Loving the Death Itself von Meeararn (Deine Stärke ist alles) ================================================================================ Kapitel 1: Erste Erinnerung --------------------------- இ Es schneite. Kleine und große weiße Flocken fielen langsam auf die Erde. Der Garten war bereits mit einer samtweichen Decke überzogen. Büsche und Gräser, Bäume und Sträucher waren mit der weißen Pracht eingehüllt. Der kleine Teich am Ende des Gartens, und auch der kleine Fluss waren zugefroren. Die Steine um den Teich funkelten in der Morgensonne aufgrund der Eiskristalle, die sich auf ihnen gebildet hatte. Auch der Schnee funkelte wie tausend kleine Sterne in der Sonne. Ihr schien dies nicht aufzufallen. Lady Shiina war nicht dafür geschaffen, sich die Schönheit der Natur anzusehen. Sie sah sich lieber selbst im Spiegel an. Sie fand sich schöner. Sie saß auf der Veranda in ihren Winterkimono gehüllt, eine Bettpfanne neben sich und einen Fencheltee vor sich stehend und sah in den Himmel. Ihre mittellangen schwarzen Haare, die oben voller zu sein schienen, und nach unten hin dünner wurden, passten sehr zu ihrem Gesicht. Sie war wunderschön. Seidiges und doch volles Haar. Doch wollte sie es nicht lang wachsen lassen. Kikuta Shiina, aus der alten Kriegsfamilie der Saya-Ninjas hervorgegangen. Bis heute war ihre Familie sehr reich und wohlhabend. Die Zeiten der Ninjas waren vorbei. Die Zeit der Saya war vorbei. So hatte man sich vor einigen Generationen geeinigt den Namen einfach zu ändern um nicht mit der Vergangenheit einer raubenden und mordenden Ninjafamilie in Verbindung gebracht zu werden. Heute war die Linie der Kikuta sehr angesehen. Lord Kikuta verbrachte seine Tage mit dem betreiben von Handel und anderen Geschäften. Vor allem in andere große Städte und auch zum Festland und in die Hauptstadt. Lady Kikuta hingegen war der Malerei und Schreiberei verschrieben. Auch wenn dies zu dieser Zeit einer Frau untersagt blieb. Lady Kikuta hatte in ihrer Kindheit in der Domäne ihrer Eltern darauf bestanden, Lesen und Schreiben zu lernen. Sie war in der Domäne Shiruyuki im Norden Japans aufgewachsen. Erst als Lord Kikuta auf einer Wanderung durch diese Domäne kam, wurde die Familie Kitagawa interessant für eine Heirat mit dem Erben der Kikuta Domäne. Lady Kitagawa, heute Lady Kikuta zog mit Shiinas Vater zurück in den Süden, nach Tensai, der heutigen Hauptstadt der Domäne. Shiina senkte ihren Blick und nahm einen Schluck von ihrem Tee. Der Dampf stieg in der kalten Winterluft auf und verlieh in Shiina ein warmes Gefühl. Sie mochte den Geschmack des Tees nicht. Sie mochte mehr die fruchtigen Sorten im Sommer und Frühling. Doch selbst für eine Händlerfamilie wie die ihre kam im Winter schwer an dergleichen Sorten heran und so musste sich Shiina damit zufrieden geben, was ihr Vater beschaffen konnte. Shiina würde zu Beginn des Frühlings 17 werden. Ihre ältere Schwester war gerade 18 geworden. Sie wurde bereits mitten in die Vorbereitungen einer arrangierten Ehe eingebunden. Shiina hatte kein Interesse an Männern, auch an Frauen nicht. Sie verspürte keine Sehnsucht nach Nähe, Liebe oder Geborgenheit. Sie war froh, dass sie nicht als Erste geboren wurde und einen würdigen Nachfolger heiraten musste. Ihr war dennoch klar, dass sie heiraten musste. Irgendwann würde der Tag kommen, dass wusste sie. Doch sie schob den Gedanken beiseite und hoffte, dass dieser Tag noch lange hin war. Die Familie Kikuta hatte keinen Sohn. Aber der Schwiegersohn, Lady Mia Kikutas Verlobter, war ebenfalls ein wohlhabender Mann aus der Region Shizuede, südlich von der Kikuta Domäne. Dies war eine friedliche Domäne. Hauptsächlich bekannt durch feine Seidenherstellung und Kimonoherstellung. Die besten Kimonos des Landes wurden dort hergestellt. Ein Kimono aus Shizuede kostete mehr, als ein Arbeiter sein ganzes Leben verdiente. Shiina mochte die Mode des Südens nicht. Sie war prunkvoll. Ihrer Meinung nach waren diese Kleider völlig nutzlos, vor allem in der jetzigen Jahreszeit. Da schätzte die junge Adlige eher die warmen Winterkimonos aus der Region Kishi. Sie waren gesteppt, dick und warm. Auch wenn sie nicht so reich verziert waren oder hochwertig an Qualität, so wärmten sie einen doch. Doch eine Adlige, vor allem aus dem Hause Kikuta, dem Clan, der die Domäne anführte und leitete, beherrschte, sollte niemals einen niederen, billigen Kimono tragen. Und so musste sie zu meist frieren. Es sei denn ihr Vater war auf einer Handels- und Verhandlungsreise mit anderen hochrangigen Geschäftsleuten und Lords. Dies war im Moment der Fall. Er war noch vor dem ersten Schneefall aufgebrochen, und vor der ersten Schmelze, würde er wohl auch nicht zurückkommen. Im Winter waren die Wege nur schlecht befahrbar für Kutschen und zu rutschig für Pferd und Mensch. Es war zu gefährlich. Zu schnell könnte man abrutschen und stürzen, erfrieren und jämmerlich verenden. Außerdem waren die Bergketten ohnehin nicht passierbar. Das schirmte Tensai im Winter von der Außenwelt ab, zumindest solange, bis der Schnee schmolz. Shiina fragte sich, was er diesmal von seiner Reise mitbringen würde. Meistens brachte er die merkwürdigsten Gegenstände mit. Skulpturen, von Dingen, Tieren, die sie noch nie gesehen hatte. Wahrscheinlich, so glaubte Shiina zumindest, waren diese Tiere vom Festland. Hier auf der Insel hatte sie nie ein solches Tier gesehen. „Lady, sie werden sich erkälten.“ Shiina drehte sich zu dem Dienstmädchen um, dass sie angesprochen hatte. Sie hatte ein braunes Kleid an, geschnitten war es wie ein Kimono, aber es war einfacher zu tragen, leichter anzuziehen und man konnte sich daran freier bewegen zum Arbeiten. Darüber hatte die Frau eine einfache weiße Schürze gebunden, die an Seitenrändern mit feinen Rüschen genäht war. Shiina kannte diese Frau, seit sie klein war. Sie war so etwas wie Shiinas Amme. Ihre Mutter hatte nie Zeit gehabt, sie hatte sich viel lieber mit Kunst beschäftigt oder mit ihrer älteren Schwester. Aber Shiina hatte nie wirklich viel Liebe von ihrer Mutter erhalten. Sie erhob sich elegant. „Lass mir ein Bad ein. Ich möchte mich aufwärmen.“ Langsam und anmutig schritt Shiina an ihr vorbei. „Lady Shiina, ihr Cousin ist soeben eingetroffen. Er erwartet Sie in Azaleen-Zimmer.“ Shiina blieb stehen und sah die ältere Dame an. Die noch eben gelassene Ausstrahlung des jungen Mädchens war verschwunden. Aus ihren Augen sprach Wut. Auch wenn sie versuchte dies zu unterdrücken, war es der Dienerin bewusst was Shiina verspürte. „Beruhigen Sie sich. Ich bin mir sicher, es wird nur um Vormalitäten gehen, da Ihr verehrter Vater und auch Ihre Schwester nicht im Anwesen sind.“ „Was ist mit Mutter, kann sie nicht mit Lord Noriyaki sprechen?“ Lord Noriyaki war Shiinas Cousin, der Schwager ihres Vaters. Er hatte seinen Landsitz im Norden der Hauptstadt, nahe der Bergkette Katayu gelegen. Katagai war eine sehr schöne Stadt, wie Shiina fand. Jedenfalls wenn man sich von dem Schloss fernhielt, in dem Lord Noriyaki lebte. Es war protzig, hohe Mauern umgrenzten den gesamten Bereich des Schlosses. Ein Garten war zwar innerhalb der Mauern, der auch recht schön angelegt war, aber es war dennoch ein Gefühl von Gefängnis, dass die schweren Mauern verliehen. Shiina war nicht gern dort. Sie besuchte gern ihre Cousine, Lady Noriyaki, die auf einem Landgut lebte. Auch sie mochte die Schwere des Schlosses nicht. Lord Noriyaki war von Lord Kikuta für die Verwaltung der Lehnsgrenze und der Bergkette verantwortlich gemacht wurden. Er war er gerissener Händler und Verhandlungskünstler. Wenige hatten es bisher geschafft den Mann, der mittlerweile über 50 war, übers Ohr zu hauen. Shiina mochte ihn nicht. Er war ein Fuchs. An Kindern hatte er bisher nur einen Sohn. Shiina nahm an, dass er nicht mehr wollte, da er bereits den Erben seines Sitzes hatte. Jedes Jahr um diese Zeit nahm der alte Mann diese lange und beschwerliche Reise auf sich. In Sommermonaten brauchte man für diese Reise etwa nur zwei bis drei Tage, wenn das Pferd gut lief, doch im Winter, wenn die Wege mit Schnee bedeckt waren und man diese erst frei räumen lassen musste, brauchte man etwa 4 oder sogar 6 Tage bis nach Tensai. Lord Noriyaki kam nicht oft zu Besuch im Sommer. Er verzichtete auf lange Reisen in den warmen Jahreszeiten. Er sagte, sein Kreislauf würde das nicht durchstehen. Deswegen bevorzugte er die kühle Region im Süden ihres Lehns. Der Berg Katayu spendete Schatten und die Durchschnittstemperatur stieg niemals über 25°. Dafür war es im Winter auch kälter als in der übrigen Region der Domäne. Neben den Geschäften des Handels, sicherte Noriyaki auch die Lehnsgrenze im Süden mit seinem kleinen Heer ab. Dies war aber nicht wirklich von Nöten, da die Domäne Shizuede nun ohnehin bald durch die Heirat eine Verbündete Einheit darstellen würde. Ihre Schwester würde nach der Hochzeit nach Tongaki ziehen. Das war eine ganze weite Reise von Tensai entfernt. Sie würde ihre ältere Schwester dann wohl sehr selten sehen. „Bring mir meinen guten Kimono. Ich möchte mich nicht so in der Gegenwart von Lord Noriyaki zeigen. Und lass Tee bringen.“ Sie verneigte sich und folgte dem Befehl den sie bekommen hatte. Sie half der jungen Lady sich anzukleiden und lies dem Lord Tee bringen. Anschließend begab sich Shiina zum Azaleen-Zimmer, in dem Lord Noriyaki auf sie wartete. Dieser Raum war der Schönste im Schloss Tensai. Er war aus Ebenholz und Buche, die Balken, auch wenn sie dunkel waren, schienen leicht zu sein. An den Wänden hingen Malereien von aller Welt. Sammelstücke, die ihr Vater mitgebracht hatte. Blumen, Tiere, meist Vögel, waren darauf abgebildet. Shiina setzte sich auf das Kissen, das gegenüber von Lord Noriyaki war und beide verneigten sich. Wobei sich Shiina soweit vorbeugte, dass ihre schulterlangen schwarzen Haare auf den Boden fielen. Lord Noriyaki hatte sich bereits aufgerichtet und betrachtete das Mädchen. „Du wirst immer schöner Lady Shiina. Setz‘ dich auf.“ Shiina hob den Kopf und sah an dem Mann vorbei. Sie wusste, dass es Frauen nicht gestattet war, Männern höheren Ranges in die Augen zu sehen. Und sie war zwar die Tochter des Clanerbens und Domämenführers, aber sie war immer noch ein Mädchen, eine Frau und damit stand sie unter dem Lord. „Ich habe gehört, Lady Kikuta ist krank. Ich möchte ihr meine besten Wünsche zukommen lassen.“ Noch einmal verbeugte sich Shiina etwas. „Lord Noriyaki ist zu gütig. Ich werde Mutter Ihre Wünsche zukommen lassen.“ Sie schwieg. Sie hatte diesem Mann nichts zu sagen. „Dein Vater ist wohl noch auf Reisen? Er sollte seine Familie nicht allein lassen, in so einer beschwerlichen Lage.“ „Vater hat dies schon oft getan, und unser Arzt kümmert mich sehr gut um Lady Kikuta. Lord Noriyaki braucht sich also keine Sorgen zu machen.“ Irgendwo konnte sie Eifersucht spüren in dem Mann, der vor ihr saß. Sie ahnte, dass er trotz all seiner Treuegelübte nicht loyal war. Er war besessen von Macht. Shiina konnte sich denken, dass er am liebsten die Herrschaft über die Kikuta-Domäne haben wollte, oder vielleicht sogar die Herrschaft der gesamten sechs Länder. „Dein Vater hat mir eine Aufgabe aufgetragen, als er bei der Reise durch Katagai kam.“ Er reichte Shiina eine Schriftrolle. Darauf konnte Shiina das Siegel ihres Vaters sehen. „Wir werden heute Abend darüber sprechen, Lady Shiina.“ Sie nickte nur. „Ich werde ihnen ein Zimmer herrichten lassen Lord Noriyaki.“ Wieder verneigte sie sich vor dem Mann und wartete bis dieser den Raum verlassen hatte. Anschließend trug sie ihrer Dienerin auf, ein Zimmer für Lord Noriyaki herzurichten. Sie selbst zog sich in ihre eigenen Gemächer zurück. Dort ließ sie sich erst einmal eine Kohlepfanne bringen lassen um den Raum zu erwärmen. Anschließend legte sie die Rolle ihres Vaters auf den kleinen Tisch in der Ecke des Raumes. Stühle gab es nicht. Man saß einfach auf einem Kissen auf dem Boden, meist in Seiza, einer traditionellen Sitz Art, bei der man auf den Ballen saß. Wobei einem schnell die Beine einschlafen konnten. Shiina hatte früh gelernt so zu sitzen, da es sich für höhere Töchter nicht schickte, die Füße nach außen zu knicken, das das Sitzen in Seiza allerdings erleichtern würde. Doch dies taten nur Männer und Frauen von niederem Rang. Für Shiina kam dies nicht in Frage. Als die Dienerin die Pfanne gebracht hatte und den Raum anschließend wieder verließ, setzte sich Shiina an eben diesen Tisch in besagter Haltung und öffnete die Schriftrolle. Die Buchstaben waren ihr vertraut. Dank ihrer Mutter hatte Shiina, trotz dass sie ein Mädchen war, lesen lernen dürfen. Damit war sie eine unter wenigen Mädchen und Frauen die Lesen konnten in dieser Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)