So schnell von Niekas (Eine Geschichte, in der alle Kapitel übertrieben lange Titel haben, die sogar noch länger sind als dieser Untertitel) ================================================================================ Prolog: Prolog, in dem wir einen Abstecher ins Kiew der frühen 1000er machen und der kleine Ivan zwei gute Vorsätze fasst ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Vor den Fenstern wird es dunkel. Das Zimmer ist rustikal, aber gemütlich, mit einem großen Bett mit Vorhängen und Teppichen, die die steinernen Wände schmücken. Ivan sitzt in seinem Versteck hinter der Kiste mit den Kleidern. Seine Schwester Yekaterina hat ihm zuvor eingeschärft, dort still sitzen zu bleiben und keinen Laut zu machen, und Ivan tut immer, was seine große Schwester ihm sagt. So bleibt er also hinter seiner Kiste, während Yekaterina auf dem Bett sitzt. Ihre schmalen Finger liegen verschränkt in ihrem Schoß und zittern leicht. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes Kleid und ein buntes Band in den Haaren. Ivan gefällt es, wenn sie sich so herausputzt. Allerdings versteht er nicht, wieso sie es heute getan hat. Dass ihre Stadt von Fremden erobert wurde, ist nicht gerade ein Grund zum Feiern. Und außerdem hat sie immer gesagt, dass ihr Busen speziell für dieses Kleid etwas zu groß ist. Dabei ist dies ihr hübschestes Kleid, und ihr Busen ist ja sowieso für jede Art von Kleid zu groß. Es ist laut im ganzen Haus. Die Fremden sind überall, nachdem Yekaterina sie hereingebeten hat – wenn sie das nicht getan hätte, hätten sie die Tür eingeschlagen, haben sie gesagt. Sie lachen und trinken und singen Lieder, die Ivan nicht kennt. Er mag Lieder nicht, die er nicht kennt. Noch weniger mag er den scharfen Geruch des Alkohols, der in der Luft liegt und unter der Tür her gedrungen zu sein scheint. Er füllt mittlerweile den ganzen Raum, und Yekaterina sitzt auf dem Bett und knetet ihre Finger. Sie ist sehr blass und sieht älter aus als sonst. Plötzlich wird das Gelächter sehr laut und man hört ein Poltern wie von schweren Schritten. Die Tür fliegt auf und schlägt mit einem Krachen gegen die Wand. Ivan versteht nicht, wieso die Fremden so unhöflich sein müssen, obwohl es doch das Haus seiner Schwester ist. Sie haben sie nicht um Erlaubnis gebeten, Türen zu knallen. Yekaterina sieht allerdings nicht wütend aus deswegen, sondern eher verängstigt. Ihre Augen werden groß und sie weicht ein Stück auf dem Bett zurück. Ein Fremder kommt herein und sieht sich um. Seine Wangen sind rot, weil er schon zu viel getrunken hat. Er ist recht klein, aber trotzdem hat er etwas an sich, das Ivan Angst macht. Nachdem er sich eine Weile lang im Zimmer umgesehen hat, geht er mit ein paar Schritten zu Yekaterina hinüber. Sie weicht zurück. Der Fremde beugt sich vor, stützt eine Hand neben ihr auf dem Bett auf, hält mit der anderen ihren Nacken fest und steckt seine Zunge in ihren Mund. Ivan sitzt hinter seiner Kiste und versteht nicht, ob das vielleicht ein fremdartiges Begrüßungsritual oder so etwas ist. Wenn, dann hätte der Fremde ruhig vorher fragen können, ob es Yekaterina recht ist. Aber er hat nicht gefragt, und es sieht nicht aus, als würde er es noch tun. Seine Hand rutscht von ihrem Nacken zu dem Ausschnitt ihres Kleides. Yekaterina zittert am ganzen Leib und schluchzt erstickt in sich hinein. Und dann ist es vorbei. Ivan sieht Yekaterinas tränennasses Gesicht über die Schulter des Fremden, und vielleicht hat auch der Fremde es in eben diesem Moment gesehen. Er zögert. Er hält inne. Er betrachtet seine Hand, als würde er sich fragen, was sie in Yekaterinas Ausschnitt zu suchen hat. Dann nimmt er sie langsam weg und tritt zwei Schritte zurück. Er sagt Verzeiht mir, werte Dame und verbeugt sich tief. Und Yekaterina sagt nichts, weil sie mit Weinen beschäftigt ist. Wenn Ivan eines nicht ertragen kann, ist es, seine große Schwester weinen zu sehen. Der Fremde ist so weit zurückgewichen, dass Ivan sein Gesicht sehen kann. Er sieht aus, als würde er sich schämen. Noch immer sind seine Wangen rot. Das kommt vom Alkohol. Verzeiht mir, sagt er noch einmal. Dann geht er hinaus und schließt die Tür hinter sich. Sobald sie geschlossen ist, bricht Yekaterina erst so richtig in Tränen aus und wischt sich über den Mund und versucht, ihren Ausschnitt hochzuziehen, was aber nicht gut funktioniert, weil das Kleid einfach falsch geschnitten ist und ihr Busen zu groß dafür ist. Und noch immer sitzt Ivan hinter seiner Kiste und sieht zu, wie sie an dem Stoff zerrt und weint. An diesem Abend fasst der kleine Ivan zwei gute Vorsätze: Erstens niemals irgendjemandem seine Zunge in den Mund zu stecken, wenn der Betroffene das nicht möchte. Und zweitens nie, niemals Alkohol anzurühren. Natürlich kann er noch nicht wissen, dass er beide Vorsätze brechen wird. Den zweiten schon einige Tage später. Den ersten erst viele, viele Jahre nach diesem Abend. Aber dann umso gründlicher. (Hoppla, historischer Hintergrund. Bolesław I., König von Polen, belagerte und eroberte 1018 (?) Kiew und forderte die Schwester des Königs für die folgende Nacht als seine „Buhle“. Ja, genau das, was ihr jetzt denkt. Das muss nicht bedeuten, dass der namenlose Mann Feliks war - denkt, was ihr wollt.) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)