Hopeful Skies von CaitLin (Wenn der Himmel verschwindet) ================================================================================ Kapitel 10: Verrat ------------------ Stalk me on Facebook ;) https://www.facebook.com/CaitLinDaray „Ich muss runter, die Arbeit ruft.“ Leander stand vor dem Bett, zog sich die Uniform an. Die schwarze Hose, darüber das weiße Hemd, die dunkle Weste. „Okay …“, kam es leise von Yannis, der noch nackt auf dem Bett saß. Das Laken lag auf seinem Schoß, bedeckte nur bestimmte Teile seines schönen Körpers. Das blonde Haar hing ihm wirr ins Gesicht, seine blauen Augen strahlten hell. Leander konnte nicht hinein sehen, konnte dem Blick nicht standhalten. Weil er wusste, er würde etwas sehen, was ihm Probleme bereiten würde. Diese kleine, süße Hoffnung … Zwar hatte er geglaubt Yannis etwas beweisen zu wollen, aber jetzt wusste er, dass es kaum der Wahrheit entsprach. Er wollte es für sich selbst, das ahnte er jetzt. Leander war sich selbst nicht sicher gewesen, seine eigenen Gefühle verwirrten ihn. Und jetzt hatte er eine Art doppelte Bestätigung. Eine würde er sehen, wenn er Yannis anschauen würde. Die andere, wenn er in den Spiegel blickte. „Du musst nicht warten, ich arbeite meistens bis spät in die Nacht. Wenn du dann in die Pension zurück gehst, sag Jem, dass ich zwischendurch reinschauen werde. Die Saison hat begonnen, ich kann hier nicht weg. Und noch wirft die Pension kein Geld ab, wir werden kaum davon leben können.“ Er lächelte. Er wusste, es war ein kühles Lächeln. Eins, das Yannis gar nicht gefallen würde. Aber es musste sein. Verdammter Scheißdreck, er schaffte es ja nicht einmal in diese Augen zu sehen. Irgendwas in seiner Brust zog sich fast schon schmerzhaft zusammen. Schnell knöpfte er die Weste zu. Yannis gab keinen Ton von sich, starrte auf Leanders Rücken. „Leander …“ Seine Stimme war so sanft, so zerbrechlich. „Was gibt’s?“ Es musste sich locker anhören, unbesonnen. Es gab eine kleine Pause. „War’s das jetzt …?“ Ein seltsames Prickeln jagte ihm durch das Rückgrat, erschütterte seinen Körper. Er wollte es nicht beenden! Er wollte nichts beenden, das gerade ins Rollen gekommen war. Doch die Gefühle für Yannis wurden zu groß, zu gefährlich. Er musste sie unterbinden, solange sie ihn noch nicht davon gespült hatten. Wenn er es erst so weit kommen ließ, würde er nicht als einziger ertrinken. „Was meinst du?“ Leander lachte, hoffentlich bemerkte er das Zittern nicht, das in seiner Stimme mitschwang. „War doch nur Sex!“ Er zuckte kurz mit den Schultern. Was war er für ein Arschloch, er konnte diesen Jungen nicht einmal ansehen, während er so etwas sagte! Schnell schlüpfte er in seine schwarzen Turnschuhe. Vermutlich war er der einzige, der in dem Hotel mit diesen Dingern herum lief. Aber die anderen, förmlichen Schuhe, die zur Uniform gehörten, eigneten sich nicht als Springer. Yannis schwieg, er sagte gar nichts mehr. Die Atmosphäre im Raum wurde immer bedrückender, bis Leander es kaum noch aushielt. „Also dann, wir sehen uns!“ Er drehte sich halb um, zwinkerte Yannis zu und schloss die Tür hinter sich. Wieder hatte er ihn nicht ansehen können, wieder war er geflüchtet. Bei anderen hatte es ihm nie etwas ausgemacht, da hatte er es auch so gemeint, wenn er sich so kühl aufgeführt hatte. Aber bei Yannis war es etwas völlig anderes. Dabei hatten sie gerade noch richtig heißen Sex gehabt. Es war anders, als mit all den anderen. Er ging ein paar Schritte und blieb einen Augenblick lang stehen. Leander presste sich die Hand ins Gesicht, rieb sich die Wange. Dieser dumme Spruch fiel ihm ein. ‚Hinterher ist man immer klüger. ‘ In der Tat. Hätte er sich doch bloß nicht darauf eingelassen, hätte er diesen Jungen bloß nicht getroffen. Schnell setzte er sich den Knopf vom Headset ins Ohr, wenn er hier zu lange herum stand, bestand die Gefahr, dass Yannis ihn erwischte. Kaum sprang das kleine Funkgerät an, wurde er auch schon in die Lobby zitiert. Wenigstens würde er keine Zeit haben, um über Yannis nachzudenken. Irgendwann, mitten in der Nacht, saß Leander unten im Speisesaal. Es war gähnend leer. Kein Wunder, es war ja auch halb drei. Das Mitternachtsbuffet war noch geöffnet, zwischendurch verirrte sich der eine oder andere Gast noch hierher. Er hatte direkt gegenüber vom Pizzaofen Platz genommen, der ganze Saal roch unheimlich verführerisch. „Machst du mir auf die andere noch mehr Feta und Zwiebeln drauf?“ Leander schenkte Raffael ein breites Grinsen. Der arme Kerl war heute zur Nachtschicht verdonnert worden. Das hieß mutterseelenallein im Saal zu hocken und sich zu Tode zu langweilen. Und dabei zwischendurch Pizza zu backen, die heute Nacht dort angeboten wurde. Leander hatte seine erste schon verdrückt, sie war relativ klein ausgefallen. „Du verfressener Bastard!“ Raffael lachte. „Stell dich hierher und back sie selbst, du arroganter Faulpelz! Den ganzen Tag stolzierst du wie ein Pfau durch das Hotel, erzähl mir doch nicht, du würdest arbeiten! Reißt dir bestimmt dauernd irgendwelche Frauen auf, was?“ Sein kurzes, schwarzes Haar verschwand unter dieser riesigen, lächerlichen Kochmütze. Er war nicht besonders hübsch, aber ein lustiger Kerl mit dem man gut lachen konnte. „Ich finde diese Pizza ist interessanter, als jede Frau auf dieser Welt.“ Leander lachte und Raffael lachte mit. Auch wenn er keine Ahnung hatte, wie Leander es meinte. Das war wohl auch besser so. Wenn sich im Hotel verbreiten würde, dass er schwul war, würde er definitiv geschnitten werden. „Das ist die Letzte, klar?“, brummte Raffael und schob die nächste Pizza in den Ofen. „Du bist der Beste!“ Leander grinste und hatte gerade sein letztes Stück verschlungen. Da begann das Handy in seiner Hosentasche zu vibrieren. „Ja, weil ich die Hand bin, die dich füttert, was?“ „Das auch!“ Leander lachte zwar, aber irgendwie wurde ihm ganz mulmig zumute. Jeremy rief an. „Hey, Jem!“ Er musste locker klingen, sonst würde dieser Scheiß-Ami etwas bemerken. Seinen Plan, auf Distanz zu gehen, musste er jetzt durchziehen. „Ich dachte, ich versuche mal mein Glück!“ Gott sei Dank, wenigstens schien Jem zu grinsen. „Wo bist du gerade?“ Etwas erleichtert, musste auch Leander schmunzeln. „Im Hotel … hat Yannis dir nichts gesagt? Ich …“ Aber Jeremy durchschnitt ihm das Wort. „Ja, aber wo genau? Weißt du, ich steh hier an der Rezeption und …“ Jetzt durchschnitt ihm Leander das Wort, er richtete sich kerzengerade auf. „Wie: An der Rezeption? Hier im Hotel, oder was?“ Jeremy prustete schwach. „Klar, wo sonst?“ Leander fuhr ruckartig hoch, legte sofort auf und rannte los. „Ich bin gleich wieder da, wehe du futterst meine Pizza! Dann verfüttere ich dich an die Haie!“, drohte er Raffael im vorbeirennen, stürmte mit hastigen Schritten aus dem Saal und jagte über den riesigen Gang hinweg. Schließlich endete dieser abrupt und er war auch schon in der großen Lobby, in der Tische und gemütlich aussehende Sessel quer im Raum verteilt waren. Die Tischlampen erhellten den riesigen Raum und verbreiteten eine wohlige Atmosphäre, die zum verweilen einlud. Doch dafür war jetzt keine Zeit! Er bewegte sich durch die Lobby und hinter einer Säule, tauchte auch schon die Rezeption vor ihm auf. Nur stand da leider niemand, außer dem Portier. „Leander!“, ertönte eine sanfte Stimme hinter ihm. Er drehte sich herum und sah Jeremy in einem der Sessel sitzen und winken. Der Amerikaner lächelte ihm breit zu, als Leander näher kam. Er hatte Jem gar nicht gesehen, dabei war er soeben ganz offensichtlich an ihm vorbei gerannt. „Was zum Henker tust du hier, um diese Uhrzeit?“ Leander schüttelte nur den Kopf und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. „Wieso, ist doch noch früh?“ Er warf einen Blick auf die riesige Uhr über der Rezeption, die von hier aus gut zu erkennen war. Kurz vor drei. Leander nickte ihn die Richtung, aus der er eben gekommen war. „Na dann komm, meine Pizza wartet auf mich.“ Er nahm kurz Blickkontakt mit dem Portier auf, zwinkerte und machte eine eigenartige Bewegung mit der Hand, die dem Mann wohl sagen sollte, dass alles in Ordnung war und Jem nicht lang bleiben würde. Der Portier nickte, es war ohnehin nichts los. „Pizza?“ Jem lachte, erhob sich aber und folgte Leander zurück durch den Gang, in den Saal. „Hey, Chefkoch!“ Leander nahm sich vom Buffet zwei Teller und begab sich zu Raffael, an die Theke. „Her, mit dem Goldstück!“ Der junge Mann hob eine Augenbraue, wünschte Jeremy aber einen guten Abend und verteilte die Pizza auf zwei Teller. „Für mich nichts, danke …“ „Wieso für dich, das ist meine!“, entgegnete Leander mit einem frechen, kleinen Grinsen, das seinen rechten Mundwinkel auf unheimlich verführerische Weise nach oben zog. Ob Yannis ihm wohl etwas erzählt hatte? Jem war sonst nie zum Hotel gekommen. Sie ließen sich am Tisch nieder und irgendwann, als Leander ihm ein Stück regelrecht aufgezwungen hatte, nahm Jeremy es entgegen. „Ich mag es nicht wenn ich esse und dabei beobachtet werde!“, hatte er gebrummt. Noch während sie dort saßen, kamen zwischendurch ein paar Leute in den Saal, nahmen sich etwas von der Pizza und ließen sich etwas weiter hinten nieder. „Ihr habt hier ganz schön viel zu tun, hm?“ Jeremy sah sich um. Leander nickte. „Hochsaison!“, erwiderte er nur. Auch Jeremy nickte und Leander sah ihm sofort an, dass er etwas auf dem Herzen hatte. „War der Fliesenleger schon da?“ Jeremy wurde aus seinen Gedanken gerissen, er lachte. „Der gute Mann ist ein Säufer!“ Leander grunzte belustigt und zuckte mit den Schultern, ließ sich den Feta mit den Zwiebeln auf der Zunge zergehen, während Jeremy sich nur zögernd daran gewagt hatte. „Das können so einige Griechen von sich behaupten, mich eingeschlossen!“ Er zwinkerte Jeremy verschwörerisch zu. „Aber mach dir keine Sorgen, er macht seine Sache wirklich sehr gut.“ Jeremy nickte. „Ja, ich habe es gemerkt …“ Der Tisch begann unter ihnen ein wenig zu zittern. Leander hob eine Augenbraue und schielte von der Seite hinunter, warf einen Blick auf Jeremys Beine, die so fürchterlich auf und ab zuckten. Verwirrt sah er in das schöne Gesicht, mit den braunen Augen. „Ist irgendwas?“ Jeremy fühlte sich ein wenig ertappt und biss sich schwach auf die Unterlippe. Wieder sah er sich so verstohlen um, schüttelte aber schließlich den Kopf. Leander nahm eine Serviette, wischte sich damit den Mund und fixierte Jeremy jetzt intensiver. „Was ist los?“ „Nichts, wirklich!“ Leanders Hand schoss unter dem Tisch nach vorne, presste sich mit Druck auf Jeremys Knie. „Dann hör auf damit, das macht mich wahnsinnig!“ „Oh … sorry …“ Das Bein stand wieder still und nur widerwillig zog Leander seine Hand zurück. Da hatte sie doch eigentlich ganz gut gelegen. „Habt ihr viele Gäste?“ Seit er Jeremy kannte, hatte er noch nie eine so offensichtlich dämliche Unterhaltung geführt. Vor allen Dingen auch keine, die sich so erzwungen anfühlte. „Was ist dein Problem, Jem?“ Leander beugte sich leicht nach vorn. „Du hast doch eins, das kann ich sehen.“ Jeremy erstarrte sogleich und verkrampfte sich dabei ein wenig. Schnell wedelte er mit der Hand. „Ich wollte dich ja eigentlich etwas fragen, aber wenn ich das ganze hier so sehe …“ Seine Augen huschten rüber zu Raffael. „Willst du doch noch eine Pizza? Raff-O macht dir sicher gerne eine.“ Jem hob beide Augenbrauen. „Raff-O?“ „Na, der gute alte Raffael da drüben!“ Er nickte zu seinem deutschen Freund rüber. Dieser reckte sofort den Hals. „Was gibt’s?“, rief er. „Nein, nein!“ Jem schüttelte den Kopf. Er seufzte einmal schwer und sah sich dann wieder zu Leander um. „Ich weiß, du verdienst hier gutes Geld …“ „Gut?“ Leander grunzte belustigt und verschlang das letzte Stück. „… und hast ein fertiges Zimmer, warmes Wasser … du kannst jederzeit etwas essen, die Auswahl ist sicher groß.“ Leander verschluckte sich fast. „Bist du dir sicher, dass du gerade von mir sprichst?“ Das hier war eine der seltenen Ausnahmen. Eigentlich dürfte er nicht einmal hier sitzen und sich den Bauch mit heißen Pizzen vollschlagen. Wenn er Glück hatte, bekam er wie die anderen auch, nachher die nicht sonderlich üppig ausfallenden Reste, am Ende des Tages. Und jederzeit etwas essen? Manchmal arbeitete er acht oder neun Stunden, bevor er eine halbwegs anständige Pause einlegen und etwas trinken durfte. „Ich weiß echt nicht worauf du hinaus willst …“ Jeremy begann auf seiner Unterlippe herum zu kauen, überlegte noch einen Augenblick. Seltsam, so unsicher hatte Leander den taffen Amerikaner ja noch nie erlebt. „Ich wollte dich um deine Hilfe bitten, auch wenn das viel verlangt wäre.“ Sein Blick huschte wieder so unruhig hin und her. „Ich wollte dich eigentlich jetzt schon abwerben …“ Ein kleines Lächeln zeigte sich, hilflos zuckte er mit den Schultern. „Nur kann ich dir noch keinen Lohn zahlen, bis die Pension eröffnet. Deswegen wollte ich die Idee gleich wieder verwerfen, ich kann dir kaum etwas anbieten … nicht einmal halb so viel wie das, was du hier bekommst.“ „Du willst also, dass euch bei der Arbeit mit der Pension helfe?“ Himmel, war das ein wundervoller Anblick! Diesen fest von sich überzeugten und coolen Kerl auch mal so ratlos erleben zu dürfen! „Na ja … ja …“ Jeremy verzog die Lippen, offenbarte eine eigenartige Grimasse, die zwischen einer Art Flehen und Entschuldigung schwankte. Zumindest deutete Leander es in eine ähnliche Richtung. Dass Jeremy seine Hilfe brauchte, sah er deutlich an den Augen. Dass er sich einfach nicht dazu überwinden konnte, Leander richtig darum zu bitten, zeigte seine leicht abwehrende Körperhaltung. „Aber lass mal gut sein …“ Jeremy stützte beide Hände auf dem Tisch ab. „… ich wollte mal sehen was du so treibst …“ „Schafft ihr es nicht rechtzeitig?“, hakte Leander weiter nach, ohne sich daran zu stören. „Ich glaube bis Oktober wird es nichts …“ Jeremy wollte abwinken. Oktober? Also würde das heißen, dass sie noch zwei oder drei Monate ohne Einnahmen blieben? Das würde gefährlich werden. Sehr gefährlich. Jeder Tag war ohnehin ein Verlorener. „Ich kann hier jetzt nicht weg, Jem.“ Die Worte fühlten sich an wie Blei, aber er hatte sich dazu entschieden, auf Distanz zu gehen. Dann musste er das hier jetzt auch durchziehen. Am liebsten wollte er Jeremy gar nicht in die Augen sehen. „Das verstehe ich.“ ‚Nein‘, dachte er. ‚du verstehst rein gar nichts. ‘ „Ich kann dir ja auch noch nichts bieten.“ Irgendwie durchbohrte ihn dieser Satz wie ein Pfeil. Darum ging es doch gar nicht, verflucht! Aber vielleicht war es besser, wenn Jeremy das dachte, oder? Vielleicht würde er Leander ja für einen geldgeilen Bastard halten? Der seine Freunde für Geld verkaufte? Oh Himmel, er würde mit den beiden selbst einen elenden Hungertod in Kauf nehmen. Aber er wollte nicht dafür verantwortlich sein, wenn Frankys Männer ihnen die Pension eintraten. Und das auch nur, weil Leander seine Finger im Spiel hatte. „Na ja, aber dann kann ich doch ab Oktober mit dir rechnen, oder?“ Er lächelte. Leander brauchte gar nicht den Kopf zu heben, um das zu sehen. Dieses süße, bezaubernde Lächeln, das ihn vom ersten Tag ihrer Begegnung in seinen verfickten Bann gerissen hatte. ‚Hör auf so zu lächeln! ‘ „Bis dahin haben wir bestimmt auch die ersten Gäste! Edy kennt eine Menge Leute, die für uns Werbung machen könnten! Wir wollen eine Website erstellen, uns Seiten und Foren rauspicken und …“ „Kannst du bitte gehen?“ Jeremy erstarrte. Aber Leander ertrug es nicht mehr. Er ertrug Jeremys Gegenwart nicht mehr, seine, ja fast schon naiven, doch zuckersüßen, Worte. Er wollte diese Stimme nicht mehr hören, mit der Hoffnung auf eine Freundschaft, die es so niemals geben würde. „Ich bin müde und wollte schlafen gehen, ich muss um fünf wieder aufstehen.“ Einen Moment lang herrschte Stille, an dem Tisch weiter hinten lachte eine Frau auf, beißend und schrill. „Klar, gar kein Problem!“ Er lachte schon wieder, schob seinen Stuhl zurück. „Ich hab dich ja auch einfach so überrannt, aber wenn wir telefonieren, seh ich ja nicht ob es dir gut geht oder ob du mich nur anlügst.“ Jetzt erst hob Leander den Blick, er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und versuchte sich an einem smarten Lächeln. „Und was siehst du?“ Jeremys Lächeln verzog sich, ein gequälter Ausdruck trat in seine Augen „Etwas, das mir ganz und gar nicht gefällt“, flüsterte er und wandte sich ab. Jeremy rief nicht mehr an. Es war ein komisches Gefühl. Sonst meldete er sich täglich irgendwie, auch wenn es nur ein dämliches Smiley in einer SMS war, die er Leander schickte. Ein Gefühl der Leere überkam ihn, Jeremy fehlte ihm. Das wurde ihm erst richtig bewusst, nachdem der andere sich gar nicht mehr meldete. Er hatte sich einfach daran gewöhnt, daran, dass es immer Jeremy war, der sich meldete. Dass er es war, der ihm diese kleine Freude zwischendurch bereitete, wenn er mal anrief oder Leander eine Nachricht schickte, ohne etwas von ihm zu fordern. Und jetzt blieb das alles weg. Einfach so. Das Handy vibrierte nicht, kündigte ein paar Tage lang auch keine Nachrichten mehr an. Es war eine seltsame Zeit, in der er langsam begriff, was es bedeutete, wirklich einsam zu sein. Nicht einmal Franky kümmerte sich mehr um ihn. Ja, sicher! Erst gingen sie ihm alle auf den Geist, jetzt ließen sie ihn alle in Ruhe! Und das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass ihn die letzten Worte dieses Scheiß-Amerikaners in jeder freien Minute verfolgten! Und manchmal machte es Leander so wütend, dass er mitten in der Arbeit inne hielt, nur Jeremys Tonfall nachzuäffen. Dabei ignorierte er gekonnt die Blicke der Gäste und jener, die gerade zufällig an ihm vorbei liefen. Zum Teufel mit dem Amerikaner! Nach der kleinen Trauer erfasste ihn eine unheimliche Wut. Sie galt Jeremy, Franky und vor allen Dingen diesem dummen Hotel hier, in dem er arbeitete. Manchmal regte er sich sogar beim Essen plötzlich auf, wenn ihm einfiel, dass Jeremy allem Anschein nach glaubte, er würde hier in Saus und Braus leben. „Reste, verdammte Scheiße! Reste!“, brummte er manchmal vor sich hin. Und mit jedem Tag wog das Gefühl des Verrats immer schwerer. Er hatte Jeremy verraten und nicht andersrum. Aber es war doch nur, damit Franky sie in Ruhe ließ! Immer, wenn er sich Richtung Plaka bewegt hatte, war ihm irgendjemand gefolgt! Zum Schluss hatten sie sogar Yannis erwischt und ihn zu Brei geschlagen! Apropos Yannis! Was würde jetzt mit ihm geschehen? Frankys Drohung war eindeutig gewesen. Schlagartig blieb er vor dem Aufzug stehen. Er trug zwei Koffer in den Händen, die er für ein paar Gäste runter bringen sollte. ‚Und wenn du das nicht tust, werde ich das Hotel deiner kleinen Freunde persönlich in die Luft jagen‘ Die Stimme verhallte in seinem Kopf, wurde immer schwächer. Der Mund riss ihm auf, in dem Moment als das klingelnde Geräusch des Aufzugs ertönte. Die Koffer fielen ihm aus den Händen, irgendwo klirrte etwas. Wie hatte er nur leichtsinnig sein können, wie hatte er glauben können, dass er Yannis schützen würde, indem er sie alle sich selbst überließ? Hatte Franky ihm nicht gedroht, er würde Yannis ausschalten, wenn Leander es nicht täte? Oh Himmel und wenn er doch noch im Black Hills arbeitete, war er doch noch viel größere Beute! Schnell zückte er sein Handy, stieg über die Koffer hinweg und sprang in den Aufzug, wählte Jeremys Nummer. Hinter ihm schrien die Besitzer der Koffer erbost auf, als sie gerade um die Ecke kamen. Er hörte ihr Gezeter schon nicht mehr, die Türen schlossen sich. Seit Tagen hatte sich Jeremy nicht gemeldet, das war doch gar nicht seine Art! Und jetzt ging er auch nicht ans Telefon! Und Edy? Edy ging auch nicht ran! Niemand ging ran, wenn es wirklich wichtig war, gottverfluchte Scheiße! Immer und immer wieder wählte er die Nummern, selbst als er durch die Lobby rannte und es irgendwie schafft, sich dabei die Weste vom Leib zu reißen. Mal rief er Jeremy an, mal Edy. Er rief sogar den verschissenen Fliesenleger an, diesen elenden Säufer! Leander schoss die Hitze ins Gesicht, das Herz schlug ihm wilder gegen die Brust. Franky! Franky war bestimmt schon in der Pension gewesen! Franky hatte ihnen sicher die Türen eingetreten, hatte jedem einzelnen in den Kopf geschossen … Leander wurde fast krank, versuchte diese wahnsinnigen Gedanken beiseite zu schieben. Allerdings trieben sie ihn immer schneller voran, er hetzte auf die offene Straße zu und schaffte es nach dem fünften Mal ein Taxi anzuhalten. Nicht dran denken, nicht dran denen! Immer und immer wieder verstrickte er sich in irgendeine verfluchte Scheiße, seit er Jeremy kannte! Ständig hatte er irgendwelche Probleme, dauernd musste er sich um diese Menschen sorgen! Und auch jetzt platzte ihm fast das Herz aus der Brust, die Angst legte sich wie eine eiskalte Hand auf seinen Rücken, kroch an seinem Rückgrat hinab. Dass er geglaubt hätte, es würde alles gut werden, in dem er sich in seiner Höhle versteckte, war mehr als nur hirnrissig gewesen! So war das eben, wenn man Freunde hatte, so war das eben, wenn man nicht mehr einsam war! Dann musste man sich Sorgen, sich Gedanken machen und sich um andere Menschen kümmern. „Fahr schneller, verfluchter Scheißdreck!“, brüllte er den Fahrer an, seine Hände begannen zu zittern. So schnell war er noch nie in Plaka gewesen. Am Fuße der Stadt ließ ihn der Taxifahrer raus. „Hey!“, schrie ihm der Fahrer hinterher, denn Leander sprang ohne zu bezahlen aus dem Taxi und hetzte atemlos weiter. Der Mann rannte ihm schreiend und brüllend hinterher. Leander hörte gar nicht hin, hetzte die immer enger werdenden Gassen hinauf. Die Straßen waren überfüllt von Touristen, er kam so gut wie gar nicht voran! Hier und dort quetschte er sich an Gruppen vorbei, hörte die wüsten Rufe der Touristenführer. Schneller, er musste noch schneller werden! Manchmal nahm er zwei, drei Stufen auf einmal, manchmal sogar mehr. Er bog in eine enge Gasse ein, hetzte weiter. Dann tauchte sie auch schon vor ihm auf. Die alte Tür, an der die Farbe nun nicht mehr abblätterte. Jemand hatte sie in einem leuchtenden blau gestrichen. Leander riss die Tür auf, sie war nicht abgeschlossen. War sie das überhaupt jemals gewesen? Er konnte sich nicht mehr erinnern! Und wenn sie jemand aufgebrochen hatte? „Jem!“, brüllte er aus vollem Halse, rannte auf das Gebäude zu. Draußen lag auch kein Material mehr herum, sie mussten alles ins Haus geschafft haben. „Jeremy!“, schrie er noch lauter. „Edy!“ Er riss die Tür auf. Hier war niemand. Kein Geräusch ertönte, niemand arbeitete. Selbst der Fliesenleger war nicht da! Leanders Atem beschleunigte sich schlagartig, bestimmt würde er gleich einen Herzinfarkt erleiden! Ein letztes Mal wählte er Jeremys Nummer. Und es klingelte! Er hörte das Handy sogar! Mit schnellen Schritten hastete er in die Richtung, aus der das Handy ertönte. Er riss die Tür zur Küche auf, oder zu dem, was mal eine Küche werden sollte. Das Gerät lag auf einem Karton und drehte sich dudelnd um sich selbst. Jede noch so kleine Hoffnung war verflogen, er ließ das eigene Telefon sinken. In dem Moment bohrte sich von hinten etwas in seinen Rücken, das sich wie eine Waffe anfühlte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)