Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 33. Auflösung ------------- Merat sog den Duft Amemnas aus dem Kissen ein, streichelte über den weichen Stoff, der doch lange nicht so weich war, wie die Haut ihres Gatten. War sie zu sorglos gewesen bei ihrem Gespräch mit Derhan? Nach der Aussöhnung mit Amemna, nach der so dekadenten aber wundervollen Vereinigung mit ihm zur Mittagsstunde, was wiederum die Erinnerung an die Vereinigung mit Nefut in der Nacht zuvor weckte, war sie einfach nicht in der Lage gewesen, kühle Distanz aufzubringen, als sie Derhan gegenüber von Nefuts Gefangennahme sprach. Derhan war wenig überrascht gewesen, als sie von Nefut als ihrem Bruder sprach, aber er hatte ihr ja schon mitgeteilt, daß er ihren Bruder ausfindig gemacht hatte, ohne mehr als das mitzuteilen. Und wie wissend er sie angesehen hatte, als sie ihm ihr Problem schilderte. Waren ihre wenig schwesterlichen Gefühle für Nefut zu offensichtlich gewesen? Sie konnte nur hoffen, daß Derhan auch ihre Geheimnisse nicht mehr als andeutete, wenn er anderen gegenüber davon sprach. Immerhin hatte sie ihren Unmut über Amemnas Prioritäten, sich zuerst mit der Amapriesterin zu treffen, anstatt sich gleich um das Wohl Nefuts zu kümmern, für sich behalten können. Sie hatte nur erwähnt, Amemna sei von seinem Zweiten fortgerufen worden, sich um eine andere dringende Angelegenheit zu kümmern. Derhan hatte versprochen, für sie über Nefuts Verhaftung herauszubekommen, was zu erfahren war. Und Merat war zurückgeblieben, besorgt über Nefuts Schicksal, verstört über Amemnas Entscheidung, aber nun ohne den geringsten Zweifel daran, Amemna tatsächlich zu lieben, auch wenn sie ihn manchmal einfach nicht verstand. Obwohl er einige Jahre von Murhan erzogen worden war, würde er wohl nie ein Oshey werden, und vielleicht liebte sie an ihm auch gerade, daß er die unsichtbaren Grenzen, die die Schriften setzten, manchmal auf schockierende Weise ignorierte. Und egal was in den Schriften behauptet wurde, es konnte doch nicht sein, daß die Götter gegen die Verwirklichung ihres Traumes von einer harmonischer Zukunft mit Amemna und Nefut waren! Was konnte Hawat Anstößiges daran finden, mehr als einen Mann zu lieben? Mußten die Götter der Oshey nicht auch befürworten, daß sie von ihrem Plan der Täuschung und des Betrugs abgelassen hatte? Merat hörte, daß Losat den Anführer der Wachen des Fürsten fortschickte, weil ihre Herrin noch ruhte und sie dankte ihr stumm. Sie konnte sich jetzt nicht dazu überwinden, dem sympatischen aber etwas steif wirkenden Patris Gehör zu schenken. Als wenig später Amati von ihrer Mittagsruhe erwacht war, und Merat ihre fröhlich lachende Tochter in den Armen hielt, kam Losat jedoch nach hinten und wisperte: "Der kahlköpfige Mawati bittet um ein weiteres Gespräch, Herrin." Beunruhigt darüber, was dieser Schnelligkeit zugrunde liegen konnte, vor allem, da er ihr doch keine großen Hoffnungen gemacht hatte, vor dem späten Nachmittag mit Informationen zurückzukehren, überreichte Merat ihre Tochter hastig der Amme und eilte in den vorderen Teil des Zeltes. "Ist etwas passiert, daß ihr so schnell zurückkehrt?" fragte sie, zusätzlich alarmiert durch anscheinend frische Blutspuren an seinen hellbraunen Ärmeln. Derhan nahm sein Kopftuch ab und strich sich über seinen rasierten Schädel. "Herrin, ich habe mit eurem Bruder gesprochen", begann er mit gedämpfter Stimme. "Auch er hat keinen Hinweis darauf, wer ihm übel will. Die offizielle Anklage lautet 'Mord an einem Priester', aber außer dem Wort des Ersten Sekretärs liegen anscheinend weder Beschuldigungen noch irgendwelche Beweise gegen ihn vor. Ich habe allerdings herausgefunden, daß der Ehrwürdige Vater entgegen der allgemeinen Vermutung nicht hier, sondern bereits vor Tetraos starb – und ohne es zu diesem Zeitpunkt zu ahnen, habe ich selbst sogar gesehen, wie sein lebloser Körper aus dem Zelt der Priester des Ungenannten in einen ihrer Transportwagen getragen wurde, kurz bevor ich mit euch auf jenem Hügel auf den Heerzug wartete. Ich hatte damals vermutet, er sei nur geschwächt durch das überaus schwüle Klima der beginnenden Regenzeit, vor allem, da ihm sein Stock nachgetragen wurde." Merat war schockiert über diese Eröffnung. "Heißt das, der Erste Sekretär hat einfach willkürlich die Anklage ausgesprochen, weil die Priester des Ungenannten den Leichnam des Ehrwürdigen Vaters nun gerade zwischen die Zelte der Mawati gelegt haben?" "Ich vermute es. Daher versuchte ich auch, durch die Befragung eines der Priester des Ungenannten zu erfahren, warum sie den Toten gerade zu unseren Zelten brachten. Der Priester erzählte, daß der Tote im Laufe der gestrigen Nacht aus dem Transportwagen verschwand und zumindest er wußte nichts darüber, wer den Leichnam hierher gebracht hat. Tatsächlich befürchtete die Priesterschaft des Ungenannten durch das Auftauchen des Leichnams gerade zwischen unseren Zelten anscheinend sogar die Störung ihrer Pläne – und dieser Pläne wegen bin ich so schnell zurückgekehrt, denn sie bedrohen ernstlich das Leben eurer Tochter und eures Gatten." Und in diesem Moment brachte Losat die Teekanne und Trinkschalen. Merat hatte das Gefühl, ihr Herz hätte bei Derhans Worten einen Schlag ausgesetzt. Schnell schickte sie Losat wieder fort, auch wenn ihre eigenen Hände etwas zitterten, als sie die Schalen mit der heißen Flüssigkeit füllte. Sie atmete tief durch, versuchte ruhig zu bleiben. Sie glaubte, auf Derhans Ehrlichkeit vertrauen zu können. Auch wenn er ein Stammesloser war, macht er einen sehr anständigen, gebildeten Eindruck. Außerdem hatte er ihren Auftrag, etwas über die Verhaftung Nefuts herauszufinden, anscheinend getreulich zu erfüllen versucht, und war nur deswegen zurückgekehrt, weil er auf eine Gefahr für seinen Herrn gestoßen war. Er mochte ein Skeptiker sein, aber er hatte seinen eigenen Ehrenkodex, der nicht sehr vom Wahren Weg abzuweichen schien. "Von was für einer Gefahr sprecht ihr?" fragte Merat endlich mühsam beherrscht. "Anscheinend leben die Priester des Ungenannten in Furcht vor den unirdischen Fähigkeiten eures Gatten, seitdem er dem Knaben Nefut Hiame auf spektakuläre Weise das Leben wiedergab", erzählte Derhan leise. "Dem Priester des Ungenannten nach, den ich befragte und an dessen Aussage zu zweifeln ich keinen Grund habe, hatte der Ehrwürdige Vater diese Ansicht geteilt, besuchte die Priesterschaft des Ungenannten am Abend vor dem Aufbruch des Heeres nach Tarib und diskutierte mit ihnen die halbe Nacht Schriften. Dann habe man ihm schließlich anvertraut, daß die Priesterschaft des Ungenannten über einen alten Banngegenstand gegen Dämonen verfügt, einen aus Gold und Silber geschmiedeten Armreifen, den ein Bote kurz nach der Heilung des Knaben aus einem Kloster nahe Hannai geholt hatte, denn angeblich sei er auch gegen Unirdische fast reinen Blutes wirksam. Gerade in der Nacht vor dem Aufbruch des Heeres nach Tarib war in den Zelten des Ungenannten daraus ein schmales Band gehämmert worden, das in den Kragen eines Mantels für den Birh-Melack eingenäht werden sollte, um damit seine unirdischen Kräfte zu fesseln und ihn später gefahrlos überwältigen und töten zu können. Zur Mitte der Nacht habe sich der Ehrwürdige Vater plötzlich unwohl gefühlt und die heilkundigen Priester des Ungenannten waren davon überzeugt, es mit einem bloßen Schwächeanfall des alten Mannes zu tun zu haben. Sie erlaubten ihm, in ihren Zelten zu übernachten und stellten erst beim Aufbruch aus Tetraos am nächsten Tag fest, daß der Ehrwürdige Vater verschieden war. Um nicht vor der Zeit den Birh-Melack auf den Banngegenstand aufmerksam zu machen, hielten sie den Tod des Ehrwürdigen Vaters geheim und gaben auch den anderen Orempriestern erst Bescheid, als alles zur Schwächung eures Gatten vorbereitet war. Den Mantel brachten sie mit Vorbedacht zu einem Zeitpunkt zu euch, als euer Gatte mit Sicherheit abwesend war, und als sie bei der Übergabe feststellten, daß auch eure Tochter anscheinend einen hohen Anteil am Blut der Unirdischen hat, führte diese Erkenntnis zu neuer Unruhe unter den Priestern, so daß ich das Äußerste für sie fürchte. Ihr solltet mit ihr schnellstens das Heerlager verlassen." Merat hatte sich Derhans Bericht mit wachsendem Unbehagen angehört, mit zunehmender Anspannung dazu geschwiegen. Sie hatte den Mantel auch noch angenommen, in der Meinung, sie würde damit ihre eigenen Pläne verwirklichen. Statt dessen hatte sie damit möglicherweise Amemnas und Amatis Tod Vorschub geleistet. Erschüttert zeigte sie auf das Paket, in dem der Mantel lag. "Amemna wollte den Mantel eigentlich nicht einmal anprobieren, vermutlich merkte er, daß irgend etwas daran nicht gut für ihn ist", flüsterte sie - und sie hatte ihn dazu überredet. Dieser Mantel mußte vernichtet werden... aber vielleicht reichte es ja schon, das Metallband aus dem Kragen herauszulösen und zu vernichten, denn einen neuen Mantel brauchte ihr Gatte zweifellos – und einen prächtigeren, für einen Birh-Melack unirdischen Blutes angemesseneren, würde man nirgends finden. Das Kind aber mußte, selbst wenn keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, in der Tat schnell fortgebracht werden aus diesem Heerlager. Und dann fiel Merat ein, daß der Knabe Nefut ja auch zur Wannim ihres Mannes gehörte. "Ihr solltet auch euren Sohn in Sicherheit bringen", ermahnte sie Derhan. "Ich glaube nicht, daß er in einem Heerlager gut aufgehoben ist, in dem die Priesterschaft eines Gottes versucht, den Anführer der Söldner zu töten, noch dazu wo er zu Amemnas Wannim gehört. Falls mein Gatte oder der Zweite euch nicht entlassen wollen, verweist auf mich." "Aber bisher habe ich noch nichts unternehmen können, um eurem Bruder zu helfen. Ich bezweifle, daß die Priesterschaft des Ungenannten vor den Tetraosi freiwillig ihren Plan zur Beseitigung unseres Birh-Melack bekennt, also..." "Durch eure Informationen habt ihr meinem Gatten und unserer Tochter sicherlich das Leben gerettet! Und ich befehle euch hiermit, den Knaben in Sicherheit zu bringen", unterbrach Merat Derhan aufgebracht. "Falls er hier während eines Aufruhrs umkommt, würde sein Blut an meinen Händen kleben, jetzt, da ich weiß, wie es in diesem Lager steht." Wenn die Kinder in Sicherheit waren, konnte sie sich mit Hilfe der restlichen Mawati darum kümmern, weitere Zeugen zur Entlastung Nefuts zu finden. Derhan nickte ergeben. "Ihr habt natürlich recht", gab er leise zurück, trank endlich den ersten Schluck Tee. "Dann werde ich jetzt gehen, und meine Habseligkeiten zusammenpacken." "Ich wünsche euch und eurem Sohn alles Gute", sagte Merat und entließ ihn, hörte, wie er sich vor dem Zelt mit dem Zweiten der Wannim unterhielt. Und lungerte dort draußen zwischen den Zelten nicht auch Patris herum? Irgendwann mußte sie wohl mit dem Anführer der fürstlichen Wachen sprechen, aber nicht gerade jetzt, während sie überlegte, wie sie Amati in Sicherheit bringen konnte, ohne Nefut aller Hilfe zu berauben. Dann trat der Zweite ihres Gatten in den Zelteingang, verneigte sich vor Merat, bat Losat, für ihn bei ihrer Herrin um ein Gespräch nachzusuchen. "Kommt herein, Hamarem", begrüßte sie ihn, bevor Losat auf seine Bitte irgend etwas erwidern konnte. Vor dem Zelt hatte er Derhan doch gesagt, Amemna bespreche sich mit Wanack Perdinim. Wenn er sie sprechen wollte, hatte er vielleicht schon Nachricht von Amemna, wie Nefut aus der Gefangenschaft zu befreien war. Hamarem kam zu ihr, ließ sich elegant auf einem Kissen nieder, nahm von Merat die frisch gefüllte Teeschale in Empfang, nippte an der heißen Flüssigkeit und sah sie erwartungsvoll an. Natürlich, sie war als Gattin seines Herrn die Ranghöhere. Aber je länger sie sich jetzt mit Höflichkeiten aufhielten, desto gefährlicher wurde es möglicherweise für Amati, denn inzwischen wußte sicher die ganze Priesterschaft des Ungenannten, daß die Mawati von ihren Plänen erfahren hatten. "Was führt euch zu mir, Hamarem?" fragte sie also ungeduldig, auch wenn sie sich um einen höflichen Ton bemühte. Hamarem sah sie überrascht an. "Es geht um den Mantel, den die Priesterschaft des Ungenannten eurem Gatten schenkte, Herrin", sagte er. "Aber anscheinend wißt ihr schon, daß es sich dabei um eine Waffe gegen ihn handelt." Merat schüttelte unwillig den Kopf. "Nicht der Mantel ist die Waffe – es ist ein Metallband in den Kragen eingenäht, mit dem man ihm seine unirdischen Fähigkeiten nehmen will. Ich denke, man muß es nur heraustrennen, um den Mantel wieder zu einem gewöhnlichen, nunja, einem außergewöhnlich auffälligen Kleidungsstück zu machen." Hamarem stellte behutsam die Teeschale aus der Hand, erhob sich geschmeidig und näherte sich zögernd dem Paket, in dem der Mantel lag, schlug den Stoff, in den er verpackt war, Lage um Lage beiseite, bis man die aus Gold- und Silberfäden gestickten Flügel der Unirdischen sah. Vorsichtig legte er die Hand auf die Stickerei und zog sie sofort wieder zurück, als habe er sich verbrannt. "Es sind die Metallfäden der Stickerei, die die Kräfte fesseln", flüsterte er. Merat erinnerte sich an ihre Kinderzeit, in der sie sich oft in der Schmiede ihres Vaters aufgehalten hatte, durch kleine Verbrennungen an ihren Fingern schnell gelernt hatte, wie gut Gold und Silber leiten. "Vielleicht sind die Fäden einfach nur mit dem Metallband verbunden worden." Und dann wurde ihr klar, daß auch der Zweite ihres Gatten über unirdische Fähigkeiten verfügen mußte, wenn er durch eine bloße Berührung der Stickerei eine solche Aussage machen konnte. Waren es die durch die Mischung aus grau und braun so goldgefleckten Augen, wie auch Amati sie hatte, die Rückschlüsse auf das Erbteil zuließen? Amati mußte schnellstens aus dem Lager gebracht werden! Merat sprang auf. "Losat, pack mit Tabit alles zusammen", befahl sie. "Wir verlassen noch zu dieser Stunde das Heerlager. Und sag auch Patris Bescheid, daß die Wachen sich bereit machen sollen." Losat nickte und lief aus dem Zelt. "Das ist eine kluge Entscheidung, Herrin", ließ Hamarem sich vernehmen. "Das Heer der Hannaiim steht vor Tarib, morgen wird es sicher zu einer Schlacht kommen, und währenddessen seid ihr hier im Lager ungeschützt." Merat nickte abwesend. Sie selbst hatte nicht vor, das Lager zu verlassen, bevor nicht Nefut gerettet war. Sie näherte sich dem Paket und stand nun so dicht neben Hamarem, daß sie an seinem langen Haar einen halb vertrauten Duft wahrnehmen konnte. Natürlich, Amemna und er waren gemeinsam zu der Amapriesterin gegangen. Keine Frage, was sie dort getrieben hatten. Allein der Gedanke ließ Merats Schoß vor Verlangen pochen. War es sein unirdisches Blut, das Amemna an Hamarem anzog, oder sein gutes Aussehen, seine geschmeidigen Bewegungen, die wunderbare Stimme? Doch das war nichts, worüber sie sich jetzt Gedanken machen durfte. "Ich muß vor allem Amati in Sicherheit bringen, damit die Priester des Ungenannten sich nicht an ihr vergreifen", sagte Merat also nachdrücklich. Mit Mühe unterdrückte sie die Bilder dessen, was die aufständischen Ma'ouwati mit kleinen Kindern gemacht hatten. Die Priester hatten vermutlich ähnliche Pläne mit dem kleinen, wehrlosen Säugling. Hamarems Gesicht wurde bleich. "Wir können nicht zulassen, daß sie eurer Tochter oder eurem Gatten etwas antun, Herrin. Habt ihr eine Nähnadel hier? Sonst hole ich eine aus meinem Gepäck." Dann atmete er tief durch, als müsse er Kraft schöpfen und hob den Mantel aus seiner Verpackung, breitete ihn sorgfältig auf dem Boden aus, rieb dann seine Hände, als hafte etwas Unangenehmes an ihnen und wendete schließlich mit spitzen Fingern prüfend den Kragen des Mantels, dessen Schnitt mehr Ähnlichkeit mit einem städtischen Kleidungsstücke hatte, als mit einem Osheymantel. Merat erinnerte sich an seine Frage nach der Nadel, als Hamarem sich neben den Mantel kniete und fragend zu ihr hochsah, dann seinen Dolch zückte und mit der Spitze sehr vorsichtig einen der Fäden durchtrennte, mit denen der Kragen außen am Rückenteil festgenäht war. Sie ging rasch zu Losats Tasche, fand gleich das Nähzeug und reichte es Hamarem, der offensichtlich jede Berührung des Stoffes als unangenehm empfand. "Laßt mich doch diese Naht auftrennen, Zweiter." "Nein Herrin, das ist keine Arbeit für eine Prinzessin", widersprach Hamarem entschieden, zog mit der Nadel Stück für Stück den Faden heraus, legte so tatsächlich ein eingenähtes, glitzerndes Metallband frei. "Das ist Unsinn, was ihr redet, Zweiter", sagte Merat schließlich, als sie sich von dem fast hypnotischen Anblick seiner flinken Finger lösen konnte. "Ich bin die Tochter eines Goldschmiedes." Sie kniete sich neben ihn und griff nach der Nadel. Für einen Moment berührten sich ihre Finger und das erschreckend erregende Gefühl ließ sie bestürzt den Blick abwenden. Hamarem rückte ein gutes Stück weg von ihr, als habe er das gleiche empfunden und Merat erinnerte sich an seine Worte am Morgen, daß er ihr in gleicher Weise zu Diensten sein wolle, wie ihrem Gatten, den er in der Nacht zuvor doch wohl bestiegen hatte. Ob er ein ebenso guter Liebhaber wie Nefut war? Mit klopfendem Herzen gelang es Merat, diesen Gedankengang nicht weiter zu verfolgen, suchte die Naht, die Hamarem schon einen Finger lang aufgetrennt hatte, zog die nächste Schlaufe des Fadens heraus, noch eine und noch eine, versuchte dann, das vielleicht zwei Spannen lange und einen halben Finger breite, sehr biegsame Blech aus dem Kragen herauszuziehen. Es gelang ohne Mühe. Das Blech fühle sich an wie ein gewöhnliches Stück Metall, kühl in ihrer Hand, aber sich rasch erwärmend, als sie es länger hielt. Man erkannte unter der laienhaften Streckung noch ein verschlungenes Muster aus in Silber eingelegtem Golddraht. Merat stand auf und trug das Metallstück in eine entfernte Zeltecke. "Sind der Mantel oder die Stickerei jetzt noch immer gefährlich?" fragte sie den Zweiten ihres Gatten. Hamarem näherte seine Hände wieder der Stickerei aus Metallfäden, berührte sie zögernd, dann lächelte er entspannt. "Ihr hattet recht, es war nur das Metallband, das hier auf den Metallfäden lag", denn einige der Spitzen der Flügel reichten bis in die Innenseite des Kragens hinein. Hamarem fädelte den ausgelösten Faden in die von Merat beiseitegelegte Nadel und begann, die aufgetrennte Naht wieder zuzunähen. Den offenbleibenden Rest der Kragennaht schloß er mit einem hellen Faden aus dem Nähzeug, so daß der Mantel schließlich genau so aussah, wie zuvor. "Meint ihr, wir können diesen Banngegenstand vernichten?" fragte Merat und deutete mit dem Kinn auf das im Schatten sehr stumpf wirkende Metallband. Hamarem sah nachdenklich in die Ecke, in der es lag. "Verbunden mit der Stickerei wirkte das Muster seiner Kräfte so gleichmäßig, aber nun scheint es, als wäre es schon schwer beschädigt durch das Platthämmern... wir könnten versuchen, damit...", doch dann schüttelte er den Kopf. "Ich kann es nicht dort hinbringen", murmelte er. "Vielleicht hilft mir Ramilla oder..." "Ich kann euch helfen", warf Merat ein. Da der Zweite einen Frauennamen genannt hatte, war es ja wohl nichts, zu dem eine Frau nicht in der Lage war. "Prinzessin, ihr solltet euch darum kümmern, eure Tochter in Sicherheit zu bringen. Ich werde mich um den... um Jochawam kümmern." Das war doch der unheimliche Ostler, mit dem Amemna sich in der vergangenen Nacht vergnügt hatte, der jetzt verletzt in seinem Birh-Melack-Zelt lag. War er nicht auch einer derjenigen gewesen, die in der Nacht geschrien hatten? "Was ist denn mit Nefut?" fiel Merat dann wieder ein. "Solltet ihr euch als Zweiter der Wannim nicht um alle Gefolgsleute meines Gatten kümmern?" Hamarem mußte die Männer in den umliegenden Zelten befragen, ob sie in der vergangenen Nacht irgend etwas gehört oder gesehen hatten – doch da zog eine Bewegung am Zelteingang Merats Aufmerksamkeit auf sich. Es war Losat, die wieder das Zelt betrat. "Bring diesen Metallstreifen wohin der Zweite ihn haben will", befahl Merat ihrer Dienerin, zeigte darauf. "Ich beginne mit Tabit schon einmal damit, zusammenzupacken." "Ja, Herrin", bestätigte Losat, kramte einen Lappen hervor, der wohl Teil eines zerlumpten Gewandes war und wickelte den Stoff um das Blech. "Wohin soll ich das bringen?" fragte sie dann und Hamarem ging ihr voran, hinaus aus dem Zelt. Tabit hatte im hinteren Bereich des Zeltes schon einiges zusammengepackt, Amati lag gestättigt und zufrieden brabbelnd in ihrer Wiege. "Kehren wir wegen des bösen Priesters zurück zu den Zelten?" fragte die Amme, während sie die Decken von Merats Lager zusammenrollte. Merat nickte. "Ja, deswegen kehren wir zurück zu den Zelten", bestätigte sie, auch wenn sie gar nicht mitkommen würde. "Du hattest Recht, dem Priester des Ungenannten zu mißtrauen." Die Amme würde während der Reise gut für die Kleine sorgen, aber Merat konnte nur Losat bitten, Patris bis zu ihrer ersten Übernachtung über den Verbleib ihrer Herrin zu täuschen, indem sie vorgab, ihr Speisen oder Getränke in die Kamelsänfte zu reichen. Tabit nickte befriedigt zu den Worten ihrer Herrin, dann trug sie einen fertigen Packen hinaus vor das Zelt, von wo schon das Blöken eines Kamels zu hören war. Merat nahm Amati auf den Arm, damit die Wiege auseinandergenommen und verstaut werden konnte und ging zum Zelteingang, um nach Hamarem zu schauen, der ihr vielleicht einen Männermantel und ein Kopftuch besorgte, damit niemand Fremdes erkannte, daß noch eine Frau bei den Mawati war. Aber sie entdeckte nur Losat, die gerade aus dem Birh-Melack-Zelt trat. Und Patris entdeckte seine Herrin, denn wie aus dem Boden geschossen stand er plötzlich vor ihr. "Prinzessin, es ist eine gute Entscheidung, jetzt aufzubrechen. Ich wollte euch deswegen schon vorhin sprechen, aber nun habt ihr ja offenbar auch auf anderem Wege erfahren, daß das Heer der Hannaiim vor Tarib steht und für morgen die Schlacht zu erwarten ist." Merat war über sein plötzliches Auftauchen vor Schreck zusammengefahren, fing sich aber wieder so weit, daß sie zu seinen Worten nickte und der wegen irgend etwas aufgeregt zappelnden Amati beruhigend über das Haar strich. "Meint ihr, wir können über Hannai reisen, oder sollten wir besser einen anderen Weg nehmen?" Patris hatte sich offenbar schon Gedanken über die Reiseroute gemacht. "Wir werden von hier direkt nach Süden ziehen. Die Nacht können wir dann schon in einer Karawanserei in Menrish verbringen." "Dann wünsche ich euch eine gute Rreise", sagte plötzlich Merats Gatte neben ihr, umfing sie mit einer für den öffentlichen Ort unziemlichen Zärtlichkeit, küßte Amati auf den Scheitel, und das Kind strahlte ihn an, begann fröhlich zu plappern. Patris hob etwas betreten den Blick zu Amemna. "Herr, die Reisevorbereitungen erfordern meine Anwesenheit. Bitte entschuldigt mich." Amemna entließ den fürstlichen Wächter mit einem knappen Nicken, während Merat der Kopf schwirrte vor Fragen und wichtigen Nachrichten für ihren Gatten. Wußte er schon, daß der Erste Sekretär Nefut anscheinend willkührlich als Sündenbock für den Tod des Priesters ausgewählt hatte? Hatte er selbst inzwischen mit dem Zweiten der Birh-Mellim einen Plan zu Nefuts Rettung entworfen? Würde Amemna den Mantel nun, da er entzaubert war, tragen? Was war mit seinen vielen Liebhabern neben Nefut, von denen er ja mindestens Hamarem seit ihrer Aussöhnung beigewohnt hatte - wollte Amemna an allen festhalten? "Laß uns hineingehen, frr'tschan", sagte Amemna, führte seine Gattin in das Zelt, bis in den inzwischen leergeräumten hinteren Teil, streichelte zärtlich Amatis Wange, dann die Merats, ihren Hals, so daß sie ihm sehnsüchtig ihren Mund darbot und glaubte, durch seinen Kuß hinwegfließen zu müssen, als sei sie in seinen Armen plötzlich zu Wasser geworden. Aber Amati griff in ihr Haar und zog daran, so daß Merat wieder zu sich kam. "Geliebter, ich schicke nur Amati fort", sagte sie leise in der Südländersprache. Amemna schaffte etwas Abstand zwischen ihren Gesichtern, sah sie aufmerksam an. "Ich soll dich in meiner Wannim verbergen, Geliebte?" Dann lächelte er plötzlich. "Amati wird bei Tabit in guten Händen sein. Bleib also an meiner Seite. Und auch mit Nefut wird alles gut. Ich habe gerade erfahren, daß die Regentin hierher unterwegs ist und sich der Sache noch heute abend selbst annehmen will." Dann lachte er sogar, wirkte fast wieder wie der liebenswerte Junge, als den Merat ihn vor etwa fünf Jahren kennengelernt hatte. "Es wird ein Leichtes sein, sie dazu zu überreden, mir meinen Mann herauszugeben. Sollen wir Nefut gleich gemeinsam die gute Nachricht bringen?" Merat war so erleichtert, daß es offenbar keinen Grund mehr gab, um Nefuts Leben zu bangen, daß sie an Amemnas Brust sank, gemeinsam mit ihrer Tochter den Kopf an ihn schmiegte. Wie sehr sie hoffte, daß weder ihm noch Nefut etwas in der bevorstehenden Schlacht passierte! "Herr, hier ist ein Bote des Feldherrn", sagte plötzlich Losat im vorderen Teil des Zeltes. "Ihr sollt sofort zu einer Versammlung der Befehlshaber kommen." "Hat err kesagt, wieso?" fragte Amemna, ohne Merat loszulassen. "Weil ein Bote mit einem Waffenstillstandsangebot der Hannaiim eingetroffen ist", antwortete daraufhin eine fremde Männerstimme. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)