Highway to hell von Karma (Simon x ...) ================================================================================ Kapitel 5: Shooting ------------------- Wie sehr ich mich mit meiner Vermutung vom Montagabend getäuscht habe, stelle ich am Mittwoch fest, als es Zeit für das Shooting wird. Den Vormittag habe ich wie üblich im Laden verbracht, aber um halb zwölf taucht Lucy aus ihrem Büro auf und kommt nach vorne, um die Kasse zu übernehmen. Für mich bedeutet das im Klartext, dass es jetzt Zeit ist, loszufahren, damit ich pünktlich zum Shooting komme. Die Klamotten, die heute abgelichtet werden sollen, sind bereits seit heute Morgen in meinem Kofferraum verstaut. Bevor ich mich allerdings verabschieden und losfahren kann, hält Lucy mich noch mal auf. "Nimmst du Gabriel gleich eben mit? Ich hab mit Morgaines Ersatz gesprochen und er war einverstanden, dass er heute gleich zwei Models ablichtet statt nur einem", sagt sie und ich kann mir nur mit allergrößter Mühe ein genervtes Augenrollen verkneifen. Super, wirklich. Ganz toll. Ich hatte gehofft, ich würde zumindest noch eine Weile von dieser Nervensäge verschont bleiben, aber das war ja wohl nichts. Ich hoffe bloß, er reißt sich heute zusammen und geht mir nicht wieder so auf den Keks wie vorgestern. "Klar, mach ich", erkläre ich mich einverstanden, obwohl ich genau das eigentlich ganz und gar nicht bin. Aber Lucy ist nun mal meine Chefin. Und wenn sie will, dass ihr Bruder mit auf die Bilder kommt, dann muss ich mich wohl oder übel fügen. Nur gefallen muss mir das ja nicht unbedingt, oder? Ich verkneife mir allerdings jegliche Bemerkung in diese Richtung. Lucy wird ganz sicher nicht hören wollen, dass ihr Bruder meine Nerven schon am Montag reichlich überstrapaziert hat und dass ich mir nicht sicher bin, ob ich mich heute auch so gut im Griff haben werde. Nach einer kurzen Verabschiedung verlasse ich den Laden durch die Hintertür, um zu meinem Wagen zu gehen. Nur mit Mühe kann ich ein genervtes Aufstöhnen unterdrücken, als ich Gabriel entdecke, der offenbar bereits auf mich gewartet hat. Er begrüßt mich mit einem breiten Grinsen, das ich jedoch unerwidert lasse. "Steig ein. Wir haben einen Zeitplan einzuhalten." Ich bin mir durchaus dessen bewusst, dass ich nicht besonders freundlich klinge, aber das hat er sich definitiv selbst zuzuschreiben. Mag ja sein, dass es Leute gibt, die sich gerne so ungeniert ausquetschen lassen, aber ich gehöre nun mal nicht zu dieser Sorte Mensch. "So schlecht gelaunt?", erkundigt Gabriel sich noch immer mit deutlich hörbarem und auch unübersehbarem Amüsement, nachdem er eingestiegen ist und sich angeschnallt hat. "Muss an der Gesellschaft liegen", rutscht es mir heraus, aber Gabriel scheint mir das keinesfalls übel zu nehmen. Stattdessen lacht er nur, während ich meinen Wagen starte. "Das hör ich oft", gibt er unumwunden zu. "Ich bin ziemlich anstrengend, das weiß ich", fährt er fort und mir liegt die Frage auf der Zunge, warum er sich nicht etwas zurückhält, wenn ihm doch klar ist, wie sehr er anderen auf den Wecker fällt. Ich spreche die Frage jedoch nicht aus. Das muss ich allerdings offenbar auch gar nicht, denn Gabriel scheint mühelos erkennen zu können, was ich gerade denke. "Ich hab schon des Öfteren versucht, das abzustellen, aber irgendwie klappt das einfach nicht. Jedenfalls nicht dauerhaft. Mein Mund ist schon immer schneller gewesen als mein Hirn." Wieder werde ich angegrinst, aber wenn Gabriel eine Antwort von mir erwartet, dann wartet er vergebens. Ich schalte einfach nur mein Radio ein und konzentriere mich auf den Verkehr. Ich habe wirklich absolut nicht den Nerv, jetzt noch eine Unterhaltung zu bestreiten. Es reicht schon, dass ich ihn den ganzen restlichen Nachmittag werde ertragen müssen. Als das Studio, in dem Morgaine arbeitet, endlich in Sicht kommt, atme ich unwillkürlich auf. Gabriel hat zwar dankenswerterweise die ganze Fahrt über die Klappe gehalten, aber das Grinsen in seinem Gesicht hat mir ganz und gar nicht gefallen. Ich will wirklich nicht wissen, was in seinem Kopf vor sich geht. Und am liebsten wäre es mir, wenn er gar nicht erst hier wäre. Aber das ist er nun mal, also bleibt mir nicht viel übrig als mich irgendwie mit der Situation abzufinden. Ist ja nicht so, als ob ich eine großartige Wahl hätte. Nachdem ich meinen Wagen geparkt habe und gemeinsam mit Gabriel ausgestiegen bin, schnappe ich mir noch eben die Kartons mit den Klamotten aus dem Kofferraum. Gabriel geht währenddessen schon mal vor und hält mir sogar die Tür des Studios auf, aber ich bin ganz und gar nicht in der Stimmung, ihm dafür zu danken. Nicht bei dem unverschämten Grinsen, das schon wieder auf seinen Lippen klebt. Und sein zweideutiges Zwinkern hätte er sich meinetwegen auch gerne schenken können. "Hi", werden Gabriel und ich begrüßt, als wir das Studio betreten, und ich reiße meine Aufmerksamkeit von meinem nervigen Begleiter los, um sie auf Morgaines Vertretung zu richten. Er ist nur ein paar Zentimeter kleiner als ich und hat seine schwarzen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, wohl damit sie ihm bei der Arbeit nicht im Weg sind – eine Tatsache, die seinen Undercut nur noch mehr unterstreicht. Seine Kleidung besteht aus einer schwarzen Jeans, einem ebensolchen Longsleeve, 30-Loch-Rangers und einem Nietenhalsband mit Ring. Seine grauen Augen – eine Spur heller als meine eigenen – hat er mit Kajal betont und sein Lächeln ist offen und freundlich. "Ihr müsst Simon und Gabriel sein. Ich bin Jonas, aber ihr könnt gerne Jojo sagen, wenn ihr wollt", stellt er sich vor und ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie ist er mir auf Anhieb sympathisch. Kein Wunder, dass Morgaine so gut mit ihm klarkommt, wenn er wirklich so nett ist, wie er gerade rüberkommt. Und scheinbar ist er das tatsächlich, denn er nimmt mir ohne Aufforderung einen der Kartons ab und geht mit diesem vor nach hinten, wo bisher sämtliche Shootings für die Website des Ladens stattgefunden haben. Wie nicht anders erwartet ist schon alles vorbereitet. Es fehlen also eigentlich nur noch Gabriel und ich in den Klamotten, die Lucy für heute ausgewählt hat. "Umziehen könnt ihr euch da drüben." Jojo nickt in Richtung der provisorischen Umkleide, die ich schon zur Genüge kenne. Immerhin mache ich das hier nicht zum ersten Mal mit. Lucy hat mich schon kurz nach meiner Einstellung das erste Mal … freundlich überredet, mich für Fotos für die Website des Ladens zur Verfügung zu stellen. Man könnte auch sagen, sie hat mich einfach mitgeschleift und mir gar nicht groß eine Wahl gelassen. Aber so schlimm fand ich das damals eigentlich gar nicht. Und es stört mich heute auch heute kein bisschen. Gut, die Gesellschaft bräuchte ich nicht unbedingt, aber so langsam finde ich wieder einigermaßen zu meiner inneren Ruhe zurück. Egal, wie nervig Gabriel auch sein wird, ich werde das Shooting schon irgendwie überstehen, ohne ihm an die Gurgel zu gehen. Dieser Vorsatz gerät allerdings keine fünf Minuten später bereits ernsthaft ins Wanken, als Gabriel und ich gemeinsam in der Umkleideecke – eine wirkliche Kabine gibt es hier im Studio nicht; das Provisorium besteht aus einer Wäscheleine, an der mit Wäscheklammern zwei Bettlaken befestigt sind – stehen, um uns für das Shooting fertigzumachen. Ich bin gerade dabei, mir ein Hemd aus einem der Kartons herauszukramen und überzuziehen, als ich bemerke, dass Gabriel mich unverhohlen anstarrt. Als ihm auffällt, dass mir sein Starren nicht entgangen ist, legt sich ein Grinsen auf seine Lippen, das irgendwo zwischen ertappt, peinlich berührt und unverschämt schwankt. "So halb ohne Klamotten siehst du noch heißer aus", teilt er mir ungefragt seine Meinung mit und ich muss mich stark zusammenreißen, um nicht laut oder ausfallend zu werden. Der spinnt ja wohl! "Wir sind zum Arbeiten hier, nicht zum Gaffen", weise ich ihn etwas schärfer als notwendig zurecht, aber das beeindruckt ihn offenbar ganz und gar nicht. Eher sogar im Gegenteil, denn ganz plötzlich bekommt sein Gesichtsausdruck etwas merkwürdig Schwärmerisches, das ich mir nicht so recht erklären kann. Allerdings will ich das eigentlich auch ganz und gar nicht, also schnappe ich mir kommentarlos das Hemd, ziehe es über und lasse Gabriel dann einfach stehen. Wenn er Löcher in die Luft starren will, bitteschön. Das kann er gerne tun, aber ohne mich. Am Set angekommen atme ich mit geschlossenen Augen mehrmals betont tief durch, um meinen Ärger in den Griff zu kriegen. Als ich meine Augen wieder öffne, finde ich mich mit Jojo konfrontiert, der mich mit schiefgelegtem Kopf betrachtet. "Wenn ihr zwei Umkleiden braucht, lässt sich das auch einrichten. Dann bauen wir kurz ein bisschen um", bietet er mir an und obwohl es mir ein bisschen peinlich ist, dass mein Disput mit Gabriel nicht unbemerkt geblieben ist, bin ich doch dankbar für das Angebot. Trotzdem ist es reichlich lächerlich, einen solchen Aufriss zu machen, nur weil Gabriel mich nun mal nervt. "Geht schon", lehne ich daher das Angebot ab und Jojo bedenkt mich mit einem skeptischen Blick, sagt aber nichts mehr dazu, sondern dirigiert mich schon mal in die erste Pose, mit der er anfangen will. Keine zwei Minuten nach mir taucht auch Gabriel endlich auf, gesellt sich dazu und lässt sich ebenfalls in Pose bringen. Sobald er mit uns beiden zufrieden ist, schnappt Jojo sich seine Kamera und legt los. Er schießt Foto auf Foto, legt aber auch immer wieder mal die Kamera beiseite, um Gabriels oder meine Haltung zu korrigieren. Mit ihm zu arbeiten, stelle ich fest, ist eindeutig anders als ein Shooting mit Morgaine – logischerweise, denn Morgaine und ich kennen uns immerhin schon eine ganze Weile. Und heute bin ich ja auch nicht der Einzige, der abgelichtet wird. Allerdings gelingt es Jojo erstaunlicherweise ziemlich gut, dafür zu sorgen, dass Gabriel und ich während der Aufnahmen nicht aneinander rasseln. Gabriel geht mir zwar immer noch gehörig auf die Nerven, aber Jojo deichselt das Ganze irgendwie so, dass wir uns nach dem unerfreulichen Start nicht mehr gleichzeitig umziehen müssen und uns deswegen auch nicht mehr in die Haare geraten können. Gabriel wirkt davon zwar alles andere als angetan, aber ich bin Jojo eindeutig dankbar für seine Intervention. Um kurz nach sechs machen wir gerade gemeinsam eine Pause auf dem gemütlichen Sofa im hinteren Teil des Studios – wobei Jojo, sicher nicht ganz uneigennützig, den Platz zwischen uns gewählt hat –, als die Hintertür des Studios geöffnet wird und Morgaine auftaucht. "Hey, ihr Drei!", grüßt sie gut gelaunt in die Runde und kommt zu uns hinüber, um mich wie üblich kurz zur Begrüßung zu umarmen. "Schau mal, wen ich draußen gefunden hab", wendet sie sich danach mit einem breiten Grinsen auf den Lippen an Jojo, tritt zur Seite und ich bemerke jetzt erst den schlaksigen Kerl, den sie im Schlepptau hat. Er trägt eine schwarze Jeans, eins von den ASP-Shirts, die ich von Flos Familie so gut kenne, und seinerseits ein schiefes Grinsen im Gesicht. "Ich hab deinen Entwurf dabei", teilt der Typ Jojo mit seltsam unpassender Stimme und wenn ich nicht schon säße, hätte es mich in dem Moment, in dem mir mein Irrtum auffällt, ganz sicher aus den Latschen gehauen. Das ist ja gar kein Kerl, das ist ein Mädchen! Sie kramt kurz in der Umhängetasche herum, die sie bei sich hat, und reicht Jojo dann einen Block. Ich kann nicht genau erkennen, was darauf ist, aber Jojo, der sich kurz erhoben hat, um den Block entgegenzunehmen, kommt meiner Neugier entgegen, indem er sich wieder hinsetzt und erst dann einen genaueren Blick darauf wirft. Da ich direkt neben ihm sitze, kann ich jetzt auch erkennen, um was es sich bei der Zeichnung handelt: einen Namen. Adrian steht auf dem weißen Papier, die Buchstaben schräg von unten nach oben angeordnet und umschlungen von Efeuranken. Für mich sieht das eindeutig nach einem Entwurf für ein Tattoo aus, aber ich verkneife mir die Frage, ob ich richtig liege. Gabriel ist jedoch nicht so zurückhaltend wie ich. Da er es ganz offenbar auch dieses Mal nicht schafft, seine Neugier zu zügeln, hängt er sich halb über mich und liegt damit mehr oder weniger auf meinem Schoß. Er sieht zwar mich nicht an, sondern richtet seine ganze Konzentration auf den Block in Jojos Händen, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass es Gabriel ganz und gar nicht Unrecht ist, dass er mich jetzt hier aufs Sofa gepinnt hat, ohne dass ich mich verdrücken kann. Um das zu tun müsste ich ihn von mir runterschubsen und würde mich damit ganz sicher bis auf die Knochen blamieren. "Der Name von deinem Freund?", schießt Gabriel ins Blaue und grinst, als Jojo einfach nur nickt. "Ja. Das hier soll ein Geschenk für ihn werden. Eine Überraschung", erklärt er etwas verlegen und blickt dann das Mädchen an, das ihm den Entwurf vorbeigebracht hat. "Genauso hab ich's mir vorgestellt. Danke, Charlie", sagt er und auf Charlies Lippen legt sich wieder ein schiefes Grinsen. "Hauptsache, es gefällt dir. Und wenn's Adrian nicht gefällt, dann kriegt er's mit mir zu tun", droht sie und Jojo schüttelt leise lachend den Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich da Schiedsrichter spielen wollen würde", scherzt er, klappt den Block zusammen und reicht ihn ihr zurück. "Wegen dem Termin komme ich noch rum. Damit wollte ich warten, bis er zu seinem Praktikum aufgebrochen ist", teilt er ihr dabei mit und Charlie nickt knapp, ehe sie sich neben Jojo auf die Couch plumpsen lässt. Scheinbar will sie hier auf ihn warten, bis er Feierabend macht – was mir, wenn ich ehrlich bin, sogar sehr gelegen kommt. Allerdings komme ich im Augenblick nicht dazu, Charlie anzusprechen, denn da Gabriel immer noch halb auf meinem Schoß liegt, kann ich nicht aufstehen. Und einfach über Jojo hinweg möchte ich nicht mit ihr sprechen – hauptsächlich, weil ich gut darauf verzichten kann, dass Gabriel seinen Senf dazu gibt. Er kann alles essen, aber alles wissen muss er nun wirklich nicht. Glücklicherweise sieht Morgaine mir an, wie unangenehm mir die Situation hier ist. "Kommst du mal kurz, Simon?", fragt sie und ich schiebe den deutlich widerwilligen Gabriel von mir herunter, damit ich aufstehen und zu Morgaine rübergehen kann. "Du bist meine Rettung", lasse ich sie leise wissen und sie grinst kurz, aber so, dass Gabriel davon nichts mitkriegt. "Lucys Bruder steht ja total auf dich", teilt sie mir mit, was mehr als offensichtlich ist, und ich verdrehe die Augen. "Schön für ihn, aber das beruht ganz sicher nicht auf Gegenseitigkeit", gebe ich zurück und Morgaine knufft mir kurz in die Seite, sagt aber nichts weiter dazu. Sie weiß zwar, dass ich aktuell als Single nicht unbedingt glücklich bin, aber sie kennt mich auch gut genug um zu wissen, dass Gabriel absolut nicht mein Typ ist. Zu aufdringlich, zu nervig. "Wollen wir dann weitermachen?", holt Jojos Stimme mich wieder aus meinen Gedanken und ich lasse mich gemeinsam mit Gabriel zurück an die Arbeit scheuchen. Und jetzt, wo Morgaine auch hier ist, fällt es mir wesentlich leichter, Gabriel zu ignorieren – eine Tatsache, die ihm scheinbar weder entgeht noch gefällt. Aber das ist sein Problem, nicht meins. Trotzdem bin ich froh, als Jojo irgendwann beschließt, noch ein paar Einzelshoots von uns beiden zu machen. Und dadurch, dass er mich zuerst ablichtet, habe ich danach endlich die Gelegenheit, meine Fragen an Charlie loszuwerden. Sie sitzt noch immer auf der Couch, inzwischen gemeinsam mit Morgaine, und ich setze mich einfach dazu. Dabei spüre ich durchaus Gabriels Blicke im Nacken, aber ich ignoriere ihn für den Moment. Jetzt gibt es wichtigeres als rothaarige Nervensägen. "Du bist Tätowiererin?", beginne ich das Gespräch und Charlie sieht mich erst ein wenig überrascht an, aber dann nickt sie. "Ja, wieso?", will sie wissen und schüttelt gleich darauf über sich selbst grinsend den Kopf. "Vergiss die dämliche Frage. Was willst du wissen?", erkundigt sie sich stattdessen und ich erwidere ihr Grinsen kurz, ehe ich in Richtung des Blocks nicke, der auf dem Tisch liegt. "Ich bin schon seit längerem auf der Suche nach einem Tattoostudio. Ich hab ein ganz bestimmtes Motiv im Kopf, das ich mir gerne stechen lassen würde", erzähle ich ihr dann und kann aus dem Augenwinkel sehen, wie Morgaine mich überrascht ansieht. Davon wusste sie bisher noch nichts, aber das ist kein Wunder. Ich will mich zwar wirklich schon seit längerer Zeit tätowieren lassen, aber bisher habe ich weder mit Morgaine noch mit Flo oder sonst wem darüber gesprochen. "Auch ein Namenstattoo?", will Charlie wissen und ich schüttele den Kopf. "Nicht wirklich, nein", antworte ich, spreche aber erst mal nicht weiter. Morgaine versteht meinen unausgesprochenen Wink, steht auf und seufzt übertrieben. "Wenn du unbedingt ein Geheimnis daraus machen musst, bitte sehr. Viel Spaß dabei", sagt sie und zieht einen Flunsch, der allerdings nur zur Hälfte ernst gemeint ist. Morgaine ist glücklicherweise wesentlich geduldiger als Flo. Wenn er jetzt hier wäre, würde er mich unter Garantie so lange ausquetschen, bis ich ihm erzähle, was mir genau vorschwebt. Sobald Morgaine außer Hörweite ist, mache ich mich daran, Charlie zu erklären, wie genau ich mir mein Tattoo vorstelle. Sie sagt nichts, sondern hört mir nur schweigend zu und nickt hin und wieder. Erst als ich geendet habe, ergreift sie wieder das Wort. "Klingt wirklich interessant", murmelt sie und kramt kurz in ihrer Tasche herum. "Aber das ist nicht unbedingt meine Stärke. Da solltest du dich besser an meine Chefin Sandy wenden. Oder noch besser an Lu. Der kriegt das, was du dir vorstellst, auf jeden Fall hin", schiebt sie noch hinterher und drückt mir eine Visitenkarte in die Hand, die sie nach kurzem Suchen aus den Untiefen ihrer Tasche herausbefördert hat. "Ich kann ihn ja nachher oder morgen schon mal darauf ansetzen. Normalerweise braucht er so ein, zwei Tage für einen ersten Entwurf, also wär's wohl am besten, wenn du am Freitag einfach mal reinkommst. Bis dahin hat er sicher was vorbereitet und dann könnt ihr eventuelle Änderungen vor dem Stechen noch in Ruhe absprechen. Die Adresse und die Öffnungszeiten stehen auf der Karte", erklärt sie mir und ich werfe einen Blick auf das kleine Stück Papier, ehe ich es in meinem Portemonnaie verschwinden lasse. "Danke." "Kein Ding." Auf Charlies Lippen erscheint ein schiefes Grinsen und sie nickt in Richtung Gabriel, der uns, wie mir nicht entgeht, unverhohlen anstarrt. "Ein Fan von dir, was?", vermutet Charlie und ich kann mir ein leises Auflachen nicht verkneifen. Irgendwie mag ich ihren etwas schrägen Sinn für Humor. "Sieht ganz so aus", gebe ich ihr Recht und ihr Grinsen wächst noch ein ganzes Stück in die Breite. "Wenn solche Leute nicht so dein Ding sind, dann sollte ich dich wohl besser warnen: Lu kann auch ziemlich nervig sein, wenn er will. Er macht auch nie einen Hehl daraus, wenn ihm ein Typ oder ein Mädel gefällt. Und ich bin mir ziemlich sicher, du würdest ihm gefallen", teilt sie mir mit und lacht ihrerseits auf, als ich sie mit einem Gesichtsausdruck bedenke, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. "Aber keine Sorge. Wenn ich dabei bin, reißt Lu sich zusammen", verspricht sie mir, sobald sie sich wieder von ihrem Amüsement erholt hat. "Und wenn er zu sehr nerven sollte, sag ihm das einfach, dann nimmt er sich zurück. Lu ist nicht ganz so merkbefreit wie dein Fan da drüben", schiebt sie noch hinterher. Ich bin mir nicht sicher, ob mich das wirklich beruhigen soll, aber zumindest bin ich gewappnet. Wenn dieser Lu wirklich so nervig sein sollte wie Gabriel, dann muss ich eben weiter nach einem Tattoostudio suchen. Jetzt habe ich schon so lange gewartet, da kommt es auf ein paar Wochen mehr oder weniger auch nicht an. Eine gute halbe Stunde unterhalten Charlie, Morgaine und ich uns noch – ich erfahre unter anderem, dass Charlie einen Hund hat –, dann sind Jojo und Gabriel mit dem Shooting fertig und gesellen sich zu uns, sobald Gabriel sich wieder umgezogen hat. Gemeinschaftlich räumen wir Fünf dann noch eben das Studio auf und packen die Klamotten in meinen Kofferraum, ehe wir uns voneinander verabschieden. Wie schon auf der Herfahrt steigt Gabriel wieder in meinen Wagen, aber er ist wesentlich schweigsamer als heute Morgen. Offenbar ist ihm sein Soloshooting auf die Laune geschlagen, aber ich kann nicht behaupten, dass mich das stört. Im Gegensatz zu heute Morgen, als ich ihn vom Laden aus mitgenommen habe, setze ich Gabriel jetzt bei Lucy zu Hause ab. Ich warte aus Höflichkeit, bis er im Haus verschwunden ist, und fahre dann erst selbst nach Hause. Dort angekommen füttere ich zuallererst meine hungrige Bestie, ehe ich es mir im Wohnzimmer gemütlich mache, um den Abend mit etwas guter Musik und einem schmusebedürftigen Kater ausklingen zu lassen. Und so im Nachhinein betrachtet, war der Tag eigentlich doch viel weniger nervtötend als ich erwartet hatte. Ich kraule Murray, der wie üblich auf meinem Bauch liegt, hinter den Ohren und frage ich mich, ob dieser Lu, von dem Charlie mir erzählt hat, wohl wirklich so gut ist, wie sie behauptet hat. Aber, denke ich bei mir, während Murray mir schnurrend mein Hemd vollhaart, das werde ich ja am Freitag sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)