Unsaid von BlackLovelessCat ================================================================================ Kapitel 2: von Morgenmuffeln, Steinen und Schubladendenken ---------------------------------------------------------- „Hallo? Sind Sie noch da?“ „Oh, ja. Entschuldigen Sie.“ Und schon wieder macht mein Gehirn was es will und arbeitet einfach nicht weiter. Was das nur mit mir werden soll. Schnell sage ich was mein Anliegen ist und bin erleichtert, als ich auflege und alles geklärt habe. Schon übermorgen werde ich meine Schwester mit dorthin begleiten müssen und mich dem `Wirklich´ Problem stellen müssen. Warum musste ich meine Eltern auch davon überzeugen, dass Emma den Kunstkurs besuchen darf. Ach ja, weil sie meine Schwester ist und ich sie wirklich lieb habe. Aber hätte ich vorher gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich meine Eltern wahrscheinlich nie überredet. Allein wegen dieser Kleinigkeit, die Eltern umstimmen, sodass Emma jetzt doch zum Kunstkurs gehen darf, bedankt sie sich den ganzen Abend bei mir. Kurz nach dem Telefonat, beim Abendbrot, beim Fernsehen, sogar kurz bevor sie ins Bett geht. Wenn doch nur alle in diesem Haus so nett wären wie sie. Etwa um 23.00 Uhr schaffe ich es mich von der Couch zu erheben und mich auf den Weg in mein geliebtes Bett zu machen. Als ich oben mein Zimmer betrete fällt mir auf, dass ich eigentlich noch ein wenig lernen wollte, jedoch war es dafür jetzt ja auch ein klein wenig zu spät. Bevor ich mich ins Bett begebe, kippe ich noch das Fenster an und platziere meine Sachen unordentlich vor dem Bett. Ich hasse den Wecker. Ja genau, das kleine Ding das einen immer aus den Träumen reißt und die schöne Zeit im Bett beenden will. Warum gibt es auch solch frühe Lesungen, sodass man schon so früh am Morgen aufstehen muss? Viel zu lange liege ich noch in meinem Bett und lasse den Wecker piepen, denn jetzt habe ich mehr als fünf Minuten weniger Zeit zum duschen. Aber diesen Kompromiss gehe ich gerne ein, wenn es darum geht, noch länger im warmen Bett liegen bleiben zu können. Ich nehme mir eine schwarze Jeans, einen grauen Pulli und mache mich dann auf den Weg ins Bad. Es ist echt toll, sein eigenes Bad zu haben, denn so wird man nie genervt, dass man sich doch beeilen soll und so habe ich mehr Zeit zum duschen. Nach knapp 45 Minuten bin ich fertig im Bad. Ich frottiere nur noch schnell meine blonden, lockigen Haare und begebe mich dann zum Frühstück. Meine Eltern sitzen schon mit Emma am Frühstückstisch. Jürgen steht jedoch schon auf, nimmt sich seine Aktentasche und macht sich nach einem knappen „Bis heute Abend.“ auf den Weg zur Arbeit. So geht das fast jeden Tag, außer am Wochenende. Darüber bin ich eigentlich auch ganz froh, denn sonst müsste ich mich ständig mit sinnlosen Diskussionen auseinandersetzen. Ich setze mich neben meine Schwester und nehme mir die Tasse Tee, die schon für mich da steht. Meine sonstige Lebensfreude blüht immer erst im Verlauf des Tages auf. Was soll ich sagen, ich bin halt ein Morgenmuffel… Meine Schwester hingegen ist jetzt schon total gut drauf. „Emma, beeil dich.“ Warum alle am frühen Morgen schon so rumstressen müssen, ist mir ein Rätsel. Allzu viel Zeit habe ich zwar auch nicht mehr, aber warum sich denn gleich immer stressen? Meinen Tee trinke ich in aller Ruhe aus, bevor ich Emma und Christina tschüss sage, mir meine Tasche nehme und mich auf den Weg zur Uni mache. Was für ein Glück, dass die Uni nicht sehr weit weg ist und ich dort sogar zu Fuß hingehen kann, wenn das Wetter gut ist. Und genau das tue ich, solange es noch Herbst ist und es nicht wie aus Eimern schüttet. Es dauert zu Fuß keine 20 Minuten, bis ich an der Uni bin. Das Wetter scheint wieder einmal gut zu werden und alleine das lässt mich schon ein wenig aus meiner Morgenmuffelphase erwachen. Die Lesungen ziehen sich bis ins unendliche. Zumindest scheint es so. Ich sitze einfach nur da, schreibe mit, was mir als wichtig erscheint, aber eigentlich habe ich keine Ahnung was genau uns da erzählt wird. Wie schön es doch wäre, wenn der kleinwüchsige Mann da vorne endlich mal fertig wäre. Zwischenzeitlich male ich mir solch viele möglichen Szenarien von dem morgigen Tag aus, dass ich noch mehr Angst davor habe als zuvor. Wenn ich Glück habe, kann er sich überhaupt nicht an mich erinnern und wird möglichst auch auf kein Gespräch eingehen. Ich habe einfach im Gefühl, dass das morgen ja gar nicht gut gehen kann. Entweder werde ich so nervös sein, dass ich nur noch irgendeinen Stuss reden werde, oder ich werde erst gar kein Wort hervor bekommen. Vielleicht könnt ihr euch ja vorstellen, wie beschissen es ist, wenn man nicht weiß, was gerade mit einem los ist. Eigentlich möchte ich auf auch gar keine Antwort darauf haben, was mit mir los ist, denn dann würde ich mich bestimmt nicht besser fühlen. Vermutlich weiß ich die Antwort schon, möchte diese aber nicht wahrhaben. Es ist erstaunlich, wie gut ich mir Mut zureden kann. Dieses nicht – hinhören – mitschreiben – und – trotzdem – nicht – wissen – was – gesagt – wird, geht den ganzen Tag so, bis ich endlich nach Hause gehen kann. Mit Absicht lasse ich heute einen Besuch in dem Café aus. Als ich nach Hause komme, ist meine Schwester schon da und strahlt über das ganze Gesicht, als sie mich sieht. Wir scheinen die einzigen in dieser Familie zu sein, die sich besonders gut verstehen. Mein Vater ist fast den ganzen Tag arbeiten und meine Mutter eigentlich auch. Es ist erstaunlich, dass Emma mit sechs alleine von der Schule kommt, alleine die Hausaufgaben macht und sich, sofern sie nicht irgendwelche außerschulischen Tätigkeiten hat, sich fast den ganzen Tag alleine beschäftigt. Von der Alleinbeschäftigung gibt es zwar nicht viel, aber trotzdem. Sie ist erste Klasse und da kann man doch wohl erwarten, dass die Eltern sich ein wenig mehr um sie kümmert. Mir fällt jeden Tag aufs Neue ein Stein vom Herzen, wenn sie unbeschadete zu Hause angekommen ist. Den Rest des Tages bis zum Abendbrot verbringe ich damit, ihre Hausaufgaben zu kontrollieren und mit ihr zu spielen. Einer muss es ja tun und ich mache es dazu auch noch sehr gerne. Am meisten spielen wir Brettspiele, Fangen und Verstecken. Verstecken kann man sich in solch einem riesigen Haus wirklich gut. Ein wenig zu groß bin ich dafür schon und es dauert keine fünf Minuten bis sie mich findet, aber Emma dagegen hat es echt gut. Sie ist klein und kann sich überall verstecken. Bis man sie findet, könnte es oft eine halbe Stunde dauern, aber so lange hält sie es in einem Versteck dann doch nicht aus. Nach einem Wochenende an dem wir uns nicht sehen, ist solch ein schöner Nachmittag einfach nötig. Jedoch hält das auch nur, bis Jürgen und Christina auch da sind, denn ab da ist alles immer ein wenig angespannt. „Hast du deine Hausaufgaben fertig, Emma?“ endlich beginnt Christina eine Konversation aufzubauen, denn mehr als ein „Hallo“ gab es von meinen Eltern auch noch nicht wirklich und immerhin sitzen wir jetzt schon am Abendbrottisch. „Mhhmh.“ Und Emma nickt mit dem Kopf, wobei ihre blonden Locken ihr ins Gesicht fallen. Für ein Mädchen in ihrem Alter hat sie relativ kurze Haare, denn die meisten wollen doch wie eine Prinzessin sein und am besten noch ganz lange Haare haben. Dass sie keine ellenlangen Haare hat, war diesmal keine Entscheidung von meinen Eltern, sondern ihre eigene. „Und bei dir Phillip, ist auch alles in Ordnung?“ Meine Mutter interessiert sich zum Glück für Dinge wie Gefühle, Meinungen und solche Dinge halt, auch wenn sie manchmal etwas sehr bestimmend ist. Mein Vater dagegen ist eher… wie ein Stein. Ein Stein beschreibt ihn glaube ich sehr gut. Steine interessieren sich auch nicht für Meinungen oder Gefühle, genau wie Jürgen. Mein Vater, der Stein Jürgen. Ich weiß, es hört sich gemein an, aber es ist so. „Alles soweit in Ordnung.“ Dass das nicht stimmt, müssen sie ja nicht wissen. Genau so wie sie nicht wissen müssen, dass ich denke das ich schwul bin. Ups, jetzt habe ich doch tatsächlich angenommen, dass ich schwul sein könne. Das ist natürlich totaler Quatsch! Jedoch bringt mich das jetzt dazu, den ganzen Abend darüber nachzudenken, was wäre, wenn ich tatsächlich schwul bin. Für mich wäre eigentlich alles fast wie immer, außer dass ich dann mit Männern anstatt mit Frauen zusammen wäre. Das große Problem liegt jedoch bei meinen Eltern, eher bei dem Stein. Der hat nämlich eine total Abneigung gegen Schwule, er bezeichnet sie als abartig, unnormal und am besten weggesperrt. Schubladendenken ist doch was für Anfänger. Fortgeschrittene schauen sich Leute an, reden kurz mit ihnen und Urteilen dann falsch über sie. Profis hingegen sehen Menschen, denken sich etwas über diese Leute, lernen sie bei Bedarf kennen, urteilen sonst aber nicht schlecht über diese und vor allem nicht laut, sondern sagen erst dann etwas über diese Menschen, wenn sie sie kennen, aber auch dann nicht herablassend, so wie mein Vater. Ich erinnere mich, dass ich mich bereits am Vortag über Wecker beschwert habe und ich könnte es wieder tun. Als ich meinen Kopf zur Uhr drehe um sie auszuschalten, lasse ich sie doch glatt weiter Piepen, denn was noch viel schlimmer ist, als der Wecker jetzt, ist, dass heute Mittwoch ist und ich meine Schwester heute zum Kunstkurs bringen muss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)