Alea Iacta Est von Night_Baroness (Partner-FF by Corab & Night_Baroness) ================================================================================ Kapitel 16: Bekommen, was man verdient -------------------------------------- 16. Kapitel: Bekommen, was man verdient ~ by Corab Die lähmende Stille des Hafens wurde durch das Quietschen der Taxireifen gestört, dessen Widerhall dem ausgestorbenen Gebiet für einen Moment so etwas wie Leben verlieh. Für einen sehr kurzen Moment, wie Shinichi feststellen musste, als er ausgestiegen war. Die Umgebung war leergefegt, sonntags um fünf vor zehn befand selbst der ehrgeizigste Hafenarbeiter sich in einem warmen Heim. Ein unbeschreibliches Gefühl stieg in Kudos Magen auf, zerrte an seinen Eingeweiden. Es hatte Elemente von Angst, doch da war noch etwas anderes, das ihn vielleicht sogar stärker beeinflusste. Erwartungen. „Hey, Mann, wie lange wollen Sie da noch rumstehen und Löcher in die Luft gucken?“ Die Stimme des Taxifahrers riss Kudo aus seiner Trance, holte ihn in die Realität zurück. Noch streckte der Mann fordernd seine Hand aus, doch in den eigentlich schroffen Gesichtszügen zeichnete sich nur zu deutlich das Unwohlsein ab. Bei diesem Kerl überwog die Angst klar die Erwartungen. Vermutlich würde der Mann bald lieber ohne Bezahlung wegfahren, als noch länger hier zu warten. Aber es gibt ja keinen Grund, so früh mit dem kriminellen Leben anzufangen. „Natürlich.“, erwiderte er daher bloß und drückte dem Fahrer ein paar Scheine in die Hand. „Sie können den Rest behalten.“ Der Taxifahrer steckte das Geld ohne Nachzählen in seine Brieftasche und gab in Rekordgeschwindigkeit Gas. Er rief Kudo lediglich noch ein halbherziges „Auf Wiedersehen!“ und verließ den Platz dann ohne sich noch einmal umzusehen. Er hat sie bemerkt. Diese drohende Stimmung. Kudo grinste. Dieses Gefühl. Dieses Gefühl, das man hat, wenn man weiß, dass die Dinge bald ganz gewaltig schief laufen werden. Der Inspektor machte ein paar Schritte. Von seiner Verabredung war noch nichts zu sehen. Ob sie vielleicht woanders im großen Hafengebiet auf sie wartete? Nein, die Worte des Professors haben Bezug auf den Ort ihrer Enttarnung genommen. Sie wird hierherkommen. Er sah sich um. Links von ihm warfen riesige Kisten voller Güter ihre Schatten. In diesen Schatten könnte sich sicher jemand verstecken. Aber warum sollte sie das tun? Sie will mich ja auch treffen. Andererseits habe ich Wermut ja noch nie wirklich verstanden. Vielleicht habe ich sie deshalb in all den Jahren seit unserer letzten Begegnung nie fassen können? Ist es eigentlich klug, mit jemandem zusammenzuarbeiten, den ich nicht durchschaue? Plötzlich wurde alles um ihn herum dunkel. Er erschrak, brauchte einige Momente, bis er verstand, was geschehen war. Bis eben hatte noch der Mond sein spärliches Licht den Hafen erleuchten lassen, doch jetzt hatte sich ein Wolke vor ihn geschoben und dem Inspektor sein Licht genommen. Was soeben klar gewesen war, war jetzt verschwommen, schemenhaft. Vor Anker liegende Schiffe, wartende Waren, Kräne, nichts von dem war noch eindeutig. Was er soeben noch verstanden hatte, ahnte er jetzt bestenfalls. Und dann hörte er Schritte. Er wusste nicht, woher sie kamen. Konnte sie nicht einordnen. War das Wermut? Wenn sie es war, hatte er zwar eigentlich nichts zu befürchten, doch sein Herz schlug ihm dennoch bis zum Hals. Aufregung und Anspannung ließen ihn zittern, Adrenalin rauschte in seinem Kopf. Ich bin ein Springer, der vor dem dunklen Abgrund steht. Jetzt sah er die wallende blonde Mähne aus dem Augenwinkel hinter sich auftauchen. Und ich nehme Anlauf. „Schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen, Cool Guy.“ Wermuts Stimme hörte sich anders an, als er sie in Erinnerung hatte. Trauriger. Trotzdem war er sich nach nur diesem Satz sicher, dass sie es war. „In der Tat, es ist lange her“, gab er zurück. „bisher konntest du dich meiner Aufmerksamkeit immer entziehen.“ „Oh“ Sie stand jetzt direkt hinter ihm, ihre Lippen seinem Ohr ganz nahe. Er spürte ihren heißen Atem. „ich war immer mal wieder in deiner Nähe. Als Hochzeitsgast, beispielsweise. Oder als Postbote. Ich wusste immer, dass wir noch einmal aufeinander treffen würden.“ Trotz der Wärme in seinem Nacken erschauderte er. Der Gedanke, dass sie sein Leben die ganze Zeit über beobachtet haben konnte, behagte ihm nicht. Ärgerlich schob er sie weg und drehte sich um, sodass sie vor ihm stand. Obwohl der Mond immer noch verdeckt war, konnte er Umrisse ihres Gesichts erkennen. Sie war äußerlich nicht älter geworden, doch bemerkte er Veränderungen. Ihre Gesichtszüge wirkten schlaffer. Ihr leicht spöttisches Lächeln wirkte aufgesetzt. Ihre Haltung geknickt. Er bemerkte, dass ihr linker Arm hinter ihrem Rücken verweilte. Ob sie dort eine Waffe hatte? Vermutlich, schließlich musste sie einen Verhaftungsversuch befürchten. „Und dieser Elektroschock vor ein paar Wochen, war das so ein Aufeinandertreffen?“ Sie schmunzelte. „Diese Sache tut mir leid, aber glaub mir, das war wohlüberlegt und der beste Weg.“ „Bitte?“ „Ich kenne Etsuko. Du bist genau die Art Mensch, die sie interessieren könnte. Und Menschen, die sie interessieren, hört diese Frau gerne zu.“ „Wanzen.“, stieß Shinichi erstickt hervor. „Ja. Ich bin sicher, dass dein Haus voll von ihnen ist. Das war der eine Grund, warum eine direkte Kontaktaufnahme unmöglich war.“ „Und der zweite?“, hakte Kudo nach, obwohl die Enthüllung, dass die Mörderin seiner Frau ihn wahrscheinlich überwacht hatte, ihn noch schwindeln ließ. Sie lächelte. „Plausible deniability. Hättest du unserem Plan widersprochen, wäre dein einziges Beweisstück eine obskure Nachricht gewesen.“ „Jetzt habe ich mehr als genug Beweise.“ „Ja, aber die stellen keine Gefahr dar. Dass du dich mit mir triffst zeigt, dass du dich bereits entschieden hast.“ Die Treffsicherheit ihrer Worte ließ Kudo zusammenzucken, doch er bemühte sich um seine Maske. „Sie kennen mich nicht, Chris. Sie haben sich vielleicht verschätzt.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Ich bin Schauspielerin. Ich weiß, worauf man bei der Mimik eines Menschen zu achten hat. Und,“ Sie keuchte auf. Wieso war sie so angestrengt? Shinichi musterte sie argwöhnisch. „so sehr ich auch Freundin davon bin, wir sollten die Psychospielchen doch etwas vertagen.“ Kudo gab auf, gestand es sich ein. Dass er nur mitten in der Nacht in dieses Hafengebiet gefahren war, weil er ernsthaft plante, jemanden aus dem Gefängnis zu befreien. Jemanden, der unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Jemanden, der ihn verraten hatte. Der Krähenschrei der Erkenntnis hallte in seinem Kopf wider und kehrte Vernunft endgültig in Zielstrebigkeit um. „Einverstanden. Wie ist der Plan?“ Sie schüttelte leise lächelnd den Kopf und ließ ihre Lederhandtasche von ihrer Schulter auf den Boden gleiten. Sie bückte sich, öffnete den Reißverschluss und holte mit ihrer rechten Hand ein kleines Päckchen hervor, das sie dem Inspektor reichte. „Sprengstoff. Du sollst ihn ins Gefängnis schmuggeln. Lass den Professor einfach wieder in den Besucherraum kommen und sprenge ein hübsches Loch in die Panzerglasscheibe.“ Kudo schluckte, sah mit sorgenvollem Blick auf das Paket, dessen Inneres dem Druck seiner sich verkrampfenden Hände nachgab. „Und wie soll ich das anstellen? Ich -“ „Aber, aber,“ Ihr tadelnder Finger gebot ihn zum Schweigen. „deshalb bist du für diese Aufgabe gerade wie gemacht. Jemand wie Shinichi Kudo kann doch sicherlich ohne tiefer gehende Sicherheitsüberprüfungen in das Gefängnis kommen, nicht wahr?“ Die Erinnerung an seinen guten Ruf versetze Shinichi einen Stich. „Selbst ich darf da nicht rein, ohne von einem Metalldetektor durchleuchtet zu werden.“ „Der weder den plastischen Sprengstoff noch den Zünder anzeigen wird.“ Wermut lächelte verheißungsvoll. „Der Plan des Professors ist alles andere als perfekt, aber dies ist wirklich einer der kleineren Risikofaktoren.“ „Das ist doch verrückt!“, entfuhr es Shinichi. „Selbst wenn ich diese Zeug – woher kommt das überhaupt? - erfolgreich in die Luft sprenge, wie zur Hölle soll ich dann entkommen?“ „Die Gefängnisbeamten werden eine gewisse Reaktionszeit brauchen. Das Fenster ist vielleicht klein, aber das ist wohl nur eine Frage des Ehrgeizes. Und der Sprengstoff“, ergänzte sie, während er ihre Worte mit fassungslosem Blick aufnahm. „ist aus den Laboren der Schwarzen Organisation. Allerdings ist er bei der Beschlagnahmung über korrupte Beamte Yakuza in die Hände gefallen. Es hat viel Mühe gekostet, ihn aufzuspüren und ihn meinen Besitz zu bringen.“ „Wenn du schon so viel Mühe aufbringst, warum verkleidest du dich nicht gleich selbst als Shinichi Kudo? Für eine Meisterin wie dich -“ „Es hat mich“ Ihre Stimme bebte. „nicht nur Mühe gekostet.“ Sie zog ihren linken Arm hervor und Kudo verstand augenblicklich, wieso sie ihn versteckt gehalten hatte. Es war keine Waffe, kein Ass im Ärmel. Shinichi starrte entsetzt auf die leere Stelle, die ihre linke Hand hätte sein sollen. Stattdessen fand sich dort lediglich ein Verband, dessen Weiß sich weitestgehend in ein schmutziges Braun verwandelt hatte. „Als die Yakuza merkten, was ich ihnen gestohlen hatte, spürten sie mich auf, wollten mich zu Tode quälen.“ Wermut lachte bitter. „Sie schnitten mir die Finger ab, dann nahmen sie die ganze Hand. Kurz vor dem Gnadenstoß gelangte ich an eine Waffe und konnte mich retten.“ Schnell überlegte Kudo, ob die Leichen der Verbrecher je in einem Polizeibericht aufgetaucht waren, konnte sich jedoch nicht erinnern, je von einem vergleichbaren Zwischenfall gehört zu haben. Vermutlich hatte jemand die Angelegenheit vertuscht und reingewaschen. „Doch seit der Amputation sind meine Verkleidungen höchstens noch zweckmäßig. Mein Gleichgewicht stimmt nicht mehr. Prothesen sind zu steif. Deshalb brauchen wir dich.“ „Wir? Der Professor braucht mich. Warum hilfst du ihm eigentlich überhaupt? Bringst solche Opfer für ihn? Ich weiß, dass du nie ein besonderer Freund seiner Organisation warst.“ Vineyard schüttelte theatralisch den Kopf. „Treue ist ein fester Bestandteil der menschlichen Natur. Wir brauchen etwas, an das wir uns klammern können, wenn alles andere zerbricht. Ohne Treue werden wir wahnsinnig. Deine Treue gilt im Leben wie im Tod Angel. Mich hat der Professor für den besseren Teil meines ewigen Lebens begleitet. Ich habe mich entschieden, meine Treue ihm zu verschreiben. Entschieden, ihm eine zweite Chance zu geben.“ „Das hat er nicht verdient.“ „Manche Menschen bekommen, was sie verdienen“ Sie warf einen Blick auf ihren verbundenen Arm. „andere nicht.“ Jetzt sah Wermut ihm tief in die Augen. Er erwiderte es. Ihre Augen verstanden. Verstanden mehr, als ihm lieb war. Ihr Blickkontakt wurde erst unterbrochen, als die Wolke dem Mondlicht Platz machte, das den Dingen ihre Klarheit zurückgab. „Also, Cool Guy, soll ich dir zeigen, wie man den Zünder bedient?“ Ich nehme Anlauf. Nehme Anlauf und springe. Knappe neun Stunden waren seit dem Treffen mit Wermut vergangen, Zeit, die der junge und bald ehemalige Inspektor größtenteils rastlos mit Warten verbracht. Nur selten hatte er für wenige Minuten Ruhe gefunden, und selbst dann hatten Anspannung und Horror ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, erholsam zu sein. Dennoch fühlte er sich nun, da die Sonne den Himmel endgültig zurückerobert hatte, bereit für mehrere Dinge, die er sich vorgenommen hatte. Das Erscheinen am Arbeitsplatz gehörte nicht dazu – niemand war besonders verwundert gewesen, als er sich für ein paar Tage krankgemeldet hatte. Er konnte es sich nicht leisten, jetzt noch Zeit mit seiner lästig gewordenen Tätigkeit zu verschwenden. Es gab wichtigeres. Sein Haus, vor dem er jetzt stand. ließ Kudo noch immer erschaudern. Seit Ran dort ihr Leben verloren hatte, ging von diesem Ort eine unangenehme Aura aus, die ihn möglichst weit von diesem Ort verbannen wollte. Doch dieses Mal durfte er dies nicht zulassen. Unter Aufbietung all seiner Kraft öffnete Kudo die Tür und begann zu suchen. Wanzen. Wenn Wermut die Wahrheit gesagt hat. Wenn welche hier sind. Er öffnete die Küchentür. Dort würde er seine Suche beginnen. Hastig untersuchte er Regale, riss Schubladen und Schranktüren auf und wurde schließlich fündig. An der Spüle, links neben dem Wasserhahn, stieß auf er den unscheinbaren kleinen Apparat, dreist an eine Steckdose angeschlossen. Kudo grinste und bewegte seinen Mund nah an den Teil des Geräts, den er als Mikrofon erkannte. „Hallo, Etsuko, bist du da? Ja, du hast richtig gehört. Ich habe eine deiner Wanzen gefunden, du miese Schlampe. Und weißt du was? Ich werde auch die anderen finden. Und dann werde ich dich jagen. Und dich finden. Und dann“ Er lachte, lud seine Worte mit Hass auf. „werde ich dich zur Strecke bringen.“ Er zog den Stecker des Abhörgeräts und ließ es fallen. Einige Teile brachen ab, doch er war noch nicht zufrieden. Lächelnd trat er mit seinem Fuß auf den Kasten ein, solange, bis dieser in winzige Bruchstücke zerfallen war. Es dauerte nicht lange, bis er vier weitere der elektrischen Spione gefunden und in Abfall verwandelt hatte. Lächelnd erhob er sich von der Schublade, in der das letzte seiner Fundstücke gewesen war. Diese Frau hatte ihn herausgefordert. Jetzt würde er annehmen. Er wollte die Schublade gerade schließen, als er etwas entdeckte, tief hinten versteckt. Er zog sie weiter heraus, bis er den Gegenstand bequem greifen konnte. Dass es die noch gibt. Interessiert musterte er das Wunderwerk der Technik, das er gefunden hatte. Betrachtete es aus allen Blickwinkeln. Betätigte den kleinen Schalter. Sie könnte nützlich sein. Sollte er sie benutzen? Konnte sie von Wert sein? Nein, ich habe auch noch meinen Stolz. Er hatte sich entschieden. Ohne weiteres Zögern zerbrach er die Radarbrille genau in der Mitte. Und dem soll ich schließlich treu bleiben. Das Werkzeug für Teil Zwei der heutigen Mission befand sich unmittelbar in Kudos Händen. Mit grimmiger Zufriedenheit betrachtete er das frisch erworbene Prepaid-Mobiltelefon in seiner Hand. Es würde ihm schmerzliche Anrufe und SMS ersparen, ihn abschotten. Doch, was weitaus wichtiger war, es war nicht sofort mit ihm in Verbindung zu bringen – ein Umstand, der für seinen nächsten Anruf von hoher Wichtigkeit war. Lachend wählte er die Nummer und war erleichtert, als das Freizeichen kam. Der Moment hatte etwas Ironisches. Nie hatte er geglaubt, in einer Notlage ausgerechnet diese Person zu brauchen. Andererseits hatte er aber auch wohl nie geglaubt, in einer Notlage je irgendjemanden zu brauchen. Doch jetzt ging es um ein Problem, dass er nicht bloß mit der Kraft seines Verstandes lösen konnte. Jetzt brauchte er Hilfe. Nach dem zweiten Piepton wurde er verbunden. „Hallo?“ Die Stimme der Frau klang viel erwachsener als noch vor wenigen Wochen, doch immer noch kindlich. „Hallo, Sonoko, hier spricht Shinichi Kudo.“ Sie machte eine Pause, in der sie vermutlich ihre Augen rieb. „Shinichi? Wieso rufst du an?“ Kudo schluckte. Jetzt kam der schwere Teil. „Sonoko, ich weiß, wir haben uns nie so recht verstanden, aber es gab trotz allem immer etwas, das, das uns verbunden hat. Unser“ Wieder schluckte er etwas Speichel hinunter, um Zeit für die Suche nach einem geeigneten Wort zu gewinnen. „Schätzen von Ran. Sie war deine beste Freundin, meine Frau -“ „Moment mal!“, unterbrach sie ihn. „Was soll das hier werden?“ „Ich muss mit dir über etwas sprechen. Dich treffen. Es betrifft Ran. Du solltest es absolut vertraulich behandeln.“ „Was?!“ Die Skepsis war deutlich in ihrer Stimme zu hören, er musste vorsichtig sein. „Bitte, vertrau mir dieses eine Mal, Sonoko. Es geht um Ran!“ Die Dringlichkeit seiner Worte schien zu wirken. Sie zögerte. „Was ist denn los?“ „Das kann ich nicht am Telefon besprechen. Kann ich dich heute Abend besuchen?“ „Äh, natürlich.“ Immer noch verwundert, aber es geht aufwärts. „Kannst du dafür sorgen, dass niemand weiß, dass ich komme?“ „Shinichi, das gefällt mir nicht.“ „Mir auch nicht, aber vertrau mir bitte. Es geht um Ran.“, wiederholte er seinen Satz wie ein Mantra. „Na gut, komm heute Abend gegen sieben bei mir zuhause vorbei. Makoto ist ohnehin wieder auf einem Karateturnier in Europa.“ „Ja, das wäre gut. Danke, Sonoko.“ Sie tauschten noch Abschiedsfloskeln aus, dann legte Kudo auf. Zufrieden betrachtete er sein Handy. Geschafft. Die Villa Suzuki war ein prachtvoller Anblick. Verspielte Details, edle Baumaterialien, ein Grundstück mit Garten – es war offensichtlich, dass Geld bei ihrer Erbauung keine, die Suche nach einem prunkvollen und standesgemäßen Hochzeitsgeschenks hingegen eine sehr große Rolle gespielt hatte. Obwohl seine eigenen Lebensumstände alles andere als schlecht gewesen waren, hatte Kudo sich stets nur zu gern über den Prunk von „Luxus-Sonoko“ lustig gemacht. Aber jetzt würde dieser Reichtum ihm gelegen kommen. Fast ein wenig beschämt drückte Kudo den Klingelknopf. Hoffentlich lässt sie mich nicht zu lange warten. Niemand soll mich sehen. Seine Befürchtungen waren unbegründet. Kaum zwei Sekunden später ertönte bereits das Signal, das eine Öffnung des Schlosses anzeigte. Hastig öffnete Kudo das Tor und sprintete den kurzen Kiesweg zur Tür, die Sonoko vor seiner Nase öffnete. „Shinichi.“ Ihr Tonfall klang leicht benebelt „Hallo, Sonoko.“ „Komm rein.“ Sonoko führte ihn durch die hell erleuchtete Lobbys zu zwei gegenüberliegenden Ledersofas, zwischen denen ein gläserner Tisch stand. Sie forderte ihn auf, sich zu setzen und bot ihm Sake an, den Shinichi jedoch ablehnte, woraufhin sie nur sich selbst das Glas randvoll füllte. „Also, weswegen wolltest du mich sprechen, he? Wieso die ganze Geheimnistuerei?“ Er macht kurz eine Pause, veränderte seine Sitzposition. Sein Blick wurde nahm einen verschwörerischen Zug an. „Sonoko, ich“ Seine Augen fixierten ihre. „ich will Rans Mörder jagen.“ Eine Träne rollte beim Klang des Namens über Sonokos Gesicht. Es war offensichtlich, wie sehr Rans Tod sie noch immer traf. Blutunterlaufene Augen, ein klares Zeichen ihrer Schlaflosigkeit, und vielleicht auch eines von übermäßigem Alkoholkonsum, entstellten ihr Gesicht und das lange, weiße Kleid, das sie trug, war vermutlich ebenfalls Ausdruck ihrer Trauer. In diesem Augenblick verspürte Shinichi Sympathie für die beste Freundin seiner Frau, tiefe Sympathie für eine jener Personen, die er sonst eher als nervig abgetan hatte. „Dann tu das“, erwiderte sie und wischte die Träne weg. „Du bist ja schließlich Polizist.“ „Ich will ihn auf, na ja“ Wieder setzte er eine dramatische Pause. Es war wichtig, dass sie verstand. „unorthodoxere Methoden jagen. Und dafür brauche ich deine Hilfe.“ Sie hob eine Augenbraue. „Hilfe?“ „Ich brauche einen Wagen. Einen schnellen.“ „Hat die Polizei keine Autos?“ „Doch, aber die haben alle eingebaute Ortungssysteme. Und ein Mietwagen würde schnell gefunden werden. Ich darf nicht gefunden werden.“ „Was hast du nur vor?“ Kudos Miene verdunkelte sich. „Das solltest du besser nicht wissen. Der Name Suzuki sollte damit nicht in Verbindung kommen. Aber glaub mir, ich meine es ernst. Tu es für Ran.“ Unter normalen Umständen wäre nie geschehen, was jetzt passierte. Doch hier sprachen zwei Trauernde, denen Rationalität schon lange nicht mehr wichtig war. Es waren keine normalen Umstände. „Wann brauchst du den Wagen?“ Obwohl er eigentlich krankgemeldet war, hatte niemand sich besonders daran gestört, als Shinichi in einer gesundheitlich ordentlichen Verfassung kurz im Polizeirevier aufgetaucht war um „persönliche Dinge“ abzuholen. Tatsächlich mitgenommen hatte er lediglich seine Handschellen und seine Dienstwaffe, den silbergrauen Revolver. Schließlich könnte er ihn brauchen. Grimmig öffnete er die Fahrertür des sportlichen schwarzen Audis, den Sonoko innerhalb kürzester Zeit aufgetan hatte. Das Gefährt war ein ungenutzter Dienstwagen eines Tochterkonzerns der Suzuki-Familie, der seit des Verkauf desselben unbeachtet in einer Tokioter Garage vergammelt war. Sollte man dieses Fahrzeug je mit mir in Verbindung bringen, dachte Shinichi, so wird man Mühe haben, es mit den Suzukis in Verbindung zu bringen. Sein Besuchstermin im Haido-Gefängnis war in einer Stunde, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Mit einem energischen Ruck schloss er die Tür, legte die Waffe in das Handschuhfach und startete den Wagen. Auf dem Parkplatz angekommen bemerkte Shinichi, wie seine Hände schwitzten und das Lenkrad klebrig machten. Sein Herzschlag grenzte ans Schmerzhafte. Sein Rachen war trocken. Schaffst du das? Er nahm eine der Wasserflaschen, die er auf die Rückbank gelegt hatte. Nahm einen großen Schluck. Holte tief Luft. Er wurde etwas ruhiger. Du schaffst das, Kudo. Er legte die Flasche weg, verließ den Wagen und steuerte auf das Gefängnis zu. Showtime. ________________________________________________________________________________ Teaser zu Kapitel 17: Man sagt, wenn wir glücklich sind, vergessen wir nur allzu leicht, dass es auch Dinge auf der Welt gibt, die weniger schön sind. Dinge, die wie aus Gruselgeschichten unserer Kindheit im Schatten lauern und geduldig ihre Klauen schärfen. Natürlich ist Shinichi Kudo nicht der Einzige, der in die Offensive geht, auch Etsuko ist bereit, sich für ihren Plan schmutzig zu machen. Doch wer wird ihr nächstes Opfer sein? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)