Phantasma von GardenofSinners ================================================================================ Kapitel 2: Der Mann mit dem Zylinder ------------------------------------ Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Der Zylindermann. Als ich mich aufrichtete und meinen Kopf auf mögliche (noch nicht vorher vorhandene) Dellen abtastete, erschien mir das Gesicht plötzlich auf dem schwarzen LCD-Bildschirm des Fernsehers. "Himmel!", fluchte ich, als das Lachen plötzlich viel näher und voller klang. "Schon wieder falsch. Ich glaube wirklich, ihr seid zu sehr auf Extreme getrimmt, was?" Ich ignoriete das Sofa und kroch beinahe auf allen Vieren zum Fernseher hinüber, wo das Gesicht mit jedem Schritt ebenfalls größer wurde. Siehst du?, dachte ich, eine Illusion. Eine Illusion, die du selbst aufmachst. "Natürlich bin ich eine Illusion, du dämlicher Vollidiot!", knurrte der Zylindermann. "Denkst du wirklich, ich wäre eine materielle Erscheinung??? Mit diesem Zylinder in der heutigen Zeit???" "Ich mag Zylinder.", konstatierte ich bockig. Der Schneidersitz war wesentlich bequemer. Ich achtete nicht darauf, dass ich lauthals mit mir selbst sprach. Ich fand es viel zu faszinierend, dass mein Verstand einen solchen Detailreichtum hervorbringen konnte. "Du bist schon ein bisschen seltsam, oder?", fragte ich schließlich und kratzte mich am Kinn. "Sagte der Mann, der sich einen Zylindermann erträumte." "Punkt für dich. Aber was mache ich jetzt mit dir. Ich meine..." "Du meinst?" "Naja...Ich hatte noch nie einen eingebildeten Freund." Das stimmte. Ich war einer der wenigen Jungen in meinem damaligen Alter gewesen, der sich nicht mit 13 oder 14 Jahren einen imaginären Freund erschaffen hatte. Wenn das jemals passierte, dachte ich mir, würde dieser auf jeden Fall einen coolen Namen haben. Vielleicht Parzival oder Baal. Bei meinem Glück würde er jedoch Michael oder Carl heißen. Der Zylindermann seufzte. "Ich weiß nicht, was du mit mir machen willst, aber ich weiß, wie ich dir bei manchen Dingen eventuell etwas unter die Arme greifen kann." "Und das würdest du tun, weil..." Eine Grimasse. Er verzog den Mond und verdrehte die Augen. Wie spannend! "Weil ich ein verdammter Samariter und arbeitslos bin. Was denkst du denn, um Himmels willen?! Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin ein Teil deiner Persönlichkeit, zumindest zeitweise, und demnach denke und fühle ich, was du denkst und fühlst. Ebenso weiß ich auch nur Dinge, die du weißt. Nicht mehr, nicht weniger." "Wenn du sagst, dass du zeitweise ein Teil meiner Persönlichkeit bist...", murmelte ich. "Heißt das doch im Grunde, dass du nicht ganz zu mir gehörst, oder?" "Vielleicht sí, vielleicht nó. Was ich weiß ist, dass du ein ziemlicher Versager bist, nicht wahr?" Netter Kerl. Wenn dieser verdammte Fernseher nicht soviel gekostet hätte, hätte ich einen Stein hinein geschmissen. "Du bist wirklich erschienen, um mir das zu sagen?" "So in etwa. Im Grunde wollte ich auch noch sagen, dass ich eventuell eine Lösung für das Problem habe." "Lösung?" Ich starrte ihn etwas verwirrt an. Wollte er aus mir einen beliebten Sportlertypen machen? VIelleicht sogar einen Superstar? Oder der Top-Autor, der ich immer sein wollte. Der Zylindermann kicherte boshaft und machte mit einem Mal einen recht unfreundlichen Eindruck. "Was wäre... wenn ich dir sagte, dass jeder Mensch das gottgegebene Talent besitzt, die DInge zu seinen Gunsten zu verändern?!" "Das ist aus der satanischen Bibel oder nicht?", fragte ich neugierig, wurde aber mit einem hastigen Händewedeln um Ruhe gebeten. "Ich rede nicht von dem 'Glaub-an-dich-und-du-wirst-es-schaffen-Mist'. Ich rede von dem wahren Umstand, dass du das Schicksal eines Mitmenschen beeinflussen könntest..." "Das wäre sicherlich interessant..." Ich dachte in diesem Moment an all die hämischen GEsichter, die mich über die Jahre verfolgt hatten. Ich dachte an Wesson, der mich tagtäglich nervte. Ich dachte an Nancy, die vermutlich mit ihrem Sonnyboy irgendwo an der türkischen Riveira faulenzte und sich von ihm Freuden bereiten ließ. Ich dachte an meine Eltern, die immer noch ihren Stolz und ihre Unterstützung in einen Sohn steckten, der sie nur enttäuschte. Für all die Dinge, die ich nie versucht oder gesagt hatte, nickte ich schließlich erneut. Er hatte mich damals bereits hier schon gefangen. NUr war mir das nicht klar. Ich sah das positive. Die Möglichkeit, mein jämmerliches Leben aufzubessern. Pimp my Life. "Nicht wahr?"; murmelte der Zylindermann und zupfte sich die Hutkrempe zurecht. "Ich besitze diese Kraft. Und du besitzt die Kenntnis des Erbärmlichen. Was aber, wenn ich dir nunmehr das Angebot mache, die Kenntnisse zu tauschen? Du erfährst meine Fähigkeit und ich erfahre dafür eine von deinen?" Ich dachte nicht lange nach. Ich nickte und nickte. "Ich bin einverstanden. Welche willst du?" "Das bleibt mein Geheimnis.", kicherte er. "Aber ich freue mich, dass du den Handel eingehst. Ehrlich gesagt bist du der erste seit zweihundert Jahren, der dies wirklich will." "Zweihundert?!" "Ja, denkst du denn wirklich, dass ich so in der heutigen Zeit herumlaufen würde, wenn mir eine Wahl bliebe???" "Vermutlich nicht... Gut, was muss ich tun?" Ich war Feuer und Flamme. Ich wollte sie, diese Fähigkeit. Und ich hätte in diesem Moment dafür getötet. Jetzt, da ich alt und verwittert bin, kann ich sagen, dass ich hätte nachdenken sollen. Ich hätte nicht nur mich selbst sehen sollen. Aber all das weiß man meistens erst dann, wenn man es erlebt hat. Aber ich greife voraus. Ich kniete also vor meinem Fernseher in meinem Wohnzimmer mit den weißen Wänden. Mein Regal hatte ich aus schwarzem Holz selbst gebaut, sodass es einen guten Kontrast schuf. Generell war das meine Ausrede für den Vorwurf, es sähe zu schlicht aus. Der Zylindermann ließ mir nicht viel Zeit zum Denken. Er verkündete sogleich, dass der Austausch der FÄhigkeiten nur möglich wäre, wenn ich ihn vollständig in mein Bewusstsein integrierte. Gerne wollte ich das tun, spürte aber nur einen donnernden Schmerz in meiner linken Kopfseite. Wie ein Blitz schoss der Schmerz durch sämtliche Adern und Muskeln und ich wollte bereits laut schreien, als er urplötzlich nachließ. Gleichzeitig durchflutete mich Leben.. Ich weiß nicht, wie ich das besser beschreiben könnte. Es fühlte sich an, als würde goldenes Leben flüssig durch meine Adern laufen. Blut rutschte beinahe beiseite und mich durchflutete eine Kraft, die ich vorher nicht kannte. Der Zylindermann sprach nicht mehr, sondern ließ mich den Moment der Wonne auskosten, ehe er sich wieder im Inneren meines Kopfes meldete: "Ich bin jetzt ein Teil von dir...Bedenke unseren Handel. Du bekommst die FÄhigkeit, die Schicksale anderer zu beeinflussen, ganz akut ihre Lebensumstände und Entscheidung. Und ich bekomme von dir eine EIgenschaft, die ich auswähle. Ist das in deinem Sinne?" Es war mir egal. ICh fühlte mich wie Gott. Als könnte ich Metall verbiegen oder einen Baum aus der Erde reißen. Wohl wissend, das nicht zu versuchen, nickte ich nur und murmelte heiser: "Ich...Wie funktioniert diese Kraft?" "Gehen wir nach draußen.", murmelte der Zylindermann. Und - schlagt mich tot, wenn nicht - ich glaubte in der Ferne meiner Gedanken ein leises, boshaftes Kichern zu vernehmen, das langsam zu einem beiernden GElächter anschwoll. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)