Magister Magicae (alte Version) von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 2: "Was soll das heißen, weg?" -------------------------------------- „ ... was soll das heißen, ?“, raunte jemand, als Nyu am nächsten Morgen langsam zu sich kam. Sie lag in einem Bett und war noch im Halbschlaf gefangen. Vermutlich hatte das Gespräch im Zimmer sie geweckt. „So wie ich es sage! Verschwunden! Weg!“, gab eine andere Stimme gereizt zurück. „Oder siehst du ihn hier irgendwo? Du und Josh, ihr werdet auf der Stelle losziehen und ihn zurückholen.“ „Ausgeschlossen. Das ist gefährlich. Nyu hat noch nie ein Trainings-Center von innen gesehen.“ „Das ist mir völlig egal!“ Nyu stöhnte und wälzte sich im Bett herum, den beiden Stimmen zu. Es waren Danny und sein Vater Ruppert, die da rumdiskutierten. „Was ist verschwunden?“, hauchte Nyu müde und versuchte die Augen aufzublinzeln. „Oh, du bist ja wach. Hallo.“, gab Danny verwundert zurück. „Urnue ist weg.“ „Was, weg? Aber gestern Abend war er doch noch da! Wo ist er denn?“ Die junge Genia war plötzlich hellwach. Sie mochte Urnue. Das erste Wesen in ihrem Leben, das sie wirklich mochte. Sie wollte nicht, daß er weg war! „Abgehauen, was denn sonst!?“, raunzte Dannys Vater sauer. „Quatsch, warum sollte er das tun? Wohlmöglich ist er von jemandem verschleppt worden.“, meinte Danny. „Ach ja? Und warum sollte DAS jemand tun?“ „Vielleicht, weil du einer der mächtigsten und einflussreichsten Banker landesweit bist und letzte Woche all deinen Konkurrenten den Krieg erklärt hast?“, schlug Danny mit einem Kapierst-du´s-nicht?-Tonfall vor. „Mein Gott, wir müssen Urnue sofort suchen!“, beschloss Nyu und sprang hektisch aus dem Bett, um sich Kleider über den Leib zu reißen und auf der Stelle kopflos aus dem Haus zu rennen. Für sie war klar, daß etwas nicht stimmte. Urnue konnte nicht einfach abgehauen sein. Das ließ der Codex gar nicht zu. „Nun mal langsam. Das ist gefährlich! Und du bist völlig ...“ „Ich hab zwar nie offiziell trainiert, aber kämpfen kann ich!“, beharrte sie. Keine halbe Stunde später spazierten sie zielstrebig los, Nyu, Danny, seiner Bruder Josh und dessen Genius Intimus. Ein seltsamer, dicker Typ, der ganz und gar dem Klischee eines Computerfreaks und Gamers entsprach und kein Wort sagte. Schon in der Haustür hatte er missmutig ein Handy mit riesigem Display und Internetfunktion gezückt und hatte es seither permanent vor der Nase. Nyu kaute noch auf den Resten ihres Frühstückes herum. Sie hatte es nicht lange genug ausgehalten, um es noch daheim aufzuessen. „Hast du schon eine Idee, wohin wir gehen müssen?“, wollte sie hoffnungsvoll wissen. Danny nickte. „Allerdings. Von Vaters Konkurrenten kenne ich nur einen, der auf so krasse Methoden zurückgreifen würde, einen Genius Intimus zu entführen. Vielleicht kriegt Vater ja im Laufe des Vormittags eine Lösegeldforderung.“ „Was aber ziemlich sinnlos wäre. Jeder weis, daß er die niemals zahlen würde.“, fügte sein Bruder Josh an. „Warum nicht? Das ist sein Genius Intimus!“ „Ja, schon. Aber er hält nicht viel auf Genii, weist du? Er ist größenwahnsinnig und erfolgsverwöhnt genug, um zu glauben, daß er ganz gut allein klarkommt. ... Urnue hat ihm schon so oft den Hintern gerettet. Manchmal wünsche ich mir fast, daß er mal auf irgendwas stößt, wo Urnue ihm nicht mehr helfen kann. Damit er´s mal merkt.“ Nyu sah nachdenklich zu Boden. Es machte sie traurig, wenn das Verhältnis zwischen einem Genius Intimus und seinem Schützling so war. Sie sollten sich gegenseitig achten und behüten. Aber auch sie selbst war noch nicht so weit. Sie hatte immer noch ein bischen Angst vor Danny, von seiner Familie ganz zu schweigen. „Also ... wohin gehen wir?“, fragte sie kleinlaut. „Die Kubikas wohnen am anderen Ende des Viertels.“, erklärte Danny und deutete die ganze Straße hinunter. Allein die Geste verdeutlichte, daß es sich um ein nennenswertes Stück Weg handeln musste. Mit der anderen Hand fingerte er verstohlen nach dem Verband unter seinem T-Shirt. Die Risswunden auf seiner Brust schmerzten höllisch und er bekam kaum richtig Luft. Er fühlte sich furchtbar und hoffte inständig, daß Josh es nicht merkte. Aber der hatte zum Glück gerade andere Sorgen. „Man, wieso nehmen wir nicht das Auto?“, maulte Josh. „Weil es einerseits zu auffällig wäre, mit Vaters Luxuskarosse vorzufahren, und weil er zweitens zu geizig ist, uns die Karre zu überlassen.“ „Wenigstens nen Fahrschein hätte er uns spendieren können.“ „Jetzt sei nicht so faul. Ein Spaziergang wird uns nicht schaden. Vor allem nicht deinem Computerfreak von Genius Intimus. Der könnte ruhig öfters mal ... Äh, Josh?“, meinte Danny verwundert, als der erwartete Protest seines Bruders ausblieb. Verdutzt blieb er stehen und sah zurück, weil Josh auch plötzlich nicht mehr neben ihm lief. Der junge Mann war ein paar Meter zuvor an einer heruntergekommenen, leerstehenden Lagerhalle zurückgeblieben und starrte diese nachdenklich an. „Josh?“, wollte Danny vorsichtig wissen, als er wieder zu seinem Bruder aufschloss. „Urnue ist da drin.“, meinte Josh fest überzeugt. Danny sah sich die bedrohliche Lagerhalle genauer an und schluckte schwer. „Hast du geraten, oder sagt dir das deine magische Intuition?“ „Meine Intuition.“, antwortete er, sah sich aufmerksam in alle Richtungen um und schob schließlich das angelehnte Tor auf, welches der einzige Zugang zum Grundstück war. Er hielt vor lauter Anspannung die Luft an. Was wollte der Genius Intimus seines Vaters in einer verlassenen Lagerhalle? Oder was wollte IRGENDWER in einer verlassenen Lagerhalle, wer auch immer Urnue in seiner Gewalt hatte? Danny fluchte leise. Im Flüsterton, damit es keiner hörte. Er spähte durch einen Türspalt in die abgedunkelte Lagerhalle hinein. Die Fenster waren seit Jahren nicht mehr geputzt worden und so dreckig, daß sie kaum noch Sonne hereinließen. Die Halle war leer bis auf einige Kisten, die an der Rückwand hochgestapelt waren. Und mitten in der Halle, auf dem blanken Fußboden, lag Urnue. Seine schwarze Biker-Lederjacke und die schwarzen Wuschelhaare waren selbst über diese Entfernung unverkennbar. Er lag offensichtlich bewusstlos in einem Bannkreis, soweit Danny das erkennen konnte. „Das riecht ja geradezu nach einer Falle.“, maulte er und sah überlegend Nyu, Josh und dessen Genius Intimus an. Überlegend, was er um Himmels Willen tun konnte, um keinen von ihnen mehr als nötig zu gefährden, beziehungsweise, wer ihm gerade am nützlichsten war, um Urnue zu retten. „Okay, Nyu, jetzt ist es an der Zeit, mir was über dich zu erzählen. Welche Fähigkeiten hast du?“ „Fähigkeiten?“, gab sie verunsichert zurück. „Naja, zum Beispiel ...“ Danny zuckte hilflos mit den Schultern. „Fangen wir doch damit an, was du eigentlich bist. Wie sieht deine wahre Gestalt aus?“ Nyu nickte nur verstehend und verwandelte sich. Josh´s Genius entfuhr ein schockierter Fluch, als er entsetzt zurückwich und dabei sein Handy fallen lies. Vor ihm kauerte plötzlich ein riesiger, massiger Vogel mit räudigem, dunkelgrauem Gefieder, einem langen, vorn abgekanteten Geier-Schnabel und weißen, trüben Augen, die wie blind wirkten. „Harpyie!“, keuchte er nur. „Oh ... also das hätte ich jetzt auch nicht erwartet.“, gestand auch Danny. „Harpyie?“, gab Nyu fragend zurück und nahm wieder ihre menschliche Gestalt an. Die Gestalt einer zierlichen, jungen Frau mit der dicken, schwarzgrünen Mähne. „Ja, bist du denn keine Harpyie? Du siehst aus wie eine!“ „Keine Ahnung. Solange ich denken kann, war ich in diesem Zirkus gefangen, und bin nie einem anderen Wesen wie mir selbst begegnet. Ich weiß nicht, was ich bin.“ „Naja ... du bist ziemlich eindeutig eine Harpyie ... Beherrsch dich, man!“, fauchte Josh seinen Genius Intimus an und deutete an, ihm einen Klapps auf den Hinterkopf geben zu wollen. Aus irgendeinem Grund schien der Harpyien nicht ertragen zu können. Nyu fragte sich einen Moment lang, was der wohl in seiner wahren Gestalt für ein Wesen war. Aber Dannys weitere Fragen lenkten sie wieder davon ab. „Ich ... habe keine Fähigkeiten.“, gestand sie eingeschüchtert. „Ich kann mich in Kämpfen ganz gut behaupten. Und ein bischen heilen. Aber meine Heilerfähigkeit ist nur rudimentär vorhanden und ich hatte auch nie die Möglichkeit, sie zu trainieren.“ Danny schaute Nyu an, daß sie weitersprechen sollte. Aber sie sagte nichts mehr. Hilfesuchend drehte er sich also zu seinem Bruder Josh um. Vielleicht wusste der mit seiner übernatürlichen Intuition etwas. Aber auch der schüttelte nur unwissend den Kopf. Ein Genius ohne Fähigkeiten, gab es sowas überhaupt? „Du hast mich zu Hause durch den ganzen Keller geschleudert, ohne mich zu berühren. Wie hast du das gemacht?“, wollte Danny wissen. Sein letzter Hoffnungsschimmer, ihr doch noch irgendeine Art von magischer Fähigkeit andichten zu können. Wieder wanderte seine Hand zur Brust und den Wunden, ohne daß er es merkte. „Energieübertragung. Schlichte Energiearbeit, das kann doch jeder ...“, gab sie zurück und schaute dann verwirrt in die dummen Gesichter der Jungen. „Nein, Nyu. Distanzüberbrückung ist keine sehr weit verbreitete Fähigkeit.“, erklärte Josh ruhig und sah plötzlich sehr ernst aus. „Was ist denn bitteschön DEINE Fähigkeit?“, hakte Nyu nach. „Okay, hier der Plan. Josh, du gehst mit deinem Genius erstmal außen um die Lagerhalle herum, und vergewisserst dich, daß wir hier nicht in eine Falle laufen. Mit seinen Röntgenaugen sollte dein Genius versteckte Bannmarken, Angreifer und so ein Zeug leichter finden als wir. Er hält dann hier draußen Wache. Du kommst mit Nyu und mir rein, wir gehen in die Halle und nehmen den Bannkreis unter die Lupe, in dem Urnue liegt.“ „Ich soll mich von meinem Genius trennen? In so einer Situation? Spinnst du?“, empörte sich Josh. „Nyu ist doch bei uns. Irgendjemand MUSS Wache halten. Und ich brauch dich da drin. Du hast wenigstens ein bischen Ahnung von Bannkreisen.“, gab Danny flehend zurück. „Nyu, vielleicht kannst du Urnue da rausholen, ohne selbst in den Bannkreis hinein zu müssen. Deine Distanzüberbrückung könnte uns da eine gewaltige Hilfe sein.“ Nyu nickte nur und sah unbehaglich auf das Eingangstor der Lagerhalle. „Das ist ein uralter Bau, in den Wänden ist Aspest und Blei verarbeitet. Da helfen meine Röntgenaugen auch nicht weiter.“, warf Josh´s Genius Intimus ein und entrang Danny damit einen Fluch. „Soll ich trotzdem hier draußen Wache schieben?“ „Ach was, als ob du ordentlich Wache schieben würdest! Du wirst doch eh nur auf dein Handy starren. Komm mit rein.“, meinte Josh harsch, um zu überspielen, wie froh er war, sich doch nicht von seinem Genius trennen zu müssen. Danny seufzte. „Na schön, lasst uns reingehen.“, murrte er resignierend. „Geh nach den Kisten da hinten sehen!“, trug Josh seinem Genius leise auf, als sie die weitläufige Halle auf Zehenspitzen betraten und zu Urnue hinüberschlichen. Er lag immer noch unverändert und ohnmächtig auf dem Boden herum. Der Bannkreis um ihn herum war mit Wachskreide gezeichnet und so groß, daß man Urnue von keiner Stelle aus erreichen konnte, ohne selbst mindestens einen Schritt weit hineinzutreten. Josh und Danny knieten sich neben den auffallend verschnörkelten Kreidekreis und musterten die darin verarbeiteten Zeichen. Josh stöhnte. „Was sagt dir deine hochgepriesene Intuition über das Ding?“, wollte Danny wissen. „Das kann ich gar nicht in Worte fassen, man.“, gab sein Bruder zurück und ließ seinen Blick weiter über die Windungen und Verzierungen gleiten. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie viele Faktoren dieser Kreis beinhaltet. Das hier sieht mir nach einem Fallen-Element aus.“ Er deutete auf ein Symbol. Er kannte es nur im Zusammenhang mit Bannkreisen, die ihre Opfer hinein, aber nicht wieder hinaus ließen. Ob aber genau dieses konkrete Zeichen den Fallen-Effekt bescherte, oder ob es nur ein begleitendes Hilfszeichen war, wusste er nicht. „Das dort könnte vielleicht ein Illusions-Element sein. Möglicherweise gaukelt uns das Ding nur vor, daß Urnue da drin liegt. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nichtmal sicher, in welcher Sprache dieser Bannkreis aufgezeichnet wurde. Und ich verstehe nicht, warum das gesamte blöde Teil dermaßen verziert und verschnörkelt ist. Das hat sicher auch eine Bedeutung.“ „Ich dachte, mit deiner Intuiton kannst du immer sofort sagen, was es mit einer Sache auf sich hat.“ „Moment mal, ich bin noch in der Ausbildung!“ Natürlich hatte er ein wenig Ahnung von Bannkreisen, aber dieses Werk hier war astronomisch. Das war, als würde man Grundschüler mit Integral-Rechnung bombardieren. „Entschuldige ...“ „Also rein kann man offenbar. Der Bannkreis ist nicht dazu gedacht, uns auszusperren!“, warf Nyu von der Seite ein und hielt demonstrativ ihre Hand über die geschlängelten und symboldurchwobenen Linien. „Mein Gott, sei vorsichtig!“, keuchte Danny. „Wenn das Ding wirklich eine Fallenfunktion hat, wird es dich reinziehen, sobald du mehr als ...“ Er heulte panisch auf, als Nyu ohne zu zögern ihren gesamten Arm hineinsteckte. Und ihn einen Moment später wieder herauszog. „Nö, keine Falle. Also wenn der Bannkreis mich nicht einsperrt, werde ich Urnue da jetzt rausholen!“, beschloss sie. „Nyu!“ Aber da war sie bereits komplett eingetreten. Danny griff stöhnend nach den Risswunden auf seiner Brust. Sie taten so verdammt weh, daß sie ihm die Sinne nahmen. Er sackte vor Schmerzen haltlos in sich zusammen und wand sich nach Luft schnappend am Boden. Nyu fühlte sich schlagartig seltsam, als sie den Kreis betrat, irgendwie müde und desorientiert. Sie bemerkte noch Dannys missliche Lage und wollte wieder aus dem Bannkreis herauskommen, um ihm zu helfen. Aber sie schaffte es nicht mehr. Ihr wurde schwindelig und langsam schwarz vor Augen. Sie kippte im Inneren des Bannkreises ohnmächtig um und schlug der Länge nach neben Urnue hin, kaum zwei Sekunden nachdem sie zu ihm eingetreten war. Josh sah fragend von den Symbolen hoch, die er konzentriert studiert hatte. „Verdammt, Danny, was ist los mit dir?“, wollte er panisch wissen. Aber der brachte vor Schmerzen nur keuchende Laute hervor und krümmte sich zu einem Ball zusammen. „Nyu!“, rief er, aber die fand er bewusstlos im Inneren des Bannkreises. Die konnte ihm auch nicht helfen. Verzweifelt sah er sich um. Wo war eigentlich sein Genius Intimus geblieben? Wie lange konnte der Dicke denn brauchen, um nachzusehen, ob hinter den paar aufgestapelten Kisten irgendwelche Entführer oder andere bewaffnete Gentlemen saßen? Aber auch sein Genius Intimus war spurlos verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)