Zum Inhalt der Seite

Crossing Borders

Whitebeards Söhne
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

to spy


 

VII

Austin war ein Dschungel. Die Hochhäuser ragten wie Mammutbäume in den blauen Himmel hinauf, während die Menschen Ameisen gleich über die gepflasterten Straßen huschten.

Ace klebte mit dem Gesicht förmlich am Seitenfenster von Marcos Camry, als der Wagen sich den Weg durch die Stadt bahnte. Er hatte zuvor noch nie einen Fuß in eine derartige Metropole gesetzt. In dem kleinen Ort in dem aufgewachsen war, war kein Gebäude mehr als drei Stockwerke hoch gewesen.

„Du siehst aus wie ein Kind, das zum ersten Mal auf einem Rummelplatz steht“, bemerkte Marco neben ihm. Obwohl seine Stimme gelangweilt klang, meinte Ace Belustigung heraushören zu können. Vielleicht war es aber auch nur sein eigener Enthusiasmus, den er gedanklich auf seinen Gegenüber übertrug.

„Tja, ich war ja auch noch nie in Austin. Du etwa?“, gab Ace heiter zurück, aber ohne auch nur für eine Sekunde den Blick von den vorbeifliegenden Straßen und Menschen zu nehmen. Besonders das kleine Cafe an der Straßenecke zog seine Aufmerksamkeit auf sich, woraufhin Ace sich einen weiteren Muffin aus der Tüte auf seinem Schoß zog.

Inzwischen hielt der Camry an einer roten Ampel, bevor sie auf eine Seitenstraße abbogen, die sie in eine ruhigere Nachbarschaft brachte.

„Nein“, gab Marco schließlich zurück, so zeitverzögert, dass Ace sich anfangs nicht mehr an den Zusammenhang zu erinnern vermochte. „Übrigens solltest du die ganze Tüte nicht auf einmal verputzen“, fügte sein Gegenüber beiläufig hinzu. „Außer du hast nachher keinen Appetit mehr.“

Doch Ace schob sich dennoch den Rest des Muffins in den Mund, ehe er ein unverständliches „Stimmt, viele Geschäfte gibt es hier ja nicht mehr“ verlauten ließ.

Marco antwortete nicht, sondern fuhr den Camry einige Minuten später auf den verlassenen Parkplatz, der sich auf der Rückseite eines leerstehenden Firmengebäudes befand.

Ace’ verwirrter Blick wanderte zunächst umher, ruckte jedoch zu Marco herüber, als dieser seinen Arm packte. Kaltes Metall schloss sich um sein Handgelenk und rastete mit einem Klicken ein.

„Sorry, aber du lässt mir keine große Wahl“, entwich es Marco, als er die andere Seite der Handschellen am Lenkrad befestigte. „Ich glaub dir zwar, dass du nicht für Don Quichotte de Flamingo arbeitest, aber Glaube allein hat schon genug Menschen den Kopf gekostet.“ Diese Worte waren das einzige, woran sich Ace orientieren konnte, denn Marcos Gesicht war desinteressiert und verriet keinerlei Gedanken. Es war das perfekteste Pokerface, das Ace je gesehen hatte.

„Spätestens in ein, zwei Stunden bin ich zurück – und wisch' dir endlich die Krümel aus dem Gesicht. Wie alt bist du eigentlich?“

Trotz der Frage war Marco bereits ausgestiegen, bevor Ace den Mund öffnen konnte. Stattdessen wischte sich Ace mit dem Handrücken über die Lippen, während er Marco dabei beobachtete, wie er etwas aus dem Kofferraum holte und anschließend zur Straße zurückschlenderte. Sein Gang war nonchalant, lässig – ein klein wenig beeindruckend.

Ace wartete, bis er außer Sicht war, ehe er an den Handschellen zu ziehen begann. So hatte er sich das Absetzen in Austin nicht gedacht. „Verdammt!“, entfuhr es Ace und er fegte die Tüte mit den Muffins von seinem Schoß. Sie landete neben seinem Fuß, während Ace finster aus der Frontscheibe des Wagens auf den leeren Parkplatz hinausschaute.

Handschellen? Marco kam ihm mit Handschellen? Dachte er immer noch ernsthaft, dass er für einen Flamingo arbeitete?

Beinahe gedankenverloren hob Ace den von Marco gekauften Milchshake aus dem Getränkehalter zwischen den Sitzen und schob sich den Strohhalm zwischen die Lippen. Doch erst als der Geschmack von Vanille auf seiner Zunge explodierte, nahm er den Becher näher unter die Lupe und ein schiefes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Gab es doch noch einen Weg den Handschellen zu entkommen? Anstatt weiterhin unkoordiniert und wild an den Handschellen zu ziehen, presste er seine Finger so eng wie möglich zusammen, um zu sehen wie viel ihm fehlte, um hindurchschlüpfen zu können. Die Handschelle saß lockerer als erwartet, obwohl Ace nicht zu sagen vermochte, ob Marco sich dabei etwas gedacht hatte oder seine eher feingliedrige Hand nicht mit eingerechnet hatte. Doch was auch immer der Grund war, Ace konnte es zu seinem Vorteil ausnutzen.

Ace zögerte nicht lang, als er den Deckel des Milchshakes öffnete und ein wenig des dickflüssigen Inhalts über sein Handgelenk kippte. Es war so kalt, dass sich Ace die Nackenhaare aufstellten und sich Gänsehaut auf seinem Arm ausbreitete. Beide ignorierte er und begann lediglich damit sein Handgelenk von links nach rechts zu drehen, um seinem Gefängnis zu entkommen. Es war erstaunlich, wie gut es funktionierte, obgleich er die Idee nur aus Filmen kannte. Ruffy und er hatten sich als Kinder viel zu oft im Kino herumgetrieben, als dass er das nicht wusste.

Sein befreites Handgelenk trocknete er mit einem T-Shirt aus seinem Seesack ab, der auf dem Rücksitz saß, ehe er einen Blick auf das Chaos warf, welches er angerichtet hatte. Nicht nur das Lenkrad hatte einiges von dem Milchshake abgekommen, sondern auch der Fahrersitz und das Armaturenbrett. Wahrscheinlich würde Marco nicht begeistert sein, was Ace jedoch mit einem Schulternzucken abtat, bevor er sich aus dem Camry schob.

Wenn er Marco einholen wollte, musste er sich beeilen, so viel stand fest. Wirklich festlegen, weshalb er das eigentlich vorhatte, konnte Ace sich allerdings nicht. Vielleicht hing es mit dem zerknitterten Zettel in seiner Hosentasche zusammen, den er hervorzog, als er den Parkplatz überquerte. Auf ihm war eine Adresse verzeichnet, die er sich gestern Nacht abgeschrieben hatte. Klammheimlich und in der Dunkelheit, nachdem er beinahe über seine eigenen Füße gestolpert und mit dem Boden Bekanntschaft gemacht hätte. Für gewöhnlich respektierte er die Privatsphäre anderer Leute – zumindest ein bisschen – doch bei Marco hatte er eine Ausnahme gemacht. Immerhin war dieser ein Sohn Whitebeards und obwohl Ace laut seines Großvaters oftmals auf der Leitung stand, so war es ein Kinderspiel eins und eins zusammenzuzählen. Das ergab in Ace’ Kopf, dass Marco aufgrund von irgendetwas oder irgendjemandem nach Austin gekommen war. Es roch nach Gefahr, nach einem Abenteuer.

Ace’ Schritte wurden schneller, bis er zu joggen begann. Die Straße, in der das Firmengelände lag, war verlassen. Sie war auch nichts weiter als eine der unzähligen Seitenstraßen, durch die sie gefahren waren. Ein Blick umher ließ Ace unschlüssig, in welche Richtung Marco nun gegangen war. „Links oder rechts?“, murmelte er, ehe er bereits mit den Schultern zuckte und eine beliebige einschlug. Sollte es sich als falsch herausstellen, konnte er genauso gut umkehren und zurückgehen.

Sein Weg führte ihn zu einer recht befahrenen Straße, die jedoch genauso bewaldet war wie der Parkplatz es zuvor gewesen war. Scheinbar hatte sich Ace in der Annahme, dass Texas lediglich aus Wüste bestand, geirrt. Immerhin bestand die Gegend nicht nur aus ein paar Sträuchern, sondern hohen Bäumen, hinter denen nur noch die Hochhäuser von dem Herz der Stadt aus sie übertrumpften und klein wirken ließen.

Doch Ace’ Augen hefteten sich sogleich an eine Frau, die den Bürgersteig mit ihrem Dachshund entlang geschlendert kam. Die Nase des Hundes klebte am Asphalt, als er die verschiedensten Gerüche aufnahm, während sein Herrschen sich eine Sonnenbrille auf die Nase schob.

„Entschulden Sie bitte“, entrann es Ace, als er auf sie zukam. „Aber können Sie mir sagen, wie ich zu dieser Adresse komme?“ Er hielt ihr den Zettel entgegen und sie schob die Sonnebrille etwas höher. Die Nase ihres Hundes stupste derweil gegen Ace’ Oberschenkel, bevor er seinen Kopf tätschelte.

„Ach, das ist ganz in der Nähe. Fünf Minuten von hier vielleicht“, sagte die Frau mit den weißblonden Haaren. Sie deutete mit einer Hand über ihre Schulter zu der Richtung, aus der sie gekommen war. „Einfach die Straße herunter. An der Kreuzung links, dann die erste Seitenstraße rechts und das zweite Wohnhaus, wenn ich mich nicht ir—“

Ehe die Frau jedoch geendet hatte, war Ace bereits um sie herumgerannt und setzte seinen Weg in einem schnellen Lauf fort. Nur kurz warf er noch einen Blick zurück und hob die Hand. „Danke!“

Die Frau sah ihm skeptisch nach, begann jedoch zu lächeln, bevor Ace sie und ihren Hund aus den Augen verlor, indem er die Straßenecke umrundete.

„Sie war richtig nett gewesen...“, sagte er zu sich selbst, als er weiterlief. Seine Schritte waren schnell, aber trotz der Umstände nicht gehetzt. Er war nicht einmal außer Atem, als er die nächste Kreuzung ansteuerte, an der zwei Wohnsiedelungen anfingen. Welche Richtung sollte er nun noch einmal einschlagen? Links oder doch rechts? Mist, was hatte die Frau noch mal zu ihm gesagt? Wie hatte er das bloß vergessen können? Sein Blick zuckte hin und her, wanderte über die Straßen, die bis auf einige geparkte Autos vollkommen leer schienen. Natürlich war sie es jetzt, als Ace abermals nach jemandem suchte, der ihm den Weg zeigen konnte.

In dem Moment, in dem er jedoch auf die glorreiche Idee kam, einen Blick auf die Straßenschilder zu werfen, zog eine Bewegung in den Augenwinkeln seine Aufmerksamkeit auf sich. Ace’ Kopf ruckte herum, doch ein violettes Stück Stoff war alles, was er noch erkannte, bevor der Besitzer des offenen Hemdes in einem der Wohnhäuser auf der rechten Seite verschwand.

Wie angewurzelt blieb Ace stehen, er stemmte lediglich die Hände in die Hüften, als er das Haus anstarrte. Das war Marco, nicht wahr? Nur er trug diese seltsamen Hemden, die sich farblich mit dem Rest seiner Kleidung bissen, aber es zeitgleich irgendwie schafften, hipp zu wirken.

Instinktiv sah Ace an sich selbst herunter und begutachtete das schwarzgelbkarierte T-Shirt, welches er heute morgen angezogen hatte. Dabei kehrten seine Gedanken zu Marco zurück. Konnte er das wirklich gewesen sein? Hatte Ace es irgendwie geschafft, ihn einzuholen? Doch Ace zuckte gelassen mit den Schultern, bevor er losjoggte. Das würde er wohl nicht herausbekommen, wenn er weiterhin nutzlos herumstand.
 


 

VIII

Die Tür zum Hauseingang wurde von einem Stein aufgehalten, weshalb Ace ohne jegliche Mühe ins Innere spazieren konnte. Briefkästen reihten beide Seiten des Hausflures, während der Geruch von Essen eindeutig in der Luft lag.

„Tacos...“, ging es Ace durch den Kopf, als er die Hände in die Hosentaschen seiner schwarzen Dreiviertelhose schob und die Treppe erklomm, die in die höheren Stockwerke führte. Auch dieses Gebäude war dreistockig, ähnlich wie die meisten in seiner Heimatstadt. Nicht, dass er damals mit seinem Großvater und Ruffy in einem Apartment gewohnt hatte. Garp hatte immer gesagt, dass er froh sei, dass er sich sein Haus gekauft hatte, weil er es auf kleinstem Raum mit ihnen nicht ausgehalten hätte. Diese Erinnerung trieb Ace ein Grinsen auf die Lippen. Wie oft hatte Garp damit gedroht, sie zur Adoption freizugeben? Diese Worte hatten Ace seine gesamte Kindheit begleitet, auch wenn der alte Mann nie danach gehandelt hatte. Dabei hätte Ace es ihm nicht verübeln können. So ignorant, als dass er nicht wüsste, dass er seinem Großvater einige Probleme gemacht hatte, war er nicht. Schlägereien hatten bei ihm während der Schulzeit an der Tagesordnung gestanden. Anfangs bedurfte es nur der Erwähnung seines Erzeugers, damit er die Kontrolle über sich verlor, später hatte er sich dagegen eher über die Kinder und Jugendlichen hergemacht, die der Meinung gewesen waren, Ruffy ärgern zu müssen. Sein Cousin war anders als er, naiver und lebenslustiger... und einfach besser als Ace selbst.

Ein Klopfen riss ihn aus seiner Nostalgie und brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Er hielt augenblicklich in seinem Schritt inne, um der nachfolgenden Stille zu lauschen. Das Geräusch war aus dem obersten Stockwerk gekommen, dessen war sich Ace sicher, da er sich in diesem Moment im ersten aufhielt. Es war zu weit entfernt gewesen, als dass es direkt von über ihm kommen konnte. Es bedurfte auch nur ein paar Sekunden bis er vernahm, wie das Schloss und die dazugehörige Tür geöffnet wurde. Gefolgt war es von einem Poltern und einem Klicken – Garp hatte Ruffy und Ace zu oft zum Schießstand geschleppt, so dass er das Entsichern einer Pistole überall herauserkennen würde.

Ace schlich langsam weiter und die Stufen zum zweiten Stockwerk hinauf. Er tat es so leise wie er konnte, da die Wände jegliche Laute wiedergeben würden.

„Marco...“, konnte er eine atemlose Stimme vernehmen.

„Halt den Mund, Bellamy. Keinen Ton.“ Gefolgt waren diese Worte von einem weiteren Poltern und dem Zuschmeißen der Haustür.

Stille folgte, in der sich Ace weiter vorwagte. Es war also doch Marco gewesen, den er gesehen hatte, und es war doch ein Auftrag, weshalb er all den Weg von Florida nach Texas gefahren war. Er hatte recht gehabt.

Ein Schmunzeln schlich sich auf sein Gesicht, welches von Sommersprossen besäht war. Sein alter Herr würde ihn umbringen, wenn er gewusst hätte, wo er sich aufhielt – vor allem aber, mit wem er hier war. Wahrscheinlich würde er an die Decke gehen und tatsächlich den Herzinfarkt bekommen, den Ace ihn an so manchen Tagen an den Hals gewünscht hatte. Besonders an denen, an denen er Ruffy und ihn herumgescheucht hatte, um sie physisch fit für die Prüfung an der Polizeiakademie zu bekommen. Es hatte sich ausgezahlt, da Ace am Ende tatsächlich angenommen worden war. Mit seiner Vergangenheit war er dort jedoch genauso unbeliebt wie damals auf der Schule gewesen. Niemand wollte etwas mit dem Sohn eines dreifachen Mörders zu tun haben. Dank diesem Mistkerl, der sich seinen Erzeuger schimpfte, war er gebrandmarkt – obwohl sich ihm zeitgleich die Frage aufschlich, ob er nicht auch ohne diesen wertlos gewesen wäre. Hatte denn jedes Leben einen Sinn? Ace war sich da nicht sicher und alles was sein Großvater gesagt hatte, als Ace ihn danach gefragt hatte, war dass das jeder für sich selbst herausfinden musste. Aus diesem Grund hatte Ace die Polizeiakademie auch verlassen anstatt dort weiter seine Zeit zu verschwenden. Und nun war er hier, vor dieser Tür, die in die Wohnung von diesem Kerl führte, den Marco Bellamy genannt hatte.

Da war kein Zögern oder Hadern in seiner Bewegung, als Ace leise den Knauf drehte, um die Tür unverschlossen vorzufinden. Erstaunlich war es nicht, denn es hatte nicht danach geklungen, als hätte sich jemand die Zeit genommen, um das Schloss davor zu schieben. Gut für Ace.

Dieser schob sich auf leisen Sohlen ins Innere des Apartments, welches mit Musik erfüllt war. Eine rockige Melodie lag in der Luft, der Ace keinen Namen geben konnte und die bis draußen nicht hörbar gewesen war. Ace’ Fuß wollte instinktiv mitwippen, doch anstatt diesem Impuls nachzugehen, schlenderte Ace weiter, wobei er in die Zimmer hineinlugte, an denen er vorbeikam. Für gewöhnlich war es nicht seine Art, einfach in fremde Wohnungen einzutreten ohne sich bemerkbar zu machen oder auf die Einladung des Besitzers zu warten. Allerdings war es fraglich, ob dieser die Zeit und die Lust hatte, sie ihm zu gewähren. Ace bezweifelte es.

Abermals vermochte er ferne Stimmen zu vernehmen, die sich mit der Musik vermischten, auch wenn der verärgerte Unterton nicht von ihr verschluckt werden konnte.

„Wo ist das Geld?“, fragte Marco, gerade laut genug, so dass sich Ace diese Worte mehr zusammenreimen konnte als alles andere.

„Haha, bist du behindert?“ Die Stimme von diesem Bellamy war einige Oktaven lauter, schriller. „Du stürmst hier so einfach rein, hältst mir dein Spielzeug unter die Nase und glaubst dann, dass ich es dir verraten werde?“ Ein kehliges Lachen drang aus seiner Kehle, während Ace die letzten Meter bis zum Wohnzimmer hinter sich brachte. Ohne einen Mucks von sich zu geben lugte Ace um den Türrahmen herum. Aus dem Flachbildfernseher an der Wand spielte die Musik, davor stand ein langes Designersofa, auf dem Marcos Gegenüber Platz genommen hatte. Seine dunkelblonden Haare standen wild ab, deuteten auf eine durchzechte Nacht hin und über seinem linken Auge trug Bellamy eine Narbe, die unsaubere Nähte zeigte. Zusammen mit seinem breiten Grinsen und der vorwitzigen Zunge, die immerzu über seine Lippen fuhr, wirkte er tatsächlich wie einer der Gangster aus einem Hollywood-Actionstreifen.

Marco hingegen schien davon nicht sonderlich beeindruckt, soweit Ace das beurteilen konnte. Die Mündung seiner Pistole zielte zwar auf den bequem sitzenden Bellamy, doch sein Blick wanderte durch das zugestellte Zimmer. Er riss eine Schranktür nach der nächsten auf, zog die Schubladen der Kommode auf und kramte in ihnen herum. „Da ich ziemlich sicher bin, dass es irgendwo in der Wohnung ist, kann ich uns das auch ersparen und dich gleich erschießen“, kam es im ruhigen Ton über Marcos Lippen, ein Auge stets auf seinen Gegner gerichtet. Bellamy mochte wie der typische Gangster wirken, doch Ace bekam den Eindruck, dass es Marco mit seinen violetten Hemden und seiner seltsamen Frisur war, der ihn tatsächlich wiederspiegelte. Zumindest verkaufte er sich verdammt gut. Der Kerl war cool, daran bestand kein Zweifel.

Nur Bellamy schien das anders zu sehen, der ein verächtliches Schnauben von sich gab und den Kopf in den Nacken warf, als würde ihn die gesamte Situation köstlich amüsieren.

Und obwohl Ace die beiden gern weiter beobachtet hätte, schob er sich ein paar Schritte rückwärts, weg von dem Wohnzimmer. Marco hatte alles unter Kontrolle und er würde einfach vor der Tür warten und ihn dort abfangen. Vielleicht würde er ihm dann glauben, wenn er sagte, dass er nichts mit diesem komischen Vogel zu tun hatte, mit dem Marco ihn stets zu assoziieren versuchte.

„Wenn du mich umbringen wolltest, hättest du das längst getan“, erwiderte Bellamy in der Zwischenzeit. „Ihr Penner seid doch viel zu weich dafür. Das hab ich ja gleich bemerkt, als ich bei euch eingestiegen bin.“ Ein raues Lachen ertönte daraufhin. „Mit offenen Armen habt ihr mich empfangen. Total blauäugig ist euer alter Mann und—“

Mit der Hüfte stieß Ace gegen den schmalen Schrank hinter sich, als er sich umdrehte. Das Poltern ließ Bellamy innehalten, nur noch die rockige Musik drang aus dem Wohnzimmer. Ace hielt instinktiv den Atem an, gefror in seiner Haltung, als würden sie ihre ohnehin einseitige Unterhaltung fortführen, wenn er nur lange genug warten würde.

Doch dem war nicht so. Stattdessen knarrte eine Diele hinter ihm und Marcos Stimme ertönte. „Ace.“ Es war keine Frage, sondern lediglich eine Feststellung, wobei der Ton des anderen nicht verriet, wie er über diese Begegnung dachte.

Grinsend blickte Ace über seine Schulter, ehe er mit dieser zuckte. „Hey. Ich hätte ja geklopft, aber ich wollt euer kleines Wiedersehen nicht stören.“

Beide Männer starrten sich an, bis Marco die anfangs auf Ace gerichtete Waffe senkte. Nicht genug, um ihn nicht mehr als Zielscheibe verwenden zu können, doch ausreichend, um Zweifel anzudeuten. Glaubte Marco etwa noch immer, dass Ace für diesen Flamingo arbeitete? Unwillkürlich verengten sich Ace’ Augen bei diesem Gedanken.

„Sollte ich fragen, wie du den Handschellen entkommen bist?“, fragte Marco aber doch nur passiv. „Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich es überhaupt wissen will.“

Ace öffnete den Mund, um zu einer Antwort anzusetzen, als Bellamy hinter Marco im Türrahmen auftauchte. Lautlos war er um die Ecke geschlichen und warf sich nun blitzschnell auf Marco. Beide Männer gingen krachend zu Boden, Bellamy mit seinem Gewicht seinen Gegner auf den Boden fesselnd. Die Pistole war Marco aus den Fingern gerutscht und lag außerhalb seiner Reichweite zu Ace’ Füßen. Anstatt zu versuchen an sie heranzukommen, stieß Marco Bellamy seinen Ellenbogen in den Magen und nutzte die Chance, um diesen von ihm herunterzustoßen und sich auf den Rücken zu wälzen. Doch Bellamy ließ sich nicht abschütteln. Auch jetzt trug er ein schräges Grinsen auf den Lippen, als er sich von dem Schlag in die Magengrube erholt hatte und abermals auf Marco losging. Selbst der Fausthieb, der sein Kinn streifte, hielt Bellamy nicht auf. Er schüttelte den Schmerz ab, als wollte er eine lästige Fliege vertreiben, während seine Hände sich um Marcos Hals schlossen, ihm die Luft abschnürten. Ein Ächzen ertönte, bevor Marco keinen Ton mehr von sich gab und lediglich sein Gegenüber erfolglos wegzustoßen versuchte.

Und Ace riss sich aus seiner Starre, um die Pistole aufzuheben. Jeglicher Gedanke war aus seinem Kopf gewischt und sein Instinkt hatte die Kontrolle an sich gerissen, als er den Lauf hob, den Finger am Abzug. Der Schuss war unglaubwürdig leise, von dem heraufgeschraubten Schalldämpfer verschluckt, und ließ Bellamy nach hinten zucken. Sein wilder Blick löste sich von Marcos verzerrtem Gesicht und erfasste Ace, als sich der rote Fleck auf seinem T-Shirt ausbreitete. Weiter und weiter, bis die Pistole aus Ace’ plötzlich tauben Fingern fiel und mit einem dumpfen Geräusch auf dem Holzboden aufschlug – gefolgt von Bellamys Körper.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Beta: abgemeldet Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ysaye
2013-04-21T08:09:27+00:00 21.04.2013 10:09
Hallo Votani,

das war nicht als persönliche Kritik gemeint. Ich wollte lediglich die Leser und Autoren darauf aufmerksam machen, dass sie in Zukunft etwas genauer darüber nachdenken sollten, wann sie welche Wortwahl verwenden.

Dass Bellamy so was sagen würde von seinem Charakter her, stimmt schon. Aber vielleicht könnte man in diesem Falle eine entsprechende Notiz im "Autorenkommentar" reinstellen, damit klar ist dass sich der Autor persönlich von dieser Redewendung distanziert.

Es tut mir leid, dass du dich dadurch persönlich angegriffen gefühlt hast - das war ganz sicher nicht so beabsichtigt. Ich konnte es aber nicht einfach so stehen lassen, dass "behindert" als Schimpfwort verwendet wurde. Ich hatte daher die Form des Kommentars gewählt, um nicht nur dir, sondern auch den anderen Lesern und Autoren diese Problematik etwas bewusster zu machen.

In diesem Sinne: Frieden, einverstanden?

Liebe Grüße, Ysaye
Von:  Peacer
2013-04-10T13:23:04+00:00 10.04.2013 15:23
Yay, endlich kommen die Handschellen und der Milchshake zum Einsatz. :D Hört sich auf jeden Fall plasuibel an, so wie du es geschrieben hast, genau wie die Verfolgung Marcos. Ein bisschen Zufall darf da ruhig sein. Ich finde es auch lustig, dass Ace die Wegbeschriebung gleich wieder vergisst. xD
Und dann Marco vs Bellamy fand ich auch klasse, konnte mit die Konfrontation richtig gut vorstellen. Und Ace, der Tollpatsch, tztz. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob Marco Bellamy wirklich aus den Augen gelassen hätte. Aber nun gut, Ace hätte ja auch Bellamys Verbündeteter sein können, und die Überraschung, ihn da zu sehen erklärt es auch. xD
Und ich mag das Handgemenge, vor allem aber natürlich wie Ace Marco rettet. Und ich finde es schön geschrieben, dass du seinen Gemütszustand mit den tauben Fingern andeutest. :D
natürlich freue ich mich jetzt umso mehr auf das nächste Kapitel und Marcos Reaktion. :)
Von:  Ysaye
2013-04-09T08:37:35+00:00 09.04.2013 10:37
Ooops... da hat Ace ja ganz schön was angerichtet. Wie kommen sie jetzt aus diesem Schlamassel wieder raus?

Ich mag deine Geschichten sehr, Votani. Aber in dem heutigen Kapitel war ein Punkt drin, der mich doch enorm geärgert hat: dass du Bellamy sagen hast lassen: „Haha, bist du behindert?“

Ich persönlich finde es überhaupt nicht lustig, wenn Leute so völlig gedankenlos "behindert" als Schimpfwort verwenden, weil ich selbst eine Körperbehinderung habe.

Könntet ihr (und damit meine ich ALLE in diesem Forum) bitte die Verwendung des Wortes "behindert" als Schimpfwort in euren FFs und auch in eurer Alltagssprache unterlassen!!??? Auch die Form b*** will ich nicht sehen, da man dennoch erkennt, was gemeint ist.

Uns, die wir tatsächlich im klassischen Sinne "behindert" sind und täglich mit den Folgen, die all die unterschiedlichen körperlichen und geistigen Einschränkungen mit sich bringen, leben müssen, tut diese beiläufige Verunglimpfung nämlich verdammt weh.

Wir wollen nicht bemitleidet werden, sondern wir versuchen, aus eigener Kraft trotz aller unserer Probleme unsere Leben mit viel Spaß und Engagement zu leben und sind meiner Meinung nach zu Recht stolz darauf, wie viel wir trotz oder gerade wegen unserer Behinderung alles erreichen können. Wir brauchen lediglich in einigen Bereichen ausgleichende Unterstützung, wie z.B. Hörhilfen, Prothesen, Hilfskräfte und etwas Rücksicht und Hilfsbereitschaft unserer Mitmenschen, die bereit sind sich unseren Bedürfnissen etwas anzupassen und uns als ansonsten ganz normale Mitmenschen akzeptieren.

Was wir GANZ SICHER NICHT BRAUCHEN, ist die beiläufige Gedankenlosigkeit, mit der ihr unsere Leistungen und Probleme herabwürdigt und uns in eine Schublade steckt. Denn diese Gedankenlosigkeit verletzt fast noch schlimmer als offene Feindschaft.

Es ist, als wäre jeder, der auch nur im leichtesten Sinne behindert ist, dumm, unfähig, hilflos und man könne ohne Weiteres mit ihm seine Scherze treiben.

Ich will jetzt nicht mit der Einstellung der Nazis gegenüber Behinderten und deren "Euthanasie" kommen, weil das in diesem Zusammenhang eindeutig übertrieben ist. Aber die Grundlage für deren Gedankengut war genau diese Einstellung, die ihr an den Tag legt, und die Ausführung konnte nur darum so ohne weiteres protestlos durchgeführt werden, weil sich über das Schicksal und Leben der Behinderten schlicht niemand jemals Gedanken gemacht hat.

Bitte denkt in Zukunft genauer über eure Sprachwahl nach, bevor ihr etwas sagt oder schreibt. Denn mit der Sprache formen wir stets die Welt und die Gesellschaft um uns herum; sie ist der Rahmen und Ausdruck unserer Gedanken und etwas beiläufig oder absichtlich Ausgesprochenes kann oft viel tiefer treffen als jeder körperliche Schlag.

Bitte denkt daran, wann immer ihr etwas sagt.

Liebe Grüße,

Ysaye
Antwort von:  Votani
09.04.2013 20:36
Um das noch mal offiziell zu machen: Sicherlich liegt es nicht in meiner Absicht irgendjemanden mit meinen Texten zu beleidigen oder zu verletzten. Das war sicherlich nicht meine Absicht – und wenn das geschehen ist, tut mir das ehrlich leid.
Ändern werde ich es aber nicht, da meiner Meinung nach ein Unterschied zwischen der Stimme des Autors und der des Charakters besteht. Bellamy ist ein Arschloch und ihm ist es egal, ob er irgendjemanden beleidigt oder nicht. Daher trau ich ihm diesen Ausdruck sehr wohl zu. Das hat nichts mit meiner Wortwahl zu tun, die ich an den Tag lege, oder ob ich nun auf jemanden heruntersehe oder ihn bemitleide und jemand mit einer Behinderung für dumm/hilflos etc. sehe. Dieser Satz sagt rein gar nichts darüber aus.
Wie gesagt, unter Umständen hätte ich das auch gern geändert, aber nicht nachdem man mir so einen Kommentar hinklatscht, der zeitgleich scheinbar auch Kritik für andere Autoren und Geschichten etc. beinhaltet. Das gehört in dieser Art und Weise hier einfach nicht hin. Trotzdem tut es mir noch mal leid, dass dich das getroffen hat. Ich wünschte nur, du hättest deine Kritik konstruktiver verpackt anstatt mir als Person Dinge zu unterstellen, die so einfach nicht zutreffen.


Zurück