Ziras unerzählte Geschichte von HellmotherEva ================================================================================ Kapitel 52: Downwards --------------------- Zur selben Zeit war Zira, weit weg von dem Geschehen um Mheetu und Tofauti, wahrhaftig erstaunt. Es war erstaunlich. Es war erstaunlich wie scheißegal Zira Scar anscheinend war. Sie hatte sich den gesamten nächsten Tag allein, in den entferntesten Ecken des Geweihten Landes verbracht, war an der Grenze zum Elefantenfriedhof herumgeschlichen, welche im Übrigen unbewacht war. Warum auch? Hinter dem Elefantenfriedhof war pure Wüste, wer sollte dort schon eindringen wollen? Wer kam denn schon aus der Wüste? Jedenfalls wagte Zira sich erst an nächsten Abend wieder zum Königsfelsen, nämlich dann wenn sie genau wusste dass die Löwinnen jagen waren. Sie wollte keinen Empfang, sie wollte sich still und heimlich verdrücken, das war alles. Zudem MUSSTE sie jetzt wieder kommen, Vitani hatte jetzt schon einen ganzen Tag nichts mehr zu fressen bekommen. Sie war noch so klein und zerbrechlich, sie konnte, nein, sie durfte nicht sterben. Zira würde das nicht ertragen. Jedenfalls erreichte Zira zusammen mit der Dunkelheit den Königsfelsen und tief in sich drin hoffte sie Scar nicht über den Weg zu kommen. Aber irgendwem würde sie begegnen, Scar würde ihre Jungen doch nicht ganz allein in der Höhle gelassen haben. Oder? Nein, das hielt selbst sie für unrealistisch, so verantwortungslos war Scar nicht. Dennoch, sie fühlte sich extremst unwohl als sie die Stufen zur Höhle hinauf schritt und sich eilig nach allen Seiten umsah. Bis jetzt war niemand da. Aus ihrem Blick wich langsam dieses glasige, dieses abwesende, als sie ein paar undefinierbare Geräusche aus der Nebenhöhle hörte. Entweder war das Nukas Schnarchen oder Scars gelegentliches, nächtliches Grummeln. Doch, der große König konnte selbst in seinen Träumen niemanden vor seiner guten Laune verschonen. Das war Ironie, nur nebenbei. Aber schlief er tatsächlich schon, es war nicht mal Nacht. Plötzlich stiegen Zira Tränen in die Augen, als sie an letzte Nacht dachte. WIE konnte sie das nur zulassen?! War sie so rachsüchtig und verzweifelt gewesen, dass sie das unbedingt tun musste? Scar hatte es in seinem Fall doch auch nicht so weit gehen lassen… wäre Zira nicht gewesen. Ein Schluchzen entfuhr Ziras Kehle und sie atmete ein paar Mal tief durch. Jetzt jemanden zu wecken wäre ein Fehler. Zudem wollte sie nicht so verheult aussehen, das würde sie einfach nur dämlich aussehen lassen. Auf leisen Pfoten schlich sie zu ihrem separaten Höhlenteil. Nuka war neben Scar zusammengerollt, Vitani schlief ziemlich unruhig zwischen Scars Pfoten und begann immer wieder an den Zehen ihres Vaters zu nuckeln. Zira seufzte. Zum einen vor Erleichterung. Scar hatte die Jungen nicht allein gelassen und um ehrlich zu sein sah er süß aus, wie er alle Beide um sich herum gesammelt hatte. Doch Vitani war so furchtbar unruhig. Verständlich, ihre Letzte Mahlzeit war fast einen ganzen Tag her. Die Kleine musste schrecklichen Hunger haben. Leise ließ Zira sich neben Nuka nieder und starrte zu ihrer kleinen Familie. Zu Nuka, der sich mit dem Rücken an Scars Seite gepresst hatte und dem immer wieder mal ein Schnarchen entfuhr, wobei er immer kurz danach das Maul öffnete und sich mit der Zunge über die Schnauze fuhr. Und dann war da noch Vitani, die noch so klein, so süß, so unschuldig war, und einfach nur dalag und sich im Schlaf umherdrehte. Scar hatte den Kopf so über seine Pfoten gelegt, dass Vitani seine Mähne, zu einem kleinen Teil zumindest, als mehr oder weniger weiches Bett benutzen konnte, zumindest so lange er sich nicht bewegte. Scar bewegte sich im Schlaf viel, fast schon mehr als wenn er wach war. Zira liebte ihn noch immer, das war nicht zu bezweifeln. Sie hatte ihn immer geliebt, auch als sie so abgrundtief wütend auf ihn gewesen war, auch als sie geglaubt hatte ihn mit einem Mal nur noch zu hassen, so hatte sie irgendwann gespürt dass sie in den Tiefen ihres Herzens noch immer liebte und das auch nicht aufhören würde, egal was er tun würde. Sie liebte ihn und das würde sich wohl nie ändern. Zira hatte ihren Entschluss schon lange gefasst. Sie würden es nicht erfahren. Unter gar keinen Umständen. Warum auch? Sie würde dadurch nur sehr viel Dreck aufwirbeln, es würde einen Skandal geben und momentan hatten sie alle genug mit der Dürre zu kämpfen. Doch plötzlich wand Vitani sich gequält um und mauzte auf. Zira stand sofort alarmiert auf, doch Scar? Der schlief seelenruhig weiter. Vitani zwängte sich zwischen den Pfoten ihres Vaters hindurch und lief, als sie ihre Mutter bemerkt hatte, überglücklich auf sie zu. Zira lächelte ihr schwach entgegen und fuhr Vitani liebevoll über die Stirn, ehe die kleine Löwin gierig zu Ziras Bauch lief, wobei stolpern besser passte, und zu trinken begann. „Na meine Kleine…“, seufzte Zira und machte sich lang. Wenn sie Glück hatte könnte sie diese Nacht durchschlafen und wenn Scar etwas von Höflichkeit hielt würde er sie ausschlafen lassen. Doch Scar war gar nicht das Problem. Es waren die beiden Pfötchen eines ganz anderen Löwen, die sie am nächsten Morgen in aller Frühe aus dem Schlaf rissen. „Du bist zurück“, quietschte Nuka überglücklich und schlang seine Pfoten um Ziras Schnauze „Daddy hat die Wahrheit gesagt!“ Zira sah völlig verschlafen in Nukas Augen, ehe sie den Kopf hob und ihm eine Zehe auf das Maul legte. „Pssst, leise!“, zischte sie flehend und wollte bereits aufstehen und verschwinden, sich irgendwie beschäftigen, einfach weggehen, ehe sie sah, dass Scar die Augen öffnete und gähnend aufstand. Als er Zira einige Augenblicke später bemerkte, schlich sich ein eindeutiges, triumphales Grinsen auf sein Gesicht, diese Art von Grinsen die dich dazu provozierten jemandem in die Schnauze zu hauen. Er wusste es. Sie war zurückgekommen, genauso wie er es sich gedacht hatte. „Na, wie war deine Nacht? Entschuldige, ich meinte Nächte“, fragte Scar hinterhältig, fast schon herablassend „Du hast dir ja ziemlich Zeit gelassen, ich hab mir wirklich Sorgen um Vitani gemacht.“ Zira spürte einen Stich im Herzen und musste schlucken, denn gegen die Tränen anzukämpfen fiel ihr gerade alles andere als leicht. Zudem schien er sie ja nur so verletzten zu wollen, sonst hätte er sich den Kommentar mit Vitani erspart. Als ob sie nicht wusste dass Vitani durch ihre Abwesenheit in Gefahr war. Und das mit der Nacht? Scar hatte wahrscheinlich gedacht, das Zira eine ungemütliche Nacht im Freien verbracht hatte. Ja, er hatte wirklich nicht die geringste Ahnung. Zira hatte es gestern Nacht mit einem wildfremden Löwen getrieben und ein tiefgründiges Gespräch mit einem ebenso fremden Schakal geführt. Das war die mit Abstand krasseste Nacht in Ziras bisherigem Leben, im negativen Sinne. Aber das was man unter „Krass“ verstand, würde in etwa vier Monaten völlig neue Dimensionen annehmen. „Ich… ich war…“ Zira brachte es jedoch nicht zu mehr, da sie plötzlich aufsprang und auf direktem Weg die Höhle verließ. Wie konnte Scar nur solche fiesen Witze über dieses Thema machen? Aber er wusste ja nicht, was Zira überhaupt durchgemacht hatte, also wusste er auch nicht wie verletzend diese Witze waren. Er wusste überhaupt nichts, so war es doch. „Was hat sie nur?“, fragte Nuka verwundert und sah zu seinem Vater, während Vitani aufgeregt mit Nukas Schwanz spielte. Scar war dieses Verhalten auch völlig fremd. Was war denn plötzlich mit ihr los? Sie war sonst wirklich zäher, sie ließ sich doch nicht gleich so leicht in die Knie zwingen. „Keine Ahnung… Ich… ich rede mal mit ihr. Pass du solange auf diene Schwester auf.“ „Mach ich.“ Nuka war stolz auf jede Aufgabe die er bekam und versuchte sie so gut wie möglich auszuführen. „Vitani“ Er drehte sich zu seiner Schwester um, als sein Vater die Höhle verließ „Ich bin jetzt dein Aufpasser! Also mach dir nicht Aua, ich will keinen Ärger, ja?“ Die kleine Löwin ignorierte ihn jedoch sowieso, die Kieselsteinchen vor ihr waren viel toller. Zira lag zusammengerollt an dem kleinen Vorsprung des Königsfelsens, wo Scar sich früher, als Uru noch lebte, immer gesonnt hatte. Eigentlich war es sein absoluter Lieblingsort am gesamten Geweihten Land. Zira lag jedenfalls bis zum Anschlag am Abhang und lies die Vorderpfoten in der Luft baumeln. Sie hörte Scar kommen, doch sie ignorierte ihn. „Zira, was war denn grade? Ich hab doch nichts schlimmes gesagt.“, fragte Scar direkt und setzte sich neben sie. Zira hatte den Kopf von ihm abgewandt, doch in ihren Augen glitzerte es verdächtig. „Hey, weinst du etwa?“, zog Scar sie auf und stellte sich so über sie, das sie nicht abhauen konnte. Er würde sie jetzt zum Reden bringen, komme was wolle. „Was ist mit dir?“ „Scar, lass mich bitte raus.“, flehte Zira kleinlaut und sah zu Boden. „Sag du mir was so schlimmes passiert ist.“, verlangte er. Zira schwieg. Sie würde nichts sagen, gar nichts. Sie sollte es ihm ja sagen, sie SOLLTE! Aber… sie schaffte es einfach nicht. Sie konnte es ihm nicht sagen. Sie wollte nicht. Als sie nach kurzer Zeit immer noch nichts sagte, gab Scar auf und stieg von ihr runter. Es machte keinen Sinn. Zira würde schweigen wie ein Grab, sie war nun mal sehr verbissen. Wenn sie sich was vornahm, machte sie das auch. „Dieser Arsch!“, schrie Banzai wütend und kickte das Hinterbein gegen einen Stein, was er im nächsten Moment bitterböse bereute. Ed gab nur einen wütenden Laut von sich, setzte sich auf den trockenen Boden und verschränkte eingeschnappt die Vorderbeine. „Ich hab langsam das Gefühl er wird völlig größenwahnsinnig.“, bestätigte auch Shenzi wütend. „Sieht er nicht dass wir kein Futter mehr haben? Verdammt, nicht mal diesen verdammten Vogel lässt er mehr rumfliegen. Langsam wird’s peinlich.“, knurrte sie und lies sich neben Banzai fallen. „Glaub mir, er geht mir langsam auch auf die Nerven.“ Ed gab ein seltsames Bellen von sich, gefolgt von einem sadistischen Lachen. „Vergiss es, wir werden keinen Aufstand planen.“, meinte Shenzi genervt über Eds Naivität. Wann wurde der Trottel endlich erwachsen? „ÜBERSETZUNGSFEHLER“ Unterbrach Banzai sie „Er sagte Revolution.“, korrigierte er sie, etwas was Shenzi eigentlich hasste. Ed gab jedoch kurz ein Geräusch von sich. „Oh entschuldige! HYÄNISCHE Revolution“, verbesserte Banzai sich genervt und gähnte „Geh jetzt schlafen Ed, du wirst immer so… geistesgestört, wenn du länger als neunzehn Stunden am Stück wach bist. Ich sagte doch, du hättest nicht mit uns die Nacht durchmachen sollen.“ Ed gab eines seiner typischen, kranken Lachen von sich, dann schlitterte er über den trockenen Boden und knallte, wenn auch nicht wirklich sehr energisch, gegen einen Baum, ehe er dort zur Seite fiel und von einer Sekunde zur anderen einschlief. Das, oder er war ins Koma gefallen. Na ja, wen interessiert’s? „Banzai…“, murmelte Shenzi „Ich kann nicht einschlafen…. Red mit mir!“ Banzai blinzelte müde, dann drehte er sich zur Seite, so dass er Shenzi ansehen konnte. „Sicher dass du nicht einfach nur Hunger hast?“ „Das auch… Trotzdem, red mit mir.“, verlangte sie, diesmal energischer, und schmiegte den Kopf flüchtig an seiner Schulter. „Und was soll ich dir erzählen? Du kennst mein Leben, du kennst meine dunklen, bösen Geheimnisse, du weißt dass ich Ed mal Schlamm an den Hintern geschmiert hab und sagte, dass er Durchfall hätte, nur damit er eine Woche nichts fressen wollte und ich alles bekam, was soll ich dir noch großes erzählen Shenz‘? Du kennst all die Geschichten.“ „Dann…“ Sie sah mit halboffenen Augen in den wolkenlosen, azurblauen Himmel über ihnen „Dann lass mich reden.“, verlangte sie. „Das tust du doch sowieso immer.“, meinte Banzai frech grinsend und legte den Kopf auf ihren Rücken. Er war hart. Er spürte sogar ihre Wirbelsäule. Verdammt, hatte Shenzi abgenommen! „Also… was soll ich dir erzählen?“ „Wie wär‘s mit…“ „Gute Idee, lass mich dir was über meine Mutter erzählen.“, unterbrach Shenzi ihn. „Ach nee, du regst dich doch nur wieder künstlich auf! Ich weiß doch dass du deine Mutter hasst.“ Shenzi ignorierte ihn und begann freudig von ihrer Kindheit, ihren ganzen Geschwistern, von denen erstaunlicher Weise noch alle lebten, den Abenden mit ihnen und so weiter zu reden. Doch Banzai hörte gar nicht zu. Er tat zwar so, doch eigentlich hatte er diese Begabung… Mit einem Ohr zuzuhören, oder zumindest so zu tun, und mit dem anderen abzuschalten. Er kannte diese ganzen, alten Geschichten von Shenzi doch sowieso schon alle. „Toll, nicht?“, fragte Shenzi irgendwann. Banzai gab nur ein abwesendes „Mmhm“ von sich und starrte wieder mit glasigem Blick in die Sterne. Ob seine Eltern da auch waren? „Hey Shenzi, was ist eigentlich mit uns? Die Löwen sagen immer, sie kommen da mal hoch. Was ist aber mit uns? Kommen wir da auch irgendwann mal hoch? Wir sind ja keine Löwen, aber das heißt doch nicht dass–“ „Wie kannst du jetzt nur mit so einem Thema anfangen?“, schrie Shenzi plötzlich und sprang auf, wobei sie sich fast das linke Vorderbein ausriss, da es zur Hälfte unter Banzais Brust gelegen hatte. „Äh… was? Ich hab doch nur…“ „Hast du mir vorhin auch nur im GERINGSTEN zugehört?“, brüllte Shenzi, wobei ihre Augen ihre wieder so verdächtig glitzerten. Banzai legte verängstigt die Ohren an und sah reuevoll zu ihr hoch. Er wollte einen Moment lang aufstehen, doch das würde Shenzi nur als weitere Provokation sehen, dem war er sich sicher. „Was war denn?“, brachte er vorsichtig hervor. „Sie hat Krebs, nicht mitgekriegt?“, zischte Shenzi giftig, klang dabei jedoch plötzlich gar nicht mehr wütend, viel mehr auf diese tödliche Art und Weise ruhig und gesammelt, etwas was nicht wirklich zu ihr passte. Banzai stockte. „Was?“, brachte er heraus. Asake und Todkrank? Unmöglich, diese zähe Dame ließ sich nicht umbringen! Vor allem nicht von einer Krankheit! Doch er bekam keine Antwort mehr, denn Shenzi hatte ihm schon längst den Rücken zugedreht und verschwand möglichst schnell zwischen den trockenen Buschwerk, welches hier wuchs. Aber da zeigte es sich, nämlich dass Asake Shenzi nicht so egal war, wie sie immer tat. Ja, es konnte sein, dass Shenzi sich als Junges nicht immer genügend beachtet gefühlt hatte und es stimmte auch, dass man eher wie „irgendein“ Junges behandelt wird, wenn man mit sieben Geschwistern aufwächst, aber Shenzi hasste ihre Mutter nicht… Sie hatte sie nie gehasst. Immerhin hatte Asake ihr halbes Ohr wegen Shenzi verloren, FÜR Shenzi. Sie hatte jedes ihrer Jungen mit Herzblut aufgezogen und geliebt. Und sie hatte immer etwas zurückbekommen, auch von Shenzi. Shenzi liebte ihre Mutter. Auch wenn es schwer zu glauben war. „Arme Shenzi…“, seufzte Banzai, schluckte und sah reuevoll zu Boden. Er wollte sich eigentlich bei Shenzi entschuldigen, doch es war besser für seine eigene Gesundheit es nicht JETZT zu tun. „Es reicht, du sagst mir SOFORT was mit dir los ist!“, knurrte Kwanza seine Schwester an und zog sie am Schwanz zurück sin den Fluss. „Ach, halt die Fresse!“, fauchte Samangi. „Nein, ich halt nicht meine Körperöffnung, in die das Futter rein kommt! Und jetzt sag mir endlich was los ist! Du bist seit gestern nicht mehr ansprechbar! Was ist passiert? Warum scheinst du die Welt so zu hassen?!“ Samangi setzte ihren ‚bösen Blick‘ auf: Sie verengte die grünen Augen, sodass sie jetzt den richtigen, dämonenhaften ‚Katzeneffekt‘, das sagte Tumaini immer, hatten, zog die Augenbrauen zusammen, legte die Ohren an und schüttelte ihren Haarbüschel so auf, das er ihr irgendwie wie ein Schatten auf den Augen lag. „Oh, wie süß, jetzt guckst du wieder so schön böse, was? Das hat vielleicht bei Tofauti geklappt, als wir noch klein waren, aber ich lass mir doch nicht von meiner eigenen Schwester Angst machen! Also: WAS IST LOS MIT DIR!? Welcher Mistkerl hat dir wehgetan? Du musst es mir nur sagen, ich bring ihn um!“ Ja, Kwanza war ganz in seiner Rolle. „Ich sagte: HALT DEIN MAUL! NIEMAND hat mir wehgetan! Mir geht’s gut!“ Das war genug! „LÜG DOCH NICHT! Erstens, ich bin dein großer Bruder und zweitens hast du Mama heute Morgen fast den Kopf abgerissen! Wäre ich nicht gewesen, hättest du sie in deiner Rage getötet! Du bist doch gemeingefährlich! ICH könnte dich mit einem Biss töten, du Schlampe!“, brüllte Kwanza sie völlig außer sich an und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Kwanza war nicht gewalttätig, er versuchte immer erst mit Gesten und Worten Einschüchterungsversuche zu machen, auch wenn es ihm gerade schwer fiel sich zu beherrschen. Und meist klappte es auch, immerhin war Kwanza ein Riese! Er war fast zwei Köpfe größer als die meisten anderen Löwen in seinem Alter und wie es aussah, nahm sein Wachstumsschub auch kein Ende. Er konnte im Grunde Samangi und den anderen auf den Kopf spucken und er war auch viel muskulöser als sie. Sogar stärker als Mheetu. Eine Träne rollte über Samangis Gesicht. „Ich wollte ihr nicht weh tun!“, schrie sie Kwanza an und rannte mit verheultem Gesicht aus dem Fluss. Wie konnte ihr saublöder Bruder ihr das nur an den Kopf werfen? Das heute Morgen… Es war keine Absicht! NIE hätte sie Tumaini, ihre Mutter, umgebracht! Samangi war gestern wütend auf sie gewesen, weil sie ihr voller Freude erzählt hatte, dass Tofauti und Mheetu jetzt ein Paar waren. Da… da war bei Samangi eine Sicherung durchgebrannt! Sie war einfach auf Tumaini losgegangen, ohne Vorwarnung. Warum hatte sie das getan? Was machte dieser Liebeskummer nur mit ihr? Wimmernd saß Samangi nun mitten in einer Grasebene und starrte in den leicht bewölkten Himmel. „Samangi? Du siehst ja gar nicht gut aus…“ Mheetu. Der Junglöwe setzte sich wortlos neben sie und sah ihr besorgt in die Augen. „Was sollte die Aktion denn gestern?“, fragte er verunsichert. „Ich… ich…“ Samangi KONNTE es nicht sagen! Sie konnte es ihm nicht sagen. „Ist schon okay… Wer auch immer dich traurig gemacht hat, Kwanza wird sich darum kümmern…“ Mheetu legte tröstend das Vorderbein um Samangis Schultern. „Du kannst einem so leidtun, weißt du das“, begann er „Du erinnerst mich grade total an meine große Schwester, sie war so fertig als entschieden wurde dass ich gehe.“ Selten hatte Mheetu von seiner Familie erzählt, doch jetzt tat er es und es führte dazu dass er Samangi noch näher an sich drückte, wie eine Freundin, wohlgemerkt. Sie tat ihm einfach leid. Vielleicht hätte er das nicht tun sollen. Was heißt hier vielleicht, er hätte es einfach lassen sollen. Denn plötzlich, da ergriff Samangi einfach ihre Chance! Sie musste das wenigstens einmal im Leben gemacht haben, nur einmal! Sie wand den Kopf zu Mheetu und fuhr ihm mit der Zunge völlig unverhofft über die Wange. Und nochmal. Und nochmal. Mheetu rührte sich vor Verwirrung, Schock und Ungläubigkeit nicht. „Was solle das“, entfuhr es ihm schließlich und er konnte langsam wieder klar denken „Ich bin mit Tofauti zusammen, das weißt du! Sie ist deine SCHWESTER!“ Leider konnte Mheetu noch nicht klar genug denken. „Du bist ein Trottel Mheetu“, begann Samangi verzweifelt „ICH liebe dich, ICH! Ich hab dich von der ersten Sekunde an geliebt, ICH!“ Jetzt schrie sie. Sie heulte und hoffte dieses kleine Gefühl der Freude, des Triumphs, wiederholen zu können, wenn sie ihn nun dazu zwingen musste. Sie ließ sich ihm einfach um den Hals fallen, hielt sich an ihm fest wie eine Klette. An dem Punkt hätte sie von selbst wissen sollen dass es genug war. An dem Punkt hätte Mheetu einfach aufstehen und gehen sollen. Doch er tat es nicht. Stattdessen schlug Mheetu plötzlich zu. Richtig fest, mit ausgefahrenen Krallen und aller Kraft die er hatte, genau einmal die gesamte linke Gesichtshälfte entlang, über das Auge. Und damit war das Problem erledigt, zumindest für ein paar Augenblicke lang. Denn es war plötzlich ganz still. Die Welt schien den Atem anzuhalten. Samangi schaffte es kaum einen Atemzug zu machen, tastete schwer atmend nach ihrem Auge und presste die Pfote davor, ganz instinktiv. Und sie war so schrecklich still. „Ich bin blind…“, brachte sie schließlich stockend hervor. Mheetu sah ungläubig zu ihr. Blind? Nein, das hatte sie nicht wirklich gesagt, oder? Doch, hatte sie. Nein! Er hatte das nicht wirklich getan! Er wollte nicht, er wollte es wirklich nicht! „Ich… ich bin blind." Sie hielt den Atem an und ein panischer, undefinierbarer Laut entfuhr ihr. Sie war... blind. Auf diesem Auge konnte sie nie wieder was sehen. Mheetu starrte die dunkle Löwin ungläubig, schockiert über sich selbst, an. „Samangi?", fragte er ängstlich nach. Er wollte nicht in Panik ausbrechen, aber er stand so kurz davor völlig aufgelöst durch die Gegend zu rennen und ohne Sinn und Verstand nach Hilfe zu schreien. „Geh... Geh Mheetu...", wimmerte Samangi und ganz langsam nahm sie die Schmerzen wahr, die ihr durch Mark und Bein schossen. Der Schock hatte sich gelegt, dich sie wünschte sich er hätte länger gehalten. „Bitte... Samangi, ich... ich wollte nicht dass–" „VERSCHWINDE! Hast du nicht schon genug angerichtet?!", brüllte Samangi nun deutlich aggressiver und ein schmerzverzerrtes Schreien entfuhr ihr. Und noch nie hatte sie sich so sehr gewünscht ohnmächtig zu werden wie jetzt. Jetzt, wo diese Schmerzen sie zusammenkrümmen ließen. Ihr war kotzübel, sie hatte unbeschreibliche Schmerzen im Gesicht und es gab nichts was sie dagegen hätte tun können. Die Welt hatte ihren Atem wiedergefunden, es gab jetzt keinen Schockmoment der sie kurzzeitig von Schmerzen bewahrt hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)