Ein neuer Blickwinkel von RoseAkaShi (Großvaterparadoxon) ================================================================================ Kapitel 24: Zwei Flöße hinaus ----------------------------- Kapitel 24: Zwei Flöße hinaus „Auf dem Hühnerhof war der Hahn erkrankt. Niemand konnte mehr damit rechnen, er werde auch am nächsten Morgen noch krähen. Abschied war angesagt. Die Hennen machten sich Sorgen - sie waren felsenfest überzeugt, die Sonne gehe nur auf, weil der Meister sie rufe. Der nächste Morgen aber belehrte sie eines Besseren: Die Sonne ging auf wie jeden Tag; nichts hatte ihren Gang beeinflusst.“ (Aus Persien) Elenas Sicht: Eigentlich hatte Finn mich nur begleiten wollen, zumindest hatte er das gesagt, doch jetzt waren auch alle seine anderen Geschwister dabei. Sie alle waren bei den Bäumen, lehnten sich daran, während ich zum Wasser ging. Ich hatte auf jedem Floß eine Kerze gesetzt und sie hielt, da ich sie mit Wachs befestigt hatte und dann legte ich noch ein Strauß Vergissmeinnicht dazu. Die einzelnen Blumen hatte ich zu einem dünnen Strauch zusammen gebunden. Ich ließ das erste treiben, ließ es ganz alleine los und dachte dabei an die Frau unter dem Wagen, deren Kind ich jetzt als meines aufzog. Danach nahm ich Gideons Hand und stieß mit seiner Hand gemeinsam gegen das zweite Floß, damit es hinaus auf den See fuhr. Das war ein Abschied. Lange noch stand ich mit Gideon da und sah, den beiden Flößen, hinterher. Die Kerzen flackerten auf dem See, erleuchteten den See in orange, zumindest dort, wo sie vorbei fuhren. Zwei einzelne Lichter in der Dunkelheit. Ich küsste Gideon auf den Kopf und ging dann zurück zu den anderen, die an den Bäumen auf mich gewartet hatten. „Wieso nur zwei, Tatia?“, fragte Kol mich nachdenklich. „Weil es egal ist viele gegangen sind. Du schickst ein Floß hinaus, eigentlich aufs Meer, mit den Gedanken an die Verstorbenen. Ein Floß für jeden der zurückgebliebenen ist, die Kerze für die Erinnerung und die Vergissmeinnicht als ein Versprechen, das man sie nie vergisst.“ Eine Würdigung der Toten, wenn man es so sehen wollte. „Ein Floß für dich und das andere für Gideon“, sprach Elijah seine Gedanken aus und ich nickte zustimmend. So war es gedacht. Wir waren diejenigen die sie vermissen würden und die sich an sie erinnern würden. Ich zumindest würde niemals die Frau unter dem Wagen vergessen, auch wenn ich ihren Namen nicht kannte. „Geht es dir gut?“, fragte Finn besorgt. Mit einem schwachen Lächeln auf dem Gesicht schüttelte ich den Kopf. „Heute nicht“, gab ich ehrlich zu. Es waren wieder Elijah und Niklaus die mich hinauf zur Hütte begleiteten. Dank Finn wusste ich jetzt auch wie ich ihr Bemühen deuten sollte. Ich setzte mich auf die Bank vor der Hütte, was die beiden zu verwundern schien. „Ich bleib noch ein bisschen hier draußen sitzen“, gab ich an. Sie sahen sich an und setzten sich dann an meine Seite. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. „Mir kann hier nichts Schlimmes passieren, das wisst ihr doch, oder?“, fragte ich nach und schaute hinunter zu meinem Sohn, der mich aufmerksam ansah. Kein Bad heute Abend, was eigentlich zu unserem abendlichen Ritual gehörte. „Wir leisten dir gerne Gesellschaft, Tatia“, sagte mir Niklaus offen und schmunzelnd strich ich mir eine Strähne hinters Ohr. Seine Stimme klang so sanft, das es kein Vergleich war zu später. Hatte er seine Stimme dann etwa auch verändert? „Dann müsst ihr ertragen wie ich meinen Sohn in den Schlaf singe“, gab ich an und ich spürte wie ihre Köpfe sich zu mir wandten. Für Gideon war es höchste Zeit zu schlafen, auch wenn er selbst das vielleicht nicht wusste. „Ich seh dich und ich fühl dich Doch ich will dich nicht stören Ich seh dich und berühr dich Und ich weiß du kannst mich hören Ich kann mich oft nicht wehren Gegen Trauer gegen Schmerz Doch wenn es richtig schlimm wird Dann kommst du in mein Herz Ich will manchmal wissen Wie das ist in deiner Welt Ist das oben oder unten Wird dort auch ein Jahr gezählt“ Lächelnd strich ihm über den Kopf, durch seine kurzen braunen Haare. Er war so niedlich. Wie konnte es sein, das ich das Gefühl hatte das schönste Baby der Welt in den Armen zu halten? „Du bist weg und immer da Engel fliegen wunderbar Durch die Zeit und Tag und Nacht Ich bin heut wieder aufgewacht Du bist weg und immer da Das Gefühl ist wunderbar Wir rauschen durch die Zeit und du bist überall“ Gideon hatte die Augen geschlossen und wenn jetzt nicht mehr viel Krach geschah, dann würde er höchstwahrscheinlich durchschlafen, bis morgen früh. Er war so unschuldig und niedlich. Einem solchen Geschöpf konnte man niemals böse sein und man war einfach verpflichtet es zu lieben, weil es so rein war. Es hatte noch nichts auf der Welt verbrochen, er war noch vollkommen. „Ich will manchmal wissen Wie das ist in deiner Welt Ist das oben oder unten Wird dort auch ein Jahr gezählt Ich halt mich fest an dir Ich wehre mich noch zu verstehen Wir beide müssen frei sein Für ein neues Wiedersehen Du bist weg und immer da Engel fliegen wunderbar Durch die Zeit und Tag und Nacht Ich bin heut wieder aufgewacht Du bist weg und immer da Das Gefühl ist wunderbar Wir rauschen durch die Zeit und du bist überall“ Ich streichelte Gideon über die Wange und wickelte die Decke etwas enger um ihn. Ich wusste nicht ob er es warm hatte. Oft machte ich mir Sorgen darum was er fühlte, da ich nicht wissen konnte was er dachte. Vielleicht machte ich ja Dinge falsch. „Woher kennst du dieses Lied?“, fragte Elijah nach und ich zuckte mit den Schultern. „Von meiner Mutter. Sie hat mir und meinen Brüdern oft welche vorgesungen und irgendwie kenne ich sie alle noch auswendig. Sie hat es gemacht bis wir sechs Jahre alt waren oder so. Aber auch immer noch, wenn wir krank waren“, erzählte ich und erinnerte mich daran, wie ich als ich vierzehn war, im Bett lag und von ihr in aller Kunst bemuttert wurde. „Machst du das öfters? Ihm etwas vorsingen?“, fragte Niklaus nach und runzelte dabei die Stirn. Dabei war es an mir diese Geste zu benutzen, um meine Verwirrung zu zeigen. „Nun, er muss doch schließlich jeden Tag einschlafen, oder?“, fragte ich nach. Eigentlich müsste das doch ziemlich logisch sein, oder etwa nicht? „Du hast anscheinend sehr viel Geduld“, murmelte Niklaus und ich war mir nicht sicher, ob diese Worte wirklich an mich gerichtet waren, besonders weil er dabei auch zu Boden sah. Fragend sah ich zu Elijah, der aber meinem Blick sofort auswich. „Man sollte Geduld haben, wenn man ein Kind hat. Das lernt man dann auch automatisch“, gab ich die Worte wieder, die meine Mutter benutzt hätte. Es würde nichts bringen auszurasten oder sich aufzuregen. Sobald ich aufstand, taten es mir Elijah und Niklaus gleich. Ich ging einen Schritt nach vorn und drehe mich zu ihnen um, sodass ich sie beide ansehen konnte. Zwei ganz andere Menschen. Es war wohl Zeit das sowohl meinem Kopf, als auch meinem Verstand begreifbar zu machen. Dabei war ich mir sicher dass einer von ihnen, das schon begriffen hatte, ich wusste nur nicht wer es war. „Danke, das ihr beiden mich begleitet habt“, bedankte ich mich und machte einen leichten Knicks, sofort verbeugten sich die beiden vor mir. Es war eine schmeichelhafte Geste. Eigentlich mochte ich diese Zeit, wo alle Verhaltensregeln gegenüber einander noch festgelegt waren und jeder so wusste, was er tun sollte und was er sich nicht wagen durfte. Ich musste lächeln, wenn ich jetzt an die beiden dachte. Kaum noch unheilvolle Gedanken. Ich wollte nicht zurück. Ich wollte nicht zurück, mit dem Wissen, das sie dort beide so anders sein würden. Elijah nicht mehr schüchtern und Niklaus nicht mehr warmherzig. „Gute Nacht“, wünschte ich den beiden und bevor ich hinein ging, hörte ich wie sie meinen Gruß erwiderten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)