Seelenweltverstümmelung von Rix (England und Schottland) ================================================================================ Kapitel 1: Blumenmeer --------------------- Anmerkung der Autorin: Zum Verständnis einiger Symbole, kann man hier: http://www.infantologie.de/love/blumen.php die Bedeutungen der vorkommenden Blumen nachschauen. --------------------------------------------------------- I know who I was when I got up this morning, but I think I must have been changed several times since then. - Alice in Wonderland Die Einsamkeit zertrümmerte ihn. In einem rhythmischen Trommeln klopften schwere Regentropfen an die Fenster der Landvilla und weckten Arthur Kirkland aus seiner Lethargie. Müde schweiften grüne Smaragde über das graue Naturschauspiel, was sich außerhalb der vier Wände abspielte. Ein dunkler Schleier aus Wasser, eine bedrohliche Wolkenfront – eine bewohnte Nichtwelt im Wassersturm. Minuten verstrichen in denen er dem ganzem Spektakel beiwohnte, bis auch dies ihn zu sehr ermüdete. Ein leiser Seufzer entfloh seiner Kehle, als er seinen Kopf zurück in den Sessel lehnte und erneut seine Augen schloss. Es war einer dieser Tage. Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. Es war jener Tag. Ohne einen festen Gedanken lauschte er der Sonate des Regens und der tickenden Wanduhr, drehte dabei das von den Jahren geprägte Foto in seinen Händen. Lauschte, wartete. ...hundertzweiundsiebzig, hundertdreiundsiebzig, hundertvierundsiebzig, hunderfünfundsiebzig...noch sechshundert mehr, möglicherweise auch achthundert vergehende Regentropfen bis sie zusammen mit ihm den Abgrund erreichten. „Platsch, platsch, du bist da, plitsch, plitsch, ich bin tot“, flüsterte der Engländer zu den Geister seines Heims. Schwieg eine Sekunde, nur um dann in hysterisches Kichern auszubrechen. Unter die Sonate mischte sich nun eine neue Melodie. Jene, die von Schritten und knarzenden Dielen handelte. Zerstörte den Aufbau und veränderte die Stimmung mit einem Schlag. Die Tür zum Wohnzimmer schwang auf, kalter Wind folgte und löste jede vorhandene Regel komplett auf. In jenem Moment, wo Arthur aufblickte zu dem Ungeheuer seiner Alpträume, war die Wahrheit nur ein geschriebenes Wort und die Nächstenliebe ein Märchen aus längst vergangener Zeit. Eine sonderbare Mischung aus Angst und Wut, Frust und Freude, durchflutete den Engländer, regte in ihm die erste Gefühlsregung an jenem tristen Tag. Langsam wandte er seinen Blick von dem Monster ab, schaute abermals aus dem Fenster und schwieg zuerst. Das Monstrum selbst rührte sich nicht, stand als Monument des Schreckens mitten im Raum. Schließlich runzelte der Blonde die Augenbrauen, hob den Arm und zeigte einladend auf den Sessel ihm gegenüber. „Setzt dich endlich, moron.“ Ein abfälliges Schnauben, dennoch gefolgt von Schritten. Plötzlich warmer, nach Tabak stinkender Atem in Arthurs Nacken. Der Engländer kräuselte die Nase, starrte jedoch weiterhin aus dem Fenster. Eine kalte Hand, die durch seine Haare strich und das Kribbeln von brennendem Eis hinterließ. „Immer noch ein verwöhnter Bengel, der seine Grenzen nicht kennt, nicht wahr?“ , raunte in die tiefe Stimme drohend ins Ohr. Kalte Wellen der Furcht brandeten in Arthurs Herzen. „Nicht einmal die Welt vermag es, mich zu ändern.“ Ein bellendes Lachen ohne Inhalt der Freude war die Antwort auf seine Erwiderung, ließ sein Innerstes explodieren. „Wann wirst du nur erwachsen, Arthur?“ Endlich fasste der Engländer seinen kümmerlichen Mut zusammen und schaute direkt in die kahlen, wiesgrünen Augen des Schotten. „Wenn du ein Herz bekommst.“ Kurz vernahm er eine getroffene Regung. Vielleicht war es aber auch nur ein Hauch von Einbildung und Wunschdenken. Ohne Vorwarnung packte der Schotte nach seinem Arm. Widerstrebend beugte Arthur sich der gewaltsamen Übernahme seines Körpers. Innerhalb einer Sekunde lag seine Hand auf der Brust seines Gegenübers, spürte das regelmäßige Pochen eines Herzens. „Ein Herz besitze ich...“, sagte der Schotte leise, beugte sich jetzt ganz nah zu dem Engländer hinunter. Stirn an Stirn sahen sie sich stumpf an. „...nur eine Seele fehlt mir.“ Arthur schluckte, senkte seinen Blick. „Aber das weißt du ja...immerhin bist du ihr Mörder.“ Die Einsamkeit zertrümmerte ihn. Die Schuld fraß ihn auf. ~ „Each day begins a new journey of life, for if we awake, there is a reason.“ - Bethanie Armstrong Brechende Äste und raschelnde Blätter waren Arthurs Begleiter, während er sich einen Weg durch den dichten Wald bahnte. Über ihm zwitscherten einige Vögel ihr Frühlingslied und durch das dichte Blätterwerk brachen einzelne Sonnenstrahlen hindurch, womit sie eine einzigartige Schönheit erschufen. Jedoch war der junge Engländer blind für solch eine Schönheit. Noch fehlte ihm der Sinn Naturwunder zu würdigen, inne zu halten und sie für alle Zeit ins Herz einzuschließen. Auch die Magie, die ihn umgab, kitzelte ihn nur auf der Haut, anstatt ihn zu berühren und zu durchfließen. So ging er an jenem Tag an allen Dingen unachtsam vorbei, die später sein Leben so viel wertvoller und bedeutsamer machen würden. Seine Reise wurde von einem Ast gestoppt, der ihn heftig ins Gesicht schlug. Wütend fluchte der Blonde, fasste sich die schmerzende Stelle an. Ein paar Bluttropfen blieben an seinen dreckigen Fingerspitzen hängen, die er fasziniert und verärgert zugleich musterte. Höchstwahrscheinlich war sein gesamtes Gesicht wieder von Kratzern versehen. Dafür würde ihn der Froschkopf später bestimmt aufziehen. Aufgebracht setzte Arthur seinen beschwerlichen Weg fort. Über Stock und Stein schlängelte er sich, lief einmal rechts und einmal links herum. Je länger er lief, desto bewusster wurde ihm, dass er sich verlaufen hatte. Erschöpft sank er auf einen Stein nieder und raufte sich verzweifelt die Haare, wobei einige Blätter sich aus dem wilden Gestrüpp lösten und zu Boden segelten. Das war alles die Schuld des Franzosen. Dieser hatte ihn solange geneckt, bis er stolz und hitzköpfig, wie er nun einmal war, auf die Provokation eingegangen war. Jetzt suchte er nach einer Lichtung in einem fremden Wald, die höchstwahrscheinlich nicht existierte. „Und alles nur wegen einer bescheuerten Blume...“, nuschelte Arthur seufzend. Bei dem Gedanken an die Blume wurde der Engländer abermals unruhig. Eine Blume, die unglaubliche Macht versprach. Was man mit solch einer Macht nur alles anstellen könnte! Sofort sprang Arthur auf. Irgendwo würde er die Blume schon finden und wenn es das Letzte sein würde, was er tun würde. Gerade als er seinen Weg fortsetzen wollte, stoppte er augenblicklich wieder. Zuerst meinte er sich verhört zu haben, nur ein Seufzer des Waldes. Doch als er genauer lauschte, vernahm er erneut das seltsame Geräusch. Es war ein heller Klang, der von keinem Vogel oder Tier stammte, was er kannte. Verwirrt runzelte der Engländer die Stirn. Woher das wohl kam? Neugierig versuchte er dem Klang zu folgen. Dabei wechselte er mehrmals die Richtung, da der Klang selbst, zu wandern schien. Schließlich erreichte der Junge einen Hügel, lehnte sich außer Atem an einen Baum. Als er wieder aufblickte, erlebte Arthur sein erstes Wunder, was seine Seele berührte und ihn für immer verändern sollte. Vor ihm erstreckte sich eine kleine Lichtung mit einem Meer aus violetten Glockenblumen, wo im Inneren ein einziger Baumstumpf thronte, besetzt mit einem älteren Jungen, dessen Haare feuerrot in der Sonne leuchteten. Die Augen des Jungen waren geschlossen, während er auf seiner Panflöte eine wunderschöne Melodie spielte, die wie eine bezaubernde Magie auf Arthur wirkte. Eine Weile starrte der Engländer den Jungen nur an, nicht in der Lage sich aus dessen Bann zu entziehen. Erst als der Andere aufhörte zu spielen, die Panflöte senkte und zu ihm hinüber schaute, wurde Arthur sich seinem Körper wieder bewusst. Die wiesengrünen Augen des Jungen durchlöcherte ihn, was ihn ungewöhnlich nervös machte. Gerade als er davonlaufen wollte, streckte der Rothaarige die Hand aus. „Komm her.“ Seine Stimme war harsch und für sein Alter schon viel zu tief, zudem schwang ein Akzent mit, dem der Blonde fremd war. Dennoch lag etwas in ihr, was Arthur beruhigte. Langsam schritt er auf den Anderen zu, blieb jedoch einige Meter vor ihm stehen, nicht bereit dazu den Abstand zu verringern. Von Nahmen konnte der Engländer jetzt die zwar noch jungenhaften, jedoch schon kantigen Gesichtszüge und die einzelnen Sommersprossen des Anderen erkennen, die sich in den nächsten Jahren noch mehr ausbilden würden. Schweigend sahen sie sich an, rührten sich nicht. Schließlich war es der Rothaarige der ein wenig an die Seite rutschte und neben sich auf den Baumstumpf klopfte. „Setz' dich.“ Der Jüngere befolgte zögerlich dem Befehl, spürte sein rasendes Herz, welches drohte ihm aus der Brust zu schwingen. Irgendwas an dem Jungen machte ihn unglaublich nervös. Erneut schwiegen sie sich an, schauten beide auf das Blumenfeld vor sich. „Weißt du, wofür Glockenblumen stehen?“, fragte der Junge ihn nach einigen Minuten. Rasch schüttelte Arthur den Kopf, wurde etwas rot, weil er es viel zu heftig gemacht hatte. Was würde der Andere nur von ihm denken? Der Junge musterte ihn nachdenklich, dann huschte ein schwaches Lächeln über sein Gesicht. „Das unsere Herzen im gleichen Takt schlagen.“ Verwundert schaute Arthur zu ihm auf. „Im gleichen Takt?“ „Ja...“, der Rothaarige hob seine Panflöte zum Mund hin. „Von heute an im selben Takt.“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, fing er an erneut eine Melodie zu spielen. Fasziniert lauschte Arthur ihm und würde seine erste Begegnung mit seinem Bruder niemals vergessen. Was Arthur jedoch nicht bemerkte, war die einzige rote Rose, deren Knospen für immer verschlossen blieben in dem unendlichen Teppich aus Glockenblumen. - „Our scars have the power to remind us, that the past was real.“ - Hannibal Lecter Ein Sturm in den Herzen der Menschen gesät; geerntet durch das Blut derselbigen. Waffen klirren, gurgelnde Todeslaute, Furcht, Angst, Schrecken – ein ewiger Kreis, wo Grausamkeit an Grausamkeit reiht. Alles nur für eine Freiheit, die eine Illusion des Lebens ist und die elende Lähmung des Herzens verschweigt. Über dem allem, schwere Gewitterwolken, unterlegt von starken Winden, so als ob die Welt selbst mitkämpft oder versucht dem Ganzem ein Ende zu setzen. Auf einer erhöhten Stelle schaute Arthur Kirkland hinab auf das Gemetzel, neben ihm drohend im Wind wehend die stolze Fahne Englands. In jener Sekunde erkannte der Engländer, dass Leid, Schmerz und Tod die Herren des Lebens waren. Ebenso das ihm Letzteres immer verweigert werden würde und dies, wohl die größte Tragödie seines Lebens war: Keine Aussicht auf Erlösung. Seine glanzlosen Smaragde wandten sich von dem Geschehen ab, konzentrierten sich auf einen entfernten Punkt. Dies war nicht seine Schlacht, sondern nur die seines Volks. Eine Schlacht, die zum Scheitern geboren wurde. Seine Schlacht, seine persönliche Seelenverstümmelung bedarfte es an einem anderen Ort. Bei wem anders. Langsam schritt der Engländer den Hügel hinab, zertrat die blühenden Nelken unter seinen bleischweren Füßen. Die wenigen Meter bis zu seinem Ziel fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Eine Ewigkeit, die viel zu kurz für ewig waren. Eine geschundene Gestalt erwartete ihm am Ende seines Weges, gezeichnet vom Kampf, gefüttert mit Sieg und Niederlage, voll von Wut und Hoffnungen, zerstört von Angst und Liebe. Arthur starrte ausdruckslos auf den Schotten hinab. Allistor schaute mit unsicheren Blick zu dem Engländer empor. Für einen Augenblick spürten sie, wie ihre Herzen im Gleichtakt schlugen, wie ihre Erinnerungen zu einem Strom zusammenflossen, eine Geschichte voller Magie und Zuneigung erzählten, nur um einem Horrormärchen den Höhepunkt zu erreichen und als bürgerliches Trauerspiel zu enden. Für ein Augenblick spürten sie die Jahrzehnte ihrer Beziehung. Es dauerte nur eine Sekunde, um diese für alle folgenden Jahrtausende für immer auszuradieren. „Arthur...“, es war das erste Wort, was Allistor sagte. Und in diesem einen Wort schwangen alle seine Gefühle mit, die er empfand. All die Hoffnungen, all die suche nach Anerkennung, nach Freiheit, nach Liebe. Arthur schloss die Augen. Er konnte nicht. Er wollte nicht. Niemals. Niemals und für immer. Manchmal musste man Menschen zerstören, um sie zu befreien. Der Schotte wollte frei sein. Sein Volk wollte frei sein. Frei von ihm, von England. Nur, um ihn dann frei zu lieben. Freiheit war ein hoher Preis – und der Engländer war ihn gewillt für sie beide zu bezahlen mit seiner nächsten Entscheidung. Arthur ermordete Allistor und verriet dabei sein Herz und sein Volk in einem Atemzug. „Ergebe dich, oder ich werde dich gewaltsam auf deinen Platz am Ende der Nahrungskette zurückweisen...Brother.“ Die Augen des Schotten weiteten sich, zeigten Arthur wie alles in Allistor zerbrach. Konnte förmlich hören, wie dessen Seele vor Todesqualen schrie und das Herz klirrend zersplitterte. Nichts als Leere blieb zurück. Über ihnen brach der Himmel für einen kurzen Moment auf, nur um dann ein Netz aus Regen auf die Erde fallen zu lassen. Nach einer Weile kriegt man nicht mehr mit, wie einem die Knochen brechen...wie einem die Zähne klappern...Man konzentriert sich nur noch darauf das kleine Ding im Inneren, was man Seele nennt, festzuhalten...Der Rest ist einem egal...Den Rest nehmen sie einem sowieso... An jenem Tag gewann Allistor seine Freiheit und zahlte mit seiner Seele, die Arthur seit damals hütet und nur durch seinen Tod wieder herzugeben vermag. ~ „Find what you love and let it kill you.“ - Charles Bukowski „Es mag lebenslange Beziehungen geben...“ Verwundert schaute Arthur von seinem Wiskeyglas auf, direkt in das Gesicht des Schotten, der finster aus dem Fenster starrte. „Nur nicht für uns. Wir leben kein Leben“, mit diesen verbitterten Worten hob sein Bruder seinen Scotch an und trank ihn in einem Zug aus. Arthur senkte seinen Blick, musterte den Zipfel des verknitterten Fotos, welches er in die Seite des Sessel geklemmt hatte. „Wir mögen vielleicht kein Leben haben...“, setzte der Engländer vorsichtig an, nicht sicher, ob es ratsam wäre seinem Gegenüber zu widersprechen, wenn dieser in so einer Laune war, „...jedoch denke ich, dass wir Beziehungen über Jahrzehnte führen können. Nur anders...“ Ein abwertendes Schnauben. „Ja? Welche führst du denn?“ Die Frage war wie ein Schlag in den Magen. „Mit deinem kleinen Amerikaner? Der Franzose? Wer Arthur, wer ist an deiner Seite nach all den Jahrzehnten, die du nun schon auf dieser zum Sterben verurteilten Welt lebst?“ Schweigen. Nur der Regen, der nicht dazu fähig ist, die grausamen Erinnerungen wegzuspülen. „Niemand.“ Hände, die sich zu Fäusten ballen. „Niemand ist für dich da. Du bist ganz allein, Arthur.“ Ein von Hohn und Schmerz gefülltes Grinsen. „Du auch, Allistor. Du auch.“ Ein freudloses Lachen. „Ich habe niemals nach Nähe gesucht.“ „Nicht?“ Endlich blickte Arthur wieder auf, direkt in das Gesicht seines Bruders. „Hast du mich nicht verlassen, weil du Angst vor meiner Nähe hattest? Angst vor deinen Gefühlen für mich?“ Kurz weiteten sich die Augen vor Entsetzten, dann loderte in ihnen die altbekannte Wut. Aufgebracht stand der Schotte auf und marschierte davon. „Wohin gehst du? Wieder einen Krieg anfangen? Wieder dich freisprechen, bis du zu mir zurück gekrochen kommst und nach meiner Aufmerksamkeit suchst?!“ Allistor hielt kurz vor der Tür an. „Irgendwann Arthur. Irgendwann werde ich dich zerstören. Für dein und mein Wohl. Das verspreche ich dir.“ Er öffnete die Tür, trat heraus und schlug sie zu, was noch mehrere Sekunden in Arthurs Herz widerhallte. Erschöpft schloss dieser die Augen, griff nach dem alten Foto. Was der Schotte nicht wusste, war das der Engländer sich nichts mehr wünschte, als durch seine Hände zu sterben. Sein Tod würde die Seele seines Bruders freigeben, und oh, was konnte er sich mehr wünschen, als ein wenig Frieden in die von Kriegsnarben zerfressende Seelenlandschaft zu bringen? Auf der Lichtung fand eine einzelne blaue Winde ihren Weg durch die Erde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)