Hopeful Skies von CaitLin (Wenn der Himmel verschwindet) ================================================================================ Kapitel 5: Höllenritt --------------------- Eines Abends, es waren bereits zwei Monate vergangen, kam Leander gerade rein, da drückte ihm Jeremy auch schon eine Anzeige ins Gesicht. „Sieh dir das an!“, forderte er Leander auf. Dieser schob die Zeitung etwas hinunter, um Jeremy ins Gesicht sehen zu können. „Ja, danke Schatz, ich hatte einen wundervollen Tag.“ Er zog seine Schuhe aus und fächelte sich Luft zu. Es wurde immer wärmer und wärmer, der Sommer hatte sie bereits eingeholt. In einem Monat würden sie diese Wohnung auch schon wieder verlassen müssen, in der sie sich mittlerweile schon richtig heimisch gefühlt hatten. Jeremy war viel zu selten da, um Dreck zu machen und Edy, nun, mochte er auch ein Choleriker und eine Nervensäge sein, besaß er seltsamerweise einen großartigen Sinn für Sauberkeit und Ordnung. Im Gegensatz zu Leander. Keine gute Kombination. Jeremy aber deutete beharrlich auf die Anzeige. „Da, sieh dir das an! Ein Schnäppchen!“ Leander seufzte und blickte auf die Zeitung hinunter. Im nächsten Augenblick riss er die Augen weit auf. „Zweihunderttausend…?“, wollte er verwirrt wissen. „Für das kleine bisschen … Moment!“ Er entriss Jem die Zeitung und staunte nicht schlecht. „Das ist ja in Plaka!“ Wieder überflog er die Worte. „Das ist wunderbar! Renovierungsbedürftig steht da, aber den Großteil schaffen wir sicher alleine! Für den sanitären Teil lässt sich auf jeden Fall jemand finden!“ Verdutzt sah er in die Gesichter der beiden Männer, die ihn grinsend musterten. „Was?“, wollte er wissen. Aber Edy zuckte nur mit den Schultern. „Ich wusste, dass es dir gefallen könnte, also hab auch schon einen Termin vereinbart! Der Verkäufer ist aber erst ab nächster Woche erreichbar, er meinte wir können uns das Haus schon mal von außen ansehen. Kommst du mit?“ So aufgedreht hatte er Jeremy ja noch nie erlebt. Leander stutzte. „Wie? Jetzt?“ Er selbst war den halben Tag in der Stadt unterwegs gewesen, auf der Suche nach einem passenden Objekt, aber zwischen all den großen Haien etwas Gutes zu ergattern war zurzeit mehr als nur aussichtslos. „Geht ihr nur, ich komme dann beim nächsten Mal mit!“ Er war viel zu müde um sich jetzt im Dunkeln irgendein Objekt anzusehen, das dem verrückten Jem vor die Flinte gelaufen war. Zudem hatte er sich vorgenommen endlich mal wieder einen Abstecher in die Bars zu machen. Zwar blickte Jeremy ziemlich enttäuscht drein, aber er hatte ja noch Edy. Der sah auch nicht besonders fröhlich aus, es passte ihm wohl auch nicht sonderlich durch die Gegend geschleift zu werden. Gerade gingen sie durch die Tür, da warf Edy noch einmal einen kurzen Blick zu Leander zurück. Dieser grinste nur breit und winkte ihm hinterher. Und bekam prompt den Stinkefinger gezeigt. Leander lachte, schüttelte den Kopf und begab sich erst einmal unter die Dusche, bevor er Athens Straßen mal wieder unsicher machen konnte. Langsam bewegte er sich durch die hell erleuchteten Straßen, versuchte eine schmackhafte Beute ins Visier zu nehmen, aber irgendwie war selbst unter den Touristen nichts für ihn. Zumindest nicht etwas, das ihn wirklich faszinieren konnte. Seine Schritte trugen ihn weiter, er spuckte seinen Zigarettenstummel aus. Seit er von den Scheiß-Drogen losgekommen war, waren die verdammten Kippen zur stärkeren Sucht mutiert. Vor dem Black Hills hielt er inne. Der Laden war mal wieder brechend voll, laute Musik dröhnte nach draußen, drinnen schien es heiß her zu gehen. Stimmen ertönten, eine verführerische Stimme lachte richtig unsexy auf, was ihn kurz grinsen ließ. Hier wurde er sicher fündig! Der Türsteher musterte ihn einen scharfen Augenblick, zeigte dann aber ein anzügliches kleines Lächeln. „Hast du dich verlaufen, Kleiner?“ Leander hob eine Augenbraue, blickte dem Typen ins Gesicht. Der Kerl war eine echte Kante, richtig breit gebaut, aber für Leanders Geschmack schon wieder zu extrem. „Hast wohl den Besuch auf deiner kleinen Beauty Farm gut überstanden, was?“ „Welcher Schwachkopf hat dich denn hier eingestellt?“, knurrte Leander zurück, seine Mundwinkel zuckten, er hatte den Burschen recht spät erkannt. Der Name fiel ihm nicht ein, aber Leander wusste, dass der Typ für Franky arbeitete. „Derselbe, dem du dein Leben zu verdanken hast.“ Der Typ nickte kurz, ließ Leander eintreten, nicht ohne ihm noch einen kräftigen Klaps auf den Hintern zu geben. Seine Füße trugen ihn hinein und tatsächlich platzte die Bar bald aus allen Nähten. Die Theke war voll besetzt, auf der Tanzfläche ging es wild her und auch sonst waren alle Steh- und Sitzplätze völlig ausgebucht. Dass er auf Entzug gewesen war, hatte sich wohl relativ schnell herum gesprochen. So ein Mist! Er quetschte sich bis zur Bar durch und stolperte versehentlich gegen einen der Kellner. Scheiße, der Bursche war so klein, dass Leander ihn fast übersehen hatte. „Sorry!“ Aber der Kleine beachtete ihn gar nicht. Leander hingegen hatte ziemlich genau hingesehen und hob anerkennend die Augenbrauen, als das Würmchen an ihm vorbei huschte und in der Menge versank. Eine recht androgyne Gestalt, wundervolles, blondes Haar. Und waren das etwa zwei himmelblaue Augen, die ihn da so böse angefunkelt hatten? Oh Scheiße, dieser Sorte konnte er so rein gar nicht widerstehen! Auch wenn er den heißen kleinen Arsch lediglich für ein paar Sekunden erblickt hatte, begann er sich die wildesten Fantasien auszumalen. Er bestellte sich etwas zu trinken und versuchte die ganze Zeit über den kleinen Kellner auszumachen, bis er ihn entdeckte. Zwar nur von weitem, doch auf der anderen Seite der Theke. Er lachte so wundervoll, unterhielt sich gerade mit einer unheimlich pervers aussehenden Gruppe von Männern, die ihn ganz offenkundig ansabberten. Aber der Kleine grinste nur, ein kleines Grübchen zeigte sich auf der rechten Wange. Dieser kleine Bastard von einem Amor traf ihn mitten ins Herz. „Zur Hölle mit dir, Eros!“, knurrte er. Seine gemurmelten Worte gingen in dem lauten Getöse des Umfeldes unter. So ein Scheißdreck, für gewöhnlich passierte ihm so was nicht. Schnell wandte er sich ab, bestellte sich wieder etwas und ließ den Blick weiter durch den Laden schweifen. Da stand so ein komischer Typ mit einem Ziegenbart. Der sah zwar nicht schlecht aus, aber er wirkte doch ein wenig schmierig, ganz besonders sein Lächeln. Und dann geschah es, der Kerl begann Leander ganz offensichtlich anzuflirten und erregte noch dazu die Aufmerksamkeit seiner Freunde, die um ihn herum standen. Alle hoben den Blick um Leander unter die Lupe zu nehmen. Himmel, Arsch und Zwirn, diese idiotischen Touristen! Gleich würden sie ihre Kameras rausholen und ihn noch um ein Foto bitten. Schnell wandte er sich ab und suchte unermüdlich weiter. „Hey!“, sprach eine tiefe Stimme plötzlich neben ihm. Leander wandte den Kopf schwach zur Seite, nippte an seinem Drink. Und da stand er auf einmal, der Typ mit dem Ziegenbart! Er war groß, keine Frage. Seine Haut war sonnengebräunt, sein Haar pechschwarz, ebenso wie seine Augen. Und er grinste schon wieder so widerlich, machte vor seinen Freunden noch auf dicke Hose. „Was ist?“ Leander hob eine Augenbraue. „Machst du’s mit mir?“, fragte er auf Englisch. Leander spuckte den Drink aus, verschluckte sich und erst nachdem er wie ein Fisch nach Luft gejapst hatte, brach er in einen wilden Lachanfall aus. Es war nicht die Frage an sich, sondern wie der Bursche sein Anliegen vortrug. So stand man vielleicht im Supermarkt und fragte nach der Tiefkühlbateilung. Aber mit dem Baggern hatte er es wohl nicht so. Leander hustete, bis ihm die Tränen kamen. Die Gesichtszüge seines neuen Bekannten entgleisten einen Moment. Er hob die Hand, so als wollte er Leander auf den Rücken klopfen, entschied sich aber anders und verzog verwirrt das Gesicht. Selbst der hilflose Blick, den er seiner Gruppe rüber warf, brachte ihm nicht viel. „Also …?“, wollte der junge Mann beharrlich wissen. Mensch, war das abturnend! Wenn das so weiter ging, würde er sich heute Nacht das Bett schon wieder mit den Wanzen teilen. Eigentlich wäre der kleine Lachanfall doch schon Grund genug gewesen, um sich davon zu machen, nur war der Typ ganz schön hartnäckig. Er wirkte total verunsichert, bewegte sich von einem Bein aufs andere. „Ich bin schon bedient, danke!“ Leander wandte sich wieder nach vorn, konnte nicht mehr aufhören zu grinsen. Bildete er es sich ein oder waren die Männer ihm gegenüber mutiger geworden? Sonst sprach ihn nie jemand so kackfrech an. Vor allen Dingen nicht Typen, die aussahen, als wären sie jünger als er selbst. Eine Hand berührte ihn an der Schulter. Leander hob jetzt beide Augenbrauen. Er wandte sich wieder halb um und hätte diesem komischen Vogel am liebsten eins auf die Schnauze gegeben. Stattdessen gab er sich damit zufrieden, die Hand grob von seiner Schulter zu drücken. „Was willst du denn noch?“ Jetzt wurde der Kerl auch noch rot, er beugte sich leicht zu Leander hinunter. „Einen besseren als mich findest du sicher nicht!“ Sein ekelerregendes Grinsen wollte und wollte ihm nicht sympathischer erscheinen. „Klar, geh schon mal in den Darkroom.“ Leander war schon aufgefallen, dass der Typ die Ironie wohl kaum vernommen haben mochte, aber um ehrlich zu sein war ihm das gerade Scheißegal. Für gewöhnlich war doch er derjenige, der sich seine Partner aussuchte, jetzt war er selbst zum Gejagten geworden oder was? Der Typ wollte einfach nicht locker lassen „Also kommst du?“ Leander rollte genervt mit den Augen, setzte sein Glas etwas härter als nötig auf dem Tresen ab und erhob sich. Für gewöhnlich wirkte seine Größe einschüchternd, allerdings waren sie sich, was die Körpergröße anging, fast ebenbürtig. „Du siehst besser zu, dass du verschwindest, sonst brech ich dir das Genick, verstanden?“ Seine Laune wurde immer mieser und mieser. Dieser Hanswurst war noch die Krönung des ganzen. „Halt!“, rief eine Stimme, eine schmale Gestalt drängte sich zwischen die beiden Männer. Es war der blonde Kellner, der zu dem Touristen rüber sah und mit dem Finger klagend auf den Ausgang deutete. „Du hast heute schon genug Ärger gemacht. Am besten nimmst du jetzt deine Freunde und verschwindest!“ Leander sah das Gesicht nicht, aber er wusste, dass es dieser androgyne, süße Bursche war, der gerade in schnellem Englisch sprach. Der Kerl war etwas verwirrt, was an sich ja nichts Neues war. Aber je länger er den Kleinen anstarrte, umso mehr zeigte sich die kleine Veränderung in seinem Gesicht. Doch noch bevor er den Mund aufmachen konnte, stand auch schon der Türsteher hinter ihm, packte ihn am Kragen und warf den aufdringlichen Penner samt Anhang hinaus. Der blonde kleine Ganymed würdigte Leander keines Blickes sondern schnaubte nur zufrieden. Und leider war er auch schon wieder abgetaucht, Leander konnte ihn für den Rest des Abends nicht mehr ausmachen. „Wir haben es gekauft!“ Jeremy strahlte über das ganze Gesicht, sein Grinsen wirkte fast schon überwältigend. Die Besichtigung war erst einige Tage her und sie hatten das verdammte Gebäude schon gekauft...? „Yannis hat uns geholfen! Stell dir vor, er kannte den Makler! Ist das nicht großartig? Wir haben es für einen Spottpreis bekommen!“ Leander stand unter der rauschenden Dusche und starrte Jeremy eine Weile lang an, während ihm das Wasser über das Gesicht lief. „Das ist ja alles schön und gut …“, begann Leander, „… aber falls du es nicht gemerkt hast, ich stehe nicht nur gerade unter der Dusche, sondern versuche mir in Ruhe einen runter zu holen!“ Seine Augen wurden zu schmalen, grauen Schlitzen. „Also zieh dich aus und spring hier rein oder verschwinde und warte bis ich fertig bin!“ Erst eine halbe Stunde später stand Leander im Raum, das Wasser perlte ihm noch vom Haar und wurde von dem Handtuch verschluckt, das er um seine Hüften trug. Die Koffer waren bereits allesamt gepackt, Edy hatte noch in der Nacht einen Großteil der Sachen in die neue Pension verfrachtet. „Es ist doch noch eine Baustelle, oder?“ Jeremy zog den Reißverschluss der Sporttasche zu und grinste noch immer so breit vor sich hin. „Schon, aber wir kommen schneller voran, wenn wir dort bleiben. Davon abgesehen ist unsere Frist hier so oder so abgelaufen.“ Leander hockte sich auf eine der gepackten Taschen, die in ihrem ehemaligen Schlafzimmer standen, es lagen noch zwei Rucksäcke und ein kleiner Koffer im Raum. Die Wohnung war zwar ohnehin fast nackt gewesen, aber jetzt wirkte die leere Wohnung noch verwahrloster. „Und wer ist dieser Yannis nochmal?“ Leander kratzte sich dezent zwischen den Beinen, es störte ihn nicht, ob er Jeremy einen Einblick unter das Handtuch gewährte. „Das hab ich dir doch schon gesagt! Der Junge aus der Bar! Du hörst nie zu!“ Leander verzog die Lippen. „Du erzählst mir auch in den ungünstigsten Momenten von irgendwelchen Dingen!“, knurrte er. Jem griff hinter Leander nach dem Regal, in dem noch das eine oder andere Kochbuch von Edy lag. Und in dem Moment, indem er das tat, griff Leander nach den Hüften des anderen und ließ ihn auf seinen Schoß plumpsen. „Welche Bar?“, wollte Leander wissen und vergrub das Gesicht an Jeremys Hals. Er roch immer so wundervoll dezent nach diesem teuren Parfüm, dessen Name Leander einfach nicht einfallen wollte. Aber er hatte es schon mehrmals bei anderen Männern gerochen, mit denen er es getrieben hatte. Dementsprechend begann sich etwas bei ihm zu regen. Jeremy schlug ihm leicht mit der Faust gegen den Kopf. „Aus dem Black Hills, du Idiot! Ich hab dir doch von ihm erzählt, dieser blonde süße Typ, der wie ein kleiner Wirbelwind durch den Laden fegt.“ Gerade hatte Leander die Lippen geöffnet, wollte an der weichen Haut von Jeremys Hals entlang lecken, als er erstarrte. „Wie?“ Seine grauen Augen huschten hoch, in Jeremys Gesicht. „Du kennst ihn also!“ Jeremy grinste jetzt wieder so breit, versuchte zeitgleich das Gesicht dieses Spinners von sich wegzudrücken. „Er ist ungefähr so groß …“ Jeremy hielt sich die Hand bis knapp über die Brust. „… hat blondes Haar und schöne blaue Augen. Ich versuche ihn die ganze Zeit über anzuwerben.“ Leanders Mund klappte auf. „Spinnst du?“ Jem erhob sich, endlich hatte sich der Griff gelockert. „Wieso?“ Sofort wurde der Druck von Leanders Hand etwas fester, versuchte Jem wieder an sich heran zu ziehen, während dieser sich von ihm wegdrückte. Ein kleiner Machtkampf entstand, doch keiner von den beiden wollte nachlassen. Im Gegensatz zu Jeremy wusste Leander genau wem das Black Hills gehörte, der Türsteher hatte es ihm ja verdeutlicht. Und wenn Jeremy einen Mitarbeiter dort abwerben würde und Leanders Name dabei ins Spiel kam, würde es gefährlich werden. „Der Kleine arbeitet für meinen alten …“ Er verstummte kurz, sollte er Jeremy davon erzählen? Auch wenn der Amerikaner bereits so einiges von ihm wusste, Details hatte Leander vorsichtshalber ausgelassen. „Für deinen alten …?“ Jem neigte leicht den Kopf, erwartete eine Antwort und ließ Leander dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. „… für meinen Alten eben.“ Jeremy hob eine Augenbraue. „Für deinen Vater? Ich wusste gar nicht, dass du Kontakt zu ihm hast? Das hast du mir nie erzählt.“ Leander versuchte sofort vom Thema abzulenken, langsam wurde es unangenehm. Je weniger Jem wusste, umso besser. Sofort griffen seine Hände wieder härter zu, er zog Jeremy dichter an sich heran und leckte sich über die Lippen. Seine Zungenspitze berührte das kleine Piercing an seiner Lippe. „Lass uns erst mal sehen, was für einen Schrott ihr euch da angelacht habt, dann reden wir irgendwann über das Personal. Das übrigens nicht eingestellt wird, bevor es meiner Kontrolle unterzogen wurde.“ Leander beugte sich nach vorn, seine Lippen berührten die weiche Haut an Jeremys Schlüsselbein. Eigentlich hatte er sich ja vorgenommen Jeremy einmal herum zu kriegen, aber irgendwie ging das jedes Mal daneben, verdammt nochmal. So wie auch jetzt. Jem grinste wieder breit, drückte Leander von sich. „Ich geh jetzt hin, komm doch mit!“ Leander knurrte hörbar und biss in Jeremys Hand, die der junge Amerikaner mit einem kleinen Lachen zurück zog. „Los, beweg dich! Die restlichen Koffer müssen auch langsam verschwinden!“ „Die eine Woche hätten wir noch bleiben können!“ Leander brummte wie ein griesgrämiger Bär. Dass Jeremy ihm über den Kopf streichelte, machte es nicht besser. „Jetzt stell dich nicht so an und beweg dich!“ Leander half Jeremy gerade dabei die Koffer auszuladen. Es war später Mittag und die Sonne brannte unbarmherzig auf sie hernieder. „Scheiße, ist das heiß!“, keuchte Leander und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jem grinste nur und zuckte mit den Schultern, hievte die Sporttasche aus dem Kofferraum und schulterte sie. „Wir müssen nur ein kleines Stück nach oben laufen.“ Leander wollte gerade verächtlich schnauben, da bemerkte er eine Regung in den Augenwinkeln. Der Taxifahrer hatte sie so weit hinauf gebracht, wie er gekommen war. Um nach Plaka hinein zu kommen, mussten sie ein kleines Stück laufen. Leander erstarrte, die Gestalt, die ihn aus einer schmalen Gasse heraus beobachtete, winkte ihn zu sich. Und auch, wenn er das Gesicht kaum erkannte, ahnte er schon wer das war. „Können Sie ihm mit den Koffern helfen?“ Leander hatte den Taxifahrer auf Englisch angesprochen und ihm einen Fünfziger in die Brusttasche gesteckt. Der Mann hatte sofort genickt und sammelte die Taschen ein. Jeremy hob verblüfft die Augenbrauen. „Was ist los, kommst du nicht mit?“ Leander grinste entschuldigend. „Geh du schon vor, ich komme gleich nach, hab noch schnell was zu erledigen.“ Jeremys Blick wurde skeptisch. „Die Straße runter wohnt ein Bekannter, der hat Ahnung von Häusern. Außerdem treibt sich hier irgendwo ein guter Fliesenleger herum. Du hast doch gesagt, dass du einen brauchst.“ Jeremy musterte Leander noch immer auf eine leicht unangenehme Weise, nickte dann aber. „Okay, beeil dich.“ Und erst als Jeremy und der Taxifahrer aus seinem Blickfeld verschwunden waren, bewegte er sich auf die Gasse zu. Das war einer von Frankys Jungs. Er kannte diesen Kerl. Ein kleiner, unscheinbarer Asiate mit mandelförmigen Augen, so dunkel wie zwei Kohlestücke. Eigentlich hatte er gedacht, dass er es sich einbildete. Oder hatte es sich erhofft. Denn seit ein paar Tagen spürte er deutlich, dass man ihn verfolgte. „Franky will dich sehen.“ Mit einem Gesicht, als habe man es in Stein gemeißelt, betrachtete er Leander. Schließlich wandte er sich ohne weiteres ab und deutet e mit einem Nicken die Gasse hinunter. Und ohne sich noch einmal umzudrehen, um zu schauen ob Leander ihm auch folgte, bewegte er sich zwischen den eng beieinander stehenden, weißen Häusern vorbei. Schmale Stufen führten hinunter und kaum traten sie auf eine Straße hinaus, sah Leander dort einen schwarzen Geländewagen stehen. Die Fenster waren getönt, man ahnte nicht einmal ansatzweise wer dort drin sitzen mochte. Dem Asiaten wurde die Beifahrertür geöffnet, er stieg ein und Leander blieb allein draußen zurück. Das Fenster schob sich langsam hinunter, der Geruch nach Leder und schwerem Whisky umwehte ihn fürchterlich. Franky lächelte ihm entgegen. „Ich hab ja gehört, dass du auf Entzug warst, Días hat es mir erzählt. Aber eigentlich hatte ich jetzt ein richtiges Wrack erwartet.“ Leander blieb ruhig vor dem Wagen stehen. Seine Augen regten sich kaum. „Was willst du?“ Franky hob eine Augenbraue, noch blieb das Lächeln bestehen. „Werd ja nicht frech, mein Süßer.“ Leander knirschte innerlich bereits mit den Zähnen. „Ich habe allen Grund wütend auf dich zu sein, meinst du nicht? Nach dem letzten Scheiß, den du mit mir abgezogen hast!“ Franky öffnete die Tür. „Steig ein, lass uns nicht auf der Straße darüber reden.“ Aber Leander blieb regungslos stehen. „Ich hab dir bereits gesagt, dass ich nicht mehr für dich arbeiten werde.“ Jetzt verschwand das Lächeln langsam aus Frankys Gesicht. „Wenn du heute deine Freiheit genießt, dann nur weil ich so gnädig war und dich gehen lassen habe. Aber du vergisst, dass dein Leben in meinen Händen liegt. Deine Eltern waren es, die dich an mich verkauft haben. Also gehörst du immer noch mir und ganz besonders dann, wenn ich es will.“ Leander ballte eine Hand zur Faust und stieg schließlich in den Wagen ein. Er wusste, dieses Arschloch würde ihn bis ans Ende seines Lebens verfolgen. Die Tür des Geländewagens schlug zu. Franky beobachtete Leander, der dicht neben ihm saß. „Vergiss niemals, Leander, dass du immer noch mir gehörst. Es spielt keine Rolle wie sehr du dich dagegen sträubst.“ Seine Hand streckte sich aus, er berührte Leanders Kinn, nahm es zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich habe dir versprochen, dass ich dir keine Aufträge mehr geben werde. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich dich einfach so gehen lasse.“ Wieder zeigte sich ein Lächeln. „Wie könnte ich?“ Er zog Leander dichter an sich heran. Und auch wenn sich sein Körper wehren wollte, er tat es nicht. Denn Franky war zu mächtig und wenn er sich auf ein kleines Kräftemessen einließ, dann nur, weil er mit Leander spielte und sich lediglich über die kleine, rebellische Ader amüsierte. Ihre Lippen berührten sich fast, die andere Hand legte sich auf Leanders Oberschenkel. „Ich habe dir mein Wort gegeben, von nun an werde ich dir keine Aufträge mehr geben, aber glaub ja nicht, dass du so einfach von mir loskommen kannst.“ Leander biss sich leicht auf die Unterlippe, seine Zähne bohrten sich langsam in die empfindliche Haut. „Wage es also nicht, dich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Wenn ich nach dir schicke, hast du meinem Ruf zu folgen, egal wann. Und wenn ich etwas von dir verlange …“ Die Hand auf Leanders Oberschenkel glitt langsam höher. „… dann wirst du es tun, ohne dich mir zu widersetzen. Hast du verstanden?“ Seine Stimme war kalt, ebenso wie seine Augen. Leander hatte die Brutalität dieses Mannes schon mehrfach erlebt, gelegentlich auch am eigenen Leib, als er noch jünger gewesen war, wobei sich Franky weniger an ihm vergriffen hatte, als an den anderen Kindern. Franky war schon immer heiß auf ihn gewesen und vielleicht hatte Leanders schönes Gesicht ebenso dazu beigetragen, ein halbwegs angenehmeres Leben zu führen, als die anderen. Auch wenn dieser Vorteil die Grausamkeiten, die ihm widerfahren waren, nicht besonders abgeschwächt hatte. „Was willst du von mir?“ Franky begann wieder zu lächeln. „Ich hatte Sehnsucht nach deinen Raubtieraugen“, hauchte er und beugte sich tiefer über Leander, drängte ihn in den Ledersitz zurück. Sein Handy begann zu summen und vibrierte etwas stärker, bevor es anfing irgendeine behämmerte Melodie vor sich hin zu dudeln. Müde öffnete Leander ein Auge und suchte tastend mit der Hand über den Boden. Er lag mit dem Bauch auf dem Bett und regte sich nur sehr schwerfällig. „Ja …?“, knurrte er in den Hörer. Jeremys Stimme explodierte an seinem Ohr. „Wo zum Teufel steckst du? Ich warte seit vier Stunden auf dich!“ Ein bitterer Nachgeschmack lag ihm schwer auf der Zunge. Seine Glieder wollten ihm kaum gehorchen und fühlten sich an, als bestünden sie aus Blei. Er hob schwach den Blick und sah sich um. Franky hatte ihn in irgendein super teures Hotel geschleppt ... Trotz der empörenden Größe des Schlafzimmers befand sich das runde, weiße Bett völlig nackt in der Mitte des Raumes. Die schweren, dunkle Vorhänge waren weit geöffnet und präsentierten ihm die Abgeschiedenheit des siebten oder achten Stockwerkes. Warmes Licht, das sich durch die transparenten Gardinen brach, kündigte den späten Nachmittag an. Der durchsichtige Stoff bewegte sich langsam, fast betörend. Was für eine absolute Ironie! Er hatte wirklich geglaubt seinem alten Leben entfliehen zu können, Jeremy hatte ihm neue Hoffnung geschenkt. Eine Hoffnung, die er und Jeremy so mühevoll zum Leben erweckt hatten, hatte Franky innerhalb weniger Minuten zerschmettert. „Ich bin einem alten Freund begegnet“, begann Leander langsam. Es schnürte ihm die Kehle zu. „Und der wollte, dass ich noch ein wenig bleibe. Seid ihr in der Pension?“ Die Last, die er auf seinen Schultern trug, presste ihn immer tiefer und tiefer ins Laken. Er wusste er spielte nicht nur Jeremy etwas vor, sondern auch sich selbst. Natürlich war der Gedanke an Freiheit, so absonderlich er Leander in seiner Großartigkeit erschienen sein mochte, wundervoll verlockend gewesen. Aber im Endeffekt war es nichts weiter als nur eine reine Illusion. Jeremy schwieg, ebenso wie Leander. Ein gequälter Ausdruck trat in sein Gesicht, er hörte Jeremy enttäuscht seufzen. Einen Moment lang war er versucht Jeremy alles zu beichten, aber er konnte es nicht. „Hast du wieder was genommen?“, wollte Jeremy nur wissen. Jeremys Frage zerriss ihm das Herz. „Nein …“, antwortete er wahrheitsgetreu. Dennoch ahnte Jeremy schon, dass Leander ihm nur die halbe Wahrheit offenbarte. „Sei vorsichtig und melde dich, wenn etwas ist. Wir bleiben mit Edy hier und besorgen langsam das Material.“ Das Handy begann fürchterlich zu zittern, Leander kniff die Augen zu. Ein dicker Kloß setzte sich in seinem Hals fest. Warum hatte er sich nicht einfach von Franky losreißen können, um das verführerische Leben in Freiheit zu führen, das Jeremy ihm versprochen hatte? Er wollte etwas erwidern, aber er konnte es nicht. Zu deutlich spürte er Jeremys Enttäuschung. Und dieser musste die Leanders spüren. Nie hatte Jeremy ihn etwas über sein altes Leben gefragt und tat es auch jetzt nicht. „Sieh nur zu, dass du rechtzeitig nachhause kommst und unterwegs keinen Mist baust.“ Leander presste sich die Faust gegen die Augen, das Zittern breitete sich immer schneller aus, bis er es nicht mehr kontrollieren konnte. Nachhause? Wie konnte er nur nach Jeremys Hand greifen, solange Franky seine Zähne in Leanders Fleisch geschlagen hatte? „Jem …“, begann Leander. Fast hätte er den Mund geöffnet, fast hätte er ihm alles gebeichtet. Aber da öffnete sich die Tür des Badezimmers und Franky kam herein. Nackt, wie er war, betrat er das Schlafzimmer, das Wasser lief ihm vom Haar über die Schultern, glitt in kleinen Rinnsalen an seinen straffen Oberschenkeln herab. Sein Körper strahlte eine beunruhigende Gelassenheit aus und Leander wusste, was jetzt kommen würde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes stand ein Glastisch, davor eine weiße Ledercouch mit dunkelgrauen Polstern. „Ja?“, kam es von Jeremy zurück. Mit ruhigen Augen verfolgte er jede Regung mit. Franky angelte nach seiner Hose, kramte eine kleine, silberne Dose hervor, in der er für gewöhnlich sein Koks aufbewahrte. Mit flinken, fachmännischen Handgriffen hatte er etwas weißes Pulver auf den Glastisch gestreut und begann den kleinen Haufen mit Hilfe eines Messers zu einer feinen, weißen Linie zu formen. Franky hob den Kopf und grinste Leander an. Mit einem knappen Nicken deutete er Leander ihm Gesellschaft zu leisten. Leander knirschte mit den Zähnen, sein Herz begann wilder zu schlagen, bevor es von einer eiskalten Hand umschlossen wurde. Franky wedelte mit dem Messer. „Komm her!“ Er wollte das alles nicht … Am liebsten wäre er aufgesprungen, zum Balkon gerannt und hätte sich hinunter gestürzt. Das, was seine Seele brechen ließ, war Frankys Anblick und Jeremys Stimme zeitgleich an seinem Ohr. Sein altes Leben, das ihn zerstörte und das neue, das er niemals erreichen würde. Selbst nicht, wenn jemand wie Jeremy ihm helfen wollte. „Ich komme vor morgen nicht zurück.“ Was brachte ihm der schönste Engel, wenn ihn der Teufel persönlich in die Hölle ritt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)