Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 22. Hinterhalt -------------- Ein Traum hatte Hamarem bewogen, die einem Fürstenrang gleichkommende Position als Orempriester aufzugeben? Und was für eine geflügelte Schlange hatte er in der Wüste gesucht? Die einzige geflügelte Schlange, die Nefut in all den Jahren seit seiner Rückkehr in die Wüste gesehen hatte, war die auf dem Hawatamulett von Merat gewesen und das stammte sicher aus Ma'ouwat oder sonstwie aus dem Süden, ebenso wie die erste geflügelte Schlange, die Nefut in seinem Leben gesehen hatte, das Hawatamulett von Schelschér, auch wenn das eher einem geflügelten Phallos geähnelt hatte. Und wieso hatte Hamarem dem Orempriester gegenüber behauptet, der ehrwürdige Vater sei erst kurz zuvor zwischen ihren Zelten verschieden? Seine rechte Hand war doch schon ganz steif gewesen, Hamarem hatte die Hand mit Gewalt öffnen müssen, um an das Stück Papyrus zu kommen. Nefuts Erfahrung nach erreichten die Leichen der Gefallenen auf Schlachtfeldern diesen Zustand verfestigter Gliedmaßen erst nach etwa einem halben Tag, der Rest des Leichnams war ja noch einigermaßen beweglich gewesen. War hier vielleicht wirklich ein Dämon am Werk gewesen? Wie anders wäre es einem Toten möglich gewesen, Jochawams Knöchel zu umklammern, oder überhaupt zu den Zelten zu gelangen, denn der Priester hatte ja nicht schon vor dem Lagerbau dort gelegen, und die Söldner des Tetraosi-Heeres hatten diesen Lagerplatz ja erst vor wenigen Stunden erreicht. Und merkwürdigerweise hatte der Priester kurz vor seinem Tode zudem ausgerechnet ein Buch über Dämonen in den Händen gehalten, auch wenn es anscheinend für Orempriester nicht ungewöhnlich war, dieses Buch zu besitzen, sonst hätte es Hamarem nicht ebenfalls besessen. Hamarem war plötzlich aufgestanden und lief mit eiligen Schritten zum Ausgang. "Darf ich noch einmal in diese Schriftrolle schauen?" rief Nefut ihm hinterher. Der ehemalige Orempriester verließ gerade das Mawatizelt, seine gerufene Antwort klang wie "Natürlich." Wieso zuckte Derhan nicht mit einer Wimper? Wie hatten er und Oremar bei dem Alarmruf und der ganzen Unruhe weiterschlafen können? Nefut beugte sich hinüber zu Derhans Lager. Der Unruhestifter atmete ruhig. "Derhan?" fragte er leise, doch der Mann rührte sich nicht, als wäre er betäubt. Nefut stieß ihn nicht gerade sanft mit dem Fuß an die Schulter. "Derhan, steh auf", zischte er, aber Derhan grunzte nur im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite, als wäre er mit Mohnsaft betäubt oder stünde unter einem Zauber. Wenn Amemna nicht gesagt hätte, daß auch Hamarem über unirdisches Blut verfügte, wäre Nefut sicher gewesen, daß der Zweite der Wannim irgend etwas mit der ganzen Geschichte zu tun hatte. So gab es für sein rätselhaftes Verhalten wohl einen guten Grund, auch wenn der undurchsichtig blieb. Nefut beugte sich über Hamarems Lager, öffnete dessen Tasche, zog die Schriftrolle heraus, auf deren Griff 'Kommentare 3' stand, packte sie aus und zog sie auseinander. An welcher Stelle hatte der alte Priester gelesen, wenn er einen Fetzen der Schriftrolle vom Anfang des Textes in der rechten Hand gehalten hatte? Waren es vielleicht Beschwörungsformeln gewesen? Nefut rollte den rechten Teil mit dem Anfang des Textes und der Passage über die Brut Chelems in der Unterwelt wieder um den Stab, so daß sie an seinen Fingern ruhte, entrollte den Rest so, daß er bequem lesen konnte, jede Hand auf einem Oberschenkel aufgestützt, die Papyrusbahn so straff, daß sie kaum auf seinen untergeschlagenen Unterschenkeln auflag. Die Buchstaben auf dem Papyrusfetzen waren etwa genauso groß wie die von Hamarems Exemplar des Buches, außerdem war er selbst deutlich größer, als der Priester es gewesen war, also war zu erwartet, daß der Priester zu dem Zeitpunkt, zu dem seine Hand sich um die Rolle verkrampfte und ein Stück herausriß, genau das Kapitel gelesen hatte, auf das Nefut jetzt selbst blickte. "Kapitel 2 Vertreter der Ansicht, es handele sich bei Dämonen und Unirdischen um dieselbe Art, verweisen darauf, daß es nur eine Art Götterdiener geben könne, und zu den Göttern eben auch der Herr der Unterwelt gehöre. Sie beweisen ihre Theorie damit, daß Unirdische und Dämonen in ähnlicher Weise beschrieben werden, mit sehr heller Haut, weißen Haaren und hellen Augen. Auch hiermit beziehen sich die Vertreter dieser Ansicht wieder auf Zefars Werk, der die Augen der Unirdischen in ihrer menschlichen Form 'strahlend' nennt. Zefar lege sich damit eben nicht auf eine Farbe fest sondern betone eher die Abwesenheit von Farbe, da das Licht jede Farbe überstrahlt, also auch die Augen der Unirdischen weiß oder hellgrau seien, wie die der Dämonen. Daß diese Götterdiener von den Menschen nach ihren jeweiligen Herren und deren Absichten und Taten als gut oder böse angesehen werden, widerspreche dieser grundsätzlichen Gleichheit nicht, die Unirdischen könnten den Menschen ebenso gefährlich werden, wie die Dämonen. Allein die Nachkommen der Unirdischen, in denen genug menschliches Blut vorhanden ist, daß sie dem Menschen ähnlicher als einem dieser Götterdiener sind, seien für Menschen wahrhaft ungefährlich, während jene, denen ihr unirdisches Blut zu großen, göttlich scheinenden Taten verhilft, ebenso unheilvoll für ihre Zeitgenossen seien wie jene, die wir Dämonen nennen. Natürlich ist diese Ansicht leicht zu widerlegen, kann es sich doch bei den Unirdischen nicht um bloße Diener oder Gefolgsleute des Ungenannten handeln. Da sie seinen für niedere Wesen unerträglichen Anblick aushalten, müssen sie selbst über einen Teil des Göttlichen verfügen, sie müssen, wie es auch die gängige Ansicht ist, zwangsläufig Kinder des Ungenannten sein. Die Bewohner der Unterwelt jedoch erscheinen auch bei Zefar als dieses Göttlichen verlustig gegangen, selbst wenn sie einst in der Oberwelt im Angesicht des Ungenannten lebten. Ihre Verfehlungen nahmen ihnen das Göttliche, machten sie zu bloßen Schatten, so daß sie nur durch das Aufnehmen der Kräfte der Sterblichen den Streit gegen die Unirdischen wagen können. Und zuletzt belegen doch gerade die heilbringenden Taten der Nachkommen Unirdischer, von denen die Geschichte so reichhaltig berichtet, wie sehr sie den Menschen wohlgesonnen sind. Allein die Existenz von Menschen mit unirdischem Erbteil spricht dafür." Die nächste Kolumne war nicht mehr zu lesen, da sie in dieser Position um den zweiten Stab gewickelt war. Etwas enttäuscht über den unspektakulären Inhalt verstaute Nefut die Schriftrolle wieder. Hatte der alte Priester ebenfalls dieser Theorie angehangen und befürchtet, bei Amemna handele es sich um eine Art Dämon? Der andere Priester hatte doch davon gesprochen, daß der Alte ein Unheil entdeckt habe. Und was hatte den Alten getötet? Woher kam der Dämon - oder was auch immer es gewesen sein mochte - das seinen längst toten Körper bewegt hatte, so daß er Jochawams Knöchel packen konnte? Vielleicht war der Dämon sogar noch zu dessen Lebzeiten in den Körper des toten Priesters gefahren, um ihn durch das Entziehen seiner Kraft zu töten und selbst Kraft für seinen Kampf gegen den unirdischen Amemna zu haben. Denn wenn ein Dämon den Priester bewegt hatte, wenn ein Dämon verantwortlich war für den bleiernen Schlaf derer, die weder unirdisches Blut in den Adern noch sich in der Gegenwart Amemnas aufgehalten hatten, hatte der Dämon den Leib des Orempriesters wohl gerade Amemnas wegen hierher bewegt, um seinen natürlichen Feind zu bekämpfen. Vielleicht hatte Jochawam zunächst den Kampf gegen den Dämon gewagt, seinen Herrn verteidigend, aber ohne ausreichende unirdische Kraft. Und Amemna hatte dann wohl den Dämon besiegt und vertrieben, denn anscheinend war ja nichts mehr zu befürchten, sonst hätten sicher Amemna oder Hamarem ein Wort darüber verloren. Hamarem, ein ehemaliger Orempriester mit unirdischem Blut, der nach der Lektüre der Kommentare plötzlich hinausgerannt war, wie von einer Tarantel gestochen. Hatte er nicht gesagt, er müsse noch einmal mit Amemna sprechen? Ob sie berieten, wie sie Jochawam wieder ins Bewußtsein zurückholen konnten? Es war so angenehm mit Merat gewesen, ging Nefut plötzlich durch den Sinn. Angenehm, befriedigend und ohne jenes störende Körperteil. Aber sein Herz hing doch an Amemna. Weil Amemna litt machte er sich Sorgen um Jochawams Zustand, auch wenn ihm nicht wohl dabei gewesen war, miterleben zu müssen, wie seine Geliebte und der Ostler sich mehrfach begatteten, in jeder möglichen und unmöglichen Kombination. Und Amemna liebte Nefut doch wohl auch, hatte ihm Merat überlassen für diese Nacht. Warum ging ihm Merat nicht aus dem Kopf? Ob es noch weitere solcher Nächte geben würde? Nefut stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, ließ den Kopf in die Hände sinken. Er war müde, eigentlich zu müde um noch klar denken zu können, und er sollte längst schlafen, um für den nächsten Tag ausgeruht zu sein. Es war zwar nur ein Aufklärungsritt geplant, aber wenn sich wirklich noch Hannaiim in den Grasbergen verbargen, mochte es zu einem Kampf kommen. Und Nefut merkte, daß noch der Duft Amemnas und Merats an ihm haftete. Er würde ins Badezelt gehen müssen, aber vielleicht reichte es ja schon, sich nackt in den nun recht heftig gewordenen Regen zu stellen, um jene Gerüche abzuwaschen, die seine Gedanken wieder gefangen nahmen. Morgen wollte er Amemna zeigen können, daß sie in ihm keinen Schwächling liebte. Er würde morgen an der Seite seines Birh-Melack sein Bestes geben. Nefut stand auf, warf sein Untergewand im Vorbeigehen auf sein eigenes Lager und ging in die nächtliche Dunkelheit vor das Mawatizelt, in den lauwarmen prasselnden Regen, der ihn innerhalb weniger Augenblicke völlig benetzte. Er wusch seinen Körper, stand dann noch eine Weile da, sah, daß im Zelt seiner Geliebten noch Licht brannte, also redete sie wohl immer noch mit Hamarem. Vielleicht berieten die beiden nicht nur, wie sie Jochawam helfen konnten, sondern auch, wie sie bei einem erneuten Angriff eines Dämons zu verfahren hatten. Wenn Amemna Jochawams Heilung allein hätte gelingen können, wäre der Ostler sicher schon längst aus seiner Bewußtlosigkeit geweckt worden. Zu hören war von dem Gespräch bei dem Regen nichts, aber das hieß doch auch, daß beide in dieser Nacht keinen weiteren Angriff eines Dämons befürchteten. Sonst hätte es sicher Alarm gegeben. In Merats Zelt brannte kein Licht. Als er den Knaben Nefut in das Birh-Melack-Zelt gebracht hatte, war sie fort gewesen, vermutlich um ihr weinendes Kind zu beruhigen. Anscheinend war das ihr oder der Amme gelungen, und sie hatte sich zur Ruhe begeben. Nefut ging wieder zurück in das Mawatizelt, wrang seine Haare aus, versuchte, den größten Teil des Wassers von seinem Körper abzustreifen, zog das Untergewand wieder über und legte sich schlafen. * Als Nefut erwachte, war es zwar später als gewöhnlich, aber das Wecksignal war noch nicht erklungen. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne stieg schon über den Horizont. Hamarem lag nicht auf seinem Lager. Hatte Amemna ihn mit einem Auftrag fortgeschickt? Derhan und Oremar schliefen noch immer tief und fest, aber als Nefut sie aufforderte, an der Morgenübung teilzunehmen, erhoben sie sich verschlafen. Im hellen Sonnenlicht, unter dem wie gewaschen wirkenden blauen Himmel, schienen die Anzeichen dämonischen Wirkens nur noch ferne Alpträume zu sein, und er war sicher, daß seiner unirdischen Geliebten kein Dämon etwas anhaben konnte. Nefut stellte sich vor den verschlossenen Eingang des Mawatizeltes. "Amemna, leistest du mir Gesellschaft?" rief er ganz unzeremoniell, das Holzschwert schon in der Hand. Amemna war rasch am Eingang des Zeltes, trat hindurch und schloß ihn wieder. "Gerrne", antwortete sie. Amemna sah ungedachtet der nächtlichen Aktivitäten und Aufregungen, sowie ihres doch noch lange geführten Gesprächs mit Hamarem erholt und ausgeruht aus und strahlte Nefut an. Sie begannen auf dem trotz des nächtlichen Regens erstaunlich trockenen Gras zwischen den Zelten mit den Übungen und nach kurzer Zeit schlossen sich ihnen auch Oremar und Derhan an, so daß sie wohl ein recht eindrucksvolles Bild abgaben. Jedenfalls stand Merat am Eingang ihres Zeltes und sah ihnen zu, ließ den Blick lange auf Amemna ruhen, dann auf Nefut, auch wenn sie ihren Kopf schamhaft senkte, als Nefut ihren Blick erwiderte. Als die Übungen beendet waren, fragte Amemna: "Werrdet ihrr drrei mich heute auf den Aufklärrungsrritt begleiten? Hamarrem scheint unpäßlich zu sein und Jochawam ist noch immerr bewußtlos." Die Männer nickten gehorsam. "Ich errwarrte euch zu Beginn der zweiten Stunde auf dem Sammelplatz vorr dem Lagerrausgang", befahl sie und zog sich in ihr Zelt zurück, wohl um sich frisch zu machen und zu bewaffnen. Auch Derhan, Oremar und Nefut wuschen sich, frühstückten, legten ihre Gürtel und Schwerter an, die Mäntel um die Schultern, die Ma'ouwati-Tücher um den Kopf. Nefut verließ als letzter das Zelt, den Turban noch nicht ganz gebunden, als plötzlich eine der Frauen von Merat neben ihm stand, ihn kokett anlächelte. "Meine Herrin möchte kurz mit euch sprechen", sagte sie und rauschte wieder davon. Nefut schaute hinüber zum Zelt der Prinzessin, im Schatten des Eingangs konnte man ihre wohlgeformte Gestalt erahnen. Er stand schon vor dem Eingang ihres Zeltes, bevor er auch nur überlegte, ob er sich nicht vielleicht erst einmal vollständig bekleiden sollte, aber Merats schmale Hand zog ihn hinein, tiefer in den Schatten, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten. Sie umarmte und küßte ihn stürmisch im Beisein ihrer Dienerin, also ging er nicht darauf ein und sie ließ von ihm ab, wich offensichtlich enttäuscht einen Schritt von ihm zurück. "Wieso so kalt? Gestern war ich dir noch nicht so gleichgültig, Nefut", flüsterte sie. "Prinzessin, ihr seid die Gemahlin meines Birh-Melack", antwortete Nefut steif, auch wenn sein Herz aufgeregt in der Brust klopfte und er sich einen weiteren Kuß dieser wunderbar weichen Lippen herbeisehnte. "Mein Mann will sich von mir scheiden lassen, Nefut. Und du willst eine wirkliche Frau, gib es doch zu, denn du wünscht dir ein Kind. Das wird dir Amemna nie geben können. Er hat als Mann unsere Tochter gezeugt, und jeder Mensch ist nur eines von beiden, Mann oder Frau, egal wie viel unirdisches Blut er in sich haben mag, egal wie er aussehen mag. Sieh es ein, bei aller Liebe, die du für ihn empfinden magst, wird dir das nicht zu einem Sohn verhelfen. Ich jedoch...", sie sprach nicht weiter, doch es war klar, was sie damit sagen wollte. Sie war bereits Mutter, hatte bewiesen, daß sie fruchtbar war. "Aber du bist eine Prinzessin", antwortete Nefut leise, "und ich bin ausgestoßen. Du willst doch nicht an der Seite eines Stammeslosen..." "Wer würde das in einer der Städte ahnen? Wir könnten dort so glücklich werden. Ich bin in Ma'ouwat aufgewachsen, die Zelte würden mir nicht fehlen,  und mit dir wäre jeder Ort wie die wahrhaftigen Gärten der Freude." Sie strahlte ihn so herzlich an, daß es Nefut sehr schwer fiel, sich dem zu verschließen. Hatte sie ihm plötzlich den Tod ihrer Mutter verziehen? Oder war sie hinterlistiger, als Nefut sich vorstellen konnte? Wollte sie ihm eine Falle stellen? Sie wirkte jedenfalls sehr ehrlich und was ein Kind von Amemna betraf hatte sie vermutlich sogar recht, mußte Nefut sich schweren Herzens eingestehen. Wider Willen war er näher an sie herangetreten, hatte ihre Hände mit seinen umfaßt. "Merat, ich empfinde so viel mehr für Amemna als für dich. Du bist begehrenswert, meine schöne Prinzessin und dein Anliegen ehrt mich, aber ich glaube nicht, daß meine Gefühle für dich dafür ausreichen." Merat drückte sich eng an ihn, er spürte ihren weichen Leib an seinen Genitalien und das Gefühl der Lust drohte fast, ihn zu überwältigen. "Vielleicht ändert sich das ja noch, mein wunderbarer Nefut, Geliebter", flüsterte sie zurück, streckte sich ihm entgegen, so daß Nefut sie küßte, bevor er merkte, was er tat. "Nefut, wo steckst du?" rief Derhan von draußen. "Ich muß zu den anderen", sagte Nefut schnell, trat weit von Merat zurück und floh aus ihrem Zelt. Doch auch auf dem Weg zum Sammelplatz mußte er an Merat denken. Es war verlockend, sich einfach zu ergeben, sie war so schön, und sie war eine vollkommene Frau, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Aber Amemna liebte sie wohl noch immer, und Nefut liebte Amemna über alles. Vielleicht wäre Merat ja mit einer weiteren Nacht mit Nefut zufrieden zu stellen und ließ dann ab von ihm. Wenn es bis zum Krieg gegen Hannai so weiterging, würde Nefut bald nicht mehr wissen, wie er sich Merats Begierde entziehen sollte. Er mußte in jedem Falle mit Amemna offen über Merats Avancen reden. Er wollte nicht sein wieder lebenswertes Leben dadurch zerstören, daß er einer fremden Ehefrau erneut widerstandslos erlaubte, ihn zu verführen. * Während des Erkundungsritts durch die Grasberge zu dem die drei Mawati ihren Birh-Melack als Leibwache begleiteten, ergab sich für Nefut keine Gelegenheit zu einem privaten Gespräch mit Amemna. Derhan und Oremar musterten Nefut immer wieder einmal kritisch wenn auch nicht direkt feindselig sondern eher, als wunderten sie sich über eine Eigenart in seinem Verhalten, die er in all den Jahren als Ashans Unterführer nicht gezeigt hatte. Derhan hatte ihn aus Merats Zelt kommen sehen, das mochte sein Grund für diesen Blick sein. Aber was war mit Oremar? Hatte Derhan ihm erzählt, was er wußte? Aber es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was in Derhan oder Oremar vor sich ging. Nefut mußte sich darüber klar werden, was er selbst von Merat oder Amemna wollte. Vielleicht mußte er sich sogar zunächst darüber klar werden, was er eigentlich mit seinem durch Amemnas Liebe gewissermaßen wiedergewonnenen Leben anfangen wollte. Die Tetraosi würden die Söldner nach dem Krieg gegen Hannai entlassen, und Nefut merkte, daß es ihn nicht reizte, sich eine neue Anstellung in einem anderen Heer zu suchen. Und er wollte auch nicht mehr erfolglos danach streben, einen Weg zu finden, die Gunst seines Vaters wiederzuerlangen, als könne er dadurch die Liebe, die er von ihm nie erhalten hatte, gewinnen. Murhan Darashy stand zu seinen Entscheidungen, das war schon immer so gewesen. 'Das Wort des gerechten Mannes ist wie ein Fels' war eines der Lieblingszitate Murhans aus den Schriften gewesen. In diesem Sinne hatte er Nefut erzogen, und wie es schien, hatte er das sogar Amemna vermitteln können, obwohl sie ja nicht von Geburt an zu seinem Haushalt gehört hatte. Aber nach ihrer ungewollten Einsetzung als Wanack hatte sie keine Anstalten gemacht, zu fliehen, sondern hatte begonnen, das Amt auszufüllen. Und später hatte sie sich von der Regentin alles gefallen lassen, um die Versorgung der ihr als Birh-Melack unterstehenden Truppen zu sichern. Vielleicht war es diese verwandte Geisteshaltung, die ihn zu Amemna hinzog, auch wenn sie nicht so weiblich war, wie Merat, auch wenn sie vielleicht nie sein Kind empfangen würde. Andererseits war Merat eine traumhaft schöne Frau, die sicherlich von ihm empfangen würde. Doch noch war sie verheiratet und zur Zeit sah es nicht so aus, als ob Amemna auf ihren Scheidungswunsch bestehen würde. Und ohne Amemnas ausdrückliche Einwilligung würde er sich Merat nicht noch einmal nähern. Er wollte nicht noch einmal als Schänder einer fremden Ehefrau verurteilt werden. Er würde sich ausschließlich darum bemühen, Amemnas Wünschen zu folgen, unabhängig davon, was die anderen Mawati davon halten mochten. Doch der Birh-Melack schien diesen Morgen fast unnahbar, lächelte Nefut nur einmal kurz an, während sie in immer weiter werdenden Kreisen das zum Teil schlecht überschaubare hügelige Gebiet zwischen dem Heerlager und Tarib erkundeten, ohne auf irgendjemanden zu stoßen. Aber dieses verheißungsvolle, sogar etwas lüsterne Lächeln, das Amemna ganz allein ihm schenkte, ließ in Nefut den Vorsatz erwachen, in dieser Nacht nicht nur für das Weib in Amemna da zu sein, auch wenn ihm bei dem Gedanken etwas unwohl wurde. Er war doch nicht weniger Mann als dieser falsche Eunuch! Er wußte, was einen Männerkörper entzündete und er ganz allein würde Amemna dazu bringen, zu schreien vor Lust. Endlich befanden sie sich in Sichtweite Taribs. Eine gemischte Abteilung aus Söldnern und Tetraosi zu Fuß war gerade auf dem Weg in die kleine aber wehrhaft aussehende Stadt an der Handelsstraße. Die Befehlshaber grüßten einander kurz, aber während dessen setzten beide Abteilungen ihren Weg, der sie wieder voneinander entfernte, fort. Als die Fußsoldaten und die Türme der Stadt schon außer Sichtweite waren, ertönte plötzlich ein Alarmruf von der Nachhut der Mellim. Amemna bedeutete Nefut, sich darum zu kümmern und er galoppierte zurück, zum Ende der Reitereinheit. Von dort aus, wo die schwarzhäutigen Südländer mit ihren Pferden haltgemacht hatten, konnte man sehen, daß die Tore der Stadt nun offenstanden und fremde Fußsoldaten in Formation einen Angriff auf die sich in Marschordnung nähernden Tetraosi machten. Diese fremden Soldaten waren Ostler, das konnten also nicht Taribs Bürger, sondern es mußten Söldner der Hannaiim sein, die mit langen Speeren und großen, glänzenden Rundschilden den völlig überraschten Tetraosi entgegenstürmten. "Angriff aus Tarib!" rief Nefut in Richtung der nun auch abwartenden Vorhut der Mellim. Und während der Ruf bis an die Spitze weitergegeben wurde, machte sich die Südländerwannim schon auf zum Gegenangriff, um den beiden Mawimin beizustehen, die in aller Eile versuchten, ihre Reihen so weit zu schließen, daß sie dem drohenden Angriff standhalten konnten. Der Schwarze Wanack führte seine Leute und Nefut von der Seite gegen die gepanzerten Ostler, doch bevor sie die Fußsoldaten erreichten, trafen diese mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen ihrer metallenen Schilde auf die Reihen ihrer ebenfalls mit Schilden kämpfenden Gegner, drängten die Tetraosi auseinander, zogen ihre blutigen Speerspitzen aus ihren Opfern, bereiteten sich auf einen weiteren Vorstoß vor. Tief in den Nacken reichende Helme und die großen runden Schilde, hinter denen ein Mann leicht Deckung finden konnte, dazu die langen Speere würden es auch für die Reiter schwer machen, einen Angriffspunkt zu finden. Trotzdem preschte der Schwarze Wanack weiter, der Rest der Mellim folgte ihm. Plötzlich galoppierte Amemna an der Formation vorbei weiter nach vorne, hieb mit ihrem Schwert zwei Speere ab, der Schwarze Wanack neben ihr setzte mit seinem breiten Schwert nach und fügte einem der Ostler offenbar eine schwere Verletzung zu, denn die an dieser Seite zunächst geschlossene Formation der Ostler öffnete sich. Die Ostler trugen nur Panzer aus Leinen, den scharfen Osheyschwerter würden sie ebenso wenig gewachsen sein wie denen der Südländer. Und ohne ihre Speere fehlte ihnen mit ihren kurzen Schwertern die Reichweite, einen Reiter ernsthaft zu verletzen. Aber dafür nahmen sie sich die Pferde vor. Vor Nefut brach eines der Tiere der Südländerwannim zusammen, das Blut aus einer tiefen Halswunde spritzend, seinen Reiter ereilte ein schnellerer Tod durch eine weitere Ostlerklinge. Nefut gelang es, ebenfalls ein paar Speere abzuschlagen, er erwischte auch einen Arm mit Schild aus seiner erhöhten Position, wehrte Stiche nach der Brust seines Pferdes erfolgreich ab. Derhan und Oremar kämpften inzwischen neben Amemna, und Nefut versuchte, sich durch die nun völlig aufgelösten Reihen der Gegner einen Weg zu ihr zu bahnen. Die meisten Speere lagen inzwischen unbeachtet auf dem Boden. Sie brachten den Fußsoldaten so dicht bei ihren Gegnern keinen Vorteil mehr. Die Ostler versteckten sich statt dessen auf dem Boden kauernd unter ihren Schilden, um mit ihren Schwertern die Bäuche der Pferde aufzuschlitzen. Die Osheyschwerter boten durch ihre Länge den Vorteil, daß auch ein solcher Stoß abzuwehren war, aber zwei weitere Südländer vor Nefut verloren ihre Pferde, standen dadurch ohne Schutz durch eine erhöhte Position zwischen den gepanzerten Gegnern. Amemnas Pferd schien plötzlich unter ihr einzuknicken, langsam fiel es mit verdrehten Augen zur Seite, doch ein Sprung rettete seine Reiterin davor, unter seinem Leib zu liegen zu kommen. In dem merkwürdigen Licht, das unter den erneut aufziehenden Regenwolken hervor sehr flach auf die Schlacht fiel, wirkte das Muster im Metall ihrer Klinge wie Schlangenschuppen. Ihren Helm hatte sie beim Sturz ihres Pferdes anscheinend verloren und ihr weißer Haarschopf gleißte in der Sonne wie aus sich selbst heraus leuchtend. Mit vor Konzentration angespanntem Gesicht wirbelte sie herum, hielt die Gegner auf Abstand, tötete einen durch einen Stich in die Kehle, wandte das Gesicht ab, um durch das spritzende Blut nicht in ihrer Sicht behindert zu werden, parierte den Angriff eines anderen, doch es waren so viele und sie war nur mit ihrem Dolch und ihrem Schwert bewaffnet. Wo waren die anderen Mawati? Nefut versuchte weiterhin, sich durch die Gegner zu ihr vorzuarbeiten, keiner der Mellim war in der Nähe, Amemna kämpfte dort ganz allein gegen die gepanzerten Ostler. Da sackte Nefuts Pferd in die Knie, weil einer der Ostler Nefuts momentane Unachtsamkeit für seine unmittelbare Umgebung ausgenutzt und seinem Pferd die Kehle aufgeschlitzt hatte. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)