Verkantetes Scharnier von Skeru_Seven ================================================================================ Kenny auf Abwegen ----------------- Es schien keinen Tag zu geben, der nicht anstrengend war, an dem niemand mal seine Klappe hielt und sein Beyblade nicht zu Schrott verarbeitete. Dauernd kam jemand angerannte, um ihn um Hilfe zu fragen; an sich kein Problem, Kenny half gerne, wo er nur konnte, selbst wenn er am liebsten mal geäußert hätte, dass man bestimmte Dinge mit etwas Weitsicht und vorher Nachdenken verhindern konnte. Doch irgendwann war auch mal beim unübertroffenen Alleswisser des Teams ein Ende in Sicht und er wollte nichts anderes als sich hinlegen, schlafen und nicht ununterbrochen nachdenken müssen, wie man Takaos Blade noch eine Stufe wettkampftauglicher machte oder welches der tausend Teile, die Max prinzipiell anschleppte, denn am besten geeignet wäre, um es an Draciel zu schrauben. Ironischerweise trat dieses Verlangen genau dann ein, wenn Kenny mal wieder überfallen wurde, ob er über Nacht nicht mal wieder auf die Schnelle ein Wunderwerk vollbringen und es eifrig am nächsten Morgen präsentieren konnte. Manche Menschen waren wirklich Meister des schlechten Timings. Da sinnloses Aufregen nicht zu Kenny passte und es sowieso nichts half – wer sich gegen Takao durchsetzen konnte, hatte seinen vollen Respekt –, erklärte er sich zu diesen Diensten bereit, nahm sich den bunten Plastikkreisel mit auf das Hotelzimmer und begann seine Arbeit. Allerdings nicht die ganze Nacht lang, das hielt kein normaler Mensch durch und selbst Kenny entwickelte nicht plötzlich Superkräfte, die ihn unbesiegbar gegen Motivationsprobleme, Müdigkeit und sinkende Aufmerksamkeit machten. Wenn Kenny also ganz sicher war, dass sich der Rest der Chaoten tatsächlich schlafen gelegt hatte und nicht noch unangemeldet für eine spontane Inspektion vorbeischneite, legte er sein angefangenes Projekt zur Seite – fertig wurde das noch, ob jetzt oder in einer Stunde juckte Rei wirklich keinen Meter – und widmete sich seinem heiligen PC, ohne den er ziemlich aufgeschmissen wäre. Kenny ohne Computer und Internetverbindung, dagegen wäre der drohende Weltuntergang in einigen Jahren wirklich nichts. Ohne diesen schlauen Kasten wäre er nur ein halbes Genie, denn seine ganzen Daten konnte er sich dann doch nicht merken. Bevor sich Kenny in seine verdiente halbstündige Pause stürzte, versorgte er sich noch mit einem Glas Cola gegen die ersten Anzeichen von aufkommender Schläfrigkeit und einer Packung Butterkekse sowie einer kleinen Armee Kaugummis, die er vor einigen Tagen Takao entwendet hatte. Der würde sie nicht vermissen und selbst wenn nicht ihn verdächtigen. Da gab es andere Kandidaten, denen man solche Dreistigkeiten eher unterstellte; nur dem nerdigen kleinen Kenny nicht. Wenn die wüssten… Leise summend startete Kenny erst einmal den Musikplayer, um sich mit ein wenig Hintergrundbegleitung berieseln zu lassen – am Tag konnte er das nicht bringen, Takao hätte ihn wegen seines sehr speziellen Musikgeschmacks höchstens aufgezogen und Max hätte ihm im schlimmsten Fall eine dieser amerikanischen Teeniebands empfohlen –; zusätzlich vertrieb er somit die anhaltende Stille in seinem Kämmerchen. Bei den ersten Tönen von Mozart auf Gameboyniveau wählte er sich ins Internet ein und durchforstete seine Suchmaschine des Vertrauens nach Einträgen über sich selbst; ein bisschen an sich durfte er auch mal denken, immerhin hielt er sich ansonsten immer bedeckt und im Hintergrund. Auffallen lag ihm irgendwie nicht besonders. Leider blieb ihm ein wenig Gebauchpinsel von kleinen Mädchen verwehrt, sein Name tauchte zwar ab und zu auf, allerdings nur mit dem Stempel „zu vernachlässigende Nebenperson“ und teilweise sogar mit falscher Schreibweise. Kenny biss in einen Keks und schob diese dezente Blamage zur Seite; Hiromi hatte es auch nicht besser erwischt, sie führte höchstens die Liste „Brutale Schlägerbraut der Bladerwelt“ an, von daher brachte es ihm nichts, die Lage zu dramatisieren. Von ihr gab es allerdings hübsche Fotos, bei ihm hatte man einfach einen kümmerlichen Schriftzug auf grauen Hintergrund eingeblendet; Begründung: Der hockt sowieso nur hinter seiner Kiste, von dem sieht man eh nichts. Freundlich, aber nicht zu ändern, einen spontanen Imagewechsel plante Kenny nun wirklich nicht. An Mr. Eiszapfen auf Beinen oder den Quotensonnenschein kam er nie ran, dafür war er einfach zu Kenny. Als nächste Anlaufstelle – inzwischen dudelte die Mondscheinsonate fröhlich vor sich hin – dienten nun gewisse soziale Netzwerke, bei denen sich Kenny nur angemeldet hatte, um diversen weiblichen Bekannten hinterher zu spionieren; sie direkt nach ihren bevorzugten Eissorten oder Kinofilmen zu fragen, kam für ihn einfach nicht infrage, da starb er lieber dumm. Außerdem musste er noch nach Hinweise forschen, ob Hiromi und Takao nicht doch heimlich was am Laufen hatten und ob Mao vielleicht mal ihre Beziehung zu Rei „vertieft“ hatte. Er wartete ja schon seit Jahren auf Ergebnisse, nur bekam es keiner von diesen Persönchen auf die Reihe, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Sie waren immer noch zu sehr mit Bladen beschäftigt und vergaßen darüber hinaus gerne die Tatsache, ein Privatleben zu besitzen. Weil sich wirklich nichts getan hatte und sich wohl auch niemand heute Nacht noch dazu bequemte, die größte Offenbarung des Jahrhunderts an die Öffentlichkeit zu tragen, wechselte Kenny in ein Forum, in dem seit Jahren nur das Thema Kai Hiwatari und sein gottgleicher Körper diskutiert wurde, und hinterließ einen kritischen Kommentar. Nicht, weil er Kai schaden wollte – das schaffte eh keiner –, sondern einfach nur, weil er es konnte und er es immer wieder lustig fand, wie faszinierend auf sein nicht ernstgemeintes Getrolle reagiert wurde; gut, dass Kai sich vom Internet fernhielt, es wäre ihm bestimmt unangenehm gewesen zu erfahren, wie viele Fans ein einzigartiges Patent auf ihn und seinen Schal angemeldet hatten und auf die Barrikaden gingen, wenn man ihre Meinung nicht teilte. Da konnte Takao als mehrmaliger Weltmeister im Beybladen und sich selbst anbeten nicht mithalten. Die Kekse gingen zur Neige, die wütenden Stimmen der weiblichen Communityanhänger verklangen wieder und richteten sich wieder anderen Themen zu; der überlebenswichtigen Frage, mit welchem männlichen Wesen man den heiligen Kai am besten verkuppelte, damit er glücklich wurde. Diese Frage fand Kenny jedes Mal aufs Neue befremdlich; allein die Vorstellung, dass Kai überhaupt irgendjemanden so nah an sich heranließ, erschien ihm suspekt. Dass es sich dabei im Optimalfall um Rei oder Yuriy handeln sollte, machte die Angelegenheit nicht weniger seltsam. Kopfkino war hier nicht zu empfehlen, wenn man seine Teamkollegen nachher noch ohne schlechtes Gewissen oder einen plötzlich auftretenden Lachkrampf aufsuchen wollte. Nein, Kenny wollte sich wirklich nicht einmal ansatzweise ausmalen, was sich nachts auf einer einsamen Wiese am Fluss mit Kai, Takao und Max in den Hauptrollen abspielen konnte, wenn junge Damen die Regieanweisungen dafür führten. Er selbst wurde auch mal wieder mit keiner Silbe erwähnt; zum ersten Mal rentierte sich der Fluch des ewigen Mitläufers. Jedoch konnte er sich schließlich doch nicht vor dem Gedanken retten, wer von ihnen fünf denn nun ein rein theoretisches Traumpaar abgeben könnte. Lag wohl an der Uhrzeit oder Absurdität der Situation. Die Minuten verstrichen, die Neugier blieb, weswegen dem armen Kenny nichts anderes übrig blieb, als sich dieser Überlegung hinzugeben und mit verschiedenen Methoden auf ein Ergebnis zu kommen. Falls das jemals ans Tageslicht käme, wäre er tot, das ahnte er, der Reiz des Verbotenen machte die Sache jedoch immer interessanter. Zum Ausgleich würde er morgen die Chancen für eine Heirat von Takao und Hiromi untersuchen, das wäre er allen Beteiligten wirklich schuldig. Mit eiligen Fingern tippte Kenny abwechselnd immer zwei Namen seiner Freunde in einen wissenschaftlich wertvollen und überhaupt nicht willkürlich gesteuerten „Namenstest zum Finden des ultimativen Traumpartners“ ein und versuchte, nicht vor unterdrücktem Kichern vom Stuhl zu fallen. Die Ergebnisse waren hochgradig erschreckend. Erschreckend bescheuert. Wer Takao und Kai eine 99% Chance auf eine intakte Beziehung diagnostizierte, den sollte man auslachen; genauso die Aussicht, dass er und Max… nein, da hörte der gute Geschmack wirklich auf. Fast blieb ihm ein Kekskrümel im Hals stecken. Ein sicheres Zeichen, sich aus diesem Untersuchung zurückzuziehen, den Verlauf zu löschen und sich selbst eine Woche Internetverbot auferlegen, sollte man so etwas Ähnliches noch einmal wagen. Zum krönenden Abschluss der kleinen Pause streute Kenny noch schnell das Gerücht, Hiromi könne eigentlich gar nicht kochen und benutze so oft es ging Tiefkühlware, um den Schein zu wahren, wählte in einer Umfrage aus reiner Provokation Kiki zum besten Blader und verließ mit einem zwiespältigen Gefühl das Netz der unbegrenzten Dummheit, um sich wieder wesentlich sinnvolleren Dingen, die ihrem Team wirklich etwas nutzten, zu widmen. Was für ein Glück, dass keiner der anderen wusste, was da draußen wirklich ohne ihr Wissen ablief. Sonst wären seine nächtlichen Ausbrüche nämlich nur noch halb so unterhaltsam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)