Drachenauge von Flordelis (Löwenherz Chroniken I) ================================================================================ Prolog: Schwinge ---------------- Im Jahr 2500 begann der vierte Weltkrieg der Menschen, die glücklich genug gewesen waren, den dritten zu überleben. Ursachen, Auslöser und Beteiligte des Krieges gerieten allerdings rasch in Vergessenheit durch all jene Dinge, die im Nachhinein geschahen. Der Krieg endete noch im selben Jahr, nicht durch die Hand von Menschen, sondern durch eine Macht, die sich niemand hätte im Traum einfallen lassen... Einen kurzen Moment hielt er inne. Seine eigene Formulierung ließ ihn ins Stocken geraten. Konnte er das wirklich so schreiben? Aus lauter Nachdenklichkeit biss er sich auf die Unterlippe, weiterhin zögernd. Der Inhalt des Geschriebenen war korrekt, nur die Formulierung bereitete ihm einiges Kopfzerbrechen, immerhin war es gut möglich, dass irgendjemand das einmal zu Studienzwecken lesen würde und was sollten jene Personen dann von ihm denken? Dass er ein verkappter Romanautor war, aber nie den einen Schritt dorthin geschafft hatte? Doch schließlich zuckte er mit den Schultern, dachte sich, dass die anderen froh sein sollten, dass er überhaupt etwas aufschrieb und fuhr fort. Die letzte Schlacht des Krieges fand in dem vom dritten Weltkrieg verwüsteten Japan, ein Landstrich bar jeglichen Lebens statt. Die Soldaten kämpften um Ressourcen für Männer, die sie nur von einer Leinwand kannten. Wieder zögerte er einen Moment, dieses Mal aber wegen der Frage, ob er dazu schreiben sollte, welche Ressourcen gemeint waren. Eigentlich erschien es ihm absolut unwichtig, andererseits wären seine Ausführungen irgendwann einmal vielleicht das einzige Zeitzeugnis. Aber wenn er ehrlich war, wusste er es selbst nicht so genau. Zu den Zeiten des Krieges war er gerade mit einigen anderen Dingen beschäftigt gewesen. Also entschied er, dass es ohnehin gleichgültig war. Die Soldaten kämpften verbissen, bis zu jenem Moment, in dem ein furchterregendes und markdurchdringendes Kreischen die Schlacht unterbrach. Zum dritten Mal in Folge hielt er inne, innerlich lachte er bereits darüber und fragte sich, ob er seine Aufzeichnungen so jemals beenden könnte. Aber zumindest pausierte er dieses Mal nur, um sich selbst zu dieser Formulierung zu gratulieren. Im ersten Moment glaubten alle Soldaten, sich getäuscht zu haben, doch schon einen Augenblick später brach etwas aus dem Boden hervor. Etwas, was symbolisch für das Ende einer Ära werden sollte. Er rief sich diesen Moment in Gedächtnis, die erstaunten Gesichter aller Männer, als ihnen klar geworden war, dass sich das alles wirklich vor ihren Augen abspielte. Auf die Erkenntnis war die Furcht gefolgt, dann ein Sekundenbruchteil, in dem jeder von ihnen eine Entscheidung traf – und schon im nächsten Augenblick waren sie alle geflohen. Es war die lederne Schwinge eines Drachen, die sich aus dem sich öffnenden Erdboden erhob. Ein Drache, so wie jene in unzähligen Legenden und Geschichten, die sich in diesem Augenblick schlagartig alle als Wahrheit herausstellten. Diesem einen Drachen folgten weitere seiner Art, die das Aussehen von Menschen annahmen und damit veränderte sich das Gesicht der Welt für immer. Die Menschheit, wie man sie kannte, starb langsam aus und wurde fast unmerklich durch Mischwesen ersetzt, deren Herkunft für immer ungeklärt bleiben sollte. Großstädte verwaisten, weil die neuen Rassen es vorzogen, sich in kleineren Kolonien zusammenzurotten. Die alten Grenzen wurden aufgelöst, neue Länder entstanden, neue Religionen wurden gegründet. Dieses Mal hielt er inne, um leise zu seufzen. Noch fiel es ihm schwer, darüber zu schreiben, immerhin war es noch nicht allzu lange her. Aber er hatte beschlossen, das einmal festzuhalten, also war es möglicherweise besser, es auch bis zum Ende durchzuziehen. Das neue Gesicht der Welt bietet neue Herausforderungen, für jede neue Rasse, aber auch für die aussterbende Menschheit. Ich bin einer der ersteren Gruppe, einer der allerersten, wie ich zu behaupten wage. Deswegen fühlte ich, dass es meine Verantwortung war, dies niederzuschreiben. Dabei war die Idee gar nicht von ihm selbst gekommen. Er warf einen Blick über seine Schulter auf die andere Seite des Raumes. Dort, in einem Bett, das kaum von dem Licht der Laterne berührt wurde, lag jene Person, die ihn in einem scherzhaften Ton dazu aufgefordert hatte und schlief, um sich von den zahlreichen Verletzungen zu erholen. Eigentlich hätte er die Geschichte dieses Mannes eher für aufschreibenswert befunden, aber wenn er sagte, dass es besser sei, wenn es seine Geschichte war, dann sollte es so sein. Er richtete seinen Blick wieder auf das beschriebene Papier und stellte fest, dass noch etwas ganz Entscheidendes fehlte. Russel Lionheart, am 25. August 2781. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)