Deine Freundschaft hilft mir aber nicht! von goldpetal ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 - Seifenblase. ----------------------------------- Kapitel 3 – Seifenblase. In den nächsten Wochen waren Sakura und ich nur zusammen zu finden. Sie aß auch wieder, selbst wenn es nur wenig war, immerhin etwas. Mein Vater hatte mir erlaubt für zwei Wochen bei Sakura zu übernachten. Manchmal war er einfach der beste Vater der Welt. Manchmal war er allerdings auch wahnsinnig streng, was jedoch nicht in diese Geschichte gehört. „Sakura, komm, wir gehen baden!“, rief ich ihr fröhlich zu, denn es war August, das Thermometer zeigte annähernd achtundzwanzig grad Celsius an und es war schwül. Ich selbst trug nur ein bauchfreies Top und darunter meine Lieblingshotpants, doch Sakura hatte selbst bei dieser Hitze noch eine Sweatjacke angezogen. „Sakura-chan, alles klar bei dir?“, fragte ich sie besorgt, doch sie nickte bloß knapp und wandte sich dann von mir ab. Die rosahaarige setzte sich unter den Baum in ihrem Garten, um etwas Schatten zu ergattern. Sie war feuerrot im Gesicht und der Schweiß rann ihr von der Stirn, doch sie machte keine Anstalten, die hellgraue Jacke auszuziehen. Ich ging zu ihr und lies mich genau vor ihr ins Gras fallen, während ich ihr in die Augen sah. Sie waren noch leicht gerötet, von einem Tränenausbruch an diesem Morgen, doch ansonsten sah Sakura völlig normal aus. Ich streckte meine hand aus und wollte ihr Handgelenk packen, um sie hoch zu ziehen, doch kaum hatte ich den Bund des Jackenärmels berührt, zog sie ihren Arm auch schon ruckartig weg und fauchte mich an, ich solle sie nicht anfassen. Sie fing sich einen weiteren besorgten Blick meinerseits ein, dann rappelte sie sich hoch und zischte leise auf, als ihr linkes Handgelenk umknickte. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, immerhin kam es öfter vor, dass jemand umknickte, dennoch ging ich in das Haus zurück und zog Sakura an ihrem Ellbogen mit mir. „Wenn wir schon nicht schwimmen gehen. Drinnen ist es kälter.“, brummte ich. „Jaja“, kam es abfällig von Sakura. Das erste, was sie an diesem Mittag überhaupt sagte. Wut kochte in mir hoch „Jaja? Sakura! Jetzt reiß dich zusammen!“, fauchte ich und schüttelte sie an den Schultern „Mädchen, rede mit mir!“ Sakura drehte ihren Kopf zur Seite „Nein. Das geht dich nichts an. Du verstehst es eh nicht.“ „Ich verstehe was nicht, hm? Wenn du es nicht versuchst, dann werde ich es natürlich nicht verstehen!“, rief ich wutentbrannt und lies Sakura los „Ich will dir doch nur helfen.“ „Zum helfen muss man aber erst das Problem verstehen! Und du kannst das nicht. Du kannst mir nicht helfen, Ino! Niemand kann das!“, brüllte Sakura, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und in ihr Zimmer stolzierte, wo sie sich einschloss. Das Bild vor meinen Augen wurde unklar und ich spürte, wie sich Tränen auf meinem Augenlid ansammelten, bevor ich die Lider zusammenlegte und die Tränen fließen lies. Warum erklärte sie mir denn nichts? Immer nur dieses „Du verstehst es eh nicht“ oder „Ich komm alleine damit klar.“ Ich wollte ihr doch nur helfen, aber es ging einfach nicht. Sakura ließ mich nicht an sich heran. Wie sollte ich sie denn verstehen, wenn sie mir nichts erklärte? Wollte sie überhaupt verstanden werden? Ich kaute auf meinen Haaren und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich hatte mir vorgenommen Sakura zu helfen, also schaffte ich das auch. Ich ging zu ihrer hölzernen Zimmertür und hob die Hand, um zu klopfen, als ich ein leises schluchzen vernahm. Weinte Sakura etwa auch? Ich wurde neugierig und ließ meine Hand sinken, mein Ohr legte ich an das Schlüsselloch von Sakura. Sie zerriss etwas Papierähnliches und schluchzte leise, während sie vor sich hin fluchte. Es klirrte und man hörte ein deutliches „Scheiße“ durch die Tür, bevor ein weiterer Metallischer Gegenstand auf den Boden fiel. Ich wusste nicht recht, was ich machen sollte. Oder was sie da gemacht hatte. „Sakura, alles ok? Hast du irgendwas kaputt gemacht?“, rief ich durch die Tür. „Nein. Alles gut.“, kam dumpf durch die Barriere zurück. „Kannst du mir meinen Schminkkoffer bringen? Der liegt im Badezimmer.“ „Ähm… ja?“, antwortete ich leicht verwirrt, bevor ich mich aufmachte und Sakuras Schminkkoffer zu holen, der zeitweise über einen Kilo Gewicht auf die Waage gebracht hatte. Als ich das silberne Köfferchen diesmal anhob, war es erstaunlich leichter geworden. Ich schüttelte die Aufbewahrungsbox und hörte etwas klappern. Normalerweise interessierte ich mich nicht für Sakuras Make-up Bestand, doch aus einem mir noch immer unerfindlichen Grund wurde ich neugierig. War es, weil der Koffer leichter war? Oder wegen dem klappern? Vielleicht konnte man die Neugierde auch Sakuras ungewöhnlichem Verhalten zuschreiben. Höchstwahrscheinlich war der Grund eine Mischung aus den drei Fragen. Ich weiß es jedenfalls heute noch nicht. Ehe ich mich versah hatten meine Finder den Koffer geöffnet und mir fiel ein Schwall an Verbandsmaterial, Vitamintabletten und Diätpillen entgegen entgegen. Und – inmitten der Mullverbände, Kompressen und Tablettenverpackungen – lagen mehrere Rasierklingen, sorgsam in Plastiktütchen gepackt. ’Sakura…’, schoss mir durch den Kopf, bevor ich den Koffer zuschnappen lies und mich vor Sakuras hölzerne Zimmertür setzte. „Sakura-chan? Ich hab den Koffer.“, sagte ich. Zwar leise, aber dennoch laut genug, damit sie es vernehmen konnte. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen und zwei bleiche Bene stellten sich vor mein Gesicht. Ich blickte an ihr hoch und mir wurde durch diese Perspektive schrecklich bewusst, dass Sakura wahnsinnig dünn geworden war. In nur vier Wochen. Ihre Kniescheiben traten stark hervor, man konnte das sogar durch ihre blickdichten Strumpfhosen sehen, die sie schon immer gerne getragen hatte. Auch ihr Gesicht war kantiger geworden und aus meiner Bodenperspektive erkannte man, dass es schon leicht eingefallen war. Ich hielt ihr das Köfferchen entgegen und stand auf. Ohne eine Aufforderung setzte ich mich auf ihr Bett und verschränkte die Arme voreinander. Sie selbst runzelte langsam ihre Stirn und schloss ihre Tür hinter sich, bevor sie scheinheilig fragte „Was ist denn, Ino?“ „Sag mal, warum ist den Koffer so leicht? Wo ist denn das ganze Make-up hin?“, fragte ich ebenso unbekümmert. Was Sakura konnte, konnte ich schon lange. Sie riss kurz ihre jadegrünen Augen auf und ihr Blick huschte zu dem Köfferchen, welches ich noch immer in meiner Hand hielt, bevor sie sagte „Make-up hat auch ein Verfallsdatum. Ich hab aussortiert.“ Von meiner Seite kam keine Reaktion. Ich sah sie schlicht und ergreifend an und wusste, dass sie bald mit der Wahrheit herausrücken würde, denn in dieser Hinsicht waren wir uns wahnsinnig ähnlich. Kurz darauf trippelte Sakura schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und wandte ihren Blick von mir ab, um aus dem Fenster zu sehen. „Sakura?“ „Du verstehst es eh nicht. Du kannst es nicht verstehen. Du willst es nicht verstehen.“ Schon wieder. Warum musste ich mir immer vorwerfen lassen, dass ich es nicht verstehen würde? Ich wollte es verstehen, also hätte sie es wenigstens versuchen können! Erneut spürte ich, wie die Wut in mir aufstieg. Ich riss das Köfferchen auf, entnahm die Verpackungen und schmiss sie ihr entgegen „Sollen die dir helfen? Vitamintablette, damit du nicht abklappst? Diätpillen damit du keinen Hunger hast?!“, brüllte ich, während ich aufstand und einen Schritt auf sie zuging. „Sollen sie dir helfen, wenn du dich tothungerst?! Willst du das wirklich? Ist das dein Ernst, Sakura?“ Sie begann zu weinen, doch es tat mir nicht leid. Ich war sogar froh darüber, dass sie weinte. Das hieß, sie bereute es. Hoffte ich jedefalls. „I… Ino, lass es sein.“, jammerte sie, doch ich dachte nichteinmal daran aufzuhören. Das nächste was ich aus dem Koffer riss waren die Plastikbeutelchen mit den Rasierklingen. Ich hielt sie hoch und schrie Sakura an „Und das, hm? Was soll das? Es ist mir egal, wofür du die hast, aber ich denke nicht, dass sie nur da drinnen liegen, falls die aus deinem Rasierer stumpf werden!“ Während ich das gesagt hatte, war ich näher an Sakura herangetreten und stand nun direkt vor ihrem verschreckten Gesicht. Ich konnte zusehen, wie sich auf ihrem Augenlid eine Tränenkuppel bildete und kurz darauf zerbarst, als sie ihr Auge schloss und murmelte „Wenn du’s unbedingt wissen willst. Dann lasse ich eben deine Seifenblase platzen.“, bevor sie die Ärmel ihrer Sweatjacke hochzog. Sakura hatte recht gehabt. Ich konnte es nicht verstehen. Doch das war mir in diesem Moment völlig egal gewesen, ich wollte ihr einfach nur helfen. Ich wäre womöglich gestorben, wenn des der einzige Weg gewesen wäre, um sie zu retten. Sie hatte auch mit dieser ’Seifenblase’ gnadenlos ins Schwarze getroffen. Ich habe lange in einer Seifenblase gelebt. Alles war gut, alles war heil, Wörter wie Anorexie, Bulimie, Selbstversletzendes Verhalten oder Borderline waren mir völlig unbekannt. Heute gehen sie mir so locker über die Lippen, als würde ich vom Wetter reden. Heute kann ich sämtliche Symptome auswendig. Heute könnte ich aus dem Kopf eine Doktorarbeit über diese Themen schreiben. Hosted by Animexx e.V. 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