlich auch unser Volk.“ Für einen Moment herrschte Stille, ehe Shahin sagte: „Michel ist mein Bettgenosse – ich würde ihm gern bei seiner Rache helfen.“ Auch er zog seinen Dolch und hielt die Spitze vor sich auf den Boden. Amir und einige andere folgten diesem Beispiel. „Heißblütige Jugend,“ meinte Moussa ein wenig nachsichtig: „Seht ihr alle denn auch die Folgen? Ein konsequentes Eingreifen mag das Reich betreffen – und damit auch unser Volk. Wohin sollten wir, wenn wir hier erneut fliehen müssten?“ „Nichts wird gewonnen ohne ein Opfer,“ erklärte Amaschagh ruhig: „Doch man sollte stets einen kühlen Kopf bewahren. - Deine Meinung, Samir?“ Der weißhaarige Mann neben ihm strich über seinen Bart: „Sarifa. Und Michel. Der Kaiser und die kaiserliche Familie.....Vor einer solchen Entscheidung standen unsere Vorfahren seit zweihundert Jahren nicht. Es ist ehrenvoll, wenn einer der Unseren die Wache der Kaiserin anvertraut wird, zumal, wenn sie schwanger ist. Der Kaiser vertraut uns ebenso, wie es Sarifas Auftraggeber wohl tat. Sarifa zeigte uns auch hier im Dorf, dass sie ihren Partner richtig gewählt hat. Ehrenvoll entscheiden heißt nicht immer gefahrlos zu entscheiden, Herr der Assassinen. Doch ist Vorsicht oft der bessere Teil der Tapferkeit.“ „Was meinst du?“ erkundigte sich Moussa irritiert. Aber Samir hatte immer schon gern in Rätseln gesprochen. „Agrar und auch Sarifas Brüder haben eine gewisse Ehrenschuld gegenüber ihrer Schwester und deren Partner. Dass sie ihnen helfen ist durchaus ehrenhaft und erlaubt, würde auch nicht das Dorf gefährden. Dennoch sollte man eine gewisse Vorsicht nicht außer Betracht lassen. Sie alle sind fähig, durchaus erfahren, aber das könnte sie überfordern.“ Samir zog seinen Dolch und setzte die Klinge auf den Boden. Einige der älteren Männer und Frauen um ihn folgten den Beispiel, auch Elkhelellu. Der Kaiser war ein wenig überrascht, aber durchaus erfreut, als ihm sein Jüngster gemeldet wurde, und ließ diesen unverzüglich zu sich bitten. Höflich erhob er sich, als er junge Bischof eintrat und sich verneigte. Gut sah sein Sohn aus, in der dunklen Kleidung seines Ranges, die blonden Haare kurz geschnitten, als einzigen Schmuck den Bischofsring von Tailina tragend. Aber sein Gesicht wirkte entspannt, wenn auch ernst. „Ich freue mich, dass du kamst, Dankward.“ „Danke, mein Vater und Kaiser. Auch, wenn mich nichts Erfreuliches herreisen ließ. Es tut mir so Leid um Onkel Uther. Ich kann Euch kaum sagen, wie. Und wie ich Euch mein Beileid aussprechen kann. Für Euch ist er gewiss unersetzlich.“ „Danke. - Komm, setze dich. Wie geht es mit deiner Seeschule voran?“ „Es gestaltet sich ein wenig schwieriger als ich dachte. Aber wir haben nun eine Baustelle gefunden. Tailina liegt ja auf Felsen und ich wollte das Gebäude doch von Haus aus so groß bauen lassen, dass auch eine Bibliothek dort hineinpasst.“ „Brauchst du Geld?“ „Nein, danke. Euer Startkapital und auch die Einnahmen von Tailina genügen einstweilen. Letztere sind nicht üppig aber doch sehr solide.“ „Und, wie kommst du mit den Anderen zurecht?“ „Don Rodrigo?“ Dankward hatte verstanden: „Recht gut. Er war zunächst etwas besorgt, hatte Angst, dass ich zu hochnäsig sein könnte, aber inzwischen arbeiten wir ruhig zusammen.“ „Und mit Romano Fourrier wirst du auch kaum Probleme haben.“ Der Sohn wurde rot: „Äh, ja, weniger. Danke, dass Ihr den Regenten von Navarone aufgefordert habt, ihn nach Tailina zu schicken.“ Dagobert bemühte sich die Verlegenheit nicht zu sehen, geschweige denn zu kommentieren: „Nun, ich gab zu verstehen, dass ich auf Kapitän Polo nicht verzichten möchte und darum seinen ersten Offizier damit beauftragen würde. Verstehe mich Recht, Dankward: wäre Fourrier unfähig, hätte ich ihn nie berufen, persönliche Vorlieben deinerseits hin oder her. Ich hoffe im Übrigen, Ihr seid beide äußerst diskret.“ „Sehr, Vater, wirklich. Und es freut mich, dass Ihr Romano..ich meine Fourrier für fähig haltet. Wir sprechen uns auch in der Öffentlichkeit stets korrekt an. Ich ließ nur die Bischofsräume ein wenig umbauen....“ „So ist es gut.“ Der Kaiser seufzte etwas: „Du würdest nicht in Erwägung ziehen doch noch mein Amt zu übernehmen? Ich meine, diese Sache....zugunsten einer Kaiserin zu verändern? Ich frage nicht aus persönlichen Gründen.“ „Ich weiß,“ erwiderte Dankward fast ein wenig traurig: „Aber ich denke nicht, dass ich das könnte...Überdies: Kaiser zu sein wäre mir zu groß, wenn ich das sagen darf. Lasst mir Tailina und die Seeschule, damit komme ich gut zurecht. Ihr müsst und musstet oft streng und auch hart sein – ich könnte kaum Todesurteile aussprechen oder Burgen und Städte schleifen lassen. Im Kleinen mag ich ein nicht unfähiger Regent sein – im Großen würde ich versagen, Vater. Das weiß ich. Ich würde natürlich Markward helfen, falls er eines Tages Euch nachfolgt.“ Immerhin, dachte Dagobert. Ein kleiner Trost, wenn schon der wohl Fähigere seiner Söhne wirklich nicht zur Verfügung stand: „Markward ist hier.“ „Ja, ich war kaum angekommen, da hörte ich schon, dass er hier quasi Arrest hat.“ „Nicht nur quasi. Er war mir ein wenig zu umtriebig, um es so zu nennen.“ „Darf ich ihn dennoch besuchen?“ erkundigte sich der junge Bischof lieber vorsichtig: „Ich werde ihn meiner Unterstützung und durchaus brüderlichen Liebe versichern. Darf ich Eure Hoheit noch auf etwas aufmerksam machen? - Danke. Markward handelt gewiss nur so kopflos, weil er Angst hat. Er will Kaiser werden – und Ihr verweigert ihm den Titel Prinz, den Titel des Thronfolgers. Seid jedoch wirklich versichert, dass er nicht die Absicht hat...sagen wir, seine Thronübernahme zu beschleunigen.“ Ein loyaler kleiner Bruder.....Dagobert spürte brennend seinen eigenen Verlust. Aber er sagte nur sachlich: „Darum geht es nicht. Sollte er dies versuchen, würde ich ihn draußen auf dem Marktplatz hinrichten lassen. Aber seine Spielereien mit Intrigen gefährden dennoch das Gleichgewicht im Reich, für das dein Großvater gestorben ist, das dein Onkel und ich so mühsam bewahrt haben und bewahren. Zeiten mögen sich ändern, das ist wahr – aber es ändert sich eines nie an Menschen: dass sie Macht wollen. Du magst da eine Ausnahme sein. Aber dennoch ist es wahr. Glaubst du nicht, dass die Herzöge, so mancher König, nur auf eine Schwäche meinerseits warten? Aufstände sind schnell entfacht und schwer wieder zu löschen. Zumal in einem solch großen Reich, in dem ein Tage, ja, Wochen dauert, ehe ein Heer vor Ort sein kann.“ „Soll ich mit ihm darüber sprechen?“ bot Dankward an. Dagobert wog kurz ab: würde Markward das eher als Versuch seines Bruders sehen ihn von seinen Thronfolgeplänen abzubringen? Oder würde er ihm zuhören und auch selbst erwachsen werden? „Lass es lieber,“ beschied er dann: „Markward trauert übrigens auch. Sein Kämmerer, Chilperich, wurde in den Straßen Paradisas erdolcht. Er wurde zwar vom Geheimdienst beschattet, aber entweder war der Agent einen Moment unaufmerksam oder Chilperich wollte den Verfolger abhängen – jetzt ist er tot.“ „Das Spiel um die Macht des Kaisers ist ein tödliches,“ erwiderte Dankward langsam: „Nein, da habe ich lieber mein kleines Tailina, das Südmeer vor mir und meine Seeschule. So werde ich meinem Bruder nur alles Gute wünschen. Darf ich hier heute übernachten? Morgen würde ich bereits zurückreisen.“ „Natürlich. Gib draußen Bescheid. - Danke, mein Junge, für deinen Besuch.“ Für einen Moment war der Kaiser wirklich versucht nach Wachen zu rufen, um Dankward zur Not in Ketten als seinen Erben bekannt geben zu lassen – unsinnig, töricht. Zwischen den wieder ergrünten Hügeln des Königreiches von Pisan winkte ein Mann einen Diener zu seiner Kutsche: „Bringe diesen Brief nach Liberace. Du weißt, an wen.“ Als der Bote davoneilte, lehnte sich der Mann zurück. „Ach, Uther. Die vier Banditen zu überzeugen dich zu entführen war schwer, so sagte mir Chilperich. Und dann wollten sie unbedingt, dass du verhungerst. Ich ließ sie in dem Glauben – und damit auch dich. Hattest du große Angst? Und als dann meine Meuchelmörder kamen, um dir das Messer ins Herz zu stoßen? Warst du froh? Sei versichert., dass dein Bruder den Wert einer Klinge noch schätzen lernen wird - wenn alles gut für mich läuft, mein erster Plan umgesetzt werden kann, direkt in Paradisa. Wenn dem nicht so ist, nun, du selbst lehrtest mich immer auch an andere Möglichkeiten zu denken. Fast fünfzig Bewaffnete...man kann sie so oder so einsetzen. Das werden wir sehen. Enden wird es jedenfalls mit Dagoberts Untergang. Wie..hm...bedauerlich für den Guten.“ Fast vier Wochen waren seit der Beerdigung Uthers vergangen, als Michel ein kleines Päckchen vor seiner Wohnungstür fand, ohne Absender, aber auch ohne Adresse. Vorsichtig nahm er es auf und öffnete es noch behutsamer in seinem Wohnzimmer Er wusste, dass schon Leute vergiftet worden waren, denen man nur einen harmlosen Apfel geschickt hatte – allerdings gespickt mit feinen vergifteten Nadeln, die sich in die Hand bohrten, griff man unwillkürlich danach. Verblüfft und ein wenig erschrocken betrachtete er den Inhalt: eine Falkenfeder und ein Dolch, dessen Klinge getrocknetes Blut zeigte. Was sollte das denn? Am Besten würde es sein, er fragte seine Partnerin. Im Zweifel kam das aus dieser Ecke. So wickelte er die beiden Gegenstände in ein großes Taschentuch, schob sie ein und machte sich wieder auf den Weg zum Kaiserpalast, den Sarifa seit Wochen nicht mehr verließ. Er war fast sicher, er würde sie in Uthers ehemaligem Arbeitszimmer finden, gemeinsam mit der Kaiserin und Raoul. Es schmerzte ihn noch immer, die Drei dort zu sehen, aber er arbeitete mit – und er gab zu, dass sich Anawiga redlich abmühte, sich in alles einzuarbeiten und zu lesen. So verneigte er sich vor der Kaiserin, ehe er bat: „Dürfte ich kurz mit Sarifa sprechen?“ „Natürlich.“ Anawiga war mehr als verblüfft gewesen, dass ausgerechnet dieser Mann, den sie immer schon für überzogen gehalten hatte, um es noch freundlich auszudrücken, nicht nur im kaiserlichen Geheimdienst war, sondern in den Besprechungen mehr als nüchtern und sachlich – und intelligent. Die Assassine folgte ihm ein wenig überrascht in einen anderen Raum, wo er den Dolch und die Feder vor ihr ausbreitete. „Eine Ahnung was das soll, mein Engel? Will mich jemand umbringen?“ „Eher im Gegenteil. Das ist die Kriegserklärung meines Volkes.“ So ernst hatten sie ihren Brief genommen? „Klär mich auf.“ „Ich musste, nach dem Tod meines Auftraggebers, Onkel Bericht erstatten. Dabei sagte ich auch, dass...nun, dass du und Graf Uther euch nahegestanden habt. Das, was du siehst, ist das Versprechen, dass der, wer auch immer es war, Krieg mit den Assassinen hat. Wenn du einen Namen sagst, wird derjenige wirklich, wirklich großen Ärger bekommen, vollkommen gleich, ob er Stadtrat, König, Bischof oder auch der Kaiser selbst wäre.“ Sie sagte es nachdrücklich: „Du solltest dich also nicht irren, wenn du auf jemanden zeigst.“ „Bringt ihr ihn dann um?“ „Nein. Ich muss zugeben, ich kenne es nur aus Erzählungen. Gewöhnlich kommt das selten vor. Das Ziel bekommt einen Dolch neben sich geworfen, woran ein Zettel befestigt ist, dass er von Assassinen getötet werden wird. Ab da wird es...Hm. Er wacht morgens auf – neben seinem Kopf steckt ein Messer. Er geht über den Markt – neben ihm landet ein Messer. Er sitzt auf seinem Thron – neben ihm landet ein Messer.“ „Reizend. Wie lange geht das...?“ „Ich weiß es nicht. Nur, falls er sich einen Leibwächter sucht.....“ „Ist das auch einer von euch, schon klar. Ich sollte wirklich Agrar oder deinen Brüdern keinen Namen sagen, wenn ich nicht sicher bin. Und selbst dann denjenigen lieber der kaiserlichen Gerichtsbarkeit ausliefern.“ Michel erschrak fast vor dem harten Blick seiner Partnerin, als sie ihn jetzt ansah: „Das ist deine Entscheidung. Nur, wie auch immer du entscheidest – ich und mein Volk sind an deiner Seite.“ „Danke,“ sagte er. Was konnte man sonst schon antworten. Als beide zu der Kaiserin zurückkehrten, winkte diese ihnen sich zu Raoul zu setzen. Sobald die vier Personen, die die momentane Führung des kaiserlichen Geheimdienstes bildeten, sich gegenüber saßen, erzählte Anawiga: „Raoul teilte mir soeben mit, dass Bischof Konstantin von Pavero in Paradisa eingetroffen ist, sicherlich, um dem Kaiser persönlich sein Beileid auszusprechen. Er hat Zimmer im...Goldenen Krug.“ „Ein gutes Hotel,“ erwiderte Michel sofort: „Und durchaus angemessen für den Herrn eines Stadtstaates. Dankward war ja auch hier.“ „Die Herzöge, wenn ich das so sagen darf,“ meinte Raoul: „Geben sich auch die Klinke in die Hand. Anscheinend wollen alle ihr Beileid persönlich aussprechen.“ „Raoul,“ meinte Michel fast ein wenig tadelnd: „Ihr wisst es besser.“ „Verzeiht, don Michel, Hoheit...Prinzessin....“ beeilte sich Uthers langjähriger Vertrauter zu sagen: „Natürlich ist mir klar, dass sowohl die Herzöge als auch die Könige und Bischöfe hauptsächlich kommen, um zu sehen, wie sich der Kaiser stellt, wie es künftig weitergehen wird. Mit Ausnahme wohl von Dankward.“ „Ja, nach allem, was mir der Kaiser über ihr Gespräch berichtete,“ bestätigte die Kaiserin: „Er reiste auch am folgenden Tag wieder ab.“ „Konstantin.“ Sarifa lächelte ein wenig, nahm sich jedoch zusammen. „Vorsicht,“ mahnte ihr Partner: „Er ist immerhin auch ein, wenn auch entferntes, Mitglied der kaiserlichen Familie.“ „Ich weiß,“ beteuerte sie eilig: „Aber womöglich hat Markward dann wieder einen...Berater.“ „Ja, Chilperich wurde ja ermordet,“ meinte Anawiga: „Ich habe ihn kennengelernt, er schien mir ein intelligenter Mann zu sein, dem eine glänzende Karriere offenstehen würde. Ich frage mich noch immer, warum er so sterben musste, allein in einer dunklen Straße.“ „Sein Beschatter hatte ihn genau da aus den Augen verloren,“ gestand Raoul: „Und ich gebe zu, Hoheit, dass es so aussieht, als habe Chilperich ein Treffen gehabt, bei dem er keine Zuschauer wollte.“ „Und sein Bekannter zog ein Messer,“ ergänzte Michel: „Also war Chilperich kaum ein zufälliges Opfer eines Straßenräubers, wenn er sich zuvor bemühte seinen Verfolger loszuwerden. Ich sehe nur wenig Sinn darin, zumindest, was Markward angeht. Ja, er hat seinen Berater verloren, aber.....“ Er brach ab. „Der Kaiser hat mit Graf Uther seinen Vertrauten und Bruder verloren, Markward seinen Vertrauten und Berater.“ Anawiga atmete durch: „Ich verstehe, was Ihr meint. Der erste Schlag erfolgte gegen die Berater. Das würde bedeuten, dass auch Sarifa in Gefahr ist.“ Die Assassine zuckte die Schultern: „Ich bin vorsichtig. Und kann mich wehren.“ „Wie wahr, meine Sachlichkeit,“ meinte Michel, um jedoch zur Kaiserin hin fortzufahren: „Für mich bedeutet es noch etwas anderes. Warum wurden jetzt, genau jetzt, diese Morde begangen? Chilperich war seit Jahren bei Markward, von dem Grafen ganz zu schweigen.“ „Der Plan nähert sich der Vollendung,“ antwortete Anawiga langsam: „Der...der Gegner glaubt, dass er alle Trümpfe in der Hand hat und will bald zuschlagen?“ Sie war durchaus noch ein wenig unsicher, aber sie hatte bemerkt, dass Sarifa ihren Partner respektierte und dieser sie anscheinend auch anlernte. „Ja. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, was für uns besser wäre, wenn er seinen Plan etwas beschleunigen musste, zum Beispiel, weil ihm die Geldmittel fehlen. Meine Partnerin und ich haben ihm doch so einiges abgenommen vor allem, durch die Ausschaltung der Piraten in Emsby.“ „Oder beide Möglichkeiten,“ warnte Raoul: „Und das wäre wohl am schlimmsten.“ Der Plan stehe vor seiner Vollendung – und es gäbe kein Zurück mehr mangels Geld. Die Kaiserin nickte. „Markward hat Hausarrest und wird durch die Leibwachen geschützt, Dagobert selbst ebenso, auch ich, und zusätzlich, aber natürlich nicht am mindesten, von Sarifa. Wir sollten alle drei vor einem Anschlag geschützt sein. Konstantin?“ „Er wird überwacht,“ erwiderte Raoul sofort. „Das ist reine Routine bei Staatsbesuchen.“ „Das wurde auch Chilperich,“ sagte Sarifa: „Es wäre vielleicht günstiger, wenn er auch hier in den Palast käme. Außerdem könnte man ihn da leichter überwachen. Ich denke, Hoheit, wir sind uns alle einig, dass wir vorsichtig sein müssen. Etwas Dunkles lauert.“ Das sagte ausgerechnet die Frau, deren Volk ihm selbst zuliebe gerade einen Krieg ausgerufen hatte, dachte Michel prompt. Aber er nickte nur. „Ich werde mich von Konstantin fernhalten.“ Anawiga wusste inzwischen, was in Pavero geschehen war: „Glaubt Ihr, dass das nötig ist? Er wird wissen, dass Ihr am Leben seid, gewiss hat ihm Markward davon berichtet. Ich hätte eher gehofft, dass Ihr....nun, Euch mit ihm anfreunden könntet.“ „Nicht wirklich,“ zischte er förmlich, um ruhiger fortzufahren: „Ich weiß, Ihr dachtet an eine genauere Überwachung, aber ich sehe mich fähig mit ihm und Markward beiläufig zu reden, jedoch keine Freundschaft vorzuspielen. Bedauerlicherweise habe auch ich meine Grenzen.“ „Ich übernehme Markward,“ bot Sarifa heldenmütig an, wie alle anderen im Raum wussten: „Graf Uther sagte ihm, er solle sich von mir fern halten, aber Markward schloss daraus nur, dass der Graf hinter mir her sei.“ Michel seufzte: „Gut, also, wenn Ihre Hoheit nichts dagegen hat. Aber, bitte, mein aggressiver Engel: keine Waffen, keine Gewalt, kein toter Markward!“ „Ja,“ sagte die Assassine nur. Als die beiden Damen unter sich waren, lächelte die Kaiserin: „Aggressiver Engel?“ „Er nennt mich seinen Engel, ja. Es ist oft ratsam, nicht mit seinem Namen hausieren zu gehen. Warum er ausgerechnet Engel sagt habe ich ihn nie gefragt.“ „Aber er ist nicht Euer Liebhaber....?“ Anawiga brach lieber ab: „Entschuldigt. Das war wohl zu intim.“ „Er ist mein Partner,“ erwiderte die Assassine: „Das schließt sich zwar nicht aus, aber Vertrautheit bedeutet nicht immer Liebe.“ „Ich dachte nur an seinen Ruf hier am Hofe, was man so über ihn redet. Aber ich habe schon bemerkt, dass das alles Tarnung ist. - Oh, kommt. Ich glaube donna Melisande sucht uns. Es geht wohl um den Empfang für Bischof Konstantin, da muss ich dabei sein. Ihr auch, denn Markward wird auch dabei sein. Ziehen wir uns um.“ ** Im nächsten Kapitel wenden wir uns mal dem Cousin Konstantin zu..... Kapitel 49: Konstantin ---------------------- Der Empfang für berufsmäßig schwarz gekleideten Bischof Konstantin von Pavero war nur in kleinem Rahmen, wegen der noch immer gültigen Hoftrauer. Auch die Damen trugen darum deutlich dunklere Kleider als gewöhnlich. Konstantin musterte kurz den Kaiser, als er durch den kleinen Saal ging, in dem üblicherweise auch Bankette stattfanden. Er hatte ihn seit einigen Jahren nicht mehr gesehen und fand, dass er gealtert war. Nun, weniger verwunderlich, wenn man bedachte, dass der zum einen schon auf die Sechzig zuging, zum anderen soeben einen schweren Schlag erlitten hatte. Sein Blick galt mehr der blonden jungen Dame links neben dem Sitz des Kaisers. Er hatte Anawiga noch nie gesehen, nur gehört, sie sei schön – aber das sagte man ja von allen Prinzessinnen. Es stimmte jedoch. Sie wäre auch sein Geschmack, wenn auch außer Reichweite. Unter den Hofdamen, die schweigend hinter ihr standen, vier an der Zahl war auch eine großgewachsene Blondine, die ihn reizte. Pavero lag im Süden und so hatte er die blonden Schönheiten des Nordens vermissen gelernt. Ein Mann der Frauen war er allemal, schließlich war er nur Titularbischof und sah sich nicht an kirchliche Keuschheitsregeln gebunden. Trotz seiner nicht all zu lange zurückliegenden schlechten Erfahrung mit einer gewissen jungen Dame. Er blieb stehen und verneigte sich höfisch. „Willkommen, Cousin Konstantin.“ Das war freundlich, dachte er: „Danke, Euer Hoheit. Ich bin angereist, um Euch mein Beileid zum Tode Graf Uthers persönlich darzubringen.“ Nun, was er dem Kaiser sonst noch zu berichten hatte würde er ihm persönlich sagen. Wenn Dagobert nicht unter vier Augen mit ihm reden wollte, müsste er eben hartnäckig um eine Privataudienz bitten. Hier, vor den Ohren doch so einiger Höflinge und Anawigas sollte man drüber nicht sprechen. „Danke. Wie geht es Euch?“ Der übliche, höfliche Austausch, ehe die Sitten gelockert wurden und sich der Bischof von einigen neugierigen Bekannten und Höflingen umringt sah. Später ließ ihn Dagobert tatsächlich in sein Arbeitszimmer bitten. Konstantin atmete auf. Das war schon einmal wichtig, schließlich gab es da so einen kleinen Disput zwischen ihnen zu erwarten. Und es hätte in der Macht des Kaisers gelegen, ihn geblendet in ein nettes kleines Kloster zu verbannen. Unnötig zu sagen, dass er das nicht wollte. So verneigte er sich, als er hereinkam. Dagobert winkte: „Setz dich, lieber Cousin. Ich denke, du weißt, warum ich dich sprechen will.“ Die persönliche Anrede, als Zeichen dass man in der Familie war – nicht unfreundlich. Der Bischof gehorchte und nahm vor dem Schreibtisch Platz, ehe er beide Hände hob und, die Höflichkeit gegenüber dem Herrscher einhaltend, angab: „Ich kann es mir vorstellen, Hoheit. Ich versichere Euch, ich war schlicht entsetzt als Markward in Pavero auftauchte, erschüttert über diese Dummheit geradezu vom Hof zu fliehen, nur, weil die Kaiserin guter Hoffnung ist. Wozu ich Euch übrigens alles Gute wünsche.“ Er wartete zuvorkommend das dankende Nicken des Kaisers ab, ehe er fortfuhr: „Und Ihr könnt mir glauben, dass ich dem dummen Jungen gehörig die Leviten gelesen habe. Er hat in keinster Weise bedacht, dass er sich in einer Weise dem Hochverrat näherte, die noch dazu jeden politischen und menschlichen Instinkt vermissen ließ. Nach einer Hochzeit kann man doch davon ausgehen, dass die Dame bald in gesegnete Umstände kommt. Kein Grund, durchzudrehen, wenn ich das so sagen darf. Und ich hoffte, ihn zu beruhigen und zu einer Rückkehr zu bewegen, wenn ich ihm meine – familiäre – Unterstützung bei einer möglichen Thronbesteigung versprach.“ „Das ist zugegeben der Punkt, der mich am meisten interessiert,“ antwortete Dagobert milde: „Wolltest du nicht wenigstens abwarten wen ich zum Thronfolger ernenne?“ Konstantin verfiel nicht in den Fehler die Freundlichkeit in der Stimme des Kaisers böte schon Sicherheit für ihn: „In Anbetracht der Tatsache, dass Dankward nun Bischof von Tailina ist, und dem Erbrecht der Kernlande, sah ich und sehe ich keine Alternative zu Markward. Nur ein männliches Familienmitglied Eurerseits kann in den Kernlanden Euer Erbe antreten. Ich vermute kaum, dass Ihr Dankward zuerst zum Bischof macht und dann zum Thronfolger oder gar mich zurückrufen wollt, wenn Ihr einen Sohn noch frei habt.“ „Und so warst du dir sicher keinen Fehler zu begehen, wenn du Markward deine Unterstützung zusagst.“ „Nur familiär,“ wiederholte der Bischof eilig: „Es war nie die Rede von militärischer Hilfe, zumal Pavero kein stehendes Heer besitzt.“ „Und die Beihilfe zum Mord?“ Konstantin seufzte und hob erneut eine Hand: „Natürlich. Ich hätte mir denken können, dass Euer Hoheit mindestens einen Agenten an dem Jungen dranhabt. Michel de la Montagne ist der geplante Mordfall, nicht wahr? Und Euer Agent beauftragte...Hilfe für ihn.“ Nein, dumm war Konstantin nicht, noch nie gewesen: „Eine Erklärung?“ „Wie gesagt, ich wollte Markward meiner Unterstützung versichern. Wie Euch der don de la Montagne dann wohl erzählt hat, ließ ich ihn verhaften – aber teilte ihm auch mit, dass ich ihn als politisches Opfer sehen würde. Und ich drückte ihm mein Bedauern aus.“ So ähnlich hatte es Michel in der Tat beschrieben. Dagobert dachte nach. Konstantin hob den Kopf, war jedoch zu höfisch erzogen – und zu besorgt um sich, als dass er mit seinen Gedanken losgeplatzt wäre. Der Kaiser sah ihn an und winkte etwas. „Ich wollte Euch noch etwas zu Graf Uther sagen....Als ich die Mitteilung über seinen Unfall bekam, war ich natürlich betroffen. Aber dann fiel mir eine Szene ein, die ich schon lange vergessen hatte. Ich war ja erst drei gewesen, als ich Euch und ihn zum ersten Mal sah. Wir kamen aus dem kirchlichen Asyl, in das sich meine Mutter geflüchtet hatte, und da ward Ihr, mit diesem Heer an Reitern hinter Euch. Für mich ward Ihr da schon der Kaiser, mit Kettenhemd und Rüstung, ein Schwert an der Seite, eben ein Mann. Und Uther...er trug auch ein Kettenhemd, aber nur einen Brustpanzer, kein Schwert. Und er ging vor mir auf ein Knie nieder und versprach mir, ich müsse keine Angst haben, er werde auf mich aufpassen. Wie alt war er da? Dreizehn? Es war, denke ich, auch seine Idee dann wegen mir die Knappenschule zu eröffnen.“ „Nicht nur wegen dir,“ sagte Dagobert, der sich nun auch an die Szene erinnerte. Ja, sie waren zwölf oder dreizehn und vierzehn gewesen, seit Jahren im Sattel, seit Jahren zumindest im Sommer im Krieg. Nicht zuletzt wegen der drei Aufstände, die Konstantins Vater verursacht hatte. Nach dem dritten hatte er den hinrichten lassen, zumal er selbst für volljährig erklärt worden war, sicher, dass der nichts mehr dazu lernen würde. „Nach den Kriegen zur Wiedervereinigung des Reiches waren einige adelige Kinder zu Waisen geworden. Wo sollten sie lernen, wie man sich benimmt, Lesen und Schreiben, wie man Güter verwaltet und nicht zuletzt, wie man reitet und ein Schwert führt. Ja, auch wegen dir. Es war und ist eine gute Ausbildung. Meine Söhne haben sie auch durchlaufen.“ „Ja. Und ich bin sicher, Dankward wird einen guten Herrn für Tailina abgeben, wie ich mir selbst für Pavero schmeichele. Bei Markward allerdings fehlt noch etwas, das er aber wohl an keiner Schule lernen kann.“ „Nun?“ „Eben Instinkt. Politischen und auch menschlichen.“ Das hatte Uther auch gemeint und Dagobert hatte ihm zugestimmt. Aber er war sicher Konstantin wollte noch mehr dazu sagen: „Weiter.“ „Das kann man nicht lernen. Aber ich würde mich, Euer Einverständnis vorausgesetzt selbstverständlich, in den Tagen in denen ich noch in Paradisa bin, mich noch einmal ein wenig Markwards annehmen. Er scheint mich als eine Art...Freund zu sehen.“ Konstantin wusste, dass dem Herrscher sein Zögern nicht entgangen war. Ein Kaiser hatte keine Freunde zu besitzen – und wenn doch, so würde es immer wieder Momente geben, in denen er sie opfern musste. Markwards Schwäche für den Bischof von Pavero war in Dagoberts Augen kaum eine Empfehlung für die Thronfolge. So wollte Konstantin da ein wenig gegensteuern. Er brauchte diesen dummen Jungen als Kaiser, um selbst aus Pavero in die Hauptstadt zurückkehren zu können, dauerhaft und in allen Ehren, eine gewisse Karriere vor Augen. Dagobert dachte nach. Nun, nichts was diese beiden jetzt bereden konnten hätten sie nicht auch schon in Pavero tun können. Und im Zweifel waren hier eher Uthers....nein, seufzte er in Gedanken, Anawigas Spione dran. Und Konstantin war älter als Markward, lebenserfahrener und, um es so zu nennen, auch lebenstüchtiger. Er hatte sich sein Leben lang keinen Fehler geleistet, der das Reich betroffen hätte. Wen er wann im Bett hatte, ging höchstens die jeweilige Frau und Konstantins Beichtvater etwas an. Und das, obwohl ihm klar war, dass er als Sohn eines Hochverräters unter besonderem Verdacht stand. Oder gerade deswegen. „Nun gut. Du hast meine Erlaubnis. Du darfst gehen.“ „Danke, Hoheit.“ Der Bischof vergaß nicht die höfische Verneigung, ehe er sich von einem Sekretär zu Markward führen ließ, schon, damit dieser gegenüber den Wachen die Erlaubnis des Kaisers bestätigen konnte. Der älteste Kaisersohn starrte trübsinnig aus dem Fenster und wandte sich nur langsam um, sicher, dass schon wieder neue Lektüre für ihn gebracht wurde. Als er den Eintretenden erkannte, lächelte er: „Cousin Konstantin, was für eine Überraschung!“ Dieser blickte sich rasch im Zimmer um, durchaus in dem Bewusstsein, dass in Schlössern oft genug die Wände Ohren hatten: „Nun, ich wollte dem Kaiser persönlich mein Beileid aussprechen. Er gestattete mir auch den Besuch bei Euch.“ Der Bischof ließ sich ungefragt am Tisch nieder: „Interessante Lektüre, wie ich sehe.“ „Langweilig,“ gab Markward zu und setzte sich: „Prozesse wegen Hochverrats der letzten dreißig Jahre.“ „Lehrreich, nicht wahr?“ „Langweilig. Oder, was meint Ihr?“ „Wer wegen Hochverrates angeklagt und verurteilt wurde, hat in aller Regel Fehler begangen, mein Bester. Sowohl in Eurer derzeitigen Lage als auch als Kaiser werdet Ihr nur Nutzen aus dieser Lektüre ziehen.“ Konstantin legte die Hände auf den Tisch: „Mir will jedenfalls scheinen, dass Eure Reise zu mir Euch diesen Arrest eingetragen hat.“ „So kann man es auch sehen. Und an allem ist nur dieser Montagne schuld!“ „Oh, Ihr macht mich neugierig.“ Konstantin war ehrlich verblüfft. Markward zögerte nicht, es ihm mitzuteilen: „Wäre dieser Idiot nicht nach Pavero gekommen, wäre ich nicht versucht gewesen, ihn....ihn in den Kerker stecken zu lassen.“ „Es wäre Eurer zukünftigen Rolle angemessener, wenn Ihr die Schuld für Eure überstürzte, ja, törichte Reise, nicht bei anderen suchen würdet, mein lieber Junge. Ihr wollt Thronfolger werden und seid der einzige Kandidat. Was in aller Welt also hindert Euch, Euch auch wie ein zukünftiger Kaiser zu benehmen und nicht wie ein verwöhntes Kind?“ Konstantin klang etwas schärfer, als es der Kaisersohn gewohnt war. Die Erklärung folgte sofort: „Ich durfte soeben ein sehr....langes Gespräch mit Eurem Vater führen und kann froh sein, dass er mir geglaubt hat und mich nicht zur Strafe geblendet in irgendein Kloster im Norden abgeschoben hat. Ihr scheint immer wieder zu vergessen, dass er der Kaiser ist und welche Macht er hat!“ „Diese Macht kenne ich ja...“ murmelte Markward: „Aber ich will auch nicht warten, bis...ja, bis was? Er hat ja nie gesagt, warte, bis ich sechzig bin, dann bekommst du alles.“ „Oh, bitte. Dagobert und abdanken? Niemals. Aber Ihr könntet schon längst der Thronfolger sein, wenn Ihr Euch auch wie einer benommen hättet. Gleich nach seiner Hochzeit mit Anawiga seid Ihr ihr nachgestiegen, als ob es keine anderen Frauen gäbe. Soll er Euch dafür loben?“ „Das war ja auch eine Sache. Sie ist in meinem Alter. Und wenn mein Vater schon glaubt, eine Verbindung mit König Kaismir sei positiv – warum um aller Welt gibt er sie nicht mir, sondern legt sich mit über fünfzig noch eine Neunzehnjährige ins Ehebett?“ „Oh,“ sagte Konstantin und das klang wieder einmal wirklich betroffen. „So habt Ihr das gesehen? Er missgönnt Euch die Ehe mit einer schönen Prinzessin?“ „Sie ist mein Alter – sie hätte mir gehört. Gehören müssen.“ „Gut. Wo fange ich da an. Entweder Ihr habt andere Lehrer als ich gehabt, was ja durch die Jahre zu verstehen wäre, oder in der Knappenschule hat sich einiges geändert – oder Ihr habt nie zugehört. Privatdinge und Staatsdinge sind zweierlei Dinge. Soweit verstanden? Euer Vater, wie auch Graf Uther oder auch meine Wenigkeit und die Herzöge...wir alle trennen das Private so gut es eben geht von den Staatsaffären. Auch, wenn man die Macht hat – man bringt niemanden um, nur, weil man den nicht leiden kann. Das bringt früher oder später nämlich die Bevölkerung gegen einen auf und man hat wunderbare Aufstände voller Leidenschaft – nur gegen einen selbst. Die Leute wollen genau wissen, wann wofür bestraft wird, gleich, wie hart die Strafen dann auch sind. Sie wollen es wissen. So. Schon aus dem Grund war Euer...unser Vorgehen gegen Michel de la Montagne sehr kritisch zu betrachten. Zum Glück war Euer Beschatter ein überaus mitdenkender Mann und als er eine...einen Assassinen traf hetzte er ihn mir auf den Hals.“ Bei näherer Betrachtung konnte das dann doch dazu führen, dass sich Markward wunderte, warum eine Frau so einfach in sein Schlafzimmer gekommen war. „Ich habe Tode befohlen, ja. Und ich habe nur einen Einzigen davon je bereut. Man muss wirklich darüber nachdenken, was man tut. Zu Anawiga. Ist Euch schon mal der Gedanke gekommen, dass der Kaiser sie nicht heiratete, weil es staatspolitisch erforderlich war, sondern andersherum?“ Er bemerkte den verständnislosen Blick: „Er heiratete Anawiga, weil er sich in sie verliebt hatte und staatspolitisch nichts entgegenstand. Er hätte sie nie Euch überlassen.“ „Ja,“ murmelte Markward, um auch einmal positiver dazustehen: „Das habe ich ja nach meiner Rückkehr auch dann bemerkt. Ich hatte nur zuerst nie daran gedacht, ich meine, er ist doch schon ein alter Mann und....“ „Jetzt wisst Ihr es. Und merkt Euch ein für alle Mal, dass man Staatsaffären und Privatleben trennt. Der Kaiser und auch Euer Onkel haben das bis zur Perfektion getan. Und ich gebe zu, sie waren mir da beide gute Lehrmeister.“ „Ich habe ja verstanden, werter Cousin. - Übrigens, Chilperich, wurde ermordet. Mein Kämmerer und Berater.“ „Doch nicht hier im Palast?“ „Nein, irgendwo in einer dunklen Straße. Ich wüsste nur gern, was er dort getrieben hat. Das Viertel am Kanal ist nichts für einen Höfling.“ „Nun, von Eurem Geld fehlt wohl nichts?“ „Nein, er hatte nichts unterschlagen. Kanzler Godomar ließ sofort alles überprüfen.“ „Natürlich. Es hätte mich auch gewundert....“ Der Bischof nickte ein wenig gedankenverloren: „Die Prüfungen der Kämmerer insgesamt sind sehr streng.“ „Ja, anscheinend. Jetzt werde ich wohl jemand Neuen bekommen, aber der wird mich kaum so gut beraten können...Wie lange seid Ihr noch in Paradisa?“ „Noch wenige Tage. Ich habe eine Stadt zu regieren.“ „Könnt Ihr nicht...länger bleiben? Ich brauche jemanden, der mich berät.“ Nun, das dürfte auch dem Kaiser klar sein: „Ich kann fragen. Aber noch besser wäre es, wenn Ihr selbst fragt. Ihr seid erwachsen.“ „Seht Ihr, so etwas meine ich.“ Markward stand auf: „Ihr habt doch sicher sonstige Pläne....“ „Keine, die Eure weitere Zukunft betreffen,“ gestand Konstantin ehrlich. Wozu noch einmal von vorn anfangen. „Ihr wollt nach Paradisa zurück, sagtet Ihr. Also: als mein Berater, zumindest vorläufig. Ich werde Vater darum bitten...Seine Hoheit,“ korrigierte er sich mit einem fragenden Blick. „Besser,“ lobte der Bischof auch prompt: „Mich redet er als jüngeres Familienmitglied mit Du an – ich würde mir das ihm gegenüber nie erlauben.“ „Naja, das habe noch nicht mal ich getan. - Gut. Ich bitte um Audienz. Im Zweifel weiß er sowieso schon, was wir hier geredet haben.“ Konstantin lächelte fein. Der Junge lernte dazu? Umso besser. Dann würde Dagobert auch seine Erlaubnis geben. Besser für ihn selbst und auch zugegeben für Markward. „Dann bittet doch auch gleich für mich um die Erlaubnis Räume hier im Palast beziehen zu können. Diese Wirtschaft ist bequem, aber hier wäre es bequemer und auch billiger.“ Und sicherer, aber daran würde Dagobert bestimmt denken und auch der neue Geheimdienstleiter, wenn es den gab, doch seiner Meinung nach war Uther diese Aufgabe oblegen. In einer kleinen Taverne nahe des Nordtores saß ein junger, schwarzhaariger Mann mit bodenlangem Umhang nachdenklich vor seinem Wasserglas. Er blickte erst auf, als sich jemand ungefragt an seinen Tisch setzte, gekleidet in braunem Wams und weißem Hemd, scheinbar unbewaffnet, ein freier Bauer. „Du wirst nachlässig, mein Bruder,“ sagte der Neuankömmling, durchaus ein wenig tadelnd. Shahin zuckte daher die Schultern: „Ich sah dich durch das Fenster dort kommen. - Etwas Neues?“ „Nein, soweit. Der Plan steht.. Und sobald der Partner unserer Schwester einen Namen sagt, wird er anlaufen. Allerdings hat Onkel Moussa in einem Punkt eine wichtige Änderung beschlossen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Schließlich ist unsere Schwester mitten drin. Und ihr hat unser Schutz ebenso zu gelten.“ Er brach ab, da die Bedienung kam. Erst, als sein Glas ebenfalls auf dem Tisch stand, fiel das nächste Wort. „Dann erzähle mal die kleine Planänderung, Yamin, mein Bruder. - Wie geht es sonst zuhause?“ Er und sein Partner, sowie Agrar waren bereits vor Tagen in die Hauptstadt gekommen, die Lage erforschend. „Die Vögel fliegen aus.“ Nur dem flüchtigen Lächeln Shahins war zu entnehmen, dass er sich diesen ominösen Satz zu deuten wusste. So fuhr Yamin fort: „Nun, höre, mein älterer Bruder.“ Er beugte sich näher. In einem Gasthof ein wenig außerhalb der Stadt empfing ein Mann in dunkelgrünem Umhang und Lederstiefeln einen Boten. Die Spitze seines Degens lugte unter dem Umhang hervor. Er las und nickte. „Sag unserem Herrn, dass wir seinen Plan befolgen. Ich möchte ihn allerdings darauf aufmerksam machen, dass es Tage, wenn nicht Wochen dauern wird, ehe alle unauffällig in der Hauptstadt sind.“ „Das wird er wissen,“ gab der Bote zurück: „Aber ich werde es ihm ausrichten. Noch etwas?“ „Diesem Brief entnehme ich, dass nun die gesamte kaiserliche Familie im Palast ist: der Kaiser, seine Frau, sein ältester Sohn und sein Neffe. Was ist mit dem jüngeren Sohn, Dankward?“ „Er ist bereits wieder abgereist. Ihn interessiert der Kaisertitel nicht.“ „Dennoch könnte auch er...einen Unfall haben.“ „Keine Anweisung in dieser Sache.“ „Gut. Ich weiß, was ich zu tun habe.“ Der Meuchelmörder verbrannte den Brief mit den Instruktionen: „Morgen früh habe ich die Einteilung und werde die Männer benachrichtigen. Aber, wie gesagt, es kann dauern.“ „Ich glaube, es kommt in diesem Fall nicht auf Tage an, sondern darauf, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. So gehabt Euch wohl.“ Der Bote ging. Der Mann lächelte ein wenig. So kam man also in die Mitte der Macht – man ließ sich irgendwann mit jemandem ein und entdeckte, dass der nicht nur ein freigiebiger Auftraggeber sondern auch ein wirklich mächtiger Mann war, der bereit war, um seinen Kopf zu spielen. Denn das kaiserliche Spiel lief darum. Und der Verlierer musste den Preis bezahlen. Nur galt in diesem Fall: der Kaiser wusste ja noch nicht einmal, dass das Spiel um seine Macht längst begonnen hatte. Kapitel 50: Besprechung ----------------------- Es war ein herrlicher Frühsommertag und Anawiga hatte beschlossen, ihre Arbeit zumindest über Mittag ruhen zu lassen. Statt, wie jetzt meist mit Sarifa und Raoul geheime Dokumente zu lesen und Entscheidungen zu treffen, saß sie mit ihren Damen im Garten und plauderte. Amtlich hieß es, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft der Ruhe bedürfe und der Kaiser hatte ihr das offizielle Arbeitszimmer seines verunglückten Bruders zugeteilt. Niemand wusste, dass sie von dort aus in das des Geheimdienstleiters gelangte. Auch, wenn es keine der Damen zugegeben hätte – sie waren froh darum, hatten sie in dieser Zeit doch frei und konnten sich im Palast bewegen, tun, was sie wollten. Es war ehrenvoll aber doch langweilig stets um die Kaiserin herum sein zu müssen – und so manche war froh, dass Sarifa da zumeist eingeteilt wurde. Jetzt, in der Mittagssonne, unterhielten sich die Damen über unheimliche Geschichten, die in ihren jeweiligen Heimatländern die Runde machten. Es war angenehm, einen kühlen Schauer zu spüren – nun, tagsüber. Nachts wäre es deutlich furchterregender gewesen. Donna Guisberta, die, wie auch Sarifa, aus dem südlichsten Königreich Cinquanta stammte und entfernt mit König Elymian verwandt war, hob ein wenig melodramatisch die Hände: „Oh, ja, Geister, Ungeheuer...aber was ist das gegen den Tod selbst? Bei uns erzählt man sich von den Klingen der Dunkelheit.“ Anawiga warf unwillkürlich einen Blick seitwärts, wo Sarifa auf einem der Kissen saß, die Dienerinnen hier in den grasigen Schatten gelegt hatten. Ihre Leibwächterin hielt die Hände fast sittsam aufeinandergelegt im Schoß – die Finger allerdings am weißen Ärmel ihres Hemdes. Die Kaiserin wusste, dass dort verborgen Wurfmesser lagen, ehe sie wieder zu ihrer Hofdame sah: „Klingen in der Dunkelheit?“ wiederholte sie. „Ja, Hoheit.“ Guisberta weitete die Augen, um das Drama anzudeuten. „Sie kommen aus der Dunkelheit der Hölle und dorthin verschwinden sie auch wieder, sagt man. Man merkt nicht, dass sie kommen, dass sie gehen – aber sie waren da, das beweist ein Toter, der erdolcht wurde.“ „Meuchelmörder?“ warf die oberste Hofdame, donna Roswitha, ein. „Nein. Meuchelmörder sind ja Menschen. Aber das sind keine Menschen. Man sagt, das Opfer kann sich in der Mitte einer gut befestigten Burg befinden, von vielen Wachen umgeben sein – es findet den Tod, wenn die Höllenklinge es sucht.“ „Zu einem Messer gehört eine Hand,“ sagte Sarifa prompt. „Oh, das mag sein. Aber ich will nicht wissen, wie die Hand eines Höllenmonsters aussieht.“ Anawiga bemerkte das winzige Zucken der Mundwinkel der Assassine. Natürlich, dieses Volk war damit gemeint. Ob es Guisberta gefallen würde, nur zwei Schritte neben einem solchen Höllenmonster zu sitzen? Etwas erheitert meinte sie: „Nun, das wird wohl kaum jemand wollen. - Oh....seht mal, meine Damen, wer uns da beehrt.“ Sarifa stöhnte innerlich auf. Markward. Sie hatte jedoch in der Besprechung gesagt, dass sie sich um ihn kümmern, ihn ein wenig aushorchen wollte. Immerhin stand er ja auf sie. Sie neigte dessen ungeachtet ebenso höflich den Kopf wie die anderen Damen, während sich der älteste Sohn des Kaisers ein wenig vor seiner Stiefmutter verneigte. „Ihr habt vollkommen recht, Hoheit, ein solcher Tag ist zu schön, um ihn im Palast zu verbringen. Ich habe ebenfalls nach meinen Lehrstunden...“ Schließlich hatte Anawiga Vaters Ohr und würde das wohl weitererzählen: „Beschlossen, ein wenig spazieren zu gehen, natürlich nur innerhalb der Palastmauern, wie es mir unser Kaiser erlaubte.“ „Und noch besitzt Ihr keinen neuen Kämmerer, nicht wahr?“ „Nein. Es ist wohl ein wenig schwierig ein Amt zu besetzen, bei dem der Vorgänger ermordet wurde. Wobei ich sicher bin, dass das nichts mit seinem Amt bei mir zu tun hatte.“ Da hatte er ausnahmsweise Recht, dachten die Kaiserin und die Assassine gleichzeitig. Insgesamt wirkte er ein wenig gedämpft, nicht mehr ganz so großspurig. Anawiga lächelte, und wohl nur Sarifa ahnte, was jetzt kommen würde: „Allein hereinzuspazieren ist doch wohl ein wenig langweilig, teurer Markward. Darf ich Euch eine meiner Damen anbieten...vielleicht Prinzessin Sarifa?“ Der mögliche Thronfolger begann zu strahlen: „Oh, welch reizende Idee, meine teure Stiefmutter. Darf ich bitten, Prinzessin?“ Sarifa erhob sich höflich lächelnd. Da musste sie durch. Es war schließlich ihr Angebot gewesen – und es schadete nie zu wissen, was dieser Trottel jetzt schon wieder plante. Wo war eigentlich Konstantin? Wenn sie richtig informiert war – und das sollte sie sein – war der doch zur Zeit so eine Art Nachhilfelehrer für den Kaisersohn. Sollte er da nicht dauernd um ihn sein? Manche der anderen Damen sahen sie neidisch an, manche erleichtert – wohl je nach dem, wie die Jeweilige zu ihm stand. Sie wusste inzwischen auch, dass einige Damen eifersüchtig waren, dass sie sich so oft so nahe an der Kaiserin befand und oft genug allein – aber das war ihr gleich. Sie hatte einen Auftrag. Und immerhin, hier, mitten im Palast, wo selbst oben auf den Mauern Leibwachen standen, war Anawiga vermutlich sicher. Markward war das Problem. Er und seine spontanen Einfälle. Nach kaum zehn Minuten des gemeinsamen Spaziergangs war die Assassine allerdings fast am Ende ihrer Geduld angekommen. Wie schaffte es Markward nur von jedem Thema auf ihre Augenfarbe zu kommen? Das war nervtötend. Irgendwie sollte sie doch an Informationen gelangen? „Ich bin übrigens überrascht Euch allein hier zu sehen, werter Markward.“ „Oh, ich besitze keinen Kämmerer, keinen Vertrauten, im Augenblick und mein Kammerdiener schleicht mir schon genug hinterher Ich bin ganz froh, ihn mal nicht um mich zu haben.“ „Ich dachte Bischof Konstantin würde Euch begleiten....Er ist doch mit Euch verwandt, nicht wahr?“ „Entfernt, liebe Prinzessin, sehr entfernt. Sein Vater war der Onkel meines Vaters. So gesehen ist er ein Cousin, ja, aber doch schon entfernt.“ Markward war eilig bemüht den Eindruck zu verwischen, dass er Begleitung benötigte: „Es ist nur so, dass er mir doch des öfteren schon Ratschläge gab. Er ist doch älter als ich und es ist doch klug von Erfahrenen zu lernen.“ „Natürlich,“ bestätigte sie: „Das nennt man sogar weise. - Eigentlich ist die kaiserliche Familie dann sehr klein.....“ „Nun ja, mein Vater, mein Bruder und meine Stiefmutter und natürlich auch das Kind, das sie erwartet.“ „Und Bischof Konstantin.“ „Äh, ja, wenn Ihr so wollt. Aber er ist eben ein Bischof, wie auch mein Bruder, und kommt damit natürlich für eine Thronfolge nicht in Betracht.“ War er wirklich so dumm? Politische Notwendigkeit würde auch die Kirche dazu bringen, der Befreiung eines Bischofs von seinen Pflichten zuzustimmen, zumal, wenn es nur ein Titularbischof war und es um die Kaiserwürde ging. Ihr Lächeln jedoch war freundlich: „Natürlich, das ist allgemein bekannt.“ War es das? Oder setzte der unbekannte Gegenspieler auf Dankward? Oder gar Konstantin? Oder doch auf Markward? Eines war ihr nach diesem alles andere als amüsanten Gespräch jedoch klar: der Kaisersohn wusste von nichts. Er sah alles nur aus seiner Sicht – herrlich naiv. Und sie hatte noch vor einem Jahr gedacht sie selbst sei unerfahren? Immerhin war ihr das bewusst gewesen. „Wenn mir ein neuer Kämmerer zugeteilt wurde, liebe Prinzessin, und ich damit wieder über meine Finanzen verfügen kann, würdet Ihr mir eine Freude machen, wenn Euch der Juwelier meines Vaters besuchen dürfte. Ich würde Euch gern einen passenderen Schmuck als diese Mondsichel schenken, die Ihr stets tragt.“ Mondsichel? Dann fiel ihr ein, dass er wohl die Wurfklinge meinte. „Oh, vielen Dank, aber ich möchte weder Eure Einkünfte schmälern noch gierig erscheinen.“ „Das ehrt Euch, meine Liebe....“ „Ihr solltet mich nicht so nennen.“ „Oh, es stimmt doch,“ hauchte er verführerisch, nicht ahnend, dass sich ihr rechter Unterarm anspannte und sie nur mit Mühe verhindern konnte, dass ein Dolch in ihre Hand glitt. „Ihr seid jung und hübsch, da solltet Ihr Euch ein wenig Verwöhnen schon gefallen lassen.“ Sie sah lieber ein wenig beiseite, ehe sie noch etwas so Dummes wie Mord an einem möglichen Thronfolger anstellte, und lenkte das Thema auf die blühende Akelei. Tatsächlich war Markward höfisch erfahren genug es nun dabei zu lassen. Michel bummelte unterdessen durch den Palast, wie immer seine Rolle spielend. Erst, als er am Nachmittag mit seiner Partnerin und der Kaiserin zusammentraf, sich auch Raoul gesetzt hatte, verlor sich das Gezierte seiner Haltung. „Konstantin war heute bei der Leibwache. Er holte Leutnant Guiskard ab, um mit dem in der Stadt essen zugehen. Nur zur Information. Es ist kaum verwunderlich, er und Guiskard waren in der Knappenschule im gleichen Jahrgang und der gute Bischof war jahrelang nicht in Paradisa. Ich wollte es nur erwähnt haben.“ „Das erklärt, warum Markward so erfolgreich allein mir auf die Nerven ging,“ erwiderte Sarifa prompt. „Nun ja, er sagte auch nichts von Wert, ich gewann jedoch den Eindruck, dass er sich nicht gerade mit Konstantin verschworen hat um etwas für seine Thronfolge zu unternehmen. Ja, ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass er den Bischof verachtet – auch, wenn er einsieht, dass er ein Ratgeber sein kann.“ „Markward verachtet alles und jeden,“ meinte Michel unverzüglich: „Genau das ist ja das Problem.“ Anwaiga nahm einen Brief auf: „Das hier dürfte interessant sein. Graf Lothar gab es mir vorhin.“ Einer der wenigen, die wussten, wer nun den Geheimdienst leitete. „Die Wachen des Bischofs in Pavero meldeten zwei aufgefundene Leichen, wohl Meuchelmörder. Jedenfalls waren es keine Stadtbewohner, bewaffnet mit zwei Dolchen und auch von der Kleidung her – Reisende. Eine Todesursache konnte nicht festgestellt werden, also war es mutmaßlich Gift.“ Michel und Sarifa blickten sich an, ehe er erwiderte: „Zwei Meuchelmörder. Und wir vermuten, dass in...in der Zollburg, wo wir Graf Uther fanden, zwei Männer waren, die die Vier dort umbrachten.“ Keinem der Anwesenden war sein kurzes Zögern entgangen – und niemand verübelte es ihm. „Aber wieso Pavero?“ fragte Raoul. „Die Münze, die Michel in der Zollburg fand, war aus Cinquanta.“ Sarifa zuckte die Schultern: „Es sieht so aus, als ob sie aus dem Süden stammten, nicht aus den beiden Meuchelmörderdörfern. Sie waren wohl auf dem Weg heim, als ihr Auftraggeber befand, sie seien auch überflüssige Zeugen.“ „Gestattet, dass ich Euch korrigiere,“ sagte die Kaiserin: „Eine Münze aus Cinquanta und die Meuchelmörder in Pavero...das sieht mir eher so aus, als ob sie ihrem Auftraggeber Bericht erstatten wollten und dieser eben im Süden steckt.“ „Oder beides. Man nimmt eher vertraute Leute.“ Michel richtete sich auf: „Wir können nur raten. Gift, meint die Polizei also. Das setzt auf alle Fälle voraus, dass sie mit ihrem Auftraggeber zusammen getroffen sind und ihren Bericht abgeliefert haben. Nach allem, was wir über den Unbekannten wissen, ist er klug. Und er würde kaum die Leute töten, wenn er nicht sicher weiß, dass sie ihren Auftrag erledigt haben. Umgekehrt – er wird sie doch kaum zu sich nach Hause eingeladen haben. Pavero ist daher ebenso wie die Münze aus Cinquanta kein echter Hinweis. Leider. Ich würde Bischof Konstantin gerne mit Meuchelmördern in Verbindung bringen.“ „Du würdest Markward auch gern ein halbes Dutzend Kindermorde anhängen,“ erwiderte Sarifa prompt: „Aber das ist nicht professionell, oder?“ „Nein, wäre es nicht. Deswegen habe ich ja gesagt, dass es kein echter Hinweis ist.“ Michel seufzte: „Aber, wie Graf Uther schon so richtig bemerkte: irgendwo im Reich sitzt ein sehr intelligenter Mann mit bislang verflixt guten Plänen, den wir nicht kennen, und dessen Absichten sich anscheinend gegen den Kaiser richten. Der Abwechslung halber würde ich diesem Mistkerl gern mal zuvorkommen, ehe er wieder zuschlägt.“ „Wir sind ihm in Emsby zuvorgekommen,“ wandte die Assassine ein: „Und das hat ihn wirklich den finanziellen Nachschub gekostet.“ „Ja, aber erinnere dich, dass wir davon ausgingen, dass es sich um jemanden handeln muss, der sowieso über weitreichende Verbindungen und Geldmittel verfügt und über Kontakte jenseits des Südmeeres. Sonst hätte er nicht Marteau in Lavinia so auffliegen lassen können. Es muss sich um einen König oder einen Herzog handeln – ein kleiner Herr einer Stadt könnte kaum derartige Kontakte haben. Es ist ein mächtiger und intelligenter Gegner, leider.“ Er bemühte sich um äußerste Sachlichkeit, eine Tatsache, die ihm die Anderen hoch anrechneten. „Und sein Ziel ist der Kaiser?“ Anawiga fragte es nachdenklich: „Sicher, die Entführung und Ermordung Graf Uthers....Aber wie sollte ein Herzog oder auch meinetwegen der König von Pisan plötzlich Anspruch auf die Kaiserwürde erheben können? Die Kernlande können doch nur in der männlichen Linie vererbt werden – und auf ihnen und ihrem Reichtum beruht die Vorrangstellung des Kaisers. Zumindest habe ich es so verstanden.“ „Ihr habt Recht, Hoheit,“ gab Michel zu: „Aber verkennt nicht die wertende Kraft der Tatsachen. Wenn der Unbekannte genug Geld hat um ein Söldnerheer auf die Beine zu stellen, zusätzlich zu seinen militärischen Möglichkeiten eben als Herzog oder König, und den Kaiser besiegen könnte, würde das in der allgemeinen Bevölkerung durchaus als Entscheidung gewertet werden. Und ohne Führung durch den Kaiser – oder meinetwegen Markward – würden sich die Kernlande dem Sieger unterwerfen.“ Die Kaiserin nickte etwas: „Ich verstehe. Aber bedeutet das nicht auch, dass der....Tod Graf Uthers sozusagen nicht gegen ihn gerichtet war, sondern dazu dienen sollte, Dagobert seelisch anzuschlagen?“ „Ja.“ Raoul seufzte ein wenig: „Und das bedeutet wiederum, dass der Unbekannte den Kaiser zum einen respektiert, wenn nicht fürchtet, und ihn schwächen will, ehe er zuschlägt – zum anderen aber auch, dass der Hauptangriff bald erfolgen soll. Denn nach einer gewissen Trauerzeit legt sich bei jedem der Schmerz. Und, auch wenn ich es ungern sage, don Michel, Hoheit...Prinzessin: auch Graf Uther ist ersetzbar, wenn auch natürlich nie vollkommen.“ Sarifa hob etwas die Hand: „Aber welche Rolle spielt dann Markward? Und welche Konstantin? Dankward hat sich ja zurückgezogen, er dürfte in Sicherheit sein und auch kaum selbst nach der Krone schielen.“ „Nein,“ gab Anawiga zu: „Der Kaiser erwähnte mir gegenüber, dass er ihn fast darum gebeten habe Thronfolger zu werden – wollte er es, hätte er keine großen Pläne schmieden müssen sondern nur Ja sagen.“ „Konstantin ist seit Jahrzehnten Bischof,“ gab Michel zu: „Er hat zwar wohl manchmal zu erkennen gegeben, dass er lieber in Paradisa wäre, aber er hat nichts Verdächtiges unternommen. Er ist eben hier aufgewachsen und, ehrlich gesagt, Pavero ist eine nette kleine Stadt, aber das hier ist eben DIE Großstadt des Reiches. Und er ist durchaus ein....nennen wir es ein Mann der Genüsse.“ „Markward kann keine Pläne schmieden,“ meinte Sarifa: „Zumindest unauffällige. Er ist viel zu sehr von sich eingenommen. So kann man keine Leute dazu bringen für einen Verbrechen zu begehen. Geld ist nicht alles.“ „Was ist mit Chilperich?“ fragte Raoul: „Es wäre doch zu zufällig, wenn er in einer Gegend erdolcht wird, in der er nichts verloren hat – und genau da seinem Verfolger entkommen ist. Aber welche Verbindung hat er zu dem Unbekannten?“ „Er arbeitete für ihn,“ erklärte Anawiga: „Warum auch immer. Dieser Unbekannte hat ihn entweder angeworben als er schon bei Markward Kämmerer war oder eher schon früher und dann dorthin lanciert.“ Raoul nickte: „Ich werde Chilperichs Personalakte kommen lassen und überprüfen. Aus der Zeit vor allem, ehe er zu Markward kam. Wer ihn empfohlen hat. Das sollte zwar bei seiner Berufung zum Kämmerer bereits angesehen worden sein, aber mit heutigem Kenntnisstand ist es noch einmal etwas anderes.“ „Ja. - Und Markward selbst?“ Die blauen Augen der Kaiserin sahen zu Sarifa. Die seufzte: „Er will mir Juwelen schenken, sobald er einen neuen Kämmerer hat. - Ich werde mich wohl mit ihm zu einem Spaziergang im Garten verabreden müssen.“ „Rede mit ihm, forsche ihn aus,“ befahl Michel, um mahnend zu ergänzen: „Aber passe auf dein Temperament auf.“ „Ja, ich weiß: kein toter Markward. - Falls ich mit Konstantin reden muss, wie soll ich mich zu ihm stellen?“ „Spiele das harmlose junge Mädchen, vielleicht ein wenig geschmeichelt über die Aufmerksamkeit des Thronfolgers, aber sonst mehr zurückhaltend. Er darf dich nicht wiedererkennen.“ Obwohl, das gab der Agent zu, sich wohl kaum jemand an die Stimme einer Person so genau erinnerte, die einem eine Klinge an die Kehle hielt. „Rede eben so wenig wie möglich mit ihm.“ Die Assassine wusste das ebenso gut und nickte nur. Ein wenig gezierter sprechen – da saß immerhin ein gutes Beispiel neben ihr - , ein wenig ahnungsloser tun, das musste eben reichen. Der werte Bischof war kaum dazu gekommen sich ihre Statur zu merken – ein guter Grund, warum man solch einen Umhang trug. Die Kapuze hatte auch ihr Gesicht verborgen. !Gut,“ meinte Anawiga. „Dann kehre ich in meine Räume zurück, Ihr, Sarifa erhaltet frei – und ich werde nicht lügen, wenn ich sagen, dass ich ein wenig schlafen möchte.“ Michel musterte sie: „Hoheit, wenn Euch diese Besprechungen zu viel werden....“ „Nein, ich bin schwanger, nicht krank, don Michel. Danke, es ehrt Euch, aber mir wurde gesagt, dass diese Müdigkeit noch steigen wird. Keine Sorge. Die Pause heute Mittag an der frischen Luft hat mir sehr gut getan.“ Sie strich ein wenig ihre langen, blonden Haare zurück, die sie nach moderner Sitte nur mit einem Band aus dem Gesicht hielt, nicht, wie es früher verheirateten Frauen ziemte, mit einer Haube. Aber heute hielten das nur noch Bürgerinnen so. Die adeligen Damen folgten der Hofmode und Bäuerinnen trugen nur an Festtagen eine weiße,möglichst gestärkte Haube – sie besaßen zu wenig Geld um sich jeden Tag eine zur Feldarbeit aufzuziehen. Kleidung diente eben auch stets dazu seinen Stand nach außen kundzutun und allen anderen anzuzeigen, wer da kam. Die Kaiserin stand auf und alle anderen im Raum folgten höflich diesem Beispiel. Sarifa folgte ihr durch den verdeckten Zugang in die offiziellen Räume, die noch vor wenigen Wochen Graf Uther gehört hatten, während sich Raoul und Michel durch die eigentliche Tür begaben. Nur kurz darauf traf Michel den Kaiser, der mit einem kleinen Gefolge aus Kammerherren und Beamten offenbar von einem Empfang zurückkehrte: „Ah, der don de la Montagne. Kommt mit.“ Michel gehorchte sofort, ohne sich um die überraschten Blicke der anderen adeligen Herrn zu kümmern, denen wohl langsam auffiel, dass sich Dagobert ab und an mit ihm nun allein unterhielt. Sollten sie doch rätseln. In seinem Arbeitszimmer schickte der Kaiser auch alle anderen hinaus und winkte Michel sich zu setzten, während er ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch aufnahm. „Dieser Brief teilt mir den Tod König Gwenyrs von Westceltica mit. Was wisst Ihr darüber?“ Michel war bewusst, dass dies durchaus ein kleiner Test sein sollte: „König Gwenyr besaß nur zwei Töchter, die er lange und vergeblich verheiraten wollte, auch Graf Uther kam wohl in den Genuss eines derartigen Angebotes. In Anbetracht der instabilen Lage dort lehnten allerdings alle Kandidaten ab, um keine militärischen Abenteuer hervorzurufen. Vor gut einem Jahr verheiratete er seine Älteste dann an einen Landadeligen. Vor einem knapp halben Jahr wurde dann ein Sohn geboren, den sein Großvater sofort als seinen Thronfolger akzeptierte. Er hieß Gwyn, der Junge.“ „Ich habe damals mit Uther gesprochen und wir gaben beide Robert, Gwyns Vater, nicht mehr lange zu leben, weil er seinen Zweck erfüllt hatte. Nun, er ist jetzt der Regent für seinen Sohn.“ „Dann war er schneller. Und klug genug, seine Situation politisch richtig zu sehen.“ „Ich gebe zu, es war verlockend, Uther zu sagen, er solle die älteste Tochter heiraten, damit wir dort einmarschieren und Westceltica als sein Erbe sichern.....Aber das wäre ein Unding gewesen. Zum einen darf sich das Reich nicht mehr vergrößern, es ist schon groß genug und mühsam genug zu stabilisieren, zum anderen ist Westceltica ein Land, dessen jeder einzelne adelige Herr auf seine Macht pocht. Fehden untereinander sind an der Tagesordnung. Ich bin neugierig, ob dieser Robert Ruhe hineinbringen kann. Er scheint jedenfalls nicht dumm zu sein.“ „Soll ich nach Westceltica reisen?“ „Oh nein. Verzeiht, wenn es so klang. Da sollen Diplomaten ran und andere Spione. Nein. Ich brauche Euch hier. Raoul berichtete mir inzwischen von Eurer Besprechung mit den...Damen. Ich gebe Euch allen Recht. Der Plan dürfte kurz vor der Ausführung stehen. Nur wann und wo....“ Dagobert seufzte. „Ich habe Euch nur davon erzählt, weil....“ Wegen Uther, dachte Michel plötzlich verstehend. Der Kaiser vermisste seinen lebenslangen Mitspieler so sehr. ** Das nächste Kapitel bringt den nächsten Zug der Gegenseite. Kapitel 51: Attentat -------------------- Die Kaiserin kam, wie jetzt immer Sarifa bei sich, zurück in ihre Räumen, wo sie zu ihrer offiziellen Kämmerin freundlich meinte, sie könne sich doch ein wenig eine Pause gönnen. Das bezog sich natürlich auf deren eigentlichen Auftrag als ihre Leibwächterin, aber die Assassine gehorchte. So nett Anawiga auch war, so notwendig die Besprechungen für den Geheimdienst – eine Unterbrechung der aufgezwungenen Gemeinschaft war in der Tat gut für alle. So verließ Sarifa den Palast, um sich mit einer Sänfte in die eigene Wohnung tragen zu lassen, und ein wenig zu üben. Das Luxusleben als Hofdame bekam ihrer Form nicht wirklich. Sie war gewohnt stundenlang jeden Tag zu üben und das gelang ihr in Gegenwart der anderen Damen kaum, nur in der eigenen Kammer im Palast, die jedoch bei Weitem nicht auf ihre Bedürfnisse ausgelegt war. Erst nach vier Stunden harten Trainings besorgte sie sich Wasser zum Waschen und zog sich wieder das feine weiße Batisthemd über, das Kleid mit den kaum über die Schulter reichenden Ärmeln, wie es bei Hofe üblich war. Man zeigte sein Hemd. Allerdings verzichtete sie nach wie vor auf das Schnürmieder der feinen Gesellschaft und trug nur das deutlich kleinere, beweglichere, das zuhause für sie hergestellt worden war. Als sie sich bei der obersten Hofdame der Kaiserin zurückmeldete, meinte donna Roswitha: „Ihre Hoheit hat sich hingelegt. Ich fürchte fast, sie benötigt mehr Ruhe.Aber der Hofarzt hat es ihr gestattet...“ „Ihre Hoheit ist ja nicht krank sondern schwanger,“ erwiderte Sarifa sofort: „Das ist doch etwas anderes.“ „Das behauptet Ihr nur, weil Ihr noch nie schwanger wart. Es ist zwar sehr ehrenvoll in hoffenden Umständen zu sein, aber doch....lästig.“ „Meine Mutter sagte etwas anderes – und sie hat sechs Kinder.“ „So ist Eure Mutter zu beneiden. Ich habe zwei – und ich bin froh, nun hier zu sein und meinen Gemahl selten zu sehen.“ Die Assassine bemerkte, dass sie das Gespräch mit der Älteren besser beenden sollte: „Wie lautet der Plan Ihrer Hoheit für heute noch?“ „Heute Abend findet ein Empfang, nun, eher ein Tanzvergnügen für die Botschafter statt. Mit einem Bankett. Der Kaiser wünscht ihre Anwesenheit.“ Nun, da war der Weg nur innerhalb des Palastes, dachte die Leibwächterin sofort, das sollte kein Problem werden. Auf dem Weg von den Gemächern der Kaiserin in den Empfangssaal galt es durch einige Flure und Treppenhäuser zu gehen. Vor jeder Zwischentür stand mindestens ein Mann der Leibwachen. Wie sie es abgesprochen und schon öfter durchgeführt hatten, hielt sich Sarifa fast an der Seite der Kaiserin, aufmerksam nach vorn und beiseite sehend. Dahinter folgten gut zehn Damen, alle nun feierlich gekleidet, die Haare mit bestickten Bändern oder mit Perlen versetzten Nadeln empor gesteckt, die Kleider aus Samt, Brokat oder gar Seide. Anawiga selbst trug einen Kronreif auf dem hochgesteckten blonden Haar, dessen Steine selbst hier im Licht der Öllampen funkelten. An den Schultern ihres Kleides befanden sich geschliffene Bergkristalle, die wie Diamanten wirkten und den Botschaftern den Reichtum des Kaisers signalisieren sollten – denn von dessen Kasse hing auch seine militärische Stärke ab und solche Empfänge wurden gern für die Abschätzung der politischen Lage benutzt. Die Assassine betrachtete den Flur vor sich, plötzlich angespannt, ohne jedoch sagen zu können, warum. Sie mussten hier nur kurz durch, dort vorn war die Haupttreppe – keine zehn Meter entfernt. Dort befanden sich nun auch Wachen, auch, wenn sie von hier unsichtbar waren. Sarifa war allerdings zu gut ausgebildet worden, um solchen Regungen des Unterbewusstseins keinen Raum zu lassen. Sie schien zu husten: „Kju...“ Wie sie es vereinbart hatten reagierte Anawiga sofort. Kaum merklich hielt sie im Schritt inne, ließ sich in die Mitte der Hofdamen zurückfallen, scheinbar dort jemand etwas fragen zu wollen – ohne dass die Gruppe deswegen langsamer wurde. Inmitten der ahnungslosen anderen Frauen war sie zumindest gegen Pfeile oder andere Wurfgeschosse einigermaßen geschützt – und würde den kritischen Bereich bald verlassen haben. Falls dennoch ein Überfall geschah, würden alle Damen auseinander stieben – und mit ihnen die Kaiserin. Sarifa dagegen wurde sich langsam bewusst, was sie störte. Alle Türen aller Flure bislang waren geschlossen – hier war eine jetzt neben ihr nur angelehnt. Sie öffnete sie vollständig und ruckartig – falls jemand dahinter stand, würde er sie an den Kopf bekommen. Die Ahnung einer Bewegung, sie hörte den fast lautlosen Rückwärtssprung.... Es war dunkel in dem Raum und sie ging hinein, schloss die Tür wieder hinter sich, scheinbar an ihrer Kleidung nestelnd, als ob sie nur Schutz vor Blicken gesucht hätte, einen losen Haken ihrer Garderobe wieder befestigen wollte. Ja, da war ein Mann, sie konnte das kurze, hastige Einatmen hören, als dem Unbekannten wohl bewusst wurde, dass jemand seinen Plan durchkreuzt hatte und blickte scheinbar erschrocken in die Dunkelheit: „Ist hier wer?“ Ein kaum wahrnehmbares Aufblitzen einer Klinge im Augenwinkel und ihr antrainierter Instinkt retteten sie. Sie sprang trotz des langen Hofkleides in eine Rolle vorwärts und das Messer, das auf ihre Schultern gezielt war, ritzte nur den Stoff. Als sie wieder stand, war ein Dolch in ihrer rechten Hand.. Verdammt. Das war kein Laie. Das war mehr als knapp gewesen, sie konnte spüren, dass ihre Haut auf dem Rücken aufgerissen war und brannte. Wäre sie wirklich nur eine Hofdame – sie hätte keine Chance gehabt. Und er besaß einen ungemeinen Vorteil: seine Augen waren die Dunkelheit hier bereits gewohnt, während sie aus dem durch Öllampen beleuchteten Gang kam. Dieser Raum hier wurde nur die die Fackeln am Erdgeschoss draußen im Hof erhellt – wobei Letzteres eine glatte Übertreibung war. Flackernde Helligkeit und nicht besser als in einer Sternennacht.....Sie musste Zeit gewinnen, damit sie sich an dieses matte Licht gewöhnen konnte. „Seid Ihr...ein Assassine?“ Unwahrscheinlich – keiner ihrer Familie würde auf die Kaiserin losgehen, zumal, wenn sie die Leibwächterin war. „Ihr schmeichelt mir,“ antwortete der Fremde: „Sagen wir, so etwas Ähnliches.“ „Also ein Meuchelmörder....“ Sie bemühte sich ihrer Stimme ein Zittern zu geben, aber da sie sich mehr als konzentrierte, blieb es beim Versuch. Gerade noch rechtzeitig erkannte sie, dass sie sich zu sehr seitwärts bewegt hatte und nun ihre Silhouette gegen das Fenster deutlich zu sehen war. Mit einem Satz war sie beiseite. Das Zischen der Klinge knapp neben ihr, die gegen ihr Herz gezielt gewesen war, jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken. Ja, das war ein Meisterkämpfer. „Ein Dolch in der Hand einer Hofdame? Wie amüsant. Aber jetzt, meine Liebe, spiele ich nicht mehr. Mein Auftrag lautet, dass die Kaiserin heute Abend sterben wird. Und da Ihr mir im Weg steht....“ Er griff an. Sarifa wich aus und wusste, dass er sie erneut nur um Haaresbreite verfehlt hatte. Langsam hatten sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt – aber das half nur wenig. Dieser in einen fast hautengen, schwarzen Anzug gekleidete Mann war größer und stärker als sie – und seine Zeitberechnung war praktisch fehlerlos. Ein Irrtum ihrerseits und sie war tot. Mochte der auch kein Assassine sein, er hatte auf jeden Fall eine exzellente Ausbildung im Messerkampf erhalten. Sie griff an - und wurde pariert. Sollte sie werfen? In diesem Dämmerlicht? Er war anscheinend fähig genug, dass er womöglich auch dem Wurf ausweichen würde – dann hatte sie zwar ein zweites Messer, aber sich selbst für wenigstens einen Sekundenbruchteil entwaffnet. Das konnte hier schon zu lang sein. Sie dachte nicht bewusst nach. Jahrelang antrainiert lief eine Analyse des Kampfes und seiner Möglichkeiten in ihrem Unterbewusstsein ab, während sie sich bemühte, dem nächsten Angriff auszuweichen und selbst eine Gelegenheit zum Zustoßen zu finden. Ein gespenstischer Tanz in der Dunkelheit entstand – Ausweichen, schnelle Paraden und das Atmen beider wurde schwerer. Wenn der Unbekannte erstaunt war, hier auf eine Frau mit Kampferfahrung gestoßen zu sein, so zeigte er es nicht. Und Sarifa war klar, dass dieses Duell sie leicht das Leben kosten konnte. Er war schnell, sicher und mehr als gefährlich. Wieder griff der Fremde an. Sie wollte Klinge auf Klinge parieren, erkannte zu spät, dass es eine Finte gewesen war, und er jetzt neben, schräg hinter ihr stand. Seine linke Hand packte ihre Schulter, während seine Rechte bereits ausholte. Ihr war klar, dass er ihr die Kehle durchschneiden wollte und reagierte mehr instinktiv, als sie ihre rechte Hand mit dem Dolch darin etwas vorzog. Sollte er doch annehmen, dass sie auf seine Waffenhand gehen wollte, während in Wahrheit ihr Daumen bereits den Auslöser drückte und die im Griff verborgene Klinge ausfahren ließ. Ruckartig stieß sie sie zurück. Der Fremde taumelte ein wenig weg. Sie fuhr herum, müde, in ungewohnter Panik und stieß erneut zu, diesmal mit ihrem wirklichen Dolch. Ihr war klar, dass sie keine weitere Chance erhalten würde. Eingedenk der Lehren, die ihr gepredigt worden waren, überprüfte sie rasch, ob er wirklich tot war, ehe sie ihr Messer in die Scheide unter dem rechten Hemdärmel zurücksteckte. Keuchend starrte sie auf den Körper in diesem Dreivierteldunkel hinab und dachte nur daran, dass der um ein Haar geschafft hätte, was sich so mancher Meuchelmörder ersehnte: einen Assassinen zu töten. Er hatte die besten Chancen dazu besessen, zumal bei jenem ersten überraschenden Angriff aus der Finsternis. Sie spürte, das sie zitterte, eine ungewohnte Reaktion bei ihr. Dann jedoch besann sie sich auf ihre Pflicht und ging aus dem Zimmer, lief zur Treppe: „Wachen!“ Dort sollten doch welche stehen...ahja: „Dort in dem Zimmer...liegt ein Toter mit viel Blut!“ Zwei der Männer kamen sofort zu ihr: „Ihr seid doch eine Hofdame der Kaiserin, ma donna?“ Und da sie nickte: „Ihr seht blass aus. - Bleibt hier, dort ist ein Hocker. Wir sehen nach.“ Nur kurz darauf glich der Flur einem Ameisenhaufen. Sie erkannte Leutnant Guiskard, der Anführer der Leibwachen, der zu ihr kam: „Ma donna? Ihr seht sehr blass aus und zittert...Es war wohl ein Schock ihn so zu finden....? Soll ich Euch den Hofarzt rufen?“ „Nein, danke...Es geht sicher gleich wieder.“ Das fehlte noch, dass sie der Hofarzt untersuchen wollte und ihre Dolche entdeckte. Aber sie wusste, dass sie in der Tat noch immer ein wenig unter Schock stand, wenn auch aus anderen Gründen. Der Leutnant, ein Mann Mitte bis Ende Vierzig, mit zurück gebundenen braunen Haaren, nickte ein wenig, ehe er sich verneigte. Das konnte nur bedeuten, dass der Kaiser kam, und Sarifa stand eilig auf, um sich ebenfalls zu verbeugen. „Sie hat ihn gefunden, Euer Hoheit,“ meldete Leutnant Guiskard. Der graue Blick des Kaisers betrachtete die Assassine: „Gehen wir dort in ein Zimmer. Dann erzählt Ihr mir alles, ehe Ihr Euch ein wenig hinlegt....“ Die Milde in seiner Stimme verschwand, als er die Tür hinter sich schloss: „Euer Bericht. - Nein, setzt Euch zunächst.“ Sie musste wirklich schlecht aussehen, dachte Sarifa zerknirscht, wenn der Kaiser vor ihr stehenblieb, aber sie nahm gehorsam auf dem einzigen Stuhl des Zimmers Platz, ehe sie sachlich erzählte, auch den seltsamen Kampf in der Dunkelheit. Am Ende blickte sie auf ihre zitternden Hände: „Ich verstehe es nicht,“ gestand sie: „Er war nicht der erste Mann, den ich getötet habe.“ „Aber womöglich wart Ihr nie zuvor so nahe dran selbst getötet zu werden,“ erwiderte Dagobert und legte seine Hand auf ihre Schulter. Die Assassine wäre um ein Haar zusammengezuckt. Wollte er sie nun tadeln? Heimschicken? Fast vorsichtig blickte sie an ihm empor und erkannte zu ihrer Erleichterung ein Lächeln – es war das verständnisvolle Lächeln Uthers. Ja, sie waren Brüder. „Wisst Ihr,“ fuhr er fort: „Es ist ein logischer Schluss. Ihr wart nur zu aufgeregt, um ihn zu ziehen. Dieser Mann war ein exzellenter Messerkämpfer. Jetzt ist er tot. Und Ihr habt ihn getötet. Die einzig zulässige Folgerung daraus ist: Ihr seid besser.“ Sarifa lächelte dankend. Ja, das war sie. Der Kaiser öffnete die Tür: „Guiskard! - Ein Mann soll Prinzessin Sarifa zu den Gemächern der Kaiserin begleiten, damit sie sich erholen kann. Dort soll alles abgesucht werden. Auch hier. Eine solche Überraschung genügt.“ „Ja, Hoheit. - Prinzessin? Würdet Ihr mir bitte folgen?“ Sie erhob sich und versank in einem Knicks vor dem mächtigsten Mann des Reiches, der es immerhin in wenigen Worten vermocht hatte sie zu beruhigen. Raoul, der den Zwischenfall von Dagobert unter vier Augen erfahren hatte, bemühte sich im Gewirr des Botschafterballes Michel zu finden und dem zu winken, selbstverständlich ohne dass es jemand mitbekam, schon gar nicht Markward und Konstantin, die ebenfalls eingeladen waren. Der Agent folgte ihm sofort, wenn auch mit gewissem Bedauern seinen Flirt unterbrechend. Aber das sah nach einer alarmierenden Nachricht aus, die nicht warten konnte. Raoul berichtete kurz. Michel presste die Lippen zusammen. „Und meine Partnerin?“ „Seine Hoheit schickte sie in ihr Zimmer, wo sie sich ausruhen soll. Schon zur Tarnung, aber auch, weil sie wohl ein wenig mitgenommen war. Es scheint ein überaus knapper Kampf gewesen zu sein.“ „Hu,“ machte Michel: „Nun gut. Einem Anfänger wäre es nie geglückt so weit unbemerkt in den Palast vorzudringen. Das heißt, unser Gegner wollte dem Kaiser einen weiteren Schlag versetzen. Und das mitten dort, wo er sich sicher fühlt.“ „Meint Ihr nicht, don Michel, dass das wer anders sein könnte?“ „Raoul, zwei unabhängig voneinander operierende Verschwörergruppen, die so ausgezeichnete Informationen aus dem Palast besitzen, wären des Zufalls und vielleicht auch der Ehre zu viel. Nein, das war sicher derjenige, der uns schon so lange Kopfschmerzen verursacht. Die Frage dürfte nun sein, was er tut, nachdem dieses Attentat heute schief ging. - Wir müssen uns morgen besprechen. Weiß die Kaiserin schon, was passiert ist?“ „Sie wird es sich denken können. Prinzessin Sarifa gab ihr das Alarmzeichen und blieb allein zurück. Bislang war sie nicht wieder hier und der Kaiser wurde weggerufen. Ah, da ist er ja wieder.“ Michel und Raoul bemerkten, wie Anawiga ihren Gemahl anlächelte – durchaus mit einem Fragezeichen darin und konnten sich denken, was er leise meinte: „Alles unter Kontrolle, meine Liebe. Sarifa ist in Euren Räumen.“ Das Lächeln der Kaiserin, das nun dem Botschafter der Buroker galt, war ehrlich und herzlich. Am folgenden späten Vormittag war wohl keiner der anderen Drei im Raum erstaunt, dass neben Anawiga auch Dagobert kam. „Setzt Euch nur alle,“ meinte der Kaiser: „Sarifa, wärt Ihr so nett, noch einmal den Kampf zu berichten?“ Sie gehorchte. Michel nickte etwas: „Das heißt mit anderen Worten, dass es einem Fremden gelang alle Sicherheitsvorkehrungen zu unterlaufen und in den Palast zu gelangen, dass er ganz genau wusste, welchen Weg die Kaiserin nehmen würde – und wo die Wachen standen. Alles Sachen, die nicht gerade in der Zeitung stehen. Aber schon in Lavinia und Emsby war uns bewusst, dass der Gegner gut informiert ist. Nur langsam glaube ich: zu gut. Er muss Informationen aus dem Palast bekommen.“ „Diener, Helfer...es ist unmöglich alle zu überprüfen,“ meinte der Kaiser: „Überdies ist nicht einmal gesagt, dass der, der geredet hat, überhaupt wusste, wem er da was sagt. Das Netz des Gegners ist überaus fein gesponnen – und es wird immer enger. Die Frage lautet nun: was tut er als Nächstes, da das Attentat fehl schlug und sein überaus geeigneter Mann ausfällt?“ „Ich würde ungern warten, bis er den Nächsten schickt,“ erklärte Anawiga und schob sich die Hände in die Ärmel – deutliches Zeichen ihres Unbehagens. „Nicht, dass ich Euch nicht vertraue, Sarifa....“ beteuerte sie eilig. Immerhin hatte ihr diese gestern Abend sicher das Leben gerettet. „Ich denke kaum, dass er den Nächsten schickt,“ erwiderte die Assassine. „Dieser Mann war ein Spezialist mit dem Messer, davon können sie nicht so viele haben. Und er gab zu, dass er kein Assassine sei. Im Übrigen hätte ich ihn in diesem Fall erkannt.“ „Das ist auch meine Meinung, Hoheit,“ ergänzte Michel: „Ein Attentat mit einem Messer ist auszuschließen, gegen Gift sind sehr gute Vorkehrungen getroffen worden.“ Raoul seufzte: „Kein weiteres Attentat würde doch bedeuten, dass er seinen Hauptplan umsetzen will?“ Dagobert warf einen besorgten Blick auf seine Gemahlin, ehe er langsam nickte: „Es wird am besten sein, denke ich, wenn die Polizei verlautbaren lässt, dass eine unbekannte Leiche hier im Palast gefunden wurde, die erdolcht wurde. Der Gegner weiß, dass sein Mann nicht zurückkehrte – soll er doch rätseln, wer ihn umbrachte. Je unsicherer er sich fühlt, umso eher wird er Fehler begehen.“ Der Hauptmann der Meuchelmörder hatte in einem Einzelzimmer eines Gasthofes Bericht erstattet und wartete nun ein wenig besorgt auf die Reaktion seines Auftraggebers. Dieser sah in die Kerzenflamme auf dem Tisch: „Ich bin sicher, Ihr habt Euren Mann gut ausgesucht.“ „Er war der beste Attentäter, ja, der beste Messerkämpfer, den ich je gesehen habe. Und selbst, wenn er einer Leibwache über den Weg gelaufen sein sollte, so wäre er mit dem fertig geworden. Ich verstehe es einfach nicht.“ „Dann lässt sich daraus nur ein Schluss ziehen, mein Bester: er traf jemanden, der in seiner Liga spielt.“ „Nun ja....Aber das ist unmöglich!“ „Er ist tot, nicht wahr? Und ein Messer war der Grund seines Ablebens. Also war es möglich. Und das wiederum bedeutet, dass es ein ebenso fähiger Meuchelmörder oder gar ein Assassine war, den er getroffen hat. Das allerdings legt den Schluss nahe, dass die Kaiserin an diesem Abend gleich von zwei voneinander unabhängigen Attentätern angegriffen werden sollte, die sich unseligerweise direkt begegneten. Hm. Jemand, der die Kaiserin zu beseitigen wünscht....Er mischt sich in meine Dinge ein.“ Assassine? Noch vor wenigen Monaten hätte er diese Möglichkeit als unwahrscheinlich ignoriert – aber da war eine junge Frau dieses Volkes im Schlafzimmer des Bischofs von Pavero gewesen.... Für wen arbeiteten die Assassinen? Gar den Kaiser? Davon hatte jedoch noch nie jemand gehört, und schon gar nicht er, obwohl er sich eines wirklich guten Spionagenetzes schmeichelte. Oder war diese junge Frau nur eine Imitation gewesen, eine Meuchelmörderin, die dem Agenten, der Michel de la Montagne befreien wollte, zufällig begegnet war? Hatte er noch Zeit das herauszubekommen? „Eure Anweisungen?“ Immerhin war kein Tadel gekommen oder gar die Bemerkung, die Männer nicht mehr zahlen zu wollen, die einen Auftrag so verpfuschten. „Ich werde Informationen einholen. Wir ziehen unseren ursprünglichen Plan vor. Der Tod der Kaiserin ist nicht mehr notwendig. Ein missglückter Angriff dürfte dem guten Kaiser doch auch ein wenig den Schlaf rauben. - Kommt übermorgen, dann werde ich Euch auch den Grundriss zeigen, wann und wo Eure Männer stehen sollen. Ich möchte nicht, dass jemand anderer mir zuvorkommt.“ Nicht jetzt, wo die Umsetzung seines jahrelang geschmiedeten Planes in so greifbare Nähe gerückt war – und schon zu viele Männer Bescheid wussten. Weder der Hauptmann noch einer der Anderen war so geartet, dass der unter Folter geschwiegen hätte. Nein. Der Punkt, an dem er nicht mehr zurück konnte, war überschritten worden. Es musste einfach gelingen. Und dazu gehörte nur noch herauszufinden, wann ein so genannter kleiner Empfang stattfinden würde – wenig Menschen, wenig Höflinge und noch weniger Wachen, aber das Kaiserpaar dabei. ** Das nächste Kapitel bringt: Vorbereitungen. Kapitel 52: Vorbereitungen -------------------------- Bei der morgendlichen Besprechung des führenden Quartetts legte Raoul eine schmale Akte auf den Tisch, nahm jedoch einen handgeschriebenen Zettel auf. „Nun?“ fragte die Kaiserin als offizielle Leiterin. „Chilperichs Akte. Ich habe mir erlaubt, die jeweiligen Zeugnisse und Empfehlungsschreiben kurz zusammen zu fassen. Seine Mutter kam mit ihm und zwei Schwestern nach Pavero, nachdem sie zuvor schon, wohl vergeblich, in Pisan und Aquatica ein Ansiedlungsersuchen gestellt hatte. Nach einer Audienz bei Bischof Konstantin erhielt sie sie jedoch. Es ist unklar, als was sie arbeitete, jedenfalls gelang es ihr ein Jahr später Chilperich an der Schule anzumelden und auch das Schulgeld zu bezahlen. Er war damals sechs Jahre alt und zeigte im Anschluss so gute Leistungen, dass sein Lehrer für ihn den Erlass des Schulgeldes beantragte. Da er sich weiter verbesserte, erhielt er vom Bischof dann sogar ein Stipendium, mit dem er wohl seine Mutter und jüngeren Schwestern unterstützen konnte.“ Raoul sah auf: „Daran ist alles kaum etwas Ungewöhnliches. Entweder der Vater starb oder hatte sich in ihrer Heimatstadt etwas zu Schulden kommen lassen, daher wird er nie aufgeführt. Jedenfalls zweifelte niemand die Ehelichkeit der Kinder an. - Immerhin, als Chilperich mit fünfzehn die Schule abschloss, tat er dies mit der besten Leistung seit vielen Jahren und der Bischof empfahl ihn an die Knappenschule hier in Paradisa. Auch dies ein gebräuchlicher, bürokratischer Vorgang, bei dem nicht einmal gesagt ist, dass Konstantin Chilperich je gesehen hat. Vielleicht schon, aber das geht aus den Unterlagen nicht hervor. Beides wäre nicht unüblich. - Jedenfalls schloss Chilperich auch das Wiederholungsjahr an der Knappenschule sehr erfolgreich ab und trat in kaiserliche Dienste, zunächst die Kämmerei. Für junge Herren, die nicht die militärische Laufbahn einschlagen, ist das gang und gäbe. Nach fünf Jahren dort gelangte er in die innere Verwaltung, also, in seinem Fall Ein- und Ausstellungen von Bediensteten. Auf beiden Positionen erhielt er gute Bewertungen. Als er fünfundzwanzig war, bewarb er sich als Markwards Kämmerer bei dem Kaiser. Ein zweites Empfehlungsschreiben Konstantins erfolgte und der Kaiser gab ihm die Stelle.“ Raoul blickte in die Runde: „Es ist bei Positionen in der näheren Umgebung der kaiserlichen Familie durchaus üblich sich aus seiner Heimatstadt oder dem König dort ein Empfehlungsschreiben zu besorgen. Auch hier hat Konstantin zwar unterschrieben, aber es handelt sich um nichts Auffälliges.“ „Ja, solche Empfehlungsschreiben sind nur zu verbreitet,“ meinte Anawiga: „Also bleibt nur, dass er eben aus Pavero stammte, oder dort zumindest seine Kindheit verbrachte, und ein wirklich intelligenter junger Mann war.“ „Umso auffälliger ist sein Tod in einer dunklen Straßenecke.“ Sarifa sah jedoch zu ihrem Partner. Michel seufzte etwas: „Ja. Irgendwann muss er mit unserem Unbekannten zusammengetroffen und von dem angeworben worden sein. Konstantin wäre in Pavero natürlich erste Wahl. Vielleicht passierte das aber dann auch hier in Paradisa. Immerhin hat der Gegner sehr gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof, wie wir feststellen mussten. Nur, mit was kann man so einen Mann ködern, der bereits Kämmerer des mutmaßlichen Thronfolgers ist und dem eine glänzende Zukunft offen steht?“ „An Euch ist nie jemand herangetreten?“ erkundigte sich die Kaiserin. „Nein. Vermutlich glauben, zum Glück, doch die Meisten meiner Tarnung. - Dennoch, ich denke nicht, dass Chilperich auf Geld aus war. Haben wir den Grund, warum er für jemand anderen außer dem Kaiser arbeitete, wissen wir auch, wer es ist.“ „Womöglich Markward?“ Sarifa hob die Hand: „Ja, er erscheint uns allen ein wenig...dumm. Aber könnte das nicht auch, so wie bei dir, Tarnung sein?“ „Ja, don Michel,“ gab Raoul zu bedenken: „Dann müsste er nicht angeworben worden sein, sondern arbeitete im Sinn seines Herrn.“ Der Agent seufzte. „Markward ist jetzt zwanzig, ich kenne ihn praktisch mehr oder weniger seit seiner Geburt, denn zu diesem Zeitpunkt war ich ja auch noch in der Knappenschule und schloss sie erst mit sechzehn ab, als er schon eingeschult wurde. Danach traf ich ihn ja auch immer wieder, später bei den Leibwachen und so. Ehrlich, wenn er die ganze Zeit etwas vorgeschwindelt hat, wäre er ein sehr guter Lügner, und überdies: warum sollte er? Hätte er sich auch nur einigermaßen anständig verhalten, wäre er der offizielle Thronfolger. Nein. Ich gehe eher andersherum: der unbekannte Gegner war für Chilperich sein richtiger Gebieter, das bei Markward nur Mittel zum Zweck. Daher und dennoch, so eigenartig es klingt, wäre ich dafür, dass sowohl Markward als auch Konstantin permanent überwacht werden, enger als bisher.“ Anawiga legte unwillkürlich eine Hand auf ihren Bauch, wo sie ihr Kind spürte. Wie es üblich war, trug sie über dem gewöhnlichen ärmellosen Kleid, über dem weißen Hemd, das nun weiter geschnürt wurde, eine schleierartige Tunika, die ihren wachsenden Umfang verbergen sollte. Mochte es auch eine Ehre sein in solche Umstände zu kommen, ja, die Erfüllung eines weiblichen Lebens, so war eine solche Verformung doch ein wenig unschicklich. „Ja,“ meinte sie: „Womöglich stellen wir alle dann fest, dass beide nichts im Schilde führen, aber wir sicher sein können.“ „Markward hat Hausarrest,“ gab Raoul zu bedenken: „Und Konstantin wird bereits überwacht. Ich werde für morgen alle Berichte sammeln und Euch geben.“ Michel nickte: „Und ich werde einmal mit Stallmeister Charibert und Leutnant Guiskard reden. Beide waren meine Ausbilder und ich spreche ab und an mit ihnen. Mal hören, ob der Bischof bei seinen Gesprächen mit ihnen auch nur alte Zeiten auffrischte – oder sie von etwas überzeugen wollte.“ Die Kaiserin schwieg einen Moment, ehe sie sagte: „Ja, tut das, don Michel. Raoul, bitte lasst auch Markward lückenlos überwachen. Nicht, dass er Zeit fand, sich mit seinen Wachen anzufreunden. Immerhin IST er der potentielle Thronfolger und mancher mag auf die Zukunft setzen.“ Was natürlich bedeutete den künftigen Kaiser nicht zu verärgern. Am folgenden Tag brachten drei des Quartetts neue Informationen. Anawiga begann: „Der Kaiser teilte mir soeben auf dem Flur mit, dass Konstantin um eine Abreiseerlaubnis ersuchte. Er will in zwölf Tagen abreisen, nach dem Abschied für den neuen Botschafter in Westceltica. Die Erlaubnis wurde ihm erteilt.“ „Warum ausgerechnet da?“ erkundigte sich Michel prompt. „Er ist dann vier Wochen hier und meinte, er müsse sich wieder um seine Stadt kümmern. Die Reise allein beträgt ja auch noch einmal eine Woche, nicht wahr?“ „Bis dahin dürfte der Bischof pleite sein, um es vulgär auszudrücken,“ gab Raoul an. Und da ihn alle ansahen: „Nach den Berichten der Spione geht er recht viel in Wirtshäuser, meist der gehobenen Klasse und speist dort mit ...alten Bekannten, wie don Michel schon so richtig bemerkte, Stallmeister Charibert, Leutnant Guiskard, aber auch anderen, die er noch aus seiner Zeit in Paradisa kennt. Überdies nutzt er ebenfalls, jedoch abends, einfachere Gasthäuser, anscheinend zu anderen Zwecken, denn zumeist war mindestens ein....äh...gelüstiges Fräulein bei ihm, manchmal folgte daraufhin noch eine verhüllte Gestalt.“ „Nun, soweit ich weiß,“ ergänzte Sarifa: „Hat er auch zuhause einen gewissen...Ruf.“ „Das mag sein, Prinzessin,“ erwiderte Raoul: „Aber ich nehme an, dafür muss er dann wenig bis nichts bezahlen. Er ist der Herr der Stadt. Und trotz allem: Pavero wirft nicht doch soviel ab, als dass er sich solchen Lebensstil in der Hauptstadt jahrelang leisten könnte. Übrigens hat er auch einen Handwebteppich im Wert von fast fünfzigtausend Gulden bestellt, der ihm nach Pavero geliefert wird.“ „Oh, ein Wandteppich?“ fragte die Assassine ein wenig schuldbewusst: „Er mochte ihn wohl sehr.....“ Michel hielt es für besser nicht darauf einzugehen: „Dann hat er hier anscheinend sein in langen Jahren erworbenes Vermögen gerade verschleudert. Das ist aber nicht verboten. Es spricht eher meiner Ansicht nach dagegen, dass er unser Mann ist. - Also frönt Konstantin hier seinem Luxus, gibt aber nebenbei Markward Unterricht in: wie werde ich ein guter Thronfolger? Das haben mir zumindest Charibert und Guiskard erzählt. Sie meinten, unabhängig voneinander, dass dem werten Bischof sein entfernter Cousin ein wenig auf die Nerven gehe, er es aber kaschiere, in der Hoffnung, wenn Markward die Thronfolge antritt, auf Dauer hierher zurück zu können, als Höfling oder gar Kanzler. Wie gesagt, Konstantin ist vieles, aber ganz bestimmt nicht dumm. Und er wünscht sich offenbar ein gutes Leben im Zentrum der Macht.“ Die Kaiserin seufzte: „Ist es immer so schwer einen Gegner zu finden? Diese Beiden haben doch als Einzige, wenn man jetzt von Dankward absieht, die juristische Legitimation gegen Dagobert vorzugehen. Niemand anderem würde doch ein Heer gegen den amtierenden Kaiser folgen. Moment. Ist es genau das? Der Unbekannte geht so vor, weil er eben kein Heer bekommen würde?“ „Das ist reine Vermutung, Hoheit,“ sagte Michel: „Und im Geheimdienst geht es zwar auch nach Vermutungen, aber sie sollten durch Fakten untermauert werden. Niemandem im gesamten Reich konnte in der Tat bislang ein Heer oder der illegale Aufbau eines solchen nachgewiesen werden, keine Gerüchte darüber sind entstanden. Und niemand kann Hunderte von Männern anwerben und zusammenziehen, ohne dass zumindest Gerüchte entstehen. Wenn kein militärisches Eingreifen erfolgen sollte sondern ein weiteres Attentat, gar auf den Kaiser – das müsste eine deutlich geringere Anzahl von Männern sein. Wir haben bedauerlicherweise ja bei dem Anschlag auf Euch gesehen, dass ein gut informierter und ausgebildeter Mann reichen würde – falls er nicht das Pech hat auf meine Partnerin zu treffen.“ Die folgende Diskussion brachte wenig. Jedoch meinte Raoul zu Michel, als sie beide allein waren: „Den Damen gefällt die Lage nicht.“ „Nun, mir auch nicht. Aber mich stört, dass Sarifa und Anawiga so nervös werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen ungefähr den gleichen Instinkt besitzen wie Rehe bei einer Treibjagd. Deswegen ist es immer schwerer eine Frau zu belügen. Selbst die eigene, habe ich mir sagen lassen.“ „Ihr meint also, ich solle, wie es die Kaiserin wünscht, die Bewachung verschärfen?“ „Schaden wird es nichts. Wobei, falls Konstantin doch seine Finger im Spiel hat: er spielt es dann durchaus vorsichtig. Und Markward, nein. Eher noch Dankward, aber der scheint ja sehr zufrieden in diesem Tailina zu sitzen.“ Zur gleichen Zeit saßen auch die beiden Männer zusammen, die dem Geheimdienst solches Kopfzerbrechen machte. „Wieso ist Euch denn ausgerechnet der Empfang oder genauer, die Verabschiedung des Botschafters nach Westceltica so wichtig?“ erkundigte sich Markward erstaunt: „Ihr könntet doch quasi jeden Tag....“ „Weniger wichtig, aber es ist ein so genannter kleiner Empfang, nicht wahr? - Schön. Habt Ihr je aufgepasst, wer warum wie vom Kaiser empfangen wird? Da gibt es genaue Regeln, die selten bis nie durchbrochen werden, schon, um das Gesicht Eures Vaters in der Öffentlichkeit zu wahren. Habt Ihr zum Beispiel mitbekommen, wie Dankward verabschiedet wurde, als er wieder nach Tailina reiste?“ „Äh...nein?“ „Weil er es nicht wurde. Ein einfacher Bischof wird nie gesondert verabschiedet und es war schon nett, dass ich auf einem kleinen Empfang begrüßt wurde. Ein ebensolcher Abschied kommt nicht in Betracht. Der neue Botschafter dagegen wird so verabschiedet, um dem Regenten von Westceltica zu zeigen, dass der Kaiser diese Person wertschätzt und er ihm besser nichts tun sollte. Bei einer solchen, pflichtgemäßen, Verabschiedung kann der Kaiser auch mir als Familienmitglied in schönem Rahmen auf Wiedersehen sagen. Das heißt folglich, ich werde eingeladen und Ihr übrigens wohl auch. Nun gut.“ Markward nickte langsam, ehe er meinte: „Ihr denkt immer an alles, nicht wahr? Ihr wärt auch nach meinem Amtsantritt ein guter Berater für mich. Hättet Ihr Lust Kanzler zu werden?“ Konstantins Lächeln erreichte nie seine Augen: „Natürlich, mein lieber Junge.“ Die Sonne war schon hoch gestiegen, als sich in einer kleinen Gastwirtschaft nahe am Flussufer drei junge Männer einen Stadtplan vornahmen, in dem allerlei Zeichen eingetragen worden waren. „Wir werden dann gehen, mein kleiner Bruder,“ meinte Amir. Und da er sah, dass Mahedj etwas sagen wollte: „Nein. Jeder hat seine Aufgabe. Und die deine mag die Wichtigste von allen werden. Präge dir alles gut ein. Falls, was ich nicht hoffe, der Notfall eintritt, wird von dir und deiner Schnelligkeit alles abhängen. Und du bist nun einmal derjenige von uns, dem Mauern und Dächer die besten Möglichkeiten bieten.“ Seit Tagen befanden sich die drei Assassinen-Brüder nun in der Hauptstadt und hatten die Lage in und um den Kaiserpalast in den verschiedensten Rollen überprüft. Nur für den Fall der Fälle. Denn keiner drei der Brüder hier noch die beiden Anderen verspürten Lust ihre Schwester zu verlieren. Einmal überhaupt und zweitens: ihre Mutter und Onkel Moussa würden ihnen dafür vermutlich eigenhändig die Kehle durchschneiden. An Sarifa hing die Zukunft des Volkes. Mahedj nickte darum auch nur, ehe er sich über den Stadtplan beugte, und seine beiden großen Brüder vernachlässigte, die sich für heute in Mönchskutten hüllten, nachdem sie gestern als Markthändler aufgetreten waren. „Die Verabschiedung eines Botschafters folgt stets dem gleichen Protokoll.“ Der Hauptmann der Meuchelmörder bejahte fast unhörbar und blickte lieber auf den Plan der Kaiserhalle, den ihm sein Auftraggeber zuschob: „Sehr übersichtlich, wie Ihr das zeichnet,“ lobte er unwillkürlich. „Darf ich noch eine Frage stellen?“ „Natürlich.“ „Für gewöhnlich sind doch auch Leibwachen anwesend?“ „Für gewöhnlich, ja. Und an diesem speziellen Tag werden sie durch Eure Leute ersetzt. Niemand wird etwas merken. Leutnant Guiskard und die Truppe werden....sagen wir, ein wenig die frische Luft genießen.“ Der Hauptmann lächelte. Ja, das hatte er rasch gelernt. Sein Auftraggeber zahlte nicht nur gut und besorgte alle notwendigen Informationen, sondern er hatte auch stets ausgereifte Pläne. Kein Kampf gegen die Leibwachen war doch umso besser, das würde seinen Männern gefallen. Nur ein Narr, und er hatte keinen unter seinem Kommando, stellte sich ohne Not gegen Könner. „Keine Toten, bis dahin, also.“ „Ohne Zweifel wird es notwendig sein, den einen oder anderen zurück gebliebenen Gardisten zu töten. Lautlos und schnell, wenn ich bitten darf. Wenn der Kaiser vernünftig ist, wird er nachgeben, ohne dass es zu weiteren Toten kommt. Wenn nicht – unbewaffnete Höflinge dürften für Euch und Eure Männer doch kein Problem sein. Nun, das dachte ich mir.“ Seltsam, erkannte er plötzlich, dass an solch einer Kleinigkeit wie dem Regierungswechsel in Westceltica auch der des Reiches hängen würde. Dagobert würde nicht den Hauch einer Chance haben. „Hättest du auch an so etwas gedacht, Uther, und Gegenmaßnahmen ergriffen?“ dachte er: „Das war ja der Grund, warum du sterben musstest. Dein großer Bruder hat mir jedoch brav in die Hände gespielt, als er Leutnant Guiskard vor einer möglichen Verschwörung, einem möglichen Attentat warnte...“ Er richtete sich etwas auf und musterte den Hauptmann: „Jetzt hört mir gut zu, denn ich werde Euch nur mündlich anvertrauen, was mit den Leibwachen und ihrem Ersatz geschehen soll.“ Und das war das Letzte, was er an Vorbereitung benötigte. Jetzt würde er nur mehr harmlos sein. Die große Kaiserhalle wirkte heute fast ein wenig leer. Nur ein paar Höflinge hatten sich unter den Säulen der Seitenschiffe versammelt, manche pflichtgemäß, andere, weil sie Notger, den neuen Botschafter für Westceltica, kannten und er doch in eine ungewisse Zukunft reiste. Alles in allem standen keine hundert Personen, männlich und weiblich, bereit. Die kleinen Fenster oben über den Säulen des Mittelschiffes erleuchteten die Halle trotz der Mittagszeit kaum und so brannten alle zwanzig Schritte Feuer in Schalen neben den Säulen. Direkt daneben standen schweigend und regungslos Bewaffnete im Harnisch, an die kaum jemand einen zweiten Blick verschwendete. Zu gewohnt waren alle die stete Gegenwart der Leibwachen. Auch Michel hatte sich eingefunden und plauderte höflich mit Bekannten. Allerdings war ihm Graf Notger ziemlich gleichgültig. Er kam aus einem anderen Grund. Zum einen war er froh, dass nicht er selbst nach Westceltica samt seinen ungewissen innenpolitischen Wirren gesandt wurde, zum anderen hatte er mehr oder weniger zufällig von Sarifa erfahren, dass heute auch Konstantin und Markward geladen waren. Nichts Ungewöhnliches, ja. Aber die Damen waren nervös und der gute Bischof wollte abreisen, hatte hier also wohl alles erledigt, was er erledigen wollte – und der erfahrene Agent gab zu, dass ihm etwas an dieser Konstellation nicht gefiel. Allerdings hatte die strenge Überwachung der letzten Tage weder bei Markward noch bei Konstantin etwas Verdächtiges ergeben. „Oh, der ehrenwerte don de la Montagne.“ Langjährige Arbeit unter Deckung ließ ihn sich mit einem fragenden Lächeln umdrehen – statt dem Besitzer dieser Stimme, wie er wollte, an die Kehle zu gehen. „Bischof Konstantin. Wie....erfreulich, Euch in Paradisa zu sehen.“ Konstantin, wie stets in seiner schwarzen Robe, hob ein wenig die Hand: „Ich bewundere Eure höfische Erziehung. Natürlich bin ich mir bewusst, dass zwischen uns ein kleiner...Zwischenfall liegt, aber ich kann Euch versichern, dass mir ein solcher Fehler nicht mehr unterlaufen wird.“ Er log nicht, dachte Michel: nur, wie meinte er das? „So kann ich Markwards künftige..Interessen nur beglückwünschen.“ „Ihr scheint Euch erholt zu haben, edler don. Wie schön. Wie ich Euch schon in Pavero sagte: nichts gegen Euch persönlich. Und ich habe Markward in der Tat darauf aufmerksam gemacht, dass er mit solchen Freundschaftsdiensten meinerseits nicht mehr zu rechnen braucht. Er wird sie auch kaum mehr benötigen, nicht wahr?“ Was meinte er? Michel bekam plötzlich das Gefühl über glattes und dünnes Eis zu gehen. „Das möchte ich doch hoffen. Überdies, verehrter Bischof, denke ich, dass er solche Hilfen noch nie benötigte,“ fügte er spöttisch hinzu: „Ich sehe in ihm den wahrscheinlichsten Thronfolger. Und Ihr werdet mir kaum erzählen wollen, dass Ihr mich da als seinen Konkurrenten einstuft.“ Darum ging es doch bestimmt. Konstantin hatte Markward seine Unterstützung bei dessen Thronfolgerschaft versprochen. Der Bischof warf einen amüsierten Blick auf die bunten Bänder und Schleifen an dem etwas zu teuren Wams des jungen Mannes vor ihm, ehe er langsam antwortete: „Nein, das würde ich nie von Euch erwarten. Bei allen Euren zweifellosen Fähigkeiten, natürlich, edler don.“ Er neigte den Kopf und schritt quer durch die leere Haupthalle zu Bekannten auf der anderen Seite. Michel entdeckte, dass dort auch Markward stand. Hm. Konstantin hatte sich vergewissern wollen, dass er wegen Pavero nicht mehr wütend auf ihn sei, das war klar. Nur: warum? War es ihm wirklich so auf der Seele gelegen, dass er einen Unschuldigen zu einem grausigen Tod verurteilt hatte? Möglich. Aber eher lag wohl ein anderer Grund vor. Der Bischof galt als mondän, dem Luxus zugeneigt, aber auch intelligent. Und er würde sich vermutlich absichern wollen. Verborgener Hass führte leicht zu einem Messer im Rücken. Und nach allem, was er durch die Besprechungen wusste, wollte Konstantin durch Markward zurück in die Hauptstadt, in den Palast, in die Mitte der Macht. Einen heimlichen, persönlichen Feind konnte der da nicht gebrauchen. Er wich etwas zurück, um unauffälliger aus dem Hintergrund beobachten zu können. Dabei gelangte er nahe an die kleine Tür auf der rechten Seite der Halle, durch die jeden Moment das Kaiserpaar kommen würde. Stallmeister Charibert stand dort und lächelte ihm ein wenig zu. Sie kannten sich seit mehr als zehn Jahren, Charibert hatte Michels kurze Ausbildung im Heer übernommen, als der von den Leibwachen zu der Reiterei wechselte, ehe er dauernd in den Geheimdienst ging. Michel wollte gerade ihn ansprechen, als sich die Tür öffnete und der diensthabende Kammerherr mit seinem Amtsstab drei Mal fest auf die Bodenplatten stieß. Sofort verstummten alle Gespräche und die Anwesenden – bis auf die Wachen - wandten sich um, verneigten sich vor dem Kaiser und seiner Gemahlin. Michel war in keiner Weise überrascht, dass eine der zwei Hofdamen, die die Kaiserin begleiteten, seine Partnerin war. Eben so wenig erstaunte ihn der rasche, gründliche Blick, den die Assassine durch die Halle warf. Ja, Sarifa war nervös. Hatte sie der nur knapp gewonnene Messerkampf doch so mitgenommen? Sie hatte sicher noch nicht allzu viele Situationen erlebt, die so haarscharf waren. Unwillkürlich machte er einige Schritte hinter ihr her, blieb dann jedoch hinter der letzten Säule stehen. Es ziemte sich nicht, dass er weiter in die Apsis ging, die dem Kaiser und seiner engsten Familie vorbehalten war. Auch die zweite Hofdame blieb neben ihm stehen. Nur Sarifa begleitete möglichst unauffällig das Kaiserpaar in das kleine Halbrund, wo Anawiga sich hinter ihren Gemahl stellte, den höfischen Schritt zurück, ihre Kämmerin und Leibwächterin fast ebenso hinter sich. Dagobert blickte sich kurz um, um sich zu vergewissern wer alles anwesend war, und wollte soeben den Befehl geben, Notger hereinzuführen, als jemand anderer ihm zuvorkam. „Los!“ Der knappe, scharfe Befehl hallte wieder. Für einen langen, zu langen, Moment reagierte niemand, die durchaus übliche Folge eines derartigen Rufes, bis auf diejenigen, denen er galt – und Profis. Die bewaffneten Männer teilten sich. Einige stürzten zu der Haupteingangstür, schlugen diese zu und setzten den Riegel vor, andere stürmten zu der kleinen Pforte. Michel sah es. Er war unbewaffnet, musste doch Dagobert und Anawiga schützen, sollte.... Er fuhr zu dem Kaiser herum, der blass geworden dort stand, instinktiv sich zwischen die Angreifer und seine Frau bewegt hatte. Auch Sarifa stand nun vor der Kaiserin. Assassine, dachte er lobend, ehe er begriff, dass er hoffen sollte, dass seine Beobachtung aus dem Augenwinkel richtig gewesen war, und Charibert reaktionsschnell die Halle verlassen hatte. Auch er sollte endlich etwas tun und dazu stand er soeben recht günstig hinter der Säule.... Der Kaiser starrte regungslos in die Halle. Jetzt erst begriff er, dass er keinen der Männer dort je gesehen hatte. Das war nicht seine Leibwache – nur, wessen dann? Rasch überschlug er in der erfahrenen Manier eines Feldherrn die Lage: gegen fünfzig Kämpfer, die die beiden Ausgänge besetzt hatten und die unbewaffneten Höflinge hinter die Säulen zurückdrängten. Und da war noch Anawiga. Aussichtslos. Immerhin hatte Sarifa reagiert und obwohl es einem Unbeteiligten scheinen wollte, als halte sich die junge Hofdame entsetzt die Hände an die Brust, so wusste er es besser. Die Assassine hatte ihre Dolche wurfbereit. Links von ihm entdeckte er einen der Bewaffneten, der hinter einer Säule auf dem Boden lag – und Michel, der dessen Degen möglichst unauffällig an sein Bein drückte. Du hattest Recht, Uther, dachte er plötzlich. Sie sind die Klingen des Kaisers....Die einzigen Bewaffneten hier auf meiner Seite. Dann jedoch holte er scharf Atem, als er erkannte, wer sich langsam, fast tänzelnd in die Mitte der Zentralhalle bewegte, sich ihm gegenüberstellte: „Markward!“ ** Eine nette Überraschung. Das nächste Kapitel heißt: Thronfolge. Kapitel 53: Thronfolge ---------------------- Nach den ersten, entsetzten Aufschreien von Frauen und gewissen Protesten der unbewaffneten Höflinge war es still in der Halle geworden, nicht zuletzt in Anbetracht der gezogenen Waffen der Unbekannten. Jetzt richteten sich die Blicke auf den Kaiser. Dagobert würde schon wissen, wie man mit einer solchen Lage – und seinem Ältesten - verfuhr. Tatsächlich starrte dieser Markward an, als ob er ihn zum ersten Mal sehen würde. Er hatte immer befürchtet, der Junge sei impulsiv und naiv – jetzt die Bestätigung in Form von Hochverrat vor sich zu sehen, schmerzte den Vater und entsetzte den Kaiser in ihm. Er kam sich seltsam zweigeteilt vor. Markward blieb in der Hälfte des Weges zwischen dem nun verschlossenen Portal und der kaiserlichen Apsis stehen. Was eigentlich als Schutz für den Hofstaat vor zudringlichen Neugierigen gedacht war, hatte sich nun als Falle entpuppt, dachte er unwillkürlich. Dann jedoch zuckte Schmerz und ein gewisser Zorn in ihm hoch: „Nicht einmal jetzt fragt Ihr mich, was ich will, Vater,“ erklärte er bitter. „Nun, nichts Besonderes. Nur mein Recht. Ernennt mich endlich zu Eurem Thronfolger. Und, da ich mir darüber im Klaren bin, dass das nur ein Wort wäre, lasst mir als Bestätigung die Kaiserkrone überreichen.“ In der Tat, Hochverrat. Damit war er reif für den Henker. Dagobert holte tief Luft, um sich zu beruhigen, jetzt nichts Unüberlegtes zu sagen oder zu tun. Markward hatte die Bewaffneten auf seiner Seite und in den Höflingen und ihren Damen Geiseln. Er selbst hatte nur Michel und Sarifa mit Waffen – aber das würde niemals reichen. So meinte er langsam: „Du hast dir einen schlechten Zeitpunkt für diese Forderung ausgesucht.“ „Findet Ihr?“ Markward schien seine Selbstsicherheit wieder zu gewinnen, als er mit einem Lächeln einige Meter fast wiegenden Schrittes auf seinen Vater zuging, beide Hände nahezu melodramatisch ausgebreitet: „Und Ihr ward einst so eine brillanter Taktiker, wie mir erzählt wurde. Bedauerlich, wenn sich das Alter so bemerkbar macht. - Oder hat es andere Gründe? Kein Onkel Uther mehr da, um Euch im letzten Moment noch einen rettenden Ratschlag einzugeben? Keine helfenden Männer Eurer Leibwachen da? Wenn es Euch interessiert, und, um Euch klar zu machen, dass Ihr keine Wahl habt: der gute Leutnant ist mit fast all seinen Männern vor die Stadt gezogen, um dort eine Horde Angreifer zu beseitigen, die natürlich nicht existieren, oder eher, hier sind. Unnütz zu sagen, dass er nicht so leichtfertig war alle Gardisten mitzunehmen. Die, die noch im Palast waren, dürften allerdings inzwischen alle ein weißes Hemd und ein paar Flügel tragen. Und die Anderen würden Zeit benötigen um herzukommen. Falls sie überhaupt erfahren würden, was hier passiert.“ Das war leider nur zu wahr. Dagobert blickte unwillkürlich nach links. Michel stand noch immer dort, einen Degen in der Hand, den ursprünglichen Besitzer zu seinen Füßen. Da sich der nicht rührte, würde er das wohl auch nie mehr tun. Immerhin schien noch niemandem das Fehlen eines Mannes aufgefallen zu sein. Dennoch: die Überzahl war enorm. Moment. Als er hereingekommen war, war doch Charibert dort neben der Tür gestanden. Hatte der Stallmeister etwa schnell begriffen und noch rascher reagiert? Dann konnte er selbst hoffen, dass die Leibwachen früher oder später zurückkommen würden. Eher später, denn ehe Charibert sah, was passiert war, jemanden aus der Stadt schickte, Guiskard und seine Männer zurückkamen – unter einer Stunde war es unmöglich. Und eine Stunde konnte sehr lang werden. Also würde nichts helfen außer Zeit zu schinden. Solange Markward annahm, dass er die Oberhand hatte, würde er hoffentlich auch nicht bemerken, dass der Stallmeister verschwunden war. Wobei er in ehrlicher Kenntnis seines Sohnes zugab, dass der vermutlich nicht einmal festgestellt hatte, dass Charibert hier war. Und vor den Toren, Leibwachen hin oder her, befanden sich die Ställe, der Kern des Heeres. Zeit. Alles, was er benötigte, war Zeit. So sagte er langsam: „Das meinte ich nicht. Aber, wie dir bekannt sein sollte, ist die Kaiserin guter Hoffnung. Sie in diesem Zustand so zu erschrecken....“ Er warf unwillkürlich einen Blick auf Anawiga. Sie war bleich, stand jedoch noch immer aufrecht und scheinbar gelassen knapp hinter ihm. Sie war zu klug, um nicht zu wissen, dass die Lage fatal war. „Nun, es liegt an Euch, verehrter Vater, diese Situation rasch zu bereinigen. Schickt jemanden um die Kaiserkrone. Natürlich in Begleitung meiner Männer, damit er keinen Alarm schlagen kann. Ich unterschätze durchaus nicht, dass Ihr eine gewisse Anhängerschaft habt. Ich will Euch auch nicht vom Thron stoßen. Ich will nur mein Recht als Thronfolger.“ Die Logik der Herrschaft, dachten Dagobert und Michel in seltsamen Gleichklang. Das war etwas, das Markward immer schon fremd war. Hatte er die Kaiserkrone in der Hand – wie lange würde er noch zusehen, zusehen können, dass sein Vater regierte? Das Reich konnte keine zwei Kaiser brauchen, ohne dass es erneut Bürgerkriege gab, Aufstände zugunsten des Einen oder Anderen. Und im Zweifel würde derjenige, der die Krone besaß, auch eher anerkannt. Markward musterte seinen Vater: „Nun? Wollt Ihr wirklich diese ehrwürdige Halle mit einem Massaker entweihen?“ Würde er in Wahrheit den Befehl dazu geben? Ja, beschloss Dagobert. Seit Jahren war ihm nie mehr so förmlich ein Schwert auf die Brust gesetzt worden. Und das jetzt auch noch von seinem eigenen Sohn! Was sollte, konnte er noch tun, um die Menschen hier und Anawiga zu schützen? Mehr Zeit zu gewinnen war unmöglich, sein Ältester war noch nie ein Ausbund an Geduld gewesen. Seine Gedanken rasten. Es gab nur noch einen Zug – nicht, um zu gewinnen, das war wohl unmöglich, aber um Markward zumindest nicht den Anschein der legalen Thronfolge zu geben. Wenn es hier Überlebende gab und seien es auch Markwards Kämpfer, so sollten sie nie behaupten können, dass er, der Kaiser, seinen Sohn als Nachfolger anerkannt hatte. Es war ein verzweifelter Zug, ja, und er würde weder ihm noch Anawiga das Leben retten, aber es war der Einzige, der ihm geblieben war. „Du verlangst von mir, dass ich einen Thronfolger wähle? Jetzt und sofort? Nun, es sei. Ich, Dagobert, ernenne hiermit zu meinem Nachfolger und von mir in allen Belangen anerkannten Erben meinen Neffen, den Sohn meines verstorbenen Bruders Uther. Michel.“ Der so Angesprochene und Vorgestellte hätte um ein Haar aufgeseufzt. Also hatte er die Blicke des Kaisers zu ihm schon richtig interpretiert. Seine Überlebenschance war soeben gegen Null gesunken. Aber, dachte er dann, was sollte es. Man konnte in diesen Zeiten kein Edelmann in kaiserlichen Diensten sein, ohne dafür sein Leben zu riskieren. Und was gab es eigentlich Besseres, als dies an der Seite des Kaisers zu tun – und dem lieben Markward zumindest ein wenig die Suppe zu versalzen. Viele Möglichkeiten hatte hier niemand mehr. Aber anscheinend versuchte Dagobert Zeit zu gewinnen. Irgendwann musste Charibert doch zurückkommen, mit seinen Männern oder den Leibwachen. So ging Michel langsam hinüber, um sich formell einen Schritt rechts hinter Dagobert zu stellen, den protokollgerechten Platz des Erben. Markward zuckte tatsächlich ein wenig zurück, ehe er laut auflachte: „Oh, um ein Haar hätte ich Euch geglaubt. Das wäre immerhin eine Erklärung dafür, warum Ihr diesen seltsamen Vogel am Hofe duldet, ja....äh, für Pavero. Aber wenn Ihr nicht noch seniler geworden seid als ich vermutete, müsste Euch klar sein, dass ein Bastard nie erbberechtigt ist, schon gar nicht nach dem alten Erbrecht der Kernlande.“ „Wie immer redest du ohne dich auszukennen,“ gab Dagobert eisig zurück: „Michel ist das eheliche Kind meines Bruders und Renata de la Montagnes. Die Belege über die Eheschließung liegen in Montagne aber auch hier in der Kanzlei. Für eben solche Fälle.“ Michel war es sehr unangenehm die Tatsachen, die er sein Leben lang geheim halten hatte sollen, jetzt so vor versammeltem Publikum ausgesprochen zu hören. Überdies gefiel ihm der Blick nicht, den ihm seine Partnerin zuwarf. Immerhin hatte er Sarifa gegenüber behauptet unehelicher Geburt zu sein. Kurz, er hatte sie direkt angelogen – und das war kaum etwas, was die Assassine schätzen würde. Wenn sie beide das hier überlebten, wartete auf ihn mit Sicherheit ein mehr als unangenehmes Gespräch. Immerhin konnte er sich als nominierter Thronfolger und zukünftiger Kaiser relativ sicher sein, dass die reizbare junge Dame ihre Dolche bei sich behalten würde. So viel hatte sie doch dazu gelernt. „In diesem Fall,“ erklärte Markward mit seltsamer Ruhe: „Wird es mir ein ungeheures Vergnügen bereiten, den Tod dieses Idioten vor Euren Augen zu arrangieren. Ich konnte ihn noch nie leiden – und jetzt steht er mir auch noch im Weg. Damit ist dann auch Eure letzte Alternative zu mir weg, nicht wahr? Dankward will ja dämlicherweise nicht Kaiser werden, er hockt da lieber in einer Kleinstadt am Meer.“ Dagobert bemerkte, dass die Bewaffneten beiseite sahen, sichtlich auf einen Befehl warteten. Es war die lange Erfahrung als Heerführer, die ihn in diesen Blicken lesen ließ. Sie wollten eine Anweisung – aber sie sahen nicht zu Markward, sondern auf eine dunkle Gestalt, die an einer Säule lehnte: Konstantin. Also steckte Konstantin hinter diesem Plan, diesen Meuchelmördern, diesen Attentaten. Konstantin hatte sich hinter Markward gesetzt – und er selbst hatte ihm auch noch dazu verholfen, den Plan in die Tat umzusetzen, indem er die Beiden hier im Palast dauernd beisammen ließ. Der Kaiser atmete tief durch, ehe er die wohl bitterste Entscheidung seines Lebens fällte. Er presste die Hände so fest zusammen, dass sich die Nägel in die Haut bohrten. Er bemerkte dies allerdings erst, als er Finger über seine Rechte streichen spürte. Er sah zu Anawiga. Sie nickte kaum bemerkbar. Wusste sie, was er vorhatte? Dass ihn diese Lösung schreien lassen wollte, aber die fast lebenslange Erfahrung als Herrscher ihn zwang den Vater zu vergessen? Leise sagte er: „Sarifa, gleich, wie das hier ausgeht: weder Markward noch Konstantin dürfen diesen Raum lebend verlassen.“ Die Assassine nickte nur, ehe sie die Beiden musterte, bereits die Entfernung taxierend. Dagobert wandte sich erneut seinem Ältesten zu. Sarifa würde, wie jeder ihres Volkes, den einmal angenommenen Auftrag um jeden Preis erfüllen. Und er war ebenso sicher wie sie, dass die Zwei sterben würden, ehe die Assassine selbst zu Boden ging. Ein bitterer Trost, wenn er bedachte, dass auch sein Leben, das Anawigas und Michels momentan nichts mehr wert war. Markward blickte rasch zu Konstantin, der sich aufgerichtet hatte, ehe er meinte: „Ich fürchte fast immer noch, Vater, Ihr unterliegt einem gewissen Irrtum. Das hier sind wirklich böse Jungs – keine Saufkumpane oder Amateure.“ Versuchte er etwa immer noch nicht den Angriff zu befehlen? Inkonsequent wie eh und je. Der Kaiser presste ein wenig die Lippen zusammen, als er bemerkte, dass der Bischof von Pavero die Hand hob. Und, wie er Konstantin kannte, hatte der immer konsequent gehandelt. Konstantin, der so kluge, scheinbar harmlose Konstantin hatte sie alle getäuscht. Er war der Drahtzieher, den Uther und der Geheimdienst suchten, den Michel und Sarifa immer wieder aufgeschreckt hatten, der hinter den Piratenüberfällen gesteckt hatte. Warum er so viele Spione, Helfer bekommen konnte, war auch klar: er war ein Mitglied der kaiserlichen Familie, und die, die ihm folgten, taten es aus eben dem Grund, warum andere damals seinem Vater gefolgt waren: das alte Recht der Erbteilung, nach dem jeder Sohn den gleichen Anteil erhielt, nicht das jüngere Gesetz, nach dem nur der Älteste erbte, so viel besser dies auch für das Reich und die Güter sein mochte. Nach dieser alten Regelung hätte schon Maxim und dann Konstantin den Anspruch auf die Hälfte des Reiches. Dass er nicht offen ein Heer angeworben, keinen Aufstand geplant hatte, mochte die Leute sogar noch eher dazu bewegt haben, ihm zu helfen. In einer Schlacht wartete leicht der Tod, und davor schreckten doch so einige zurück. Hinzu kam, dass er wohl offiziell immer gesagt hatte, er unterstütze Markwards Anspruch – natürlich nur, dachte Dagobert in jäher Erkenntnis, bis dieser Kaiser wäre, Dankward einen Unfall hätte und Markward dann ebenfalls. Der Plan war eigentlich wirklich nicht ungeschickt – und hatte ihn selbst nun in eine der ärgsten Lagen seines Lebens gebracht. Konstantin suchte den Blick des Kaisers. Ja, der hatte begriffen. Nicht verwunderlich, er hatte die Schläue und Intelligenz Dagoberts noch nie unterschätzt. Jetzt würde er selbst die Hand fallen lassen, den Befehl zum Angriff geben – auf den Kaiser, die Kaiserin und diesen unerwartet als Neffen deklarierten Montagne. Damit war für Markward und letztlich für ihn der Weg frei. Waren diese Drei tot, sollten die Höflinge leben. Man brauchte schließlich immer Leute, die für einen arbeiteten, und niemand würde sich, schon mangels Alternativen, Markward entgegen stellen. Und der Kaiser wusste es. Er nahm die Hand Anawigas. Konstantin lächelte. Nach all den Jahren Planung – endlich der Erfolg. Für einen scheinbar endlosen Moment herrschte angespannte Stille in der Halle. Der Bischof von Pavero ließ die Hand fallen, die Bewaffneten drehten sich um, bis auf diejenigen, die die Ausgänge bewachten – und erstarrten, als ein großer Schatten durch den Raum glitt. Überrascht und kampfbereit blickten die Männer empor, ebenso Konstantin und Markward. Für einen Augenblick schienen zwei Vögel über ihnen zu schweben, dann erkannten sie zwei Personen in bodenlangen Umhängen, die Gesichter unter Kapuzen verborgen, die zwischen Markward und dem Kaiser landeten, die Rücken Dagobert zugewandt. Durch die Wucht des Aufpralls gingen sie auf ein Knie nieder, stützten sich kurz mit je einer Hand ab. Als sie aufrecht standen, lagen in ihren Händen jeweils Messer. „Assassinen!“ Der schlecht unterdrückte Ausruf des Bischofs von Pavero, der sich an diese Kleidung nur zu gut und mit gewisser Furcht erinnerte, genügte, um die gesamte Halle erneut erstarren zu lassen. Assassinen? Was war ihr Auftrag? Oder eher: wer? Fast die gesamte Halle erstarrte. Michel und das Kaiserpaar blickten blitzschnell zu Sarifa, die überrascht, aber durchaus erfreut schien, was die anderen Drei erleichterte, auch, wenn sie nicht ganz erkennen konnten, was eine Verstärkung von zwei Personen ausrichten könnte, geheimnisvolles Kämpfervolk hin oder her. Als sie wieder zurück sahen, entdeckten sie jedoch den wahren Grund für die gewisse Zufriedenheit der Assassine: die Zwei waren nur die Ablenkung gewesen, die Vorhut. Aus den kleinen Fensteröffnungen oberhalb der Säulen hatten sich in den Schrecksekunden Andere abgeseilt, Während die ersten Beiden zu den Übrigen zurückwichen, baute sich ein Halbkreis aus schweigenden, gleichförmigen Gestalten um den Kaiser und seine Familie auf. Wenn Michel hätte wetten sollen, so hätte er geschworen, dass die ersten Zwei die ältesten Brüder seiner Partnerin gewesen waren, Amir und Shahin. Er kannte auch die Stimme des Vermummten in der Mitte, der den Kopf drehte und den Kaiser ansprach: „Auch ein schwerer Kampf kann gewonnen werden. Doch werden wir nie gegen eines unserer Familienmitglieder oder dessen Partner vorgehen.“ Er wusste nicht, was hier geschehen war, wollte jedoch Sarifa sichern - und Michel. Das hatte Vorrang sogar vor dem Schutz des Kaisers. „Das ist auch nicht notwendig, Herr der Assassinen,“ erwiderte Dagobert ein wenig mühsam: „Ich möchte Euch jedoch um Schutz für meine Kaiserin und meinen Thronfolger bitten. Michel de la Montagne, mein Neffe, ist seit fünf Minuten mein Erbe.“ Onkel Moussa nickte nur. Ein Wort in einer unbekannten Sprache genügte, dass sich der Halbkreis etwas erweiterte. Die Umhänge rauschten ein wenig, aber das war der einzige Laut in der Halle, als die Assassinen die Hände in die weiten Ärmel steckten. Jedem Anwesenden war klar, dass dies nicht die Haltung von meditierenden Mönchen war, sondern die von Berufskriegern. Markward war instinktiv einige Schritte zurückgewichen, als die beiden Unbekannten nur zwei Meter vor ihm gelandet waren, und suchte nun den Blick Konstantins, der allerdings etwas schockiert schien. So meinte der Kaisersohn ein wenig fahrig: „Ich kann nicht glauben, dass es euch wirklich gibt. Ich hörte außerdem noch nie davon, dass Assassinen für den Kaiser arbeiten.“ In der Antwort Shahins lag ein amüsiertes Lächeln: „Das könnte daran liegen, weil uns der Kaiser nur ruft, wenn gut nicht gut genug ist.“ Er hatte sie gerufen, dachten Konstantin, Markward, aber auch Dagobert gleichzeitig irritiert, ehe letzterer einen langen Blick auf die Leibwächterin seiner Gemahlin warf. Michel entkam ein leises Lächeln. Wie hatte Markward vorher behauptet? Seine Männer seien böse Jungs? Nun, was machte der jetzt, wenn die WIRKLICH bösen Jungs da waren? Er versuchte zu erraten, wer was war. Shahin hatte er an der Stimme erkannt, also würde auch Amir dabei sein, Onkel Moussa, wohl auch weitere von Sarifas Brüdern. Agrar, vielleicht, aber auch andere. Er zählte vierzig Assassinen – noch immer zahlenmäßig unterlegen, aber zehn Mann konnten ausgeglichen werden, wenn auf der anderen Seite eine gewisse Furcht mitspielte, und sich der Eine oder Andere doch überlegte, ob es wirklich die Bezahlung wert war, sich gegen derartige Experten in der Kunst des Tötens zu stellen. Woher auch immer sie gekommen waren, was auch immer seine Partnerin da gemacht hatte, er war froh darum. Oder war es gar nicht Sarifa gewesen, sondern waren sie seinetwegen nach Paradisa gekommen? Immerhin gab es da eine Kriegserklärung.... Dennoch. Er straffte sich. Hier waren zu viele Unbewaffnete anwesend, zu viele Geiseln für Konstantin, Markward und Kumpanen. Und letztendlich auch die Kaiserin und der Kaiser. So meinte er langsam: „Da der werte Bischof noch ein wenig in Erinnerung zu schwelgen scheint....Was hältst du davon, Markward, wenn wir die Sache unter uns regeln?“ „Nein!“ flüsterte Dagobert. Das war das Duell, vor dem sich er und Uther seit Monaten gefürchtet hatten, als klar wurde, wie diese beiden zueinander standen. Aber natürlich – brach ein Kampf aus, ein Tumult, so waren die Unbewaffneten Geiseln, auch ein Hindernis für die Assassinen. Es war logisch – er wollte jedoch nicht seinen Sohn sterben sehen, allerdings auch nicht seinen bestmöglichen Thronfolger verlieren. „Sei kein Narr“, ermahnte er sich in Gedanken. „Du hattest zuvor schon den Auftrag gegeben deinen Ältesten umzubringen, wenn alles schief geht.“ Über Markwards Gesicht glitt derweil ein Lächeln: „Oh, komm, Michel....Du hast einen Degen in der Hand, aber du hältst ihn eher wie einen Gehstock. Das Duell wäre schnell beendet. Aber gut, warum nicht. Noch immer wegen Pavero wütend auf mich?“ Er sah beiseite: „Gib mir deinen Degen,“ befahl er einem Mann. „Nicht wütend.“ Michel drückte seine erbeutete Fechtwaffe dem Assassinen vor ihm in die Hand, der sich zu ihm umdrehte, ehe er das geschmückte Wams auszog. „Jedes Mal, wenn ich dich reden höre oder sehe, verspüre ich das Bedürfnis mich zu waschen.“ „Da sind wir ja schon zu zweit.“ Auch Markward zog das höfische Wams aus. Nur mit dem weißen Hemd bekleidet war es leichter zu kämpfen. Dann nahmen beide ihre Degen und Michel ging durch die Phalanx der Assassinen auf seinen Gegner zu, der sich in die Mitte der Halle stellte. In diesen Vorbereitungen lag allerdings ein Ingrimm, ein Hass, der alle im Raum schweigend und regungslos ließ. Dennoch hielt es Fürst Moussa für notwendig laut zu sagen: „Keine Einmischung von einer Seite.“ Der Hauptmann nickte nur. Wozu einen Kampf mit ungewissem Ausgang vom Zaun brechen, wenn die beiden potentiellen Thronfolger so wild entschlossen waren sich gegenseitig umzubringen? Die Duellanten standen sich für einen Moment gegenüber, ehe sie, wie es der Brauch verlangte, die Degenspitzen in einer Art Gruß gegeneinander klingen ließen. In diesem Moment begriff Michel, dass er sich geirrt hatte. Markward war kein Anfänger – und er hatte es vergessen. Ebenso wie er selbst waren die Kaisersöhne durch die Knappenschule und dann die Ausbildung der Leibwachen gegangen. Das, was er selbst ihm an Erfahrung voraus hatte, mochte der Jüngere durch Kraft oder Schnelligkeit ausgleichen. Das würde kein einfacher Kampf werden. ** Hand hoch: wer außer Michel hatte noch vergessen, welche Ausbildung Markward bekam? Kapitel 54: Kampf ----------------- In den ersten Sekunden berührten sich die Degen der beiden potentiellen Thronfolger fast weich und spielerisch. Beide tasteten sich ab, suchten die Strategie, die Kraft des Anderen. Michel war ärgerlich über sich, dass er vergessen hatte, dass Markward ebenfalls durch die Schulen gegangen war, die er selbst besucht hatte. Er selbst war nicht auf der gewohnten Höhe seiner Fähigkeiten. Zwar waren die bei Uthers Tod wieder aufgerissenen Wunden am Rücken vernarbt, aber er hatte in dieser Zeit und auch aus Rücksicht auf seine neuen Pflichten im Geheimdienst nicht mehr geübt. Es musste eben reichen, was er in den vergangenen Jahren in manchmal harten Duellen gelernt hatte. Der Kaisersohn war verblüfft über die Kraft, die Bewegungen eines Mannes, den er immer für einen parfümierten Narren und Wichtigtuer gehalten hatte. Jetzt erst fiel ihm ein, dass Michel de la Montagne ab und an auch bei den Leibwachen aufgetaucht war, als er dort widerwillig geübt hatte. Der Idiot war dann immer mit einigen erfahrenen Kriegern verschwunden – anscheinend zu einem besonderen Training. Das war lange her und er hatte es vergessen gehabt. Nun gut. Er würde dem verweichlichten Kerl dennoch zeigen, was er drauf hatte. Schon lange war der nicht mehr beim Üben gesehen worden, das hatte ihm Konstantin versichert und Konstantin irrte sich in solchen Fällen nicht. Er hatte ihn gefragt, ja, um zu wissen, ob ihm dieser Nichtsnutz bei Sarifa in die Quere kommen könnte. Er hatte einmal gesehen, wie dieser Hanswurst die Hübsche aus dem Süden umflattert hatte – und sie hatte dem zugelächelt. Brennende, bislang unbekannte, Eifersucht hatte sich in ihm ausgebreitet, wobei Markward zugab, dass er Sarifa Geschmack zutraute. Nun, gleich. Das hier war keine Übung sondern Ernst und mal sehen, was dieser Stutzer dazu sagte, wenn er die ersten Verletzungen abbekam. Denn das hier war kein Kampf, der mit einem Kratzer enden würde. Jetzt setzte Markward mehr Druck hinter seine Angriffe, erhöhte die Geschwindigkeit. Die anwesenden Profis und auch die Männer, die nur mal eben so fechten gelernt hatten, erkannten, dass noch immer kein Ernst sondern mehr Abtasten hinter dem Duell steckte. Nicht weiter verwunderlich in einem Kampf auf Leben und Tod. Niemand konnte es sich da leisten zu früh seine Kräfte zu verschwenden. Allerdings hatte keiner der sonstigen Anwesenden die Ausbildung der Leibgarde durchlaufen. Dieser hätte sonst auch noch erkannt, dass es reine Trainingseinheiten waren, die sich Michel und Markward lieferten, Übungen, tagelang bis zur Perfektion geschult – für beide eine sichere Anwendung und bei einer Unaufmerksamkeit für den Gegner tödlich. Dagobert hielt noch immer die Hand der Kaiserin, hatte sich jedoch einen Schritt zurück direkt neben sie begeben, schräg jetzt hinter Sarifa, schon, um der Assassine möglichst freie Bahn zu lassen, wenn....nun ja, wenn Markward gewann. Er wusste nicht viel über Michels Fechtkünste, aber ihm war klar, dass die beiden Kämpfer eigentlich auf demselben Technikstand sein sollten. Uther hatte freilich immer behauptet Michel sei einer der besten Degen des Reiches – war das der nur zu verständliche Stolz eines Vaters auf seinen äußerst wohlgeratenen Sohn gewesen oder die nüchterne Abschätzung eines Taktikers? Dagobert gab zu, dass er manchmal dieses Vater-Sohn-Verhältnis beneidet hatte. Obwohl sie beide eisern nach außen das Geheimnis bewahrten – sie arbeiteten zusammen, Michel verehrte seinen Vater förmlich, war intelligent und dem Reich sehr nützlich. Er selbst hatte manchmal gebetet, einer seiner Söhne möge, und sei es durch ein Wunder, ebenso werden. Jetzt hatte er mit Dankward zugegeben einen Ähnlichen – nur war der nicht am Reich interessiert, ja, durch seine...hm...Neigungen unfähig zur Thronfolge. Und nun dieses Duell....Er wusste nur zu gut, wenn Markward, wenn sein Ältester, gewann, würde die Sache für Anawiga und ihn selbst kritisch, Assassinen hin oder her. Konstantin würde nicht zögern, den direkten Angriff zu befehlen, da dem klar war, dass er und auch Markward nur dann um die Anklage wegen Hochverrates herumkämen. Verlor Markward....Wie weit würde Konstantin gehen? Würde er dennoch den direkten Angriff befehlen oder würde er hoffen, dass er nicht aufgeflogen sei? Sich noch herausreden könnte? Im ersteren Fall würde die Assassine gewiß den Bischof töten. Im Endeffekt hingen auch Anawigas und seine eigenes Schicksal von Michels und Sarifas Waffen ab. Die Kaiserin war sich der Lage ebenfalls bewusst, auch, wenn sie überrascht war. Ihr fehlte der militärische Blick und so wusste sie nichts von Konstantins Beimischung. Sie rätselte nur, wieso ihr Stiefsohn, der zugegeben recht dumm und lästig schien, heute zu Hochverrat griff. Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass er das ominöse Genie hinter den ganzen Zwischenfällen der letzten Zeit, Graf Uthers Mörder, war. Aber er war ein Hochverräter und schon um sein eigenes Leben zu retten müsste er nun, falls er gegen don Michel gewann, Befehl geben, seinen Vater und auch sie umzubringen. Don Michel....ja. Als sie ihre Verblüffung darüber überwunden hatte, dass ihn Dagobert als seinen Neffen vorgestellt hatte, hatte sie plötzlich alles begriffen. Michels so deutlichen Schmerz über Uthers Tod, aber auch die Tatsache, warum er den dümmlichen Stutzer in der Öffentlichkeit spielte – jedoch ebenfalls, warum Raoul so oft zuerst don Michel, dann Hoheit, gesagt hatte. Ihr war es einmal aufgefallen und sie hatte darauf geachtet. Freilich hatte sie nur angenommen Raoul als alten Geheimdiensthasen störe es, dass nun eine Frau die Leiterin sei. Daran, dass er der Nummer Vier oder mittlerweile Zwei der möglichen Thronfolger höflich begegnete, dem potentiellen nächsten Kaiser, hatte sie zwangsläufig nicht denken können. Sie hatte don Michel in den letzten Wochen durchaus als intelligenten, nüchternen Mann kennengelernt und sie hoffte inständig, dass der das Duell gewinnen würde. Sarifa hätte zwar gern dem Kampf zugesehen, aber mehr als einen raschen Seitenblick wagte sie nicht. Ihr Auftrag lautete, dass weder Markward noch Konstantin diesen Raum lebend verlassen durften, und, da sie annahm ihr Partner käme mit dem Kaisersohn zu Rande, ließ sie ihre Augen nicht von dem Bischof, der deutlich unruhig dem Duell folgte. War ihm klar, dass der Kaiser nun wusste, dass er hinter allem steckte? Auch hinter Uthers Tod? Denn nichts anderes konnte Dagoberts Befehl an sie bedeuten. Und Konstantin sollte bewusst sein, dass der Kaiser schon bei Hochverrat die Todesstrafe verhängt hatte – aber da war noch das qualvolle Sterben seines geliebten Bruders...Die Assassine glaubte, dass der Bischof den schnellen Untergang durch ihre Klinge schätzen sollte, falls es dazu kam. Tatsächlich schwankte Konstantins Meinung. Montagnes Angebot eines Duells war überraschend gekommen – und, dass Markward darauf eingegangen war, war mehr als töricht. Sie hatten den Sieg hier schon praktisch in der Hand gehabt, schon in wenigen Minuten wären Dagobert und Anawiga tot gewesen, Markward der nächste Kaiser. Nun jedoch war dem Bischof klar, dass er seinen Männern nichts befehlen konnte – nicht, ehe das Duell beendet war. Überdies konnte man erst dann abschätzen, wie es weitergehen sollte. Konstantin gab gern zu, dass er von den unerwarteten Fechtfähigkeiten des Kaisersohnes überrascht war. Er hätte daran denken müssen, immerhin war er selbst im ersten Jahrgang gewesen, der die Knappenschule abschloss und einigen von ihnen hatte Uther dann die Leibwachen angeboten. Ihm selbst nicht, war er doch für eine kirchliche Karriere, einen Abschiebeposten, bestimmt. Nicht, dass er Dagobert und Uther da nicht verstanden hätte. Er selbst hätte einen solchen potentiellen Thronfolger allerdings mehr oder weniger unauffällig aus dem Weg geräumt. Als ihm mit Mitte Zwanzig klar geworden war, dass es den beiden Brüdern genügte ihn nach Pavero geschickt zu haben, hatte er begonnen, sein Spionagenetz aufzubauen, Rache für seinen Vater und seine Verbannung in diese kleine Stadt zu suchen. Inzwischen hatte Dagobert wohl begriffen, dass es ein Fehler gewesen war ihn nicht zu töten. Menschen, die man nicht wieder sehen wollte, musste man eben umbringen. Er selbst hatte Uthers Tod befohlen, rein aus Vorsorge und um Dagobert einen schweren Schlag zu versetzen. Und er war sicher, Uther hätte das verstanden. Das war seine einzige Entschuldigung, angesichts der Tatsache, dass dies der einzige Tod war, der nötig gewesen war, er aber bedauerte. Denn der Kaiserbruder war seine gesamte Kindheit über sehr freundlich zu ihm gewesen. Er selbst verstand wenig vom Fechten, aber er bemerkte, dass Markward vorwärts drängte, Montagne zurückwich, bemüht, die Distanz zwischen ihnen zu vergrößern. Der Grund war eine rote Rose, die sich an der rechten Schulter auf dem weißen Hemd ausbreitete. Dem Kaisersohn war es gelungen, dass sein Gegner als erster Blut zeigen musste. Hoffentlich würde er gewinnen. Das wäre dann wirklich einfacher – quasi ein Gottesurteil, dass er der rechtmäßige Thronfolger wäre. Damit war Dagobert jeder Ausweg versperrt und er würde entweder Markward anerkennen oder sterben. Konstantin gab zu, dass ihm beides recht war. Michel bemühte sich ein wenig in Entfernung zu bleiben, um eine erneute Verletzung zu vermeiden, da er erst überprüfen wollte, wie tief der Degen seines Widersachers in seine Schulter gedrungen war. Mit gewisser Erleichterung stellte er fest, dass kein Muskel verletzt worden war, er seinen Arm noch immer frei, wenn auch nicht ganz ohne leichten Schmerz bewegen konnte, zusätzlich zu dem Ziehen im Rücken. Ihm war klar, dass er als erster Blut gezeigt hatte, Markward damit Selbstvertrauen gewonnen hatte, er konnte es an dessen Klinge spüren. Aber das bewies nur, dass der ein Narr war. Freilich würde er selbst vorsichtiger sein müssen, den nicht mehr unterschätzen. Aber es gab eine Chance für ihn. Riskant ,aber möglich, und er hatte guten Grund zu der Annahme, dass der Kaisersohn nicht wusste, was er wirklich alles konnte. Er würde jetzt angreifen, immer nach der gleichen Methode, bis Markward vermutete, dass sei sein Standardangriff und entsprechend seine Abwehr strukturierte. Dann....ja, dann würde er alles in einen einzigen Stoß setzen müssen. Denn entgegen seiner eigenen Annahme war der Mistkerl wirklich ein guter Fechter. Wenn auch offenbar nur in einer Turnierhalle. Das würde letztendlich den Unterschied machen. So widerstand er dem nächsten Angriff, versuchte mit einer raschen Drehung seines Handgelenkes Markward zu entwaffnen. Das funktionierte nicht, aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Es war nur der erste Teil seines Planes. Agrar, der ebenso wie seine Stammesbrüder relativ unbesorgt dem Duell folgte, hatte das rasche Lächeln des Kaisersohnes gesehen als er mit seinem Angriff durchgekommen war, Michel verwundet wurde. Narr, dachte er. Er selbst hatte ihm die Wade durchstochen – und diese Verletzung, an der viele andere zusammengebrochen wären, hatte den Partner der Bluterbin nicht davon abgehalten, sich im nächsten Moment auf seine Kehle zu knien und zu siegen. Nein, mit so etwas wie einem Degenpiekser beeindruckte niemand Michel wirklich. Sollte jedoch Markward in der Tat siegen, was Agrar nicht glaubte, so war seine Entscheidung schon längst gefallen. Falls ihm Sarifa nicht zuvor kam, würde er eben diesen Kerl erledigen. Er schuldete Michel sein Leben. Und auch, wenn sich niemand in solch einen Zweikampf einmischen durfte, so blieb diese Ehrenschuld doch bestehen. Markward achtete darauf sich nicht zurückdrängen zu lassen. Wie hätte denn das ausgesehen, wenn er sich von so einem parfümierten Nichts auch nur andeutungsweise hätte ins Bockshorn jagen lassen? Leider war dieser Montagne noch immer nicht müde, ja, schien irgendetwas vorzubereiten. Aber, was? So langsam sollten dem doch die Ideen ausgehen? Ja, das taten sie, stellte der Kaisersohn dann fest. Fast jedes Mal, wenn sein Gegner zu einem Angriff angesetzt hatte, hatte er mit dem gleichen Hieb begonnen, dann versucht ihn zu entwaffnen. Das würde er bestimmt das nächste Mal auch probieren....Markward war darauf vorbereitet und stieß direkt mit der Klinge vor, die Michels umwindend. Er war eigentlich sicher, dass er treffen musste, aber mit einer anscheinend instinktiven Abwehr schlug dieser Idiot seinen Degen beiseite. Noch während der Kaisersohn hastig seine Waffe zurück zwischen sie beide bringen wollte, unangenehm überrascht, dass seine perfekte Attacke misslungen war, zog Michel seinen Degen aus dem Duell zurück, senkrecht, während er sich seitwärts drehte um dem nächsten Angriff Markwards zu entgehen. Dieser riss förmlich seine Klinge zurück, als er sah, dass der Degen seines Gegners aus dessen Rechter fiel – nur, um mit der Linken aufgefangen zu werden. Das war doch der legendäre....! Er spürte den Stoß von schräg unten, mit links geführt, fühlte den scharfen Stich in sein Herz, noch während ihm sein Verstand zuschrie, dass er betrogen worden war. Überlistet, nicht besiegt! Niemand besiegte ihn... Michel richtete sich auf und atmete tief durch, als er den Toten auf dem Hallenboden liegen sah. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hatte ihn Meister Leonardos Wurfstoß in einem Kampf gerettet. Er sollte wirklich eifriger üben – obwohl, als Thronfolger wäre ihm das wohl eher nicht mehr möglich und die Chancen auf ein Duell auch eher gering. Immerhin war ein Zweikampf mit dem Kaiser oder seinem Erben eigentlich Hochverrat. Ausgenommen natürlich, man besaß die Genehmigung des Kaisers. Im nächsten Moment fuhr er herum, als Konstantin bereits die Schlussfolgerungen gezogen hatte und rief: „Tötet den Kaiser!“ Michel bemerkte, dass sofort die Bewaffneten, mit Ausnahme derer, die bei den Türen standen, los rannten und versuchte, wenigstens einen zu stoppen, zu einem Kampf zu zwingen, sicher, dass die Assassinen in seinem Rücken Dagobert und Anawiga beschützen würden. Und Sarifa konnte auf sich selbst aufpassen. Dennoch schrie er fast gleichzeitig: „Das war Konstantin. Den brauchen wir lebend!“ Der war der Einzige, der dem Kaiser Auskunft über sein Spionagenetz und seine Verbündeten geben konnte. Und er war sicher, dass die Angehörigen seiner Partnerin ihn gehört hatten – und ihm gehorchen würden. Dann war nichts mehr wichtig außer der Klinge eines weiteren Gegners vor ihm. Dagobert schob Anawiga hinter sich. Degen gegen Messer sah schlecht aus, dachte er – immerhin war die eine Reichweite deutlich länger als die Andere. Aber dann erkannte er rasch, dass die Assassinen immer mindestens zu zweit aufeinander eingespielt waren, trotz ihrer geringeren Anzahl durchaus ein Vorteil. Und Sarifa stand noch immer vor ihnen beiden, mischte sich nicht in das Getümmel. Wollte sie als letzte Sicherung bleiben? Oder ihre Rolle als Hofdame nicht aufgeben? Oder beides? Dagobert wusste es nicht. Er gab zu verwirrt zu sein, eine gewisse Trauer über den Tod seines Ältesten zu empfinden, aber auch Angst um sich und Anawiga. Die heutigen Erlebnisse würden in Ruhe noch einmal durchgegangen werden müssen Natürlich nur, falls er diesen Tag überlebte. Er versuchte in dem Gewirr der kämpfenden Männer vor sich etwas zu erkennen, eine Strategie, aber ihm fehlte der Überblick. Erst scheinbar endlose Zeit später entdeckte er, dass die Saaltüren geöffnet wurden. Irgendwie war es anscheinend Assassinen gelungen dorthin vorzudringen und die Geharnischten dort zu verjagen oder zu töten. Jedenfalls bewirkte dies sofort, dass die Höflinge, Männer und Frauen, hastig den Saal verließen. Er hörte den zittrigen Atemzug hinter sich und wandte eilig den Kopf: „Ruhig, meine Liebe,“ murmelte er: „Es...es ist gleich vorbei....“ Hoffentlich hielt sie durch, wurde nicht ohnmächtig oder verlor durch die Aufregung gar das Kind. Mit einem Schlag wurde es still in der noch eben vom Kampflärm erfüllten Halle. Die Widersacher trennten sich voneinander und Dagobert erkannte den Grund. Spät, aber nicht zu spät: Guiskard und Männer seiner Leibwache. Hastig schrie er: „Helft den Assassinen!“ Woher sollten sie auch wissen, wer auf welcher Seite stand? Einige Tote beider Parteien lagen am Boden und er bemühte sich, sich so vor die Kaiserin zu stellen, dass sie sie nicht sehen konnte. Konstantin war niedergerungen worden, im Griff zweier Assassinen. Sie schienen tatsächlich auf Michel gehört zu haben, dass er seinen entfernten Cousin lebend wollte. Vernünftig gedacht. Sein Neffe eben. Konstantin war der Einzige, der Auskunft geben konnte. Ganz sicher hatte er niemanden eingeweiht. Und der Bischof würde reden, das schwor sich Dagobert. Er wollte wissen, warum Uther sterben hatte müssen, noch dazu auf diese Art, warum Chilperich, wer die Verbündeten waren, die Spione. Dann war alles vorbei. Kaum einem der Angreifer war es gelungen aus dem Saal zu entkommen, die meisten waren verletzt, aber lebendig. Dennoch waren von den fünfzig Männern zwölf tot, die meisten an der Hallentür. Dort lagen auch zwei Assassinen. Sarifa war etwas besorgt, wer, aber sie wagte noch nicht ihren Platz vor dem Kaiserpaar zu verlassen. Das tat sie erst, als die Leibwachen alle, auch Konstantin gefesselt hatten, sie aus der Halle führten. Sie trat zu Fürst Moussa, der soeben Bericht erhielt. „Ich freue mich, dass ihr kamt,“ sagte sie: „Wer …?“ Ihr Onkel sagte die Namen. Natürlich kannte sie sie, aber sie war doch erleichtert, dass es keiner ihrer Brüder war. Aber alle ihrer Bekannten und Verwandten waren mehr oder weniger verletzt. „Wie ein Krieger leben und wie ein Krieger sterben,“ murmelte sie den alten tröstenden Spruch ihres Volkes in solcher Lage. „Du hast dich ja fein rausgehalten,“ meinte jemand hinter ihr und sie fuhr herum. „Shahin!“ Ihr zweitältester Bruder hielt sich den linken Oberarm, sichtlich verletzt, lächelte jedoch: „Schon gut. Du bist die Leibwächterin der Kaiserin, die letzte Verteidigung. Es wäre töricht gewesen deinen Platz zu verlassen. Du willst sicher wissen, wie wir herkamen? Amir, Mahedj und ich haben seit Tagen die Lage hier erkundet. Wie du weißt, hat unser Volk für den Tod deines Auftraggebers und um Michels Willen dem Mörder den Krieg erklärt. So wollte Onkel eine gewisse Menge an Männern hier haben. Während wir voraus erkundeten, kamen einer nach dem anderen einzeln nach Paradisa, meldeten uns, wo sie waren. Als Amir heute morgen feststellte, dass praktisch die gesamte Leibgarde abzog, wurde er misstrauisch und wir teilten Onkel dies mit. Er schickte daraufhin Mahedj aus um alle zusammenzurufen. Unser kleiner Bruder muss wirklich schnell wie eine Gazelle über die Dächer gelaufen und gesprungen sein. Wir kamen rechtzeitig.“ „Die Kaiserin geht...ich sollte wohl hinterher.“ Aber sie bemerkte den Wink des Kaisers und blieb. Er verstand, dass sie mit ihrer Familie reden wollte. Michel kam heran: „Ich muss zugeben, ich habe mich gefreut, dass ihr kamt,“ meinte er: „Nette Überraschung, Fürst Moussa.“ „Die Überraschung lag auf unserer Seite,“ erwiderte dieser: „Thronfolger und der nächste Kaiser?“ „Ich habe davon auch erst fünf Minuten früher gehört.“ „Das werden wir noch besprechen!“ Sarifa funkelte ihren Partner an. „Das ist mir klar, mein Engel.“ Michel kannte sie: „Ein wenig später, allerdings. Ich vermute, der Kaiser möchte noch mit deinem Onkel reden.“ Denn Dagobert hatte den Bericht Leutnant Guiskards – und dessen Entschuldigung, auf Markward und Konstantins falschen Angaben hereingefallen zu sein – angehört und kam nun heran. „Meinen Dank den Assassinen,“ sagte er: „Ich hoffe, Ihr habt Eure Rettungsaktion nicht mit zu vielen Leben bezahlt.“ „Zwei, bislang,“ erwiderte Moussa sachlich, ehe er kurz wiederholte, was Shahin bereits erwähnt hatte – warum sie hier rechtzeitig waren. „Hm,“ meinte der Kaiser: „Ich vermute, ich sollte mich freuen, dass es einigen Eurer Männer gelang den Palast auszuforschen. Aber irgendwie muss ich die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen. - Wie lange bleibt ihr noch in Paradisa? Ich würde mich freuen, einmal Sarifas Volk näher kennen zu lernen.“ „Wir werden, sobald klar ist, welche Verletzungen schwerer sind und diese einigermaßen geheilt, wieder in den Süden reisen. Keine Aufmerksamkeit. - Danke, Euer Hoheit. Aber wir sind lieber die Schatten. Sarifa wird jedoch hier bleiben.“ „Das hoffe ich. Ich habe eine wichtige Aufgabe für sie.“ Dagobert bemerkte, dass die Toten bereits aufgenommen wurden: „Dann sage ich lebt wohl.“ „Danke, Hoheit. Ihr wisst ja, wie man uns finden kann.“ Konstantin betrachtete ein wenig frustriert die schwere Tür seiner Einzelzelle. Licht fiel nur durch einen schmalen Spalt oben knapp unter der Decke. Seine Männer samt dem Hauptmann hatten die Wachen in einen größeren Raum zusammen gesperrt. Ihm war dagegen der zweifelhafte Luxus des Alleinseins gewährt worden, nachdem ihn die Leibgarden vollständig ausgezogen hatten. Ohne Zweifel auf gesonderte Anweisung des Kaisers. Dagobert kannte ihn und war vorsichtig – er hatte sicher zu Recht vermutet, dass er in seiner Kleidung Gift trug, um bei einem Scheitern des Umsturzes sein Leben selbst und rasch beenden zu können. Jetzt saß er hier, mit einer unbequemen, kalten und schweren Schelle um den Hals, damit an die Wand gefesselt. Immerhin hatten sie ihm noch eine Hose aus grobem Leinen zugeworfen. Konstantin zögerte jedoch sie anzuziehen. Er wusste nicht, wer das zuvor getragen hatte und überhaupt....Allmählich wurde ihm jedoch klar, dass Bequemlichkeit und persönlicher Stolz wohl zu den Dingen gehörten, von denen er sich für den kurzen Rest seines Lebens verabschieden musste. ** Das nächste Kapitel bringt: Michels Geschichte.... Kapitel 55: Michels Geschichte ------------------------------ Konstantin, der ehemalige Bischof von Pavero, hatte sich kaum und ein wenig mühsam die grobe Leinenhose angezogen, die man ihm gelassen hatte, als sich die Tür öffnete. Er sah auf, sicher, wer kam. Dass der Kaiser noch die Kleidung trug, die er während des Empfanges angehabt hatte, und er selbst angekettet halbnackt auf einem Strohsack sitzen musste, baute ihn auch nicht auf. Er wusste, dass sein Tod nur noch eine Frage der Zeit war. Dagobert hatte stets mit harter Hand auf Umsturzversuche reagiert. Es war daher, der Möglichkeit des Selbstmordes beraubt, sinnvoll, ihn nicht nutzlos zu verärgern. Jedes Urteil des Kaisers würde vollstreckt werden. Jedes. So sagte Konstantin: „Es überrascht mich, dass Ihr Euch selbst die Mühe macht hierher zu kommen.“ Dagobert warf einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass die Tür geschlossen war, ehe er langsam betonte: „Ich habe Verrat stets als das Übelste angesehen, was ein Mann begehen kann. Du wolltest Kaiser werden – und hast meinen eigenen Sohn dazu gebracht gegen mich vorzugehen. Ich nehme doch nicht an, dass Markward noch ein langes Leben beschieden gewesen wäre.“ „Nein, natürlich nicht,“ gab der Jüngere zu: „Das ist etwas, das ich schon immer an Euch und Uther geschätzt habe – diese nüchterne Logik.“ „Uther.“ Der Kaiser schloss kurz die Lider. Als er wieder auf den Gefangenen hinabblickte, erschrak dieser fast vor dem Zorn in den grauen Augen: „Du selbst hast zu mir gesagt, dass du ihn geschätzt hast. Warum musste er sterben? Und auch noch so?“ „Ihr habt ihn gefunden....“ murmelte Konstantin. Das hatte er nicht mitbekommen, ja, gedacht, der Sarg bei der Trauerfeier sei leer gewesen. „Ja, wir haben ihn gefunden. Da lebte er noch.“ Finster ergänzte Dagobert: „Er starb in den Armen seines Sohnes. Du Mistkerl. Ich verstehe irgendwo sogar noch, dass du glaubtest, mich durch seinen Tod zu erschüttern. Aber warum musste er so sterben? So allein und elendig verrecken?“ Jetzt war Konstantin wirklich verwirrt: „Ich...ich bitte Euch mir das zu erklären...ich meine, der Tod durch die Klinge eines Meuchelmörders....“ „Er ist verdurstet und verhungert!“ donnerte Dagobert. Ach du liebe Güte, dachte der ehemalige Bischof entsetzt. Darum also war der Kaiser derart wutentbrannt – und das mochte für ihn selbst und sein eigenes Sterben nichts Gutes verheißen. Er hob daher abbittend die Hände: „Das...das wollte ich nicht!“ beteuerte er: „Ich gab Befehl ihn zu erdolchen. Er sollte nicht leiden, sicher nicht. Dazu habe ich ihn doch zu sehr geschätzt. - Wenn...wenn dieser Michel de la Montagne ihn fand...dann müsste er doch auch gesehen haben, dass die Entführer tot sind. Die gleichen Männer, die sie umbrachten, hatten auch Befehl Uther zu töten. Das...das müsst Ihr mir glauben!“ Dagobert musterte ihn. Doch, er glaubte ihm sogar. Er war verwirrt, dann erschreckt gewesen – hatten ihn seine Männer da hintergangen, weil sie annahmen, es komme auf das Wie von Uthers Tod nicht an? „Waren das die beiden Meuchelmörder, die in Pavero gefunden wurden? Vergiftet?“ Er wusste davon? Ach ja, seine Leute hatten das ja der kaiserlichen Polizei mitteilen sollen. „Ja.“ Nur schonungslose Offenheit würde ihm vielleicht einen raschen Tod durch das Schwert des Henkers verschaffen, das war Konstantin klar. Wenn überhaupt. „Ich werde dir Papier und Tinte bringen lassen. Du wirst die Namen aller Herzöge, Stadträte und Könige aufschreiben, die dich in irgendeiner Form unterstützt haben.“ Der ehemalige Bischof zögerte. So fuhr der Kaiser sachlich fort: „Du kannst es gleich tun oder zerschunden, mit gebrochenen Gliedern. Mein Sohn starb im Endeffekt durch deine Machenschaften, mein Bruder wurde ermordet, du gabst Befehl meinen Neffen zu foltern – wenn du glaubst, ich hätte nur einen Funken Mitleid mit dir, irrst du dich sehr.“ „Oh, davon bin ich überzeugt, Hoheit,“ beteuerte der Gefangene hastig: „Ich dachte nur daran, dass manche ja glaubten, Markward zu unterstützen, nicht mich. Nun, die Meisten. Niemand sah zu Markward eine echte Alternative. Und nach seinem Tod wäre ich die Einzige geworden.“ „Und Dankwards Tod,“ ergänzte der Kaiser nüchtern. „Ja.“ „Schreibe es auf.“ Dagobert drehte sich um und ging. Es gab Wichtigeres. Er hatte den Hofarzt zu Anawiga geschickt. Hoffentlich musste nicht auch sie für diesen Umsturzversuch bezahlen. Unterdessen trafen sich Michel und Sarifa im Arbeitszimmer des Geheimdienstleiters. „Wie geht es der Kaiserin?“ fragte er, um dem unbehaglichen Schweigen zu entgehen. „Der Hofarzt ist bei ihr. Aber ich denke, sie und das Kind überstehen es. Sie ist hart im Nehmen.“ „Der Kaiser will mich später sprechen. Er ist jetzt allerdings erst einmal zu Konstantin gegangen.“ „Allein?“ „Ich wäre gern mitgegangen, um zu verhindern, dass er...etwas Voreiliges tut, aber er verbot es mir. Äh....ich denke, mein Engel, du hast Fragen.“ Er setzte sich auf einen Stuhl und sah zu ihr. „ICH denke vor allem, dass ich ziemlich ärgerlich über die Tatsache bin, dass mich mein eigener Partner direkt angelogen hat. Du sagtest, du wärst unehelicher Geburt!“ Sie trat zu dem kalten Kamin und lehnte sich etwas dagegen. Michel seufzte: „Ja, das habe ich gesagt. Es war das Einzige, was mir einfiel, damit du nicht weiter fragst. Weißt du, ich durfte fünfundzwanzig Jahre lang nie sagen, zu keiner Person, wer mein Vater ist. Wenn man lange genug mit einer Lüge lebt, fängt man an sie fast selbst zu glauben.“ „Das verstehe ich nicht ganz. Was wäre so schlimm daran, dass du der Neffe des Kaisers bist, einer der Thronprätendenten? Und warum überhaupt diese Heimlichtuerei?“ Er lehnte sich zurück. „Ich erzähle dir am Besten die ganze Geschichte, ja? Gut. Also, vor einunddreißig Jahren war der Kaiser noch nicht verheiratet, hatte keinen Sohn. Das Reich war noch immer recht instabil. Auch Graf Uther war nicht verheiratet, schon, um Dagobert nicht vorzugreifen. Beiden war bewusst, dass ein Sohn Uthers als Thronfolger der nächsten Generation wieder Männer auf den Plan rufen würde, die den entführen wollten. Beide Brüder hatten mit so etwas ja selbst Erfahrungen gemacht, als sie fünf und sechs Jahre alt waren. Das gleiche Risiko bestünde natürlich auch bei einem leiblichen Sohn des Kaisers. Darum wollte Dagobert ja auch mit einer Ehe warten, bis er wirklich Ruhe in das Reich gebracht hatte. Überdies wird der Sohn des Kaisers schon protokollgemäß anders behandelt und bewacht als der Sohn eines Grafen. Es sollte Schutz für mögliche Kinder aber auch Schutz für beide Brüder vor Aufständen sein. So viel zur Vorgeschichte. Sommers waren die Brüder im Feld, im Winter hier in Paradisa. Graf Uther ging eines Abends aus und lernte ein Mädchen kennen. Sie verliebten sich ineinander, ohne dass Renata de la Montagne wusste, dass er der Bruder des Kaisers wäre. Sie war hier auf Verwandtenbesuch bei einer Tante und nie bei Hofe. So weit ich weiß, beichtete er ihr das dann und legte ihr dar, dass er sie nicht heiraten könne, um des Reiches willen. Sie bestand jedoch auf einer Ehe, erklärte sich aber bereit diese geheim zu halten und nicht hier an den Kaiserhof zu gehen. Durchaus wohl auch, weil sie einsah, dass ihr Leben und meines gefährdet wären. Ich wurde also auf Montagne geboren, wuchs da auf. Ja. Und da kam immer wieder mal ein Mann vorbei, der mein Vater war. Meine Mutter freute sich stets sehr ihn zu sehen, aber er musste eben immer wieder fort, auf einen Feldzug und anderes. Als ich fünf Jahre alt war, starb meine Mutter bei der Geburt einer kleinen Schwester. Graf Uther...mein Vater kam eilends, und traf sie auch noch lebend an. Ich erinnere mich noch, dass wir dann Hand in Hand dem Sarg hinterher gingen und er mir versprach auf mich aufzupassen. Dazu müsse ich aber mit ihm mit. Nun, was kann ein Fünfjähriger schon dagegen sagen? Überdies: wohin hätte ich sollen wenn nicht zu meinem Vater? Auf der Kutschenfahrt nach Paradisa sagte er mir dann: Michel, du bist ein kluger Junge und ich hoffe, du verstehst das, was ich dir jetzt sage, richtig, denn dein Leben hängt womöglich daran. Ich bringe dich in den Kaiserpalast, in die Knappenschule. Dort leben einige Jungen und Mädchen, die ihre Eltern verloren haben. Ich leite diese Schule. Du wirst mich oft sehen. Aber, es ist sehr wichtig, dass du mich nie Vater nennst, sondern Graf Uther, wie alle anderen. Eines Tages, wenn du ein bisschen größer bist, werde ich dir erklären warum.“ Michel sah auf. „Er sagte es so ernst, dass ich wusste, es war schrecklich bedeutsam. Und so hielt ich mich daran. Als ich zehn war, erklärte er mir alles. Inzwischen war das Reich befriedet, die Kaiserin hatte einen Sohn bekommen, aber er und auch Dagobert wollten mit mir immer noch jemanden in der Hinterhand haben,nachdem das so gut lief. Sie hofften eigentlich, dass ich für Markward dann Kanzler werden würde oder auch Geheimdienstleiter. Aber nicht einmal er oder Dankward erfuhren von mir, soweit ich weiß auch nicht Kaiserin Hitta oder später Anawiga.“ „Er hat dich so nahe zu sich geholt, wie er es zunächst wagte, ohne dich zu gefährden,“ meinte Sarifa nachdenklich: „Aber, warum nach Markwards Geburt noch immer diese Heimlichtuerei?“ „Durchaus auch noch als Schutz für mich und vermutlich auch das Reich. Du brauchst dir ja nur das heute mit Konstantin ansehen. Ein unerwarteter aber rechtmäßiger Thronfolger in der Hinterhand, der nicht nach der Krone schielt, hat sicher etwas für einen Kaiser. - Es gab sehr wohl Versuche Markward und Dankward zu vergiften oder zu entführen. Graf Uther hat die meisten vereitelt, andere die Leibwachen. Ich schloss dann mit vierzehn die Knappenschule ab und da ich ein gewisses Talent mit dem Degen gezeigt hatte, kam ich zu den Leibwachen. Auch wieder in der Nähe. Wobei ich sagen muss, ich habe schon mit sechs rasch gelernt auf welchen Wegen man zu Raoul gelangte und dann zu Graf Uther. Er ließ mich nie lange warten, wenn ich mit meinen kindlichen Sorgen zu ihm kam. Später wurde mir bewusst, wie belanglos sie ihm scheinen mussten im Vergleich zu den seinen. Aber er ließ mich nie im Stich. - Nach einem Ausflug zum Heer und der Schlacht gegen die Nordleute, bot er mir dann an im Geheimdienst zu arbeiten, direkt für ihn. So entstand dann auch dieser unsägliche Michel de la Montagne, denn ich musste ja auch mein von meiner Mutter geerbtes Gut verwalten und so weiter. Aber in all den Jahren dachte ich eigentlich immer, dass einer der Kaisersöhne Dagoberts Nachfolger wird und ich ihm nur als Geheimdienstleiter helfen solle. Auch, als sich immer mehr herausstellte, dass zumindest Markward zu dumm war und Dankward...nun ja, andere Ziele im Kopf hatte.“ Die Assassine zog bereits die nächste Schlussfolgerung: „Du hast Markward getötet und wirst der Thronfolger. Ob das etwas in der öffentlichen Meinung ausmacht?“ „Eher im Gegenteil, mein Engel. Aber gut, dass du daran denkst. Nein. Es gibt keine Alternative mehr zu mir. Das Erbrecht sieht nun einmal einen männlichen Verwandten vor. Und alle, die noch leben, haben sich selbst aus dem Spiel genommen. Nicht, dass ich begeistert bin, Kaiser zu werden. Ich habe mitbekommen, was das kostet. Aber Dankward will partout nicht, und wie gut ich ihn verstehen kann, und Konstantin....ich vermute mal, dass er nicht mehr lange lebt. Dagobert hat ihn einmal verschont, ihn nur verbannt. Und der macht keine Fehler zwei Mal.“ „Ja.“ Sarifa dachte nach, ehe sie meinte: „Jedenfalls waren alle sehr überrascht, als der Kaiser dich als seinen Neffen vorstellte. Auch Anawiga und ich.“ „Äh, ich auch. Wirklich. Ich habe zwar schon gedacht, dass er was mit mir vorhat, da er zu mir sah, aber.....Wie gesagt: fünfundzwanzig Jahre lang habe ich schweigen sollen. Es kam mir ein wenig eigen vor, dass in aller Öffentlichkeit ausgesprochen zu hören. Aber Markward hatte seinem Vater ja wirklich die Klinge auf die Brust gesetzt. Nun, nicht de facto aber doch faktisch.“ Er suchte nach anderen Worten als die Hofsprache. „Ich verstehe den Ausdruck schon. Was passiert jetzt mit dir?“ „Soweit ich weiß, gibt es eine offizielle Ernennung zum Thronfolger, eine feierliche Zeremonie. Und ab da werde ich wohl den Kaiser immer begleiten dürfen und müssen, um zu lernen. Und immer mehr auch eigene Dinge übernehmen. Vielleicht will er aber auch alles weiter selbst machen. Ich weiß es nicht genau. Nur: den Geheimdienst werde ich wohl verlassen müssen. Und damit dich.“ „Der Kaiser sagte zu Onkel, dass er eine Aufgabe für mich habe.“ „Ja. Du und Anawiga, ihr sollt den Geheimdienst leiten, unterstützt dann eben nur noch von Raoul. Damit bist du ausgelastet, mein Engel. Zumal die Kaiserin ja bald das Kind erwartet.“ „Hm.“ Die Assassine wiegte den Kopf: „Schreibtischarbeit liegt mir nicht so.“ „Aber du kannst es und du hast interessante Kontakte, um es mal so auszudrücken. Ich finde ja auch, dass mir Kaiser zu sein nicht liegt. Aber da müssen wir beide durch. Ändert das was daran,dass wir Partner sind?“ „Nein, natürlich nicht.“ Er war wirklich erleichtert. So lange hatte er allein gearbeitet, aber in den letzten Monaten hatte er zu gut gelernt, was es bedeutete, einen zuverlässigen Partner, Partner im Assassinensinn, zu haben. „Das freut mich. Noch Fragen?“ „Nein.“ Sie lächelte: „Obwohl ich noch immer finde, dass du es mir hättest sagen können. Ja, aber nicht dürfen,“ ergänzte sie eilig. „Schon gut, wirklich.“ Er stand auf. „Einen Vorteil hat das Ganze: ich muss nicht mehr diesen albernen Michel spielen, sondern kann ich selbst werden.“ „Das ist wahr. Und zumindest die Leute, die bei deinem Duell gegen Markward anwesend waren, werden sich hüten, sich dir auf eine Degenlänge gegenüberzustellen. Sie werden auch davon reden. Wann ist man schon mal bei einem Machtwechsel...nein, aber bei hoher Politik dabei. Wieso waren die Leibwachen eigentlich weg?“ „Guiskard war es ziemlich peinlich, denke ich, aber was er mir dann so sagte, kamen Markward und Konstantin einzeln zu ihm und berichteten von einem Hinterhalt außerhalb der Stadt, rieten ihm, er solle dahin gehen und so weiter. Da sie einzeln kamen, er beide seit Jahren kannte, fasste er kein Misstrauen, zumal sie ja alle zwei Mitglieder der kaiserlichen Familie waren. Überdies hatte ihm der Kaiser von einem ominösen Gegenspieler berichtet, und er zog eben den falschen Schluss. Ich hoffe mal, dass ...äh...Onkel Dagobert ihn nicht absetzt. Vermutlich hat Konstantin das auch recht gut ausgedacht. Er hat uns alle reingelegt.“ Sarifa richtete sich auf: „Ich hätte ihn in Pavero doch umbringen sollen.“ Michel lächelte ein wenig wehmütig: „Auch, wenn ich dir zustimmen muss, und uns das allen eine Menge Ärger erspart hätte und Graf Uther das Leben gerettet – du hattest keine Ursache.“ „Ja.“ Sie seufzte etwas: „Ich werde jetzt mal meinen Dienst als Hofdame antreten. Hoffentlich geht es Anawiga gut. Sie war doch recht blass. - Moment mal. Angenommen, sie bekommt jetzt einen Sohn...?“ „Ich bin der Thronfolger. Da kann der Kaiser nicht mehr zurück. Überdies: für vierzehn Jahre würde dann ein Kind den Thron erben, das würde jede Menge Ärger geben, Aufstände, aber auch Einfälle von außen.“ Michel erhob sich: „Gib dir keine Mühe, mein Engel: ich muss jetzt Kaiser werden.“ Anawiga schlief, nachdem sie vom Hofarzt ein Beruhigungsmittel bekommen hatte, und so streifte Sarifa ein wenig unschlüssig durch den Palast. Die Arbeit des Geheimdienstes mochte sie nach den Aufregungen dieses Morgens nicht aufnehmen, Michel zu finden war schwer, und es herrschte allgemein Hektik und eifriges Berichten derer, die bei dem so turbulenten Empfang dabei gewesen waren. Der Kaiser hatte Graf Notger nun doch verabschiedet und dieser reiste nach Westceltica. Sarifa ertappte sich bei dem Gedanken, dass er hoffentlich nützliche Berichte schreiben würde – sie schien sich tatsächlich an die Büroarbeit zu gewöhnen. Ein Mann trat zu ihr und verneigte sich leicht: „Prinzessin Sarifa, nehme ich an....“ „Ja?“ „Seine Hoheit wünscht Euch zu sehen.“ Dagegen gab es nichts zu sagen und so folgte sie dem Kämmerer in das Arbeitszimmer des Kaisers. Während sie höfisch vor ihm in die Knie ging, hörte sie, dass die Tür von außen geschlossen wurde. Sie waren allein. „Ich bekam den Bericht vom Hofarzt,“ sagte Dagobert: „Anawiga scheint es soweit gut zu gehen. Dennoch würde ich sagen, dass Ihr sie nach wie vor bewacht, bis das Kind auf der Welt ist. Danach übernehmt Ihr und sie den Geheimdienst, Ihr erhaltet dann auch eigene Gemächer in der Nähe, eine offizielle Begründung wird sich noch finden. Raoul wird Euch sicher zur Hand gehen. Auf Michel werdet Ihr allerdings verzichten müssen.“ „Ja.“ Der Kaiser lächelte ein wenig müde: „Ich habe Euch nichts Neues gesagt, nicht wahr? Doch, Ihr werdet eine gute Leiterin für den Geheimdienst. Meint Ihr, dass ...Eure Familie Euch auch weiterhin behilflich ist? Sie sind kaisertreu.“ „Ja, was bedeutet, dass kein Assassine etwas gegen den amtierenden Kaiser unternimmt. Aber sie werden mir und Michel helfen. Das ist etwas anderes.“ Dagobert stutzte und dachte rasch nach, ehe er meinte: „Ihr seid die Bluterbin, ja. Und....Das heißt, dass Michel als Thronfolger und dann später auch als Kaiser auf die aktive Unterstützung der Assassinen zählen kann, im Gegensatz zu mir? Oh, ich weiß, sie haben heute mir und auch Anawiga das Leben gerettet. Aber das war mehr das Nebenprodukt?“ „Ja,“ gab Sarifa offen zu: „Eigentlich waren sie in Paradisa, um Michel zu helfen, falls dieser den Mörder seines Vaters findet. Genauer, sie haben gegen den Mörder einen Rachefeldzug ausgerufen. Was sich ja nun erübrigt hat.“ „Hm. In diesem Fall hätte ich zwei Ideen. Soweit ich mitbekam, besteht die Leibwache des Königs von Cinquanta seit zweihundert Jahren aus Assassinen, ohne dass der freilich davon weiß. Wäre es möglich, dass auch zwei Männer Eures Volkes Michel im Auge behalten? Meine Leibwachen sind sehr gut, aber nicht fehlerlos, wie wir heute sahen. Und Michel ist nun der einzige Garant für die Zukunft des Reiches. Potentielle Attentate werden sich ausschließlich gegen ihn richten. Ihr könnt nicht mehr dauernd um ihn sein.“ „Ich muss mit Onkel reden. Aber ich denke, dass sich das machen lässt.“ „Gut. Und meine zweiter Einfall betrifft diesen Rachefeldzug....“ Die Abenddämmerung war schon hereingebrochen, als Sarifa in den Palast zurückkehrte, noch in ihrer Assassinenkleidung, die Kapuze über dem Kopf. Da sie Passierscheine vorweisen konnte, die nicht nur das Siegel der kaiserlichen Kanzlei sondern die eigenhändige Unterschrift des Kaisers samt dessen Privatsiegel trugen, wurde sie auch von den nun mehr als aufmerksamen Leibwachen durchgelassen. Wie sie Dagobert angewiesen hatte, ging sie in einen kleinen Raum im Erdgeschoss. Zu ihrer Überraschung erwartete sie nicht der Kaiser sondern ihr Partner. Michel lehnte nachdenklich an der Wand, richtete sich aber auf: „Ich hoffe, du hast alles erledigt?“ Sie kannte ihn gut genug, dass sie die Kapuze abstreifte und lächelte: „Lass mich raten, der Kaiser hat dir nicht gesagt, was ich mit Onkel bereden sollte?“ „Nein. Oh, mit Onkel...?“ „Ja. Dein Onkel wünschte sich von meinem Onkel zwei dauernde Leibwächter für dich.“ „Ich bin begeistert,“ meinte Michel sarkastisch. „Doch, wirklich, die Tatsache, dass mich ab sofort zwei Assassinen verfolgen, lässt mich auf rosa Wölkchen schweben. - Im Ernst. Dein Onkel hat zugestimmt.“ „Ja. Was König Elymian von Cinquanta und seinen Vorfahren recht ist, sollte dir billig sein.“ „Nicht böse werden, mein Engel. Ich muss mich auch erst daran gewöhnen, dass für einen Thronfolger und Kaiser andere Regeln gelten. Ich bin noch nicht sehr lange Erbe der Krone, wie du weißt.“ Er hob ein wenig die Hände und ließ sie wieder fallen: „Schön. Wer? Agrar?“ „Ja, Agrar. Er hofft, dass er seine Ehrenschuld eines Tages bezahlen kann.“ Sie war zufrieden, dass er wieder sachlich mitdachte: „Und Mahedj.“ „Dein kleiner Bruder?“ „Ja. Es ist mir nicht ganz recht, aber er möchte etwas von der Welt sehen.“ „Liebe Sarifa, erinnerst du dich an ein Mädchen aus dem Süden, das vor etwas über einem Jahr ausritt um Abenteuer zu suchen? Du kannst Mahedj nicht verdenken, dass er das Gleiche will wie du.“ „Ich weiß. Aber er ist eben der Jüngste...“ „Schön. Noch etwas, was du mir sagen willst? Ansonsten lautet unsere Anweisung, dass wir Konstantin besuchen und du dort dem Kaiser ja oder nein sagst, was auch immer das heißen soll.“ „Oh, er hatte Konstantin betreffend einen Einfall, dem ich nur zustimmen konnte.“ „Und der lautete...?“ Sie lachte: „Ich liebe es, wenn du so am Haken zappelst!“ Michel grinste: „Ich merke es.- Na, komm. Die paar Minuten werde ich noch durchhalten. Ich vermute nämlich, meine Zukunft wird arbeitsreich, aber deutlich amüsanter als Konstantins. Und länger.“ „Da hast du vollkommen Recht. - Oh, eine Frage noch. Wenn du jetzt Thronfolger bist, trägst du dann doch den Titel Prinz, oder?“ „Ja. Prinz Michel...Oh du liebe Güte, wie das klingt.“ „Und redet man dich dann auch anders an?“ „Wenn du damit anfangen solltest, lege ich dich eigenhändig übers Knie.“ „Versuche es,“ bot die Assassine prompt an, um dann doch mit einem Lächeln zu ergänzen: „Vielleicht mag ich es.“ „Dir traue ich alles zu, mein Engel“ gab Michel zu: „Aber nein, keine Extra-Anrede. Komm, gehen wir Cousin Konstantin besuchen.“ ** Das nächste Kapitel bringt: Urteile Kapitel 56: Urteil ------------------ Konstantin saß nicht sonderlich glücklich in seinem Kerker. Er hatte die vom Kaiser geforderte Liste geschrieben, nun aber den gesamten Tag über nichts mehr gehört. Es waren nicht nur die äußerlichen Unannehmlichkeiten, die ihn melancholisch stimmten, wie die Tatsache, dass er nur eine grobe Leinenhose trug, die, wusste er wem, zuvor gehört hatte, die an seiner Haut scheuerte, das Stroh unter ihm, das in die unmöglichsten Stellen seines Körpers stach, der Fakt, dass er selbst gewöhnlichen körperlichen Bedürfnissen nicht ordnungsgemäß nachgehen konnte, er froh sein musste, und es auch war, als man ihm einen Krug Wasser gegeben hatte..... Die Aufzählung schien dem luxusliebenden Mann mit gewissem persönlichen Stolz, der seinen Anspruch, aus Erbe Kaiser zu werden, nie aufgegeben hatte, endlos. Hinzu kam auch, dass es durchaus ein Schock für ihn gewesen war, wie Uther gestorben war. Er hatte die Sorge, dass sich Dagobert das als Vorbild nehmen würde. Aber er hatte Uther doch wirklich nie leiden lassen wollen. Sicher, der Tod war notwendig gewesen, bedauerlicherweise war der Graf einfach sehr intelligent gewesen, und der ehemalige Bischof von Pavero hatte keine Möglichkeit gesehen gegen beide Brüder gleichzeitig zu gewinnen. Daran waren schon zu viele gescheitert. Aber er hatte doch geglaubt, dass Dagobert zwar wütend über den Tod des Bruders sein würde, eine Meuchelmörderklinge aber quasi als Berufsrisiko sehen würde. So jedoch....Das war nicht nur lange und qualvoll sondern auch ehrlos. Und das mochte für ihn selbst und seine kurze Zukunft nichts Gutes bedeuten. Nun, es war nicht ohne Grund gewesen, dass er Gift bei sich trug. Leider besaß er es nicht mehr. Dagobert war trotz aller Aufregung noch gewieft genug gewesen, das zu befehlen. Selbstmord mit der Hilfe seines geschickten Apothekers erschien ihm nur mehr verlockend. Er kannte die Geschichte des Kaiserreiches und wusste, was so alles an Urteilen wegen Hochverrates verhängt worden war. Dagobert hatte sich bislang zwar immer auf ein schlichtes Köpfen verlegt, aber es war nicht gesagt, dass er keine Ausnahme machen würde. Und Konstantin wusste, dass er mehr als einen Grund hatte sich wirkliche Sorgen zu machen. Er sah auf und schluckte trocken, als der Kaiser selbst erneut zu ihm kam, wenn auch umgezogen, jetzt in grünen samtenen Beinlingen und Wams, ein blütenweißes Hemd darunter – sozusagen die Hauskleidung. Dieses persönliche Interesse an ihm war genau die Ursache seiner größten Furcht. Und er wusste, dass es die schiere Todesangst war, die sich eiskalt um seinen Magen schlang und den abdrücken wollte, während gleichzeitig Schweißperlen über Stirn und Rücken liefen. Er wollte Dagobert höflich begegnen, aber er starrte ihn bloß an, unfähig auch nur mehr zu reden. Der Kaiser verschränkte die Arme: „Du könntest in einer Richtung Glück haben, Konstantin. Der Kaiserin und dem Kind scheint soweit nichts geschehen zu sein." „Das...freut mich." „Ich glaube es dir sogar. - Ich habe mich wirklich gefragt, was ich mit dir machen soll. In der Öffentlichkeit ist Markward der Schuldige und er ist tot. Sollte ich dich vor Publikum hinrichten lassen? Um ehrlich zu sein habe ich keine Lust auf irgendwelche berühmten letzten Worte, die der aufrechte Streiter für das alte Erbrecht finden würde....Ah, du weißt, was ich meine.“ Natürlich wusste es Konstantin. Die öffentliche Meinung war durchaus etwas, womit ein Herrscher rechnen musste. Selbst Gerüchte könnten schon fatal sein – und das war dem Kaiser aus lebenslangem Kampf klar. Nur: was dann? „Von der Idee dich in ein Kloster zu sperren halte ich auch nicht viel. Blind oder nicht, du würdest irgendwann eine Gelegenheit finden herauszukommen.“ Wurde es besser oder immer schlimmer für ihn? Konstantin wusste es wirklich nicht. „Das Gleiche gilt natürlich für ein Gefängnis...Es sei denn, du wärst dort wirklich sicher. Menschen vergessen leicht, auch den, der auf faulem Stroh verschimmelt.“ Unwillkürlich warf der ehemalige, so wohl gepflegte, mondäne Bischof einen Blick an sich herunter. Das war....nichts, was er goutierte, aber danach würde ihn niemand mehr fragen. „Binuga...?“ brachte er irgendwie heraus. „Nun, es existiert noch.“ „Dagobert....Sagt, was Ihr vorhabt, ich flehe Euch an. Diese Ungewissheit ist schlimmer als alles andere.“ „Als alles andere? Ich bin neugierig, ob du bald anderer Meinung sein wirst. - Ah.“ Der Kaiser drehte sich um. Der Gefangene blickte zu der Tür. Das war dieser Michel de la Montagne...Prinz Michel, der Thronfolger. Und er hielt die Pforte galant jemandem auf... „Himmel!“ war alles, was der ehemalige Bischof flüsterte, als er die Kleidung erkannte und die Tatsache, dass es sich um eine junge Dame handelte. „Guten Abend, Hoheit,“ sagte Sarifa höflich den Kopf neigend: „Schön Euch wieder zu sehen, Bischof....“ Eine Assassine. DIE Assassine aus seinem Schlafzimmer. Als ob er noch nicht schon genug von diesem Volk hatte, das anscheinend alle seine Pläne durchkreuzt hatte. „Nun?“ fragte Dagobert. „Der Herr der Assassinen teilt Euren Plan.“ „Gut. - Michel, wenn die junge Dame dem weiland Bischof seine Zukunft verkündet hat, sorgt Ihr dafür, dass die Wachen ihn morgen früh, oder wann auch immer, ausliefern.“ Der Kaiser ging, in der sicheren Gewissheit, dass es seiner Stellung unwürdig wäre, jetzt noch hier zu verweilen. Ehre und Ansehen waren Dinge, auf die man gerade in solchen Ämtern achten musste, das hatte ihn die Vergangenheit gelehrt. Konstantin schloss die Augen: „Wollt Ihr da weiter machen, wo Ihr in meinem Schlafzimmer aufgehört habt....?“ brachte er nur irgendwie hervor. „Nein, das wäre unpraktisch.“ Diese nüchterne Antwort ließ ihn die Augen öffnen und zu versuchen unter die Kapuze zu sehen. „Was...?“ „Bei dem Anschlag, den mein Volk und die Leibwachen verhinderten, kamen auch zwei Männer meines Volkes ums Leben. Seine Hoheit und der Herr der Assassinen kamen überein, dass für alles, was du in dem letzten Jahr angerichtet hast, der Tod, wie auch immer geartet, ein zu schnelle Bestrafung sei. Und überdies nutzlos. Du wirst daher, sobald mein Volk Paradisa verlässt, mit ihnen reisen, in unser Dorf und dort durch fleißige Arbeit die beiden Männer ersetzen, in allen Belangen.“ Sie dachte kurz nach: „Schafe und Ziegen hüten, scheren und versorgen, Wasser holen und so weiter, eben alles, wozu die Witwen und ihre Kinder einen Mann brauchen.“ Autsch, dachte Michel. Konstantin war doch in seinem Leben kaum tausend Meter zu Fuß gegangen, liebte Luxus und holde Weiblichkeit...das würde ziemlich hart für ihn werden. Überdies wie er die selbstbewussten Frauen dieses Volkes kannte....oh, nein, er hätte mit dem ehemaligen Bischof nicht tauschen wollen. So ergänzte er nur: „Ein Fluchtversuch wäre ziemlich töricht. In dem Dorf ist nicht nur schon jedes Kind bewaffnet, es liegt auch in ziemlich steinigen Einöden.“ „Falls du nicht gut oder fleißig arbeitest“, fuhr Sarifa fort: „Obliegt deine Bestrafung dem Herrn der Assassinen. Der Kaiser wird ab sofort vergessen, dass es dich je gab.“ Letzteres glaubte Konstantin, aber er flüsterte in einer seltsamen Mischung aus überstandener Todesangst und panischer Furcht vor seiner Zukunft: „Aber...ich habe so etwas noch nie gemacht.....“ „Dann lerne es.“ Sarifa sah beiseite: „Wir können gehen, Prinz Michel.“ Irrte sich Konstantin oder blitzte ein amüsiertes Lächeln in den Augen des Thronfolgers auf? Warum? Aber noch verwirrender war die Antwort: „Wie du möchtest, mein aggressiver Engel.“ Erst eine Woche später bekam Konstantin wieder Besuch. Sicher, er war mit Essen und Trinken versorgt worden, was ihn zugegeben erleichtert hatte, aber niemand hatte zu ihm ein Wort gesprochen, wohl auf Dagoberts Anweisung. Allerdings war es ihm zunächst schwergefallen von Brot und Wasser zu leben. Hunger und Durst hatten ihn allerdings bald dazu gebracht das zu sich zu nehmen. Er hatte nun eine vage Vorstellung davon, was Uther vor seinem Ende durchgemacht hatte – und er gab zu froh zu sein, dass der Kaiser nicht zu einer Auge-um-Auge-Strafe gegriffen hatte. Was allerdings erwartete ihn wohl bei den Assassinen? Die Ansprache, die die Unbekannte da gehalten hatte, hatte nicht sehr aufbauend geklungen. Er und Schafe? Nicht einmal als Wolle waren sie ihm lieb. Aber in dieser endlos scheinenden Woche hatte er erkannt, dass er weder gefragt werden würde, noch Annehmlichkeiten zukünftig zu seinem Leben gehören würden, falls er nicht irgendwie sterben wollte. Und trotz allem – er hatte in den langen, einsamen Stunden in der Dunkelheit festgestellt, dass er am Leben hing. Er fuhr zusammen, als sich die Tür öffnete, eine Wache mit einer Fackel hereinkam und diese in den Halter steckte. Natürlich sprach der Mann nicht – aber, war schon wieder Abend und er bekam Essen? Dann erst erkannte er den Anderen, der zur Tür hineinkam, gefolgt von weiteren Wachen, die etwas in den Händen hielten. Dass der Thronfolger herkam, konnte nur bedeuten.... So sagte Konstantin ein wenig heiser: „Ich...komme weg....?“ „Ja,“ antwortete Michel: „Bindet ihn los und macht ihn reisefertig.“ Während die Wachen gehorchten, dem ehemaligen Bischof die Schelle um den Hals abnahmen, erkannte dieser die Sachen: Handschellen, einen Knebel und eine schwarze Kopfmaske. Er begriff. Niemand würde ihn erkennen, wenn er durch die Straßen Paradisa geführt würde, niemand wusste von ihm und seinem Schicksal. Selbst, wenn sie wollten, wovon nach dem Scheitern des Staatsstreichs nicht mehr auszugehen war, hätte keiner seiner Freunde oder Helfer etwas für ihn tun können, oder würde es zukünftig tun können. Dagobert dachte an alles. So bemühte er sich nur instinktiv nicht zu erkennen zu geben, wie froh er war, endlich aufstehen zu können, endlich von dem Stroh wegzukommen. Aber er wäre fast zusammengebrochen. Seit Tagen hatte er nicht stehen können und seine Beine wollten ihm den Dienst versagen. Michel hatte es bemerkt. „Du bist körperlich in keiner guten Verfassung, Cousin,“ stellte er sachlich fest: „Aber du wirst es werden, so gut es dir möglich ist. Zu deiner Beruhigung: sie sind keine Sadisten.“ Konstantin wollte noch etwas sagen, bekam aber bereits den Knebel zwischen die Zähne geschoben. Keine Sadisten? Und das bei einem ganzen Volk von Berufsmördern? Aber es hatte kein Spott in Prinz Michels Stimme gelegen. Das, obwohl der ehemalige Bischof nur zu gut wusste, dass dieser Mann ebenfalls gefesselt, mit einem Sack über dem Kopf, in ein ungewisses Schicksal geführt worden war. Aus seiner Stadt, auf seinen Befehl.... Der Weg schien ihm endlos zu dauern. Er war steif, durch das tagelange Sitzen, müde durch den Schlafmangel. Er hörte die vertrauten Geräusche der Großstadt um sich, die dann irgendwann verstummten und den Klängen des Landes Platz machten. Wie weit war es denn noch....? Jemand seiner bisherigen Wachen sagte: „Befehl des Kaisers. Wir übergeben Euch diesen Gefangenen zur Überführung in das Königreich Cinquanta. Unterschreibt, dass Ihr ihn erhalten habt.“ „Er sieht ja jetzt schon fertig aus,“ meinte ein junge Stimme: „Das kann mühselig werden. - Hier, bitte, die Unterschrift.“ Die Wachen schienen zu gehen und er fuhr fort: „Nimm ihm doch mal den Sack und den Knebel ab, mein jüngerer Bruder.“ Konstantin atmete auf, als er frei Luft holen konnte, und betrachtete sich seine neuen Wächter genauer. Drei junge Männer, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig, schlank, dunkle Haare – und offenkundig alles Brüder. Alle Drei trugen diese Umhänge und hinter ihnen warteten drei Pferde. Aber unter den Ärmeln blitzte Leder und er wusste, dass sie dort alle Dolche trugen. Leider bestand kein Grund daran zu zweifeln, dass sie damit exzellent umgehen konnten. Amit ergänzte: „Wenn du glaubst fliehen zu können – vergiss es besser. Du hast die Hände auf dem Rücken gebunden und wir sind nicht nachlässig. Überdies lautet unser Befehl, dass du am Leben bleiben sollst. Trotz allen Zornes, den wir auf dich haben, werden wir uns daran halten. Nur - lebendig heißt nicht unverletzt.“ „Ich habe verstanden,“ murmelte Konstantin. Was blieb ihm schon übrig. Da er sich suchend umsah, fragte Shahin „Du erwartest doch nicht etwa ein Pferd? Wir reiten, du läufst.“ „Bis nach Cinquanta?“ Der Gefangene war entsetzt. Er war in seinem ganzen Leben vielleicht als Kind einmal weiter gelaufen, sonst stets geritten oder in der Kutsche gefahren. Das ziemte sich doch einem Adeligen nicht, einem Mann von Welt, das war etwas für Bauerntölpel.... „Du wirst Kraft brauchen. Es wird eine gute Übung.“ Überdies würde ein müder Gefangener umso weniger Fluchtgedanken haben. Das war der Augenblick, in dem Konstantin resigniert mit seinem ganzen bisherigen Leben abschloss. Sarifa war mit ihrem neuen, deutlich größeren, Zimmer zufrieden. Es lag in dem Trakt, in dem Garf Uther gewohnt hatte, und sie hatte raschen Zugang zu Raoul und dem Arbeitszimmer des Geheimdienstleiters. Auch Anawiga würde nach der Geburt des Kindes neue Räume benötigen, so lautete der offizielle Vorwand dafür, dass auch sie in diesen Palastflügel ziehen würde. Niemand sollte wissen, dass die beiden Damen den Geheimdienst des Reiches nun leiteten. Zur Zeit war Sarifa mit Raoul allerdings zumeist allein. Die Kaiserin sollte auf ärztliche Anordnung nach der Aufregung das Bett hüten, um kein Risiko einzugehen. Michel dagegen war zumeist beim Kaiser. Auch, wenn seine Ausbildung recht umfassend gewesen war und darauf ausgelegt, eines Tages Kanzler oder Leiter des Informationsdienstes zu werden, so fehlte ihm doch einiges, was den Kaiser und dessen Aufgaben betraf, nicht zuletzt wie wichtig und feingeschliffen das Protokoll oft war. Erst in vier Wochen würde seine offizielle Ernennung erfolgen und die ersten Herzöge und Könige hatten sich bereits angekündigt. Dagobert wollte seinen Erben so rasch es ging darauf vorbereiten. Von diesem ersten Eindruck des neuen Thronfolgers hing auch das Stillhalten der Adeligen ab. Dankward hatte die Nachrichten ein wenig verwirrt zur Kenntnis genommen: sein Bruder war tot, ein Cousin war Thronfolger und hatte einen Aufstand gemacht? Erst im zweiten Lesen war ihm bewusst geworden, dass es sich um ZWEI Cousins handelte. Natürlich erinnerte er sich an diesen unsäglichen Michel de la Montagne. Wie Vater bloß auf den verfallen war? Nun ja, er hatte abgelehnt, Markward, der liebe, törichte Markward, anscheinend Hochverrat begangen, ebenso wie Cousin Konstantin. Damit war als männliches Familienmitglied wohl nur noch der arrogante Schnösel übrig geblieben. Vielleicht hätte er selbst doch zusagen sollen, das mit einer Frau....Nein. Es wäre nicht gut gegangen. Hoffentlich würde Vater den Idioten noch hinbiegen können. Beim dritten Lesen bemerkte er zum ersten Mal bewusst den letzten Absatz: „Was Michel betrifft, so sei versichert, dass ich ihn seit seiner Geburt kenne und er stets tat, was Onkel Uther und ich von ihm verlangten.“ Das würde bedeuten, dass sie ihm diese Idiotenrolle zugemutet hatten, er aber in Wahrheit anders war? Warum? Weil er älter als Markward war und niemand in ihm eine Konkurrenz für den sehen sollte? Dankward las weiter: „Für Pavero wird also ein neuer Bischof gesucht. Falls du dir sicher bist und mir don Rodrigo empfiehlst, werde ich ihn vorschlagen. Natürlich nur, falls du ihn nicht benötigst. Ich hoffe in deiner Seeschule geht es voran und dir auch ansonsten gut. Dein Vater.“ Vater schien diesen Anschlag gut verkraftet zu haben. Immerhin etwas. Der junge Bischof von Tailina griff zur Klingel auf seinem Schreibtisch. Dem eintretenden Diener befahl er don Rodrigo zu holen. Mal hören, was der zu einer Beförderung meinte. „Ich habe dir noch etwas zu sagen, Michel.“ Dagobert setzte sich in seinem Arbeitszimmer an den kleinen Tisch vor dem Kamin. „Komm her.“ „Natürlich.“ „Anawiga wird bald das Kind bekommen. Danach kann sie wieder mit Sarifa den Geheimdienst leiten. Aber es fragt sich, was nach meinem Tod passieren soll. Sie ist dann Kaiserinwitwe und wenn sie sich nicht in ein Kloster zurückzieht, wird ein Wettrennen um ihre Hand einsetzen. Oder sogar dann. Das mag durchaus mit Entführung und Gewalt erreicht werden. Das Einfachste, zumal auch aus der Sicht des Geheimdienstes und des möglichen Kindes, wäre es, wenn du sie heiratest.“ „Onkel,“ sagte Michel unbehaglich, zumal er sich noch immer nicht so an diese Anrede gewohnt hatte: „Das.....Ihr seid mit ihr verheiratet und...“ „Sag mir die Alternative. Strengste Klosterhaft für sie und eine mögliche Tochter? Tochter oder Sohn unterlägen bei einer Heirat deiner Munt, deiner Verfügungsgewalt. Das würdest du doch keinem Anderen überlassen.“ „Es wäre ziemlich ungeschickt, ja.“ Heiratete der Herzog von...ach, was auch immer, die Tochter des verstorbenen Kaisers ließen sich Erbansprüche ableiten, ebenso auch die Kaiserinwitwe. Das war mit diesen Erbangelegenheiten noch immer ein sehr heikles Feld, wie man gerade gesehen hatte. Einen Jungen konnte man wohl erziehen....vielleicht. Bei Markward waren ja alle glorreich gescheitert. „Es kommt mir nur so....unehrenhaft vor, über eine mögliche Wiederverheiratung der Kaiserin zu sprechen, wenn Ihr am Leben seid.“ „Michel, Kaiser zu sein ist eine praktische Sache. Ehre und Moral gilt nur nach außen. Nach innen muss man planen und versuchen die Zukunft vorher zu sehen und sie möglichst zu steuern. Natürlich funktioniert das nicht immer.“ Dagobert seufzte etwas: „Jedenfalls: ich werde bald sechzig und das ist ein Alter, in dem der Tod durchaus langsam zu erwarten ist. Ich habe mit Anawiga noch nicht darüber gesprochen, sie soll erst einmal in Ruhe das Kind bekommen und sich erholen. Rede deswegen auch mit ihr nicht darüber. - Oder gibt es jemanden, mit dem du verheiratet bist?“ „Äh, nein,“ beteuerte Michel sofort. „Und immerhin: Anawiga kennst du, sie sieht gut aus und ist intelligent. Es wäre schwierig, noch so eine Prinzessin aufzutreiben, sei versichert. Überdies....ich hoffe, sie leitet den Geheimdienst mit Sarifa noch so einige Jahre.“ Ja, schon aus diesem Grund wäre es wichtig sie weiter an den Hof zu binden. So seufzte diesmal der Thronfolger: „Verzeiht, verehrter Onkel. Ich muss mich an manches wirklich erst gewöhnen.“ „Schon gut, Junge. Ich bin der Letzte, der nicht weiß, was du in den letzten Monaten alles mitgemacht hast. Ich bin nur nicht dein Vater – Uther konnte viel mehr mit den Gefühlen von Menschen umgehen. Habe Nachsicht mit mir.“ Michel wusste, dass es dem Kaiser irgendwo doch lieber gewesen wäre, einen seiner eigenen Söhne hier zu sehen, seinen Bruder am Leben zu wissen. Nein, das Amt war eine schwere Bürde. So lächelte er etwas: „Ich lerne so schnell ich kann, Hoheit, um Euch besser unterstützen zu können.“ „Ich weiß, Michel.“ Kapitel 57: Die Zukunft des Reiches ----------------------------------- Als die Nachricht durch den Palast lief, dass die Kaiserin vorzeitig, wie es in der Hofsprache hieß, zum Kinde ging, brachen alle ihre Arbeiten ab, und warteten. Natürlich war es nicht mehr so wichtig, es gab einen erwachsenen Thronfolger und der Kaiser hatte auch noch einen leiblichen Sohn, aber eine solche Geburt beeinflusste möglicherweise doch immer die politische Lage in der Zukunft. Sarifa beeilte sich aus dem Arbeitszimmer in die Gemächer der Kaiserin zu gelangen, schließlich war sie ihre Hofdame, überdies waren sie in den letzten Wochen zu so etwas wie Freundinnen geworden, auch, wenn die gewisse unsichtbare Schranke immer zwischen ihnen stand. Zum ersten Mal fragte sich Sarifa plötzlich ob es sich bei ihrem Partner ebenfalls ändern würde – Michel war jetzt Thronfolger und sie sahen sich wenig, außer bei allfäligen Besprechungen. Wie würde es erst sein, wäre er der Kaiser und sie und Anawiga die Geheimdienstleiter? Es würde sich viel ändern, aber nicht alles, dachte die Assassine dann mit einem leichten Lächeln. Da gab es gemeinsame Erinnerungen, gemeinsame Gefahren, das band doch aneinander. Partner war eben nichts, was sich schnell trennen lassen würde, in Geist und Seele. Großvater, Vater, ihre Lehrer, sie alle hatten Recht gehabt. Und Graf Uther hatte eine wirklich ausgezeichnete Menschenkenntnis besessen, als er sie beide zusammen spannte. Als sie zu den Räumen der Kaiserin gelangte, war sie ein wenig überrascht gar so viele Wachen zu sehen, verstand dann jedoch, dass sich wohl auch Dagobert dort befand. Tatsächlich wartete er samt Michel im so genannten Wohnzimmer mit den diensthabenden Damen. Das Schlafzimmer der Kaiserin war außer dem Hofarzt und den Hebammen nun allen verboten. Diese waren allerdings zu fünft – eine mögliche Unterschiebung oder gar Austausch des Kindes sollte verhindert werden, das hatte ihr Anawiga schon zuvor gesagt. Wie albern, dachte Sarifa. Zu Hause war auch immer der Vater dabei – schon das bot doch Schutz. Aber Kaiser und ihre Verhalten waren eben etwas anderes. Sie knickte höflich vor Dagobert, der ihr nur auf winkte, sichtlich angespannt nach nebenan hörte. Es starben viele Frauen im Kindbett, aus allen gesellschaftlichen Ebenen, und auch, wenn die Hebammen dort drüben in der kaiserlichen Hebammenschule ausgebildet worden waren, sicher die Kaiserin als ihre Patronin schätzten – es blieb immer ein Risiko für die Mutter und auch das Kind. Sarifa sah sich gezwungen sich hier, in der Öffentlichkeit, vor ihrem Partner zu verneigen. Immerhin war er nun einmal jetzt der designierte nächste Kaiser. Auch er wirkte ein wenig angespannt, lächelte ihr jedoch flüchtig zu. Vermutlich nervte ihn die gesamte Situation mehr. Oder war da noch etwas? Hoffentlich würden sie endlich mal wieder allein miteinander reden können. Sie hatte eine Brieftaube von zu Hause bekommen, dass Konstantin mittlerweile im Dorf eingetroffen sei und dort mit seinen Pflichten vertraut gemacht wurde. Amir hatte ihr geschrieben und hinzugefügt: „Wir nennen ihn Silberzunge – wenn man nicht aufpasst redet er einen in Grund und Boden. Eine gute Alternative ist es ihn nicht zum Reden kommen zu lassen, ihn außer Atem zu halten. Cousine Mirja hat ihm schon klar gemacht, was sie so alles erwartet – und ihm gezeigt, wie gut sie mit der Wurfkette umgehen kann. Er ist bislang auch recht brav. Ich bin überzeugt, dass der Kaiser nie wieder von ihm hört – und er es sehr bedauert, Michels Vater getötet zu haben. Denke auch an uns, kleine Schwester.....“ Sarifa hob wie alle hier im Raum den Kopf, als aus dem Schlafzimmer ein Aufschrei zu hören war. Der Kaiser sprang auf, machte fast den Eindruck hineinstürzen zu wollen, aber er wusste, dass das unmöglich gewesen wäre. So ließ er sich langsam wieder sinken. Michel legte ihm die Hand auf die Schulter, eine Geste, die er noch vor vier Wochen nicht gewagt hätte. Dagobert ließ es sich nur zu gern gefallen. Wie lange hatte er das bei seinen Söhnen vermisst – und ein gewisses Neidgefühl auf seinen Bruder stieg erneut in ihm auf. Aber dann vergaß er alles, als ein Wimmern zu hören war, das rasch kräftiger wurde. Er atmete durch. Das Kind war geboren und lebte anscheinend – und Anawiga? Er sah angespannt zur Tür, die sich aber erst nach einigen Minuten öffnete. Eine Frau mit einem weißem Bündel in den Armen kam heraus. Die Hebamme knickste vor dem Kaiser: „Hoheit, eine kleine Tochter.....“ Dagobert betrachtete das eingewickelte, rote, zerknitterte Bündel nur kurz: „Und..die Kaiserin..?“ „Sie ist müde, aber wir hoffen,dass sie kein Kindbettfieber bekommt.“ „Gut. - Sie sieht hübsch aus...“ Damit wandte sich der Kaiser an Michel, der das weniger finden konnte. Sahen etwa alle Neugeborenen so hässlich aus? Gewisse Höflichkeit ließ ihn jedoch sagen: „Ja, ich denke schon....Ist sie....“ Er sah zu der Hebamme. „Ich meine, sind kleine Kinder immer so klein?“ „Ja,“ erwiderte seine Partnerin prompt, noch ehe sie an höfische Regeln dachte oder die empört aufschnaufende Hebamme antworten konnte. Dagobert griff ein. Nicht nur um abzulenken, denn er hatte es sich schon überlegt, meinte er: „Michel, ich würde sie gern Renata nennen.“ Sein Neffe starrte ihn an, dann das Baby. Renata de la Montagne war der Name seiner Mutter gewesen...Seine Stimme war ein wenig heiser, als er antwortete: „Ja, Ihr habt Recht, Hoheit...es...es würde mich sehr freuen.“ Sarifa hatte ihre neue Kammerzofe weggeschickt. Es war lästig sie zu haben, aber es wäre mittlerweile geradezu skandalös gewesen keine zu besitzen. Das Mädchen hatte ihr das neue Kleid gebracht, das sie morgen bei der öffentlichen Zeremonie tragen würde, Michels Ernennung zum Thronfolger. Entsprechend, da sie im Gefolge der Kaiserin stehen würde, war es aus hellem Samt, bestickt mit Kupferfäden, die Blüten symbolisieren sollten. Jetzt war es ausgebreitet über ihrer Kleidertruhe und sie erlaubte sich aufzuatmen. Vielleicht ein wenig üben? Das Zimmer hier war groß genug, und auch, wenn es nicht über Matten verfügte, so waren durchaus Koordinations- und Geschicklichkeitsübungen möglich. Eine Wurfscheibe hatte sie ebenfalls mitgebracht, wenn auch hinter der Truhe verborgen, damit sich ihre Zofe nicht wunderte oder es gar herumerzählte. Sie öffnete ihr Hofkleid und ließ es zu Boden fallen, ehe sie sich rückwärts bog, bis sie mit beiden Händen den Boden berührte, sich dann auf diese stützte, um in einem weichen Überschlag wieder zu stehen. Es ging also doch noch, dachte sie zufrieden. Dieses höfische Leben war wirklich nicht gut für die Form. Früher oder später musste sie mal nach Hause um wirklich hart üben zu können. Amir gerade war da ein recht leicht unzufriedener Lehrer – anstrengend, aber effektiv. Sie fuhr herum, als ohne Anklopfen ihre Tür geöffnet wurde, bereits den Unterarm angespannt. Der Eintretende wusste dies: „Entschuldige, mein Engel, ich wollte dich nicht überfallen.“ Michel schloss die Tür: „Ich hätte allerdings vermutet, dass du den Riegel vorschiebst.“ „Sollte ich wohl tun.“ Sie musterte ihn. Er trug sozusagen Hauskleidung: einfache dunkle Beinlinge, ein einfaches grünes Wams über dem weißen Hemd. „Aber ich konnte ja nicht damit rechnen, das mich der hochgeborene Thronfolger am Abend vor seiner Ernennung besucht.“ Er zuckte die Schultern: „Eben deswegen, würde ich sagen.“ „Oh. Setze dich doch.“ Wollte er mit ihr reden? „Ich werde jetzt aber wirklich den Riegel vorschieben. Wenn dich hier einer findet....“ Nun ja, dann konnte sie ihren guten Ruf und damit ihre Arbeit als Hofdame abschreiben. Diese Nordleute waren wirklich albern, um nicht zu sagen Heuchler. „Ja, klar.“ Das war ihm auch bewusst. Als er im Schein des dreiarmigen Kerzenleuchters sie beobachtete, fiel ihm wieder auf, wie anders sie sich bewegte als die Frauen aus dem Norden. Da gab es nichts Kokettes, nur eine Eleganz, die aus langjährigen Übungen kam. Sie war mit Sicherheit die gefährlichste Frau, der er je begegnet war, aber wohl auch die klügste. Sie drehte sich um, sich bestimmt nicht bewusst, dass das dünne weiße Hemd ihre Figur mehr als erahnen ließ. So blickte Michel lieber zu Boden. „Der Kaiser sagte mir, ich solle nach seinem Tod Anawiga heiraten.“ „Oh, vernünftige Lösung.“ Sie ließ sich auf ihr Bett sinken: „Was hast du? Sie sieht nicht hässlich aus, ist klug....Und sie ist eine geborene Prinzessin, sie kennt die Pflichten und Vernunftehen. Überdies hätte ein gemeinsames Kind mit ihr von beiden Seiten Erbrecht.“ Das war ihm auch alles bewusst. „Ja. Irgendwie kommt es mir nur eigen vor über die Ehefrau eines anderen zu reden.“ „Ach, Michel...du weißt es doch. - Du siehst überhaupt nicht so aus als ob du dich darüber freust morgen vor hunderten von Menschen zum nächsten Kaiser ernannt zu werden.“ „Es ist notwendig, ich weiß es. Aber freuen, nein, das tue ich wirklich nicht. Ich kenne den Preis der Macht nur zu gut. - Du bleibst hier?“ „Ja. Ich soll ja den Geheimdienst mit Anawiga leiten. Vielleicht werde ich mal nach Hause fahren, die Familie besuchen.....“ „Natürlich. Aber – wir arbeiten nicht nur zusammen sondern bleiben Partner?“ „Ja.“ Wie er aufatmete. Sie hatte ihn noch nie so unsicher, ja, fast ängstlich gesehen. „Hör mal, du hast selbst gesagt, dass du zum Kanzler, zum Geheimdienstleiter erzogen wurdest. Das wurde kaum einer, der die Arbeit eines Kaisers übernimmt. Also wirst du doch wohl auch in der Lage sein, deinem Onkel in dessen Sinn nachzufolgen. Besser als Markward bist du allemal.“ „Ja, das weiß ich auch, alles.“ Er stand auf, betrachtete sie, ehe er sich abwandte und zu dem mit Vorhängen verdeckten Fenster sah. Nein. Sie machte es einem Attentäter nie zu leicht. So ging er ein paar Schritte zum kalten Kamin, ehe er sich wieder umdrehte und einem ernsten braunen Blick begegnete. Machte sie sich Sorgen um ihn? „Ich werde damit fertig, mein Engel. Das ist es nicht. Es ist nur, gerade heute Nacht wollte ich bei dir sein. Und jetzt, wo ich hier bin, fällt es mir schwer zu sagen, warum ich herkam.....“ Er hob ein wenig hilflos die Schultern. Sarifa stutzte, meinte jedoch: „Heute Nacht, ehe du die lebenslange Bürde bekommst?“ „Ja. Seit meinem fünften Lebensjahr habe ich getan, was für das Reich notwendig war. Und ab morgen werde ich es bis zu meinem Lebensende tun. Und ich wollte die einzige Nacht, in der es nicht so ist, ich ich selbst sein kann, mit dir verbringen. Mit meiner Partnerin.“ Hoffentlich war das nicht zu forsch formuliert. Er wusste, wie tugendhaft die junge Dame oft war – auch, wenn er im Assassinendorf mitbekommen hatte, dass dort Mädchen frei wählen konnten, uneheliche Kinder keine Schande waren. Sarifa legte den Kopf ein wenig schief: „Du meinst, du hast eine einzige Nacht in einem einzigen Leben für dich allein und die willst du mit deiner Partnerin verbringen?“ Sie stand lächelnd auf und kam zu ihm: „Warum dann so nervös? Es ist doch ein nettes Kompliment.“ „Äh..“ Sie hatte ihn wieder überrascht: „Ich meinte nur...“ „Michel. Entspanne dich. Ich werde dir helfen. Dazu sind doch Partner da.“ Er starrte sie an, er konnte nicht anders, ehe er ihr Lächeln sah und begriff: „Sarifa, das ist nichts, was du nur mir zu Gefallen tun solltest....“ In ihren Augen schienen förmlich Kobolde zu tanzen: „Als ob ich je etwas nur dir zu Gefallen getan hätte.“ Er hätte widersprechen können, aber irgendwie war es plötzlich viel wichtiger die Arme um sie zu legen, selbst durch das Wams ihre Wärme zu spüren. Er war auch nur ein Mensch, ein Mann, und so küsste er sie, obwohl es doch so viel vorzubereiten, zu bedenken gegeben hätte.... Sarifa sah in der Morgendämmerung mit einem gewissen Lächeln zu, wie er sich anzog: „Was hast du eigentlich deinen Leibwächtern gesagt? Ich dachte, dass weder Mahedj noch Agrar so leichtsinnig sind dich allein gehen zu lassen.“ „Ich sagte ihnen, dass ich zu dir gehe,“ gestand Michel und zog sich das Hemd über. „Das genügte ihnen anscheinend. Nun, sie wussten, dass ich bei dir sicher bin.“ Seine Stimme klang etwas rau – das Resultat von wenig Schlaf und großer Anstrengung. „Ich gebe zu, dass sie, wenn sie hier hereingeplatzt wären, meine Dolche um die Ohren bekommen hätten.“ Das war nicht so unwahrscheinlich wie es klang, dachte er prompt, als er sein Haar aus dem Kragen zog. Sie hatte die Wurfmesser unter das Kopfkissen geschoben – für einige Sekunden ein wenig irritierend für ihn, aber dann hatte er sich daran erinnert, dass sie ihn schon oft hätte umbringen können, wenn sie gewollt hätte, und sich doch einer weitaus angenehmeren Tätigkeit gewidmet. „Du wirst bei der Kaiserin stehen, oder?“ „Ja. Ich habe freie Sicht auf dich. Also, blamiere uns nicht.“ „Keine Angst. Ich kenne das auswendig. Deklaration, Treueeid meinerseits gegenüber dem Kaiser, dann der Treueid aller angereisten Stände, Könige, Herzöge und was weiß ich wem, für den Kaiser und dann für mich.“ Er verzog etwas den Mund. „Von meinem Volk nicht – den hast du zum einen ja schon und um zweiten sind wir die Schatten der Macht, nicht wahr?“ „Ja. Also, dann mein Engel....Wir werden frühestens in drei Tagen wieder miteinander reden können. Sitzung des Geheimdienstes. Anawiga möchte wieder mitmachen und ich soll auch.“ „Ja, das hörte ich. Vergiss jedoch nicht, dass meine Tür für dich immer offen sein wird. Und meine Arme. Mit ein bisschen Glück hat der übernächste Kaiser den Anführer der Assassinen als Halbbruder....- Also geh. Ich muss meine Zofe rufen.“ Michel war kaum in dem anderen Trakt, in dem nun seine Gemächer lagen, vorbei an Bekannten und Leibwachen, die die Köpfe vor ihm neigten, als sein neuer Kammerherr ihn entdeckte und förmlich auf ihn zuschoss: „Oh, Prinz Michel, ich habe Euch schon gesucht...“ Er verbeugte sich: „Bitte, kommt, beeilt Euch. Wir müssen doch noch die Garderobe anprobieren und die Protokolllisten durchgehen, was Ihr wann zu sagen und zu tun habt....“ „Ja, Burkhard.“ Das würde sein zukünftiges Leben sein: Menschen, die sich vor ihm verneigten, Menschen die für ihn arbeiteten, Wachen überall und Pflichten. Aber wie schon sein Onkel wäre er nie allein. Er würde immer ruhig sein können in dem Bewusstsein, dass es in dem Dunkel um ihn jemanden gab, der seinen Rücken deckte. Er war nie allein, er hatte einen Schatten. Er hatte eine Partnerin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)