Engelstanz der Dunkelheit von abgemeldet ("If people had wings...they'd be monsters") ================================================================================ Kapitel 6: Bonus: Das Kennenlernen ---------------------------------- Engelstanz der Dunkelheit ____________________________ D a s . K e n n e n l e r n e n „Erzählst du mir etwas über die Menschenwelt?“, hatte Mochi am Morgen gefragt und war aufgeregt in Cays Zimmer gesaust. Benommen – und gegen seinen Willen – öffnete der Junge die Augen, rieb sich den Schlaf heraus und blickte verwirrt zu dem Kürbisgeist hinab, der auf ihn zuflog. Es war bereits nach zehn Uhr gewesen, doch Cay hatte kaum bemerkt, wie der Morgen durch sein Fenster gedrungen war und den Raum in ein mattes orangefarbenes Licht tauchte. Immer wieder waren ihm die müden Lider zugefallen, er hatte es aber auch nicht für nötig gehalten sich aufzuraffen, gegen diesen innerlichen Impuls anzukämpfen und schlussendlich aufzustehen – Nein! – Sein Bett, mit den vielen verschiedenfarbigen, weichen Kissen schien um einiges verlockender zu sein, als der graue Alltag, der ihn mit großen, unausweichlichen Schritten einholte. Mit einer zu schnellen, seine Kraft unterschätzenden Bewegung, war Mochi in sein Bett gesprungen, verfehlte aber die Matratze, auf die er zu landen versucht hatte, stieß mit dem Kopf gegen den Ellenbogen seines Partner und taumelte eine handbreit zurück. Er wand und krümmte sich vor Schmerzen und fluchte leise auf. Es war noch keine Woche vergangen, seit Cay gegen seinen eigenen Willen in die Dämonenwelt gebracht und seinem Diener Mochi vorgestellt worden war. Der Kürbisgeist sollte ihm eine Stütze sein – so hatte Myras es jedenfalls vorgesehen. Er sollte ihm die Regeln begreiflich machen, die er zum Überleben im dritten Himmel brauchte und ihn sicher durch diese noch unbekannte Welt geleiten. Aber es kam genau andersherum. Zwar zeigte Mochi sich hartnäckig, er versuchte selbst im Anbetracht größter Panik die Fassung zu bewahren und dem Grauen mutig in die Augen zu blicken, verlor aber schon nach kurzer Zeit die Kontrolle über sich und seine Gedanken. Die Angst kroch in wahnwitziger Geschwindigkeit in seine Gliedmaßen, sie lähmte seinen Verstand und somit das zentrale Nervensystem, das für die Bewegungsabläufe zuständig war, noch ehe er sich bewusst für den Kampf oder die Flucht entscheiden konnte. Manchmal glaubte Cay, dass er Mochis heiles, wenn nicht sogar leicht naives Weltbild zerschlagen würde, sobald er sich anders verhielt, als der Kürbis es von ihm erwartete. Wie würde er wohl reagieren, wenn er ihm von seinen zwiegespaltenen – oft bösen – Gedanken erzählte, die ihn nachts wach hielten?! Wahrscheinlich würde Mochi besser damit zurechtkommen, als er es sich selbst einredete. Vielleicht war er nicht so schwach, wie er es glaubte – Aber er wollte es auch nicht darauf ankommen lassen und sein Glück auf eine Karte setzen und dabei womöglich alles verlieren. Dafür kannte er seinen Partner schlicht und ergreifend noch zu wenig. Er war Mochi immer eine große Stütze gewesen – die starke Schulter, die er brauchte, wenn er sich einsam fühlte oder einfach jemanden zum Reden brauchte. Es war nicht unbedingt ihrer Zusammenarbeit im Kampf zuzuschreiben, dass sie einander verstanden und zu vertrauen begannen – nein, weiß Gott nicht – Aber ihr Band schien durch eine magische Art zu wachsen, die Cay unmöglich mit Worten zu beschreiben fähig gewesen wäre. Sie entglitten ihm, noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte. „Die Menschenwelt…“, begann Cay gedankenverloren und legte seinen Kopf in den Nacken, „So sehr unterscheidet sie sich gar nicht von dieser Welt, Mochi.“ „Das glaube ich nicht“, protestierte der Kürbisgeist, „Du bist ganz anders, als die Dämonen hier unten.“ „Das liegt aber nicht daran, dass ich in der Menschenwelt aufgewachsen bin, glaub mir. Dort geht es genauso herzlos zu, wie überall auf der Welt“, sagte er und schaute Mochi in die runden Augen, die ihn voller Faszination anblickten, „Aber wenn dir wirklich soviel daran liegt... Dann will ich dir was zeigen.“ Fast schon hastig sprang er aus seinem Bett, zog sich an und wirbelte wieder zu Mochi herum, „Bist du bereit?!“ „Du willst doch nicht etwa...“, stotterte Mochi leise, beendete aber seinen Satz nicht. „Worauf du einen lassen kannst“, antwortete Cay und verzog sein Gesicht. Seine Hand begann zu zittern, eine schwarze, unheimliche Kraft strömte über seinen Unterarm, drang bis in seine Fingerspitzen und dann – endlos langsam – begann er diese düstere Energie zu lenken, er führte sie durch den Raum, begann sie auf einen Punkt zu konzentrieren, ließ sie aber mit einem Schlag los. Er verlor die Gewalt über seine Kräfte, auch wenn er es nicht gewollte hatte, war ihm die Kontrolle entglitten, er brach seine Beschwörung unter einem lauten, aufgebrachten Fluchen ab und ließ die gebündelte Kraft in seiner Hand wieder erlischen. Die schwarzen und weißen Lichtsplitter trieben haltlos auseinander und verloren sich im Lichtspiel der Morgensonne – Es war vorbei, noch ehe es richtig begonnen hatte. „Verdammt“, fauchte Cay wütend und strich sich mit der linken Hand über seinen schmerzenden Unterarm. „Meister... Du hast noch zu wenig praktische Erfahrung, um ein Tor zwischen den Welten entstehen zu lassen“, sagte Mochi und sauste schlagartig zu Cay herum, „Lass mich das machen!“ Cay hatte das einzig Vernünftige getan, was er in dieser Situation hätte tun können: Er gestand sich seine Niederlage ein, mehr noch – denn auch wenn er sich stets dagegen geweigert hatte Hilfe von anderen anzunehmen – trat er jetzt einige Schritte zurück und überließ Mochi die Arbeit. Sein Herz machte einen erschrockenen Sprung, als sich die Wirklichkeit nur einen Sekundenbruchteil später auftat und einen klaffenden, breiten Riss zwischen die Welten schlug. Mochi beherrschte die dunkle Materie, die in ihm hauste, besser, als er es sich vorgestellt hatte. „Dann wollen wir mal“, sagte Cay aufgeregt, legte seinen Arm um seinen Partner und schob ihn auf das schwarze Loch in seinem Zimmer zu, „Ich bin schon gespannt, was du sagen wirst, wenn ich dir meinen Lieblingsort zeige. Meine Eltern haben sich jedenfalls immer beschwert, dass ich dort mehr Zeit verbringen würde, als in der Schule – Aber das halte ich für ein dummes Gerücht.“ Schon nach einigen Schritten, die er in die Dunkelheit hinein getan hatte, fühlte er das harte, ebene Bordsteinpflaster unter seinen Füßen. Er wand sich nach links und nach rechts und erkannte dann aus den Augenwinkeln wie die schemenhaften Umrisse um ihn herum langsam Struktur annahmen und sich die Kulisse, unter ächzenden, krachenden und brechenden Geräuschen, neu zu formen begann – Riesige Gebäude schossen wie weiße Säulen aus dem Erdboden, sie waren in Rekordgeschwindigkeit in Höhe gewachsen und ließen einen gewaltigen Schatten entstehen, der sich über das Viertel legte. Dort wo noch eben sein Bett gestanden hatte, tat sich der Boden auf, veränderte sich schlagartig und ließ eine enge, kaum zu passierende Seitenstraße entstehen, die sich durch die Häuserschlucht schlängelte. Zu Beiden Seiten standen Fahrzeuge – die Reifen halb auf der Straße, halb auf dem Gehweg – und doch schien diese Gegend wie ausgestorben zu sein. „Versteck dich besser in meinem Rucksack“, sagte Cay und hievte seine Tasche von seiner Schulter und öffnete den Reißverschluss. „Aber Cay…“, empörte sich Mochi, „Ich will da nicht rein. Ich will nicht, ich will nicht.“ „Keine Widerrede!“, sagte Cay bestimmend und drückte die Seitenwände seiner Tasche auseinander, sodass der Kürbisgeist problemlos einsteigen konnte. Lustlos, fast schon widerstrebend, kletterte Mochi in das Tascheninnere, er ließ ein genervtes Stöhnen hören, kauerte sich aber anschließend, leise murrend, zusammen. „Mach jetzt keinen Staatsakt daraus. Du kannst doch wohl ein paar Minuten dort drin aushalten, ohne gleich auszuflippen, oder?!“, wisperte Cay gepresst. Nicht nur die Angst womöglich gehört und als Vollidiot abgestempelt zu werden, der am helllichten Tag – allein und mit der Nase in seinem Rucksack steckend – mit sich selbst sprach, ließ ihn abrupt leiser werden, nein, es war auch jenem beklemmenden Gefühl in seiner Brust zu verdanken, das schmerzhaft sein Herz in die Höhe schnellen ließ, dabei unwillkürlich in seinen Verstand griff und ihn fast wahnsinnig machte. Was war, wenn ihnen jemand gefolgt war?! Nach einer gefühlten Endlosigkeit betrat er einen Imbiss, durchquerte diesen mit zügigen, aber zielgerichteten Schritten und ließ sich auf einen der harten, roten Plastikstühle in einer abgelegenen Ecke sinken. Er atmete den kalten Metall-Glas-Kunststoff-Geruch des Ambientes ein, schloss kurz die Augen und seufzte. Auch wenn es nicht lange her gewesen war, seit er das Restaurant das letzte Mal besucht hatte, so hatte er diesen Ort vermisst, vielleicht sogar mehr als er es sich einzugestehen bereit war. Mit einer knappen, unsicheren Handbewegung öffnete er seinen Rucksack und blickte zu Mochi herab. Der Kürbisgeist kämpfte sich mühsam an die Oberfläche, stieß um sich, strampelte und zappelte – dann nach endlosen, zerrenden Minuten, sauste er endlich in die Freiheit. „Sie können dich nicht sehen, richtig?!“, murmelte Cay verlegen und winkte seinen Partner zu sich herbei. „Nein, für die Menschen bin ich unsichtbar – Was glaubst du was das für einen Tumult geben würde, wenn sie plötzlich Kreaturen aus der Hölle sehen könnten?!“, keckerte Mochi ungehalten und schnellte durch das Restaurant. „Ich bin mir sicher, dass die Weiber schreiend vor dir wegrennen würden“, seine Stimme klang scharf, herausfordernd. Er blätterte durch die Speisekarte, tat so, als würde er sich etwas aussuchen und winkte die Kellnerin zu sich herbei – Er wusste genau, was er wollte. Eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig mit hellbraunem, lockigen Haar, näherte sich seinem Platz, sie stellte ihr Tablett ab und lächelte ihn an. „Das ist dein persönlicher Rekord, Cay“, strahlte sie, „Du warst fast eine Woche nicht mehr hier – Wie hast du es nur ohne Fast Food ausgehalten?! Möchtest du das Übliche, oder hat sich dein Geschmack innerhalb der letzten Woche verändert?“, höhnte sie und fingerte einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber aus ihrer Schürze hervor, blickte dann zu Cay hinab und wartete auf seine Bestellung. „Sei froh, dass ihr Stammkunden wie mich habt“, entgegnete Cay, „Ich nehme das Übliche, aber spart bloß nicht wieder am Fleisch – Ich habe Hunger!“ Die Frau drehte sich auf ihrem Absatz um, aber nicht, ohne gekünstelt ihre Augen zu verdrehen und sich mit einer wegwerfenden Handbewegung zu verabschieden, dann verschwand sie in der Küche. „Was hast du denn bestellt?“, wollte Mochi wissen, doch Cay schüttelte nur den Kopf. „Das wirst du gleich sehen, gedulde dich noch ein wenig – Aber es wird das Beste sein, was du je essen wirst, das verspreche ich dir.“ Die Kellnerin kam und brachte seine Bestellung. Der Größe seiner Portion nach zu schließen, musste er wirklich einen ausgehungerten Eindruck auf sie gemacht haben. Ihm lief das Wasser im Munde zusammen, als er auf seinen Teller hinabblickte und die zwei riesigen Hamburger und die Schachtel Pommes sah. „Verhalte dich unauffällig, Mochi“, ermahnte ihn Cay, „Denn ich glaube es macht einen komischen Eindruck, wenn die Hälfte meiner Portion plötzlich durch den Laden fliegt und von einem unsichtbaren Geist verschlungen wird.“ Mochi nickte zustimmend, konnte seinen Hunger aber nicht länger zurückdrängen und ließ die Hälfte seines Burgers unauffällig neben sich auf den Platz gleiten und verschlang seine Portion in wahnwitziger Geschwindigkeit. Cay vertilgte seinen Hamburger, las die letzten Krümel mit der Fingerspitze auf, leerte seine Cola, war aber keineswegs gesättigt. „Das war wirklich das Beste, was ich je gesessen habe, Cay!“, stimmte ihm Mochi zu, vereinzelte Brösel flogen aus seinem Mund, als er sprach. „Sag ich doch“, lachte Cay zufrieden, er wollte aufstehen und bezahlen, als er eine kräftige Hand auf seiner Schulter spürte. „Was ist denn nun schon wieder?!“, zischte er, wurde aber schon im selben Augenblick herumgerissen und blickte einem dunkelhaarigen, groß gewachsenem Mann an, der sich über ihn gebeugt hatte und seinen Griff festigte, in die stechend roten Augen. Heißes Blut pulsierte in seinen Adern, er konnte die Panik förmlich durch seinen Körper rauschen spüren - Jemand musste sie beobachtet und ihren Abstecher in die Menschenwelt gemeldet haben, es gab keine andere Erklärung. „Noch einmal entkommst du uns nicht“, raunte der Mann düster und hebelte Cays rechten Arm brutal auf den Rücken. „Wer hat denn gesagt, dass ich abhauen wollte?!“, fauchte Cay aufgebracht, er bäumte sich ruckartig auf, wand sich verzweifelt nach links und nach rechts, spürte, wie der Schmerz in seiner Schulter zu explodieren begann, gab den Widerstand einen Lichtblitz später auf und erschlaffte aus seiner angespannten Haltung. „Myras behauptet das!“, sagte der Mann monoton und riss Cay in die Höhe, „Aber glaub mir, dein Verstoß gegen die Vorschriften wird weitaus schlimmere Konsequenzen für dich haben, als du es dir bis jetzt ausmalen kannst.“ „Welcher Verstoß denn bitte?!“, schrie Cay, er trat um sich und erwischte seinen Kontrahenten am Schienbein, schaffte es den Moment der Verwirrung für sich zu nutzen, riss sich aus der Umklammerung des Mannes los und wirbelte schlagartig herum, „Ich wollte einen Hamburger essen gehen, mehr nicht.“ „Erklär das Myras“, brummte der Mann, schüttelte schnell den Kopf und führte den Dämon ab. Aber Myras hatte ihm nicht zugehört, er wollte seine Ausreden nicht hören – die Version seiner Geschichte – die er für eine Lüge hielt. Mit einem besonderen Maß an Gleichgültigkeit hatte er über diesen Fall entschieden und eine Bestrafung gewählt, aus der nicht nur er einen Nutzen ziehen konnte, sondern alle seine Untergebenen. „Eigentlich sollte ich für dein törichtes Verhalten foltern, du Verräter“, fauchte er, „Aber da du noch neu bist, werde ich Gnade vor Recht walten lassen…“, er flocht seine Finger ineinander, stützte seine Arme auf seinem Schreibtisch ab und fügte schließlich monoton hinzu, „Du wirst das ganze Jahr über in der Küche arbeiten, dort kannst du über deine Taten nachdenken – Aber du liebst ja gutes Essen, wie du mal selbst von dir behauptetest und so wirst du diese Form der Bestrafung willkommen heißen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)