Torn von Eruwen ================================================================================ Kapitel 18: Riss ---------------- Besorgt musterte Kakashi seinen Schüler, der ihn schon seit einer Minute mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. "Wie lange...", kam es schließlich doch leise von Sasuke und er senkte den Blick. Sämtliche Kraft hatte ihn verlassen. Es war schwer, die Panik, die in ihm wütete wie ein wildes Tier, zu unterdrücken. Daneben all die Emotionen, die von seinem Traum herrührten. Seinem verbotenen Traum. Es war einer derjenigen gewesen, die Sasuke sich schon vor so langer Zeit verboten hatte. Und regelmäßig konnte er sehen, was sein Unterbewusstsein davon hielt. Es ließ diese Gedanken nicht los. ER ließ diese Gedanken nicht los. Dabei musste er doch. Es war seine Pflicht. Er durfte nicht auch zum Verräter werden. Verräter waren Abschaum. Und ein Verräter war er, wenn er sich nach einem Verräter sehnte. Dem Verräter, der seine Familie getötet hatte. Dem Verräter, der seinen Bruder getötet und sich dessen Körper genommen hatte. Doch da war dieser Traum von seinem Bruder, der für ihn dagewesen war. Er hatte gegen die Angreifer in seiner Traumwelt gekämpft, die noch vor ein paar Stunden eine reale Bedrohung gewesen waren. Er hatte Sasuke gerettet. Und er hatte seinen Arm neu verbunden. Einen Arm, auf dem kein mahnender Schriftzug stand, weil da keiner stehen musste. Weil er immer noch seinen fürsorglichen Bruder hatte und keinen gefühllosen Killer. Doch dann hatte Itachi ihn traurig angesehen, ihm auf die Stirn getippt und war gegangen. Sasuke rief ihm stumm nach, er solle bleiben, denn er spürte wieder einmal deutlich, was ihm fehlte. Aber wie immer war er machtlos. Er saß auf der Stelle und konnte nur noch seine Hand ausstrecken, die ins Leere griff. Und dann war sein Clan aufgetaucht und sie hatten ihn gefragt, wie naiv er doch sei. Wie verlogen. Wie er nur leugnen konnte, was passiert war. Wie er nur fühlen konnte, was er fühlte. Wie er nur solche Gedanken haben konnte, wo er doch ihren Tod verschuldet hatte. Sie kamen näher und näher, bedrängten ihn mit einer stetig anschwellenden Flut von Fragen. Und dann hatte ihn eine Stimme gerufen. Er hatte sie kaum wahrgenommen, denn die Toten drängten weiter auf ihn ein. Er konnte schon ihre Hände spüren und wollte sie wegstoßen. Die Stimme wurde lauter und schließlich waren sie verscheucht. Und dann sah er seinem Sensei in die besorgten Augen. Wie kam der denn jetzt hier her? Als ihm Kakashi die Situation erklärt hatte, begriff er, was geschehen war. Etwas, das nicht geschehen durfte! Wenn Kakashi mitbekam, wovon er träumte, wäre alles verloren. Wie konnte er dann noch seine starke und vor allem gleichgültige Fassade aufrecht erhalten? Wie konnte er sich selbst noch ernst nehmen, wenn ihn jemand, zu dem er aufsah, nicht mehr ernst nahm? Das Bild von dem eiskalten Rächer, das er über all die Jahre so mühsam aufgebaut hatte, würde in tausend Scherben zerspringen. Und wenn er sich erstmal gezwungenermaßen geöffnet hatte, wie schwer würde es sein, sich wieder zu verschließen und sämtliche Emotionen zu leugnen? Könnte er seine eigenen Gefühle dann überhaupt noch leugnen? Ließ er aber Emotionen zu, würde er gegen Itachi verlieren. Er würde nicht den Hauch einer Chance haben. Und dann wäre die Rache für seinen Clan endgültig verloren, seine Pflicht unerfüllbar. Und das hieß ewige Schuld und Schande... "Wie lange ich schon hier bin? Lange genug, um mitbekommen zu haben, dass du schlecht geträumt hast. Träumst du immer noch von dem Clanmord?" Clanmord? Sasukes rasender Verstand kam zu einem abrupten Halt. Er wusste, dass er im Schlaf sprach, deshalb war er davon ausgegangen, sich verraten zu haben. Vielleicht hatte Kakashi aber gar nicht alles mitbekommen. Oder Sasuke hatte an den entscheidenden Stellen den Mund gehalten. Sehr gut. Das musste er ausnutzen. Er nahm sich einen kurzen Moment Zeit, um sich wenigstens etwas zu sammeln, indem er sich noch einmal bewusst machte, was alles auf dem Spiel stand. "Manchmal." Kakashi wusste, dass er dabei war, Sasuke wieder zu verlieren. Seine Augen hatten bereits einiges an Fassung zurückgewonnen. Er hätte ihn direkt zur Rede stellen sollen, aber er wollte den Uchiha nicht verschrecken. Er musste sein Vertrauen vollständig gewinnen, dann würde sich der Junge auch öffnen. Es war ein Prozess, bei dem man Geduld haben musste. Doch nun sah er an Sasukes Blick, aus dem mittlerweile sorgfältig ein Großteil der Emotionen verbannt war, dass er nicht mehr offen mit ihm reden würde. Aber der Junge hatte ihm zu leid getan. Er hatte so verzweifelt geklungen, so klein. Das war einfach ein zu krasser Gegensatz zu dem Verhalten, das er sonst an den Tag legte. Kakashi konnte damit, wenn er ehrlich war, nicht gut umgehen. War er doch selbst kein Meister der Gefühle. Doch eines wusste er: Es war schwer, Schmerz einzugestehen, vielleicht noch zu schwer für seinen Schüler. Und Sasuke hatte bereits mehr verraten, als er glaubte. Diese tiefe Panik in seinem Blick. Und jetzt diese Lüge. Das sagte mehr aus, als der Clanerbe ihm möglicherweise heute Nacht mit Worten hätte preisgeben können. "Das klingt jetzt vielleicht herzlos, aber hast du nicht früher auch schon davon geträumt?" Ein argwöhnischer Blick. "Warum fragen Sie?" Ablenkungsmanöver. "Weil du früher nicht so panisch warst, wenn ich dich geweckt habe. Ist es schlimmer geworden?" Naheliegende Frage. "Wie sollte es schlimmer werden? Es ist, wie es eben ist." Lüge. "Sasuke, wieso solltest du auf denselben Sachverhalt Jahre später wesentlich emotionaler reagieren, wenn es nicht schlimmer geworden ist?" Gnadenlose Logik. Verdammt. "Ich weiß nicht. Vielleicht, weil ich sonst direkt nach einem Kampf nicht schlafe. Das muss daran liegen, dass Sie uns in letzter Zeit keine Ruhe gegönnt haben." Ablenkung durch direkte Beschuldigung. Sehr gut. Jetzt eine Rechtfertigung und dann war das Thema vergessen. "Das liegt wohl eher daran, dass du dir keinen Schlaf gönnst. Liegt es an den Albträumen?" Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Ganz ruhig. Denk nach. Keine zu offensichtliche Lüge. "Nein." Offensichtliches Leugnen. Brillant. Wirklich brillant. Jetzt beruhig dich endlich, verflucht nochmal! Kakashi musterte seinen Schützling erneut und sah, was er wahrscheinlich nicht sehen sollte: den inneren Kampf eines Verzweifelten. Und langsam ahnte er auch, weshalb das so war. Hier ging es augenscheinlich um etwas, das an den Grundfesten von Sasukes Existenz rütteln konnte. Dementsprechend musste Kakashi vorsichtig vorgehen. Einen Schritt zu weit vorgewagt und Sasuke würde sich einigeln. Dann konnte er im besten Fall von vorne anfangen. Und diese Risiken, die ihm zugegebenermaßen Erfolg gebracht hatten, konnte er nicht ständig eingehen. Er konnte sein Team nicht ein weiteres Mal so in Gefahr bringen, jetzt, wo er endlich einen ersten Anhaltspunkt hatte. Und möglicherweise auch schon einen Ansatzpunkt, doch das wollte gut durchdacht sein. "Du wirst mir vermutlich nicht sagen, woran es sonst liegt." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Sasuke hatte ganz offensichtlich gelogen, um der Frage aus dem Weg zu gehen. Er würde sich keine zweite Lüge ausdenken, wenn ihm schon beim ersten Mal keine gute Antwort eingefallen war. Der Uchiha stand wirklich neben sich, obwohl er sich so um Fassung bemühte. Er schien gar nicht zu merken, dass er ohne zu blinzeln ins Leere starrte, wo er sonst immer mit den Leuten, die ihn ansprachen, Augenkontakt herstellte. Es war ein Zeichen seines Stolzes, seiner Stärke. Aber die schienen gerade wie weggefegt zu sein. Spurlos. Sein einziger Antrieb schien momentan Angst zu sein. Warum nur hatte er solche Angst? Er sprach doch mit keinem Feind. Er sprach mit seinem Sensei, der damals stolz darauf gewesen war, sich als eine Vertrauensperson Sasukes bezeichnen zu können, denn alle anderen hatte er rigoros abgeblockt. Ihn zwar auch, aber nicht so häufig. Nicht einmal Naruto hatte der Uchiha immer offen geantwortet. Nun saß er hier, offensichtlich panisch, und log ihm offen ins Gesicht. Was war ihm nur passiert? Kakashi würde ihm so gern helfen, denn es schmerzte, den Jungen so leiden zu sehen und noch dazu nicht einmal verstehen zu können, warum. "Ich habe es schon einmal gesagt. Manche Dinge gehen Außenstehende nichts an." Sasuke wusste sich nicht anders zu helfen. Kakashi war zu nahe, er musste ihn wegstoßen. Doch wider Erwarten verhärtete sich der Blick des Jounin, der vor ihm hockte, nicht. Im Gegenteil - Sasuke hatte wahrscheinlich noch nie einen so fürsorglichen Ausdruck in den Augen des sonst so leichtfertigen Ninjas gesehen. "Weißt du, du erinnerst mich an mich selbst, als ich jung war. Und obwohl ich nicht weiß, was dich quält, kann ich mir vorstellen, wie es dir geht. Es fühlt sich schrecklich an, im Stillen zu leiden. Und der Schmerz zwingt einen, die Personen wegzustoßen, die einem nahestehen, damit sie nichts davon bemerken. Damit sie einen nicht für schwach halten. Aber jeder darf mal einen schwachen Moment haben. Auch du." Sasuke schloss die Augen und stand auf. "Ich weiß nicht, von welchem Leid Sie sprechen. Es war nur ein Traum", sagte er und war dankbar dafür, dass er so oft blind trainiert hatte. So musste er die Augen auf dem Weg zu seinem Zelt nicht öffnen, sonst hätte Kakashi wohl im Schein des Feuers gesehen, dass sie verdächtig glänzten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)