Gewitter von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Sturmnacht. ---------------------- - - - Es war eine regnerische Samstag Nacht. Das Gewitter hatte ganz plötzlich eingesetzt und war in dicken, unförmigen Tropfen auf die Köpfe der ahnungslosen Passanten eingeprasselt, die sich nun unter Türstürzen, in Läden und in Cafés retteten. Binnen weniger Minuten waren die Straßen wie leergefegt von jedem Lebewesen. Abgesehen von ein paar Regenwürmern aus den wenigen Grünflächen, die um ihr Leben auf die befahrenen Straßen krochen. Das Unheil nicht ahnend. So nackt und ausgeliefert wie sie fühlte, sich auch eine junge Frau mit so dunkelroten Haaren, dass man für Sekunden glaubte, sie würden glühen. Mit einem beherzten Stoß öffnete sie die Tür eines kleineren Lokals, das sich unscheinbar zu allen anderen reihte. Von drinnen drang gedämpfte Chanson-Musik in den kalten Regen, der die feinen Klänge eines Pianos nicht zu übertönen vermochten. Mit einem leisen Klingen des Windspiels, fiel die Tür nach ihr wieder ins Schloss. Als sie den Regen bemerkte, zog sie die Augenbrauen zusammen, bis eine kleine Falte zum Vorschein kam. Ihren modischen beigefarbenen Trenchcoat zog sie mit einem geübten Handgriff fester um ihre schmale Taille. Ungeachtet ihrer offenen Absatzschuhe machte sie einen großen Schritt über die sich bildende Pfütze, schaffte es aber nicht ganz. Kaltes Wasser drang zwischen Fuß und Sohle und riss ihre Gedanken zurück in die Wirklichkeit. Rose Weasley wollte einfach nur flüchten. Innerlich fühlte sie sich wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel und wie eine Vogelscheuche zugleich. Nach kurzem Zögern lief sie schließlich ungeachtet der ruinierten Schuhe weiter. Der ausladende Saum ihres Sommermantels wiegte im Takt ihrer zackigen Schritte um ihre Knie, deren Nylonstrumpfhose zwecklos gegen den Niederschlag war. Das Windspiel erklang erneut, doch sie hörte es unter dem Geklapper ihrer Schuhe nicht, was sie wohl davon abhielt, ihr Tempo noch zu beschleunigen. Ihre Flammen oder Haare flogen in Strähnchen des Gegenwindes hinter ihr her und wichen geschickt jedem Tropfen aus, als wäre es ein Tanz. „Rose! Warte!“ Nun hörte sie ihren Verfolger und schloss einen Moment die Augen, als würde allein der Klang seiner Stimme ein Messer in ihre Brust rammen. Doch anstatt sich unter den Schmerzen, die in ihrem Inneren tobten, zu krümmen, biss sie die Zähne zusammen und lief ungeachtet weiter, als sei ihr Verfolger nicht ihrer Aufmerksamkeit wert. Rose versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren um nicht die Nerven zu verlieren. Die vorbeifahrenden Autos beispielsweise, deren grelles Xenonlicht sie für einige Augenblicke blind machten. Oder das Gefühl jedes unvorhersehbar auf ihre Stirn fallenden Tropfens. Für die Flüchtigkeit eines Wimpernschlags funktionierte ihre Wahrnehmung rasierklingenscharf. Doch danach holte sie das bedrohliche Pochen und das unnachgiebige Ziehen in ihrer Brust ein. Vor Schreck stolperte sie, schürfte dabei mit ihren Absätzen über den Pflasterstein, doch konnte sich in letzter Sekunde an einer gelegen kommenden Laterne abstützen. „Rosie!“ Die Stimme wurde eindringlicher und erinnerte sie daran, noch nicht aufatmen zu können. Als hätte sie das noch vermocht! Seit Tagen, Wochen – nein, seit Monaten konnte sie nicht mehr richtig atmen. Wie ein Tier im Käfig kämpfte sie gegen die Eisenstangen, ohne je gegen sie anzukommen. Alles, was sie wollte, war das Ende. Das Ende des Leides, das Ende des Schmerzes, das Ende der Enttäuschung. Und wenn es sein musste, dann auch das Ende ihrer unsterblichen Hoffnung. Sie kam mit brennender Lunge an der Straßenbahnhaltestelle an, die sie hoffentlich so schnell wie möglich zum Tropfenden Kessel brachte, damit sie sich so schnell wie möglich zuhause verstecken konnte, bis das Gewitter über London und in ihrem Herzen vorüber war. Sie hörte, wie sich sein Schritt zu einem Crescendo anhob, bis er sie rennend und heftig atmend eingeholt hatte. Mit einem Mal war es Rose, als habe ein mächtiger Zauber bewirkt, dass der Straßenlärm und das Hämmern des Regens auf den Glasdächern der Wartehäuschen leiser wurden und irgendwann in den Hintergrund rückten. Sie drehte sich so abrupt zum jungen Mann hinter sich um, dass der weite Rock ihres Mantels für eine Sekunde den Blick auf ihr mitternachtsblaues Sommerkleid erlaubten. „Ich fahre“, stellte sie klar. Sie sah sein hellblondes Haar unnatürlich grell aus der Umgebung hervorstechen und gleichzeitig sah sie durch ihn hindurch. „Bleib“, bat er. Doch seine unbeholfene Stimme ließ es wie einen Befehl klingen. „Bitte“, setzte er mit Nachdruck hinzu. Scorpius sah in ihre dunkelbraunen, glänzenden Augen, doch diesmal begrüßte ihn nicht das gewohnte Strahlen. Als sei der Sonnenschein ihres Wesens erloschen. „Ich will keine Spielchen, Scorpius. Mir fehlt die Kraft, sie noch länger zu ertragen. Lass mich endlich in Ruhe.“ Der Ton ihrer sonst sehr weichen, weiblichen Stimme, war brüchig von unterdrückten Tränen. Im selben Moment wandte sie ihm wieder den Rücken zu, um sich unter ein Glasdach zu retten. „Ich kann nicht.“ Er schrie es, dann griff er nach ihrem Ärmel und zwang sie, ihn anzusehen. Es war das erste Mal, dass Rose ein aufrichtiges Gefühl in seinen Worten zu vernehmen glaubte. Doch es war nur ein weiterer Versuch ihr die Karten in die Hand zu drücken und auf ihren Zug zu warten, nur um sie mit einem Bluff zu Tode zu verletzen. Wenn sie dem kein Ende bereitete, würde dieses Spiel ihr Herz und ihre Lebensfreude kosten. Dies war ihre letzte Chance von einem zum Sinken verurteilten Schiff zu springen und an Land zu schwimmen. Erschrocken ließ er seine Hand wieder von ihr fallen und brachte etwas Abstand zwischen sie, als habe er sich selbst überrascht. Heißer Zorn keimte in ihr auf, als ihr seine Strategie bewusst wurde. Nein, es waren hierbei keine echten Emotionen im Spiel. Die Zahl der Gefühle, die er aufzubringen imstande war, belief sich auf die Ziffer Null. Null – das war zwischen Minus und Plus, weder greifbar noch etwas, worauf man bauen konnte. Die Gewinnchancen sollten selbst einem Narren die Augen öffnen. „Wieso nicht, Scorpius? Wieso?“ Der Klang der unterschwelligen Wut überschlug sich, sodass sie beinahe hysterisch in seinen Ohren lag. Er wusste, dass er das zu verantworten hatte, dass er das kaputt gemacht hatte. Er kniff die Augen zusammen als helfe ihm das dabei, sich zu sammeln. Inzwischen war sein schwarzer Anzug vollkommen durchnässt; ohne Regenschirm war er ihr nachgelaufen, weil er Angst hatte, dass dieser Abschied für immer war. Und 'für immer' war etwas plötzlich Unerträgliches in seiner Vorstellungskraft. „Weil...“, setzte er an, noch immer die hilflose, ziellose Wut als sein Begleiter. Er ließ die angestaute Luft ausströmen, dann sackte er in sich zusammen und schüttelte fassungslos den Kopf. Sein Blick galt dem Boden unter ihm. Als Rose erkannte, dass nichts mehr folgen würde als das, was sie schon immer hatte zu hören bekommen, lächelte sie geräuschlos, aber auch freudlos. Diese Enttäuschung über seine Sprachlosigkeit war nur eine in einer langen Reihe. Was hatte sie auch erwartet? Ihr im Regen nachzulaufen hatte vielleicht seine Dramatik, aber würde sie nicht davon abhalten in die herannahende Bahn einzusteigen und sich nie wieder umzusehen. Auf den Schienen schoss das dunkelrote Gefährt an ihnen vorbei und übertönte alle Gedanken und alle Geräusche. Die leuchtend roten Bremslichter hoben sich vom Grau des Tages unnatürlich ab, als wollten sie sie zum Stehenbleiben ermahnen. „Lebewohl, Scorpius“, sagte sie schließlich. Rose Weasley wandte ihm ein letztes Mal den Rücken zu, bevor sie sich in die Masse an schwarzen und grauen Mänteln an der Tür einreihte. Als habe ihn der niedersausende Blitz im Hintergrund selbst getroffen, machte er einen Satz vorwärts. „Ich liebe dich“, rief er und übertönte diesmal jedes Geräusch, jedes Gefühl, jeden Geruch und alle anderen Wahrnehmungen zu denen sie in der Lage waren. Sie fuhr herum. Ihr dunkelbrauner, glitzernder Blick traf seinen entschlossenen, ehrlichen, verletzlichen. Scorpius Malfoy schluckte. „Ich liebe dich“, wiederholte er leiser. Ende. - - - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)