Hopeful Skies von CaitLin (Wenn der Himmel verschwindet) ================================================================================ Kapitel 6: Vertrauen -------------------- Langsam schleppte er sich hoch, er war schon öfter in Plaka gewesen, aber es fiel ihm nicht besonders leicht das beschriebene Objekt auf Anhieb zu finden. Das blaue Tor, an dem bereits die Farbe abblätterte, wirkte nicht sehr einladend. Dennoch schob er die Tür auf und schielte hinein. Einmal durch das Tor getreten, fand man sich in einer Art großem Vorgarten wieder. Es wirkte ziemlich verwahrlost, aber mit viel Geld und viel Fantasie würde man hier so einiges rausholen. Dass Jem die nötige Fantasie besaß, hatte er schon bewiesen, indem er diese Bruchbude gekauft hatte, ob er aber das nötige Geld haben würde, war fraglich. Drei Gestalten saßen vor dem Gebäude und veranstalteten ein kleines Picknick. Jem war der erste, der reagierte. Kaum erspähte er Leander, begann er auch schon breit zu grinsen. „Leander!“, rief er laut und winkte ihn herbei. Langsam kam er auf die Jungs zu, da saß jemand, den er nicht kannte. Von hinten erkannte er lediglich einen blonden Schopf. „Ihr Idioten habt es wirklich getan?“ Er grinste und hob dabei die Augenbraue. Sein Blick war auf das Gebäude gerichtet, wanderte schließlich umher und betrachtete neugierig das Stückchen Erde, auf dem Jeremy seine Träume aufbauen wollte. „Er war nicht mehr aufzuhalten!“, brummte Edy mal wieder vor sich hin. Und dann erblickte er das Gesicht des Fremden. Und kaum begegneten sich ihre Blicke, traf ihn regelrecht der Schlag. Er hatte es ja vorher schon geahnt, besonders als Jeremy ihm von dem jungen Mann erzählt hatte. Aber ihn in seiner vollen Pracht hier sitzen zu sehen, überrumpelte ihn dann doch ein wenig. Schnell setzte er sein Pokerface auf, um seine Freude nicht allzu offensichtlich an den Tag zu legen. „Hey!“ Leander ließ sich ihm gegenüber auf den Rasen sinken und betrachtete das schöne, androgyne Gesicht mit einem kleinen Lächeln, das fast zu einem breiten Grinsen mutiert wäre. Hier bei Tageslicht wirkte er noch viel betörender. „Du musst Yannis sein.“ Er spürte Edys finsteren Blick und schenkte ihm ein kurzes Grinsen. „Ja …“, kam es nur zögerlich zurück. Himmel, diese Augen wirkten ja noch viel verführerischer als in der seichten Dunkelheit der Bar. „Ich bin Leander.“ Er streckte ihm die Hand entgegen und der Kleine nahm sie in seine. Er wirkte nicht mehr wie der selbstbewusste Kellner mit der großen Klappe aus dem Black Hills, sondern völlig verschüchtert. Seine Augen huschten immer mal wieder in Leanders Gesicht, bevor er sie niederschlug und verlegen zur Seite blickte. Scheiße, war der süß! „Leander ist nur zur Hälfte Grieche, sieht man ja an seiner hässlichen Fratze!“ Edy musste ja unbedingt wieder das Maul aufmachen! Und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass der Italiener eifersüchtig wurde. Leander lachte nur. „Seit wann zeigst du mir deinen Neid so offen, alter Mann?“ Sein Magen knurrte wild, er spürte Jeremys Blicke auf sich, reagierte aber nicht darauf, sondern nahm sich etwas von dem kleinen Picknick, das die Jungs vor sich ausgebreitet hatten. Es gab Käse, Oliven, frisches Brot und allerhand anderer leckeren Sachen. Vor allen Dingen das Gebäck wirkte gerade äußerst verlockend. „Hast du was gefunden?“, hakte Jeremy schließlich nach. Leander schob sich das Gebäck in den Mund und nickte langsam. Es knisterte zwischen ihm und Jem. Denn Jeremy wusste, dass Leander ihm etwas verschwieg. Und Leander wusste ebenso gut, dass Jeremy etwas ahnte. „Hab einen Fliesenleger gefunden, der macht es zum halben Preis. Ist ein guter Freund meines Alten.“ Er schielte ein wenig nach oben und sah ein breites Lächeln in Jeremys Gesicht. Ob er wollte oder nicht, er grinste sofort mit. Eine Lüge war es ja nicht. Der Fliesenleger wohnte zwar nicht in Plaka, aber Leander hatte ihn, in Frankys Namen und natürlich ohne dessen Wissen, mit dem Job beauftragt. Der Mann hatte sofort zugesagt und so gut wie gar kein Geld verlangt. Klar, immerhin war Frankys Name mit im Spiel. Eine Weile unterhielten sie sich über den Zustand des Hauses, Leander fragte nach Details, damit er ungefähr überlegen konnte, wen er noch alles anheuern musste. Und Franky würde sicher nichts dagegen haben, der verdammte Bastard. Der nahm Leander selten etwas übel. Es sei denn er machte sich ohne ein Wort aus davon. „Der Fliesenleger muss nur wissen was an Material und wie viel davon da ist.“ Leander grinste. Schließlich erhob sich Jeremy und klopfte sich den Staub von den Klamotten. „Warte, ich muss nochmal genau nachsehen, wie viele Fliesen wir bestellt haben!“ Der kleine Yannis hatte die ganze Zeit über nur stumm dagesessen und hatte dem Gespräch gelauscht. Nach Jeremy sprang auch Edy auf und streichelte Yannis über den Kopf, so wie man es bei kleinen Hunden tat. „Danke für das Essen, Kleiner.“ Irgendwie wirkte das Kerlchen ziemlich verschüchtert, als die beiden anderen in das Haus stürmten und ihn mit Leander zurück ließen. Zumindest waren die sehnsüchtigen Blicke kaum zu übersehen, die er den Jungs nachgeworfen hatte. „Du versorgst die beiden also?“ Es amüsierte ihn prächtig zu sehen, was für einen Einfluss seine Anwesenheit plötzlich auf die so wundervolle Gestalt hatte. In der Bar hatte er Leander nicht einmal ansatzweise Beachtung geschenkt. Okay, er kannte schon so einige Reaktionen, die er gelegentlich bei anderen auslöste, aber der Kleine hier war wohl ein Mysterium für sich. Zuerst hob sich der Kopf, er versuchte Leanders Blicken stand zu halten, senkte dann aber wieder die Lider, fast so als könne er Leander nicht lange genug ansehen. Ob es daran lag, dass ihm ein paar versaute Gedanken durch das süße Köpfchen schwirrten, oder die Angst davor, dass Leander diese erkennen konnte, wusste er nicht. „Ja, ich … kenne sie eigentlich noch gar nicht so lange. Jeremy hat mich in der Bar angesprochen, in der ich arbeite …“ „In welcher Bar arbeitest du denn?“ Langsam aber sicher überkam ihn die leise Vermutung, dass Leander ihm nicht aufgefallen war. „Im Black Hills …“ Er schielte zu Leander hoch „Ich war nur ein oder zweimal dort, ist aber ein geiler Laden.“ Leander grinste breit. Der Kleine machte einen erleichterten Eindruck, selbst seine Schultern sackten hinunter, fast so als fiele eine schwere Last von ihnen. „Gute Stimmung, die Musik ist auch klasse.“ Da entdeckte er ein paar Tickets, die er auch schon prompt in die Hand nahm. „Oho!“ Eine orientalische Nacht im Black Hills! Ob Yannis mit zur Show gehören würde? „Ich … kann dich noch mit reinbringen, wenn du Lust hast.“ Um ehrlich zu sein gefiel ihm das zurückhaltende, scheue Verhalten unheimlich gut. Der Kleine wirkte gleich noch viel süßer und vielleicht war es diese kleine Unschuld, die Leander anzog. „Gerne, tanzt du denn auch mit?“ Er grinste. Jetzt konnte er die kleine Farbexplosion in Yannis‘ Gesicht erkennen. Die Röte kroch seinen Hals hinauf, schoss ihm in die Wangen und erreichte fast schon die Haarspitzen. Verdammte Scheiße, fast hätte er aufgelacht! Das gab’s doch nicht! War das derselbe freche Kellner aus dem Black Hills, der fröhlich mit seiner Kundschaft flirtete und Leute hinaus warf, die größer und breiter waren als er selbst? „Sorry, das war nicht so gemeint! Ich geh mal nachsehen, was die Jungs so treiben. Wir sehen uns!“ Schnell erhob er sich auf die Beine. Er musste verschwinden, er ertrug es kaum noch in dieses süße, unschuldige Gesicht zu sehen! Gleich würde er loslachen, ganz bestimmt! Nur ungern ließ er Yannis so zurück, aber es fiel ihm unheimlich schwer sich unter Kontrolle zu halten. Verflucht, der Kleine war scharf auf ihn! Kaum betrat er die Bruchbude, kam ihm Jeremy auch schon entgegen. Seine Augen durchbohrten Leander schon wieder so scharf, das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Du hältst dich doch an unsere Abmachung?“ Leander versuchte zu Lächeln. „Natürlich.“ Jeremys Gesicht wirkte keinesfalls skeptisch, er glaubte Leander. „Gut … denn du weißt, ich habe viel in diese Sache investiert.“ Er war doch kein Idiot, das wusste er. Immerhin hatte er einen Großteil der Kohle, die eigentlich für die Renovierungen gewesen war, in Leanders Schuldenberg gesteckt. Sein rechter Mundwinkel zuckte hoch. „Ich weiß.“ Franky hatte ihn dazu aufgefordert, einen Zug zu nehmen. Und fast hätte Leander nachgegeben. Hätte Jeremy zu dem Zeitpunkt nicht angerufen, hätte Leander seine Stimme nicht gehört, hätte er es vermutlich sogar getan. Noch konnte er Franky entkommen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Leander ihm nicht mehr standhalten konnte. „Wenn ich jemals wieder abstürze, tue ich es ohne dir zu schaden.“ Ein kleines Lächeln zeigte sich auf Leanders Lippen. Jetzt verzog Jeremy das Gesicht. „Erzähl keinen Scheiß, du wirst nicht abstürzen!“ Jeremy war so unheimlich süß, Leander schnaubte belustigt durch die Nase. Seine Hand streckte sich aus, legte sich auf Jems Hinterkopf. „Wenn mir jemand von der Existenz eines Menschen wie dir erzählt hätte, hätte ich ihn ausgelacht. Und weißt du warum?“ Jeremy sah ihm aus seinen schönen braunen Augen ins Gesicht. „Ich hätte gedacht, dass es keinen Menschen auf dieser Erde gäbe, der jemandem wie mir die Hand reicht ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Denn bisher habe ich nur Schatten über diese Welt tanzen sehen.“ Leander bemerkte nicht wie seine Mundwinkel langsam hinunter sackten. Seine Hand glitt nach vorn, streichelte über Jeremys Wange. „Mach dir nicht die Finger allzu sehr schmutzig an mir, Jem. Das lohnt sich nicht ... denn eines Tages werde ich, ob gegen meinen Willen oder nicht, von deiner Seite verschwinden.“ Jeremy zog die Hand von seiner Wange. „Dann wirst du ein Problem haben …“ Leander lächelte schwach. „Warum?“ „Weil ich dich jagen werde, um dich an meine Seite zurück zu holen.“ Er streckte seinerseits die Hände aus, schlang sie um Leanders Nacken und zog ihn dicht an sich heran. Er wollte etwas erwidern … aber es gelang ihm nicht wirklich. Völlig überrumpelt ließ er sich umarmen, starrte einen Augenblick Löcher in die Luft. „Du weißt schon, dass du nicht die Reinkarnation von Mutter Theresa bist, ja?“ Leander wollte, dass Ironie und Sarkasmus aus seiner Stimme trieften. Warum aber klang er dann so heiser und so völlig erbärmlich? Wie von selbst erwiderte er den Druck, schloss die Augen und versuchte sich sein neues Zuhause vorzustellen. Ein Zuhause und ein Leben, das er vielleicht nicht lange genießen würde. Niemand hatte ihm Fragen gestellt, man vertraute ihm einfach. Auch wenn er sich nicht erklären konnte, woher dieses Vertrauen kam. Jeremy baute auf ihn. Doch zur selben Zeit begannen ihn Frankys Jungs aufzulauern. Manchmal sah er sie, sie folgten ihm. Und manchmal entdeckte er sie nicht. Mehr als rege, flüchtige Bewegungen im Hintergrund erkannte er sie nicht. Es ging weniger darum, dass Franky ihn im Auge behalten wollte, sondern eher darum, dass er Leander ganz unverhohlen zeigte, wem er gehörte. Er versuchte sie zu ignorieren, aber es wurde immer schlimmer. Dass Leander nicht mit ihm gekokst hatte, hatte Franky ihm anfänglich nicht übel genommen. Im Gegenteil, der Kerl hatte ihn einfach nur angestarrt, hatte den Kopf zurück geworfen und hatte angefangen laut loszulachen. „Ich hab da keinen Bock mehr drauf …“, hatte er nur gesagt und sich neben Franky gesetzt. Franky hatte so herzlich gelacht, dass ihm die Tränen gekommen waren. Aber Leander hatte ihn beharrlich zurückgewiesen. Die Scheiße mit dem Entzug war schon hart genug gewesen. Nur war es eine Frage der Zeit, bis Franky ihm etwas unterjubeln würde und gerade das machte seine Lage gefährlicher. Ein harter Klaps traf ihn auf dem Hinterkopf. Er legte den Kopf leicht in den Nacken, hob die Hand an, um seine Augen vor dem grellen Licht der Sonne abzuschirmen, das sich in Edys Rücken brach. „Was hockst du hier so faul herum?“, knurrte der Italiener und hatte dabei einen Sack geschultert. Leander schnaubte. Es war so unheimlich heiß, dass er sich eine kleine Pause gegönnt hatte. Der Rasen auf der Rückseite des Hauses war mittlerweile so hoch gewachsen, dass es Leander fast verschlungen hatte. „Was hast du vor?“, wollte Leander wissen. Edy verlagerte seine schwere Last auf die andere Schulter. „Der Estrich im ersten Stock muss neu gelegt werden. Ich weiß nicht welche Schlampe da oben am Werk war, aber der Boden unter den Dielen ist völlig hinüber!“ Er wischte sich mit der anderen Hand den Schweiß von der Stirn. Leander erhob sich auf die Beine und wollte Edy den Sack abnehmen, aber der schüttelte den Kopf. „Wir brauchen eine Estrichpumpe.“ Dem armen Kerl lief der Schweiß über die Stirn. „Meinst du, die können wir irgendwo besorgen?“ Das war wohl das erste Mal, dass die beiden vernünftig miteinander sprachen. Leander überlegte kurz. „Ich schätze schon, warte mal …“ Schnell zückte er sein Handy, ging im Kopf ein paar Namen durch, die ihm behilflich sein könnten. Edy ließ den Sack einen Augenblick lang sinken, kniete sich selbst zu Leander hinunter und drückte das Handy hinunter, bevor Leander eine Nummer wählen konnte. Leander hob erstaunt den Kopf, beide Männer blickten einander lange ins Gesicht. „Wenn Jeremy einmal einem Menschen vertraut, dann ist es meist begründet“, begann er langsam, ohne Leander aus den Augen zu lassen. „Bisher hab ich die Wahl seiner Bekannten und Freunde nie in Frage gestellt, aber bei dir bin ich mir nicht so sicher und weißt du warum?“ Leanders Erstaunen wuchs immer weiter an. „Weil du so undurchschaubar bist.“ Sein Blick war nicht anklagend, sondern durchbohrte Leander mit einer für Edy untypischen Gelassenheit. „Ich weiß nicht wie es hinter deiner Fassade aussieht, aber hier kommt meine Warnung.“ Seine Mundwinkel zuckten leicht. Vielleicht genoss er auch den verwirrten Anblick, den Leander ihm bot. „Wenn du ihn enttäuschst, dann überlege dir vorher, ob du auch mit dieser Last leben kannst. Jeremy ist kein Idiot. Er weiß, dass du Leichen im Keller hast, aber er spricht dich nicht drauf an. Er sieht dich als der Mensch, der vor ihm steht und ignoriert den Schatten, der dir auf den Fersen folgt. Weil er an dich glaubt, kapiert? Wenn du also mal auf dumme Gedanken kommst, denk daran, wer dich vor dem Knast bewahrt und dir eine Chance gegeben hat, dich als Mensch zu beweisen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten erhob er sich auch schon wieder. „Und jetzt beweg deinen hässlichen, knochigen Arsch und sieh zu, dass wir irgendwo die Maschine günstig gemietet bekommen. Diese Baumarktmischung wird uns noch den letzte Cent aus der Tasche saugen!“ Noch während Edy mit dem Sack, den er erneut geschultert hatte, in Richtung Haus ging, fluchte er über den Zustand des Hauses und auch über den Bastard von einem Makler. Leanders Augen versanken in weiter Ferne, noch während sie auf Edys Rücken gerichtet waren. Er wollte sich gegen Edys Worte wehren, er wollte beteuern, dass er Jeremy nie verraten würde. Aber er konnte es nicht. Selbst dieser elende Choleriker hatte bereits die Unsicherheit in Leanders Augen erkannt. Genervt rieb er sich das Gesicht, atmete schwer aus. Er war nicht undankbar, besonders nicht, weil er doch zu schätzen wusste, was Jeremy für ihn getan hatte. Dieser Narr hatte Leanders Schulden getilgt, er vertraute ihm so viel an. Viel zu viel eigentlich. Denn irgendwann würde der Tag kommen, an dem er sich nicht mehr gegen Franky wehren konnte. Wieder hob er das Handy an sein Ohr, lauschte dem Freizeichen. Irgendwann würde Franky ihn zerschmettern, denn gehen lassen würde er ihn niemals. Es lag nicht einmal daran, dass er Informationen an Dritte weitergeben würde, sondern eher daran, dass Franky ihn als seine Beute ansah, in die er zwar seine Zähne geschlagen hatte, doch auf widerliche und makabere Weise noch mit ihm spielte. Vielleicht, um zuzusehen, wie ihm langsam der Atem schwand, vielleicht auch nur, weil er sich daran aufgeilte Leander in einer aussichtslosen Lage zu sehen. Aber zappeln und um Gnade flehen würde er bestimmt nicht. Er ertrug das Leid, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. „Mist …“, brummte er leise und ließ sich zurück ins Gras fallen. Wolkenfetzen zogen über den strahlend blauen Himmel hinweg. „Leander!“, brüllte ihm jemand laut ins Ohr. Er blinzelte zunächst verwirrt, aber er erkannte, dass er ja noch das Telefon am Ohr hielt. „Was lachst du denn so bescheuert?“, fragte die gehetzte Stimme am anderen Ende der Leitung. Aus dem Hintergrund ertönte das laute, dröhnende Geräusch von arbeitenden Maschinen. Baustelle eben. „Ich brauch eine Estrichpumpe, hast du so was?“, fragte Leander zurück und lachte heiter. Die Stimme schwieg einen Moment, als würde sie überlegen. Im Hintergrund hörte man eine Säge kreischen. „Wie lange brauchst du sie?“ Wenn ich jemals wieder abstürze, tue ich es ohne dir zu schaden, das hatte er selbst gesagt. Also würde er Jeremy helfen, solange er in der Lage dazu war und seine Kontakte nutzen, um diese Pension verdammt nochmal auf die Beine zu bringen. Das war er ihm schuldig. „Wenn du mir jemanden schicken kannst, der sie bedient, würde es ziemlich schnell gehen. Ein sehr guter Freund braucht Hilfe, er baut eine Pension. Könntest du mir den einen oder anderen Mann entbehren?“ Er erhob sich rasch in eine sitzende Position. „Wir haben hier so einen dummen Italiener, der die ganze Arbeit macht, aber der ist schon so alt und verrostet, der kriegt kaum was auf die Reihe.“ Die Stimme schnaubte amüsiert. „Ich schaue, was sich machen lässt und melde mich gleich wieder.“ Vielleicht würde er die Eröffnung der Pension nicht miterleben, aber er würde Jeremy helfen so gut es ging. Kontakte hatte er zu genüge. Vielleicht schafften sie es also in diesem Sommer noch? Zufrieden und mit einem breiten Lächeln sprang Leander auf die Beine. Ein angenehmes, wohliges Gefühl übermannte ihn. Stolz war er, keine Frage. Immerhin wusste er, dass es durch seine Hilfe schneller voran gehen würde. Bisher war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, dass Jeremy und Edy kein Geld mehr hatten, weil sie ihm doch aus der Patsche geholfen hatten. Während die beiden sich hier alle Mühe gaben, eine Existenz zu schaffen, hatte Leander kaum etwas dazu beigetragen. Zumindest nichts, das die Prduktivität förderte. Die Situation mit Franky hatte ihm gezeigt, wie schnell er aus dieser kleinen Idylle gerissen werden konnte. Und deswegen musste er schnell handeln. Mit schnellen Schritten betrat er das Haus und horchte. Im ersten Moment war rein gar nichts zu hören, dann aber krachte es irgendwo. Selbst unten, im zukünftigen Foyer, hörte man Edy von oben her fluchen, toben und wild herum schreien. Gegenstände klirrten, etwas Hartes fiel zu Boden. „Edy!“, rief Leander durch das ganze Haus. „Was?!“, kam die gebrüllte Antwort von oben zurück. Leander stand am Treppengeländer und schielte nach oben. Niemand hatte bisher etwas von ihm verlangt. Sie hatten immerzu Rücksicht auf ihn genommen, selbst dieser blöde Edy. Sie hatten ihm Zeit gegeben, vermutlich weil sie wussten, wie schwer er es bis zuletzt gehabt hatte. Und er hatte diese Schonzeit als völlig selbstverständlich betrachtet, ohne, dass es ihm aufgefallen war. Verflucht, warum war ihm das nicht schon viel eher aufgefallen? Und warum hatten diese Narren ihn nicht um Hilfe gebeten? „Lass uns was trinken gehen!“ Erst herrschte kurzes schweigen, aber dann konnte Leander nur seltsames, zustimmendes Gemurmel hören. Er grinste über das ganze Gesicht, als Edy hinunter kam und sich die Hand an einem Tuch abwischte. Konnte sein eigenes Verhalten unter anderem der Grund für Edys immer häufiger werdenden Wutausbrüche sein? Die Tatsache, dass sie arbeiteten und Leander es sich fast schon zu gut gehen ließ? Natürlich, die Warnung eben hatte ja für sich gesprochen. „Wo ist Jem?“ Edy zuckte mit den Schultern. „Der schläft und träumt vermutlich gerade von seiner neuen Flamme!“ Mit einem knappen Nicken deutete er Leander gemeinsam hinaus zu treten. „Was denn für eine Flamme?“ Leanders Grinsen wurde breiter. „Irgendein Knirps, der bei ihm im Store arbeitet.“ Leander wurde stutzig. „Knirps?“ Gemeinsam traten sie hinaus. „Ich glaube der Name war Dylan.“ Mit einem skeptischen Blick schielte der Italiener dem anderen ins Gesicht. Vielleicht um zu sehen, ob Edys Worte Leander verletzt hatten. Dass sie etwas völlig anderes in dem jungen Mann mit den strahlenden, grauen Augen bewirkt hatten, konnte Edy nicht einmal ansatzweise ahnen. Leander lachte. „Dylan? Wie der Dylan McKay aus Beverly Hills?“ Edy verdrehte die Augen. „Warum fragt das jeder?“ Gemeinsam ließen sie sich auf den kleinen Hockern vor einem malerischen kleinen Café nieder. Warum er das tat? Nicht weil er glaubte, dass er Edy irgendwie beweisen musste, dass er kein schlechter Kerl war. Denn er wusste, dass er einer war. Nein. Er wollte den beiden etwas von dem zurück geben, was sie ihm geschenkt hatten. Edy erschien ihm noch äußerst vorsichtig, besonders wenn er an seinem Bier nippte. Gelegentlich schielte er Leander von unten herauf an. Und schien auf etwas zu warten. „Es tut mir leid...“, kam es schließlich von Leander. Edys Blick wurde schärfer, aber er schwieg und wartete darauf, dass der andere weiter sprach. „Ihr habt sehr viel für mich getan. Und ich weiß, du hättest nicht zugestimmt, wenn du Jeremy nicht vertrauen würdest. Vielleicht erscheine ich dir ja suspekt, daran kann ich nichts ändern. Aber ich wollte nie undankbar erscheinen.“ Man konnte deutlich sehen, wie Edys Mundwinkel zuckten. Darauf hatte er wohl schon etwas länger gewartet. Durch sein Schweigen vermittelte ihm der Italiener weiter zu sprechen. „Ich kann euch nichts aus meinem alten Leben offen darlegen und ich weiß ebenso, dass dies einer der Gründe ist, warum du mir nicht vertraust. Das erwarte ich aber auch ehrlich gesagt nicht von dir.“ Leander suchte nach den passenden Worten, nippte zwischendurch an dem kalten Bier, der in einem dünnen Faden durch seine Kehle abwärts glitt. „Aber ich will, dass du weißt, dass ich euch helfen werde, so weit es mir möglich ist.“ Er leckte sich über die Lippen. „Auch wenn ich dir nichts von meiner Vergangenheit erzählen kann, kann ich dir von meiner Gegenwart beichten.“ Er schwieg einen Moment, als der Kellner ihnen ein paar Snacks brachte und sprach erst weiter, als dieser wieder fort war. „Es gibt ein paar alte Bekannte, die mich jederzeit in mein altes Leben zurückstoßen können, ohne dass ich mich dagegen wehren kann.“ Edy hob eine Augenbraue. „Wer sind diese Bekannten?“ Leander schüttelte den Kopf. „Das kann ich dir nicht sagen. Aber ich stecke seit meiner Kindheit drin. Und ich sage dir jetzt ganz offen und ehrlich, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich befürchte, jemanden irgendwann zu enttäuschen.“ Edys harter Blick wurde etwas weicher, er nickte schwach. „Und wenn es einmal so weit kommt, dass ich verschwinde, dann möchte ich nicht, dass Jem nach mir sucht. Aber ich versichere dir, ich werde gehen, ohne euch zu schaden.“ Schnell versuchte er den Kloß in seinem Hals mit etwas Bier hinunter zu spülen. „Ich will, dass du darauf vorbereitet bist. Und deswegen erzähle ich dir das alles. Ich will, dass du weißt, dass ich euch unendlich dankbar bin. Jem hat mir vertraut und du hast ihn unterstützt. Denn ich bin mir sicher, dass du dich locker dagegen gesträubt hättest, hättest du an Jeremy gezweifelt. Du bist ein echt toller Freund...“ In einer anderen Situation hätte er die Verlegenheit in Edys Gesicht genossen. Aber im Augenblick ließ es ihn nur sanft lächeln. „Mach dir keine Sorgen, okay? Wenn ich irgendwann gehe, dann werde ich euch nicht schaden. Würde ich euch mehr erzählen, würde Jeremy nur weiter bohren und versuchen mich da rauszuholen. Aber der Endgegner ist einfach zu groß, verstehst du?“ Irgendwie hatte Leander schon erwartet, dass Edy bei diesen Offenbarungen richtig cool blieben würde. Das tat der Italiener auch, denn scheinbar hatte er sich schon einige Vermutungen zusammen gereimt. Sein Handy vibrierte, er warf einen Blick auf die Kurznachricht, die er erhalten hatte und begann wieder breit zu grinsen. „Morgen kommen zwei Männer mit der Pumpe, ich hab auch schon jemanden für den sanitären Bereich!“ Sein Grinsen wurde immer strahlender, die Zusage, die er von seinem Bekannten bekommen hatte, war großartiger ausgefallen, als er es sich hätte erträumen können. „Du sagst mir wen und was du brauchst und ich besorge dir die Leute!“ Edy wirkte jetzt fast schon richtig verwirrt. „Wie hast du das so schnell...“ Aber dann schüttelte er den Kopf und rieb sich das Gesicht. „...okay, ich werde nicht nachfragen. Aber ich bin froh, dass du mehr im Kopf zu haben scheinst, als es den Anschein hat.“ Das war schon das großartigste Kompliment, das Edy ihm wohl bereiten konnte. Und irgendwie gefiel das Leander absolut nicht. Er und Edy, das passte einfach nicht! Die ernste Stimmung, die nur ein paar Atemzüge angehalten hatte, verflog auch schon wieder. „Also ich denke mir einfach, dass du ja auch nicht mehr der jüngste bist. Vorhin, als du den Sack angehoben hast, hab ich deutlich etwas quietschen gehört! Achso und für mich brauchst du dein weißes Haar nicht jedes Mal zu färben, das macht dich vielleicht nicht so attraktiv wie George Clooney, aber es verleiht im Alter doch einen gewissen Charme, selbst dir.“ Edys Mund klappte weit auf, Leander hatte so laut gesprochen, dass sich der ein oder andere Gast, der in der englischen Sprache bewandert war, verstohlen zu ihnen herum drehte. Dem Italiener kroch auch schon wieder die Zornesröte ins Gesicht. Wutentbrannt wollte er aufspringen, aber Leander lachte nur heiter, beugte sich über den Tisch und hielt Edy am Arm zurück. „Edy! Edy, verzeih mir aber ich kann mich bei dir absolut nicht beherrschen! Ich liebe es zu sehen wie du rot wirst... und...“ Schnell wich Leander mit dem Oberkörper zurück, denn eine Faust kam auch schon angeflogen. Was Leander nur noch weiter auflachen ließ. „Du bist nichts weiter als ein schamloser, widerlicher, kleiner Bastard von einem...“ „Na...!“ Jeremy tauchte hinter Edy auf und hielt ihn an der Schulter fest. Er wirkte etwas zerzaust und verschlafen. „Die Leute gucken schon, streitet ihr etwa schon wieder?“ Einige der Gäste hatten die beiden Streithähne amüsiert beobachtet, einige hatten sich auch schon wieder abgewandt. Der Kellner, der in Alarmbereitschaft aufgesprungen war, atmete erleichtert auf, als Jeremy abwinkte. Noch während er sich setzte, drückte er Edy auf den Stuhl zurück. „Ist ja mal ein seltener Anblick, euch zusammen irgendwo zu sehen.“ Jem grinste. Leander und Edy tauschten einen kleinen Blick aus. Und Leander war froh über die kleine Bestätigung, in Edys Augen, die ihm verriet, dass Edy dicht halten würde, was das Gespräch von vorhin noch anging. „Leander wollte sich mit mir über seine Midlife-Crisis austauschen!“, knurrte Edy angriffslustig. Leander lachte und zuckte mit den Schultern. „Ob man mit dreiundzwanzig schon in der Midlife-Crisis stecken kann weiß ich jetzt persönlich nicht, aber es ist gut, dass du jetzt da bist, Jem. Dann kannst du dich an dem Gespräch beteiligen. Also wie ist das so, wenn man älter wird, entwickelt man da automatisch einen Faible für jüngere?“ Edy lachte schlagartig auf, es hatte etwas von Schadenfreude. Jeremy hingegen entgleisten die Gesichtszüge, er lief sogar ein wenig rot an. „Was soll das heißen?!“ „Wie alt warst du doch gleich?“, stellte Leander die Gegenfrage. „sechsundzwanzig?“ „Vierundzwanzig!“, warf Edy höchst amüsiert ein und freute sich ganz offensichtlich darüber, dass Jem mal zur Abwechslung in Leanders Visier geriet.“ „Und dieser Dylan ist erst neunzehn, hab ich recht?“ Jetzt starrte Jem die beiden völlig fassungslos an, ehe sein vorwurfsvoller Blick zu Edy rüber flog. „Ich kann nichts dafür, du hast im Schlaf seinen Namen gerufen!“, beteuerte Edy. „Können wir bitte das Thema wechseln?“, knurrte Jeremy. Leander und Edy begannen gleichermaßen breit zu grinsen. „Du brauchst dich doch nicht dafür zu schämen! Wie ist er so?“ „Klein, fett, dunkelhaarig und mit grünen Augen bestückt!“, kam es etwas lieblos von Edy. Und Jem reagierte etwas beleidigt darauf. „Seine Augen sind atemberaubend grün!“, warf Jeremy ein. „Er ist ein Gnom! Ich hab Fotos von ihm gesehen, die auf der Einweihungsparty von Jeremys Store gemacht worden sind.“ „Ist er nicht!“ Jeremy ließ sich etwas zu trinken bringen, von ihren Platz aus hatten sie einen atemberaubenden Blick auf Athen hinunter. Der warme Wind wehte sanft durch die schmale Gasse, belebte die malerischen Straßen nach und nach. Erst gegen Nachmittag füllte sich Plaka erneut mit Leben, wenn die Hitze zu schwinden begann. Edy schnaubte nur belustigt und prostete in Jeremys Richtung. „Er weiß noch nicht genau von welchem Ufer der Kleine ist und rennt sabbert ihm schon seit Wochen hinterher!“ Leanders Augen rissen auf. Völlig überrascht flog er mit dem Stuhl fast nach hinten. „Wie?! Du stehst auf diesen Bengel und hast dich noch nicht ran gemacht?“ Jeremy wurde immer wütender, senkte seine Stimme und zischte den beiden zu. „Wenn ihr nicht augenblicklich damit aufhört, lasse ich euch hier stehen, stehe auf und mache euch eine dermaßen große Szene, dass mir die Leute noch hinterher applaudieren, wenn ich gehe!“ Edy lachte laut auf, was anfänglich wie ein Quaken klang. Er schüttelte nur den Kopf und nahm einen kräftigen Schluck Bier, ehe er ein neues bestellte. Leander aber beugte sich nach vorne, legte Jeremy freundschaftlich die Hand auf die Schulter und sah ihn ernst an. „Schick ihn hier rüber, ich mach ihn dir klar!“ Puuh! Gleich 2 Kapitel auf einen Schlag! Immerhin musstet ihr mal wieder ziemlich lange warten... :/ Für jene, die es noch nicht mitbekommen haben, Lover To Go hat jetzt eine eigene Page auf Facebook ;) Wer also mag, darf mich jederzeit dort besuchen! http://www.facebook.com/#!/pages/Lover-To-Go/390553341003684 Und für die, die es noch nicht entdeckt haben, Hopeful Skies ist die Sidestory zu Lover To Go :) Hoffe es hat euch gefallen *gg* Eure Cait Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)