Schneestürme aus der Hölle von Inzestprodukt (ehemals 'Sie können dich zerbrechen') ================================================================================ Kapitel 3: Einer gegen alle --------------------------- „… mir gar nichts zu sagen, damit das mal klar ist!“ „Ich sag doch nur, dass du…“ „…scheißegal! Mäßige deinen Tonfall!“ „Das sagt der Richtige! Ich kann den Dreck förmlich von dir abziehen, ich mein es doch nur gut!“ Es krachte, dann fuhr sich der Blonde mit den Fingern durch das Haar. Natürlich hatte er Michael nicht in eine Wanne bewegen können, das wäre zu viel für eigentlich alles, an was Raphael glaubte und auf was er vertraute; ein munter planschender Feuerengel? Wohl kaum. Trotzdem würde er nicht mehr lange um einen Pilzbefall herumkommen, wenn es so weiter ging. Oder Schlimmeres, aber das wollte er sich gar nicht vorstellen und so fischte sich der Heiler eine Zigarette aus seiner Schachtel und tastete an sich her, verzog dann das Gesicht. „Kein Feuer“, murrte er und fragte sich, wie groß seine Sorge um eben dieses Element eigentlich noch werden könnte. Oder um dessen Schutzpatron, dieser ließ ihn auffallend wenig an sich heran. Dennoch war das Loch in der Wand nun wirklich nicht nötig gewesen, immerhin stand das Fenster auf… Natürlich war Michael selbst selten wirklich zugänglich, er hatte nun einmal diesen verdammten Dickschädel und brach förmlich mit dem Kopf durch die Wand. Mit einer einzigen Gefühlsregung brachte er ganze Flächen zum Einsturz und trotz oftmals offenbarter Wut oder eben Trauer, aus der aber besagte Wut oftmals resultierte, konnte er nicht sagen, wie der Rothaarige eigentlich wirklich tickte. Gnadenlos ehrlich und von allen unterschätzt fuhr es Raphael durch den Kopf, als er sich an die Liege lehnte, auf welcher Michael vorhin noch gesessen und seine dreckigen Füße präsentiert hatte. Einen rothaarigen Zwerg hatte man ihn genannt, immer wieder. Laut, ungehobelt, in seinen kognitiven Fähigkeiten weit eingeschränkt. Leicht zu ersetzen, austauschbar, der Rebell des Himmels. Das ist er zweifellos fuhr Raphael stumm fort und zog mit den Lippen an seiner Zigarette, die mit Hilfe eines noch gefundenen, einsamen Streichholzes entfacht worden war, schloss die Augen. Aber er ist nicht dumm… Wenn jemand die verdrehte Politik des Himmels verstand, dann er. Vermutlich nicht in allen Einzelheiten, aber er wusste genug, um eine Menge Chaos zu stiften, wenn er es tatsächlich darauf anlegen würde. Schon zu Kindertagen war es so gewesen und Raphael verzog das Gesicht, wenn er an diese schreckliche Zeit dachte. Jibril, wohlerzogen und geduldig. Schon im Körper des kleinen Engelsmädchens ließ sich erahnen, dass sie einmal eine wahre Augenweide werden würde. Uriel, immer etwas größer und verschlossener als die anderen, aber tief im Inneren brodelte etwas. Da ähneln sie sich, Erde und Feuer dachte Raphael amüsiert und zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette, bemerkte nicht die Asche, die ihm auf die Brust gefallen war. Er selbst war schon damals sehr intelligent, war den anderen stets etwas voraus, begegnete den meisten Erwachsenen mit einem verblüffend reifen Verhalten. Dann war da eben noch Michael, zu früheren Zeiten noch nicht ersichtlich, dass er einmal in einem zu kurz geratenem Körper enden würde. Er ändert sich nicht, seit seiner Geburt ist er der Selbe erinnerte sich der Heiler an seine eigenen Worte und nickte für sich selbst. Laut, ungehobelt, regelrecht frech. Immer schon hatte er Spaß am Zerstören; und wenn es nur Mobiliar war. Zudem war seine kurze Leitung eine scheinbar aussichtslose Veranlagung, denn ärgern ließ er sich nie und wo er seine Kräfte noch nicht unter Kontrolle hatte, hatte dies meist verheerende Auswirkungen, die es anschließend zu beheben galt; nebst schweren Brandverletzungen. Ach, da war ja noch einer… Luzifer – damals Luzifel – hatte schließlich ebenfalls Michaels Alter und hatte die erste Zeit mit ihnen zusammen verbracht; war es auch nur im Sinne des Unterrichts, doch schon bald wurde es dem blassen, eigenartigen Jungen zu langweilig und er erhielt gesonderte Lehrstunden. Was sie ihm allerdings beigebracht haben, wusste Raphael nicht und seufzte, schüttelte dann erschrocken seine Hand, als die Glut ihn erreicht hatte. Vermutlich hatten sie sein Potenzial bereits viel früher entdeckt und einen individuellen Plan erstellt, der aus dem hellsten Stern unter ihnen schließlich den Teufel persönlich erschaffen hatte. „Aber dich hat es gestört, nicht wahr? Irgendwann wurde es dir zu viel… das Lob für ihn, die Anerkennung… sein wachsender Status und auch Körper, wohingegen du…“ Ein schweres, beinahe schon enttäuschtes Aufseufzen verließ den Engel des Windes, welcher die Hände auf dem Fenstersims abstützte und in den Himmel blickte. Ob er auch so geworden wäre an Michaels Stelle? So voller Abscheu und Hass? Seinem ‚großen Bruder‘ doch viel ähnlicher, als er es sich je eingestehen würde? Denn leugnen konnte man dies sicherlich nicht: Die beiden verband ihr Blut zueinander und eine Art Abhängigkeit, die keiner von ihnen jemals zugeben würde, da war Raphael sich sicher. Hierbei sah er von Äußerlichkeiten ab, denn ähnliche Gesichtszüge hatten sie schlichtweg nicht; schon als Kinder nicht, Luzifel hatte stets markantere Züge vorzuweisen als Michael mit seinem ‚Babyface‘, was ja auch heute noch deutlich sichtbar war. „Wobei… eure Augen sehen sich schon ähnlich… und ihr habt die gleiche Nase…“, lächelte der Blonde und ließ einen sanften Lufthauch durch seine Haare gleiten. Das Paradoxe war nur, dass ihre Augen unterschiedlicher nicht hätten sein können. Und doch bemerkte man die Ähnlichkeit, wenn man es wusste. Luzifers kalte, graue Augen und von jeglichen Emotionen verschont waren nicht wie Michaels, denn im Gegenzug zu seinem gefallenen Bruder besaß der Engel des Feuers einen gänzlich anderen Farbton; geschmolzenes Gold. Manche mochten sie als gelb empfinden, doch Raphael wusste es besser. Und doch war dort diese nicht zu leugnende Ähnlichkeit: Härte. Beide Brüder besaßen einen undurchdringbaren Punkt, eine verletzliche Stelle, die niemals jemand berühren würde, denn um sie hatte sich eine Hülle aus Hass, Angst und Einsamkeit gefressen. Der Heiler nickte sich selbst zu; er hatte oft versucht, diese Schale zu knacken, doch es hatte meist nur in sehr viel Schmerz – für ihn selbst – geendet und inzwischen bot er sich schlichtweg als schweigende Stütze für die Wutausbrüche des Rotschopfes an. Dennoch… seit Luzifer zurückgekehrt war, verhielt Michael sich anders. Das ist Unmöglich. Er ändert sich nie. Und trotzdem war der Fürst der Hölle derjenige, der ihn umkrempeln könnte; ihn wegnehmen. „Das wird er aber nicht schaffen“, murrte der Arzt, richtete sich wieder auf, als hinter ihm Schritte ertönten. „Raphael-Sama?“ Er schaute sich um, erblickte die junge Frau, zu der die schüchterne Stimme gehörte. Ein kurzer, in seiner Routine gefangener Blick über ihren Körper: Schlank, zierlich, kleine Brüste, kurze Beine. An ihrem Gesicht kam er zum Schluss an, sah dort auf Anhieb einen Schönheitsfleck auf der Wange, erst dann ihre wässrig blauen Augen. Die Lippen verzog sie zu einem zittrigen Lächeln, kleine Hautfetzen hingen dort. Kaut sie auf den Lippen herum? Langsam ging der Angesprochene auf sie zu, lächelte freundlich; neue Schwesternschülerinnen fühlten sich schnell von ihm eingeschüchtert; ihm, den großen Heiler. Dabei bin ich echt ein feiger Hund. Und ein Schwein dazu gestand er sich selbst ein, blieb mit etwas Abstand vor ihr stehen. Das mausbraune Haar passte zum Rest ihres Auftretens, auch das an sich gepresste Klemmbrett. „Ja?“, antwortete er dann endlich auf ihr direktes Ansprechen und erntete sich errötende Wangen. Schrecklich, ich hasse diese Naivität… Mit beiden Händen reichte sie ihm ihre einzige Schutzmöglichkeit – das Klemmbrett – und nahm noch einen Schritt Abstand zu ihm ein. Mit einem prüfenden Blick überflog er die Informationen, ließ dann den Papierkram sinken. „Wie heißt du?“ --------------------------------- „Dreckskerl!“ Fluchend trat Michael gegen die Ablage neben seiner Badewanne, auf der sich vor kurzem noch ein Stück weiße Seife befunden hatte. Dass diese nun von braunen Schlieren durchzogen war, ließ den banalen Schluss zu, dass er gerade badete. Zumindest hatte er sich ins Wasser begeben und nicht aus Trotz noch eine weitere Portion Dreck auf seine Haut geschaufelt. Es wäre auch alles weniger dramatisch, wenn es nicht auf diese Art und Weise hätte passieren müssen; mit dieser überheblichen Masche Raphaels. Dass dieser leider vollkommen richtig lag, machte die Sache wirklich nicht besser. Das dreckige Wasser ließ er zwei Mal ab, ehe er sich selbst als sauber erachtete; diesen Zustand konnte er immerhin sehr wohl erkennen und von wegen Pilzbefall, seinem Körper ging es ganz wunderbar. Bis auf die Sache mit dem Fuß aber das war schon fast lächerlich unwichtig, immerhin hatte Michael schon schlimmere Verletzungen sein Eigen nennen können. Nicht, dass ihn das Stolz machte – im Gegenteil. Er als Engel des Krieges empfand es schon beinahe demütigend, wenn sein Körper sich nicht ausreichend gegen Angriffe zur Wehr setzen konnte und Blessuren mit sich zog, doch leider handelte er dafür oft viel zu kopflos, wenn sie sich erst einmal auf dem Schlachtfeld befanden. Zwar waren seine Strategien oftmals wirklich gut durchdacht und die Vorbereitungen sprachen ebenso für sich, doch war da noch diese Sache mit der kurzen Leitung und leider strapazierten unfähige Leute oder unvorhersehbare Probleme ihn derart, dass er wirklich nicht lange an sich halten konnte. Wobei das jetzt ja kein Kriegszug war erinnerte er sich selbst und stieg endlich aus dem Wasser, nahm sich eines der Handtücher und rubbelte die Haut trocken. Dank dieses Abkommens hatte er leider nichts zu tun. Gar nichts. Das hatten wir auch erst vor ein paar Stunden schoss es ihm wieder in den Kopf, denn die kurze Selbstdiskussion auf dem Fels-Stein hatte er nicht vergessen. „Ist doch alles wirklich zum Kotzen“, murrte er, nahm die letzten Meter bis zu seinem Bett hinkend auf sich und ließ sich nackt auf dieses fallen, schob die Arme unter sein Kopfkissen und seufzte, schloss die Augen und schlief ein. Es raschelte, er hörte es nicht. --------------------------------- „Und aus diesem Grund wäre es unverantwortlich, wenn die neuen… Raphael-Sama?“ „Hm was?“ Aus den Gedanken geholt blickte der Blonde auf, schaute seiner Gehilfin in die Augen. Barbiel, für die er beinahe sein Leben gelassen hatte. Doch es war weniger die Hingabe endloser Liebe, die er mit ihrer Gestalt verband; er wusste selbst nicht, wie er es beschreiben konnte, doch zumindest reichte sein Interesse an ihr nicht aus, damit er jedem Wort folgen konnte. „Habt Ihr mir zugehört?“ Ihre stets sanfte und weiche Stimme, das Verständnis und die Zuneigung in den braunen Augen waren im Moment Dinge, die der Heiler nicht ertragen wollte. „Verzeih, ich war in Gedanken… Was sagtest du?“ Er spürte das kurze Mustern seiner Gesichtszüge, ihr Lächeln hatte an Ehrlichkeit verloren, doch sie behielt es stets bei. „Die neuen Medikamente sollten nicht derart kopflos gelagert werden.“ Raphael seufzte, verübte dann eine wegwischende Bewegung. „Ich halte einfach nichts von all diesen Tabletten und Pillen… ich bin Heiler, ich benötige lediglich Antiseptika, da hört mein Interesse an der barbarischen Medizin der Menschen jedoch wieder auf.“ Natürlich wusste sie das, nach all den Jahren kannte sie Raphael und seine Arbeitsweise besser als so manch eine Frau ihren Gatten, doch es war ein leider unumgänglicher Schritt der Notwendigkeit. „Verzeiht, ich weiß. Jedoch müssen wir an das Wohlergehen der…“ „Fang mir nicht mit dem Wohlergehen anderer an!“, unterbrach er sie scharf und erhob sich aus seinem Sessel, unterdrückte gerade noch den Wunsch, seine Flügel zu spannen und ihr bildlich zu verdeutlichen, wer er eigentlich war und dass das Wohlergehen der restlichen Bevölkerung seine Lebensaufgabe darstellte. Auch die Brünette schien ihren Fauxpas bemerkt zu haben und so nickte sie nur, wich nicht von ihrem Fleck. „Es sind wieder Diebstähle gemeldet worden… wir können uns selbst nicht erklären, wie dies unbemerkt geschehen kann.“ Raphael seufzte, setzte sich wieder und fuhr sich mit dem Daumen über die Schläfen. „Dann verschärft die Sicherheitsmaßnahmen“, brachte er hervor und bemerkte gerade erst, dass er damit eigentlich genau das befahl, was Barbiel ihn an Informationen zukommen hatte lassen. „Ich bin müde, für heute bin ich nicht erreichbar“, murmelte er noch, stand dann langsam wieder auf und streifte sich den Kittel von den Schultern. Wenn nur nicht immer dieses Gefühl der Sorge in ihm wäre, könnte er sich voll und ganz der Arbeit verschreiben, doch leider tanzte der hämische Funken in seinem Kopf herum und piekte sein Gehirn mit einem kleinen Dreizack; dass diese Personifizierung seiner Sorgen flammend rotes Haar auf dem Haupte trug, war sicherlich kein Zufall. „Oh man Mika-Chan… wegen dir werde ich noch einmal verrückt.“ Vielleicht sollte er nach ihm sehen? Sich den Fuß ansehen – so als Vorwand, um nicht gleich von ihm eingeäschert zu werden. Der Kurze war zwar wütend abgebraust, doch bekannter Maßen verflog diese Wut außerordentlich schnell wieder. Ja, er würde nur kurz nach ihm sehen, sich vergewissern, dass ‚Mika-Chan‘ sich besser fühlte und sich selbst somit mehr als jeden anderen beruhigen. Nur war da kein Mika-Chan, als er bei ihm ankam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)