Aurae von Flordelis (Löwenherz Chroniken II) ================================================================================ Kapitel 5: Am Leben ------------------- Es war warm. Ganz anders als das Gefühl von Angst und Furcht, das er eben noch verspürt hatte. Eben? Nein, es musste länger her sein, Minuten, Stunden, vielleicht sogar Tage? Vielleicht war es auch nie geschehen? Im Moment war für ihn nur deutlich, dass er in einem Bett lag. Es war nicht sein eigenes, so viel konnte er spüren – die Matratze war ein wenig weicher und die Bettwäsche kratziger – und auch riechen – der Geruch von Desinfektionsmitteln stach in seiner Nase – also blieb die Frage, wo er war. Ausgehend von den Eindrücken, die er mit geschlossenen Augen machen konnte, war es ihm aber problemlos möglich auf ein Krankenhaus zu schließen. Er verband diese Orte mit Sicherheit, weswegen er sich direkt entspannte, als er das dachte. Nichts würde ihm geschehen, solange er dort war – nicht zuletzt, weil er die Anwesenheit einer weiteren Person spüren konnte. Es war nicht jene, die in der Gasse plötzlich hinter ihm gestanden hatte. Die nun anwesende Person trug eine vertraute Aura mit sich und als sie näherkam mischte sich auch der Geruch alter Bücher dazu. Er konnte nicht anders als sich ein wenig zu freuen, dass sie gekommen war – und öffnete endlich seine Augen. Zuerst blickte er nur auf die Decke über sich. Sie war nicht weiß, wie er es von einer Klinik erwartet hätte, sondern in einem dezenten, cremefarbenen Ton gehalten, vermutlich um die Patienten bei Laune zu halten, jedenfalls fühlte er sich schon ein wenig besser, als er diese Farbe sah. Dann erst wandte er den Kopf und entdeckte neben seinem Bett eine Frau. Sie schien in die Betrachtung der Gegend außerhalb des Fensters vertieft, ihr wie üblich hochgebundenes blondes Haar bewegte sich sacht im Wind, was auch das rote Haarband, das ihre Frisur hielt, flattern ließ. Er kannte diese Frau schon lange, aber ihre Aura war bislang die einzige, von der er nicht wusste, was er von ihr halten sollte. Das Magenta des Lichts um sie herum war äußerst kräftig und als ob es sich deswegen verstecken oder äußerst diskret sein wollte, existierte es nur als sanftes Glühen, das direkt auf ihrem Körper auflag und manchmal kaum zu erkennen war, statt einen Kreis um sie zu beschreiben oder sonstige Eigenheiten zu zeigen wie die Aura von Joel, die hin und wieder sogar nach einem zu greifen schien. Anfangs war es ihm deswegen so vorgekommen als stünde sie knapp vor ihrem Tod und deswegen wäre ihre Aura so schwach, aber inzwischen war er es gewohnt – auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum es bei ihr so zurückhaltend war. „Joy...“ Seine Stimme klang kraftlos, er hatte den Eindruck, heiser zu sein. Hatte er so viel in jener Nacht geschrien? Er erinnerte sich nicht. Er wusste nicht einmal, wie er in dieses Bett gekommen war. Die Frau wandte sich ihm zu, als sie ihren Namen hörte, ihre grünen Augen strahlten geradezu vor Erleichterung. „Ich hatte befürchtet, du würdest erst einmal nicht aufwachen, Raymond.“ „Was ist passiert?“ Das Letzte, woran er sich erinnerte, war die Stimme dieser unbekannten Frau. „Ich hoffe, du bist bereit zu sterben.“ Aber was war danach geschehen? Und wieso lebte er noch? „Ich weiß es nicht“, erwiderte Joy. „Du lagst heute Morgen in meinem Laden, als ich hineinging und warst bereits ohnmächtig. Ich habe dich dann nur ins Krankenhaus gebracht.“ „Heute Morgen...“ Also war er höchstwahrscheinlich in der letzten Nacht von diesen Wesen angegriffen worden. Sollte er Joy von diesen erzählen? Vielleicht würde sie ja wissen, was das war? Als Besitzerin eines Antiquariats und auch von Natur aus äußerst lesebegeisterte Frau, gab es vielleicht irgendein Buch, in dem diese Wesen erwähnt wurden – und wenn es sich nur um ein Märchenbuch handelte. Aber dennoch kamen die Worte nicht über seine Lippen, er schaffte es nicht, sie zu fragen. Zu nah noch war die Furcht, die er verspürt hatte und zu groß die Angst, dass sie einfach nur lachen würde, auch wenn er sie inzwischen lang genug kannte, um zu wissen, dass sie das nicht tun würde. Es waren inzwischen fünf Jahre, er hatte sie nicht lange nach seiner Ankunft in Lanchest kennengelernt, weil Rufus sie ihm unbedingt hatte vorstellen müssen. Sie und ihre beiden Geschwister – Seline und Ryu. Letzterer war die einzige Person, die in irgendeiner Art und Weise mit Raymond verwandt war, wenngleich auch relativ weit entfernt, aber es war besser als gar keine Verwandten mehr zu haben. Zur Familie zählte sich Raymond dennoch nicht, er mochte die drei – aber sie waren einfach nicht... seine Familie. Immerhin war er so aber endlich in den Genuss eines Nachnamen gekommen, wenngleich er bislang der Letzte war, der diesen trug, alle anderen Lionhearts waren verstorben. „Was ist denn das Letzte, woran du dich erinnerst?“, fragte Joy. „Ich hoffe, du bist bereit zu sterben.“ Wieder diese Stimme – aber statt ihr davon zu erzählen, beließ er es dabei, dass er Joels Haus verlassen hatte und seine Erinnerungen an dieser Stelle aussetzten. Fast schien es ihm als wäre sie enttäuscht, er glaubte sogar, sie mit der Zunge schnalzen zu hören, aber es war sofort wieder verflogen. „Du scheinst auch nicht weiter verletzt zu sein“, bemerkte sie. „Kann es sein, dass deine Albträume nur extrem lebhaft werden?“ Er wünschte, dass es so wäre, dass die Ereignisse nur ein sehr lebhafter Traum gewesen waren. Aber die Emotionen waren ihm noch viel zu lebhaft im Gedächtnis, genau wie die Hitze, der die Monster zum Opfer gefallen waren – und schlussendlich spürte er auch immer noch die Berührung dieser Frau auf seiner Haut. Die Stellen kribbelten auf eine unangenehme Art und Weise als wollten sie ihn stetig beweisen, dass nichts davon ein Traum gewesen war und er sich endlich daran erinnern sollte, wie er entkommen war. Und warum er in Joys Laden geflohen war, statt wie ursprünglich beabsichtigt in die Akademie. Die Barriere... „Ist draußen alles in Ordnung?“, fragte er, worauf Joy ein wenig den Kopf neigte. „Draußen? Da ist alles wie immer.“ Er setzte sich aufrecht hin, um ebenfalls einen Blick aus dem Fenster erhaschen zu können. Vom Krankenhaus aus gab es nicht viel Aussicht auf die Straße und schon gar nicht auf jene, durch die er in der Nacht zuvor gerannt war, aber er konnte den ungeminderten Verkehrslärm hören, weswegen er Joy einfach glaubte. Warum sollte sie ihn auch anlügen? Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und schnalzte dieses Mal tatsächlich mit der Zunge. „Ich muss langsam los, aber wenn mich nicht alles täuscht, dürften deine Freunde gleich da sein. Oh ja, außerdem darfst du auch wieder gehen, wenn du dich gut genug dafür fühlst, ich habe das alles schon mit deinem Arzt geklärt.“ Eigentlich war Raymond nur mit Ryu verwandt, da dieser lediglich der Halbbruder der beiden Frauen war – aber er hatte Joy quasi die Vormundschaft übergeben, weil er darauf vertraute, dass sie besser wusste, was zu tun war. Zumindest glaubte Raymond, dass es aus diesem Grund geschehen war, er hatte nie nachgefragt und er störte sich auch nicht daran. Ryu war ein sehr netter Mann, mit dem man gut reden könnte, aber Joy lag die Rolle der Erziehungsberechtigten doch ein wenig besser, fand er zumindest. „Danke, Joy.“ „Bewahre dir deinen Dank lieber für das hier.“ Sie griff in ihre Tasche und zog eine Brille hervor, die sie Raymond reichte. „Deine andere konnte ich nicht finden. Ich nehme an, dass sie kaputt ist, deswegen habe ich dir eine neue gemacht.“ Die Brille fiel zu Boden, erst ein Splittern, dann ein lautes Klirren, als die Person darauf trat. Er konnte sie nicht erkennen, die Kleidung, die sie trug, verschleierte zu viel von ihr und ihre Aura lenkte ihn ab. Rot, so dunkel, dass das Licht, das unruhig um sie herum wallte an fließendes Blut erinnerte. „Weglaufen ist zwecklos, es gibt keinen Ort, an den du fliehen könntest.“ Er blinzelte hastig, um diesen Fetzen Erinnerung an die letzte Nacht vorerst zu verdrängen, wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden und sich bei Joy dafür zu bedanken. Es war ihr zu verdanken, dass er ein relativ normales Leben führen konnte, ohne ständig Auren ansehen zu müssen und davon Kopfschmerzen zu bekommen und dementsprechend dankbar war er auch, dass es sie gab und sie sich offenbar so ihre Gedanken um ihn machte, denn sonst wäre ihr mit Sicherheit egal, was mit ihm war. Sie lächelte herzlich, etwas, was bei ihr selten vorkam. „Keine Ursache. Sei in Zukunft aber ein wenig vorsichtiger. Wer weiß, ob du das nächste Mal nicht vielleicht unter einem Auto oder vor einem Zug landest.“ Er versicherte ihr, dass er vorsichtig sein würde, worauf sie sich von ihm verabschiedete und dann das Zimmer verließ, so dass er allein war. Das andere Bett war verwaist und durch die aufliegende Folie wusste er sofort, dass er ganz allein im Zimmer war, was er möglicherweise auch Joys Einfluss verdankte. Wie genau sie es hinbekam, wusste er nicht, aber ihm schien, dass sie jeden kannte, der in irgendeiner Art und Weise dazu berechtigt war, Entscheidungen zu treffen und diesen nach ihrem Willen beeinflussen konnte. Soweit ihm bekannt, war es auch sie gewesen, die zuerst mit Rufus Kontakt aufgenommen hatte, nachdem er an die Akademie gekommen war. Woher sie aber gewusst hatte, dass er dort war oder dass er der Sohn von Gil Lionheart war, entzog sich seinem Verständnis und bislang hatte er auch nie gefragt. Da war dieses Gefühl in seinem Inneren, das ihm sagte, dass er etwas Furchtbares erfahren würde, sollte er fragen, etwas, das seine gesamte Weltansicht verändern würde und darauf wollte er vorerst lieber verzichten. Raymond lehnte sich wieder ein wenig zurück, so dass er mit dem Rücken gegen das Kopfende lehnte und blickte aus dem Fenster hinaus. Der blaue Himmel war nur spärlich bewölkt, im Park des Krankenhauses liefen Ärzte, Pfleger und sogar Besucher geschäftig umher, lediglich eine Person schlenderte nur und hielt an dem Fischteich inne, um hineinzublicken – Raymond hatte darin noch nie einen Fisch gesehen, trotz des Füttern verboten-Schilds und der Person ging es wohl ähnlich – es war alles vollkommen normal. So normal, dass er wirklich den Eindruck bekam, das alles nur geträumt zu haben, aber... Ungeachtet der Tatsache, dass diese Person ihm eben das Leben gerettet hatte, wollte er vor ihr fliehen. Er spürte ihre Absicht, ihn umzubringen, sah das Schwert – ein Katana? – in ihrer Hand bereits erwartungsvoll im einfallenden Licht einer Straßenlaterne glitzern. „Warum hast du mich gerettet, wenn du mich jetzt umbringen willst?“ Seine Stimme zitterte nicht, ein menschlicher Gegner, darauf war er vorbereitet worden in der Akademie, es gab keinen Grund, sich zu fürchten. „Ich wollte nur verhindern, dass sie das bekommen, was sie wollten“, erwiderte sie kalt. „Dass ich dabei dein Leben gerettet habe, war nur ein unangenehmer Nebeneffekt, den ich nun negieren werde.“ Sie trat auf ihn zu, er wich nicht zurück – sondern holte mit dem immer noch in seiner Hand befindlichen Stahlrohr aus und zielte damit nach ihrem Kopf. Ein schmerzerfülltes Keuchen entfuhr ihr, als er sie traf; die Schneebrille, die sie bis dahin getragen und die jeden Blick auf ihre Augen verhindert hatte, fiel dabei zu Boden. Er ließ das Rohr fallen und wich einen Schritt zurück, als sie den Kopf hob und er ihre Augen sehen konnte – sie waren golden. Genau wie die Augen von Christine – die ihn gerade neugierig ansah und dabei mit ihrer Hand vor seinem Gesicht wedelte. „Ray? Alles in Ordnung? Du wirkst so weggetreten.“ Er blinzelte verdutzt, um erneut in die Wirklichkeit zurückzukehren und sah seinen Freunden, deren Ankunft ihm gar nicht aufgefallen war, überrascht entgegen. „Tut mir Leid, ich habe gerade... nachgedacht.“ Es war keine sonderlich gute Ausrede, aber im Prinzip war es ja sogar die Wahrheit. Während Christine sich damit lächelnd zufriedengab, sah Joel weiterhin besorgt aus. Aber nicht nur das, er stand sogar noch direkt neben der Tür als würde er sich nicht trauen, näherzukommen – und er sah aus als ob er geweint hätte, was Raymond doch überraschte, hatte er seinen besten Freund doch noch nie in diesem Zustand gesehen. Seine Aura schwankte noch dazu zwischen braun und grün, er war also traurig und unsicher, ein sehr seltener Zustand. „Steh doch nicht so weit weg“, sagte Raymond lächelnd. „Ich hab nichts Ansteckendes.“ Noch immer etwas zögernd kam Joel näher und stellte sich auf die noch freie Seite des Bettes, so dass er nun von seinen Freunden umgeben war. „Wie geht’s?“ Joel bemühte sich, unbeschwert zu klingen, aber das gezwungene Lächeln und die leicht krächzende Stimme verrieten, dass ihm das wirklich zusetzte. „Mit mir ist alles bestens. Ich werde auch gleich wieder nach Hause gehen – ich bin nur erst vor kurzem aufgewacht und wollte mich noch ein wenig ausruhen.“ „Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht!“, platzte es plötzlich aus Joel heraus, was die beiden anderen verdutzt zusammenzucken ließ. „Ich hätte dich nicht allein gehen lassen dürfen!“ Raymond wollte sich gar nicht vorstellen, wie das alles ausgegangen wäre, wenn Joel ihn begleitet hätte. Vielleicht hätten die Wesen ihn dann nicht angegriffen, vielleicht aber doch – und sein Freund hätte sie nicht einmal sehen können! Er schüttelte sacht mit dem Kopf. „Mach dir keine Vorwürfe. Wie gesagt, es ist doch nichts passiert.“ Da Joel nichts mehr sagte, sondern nur schweigend den Blick senkte, übernahm Christine das für ihn, so dass Raymond ihr seine Aufmerksamkeit zuwandte und nur aus den Augenwinkeln mitbekam, dass Joel sich mit dem Unterarm über das Gesicht fuhr. „Wir haben in der Schule gehört, dass du ohnmächtig in der Stadt gefunden wurdest und ins Krankenhaus gekommen bist“, erklärte sie. „Wir haben uns beide wahnsinnige Sorgen um dich gemacht, immerhin fällst du sonst nie in Ohnmacht.“ Joel nickte zustimmend und ein wenig zu heftig. „Selbst als wir damals bei einer Probemission dieses riesige Monster bekämpft haben und es danach einer Vivisektion unterziehen mussten, warst du der einzige, der nicht einmal annähernd an eine Bewusstlosigkeit herankamst.“ Daran erinnerte er sich dennoch nicht sonderlich gern, denn er verstand vollauf, warum Christine dabei bewusstlos geworden war und selbst Joel sich hatte setzen müssen. Aber irgendjemand hatte den entsprechenden Auftrag eben beenden müssen – wenngleich er hoffte, nie wieder den Mageninhalt einer Drachenechse auf eine Kristallkugel untersuchen zu müssen – und auf ihn konnten sie sich immerhin verlassen. „Was ist geschehen, dass du bewusstlos geworden bist?“, fragte Christine. Sie starrte ihn wütend an, ein Blutrinnsal floss von ihrem Kopf herab und hinterließ eine rote Spur auf seinem Weg über ihr Gesicht. Ihre Aura schien kurzzeitig zu explodieren und alles hinter ihr in ein rotes Licht zu tauchen. Blind vor Wut wollte sie sich auf ihn stürzen, stolperte dabei aber über das fallengelassene Stahlrohr und riss ihn zu Boden, wo sie benommen für einen Moment auf ihm liegenblieb. Das Katana fiel ihr dabei aus der Hand und landete einige Meter neben ihnen. Ohne zu registrieren, was er tat, machte er genau das, was ihm stets beigebracht worden war. Aus Ermangelung eines eigenen Messers, nahm er den Dolch an sich, den die Person an ihrem Gürtel trug – und rammte ihn ihr in den Bauch. Sie schrie schmerzerfüllt auf, stieß sich von ihm ab, um sich wieder aufzurichten und taumelte rückwärts. Normalerweise – so war ihm beigebracht worden – wäre nun die beste Möglichkeit, den Feind endgültig zu überwältigen und ihn entweder umzubringen oder ihn zumindest kampfunfähig zu machen. Doch sein Verlangen nach Flucht war stärker, weswegen er sich hastig aufrichtete, herumwirbelte und davonrannte. Hinter sich konnte er einen schrillen Schrei hören, der nichts Menschliches an sich hatte – und gleich darauf ein Jaulen, gefolgt von dem Geräusch rennender Pfoten. Ein Tier war hinter ihm her! Aber er hielt nicht inne, um einen Blick hinter sich zu werfen und herauszufinden, was für eines es war. Wie zuvor trugen seine Beine ihn von allein durch die Straßen, suchten sich selbst einen anderen Weg, sobald er feststellte, dass eine Barriere das Vorankommen verhinderte – und kam schließlich bei der kleinen Buchhandlung an, die Joy gehörte. Er atmete erleichtert auf, als er davor stehenblieb. Gleich würde er sicher sein, gleich... Das Knurren hinter ihm bewegte ihn schließlich dazu, sich umzudrehen. Es war ein Wolf, der ihn verfolgt hatte, aber er war um einiges größer als seine Artgenossen und auch die gebleckten Reißzähne wirkten um einiges bedrohlicher. Rückwärts wich Raymond bis zur Tür zurück, um diese zu öffnen und hineinzugehen. Wenn er erst einmal drin war, würde dieses Wesen ihm nichts mehr tun können, der von Joy angebrachte Schutzzauber würde das verhindern, ganz sicher. Doch der Wolf ließ ihm nicht die Gelegenheit dazu. Mit einem weiteren Knurren stürzte er sich auf Raymond und brach mit diesem durch die Tür. Schmerzen durchzuckten Raymond, als der Zauber aktiviert wurde und ein purpurfarbenes Licht ihn blendete. Im nächsten Moment landete er auf dem Rücken, worauf sämtliche Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Der Wolf dagegen... Das purpurfarbene Licht zerbrach vor Raymonds Augen zu unzähligen Scherben, die sich in den Körper des Wesens bohrten, das sich gleich darauf mit einem schrillen Jaulen in Rauch auflöste. Im selben Moment schwand die Kälte, das Gefühl der Gefahr, so als wäre es nie dagewesen. Erleichtert und erschöpft, ließ er seinen Kopf auf den Boden sinken. „Ich lebe noch...“ Die Erkenntnis sickerte langsam in sein Gehirn und ließ ihn aus irgendeinem Grund in amüsiertes Gelächter ausbrechen – das direkt erstarb, als es vor seinen Augen plötzlich schwarz wurde er das Bewusstsein verlor. „Ich weiß es nicht mehr.“ Trotz der nun wieder vollständigen Erinnerung wollte er seinen Freunden nichts davon erzählen. Es würde nur dazu führen, dass sie sich noch mehr Sorgen machen würden, dass er mit der Polizei sprechen müsste und natürlich dürfte er nachts nicht mehr allein unterwegs sein. Diese Frau mit dieser grauenhaften Aura war immerhin auch noch da draußen, er dürfte mit seinem Stich keine lebenswichtigen Organe getroffen haben, aber mit Sicherheit war sie nun wütend auf ihn. Vielleicht wäre es doch eine gute Idee, wenn er fortan nachts nicht mehr hinausgehen würde, auch wenn ihn interessierte, wer sie war und warum sie ihn töten wollte – und warum sie genau wie Christine goldene Augen hatte. Prüfend musterte er noch einmal die Aura seiner Freundin, aber an dem goldenen Sand hatte sich nichts verändert und auch die Stimme der Frau war eine gänzlich andere gewesen, tiefer, angenehmer, aber auch... verbittert, einsam. Nein, Christine und diese Frau von letzter Nacht hatten nichts gemein, außer ihren Augen. Joel seufzte. „Da kann man wohl nichts machen. Vielleicht hast du in letzter Zeit nur zu wenig Schlaf abbekommen. Du solltest in der nächsten Zeit doch bei uns schlafen. Meine Mutter macht einen hervorragenden Tee, der bestimmt dafür sorgst, dass du keine Albträume hast.“ Nach dieser Nacht glaubte Raymond zwar nicht, dass ihm der übliche Albtraum noch weiterhin Furcht einflößen würde, aber er nahm das Angebot nur allzugern an. Immerhin würde das auch verhindern, dass er doch noch allein losziehen würde, um dieser Frau wiederzubegegnen. „Danke, Joel.“ Die Aura seines Freundes sprang sofort wieder auf ein angenehmes Blau, was ein sicheres Zeichen für seine Freude über Raymonds Worte war. „He, nichts zu danken. Also komm, wenn wir jetzt gehen, schaffen wir es noch zum Abendessen nach Hause. Heute gibt es Hühnchen.“ „Oh, darf ich auch kommen?“, fragte Christine begeistert. „Ich liebe Geflügel!“ Joel lachte. „Aber sicher. Ihr kommt einfach beide mit.“ Als er die Freude auf den Gesichtern seiner beiden Freunde sah, nachdem er letzte Nacht befürchtet hatte, sie nie wiederzusehen, entspannte Raymond sich endgültig wieder. Er würde versuchen, dieses Ereignis bei nächster Gelegenheit Joy erzählen oder Rufus, damit einer von ihnen beiden herausfinden könnte, was das für Wesen waren, die ihn verfolgt hatten und wer diese Frau. Er dagegen würde sich aus dieser Sache heraushalten, um sich nicht in Gefahr zu bringen. Das Lächeln seiner Freunde war ihm wesentlich wichtiger als die Wahrheit – und in diesem Augenblick ahnte er trotz der Ereignisse der vergangenen Nacht noch nicht einmal, dass die unbeschwerten Tage, in denen Professor Liam ihr größtes Problem gewesen war, bald enden würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)