Space and Time von lil_Scarlet (to be or not to be) ================================================================================ Kapitel 3: Das Alibi [S] ------------------------ Als Ciel erwachte, hielt ihn immer noch dieser Alptraum gefangen. Hände, die ihm die Kleider vom Leib rissen und gierig seine Haut berührten. Er bekam Gänsehaut bei der Erinnerung an dieses widerliche Gefühl. Da drang leise Musik an sein Ohr. Er sah sich um. Wo zum Teufel war er? Er lag in einem Bett und trug oberschenkellange schlabbrige Hosen und ein langes Hemd ohne Knöpfe mit kurzen weiten Ärmeln in quietschbunten Farben. Durch die halb offenen Vorhänge drang schwaches Tageslicht. Er fasste sich an den Kopf, als ob ihm das helfen könnte, seine Erinnerung wiederzuerlangen. Die Augenklappe! Panisch tastete Ciel auf der Bettdecke herum und suchte darunter, sie war nicht da. Ein angenehmes helles Lachen erscholl hinter der Tür. Er war also nicht allein. Zögerlich krabbelte Ciel aus dem weichen Bett und tapste zur Tür. Dahinter verbarg sich nur ein lichtdurchfluteter Flur, von dem weitere Türen abgingen. Die Wände waren apricot-farben gestrichen, die Türen weiß. Die Musik wurde lauter, als er langsam den Flur an der Fensterseite hinunter schlich. Als er hinaus sah, verschlug es ihm den Atem. Er konnte über die ganze Stadt blicken und erkannte sie wieder: London. Die Tower Bridge, Big Ben, alles war noch wo es sein sollte, sogar der Buckingham Palace. Aber die Häuser darum wirkten so unwirklich, riesig und gedrängt aneinander. Die Schiffe, die er auf der Themse sah, spien weder Dampfwolken, noch hatten sie Segelmasten. Ganz zu schweigen, von den schnellen pferdelosen Kutschen auf den Straßen, die er aus schwindelerregender Höhe sah. Automobile sahen doch so anders aus. Und es gab nicht so viele. Ciel wandte sich ab und rieb sich seufzend den schmerzenden Kopf. Was war passiert? War das alles am Ende auch nur ein Traum? Gesprächsfetzen drangen wieder an sein Ohr im Hintergrund, immer noch diese merkwürdige Musik. Diesmal lachte ein Mann. „Nein, ehrlich und was hat er dann gesagt?“ fragte die Frauenstimme belustigt. „Erst mal gar nichts mehr und dann.“ Er machte eine Pause und sprach mit verstellter Stimme weiter. „Sie hören von meinen Anwälten!“, posaunte er empört. „Und dann ist er mit wehendem Mantel davon gestürmt.“, sprach er in normalem Ton weiter. Die Frau lachte wieder leise. „Da wär ich gern dabei gewesen.“ Ciel schlich weiter und gelangte an eine Galerie wo eine Treppe hinunter führte, hockte sich ans Geländer und schielte vorsichtig hinunter. Dort unten war scheinbar eine Küche. Der Mann saß am gedeckten Tisch und las Zeitung, die Frau mit einer Tasse dampfender Flüssigkeit darin auf der Anrichte. Der Mann trug blaue Hosen und ein Hemd, das ähnlich aussah, wie seines, nur in schwarz. Die Frau trug graue schlabbrige Hosen und ein Unterhemd in hellblau. Warum lief eine Frau so merkwürdig herum? Und so freizügig. Die beiden waren alleine, also wo kam die Musik her? Er konnte kein Orchester oder Musikanten erkennen. Ciels Blick blieb an dem Gedeckten Tisch hängen. Obst, duftende Pfannkuchen und Brot lagen darauf. Butter, Marmeladen und frischer Schinken. Dann standen da noch merkwürdig bunte Pakete auf dem Tisch, mit denen er nichts anfangen konnte. Langsam stieg ihm der Duft der warmen Pfannkuchen in die Nase. Es roch köstlich. Ciel zuckte zusammen, als ihm sein Magen lautstark zustimmte. „Ah, schau mal, wer wach ist.“ Der große Mann hatte den Hals verdreht und sah von seiner Zeitung zu ihm auf. „Und Hunger hat er auch.“ Er grinste. „Guten morgen, Ciel.“, lächelte die Frau und sprang von der Anrichte. „Na los, komm runter. Iss, soviel du magst.“ Sie winkte einladend und zog einen Stuhl heraus, bei dessen Platz noch voll eingedeckt war. Unschlüssig tapste Ciel die Treppe hinunter und setzte sich schließlich, allerdings nicht ohne den großen Mann aus den Augen zu lassen, der sich mittlerweile wieder den Artikeln in der Zeitung gewidmet hatte. Er war ihm irgendwie unheimlich. „Ich weiß nicht, was du gerne frühstückst, also hab ich etwas mehr gemacht.“, riss ihn die lächelnde junge Frau aus den Gedanken. Er erinnerte sich an sie. Ihre Haare waren vom Regen nass geworden und ihre Beine steckten in diesem komischen Netz. „Stimmt was nicht?“ fragte sie ihn. Ciel schüttelte ertappt den Kopf. Er hatte sie angestarrt. Das tat man nicht! „Hast du deine Zunge verschluckt, Kleiner?“ fragte sie jetzt belustigt und setzte sich ihm gegenüber. Vor Kopf saß der Mann. „Ich bin nicht klein!“, protestierte Ciel jetzt aufgebracht. Hinter der Zeitung war ein Grunzen zu hören und Ciel erdolchte eine Werbeanzeige für einen Schuhladen in der Carter Lane mit seinem blauen Auge. Die Frau lachte. „Also, was möchtest du?“ Ciel sah über den Tisch und blieb an dem Türmchen Pancakes kleben. Ehe er sich versah, hatte sie ihm zwei Stück auf den Teller gelegt und stellte ihm ein Fläschchen Ahornsirup neben den Teller. „Hau rein.“ Das lies sich der junge Lord nicht zweimal sagen und verschlang danach noch drei mehr. Aus einem der bunten Pakete füllte sie für ihn Milch in ein Glas. Sie schmeckte gut, aber er meinte dass sie irgendwie anders schmeckte. Während Ciel mampfte, brühte Rose Tee auf und stellte sich, Andrew und ihrem Gast eine Tasse hin. Andrew legte die Zeitung weg. „Nur Müll und schlechte Nachrichten. Die Kurse sind im Keller und bleiben da wahrscheinlich auch noch ne ganze Weile.“ Ciel verstand nur Bahnhof. Der Mann griff nach der Zuckerdose und schaufelte sich sechs löffel davon in den Tee, dann stellte er sie Ciel hin. „Hast ganz schön Glück gehabt gestern, Kleiner. Wenn Rose nicht vorbeigelaufen wäre…“ Der Junge sah zwischen den beiden hin und her. Ja, langsam kam die Erinnerung zurück. „Gib mir einfach einen Namen.“, hatte sie gesagt. Sie hieß also Rose. „Wie haben dich diese zwei Typen eigentlich in die Finger bekommen? Und wo kommst du her, dass wir dich wieder zu Hause abliefern können.“ fragte Rose. Ciel überlegte und griff nach dem Zuckerlöffel. Er wusste keine Antwort. „Ich… ich weiß es nicht.“ Andrew und Rose sahen sich an. „Wie, du weißt es nicht?“ fragte der große weißhaarige Mann und beugte sich näher zu ihm. Der Löffel fiel platschend in den Tee. Ciel hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. „Ich weiß nichts mehr. Ich habe alles vergessen.“ Er begann zu schluchzen. „Hey.“ Zwei arme legten sich sanft um seine Schultern. „Ist schon gut. Wir bekommen das alles wieder hin, Ja?“ Rose strich ihm sanft durch sein dunkles Haar, strich seine Hände von seinem Gesicht und wischte ihm die Tränen von der Wange. Etwas klingelte ganz weit entfernt in seinen Gedanken. Ihm hatte schon einmal jemand die Tränen vom Gesicht gewischt. Als er aufsah, lächelte ihn Rose aufmunternd an. Langsam wurde er ruhiger. „Du kannst mich übrigens ruhig mit beiden Augen ansehen. Ich hab‘ s gestern schon gesehen.“ Zögerlich öffnete er sein rechtes Auge. „Na also.“ Sie ging seitlich vor ihm in die Hocke und verschränkte die Arme auf seinem Schoß, als Ciel sich zu ihr drehte. „Na schön, dann brauchen wir erst mal ein Alibi für dich.“ Sie sah zu dem Mann hinter Ciel. „Andrew?“ „Am besten ist, dass wir uns bedeckt halten, die Leute sind furchtbar wenn‘ s um sowas geht.“ Er streckte sich und Gähnte herzhaft. „Hm.“ Rose legte das Kinn auf ihre Arme und musterte mit ihren dunklen Augen den jungen Lord. „Wir bleiben bei der Wahrheit, wir haben dich gefunden und bei uns behalten. Du hast irgendeinem Perversling gehört der sich kleine Jungs wie Dich als Zeitvertreib hält. Das ist am einfachsten.“ Der Junge legte fragend seine Hand an sein violettes Auge. „Und das?“ „Ein Tatoo.“ Kam es von Andrew. Ciel drehte sich verwirrt zu ihm um. „Tatoo?“ „Ja, es gibt solche Augentatoowierungen. Die sind aber Illegal. Wir sagen einfach der Futzi von dem du weggelaufen bist, hat seine Jungs damit so zu sagen als sein Eigentum gestempelt.“, erklärte Andrew und griff nach einer Scheibe Toastbrot auf dem Tisch und steckte sie in einen komischen Kasten, wo er einen Schieber hinunter drückte. „Aber du musst es nicht immer zeigen, wir besorgen dir beim Arzt einen Verband, den du tragen kannst. Dann sagst du einfach, du hast ne Entzündung oder sowas.“ Meinte Rose und stand auf. Ciel nickte langsam. Er verstand nicht warum diese Leute so nett zu ihm waren. Menschen waren egoistisch und geizig. „Als erstes gehen wir dir aber Klamotten kaufen. Du kannst ja nicht ewig in Boxershorts und T-Shirt rumlaufen.“ Andrew Grinste, fing das kross geröstete Brot, dass der Automat eben ausgespuckt hatte, schob es sich in den Mund und half Rose beim Abräumen. Ciel verstand schon wieder nicht, wovon der Weißhaarige Hüne, der Andrew hieß, sprach. „Sag mal, du hast echt alles vergessen, oder?“ Andrew sah ihn musternd von der offenen Vorratsschranktür an. Jedenfalls glaubte er dass es sich um etwas Derartiges handelte, da die beiden die verderblichen Sachen dort hinein räumten. „Hier.“ Rose hielt ihm ein paar Sachen hin, die zusammengelegt auf einem der Hocker vor der kleinen Bar neben der Anrichte lagen. „Ich hoffe, es passt dir, aber für die paar Minuten, bist du was Richtiges hast, wird’s reichen.“ Ciel nahm den Stoff entgegen. „Ähm. Danke?“ Die Sachen anzuziehen war zum Glück leicht. Das langärmelige knopflose Hemd mit der Kapuze brauchte man sich nur über den Kopf zu ziehen und die Hose: ein Knopf und… was war den das? „Au!“, schrie Ciel erschrocken, als er sich den Finger im Reißverschluss eingeklemmt hatte. Nach drei weiteren Versuchen, saß die Jeans einigermaßen da, wo sie sollte und er Trat aus dem Zimmer. Rose lehnte an der Wand neben einem der Fenster. Sie hatte nun auch diese komischen blauen Hosen an, die hier irgendwie jeder trug. „Ähm“ Sie kicherte. „Du solltest dich vielleicht noch kämmen. Da ist das Bad.“ Ciel trat durch die Tür, auf die sie gezeigt hatte und viel bei dem Anblick seines Spiegelbildes beinahe in Ohnmacht. Seine Haare standen kreuz und quer vom Kopf ab und bei genauerem Hinsehen entdeckte er einen kleinen Rest des Ahornsirups auf seiner Wange. Na fein, das bekam er auch alleine hin. Er erinnerte sich dunkel daran, dass man ihm einmal bei solchen Dingen zur Hand gegangen war. Wo war der Wasserkrug? Er fand ihn nicht. Schließlich fasste er den Mut, an der Armatur der Badewanne zu hebeln worauf Wasser aus dem Hahn kam. Zufrieden wischte er mit einer nassen Hand über sein Gesicht. Als er die Hand allerdings erneut unter den Strahl hielt, war das Wasser kochend heiß geworden und er verbrühte sich leicht. „Verdammt!“ Ein Klopfen an der Tür. „Ciel? Ist alles in Ordnung?“ Erklang Rose‘ s gedämpfte Stimme. „J…Ja!“ Mit der unversehrten Hand drückte er den Hebel hinunter und stellte das Wasser ab. Nun begann die Suche nach einem Kamm. Seine Frisur einigermaßen in Ordnung gebracht, trat er etwas erschöpft aus dem Bad. Rose wartete am Treppenabsatz, Andrew schon in Schuhen und Lederjacke an der Tür. Draußen stiegen sie in den Aufzug, und unten an der Straße in den Wagen, in den sie schon gestern Nacht gestiegen waren. Rose beugte sich über ihn und gurtete ihn am Sitz an. Sie selbst setzte sich neben Andrew nach forn. „Also, wo fahren wir hin?“ „Uff, ähm. Cardinal, oder so?“ „OK, versuchen wir‘s.“ Andrew drehte den Schlüssel neben dem Lenkrad und der Wagen sprang schnurrend an. Viel leiser als die Autos, die er kannte. „Oh! So ein hübscher junger Mann!“, Freute sich die Verkäuferin in einem der Läden die Mode im klassischen Stil für Kinder und Jugendliche anbot. Ciel hatte ihn selbst ausgewählt, da ihm die Ausstellungsstücke in den Schaufenstern dort am meisten zugesagt hatten. „Aber das ist ja kein Wunder, bei so gutaussehenden Eltern.“ Eltern? Andrew sog scharf die Luft ein, sah in an die Decke und lies sich in einen Der Sessel für wartende Kunden vor den Umkleidekabinen fallen, während Rose so tat, als wäre nichts gewesen. Eltern, sowas! Geschäftig machte sich die Verkäuferin daran, etwas passendes für Ciel herauszusuchen und schnatterte dabei aufgeregt vor sich hin. „…Und das wäre doch schön in Kombination mit diesen Hosen … und die neuste Mode… Der Trend geht mehr zu *schnatter schnatter schnetter*“ Schließlich kam sie mit einem bunten Klamottenhaufen auf den Arm zurück und schob Ciel in eine Umkleidekabine. Die Dame nahm es mit ihrer Hilfsbereitschaft allerdings etwas zu ernst und wollte ihm beim Umziehen helfen, als Ciel Plötzlich schrie und die Verkäuferin um sich schlagend aus der Kabine scheuchte. „Du lieber Himmel! So etwas ist mir noch nie passiert.“, meinte sie und hielt sich erschrocken die Hand vor dem Mund. Rose und Andrew waren aufgesprungen. „Er ist etwas empfindlich, was solche Dinge angeht.“ Sagte Andrew mit samtener Stimme zu der Verkäuferin, die darauf natürlich hin und weg war. Andrew wusste sein Aussehen und seine Ausstrahlung auf charmante Art zu nutzen. Rose trat dicht an den Vorhang, hinter dem Ciel bis dahin keinen Mucks mehr gemacht hatte. „Ciel, darf ich reinkommen?“ „Hm hm.“ Kam es bestätigend und sie trat ein um ihn zu beruhigen. Der junge hatte schon genug mitmachen müssen. Anschließend postierte sie sich vor der Kabine half ihm etwas mit dem Anziehen, wenn er hinter dem Vorhang unauffällig hinauslangte und sie an der Bluse zupfte. Nacheinander präsentierte Ciel die Outfits und gewann langsam etwas wie Freude daran. Vor allem die Gesichter von Andrew und Rose zu sehen, wenn sie die Kleider beurteilten, manchmal waren sie sich einig, manchmal komplett anderer Meinung und stritten sich dann lachend darum, was besser aussähe. In der kurzen Zeit hatte er die Beiden lieb gewonnen. Obwohl ihm Andrew immer noch etwas suspekt war aufgrund seiner Größe, seiner etwas harschen Art und seiner für sein Alter untypischen Haarfarbe, mochte er ihn. Und Rose, er vertraute ihr völlig, aus einem Grund, den er nicht erklären konnte. Vielleicht weil sie in ihm ein Gefühl von Geborgenheit auslöste, das er, so schien ihm, seit langem misste. „638 Pfund und 72 Pence, bitte.“, gluckste die Verkäuferin fröhlich und nahm eine kleine Karte von Rose entgegen, die sie aus ihrem Portemonnaie zog. So viel? Sechs Hosen, vier bunte Hemden, zwei verschiedene Jacken, ein paar und einige dieser T-Shirts und Pullis und ein paar Schlabbersachen, wie man sie nannte, waren für ihn herausgesprungen. Die Sachen hatten ihm gefallen und ihm auf Anhieb gepasst. Rose tippte etwas auf einem der Geräte ein, unterschrieb auf der Rechnung und bekam die Karte wieder. Komische Art, zu zahlen. Aber hier gab es so vieles, das er nicht verstand und nachdem er Andrew und Rose später fragen musste. Vielleicht fanden sie so heraus, wo er herkam. „Hunger?“ Ciel nickte. Andrew schob die Beiden in ein Café und lud sie ein. Ciel hatte sich einen Erdbeermilchshake und ein Lachs-Bagel herausgesucht. Andrew futterte ein Thunfischsandwich und schlurfte einen Lattemacchiato, was nichts anderes war, als ein bisschen starker Kaffee mit viel Milch, und Rose Trank irgendetwas mit Mocca und Schokolade, was herrlich zu ihm herüberduftete und auch so schmeckte, als sie ihn probieren lies. „Jetzt fehlen noch Schuhe und Unterwäsche und dann sind wir fertig.“, seufzte sie und schlurfte an ihrem Pappbecher. Ciel verschluckte sich heftig an seinem Bagel. Unterwäsche?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)