Torn von Eruwen ================================================================================ Kapitel 28: Vertrauen II ------------------------ Sakura stand auf der Brücke, die stets als Treffpunkt von Team 7 gedient hatte, und dachte nach. Ob sie das Richtige tat? Eigentlich war sie sich sicher, aber sie wusste nicht, wie Sasuke reagieren würde. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie auf diese Idee gebracht und ihre beiden anderen Teammitglieder hatten begeistert zugestimmt. Gut, Naruto war begeistert gewesen. Kakashi hatte eher verhaltene Zuversicht gezeigt. Als Sasuke im Gefängnis abgestritten hatte, dass er sich Sorgen um sein Team machen würde und als sie die unendliche Erleichterung in seinen Augen sah, dass sie überhaupt eine Emotion hatte erkennen können, nachdem sie und Naruto ihm versichert hatten, dass sie ihm glaubten - das hatte sich wie früher angefühlt und Sakura wollte, dass es wieder so sein konnte wie früher. Dass sich Sasuke arglos im Dorf bewegen und sich seinem Team zugehörig fühlen konnte, auch wenn er oft so tat, als würde ihn das alles nicht interessieren. Ersteres würde wohl nicht mehr so leicht möglich sein, dafür hatte Sakura in den letzten Tagen einfach zu viele Reaktionen mitbekommen. Die Ältesten waren sowieso gegen Sasuke, aber auch die Hokage hatte sehr lange gebraucht, um ihm in diesem verzwickten Fall zu glauben und dafür hatten erst die neuesten Entwicklungen gesorgt, von denen Sakura selbst nichts wusste. Sie wusste nur, dass es irgendeinen Beweis für Sasukes Unschuld gab. Mehr hatte die Hokage ihr nicht verraten. Am schlimmsten war allerdings Neji. Er hielt keine offenen Schimpftiraden gegen Sasuke, nein, es war viel wirkungsvoller und subtiler. Jedesmal wenn das Thema Sasuke Uchiha angesprochen wurde, sagte er nicht viel dazu, ließ aber sein tiefes Misstrauen durchblicken und mahnte zur Vorsicht, was enorm ernsthaft und somit glaubwürdig wirkte, besonders wenn seine sonst stoischen Züge eine leichte Besorgnis erahnen ließen. Es war die Warnung vor einer Gefahr, die sich beständig wiederholte. Und die Quelle der Gefahr manifestierte sich so allmählich als Fakt in den Köpfen, denn stillschweigend wurde mit jedem weiteren Mal mehr von Nejis Sorge als die eigene angenommen, bis schließlich nicht mehr infrage gestellt wurde, ob es überhaupt eine Gefahrenquelle gab. Es war fast wie damals bei Naruto und Sakura schämte sich, dass auch sie zu den Menschen gehört hatte, die sich so einfach hatten beeinflussen lassen. Die Erwachsenen kannten die Geschichte von Naruto und hielten ihn für gefährlich. Diese Haltung hatte sich mit der Zeit auf ihre Kinder übertragen, obwohl niemand davon sprach, weil es der Hokage persönlich verboten hatte. Und so wurde ein unschuldiges Kind gemieden und ausgegrenzt. Oft hatte Sakura Naruto traurig auf einer Schaukel sitzen sehen, doch hatte sie nie mit ihm reden wollen, weil ihre Eltern ihn für schlecht hielten. Und was ihre Eltern für richtig befanden, das war auch richtig. Welches Kind würde anders denken? Nun war die Sachlage aber doch ein wenig anders. Hier ging es nicht um ein Kind. Hier ging es um einen jungen Mann und den erwarteten bei so einer ablehnenden Grundhaltung im Dorf schlimmere Dinge als nur Ausgrenzung. Denn Sasuke wurde so langsam als echte Bedrohung betrachtet. Man würde sich nicht einfach nur von ihm fernhalten, wenn das Misstrauen zu groß wurde. Und Neji machte das Ganze nicht besser, indem er Misstrauen säte und andere Leute dazu brachte, es ihm gleichzutun. Beispielsweise Kiba hatte er damit schon auf seine Seite gezogen, obwohl dieser Sasuke noch nicht einmal seit seiner Rückkehr begegnet war. Wenn Sakura ehrlich war, konnte sie ihm das aber auch nicht vorwerfen. Viele ihrer Altersstufe waren unsicher, wie sie sich verhalten sollten, denn die Fakten sprachen eindeutig gegen Sasuke. Dazu kam Sasukes Zeit bei Orochimaru, dem Mann, der seine Freunde hintergangen hatte. Dem Mann, dem niemand in Konoha mehr traute, der als höchstrangige Gefahr eingestuft worden war. Und eine ähnliche Woge des Misstrauens richtete sich nun gegen Sasuke und drohte, sich zu Wellen aufzutürmen, die irgendwann gegen ihr Hindernis preschen würden. Sakura wusste, dass Team 7 hier nur wenig unternehmen konnte, außer immer wieder die Wahrheit und ihr Vertrauen in Sasuke kundzutun, was sehr selten mit positiven Reaktionen belohnt wurde. Im Gegenteil... Genau deshalb wollte Sakura dem Uchiha wenigstens den zweiten Teil ihrer Traumvorstellung wieder ermöglichen: dass er sich seinem Team zugehörig fühlte. Dass er in diesem Dorf, das eigentlich seine Heimat war, wieder jemanden hatte, auf den er sich verlassen konnte. Also hatte sie vorgeschlagen, dass sie Sasuke zu Ichiraku zum Mittagessen einluden, damit sie ihm zeigen konnten, dass sie immer noch hinter ihm standen. Dass er nicht allein war. Eine kleine Geste, die hoffentlich eine positive Wirkung haben würde. Das war doch ein guter erster Schritt, dachte sie sich. Erstaunlicherweise hatte sich ausgerechnet Naruto dagegen ausgesprochen. Er meinte, es würde Sasuke nicht guttun, sofort mit der Dorfatmosphäre konfrontiert zu werden. Stattdessen hatte er vorgeschlagen, bei Sasuke zu Hause etwas für ihn zu kochen, damit er in seinem eigenen Haus erst einmal zur Ruhe kommen konnte. Das war umso erstaunlicher, da er Sakura vor einiger Zeit erzählt hatte, in welchem Ton ihm Sasuke verboten hatte, je wieder unerlaubt sein Haus zu betreten. Wenn man näher darüber nachdachte, war Narutos Vorschlag keine wirkliche Überraschung. Dadurch dass er selbst einmal so ähnlich wie Sasuke jetzt behandelt worden war, konnte er nachvollziehen, wie dieser sich wohl fühlen würde. Umso überraschender war Kakashis spontane Zustimmung. Er hatte so ausgesehen, als würde er sich bei dieser ganzen Aktion etwas denken, also ging es wohl in Ordnung. Sakura versuchte, sich nicht auf die Zweifel, sondern ihre Vorfreude zu konzentrieren. Nun stand sie also hier und wartete auf ihre beiden Teamkameraden, die bereits seit geschlagenen zwanzig Minuten auf sich warten ließen. Bei Kakashi war das ja normal, aber Naruto? So sehr verspätete der sich doch nie. Endlich sah sie ihn mit einem riesigen Korb im Schlepptau heraneilen. "Entschuldige, Sakura-chan, ich hab noch ein paar Zutaten besorgt. Sasuke isst doch eher so Gemüsezeug, oder?" Sakura nickte lächelnd. Naruto konnte ja richtig aufmerksam sein. "Du kannst ja richtig aufmerksam sein, wenn du willst", sprach Kakashi hinter ihm Sakuras Gedanken aus. Naruto sah ihn verärgert an. "Ich bin immer aufmerksam, echt jetzt." Seine beiden Teamkameraden zogen es vor, zu schweigen und amüsiert dreinzublicken. Die Stimmung blieb gehoben, bis sie die Haustür des Uchihas erreichten und Kakashi feststellte, dass sie noch genauso angelehnt war, wie er sie gestern zurückgelassen hatte. Sasuke achtete sonst sehr darauf, dass die Tür mindestens geschlossen war. Eigentlich war es sogar normal, dass ein paar Fallen den Eingang schützten. Bei einem seiner nächtlichen Besuche hatte Kakashi sogar eine Falle von einem Fenster entfernen müssen. Sasuke musste wirklich sehr müde gewesen sein – oder zu abgelenkt, wenn er solche vermeintlichen Gefahrenquellen zuließ. Denn genau das war eine offene Tür in diesem Dorf, zumindest für Sasuke. Sonst würde er nicht sämtliche Eingänge mit Fallen schützen. Und die jetzige Situation würde Sasukes Einstellung auch nicht besser machen. Mit einem leicht beklommenen Gefühl griff Kakashi nach der Tür. "Wieso ist denn die Tür offen?", fragte Naruto skeptisch. Auch er war einen anderen Anblick gewohnt. Außerdem erinnerte er sich noch gut an seinen ersten Besuch nach Sasukes Rückkehr. Das würde er ihm noch heimzahlen, wenn alles wieder so war wie früher. "Ich war gestern noch mal kurz bei Sasuke und hab bestimmt vergessen, sie zuzumachen", sagte Kakashi und legte sich schon vorsichtige Worte zurecht, mit denen er den beiden gleich die durchwühlte Wohnung erklären würde und warum der sonst so ordentliche Uchiha diese nicht wieder in Schuss gebracht hatte. Kaum war die Tür ausreichend offen, stürmte Naruto zielsicher Richtung Küche. Sakura und Kakashi folgten ihm und letzterer bemerkte umgehend, dass die Wohnung sich wieder im Ursprungszustand befand. Wie lange hatte Sasuke denn gestern noch aufgeräumt? Und das in seiner Verfassung... Dem Jounin war klar gewesen, dass Sasuke die Hausdurchsuchung ganz und gar nicht passen würde, aber dass sie ihm so nahe ging, dass er so besessen davon war, dass er selbst seine extreme Müdigkeit ignorierte, war bemerkenswert. Der Junge hatte gestern ausgesehen, als würde er gleich im Stehen einschlafen. Doch Kakashi hätte es sich eigentlich denken können, zu deutlich war ihm Sasukes völlig unverfälschte Reaktion noch vor Augen. Wie er entsetzt die Augen aufgerissen und dann begriffen hatte. Er hatte ausgesehen, als hätte er irgendetwas verloren. Dieses gesenkte Haupt. Die Geste eines Geschlagenen. Jetzt erst bemerkte Kakashi, dass er Sasukes Chakra in der oberen Etage spüren konnte. Er musste noch schlafen, sonst hätte er es mit Sicherheit verborgen, auch wenn er in diesem Viertel hier ganz allein war. Aber da war auch noch ein anderes Chakra, ein wesentlich schwächeres. "Sensei, halten Sie das wirklich für eine gute Idee?", meinte Sakura zögerlich. "Ich glaube, er schläft noch und er wird es sicher nicht gutheißen, wenn wir ohne seine Erlaubnis in seinem Haus sind." "Keine Sorge, Sakura, ich glaube, wenn er aufwacht und ein leckeres Mittagessen vorfindet, wird er uns verzeihen. Schließlich ist der Gefängnisfraß furchtbar und allzu viel bekommt man da auch nicht." Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber das musste vorerst reichen. Kakashi war sich sicher, dass Sasuke absolut nicht begeistert davon sein würde, gleich drei Leute unerlaubt in seinem Haus zu haben, dennoch war er gespannt, wie sein Schüler sich verhalten würde, wenn er sich erst einmal beruhigt hatte. Kakashi konnte nämlich nicht mehr wirklich glauben, dass Sasuke sie alle umgehend nach Hause schicken würde, wie er es bei seinem Sensei schon einige Male erbarmungslos getan hatte. Kakashi wollte einfach sehen, wie sehr er Team 7 nach all diesen Erlebnissen an sich heranließ. Da konnte eine kleine Schocktherapie womöglich nicht schaden. Außerdem brauchte Sasuke mal wieder eine ordentlich Mahlzeit. Deren Zubereitung war mittlerweile in vollem Gange und allmählich breitete sich ein wohliger Geruch in der Küche aus. "Also, wenn er von dem Duft nicht wach wird, weiß ich auch nicht, echt jetzt." Sie hatten sich darauf geeinigt, ihn erst zu wecken, wenn das Essen fast fertig war. "Sag bloß, du wirst zum Gemüseliebhaber, Naruto", feixte Sakura, als ein dumpfes Poltern aus der oberen Etage zu hören war. Die drei schauten sich an. "Ich geh schon, ihr passt weiter auf das Essen auf", sagte Kakashi schnell, denn er konnte sich schon denken, was passiert war. Als er schließlich in Sasukes Zimmer trat - die Tür war aus unerfindlichen Gründen sperrangelweit offen - sah er seine Ahnung sofort bestätigt. Sasuke saß in den Sachen vom Vortag neben seinem Bett auf dem Boden, die Hand in sein Oberteil gekrallt und versuchte, seine viel zu schnelle Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Sein Sharingan hatte er wohl unbewusst aktiviert, denn er starrte einfach nur ziellos auf den Boden vor sich. Als Kakashi näher kam, sah er, dass Sasuke völlig durchgeschwitzt war. Das und ein roter Fleck seitlich auf seiner Stirn in Kombination mit den völlig zerwühlten Laken ließ an sich nur einen Schluss zu: Sasuke hatte sich so sehr herumgewälzt, dass er aus dem Bett gefallen war. Kakashi warf Kibou, der auf dem Fensterbrett saß, einen fragenden Blick zu, doch dieser hatte nur Augen für seinen Meister. Der Jounin fragte sich kurz, warum der Falke nichts sagte, wandte sich dann aber seinem Schüler zu. "Sasuke?", fragte Kakashi vorsichtig, doch er schien nicht gehört zu werden. „Das hat keinen Sinn“, murmelte Kibou traurig. „Auf eine andere Stimme allein wird er jetzt nicht hören. Dafür sind die anderen noch zu laut.“ Wieder einmal fragte sich Kakashi, wie viel dieser vertraute Geist über Sasuke wusste, wie viel Vertrauen ihm sein Meister entgegenbrachte. Er beschloss, den Falken später zu fragen, wen er mit „die anderen“ meinte und hockte sich langsam, um seinen Schüler nicht zu erschrecken, neben diesen und rüttelte ihn leicht am Arm. Ein heftiges Zusammenzucken durchfuhr den von Atemstößen bebenden Körper und er ruckte zurück. Sasukes Kopf schnappte nach oben. Das Sharingan erlosch, als er sein Gegenüber nach ein paar Mal blinzeln erkannte. "Sen-...Sensei? Was machen Sie hier?" krächzte Sasuke. Ihm wurde mit einem Schlag bewusst, dass er gestern vergessen hatte, etwas zu trinken. Und das rächte sich jetzt. Kakashi musste trotz der Situation grinsen. Jedesmal dasselbe. "Viel wichtiger ist doch, was hier passiert ist", antwortete Kakashi, ohne eine wirkliche Antwort zu geben. Sein Grinsen war schnell ein paar Sorgenfalten gewichen. Sasuke runzelte die Stirn und warf Kibou einen fragenden Blick zu. Dieser schüttelte den Kopf. Sasuke nickte daraufhin und der Falke verschwand. "Albtraum... Ist ja nicht...das erste Mal, wieso fragen Sie also?", meinte Sasuke langsam und von ein paar Schluckversuchen unterbrochen. Er schien sich auf jedes Wort konzentrieren zu müssen. Es war wirklich jedesmal dasselbe. Sasuke würde wohl nie eine solche Frage bedenkenlos beantworten, ohne den Versuch zu unternehmen, auszuweichen oder mit einer Gegenfrage zurückzufeuern. "Ja, aber es ist das erste Mal, dass ich dich danach völlig außer dir neben deinem Bett fast hyperventilieren sehe." Okay, das war etwas übertrieben, aber der Uchiha musste begreifen, dass sich Kakashi nur Sorgen machte und ihn nicht aushorchen wollte. Das schien in diesem Moment wohl auch zu passieren. "Das war ein Traum, den ich...nur selten habe", meinte er knapp und brach in starkes Husten aus. Dieses ganze hektische Atmen hatte seinen Hals zu sehr gereizt, doch eine beruhigende Flüssigkeit war jetzt seine geringste Sorge. Dieser Traum... Für Kakashi war diese kleine Äußerung schon viel. Damit gab Sasuke zu, dass er nicht nur von dem Massaker träumte, sondern ihn noch andere Dinge quälten. Trotzdem und trotz der Anstrengung, die ihn das hustenfreie Sprechen kosten musste, gab sich Sasuke alle Mühe, möglichst schnell wieder vom Thema abzulenken. "Und was wollen...Naruto und...Sakura auch hier?" Der Uchiha hatte sich also so weit gefasst, dass er die beiden vertrauten Chakraquellen in der Küche wahrgenommen hatte. "Naja, wir haben gedacht, wir kochen etwas Anständiges und essen dann mit dir zusammen. Das wird dir nach dem Gefängnisfraß und der langen Isolation sicher guttun. Und jetzt solltest du erstmal etwas trinken. Du hörst dich schlimmer an als gestern." Sasuke meinte, die wahre Absicht hinter dieser Aktion zu erkennen und sein Blick wurde ein bisschen weicher. Sicher waren sie einfach in sein Haus gekommen und früher hätte ihn das einfach nur maßlos aufgeregt, doch nach all dem Erlebten der vergangenen Wochen, war er dankbar dafür, auch wenn es ihm immer noch einen Stich versetzte, jemand anderen im Haus zu haben. Aber sie taten es, weil sie sich um ihn sorgten und das war ein so gutes Gefühl, dass es die negativen Aspekte in den Hintergrund rücken ließ. "Wie lange seid ihr schon hier?" Kakashi ahnte, worauf die Frage wirklich abzielte und er nahm sich vor, Sasuke wenigstens indirekt zu beruhigen. "Schon eine Weile. Hätten wir dein Chakra nicht wahrgenommen, hätten wir gedacht, dass du gar nicht da bist, bei der Totenstille hier." Sasuke schaute Kakashi prüfend an. Eine sehr plumpe Formulierung. Wusste Kakashi, was er wirklich wissen wollte? Wieso sonst hatte er ihm fast direkt auf die implizierte Frage geantwortet, nämlich, ob er im Schlaf gesprochen oder geschrien und somit irgendetwas verraten hatte. Aber der Jounin ließ ihm keine Zeit zu überlegen. Er stand auf, legte Sasuke erneut seine Hand auf die Schulter und erschrak selbst ein wenig, als er spürte, wie sehr sich der Junge unter dieser einfachen Berührung verkrampfte. Er war aber auch beruhigt, zu sehen, dass sein Schüler dennoch nicht zurückwich. "Am besten, du duschst erstmal, das klärt die Gedanken. Ich schaue inzwischen nach, wie weit Sakura und Naruto sind." Sasuke nickte nur leicht, blieb aber sitzen, dankbar dafür, dass ihm Kakashi eine Ausrede für eine etwas längere Abwesenheit auf dem Silbertablett präsentierte. Dieser ging unterdessen zurück in die Küche und schaute in zwei besorgte Gesichter. "Was ist passiert, Sensei?", fragte Sakura, kaum dass er die Küche betreten hatte. "Sasuke ist aus dem Bett gefallen. Erwähnt es aber nicht, das ist ihm bestimmt peinlich." Kakashi hoffte, dass die zwei den Köder schlucken würden, so würde Sasuke nicht in Erklärungsnot geraten. Seine beiden Schüler schauten ihn skeptisch an, erwiderten aber nichts. Sie widmeten sich lieber wieder dem Essen. Etwas später stieß der einzige Bewohner des Hauses zu ihnen. Die noch feuchten Haare hingen ihm ein wenig mehr ins Gesicht als sonst. Als er an Naruto vorbeiging, spürte dieser die Kälte, die von dem Uchiha ausging. "Sag bloß, du duschst eiskalt?", fragte der Blondschopf ungläubig. Bei näherem Hinsehen war auch eine deutliche Gänsehaut auf Sasukes Haut erkennbar. Er sah Naruto fragend an. "Warum nicht?", fragte der Uchiha mit deutlich kräftigerer Stimme. "Das ist doch total ungemütlich!" "Es macht wach", sagte Sasuke und versuchte, seinen Blick zu heben, der seit seinem Erwachen wie besessen am Boden klebte. Und wach werden musste er. War er doch immer noch in seinem Traum gefangen und konnte ihn beim besten Willen nicht loslassen. Er träumte nur selten von der Zeit bei Orochimaru, aber wenn, dann schien sich sein Verstand die schlimmsten Situationen auszusuchen und diese weiter auszuschmücken. Und Szenarien zu entwerfen, vor denen Sasuke sich noch immer fürchtete. Eigentlich, wenn er ehrlich war, sogar mehr denn je. Um sich abzulenken, zwang Sasuke sich, seinen Blick über die ungewohnte Szene schweifen zu lassen, die sich ihm bot. Sein Team war in seiner Küche und kochte für ihn. Naja, genauer gesagt kochte Sakura und die anderen beiden sahen zu. Mit einem erneuten Stich sah er, wie die Kunoichi den Platz beanspruchte, der früher ausschließlich seiner Mutter zugestanden hatte. Nur er hatte notgedrungen auch schon da gestanden und gekocht. Kakashi saß da, wo sein Vater immer gesessen hatte. Und nur er. Sasuke hatte es nie gewagt, sich dorthin zu setzen, wo sonst nur das Familienoberhaupt saß. Tja, und Naruto lehnte gerade genauso an der Arbeitsfläche, wie es Itachi immer getan hatte, wenn er mit seinem kleinen Bruder einen Tee getrunken hatte. Was wollte ihm das Schicksal damit sagen? Sollte er endlich loslassen und diese drei hier als Ersatz für seine verlorene Familie betrachten? Es gab doch gar keinen Ersatz für seine Familie. Auch wenn sein Team sich so bemühte, und er war ihnen wirklich dankbar dafür, sie konnten niemals eine Familie für ihn sein. Das Bild, das sich ihm bot, es war voller Hohn. Er war nach wie vor allein, auch wenn er sein Team hatte. Dieses Loch in seinem Herzen, das würde nie jemand füllen können. Wie hatte er auch nur eine Sekunde daran denken können? Gerade eben noch hatte er sich darüber gefreut, dass sie da waren, wie konnte ihn das jetzt so stören? Er sollte dankbar sein, dass er jemanden hatte, der für ihn da war. Mit gerunzelter Stirn drehte er sich um und verließ die Küche, ohne die fragenden Blicke auf sich zu spüren. Das war eindeutig nicht sein Tag. Er war bereits emotional angekratzt und mochte es auch noch so albern für einen Außenstehenden scheinen, es fiel ihm unendlich schwer, andere Menschen außer seiner Familie in diesem Haus zu dulden. Damit verschwand die vertraute Atmosphäre völlig, die in diesem Haus einst geherrscht hatte, die gestern bereits einen kräftigen Schlag bekommen hatte und die eigentlich nur noch in Sasukes Kopf existierte. Und genau das musste er sich jetzt klar machen, sonst würde er dieses eigentlich völlig harmlose Mittagessen nicht überstehen. Warum war es so schwer, eine solch normale Situation hinzunehmen? Warum tat es so weh, eine alltägliche Situation in seinem Haus zu erleben, an der nicht seine Familie, sondern andere Menschen teilnahmen? Er setzte sich auf sein Bett und nahm den abgegriffenen Bilderrahmen, der auf seinem Nachttisch stand. Es schmerzte, beim Aufstehen jedesmal in die geliebten Gesichter zu blicken, denn immer, wenn er aufwachte und sich aus den Fängen eines Albtraums befreit hatte, gab es diesen winzigen Moment, in dem sein Bewusstsein langsam zurück in die Realität fand. Der Moment, in dem er dachte, dass alles nur ein Traum war und seine Familie bereits unten auf ihn wartete. Und jedesmal fühlte er wieder den geballten Schmerz, den er kurz nach dem Massaker gespürt hatte, wenn er dann wieder gänzlich in die Realität zurückgefunden hatte. Eine Realität ohne Familie. Er sah sein Foto an, das noch von einer ganz anderen Realität zeugte. Es war das einzige Familienfoto, das sie je gemacht hatten und Sasuke war unendlich dankbar dafür, dass es wenigstens dieses eine gab. "Wäre es Verrat?" Er wusste, es war albern mit einem Bild zu sprechen und von ihm eine Absolution zu wollen, aber er musste sich darüber im Klaren werden. Konnte er sein Team hier einfach so dulden? Es war das Haus seiner Familie und ihr Platz in seinem Herzen. Und da wurde ihm klar, dass das eigentlich Blödsinn war. Es war das Haus seiner Familie und das würde es auch bleiben, egal, wer hier ein und aus ging. Es waren seine Erinnerungen, die dieses Haus besonders für ihn machten und die würden nicht verschwinden, nur weil neue mit anderen Menschen dazukamen. In seinen Erinnerungen würde er seiner Familie immer nah sein. Sie würden nicht verdrängt werden. In seinem Herzen gab es doch Platz für mehrere Personen. Und die mussten nicht konkurrieren. Er sollte aus den jüngsten Geschehnissen lernen. Es war nicht selbstverständlich, dass sein Team jetzt für ihn da war. Sie waren hier in der Gegenwart bei ihm. Sie meinten es ernst. Sie glaubten ihm. Das sollte er zu schätzen wissen. Er musste nur darauf achten, dass er sich nicht zu sehr auf sie einließ. Sie durften nicht zu einer weiteren Schwäche werden. Das war doch das wesentlich dringlichere Problem. Und vielleicht, nur vielleicht, konnten sie einen Teil der schändlichen Sehnsucht ersticken, die sein Herz nicht loslassen konnte und sein Kopf ihm verbot. Er atmete noch einmal tief durch und stellte das Foto zurück an seinen angestammten Platz. Dann ging er zurück in die Küche und sog erneut die Szene in sich auf. Wieder einmal vermischte sich die Vergangenheit mit der Gegenwart, doch diesmal war es ein heilsamer Prozess. Sakura stand zwar am Platz seiner Mutter, aber sie hantierte wesentlich unbeholfener mit dem Essen. Kakashi saß nicht aufrecht und ehrerbietend am Tisch wie sein Vater, nein, er hatte sich krumm wie ein Fragezeichen an den Tisch gelümmelt und sah mehr denn je wie ein Schüler aus. Und Naruto hatte eben auch seine ganz eigene Art, dazustehen. Sie waren Individuen und unabhängig von seiner Familie. Sie würden sie nicht verdrängen. Fast schon schämte er sich, wie lange er für diese Erkenntnis gebraucht hatte. Er lächelte leicht, als ihm erneut klar wurde, dass sie das alles hier nur für ihn taten. Konnten sie nicht auch so etwas wie eine Familie für ihn sein? Nicht seine Familie, aber etwas Vergleichbares? So etwas wie...Freunde? Diese Gedanken waren immer noch schwierig für Sasuke. Er hatte sich nie mit dem Konzept der Freundschaft auseinandergesetzt. Bevor er zu Orochimaru gegangen war, hatte er Kakashi als Sensei betrachtet, Naruto erst als Nervensäge und dann als Konkurrenten und Sakura als notwendiges Übel, das sie als obligatorischer Bestandteil seines Teams für ihn darstellte. Er hatte sie stets nur aus Pflichtgefühl unterstützt. Denn es war die Pflicht eines Ninjas, seinen Teammitgliedern zu helfen. Dieses Gefühl hatte sich geändert. Er war jetzt mehr um das Wohl seines Teams besorgt. Und er war sich sicher, dass eben dieses Team nicht nur hier war, weil sie sich dazu verpflichtet fühlten, Sasuke zu helfen. Nein, sie sahen mehr in ihm als einfach nur einen Mitninja. Und er fing an, das allmählich zu begreifen. Das und alle daraus resultierenden Konsequenzen. "Danke", sagte er leise und zog die Blicke seines Teams auf sich. Sakura strahlte ihn an und selbst Kakashi und Naruto lächelten einfach nur und sagten nichts. Kakashi war mit der Entwicklung hochzufrieden. Gestern hatte er sich noch gefragt, ob der Vorschlag von Naruto und Sakura wirklich so eine gute Idee war. Als Sasuke derart niedergeschlagen auf die Hausdurchsuchung reagiert hatte, war ihm klar geworden, dass dieses Haus so etwas wie heilige Hallen für den letzten Uchiha Konohas war. Würde er "Eindringlinge" da überhaupt dulden? Doch genau wegen dieser Frage hatte er sich entschlossen, dieses Vorhaben umzusetzen. Er würde sehen, wo Team 7 bei Sasuke stand und vor allem, wie er zu ihnen stand. Und wie es aussah, bemühte er sich sehr darum, sie hier zu akzeptieren, obwohl es ihm sichtlich schwer fiel. Er sah sie als Freunde und das war gut. Es wurde höchste Zeit, dass er einsah, dass er nicht ganz allein war und dass sein Team ihn nie verraten würde... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)