Das alles wär nie passiert... von Dezemberkind (Der schlimmste Morgen aller Zeiten) ================================================================================ Kapitel 1: Oneshot ------------------ Das alles wär nicht passiert Das erste, was ich spürte waren diese höllischen Kopfschmerzen. Der Kater war ein Zustand, den der Herr bei der Schöpfung getrost hätte übersehen können, da sind sich vermutlich alle Menschen, die Alkohol konsumieren einig. Und ich hatte gestern Abend wirklich verdammt tief ins Glas geguckt. Das letzte, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich auf Lauras Wunsch (Die selber schon einiges intus gehabt haben musste) unseren Klassenkasper Max geküsst hatte – und zwar nicht auf die Wange. Das musste um drei Uhr gewesen sein. Danach war nichts. Scheiße. Filmriss. Das war mir, Antonia Carolin Jansen, Moralapostel und Oberstreberin Nummer 1 in meinem 18jährigen Leben noch nie passiert. Gestern hatten wir endlich unseren Abschluss gemacht. Laura, Lenny, ich und alle anderen waren nun endlich mit der Schule fertig. Das hatten wir natürlich feiern müssen! Alle Schüler dieses Doppeljahrgangs waren da gewesen. Selbst die ehemalige B-Klasse, die mit uns, der C überhaupt nicht und mit der D nur mäßig klargekommen waren, hatten sich zu uns gesellt, denn seitdem wir uns gemeinsam durch gefühlte 400 Abitur-Prüfungen gequält hatten, war unsere ehemalige Feindschaft praktisch eingeknickt. Einige besonders Sture – namentlich Emelie und Pauline Gottschalk, die Tussenzwillinge vom Dienst – waren zwar immer noch der Meinung ich sei eine schleimige Streberin und hatten auch keine Scheu, mir das gelegentlich ins Gesicht zu sagen, damit ich es auch ja nicht vergaß, doch vor allem mein ehemaliger Superfeind Valentin und auch dessen bester Freund Simon waren im letzten Jahr deutlich umgänglicher geworden. Valentin hatte mich früher immer an einen bissigen, kleinen Chihuahua erinnert. Fies, kleinwüchsig und vor allem laut. Auf der anderen Seite war er der einzige in meiner Stufe, der mir auf intellektueller Ebene die Stirn bieten konnte. Simon dagegen hatte mehr von einem Gorilla. Wenn man davon absah, dass ein Gorilla vermutlich einen deutlich höheren IQ besaß. Aber in diesem letzten Schuljahr hatten beide eine erstaunliche Entwicklung vollzogen: Valentin war äußerlich nicht nur gewachsen, er hatte sich zu einem äußerst attraktiven jungen Mann entwickelt. Menschlich gesehen war er immer noch ein Arschloch, aber er schien endlich die „Mädchen-sind-doof“-Phase hinter sich gelassen zu haben und unsere kleinen Wortgefechte endeten immer häufiger mit einem kleinen Lächeln. Simon war nicht mehr gewachsen, wenn dieser Junge noch größer würde, dann würde man ihn recht bald auf einen großen Platz stellen und zum nächsten Burj Khalifa erklären. Aber erschien um den ein oder anderen IQ-Punkt zugelegt zu haben. Insgesamt lag sein Intelligenzquotient jetzt vielleicht bei.. naja, sagen wir mal bei vierzig. So war es alles in allem ein echt netter Abend gewesen in der Aula, die uns unser gutgläubiger Schuldirektor bereitwillig für eine „nette, anständige Fete unter Jugendlichen“ zur Verfügung gestellt hatte. Bis Georg einige Leute mit ziemlich deftigem Alkohol ausgestattet hatte, der sich dann nach und nach in unsere Gläser verteilte. Und schließlich war ich stockbesoffen gewesen und hatte Max abgeknutscht. Na toll. Plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich wissen wollte, was noch alles passiert war. Doch natürlich siegte meine unbesiegbare Wissbegierde. Ich beschloss, zuerst das Bad zu inspizieren. Vorsichtig tapste ich in den Nebenraum, wobei ich mit Schrecken feststellte, dass ich außer den Cowboy-Stiefeln, die Laura mir angedreht hatte, absolut nichts mehr an hatte. Gottverdammte Scheiße, was war da gestern gelaufen, verdammt? Erleichtert stellte ich fest, dass das Bad meiner frisch erworbenen Eigentumswohnung vollkommen ordentlich und sauber war. Außerdem freute ich mich zunehmend, dass ich in jener frisch erworbenen Eigentumswohnung erwacht war und nicht etwa inmitten von schnarchenden, besoffenen Schulabsolventen und Erbrochenem. Da war das hier definitiv das geringere Übel. Ich zog mir schnell eine Jogginghose und ein dünnes T-Shirt über und lief zurück ins Schlafzimmer. Als ich mich bückte, um einen auf dem Boden gelandeten Minirock aufzuheben, traf mich fast der Schlag. Ich konnte direkt in meinen eigenen Ausschnitt blicken, wo mich der doch recht unerfreuliche Anblick eines Schlangentattoos erwartete. Ich beschloss, dass ich wirklich nicht wissen wollte, wo das Ding herkam. „Einfach ignorieren“, flüsterte ich mir selber zu und stand schnell wieder auf. Ich warf den Rock über den Stuhl und registrierte plötzlich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung in meinem Bett. Sofort malte ich mir Höllenszenarien aus – ein verkaterter Junge gleich nach der ersten Nacht als nicht-Schulpflichtige im Bett war etwas, was nicht viele von ihrem Bett behaupten konnten. Und schon gar keine Musterschülerinnen. Doch die Wahrheit war viel, viel entsetzlicher. Das Etwas grummelte zwei höchst unverkatert und ziemlich menschliche Laute und nuschelte dann: „Na, gut geschlafen, Jansen?“ Ich betete, dass dort nicht Max lag, aber der hätte mich wohl kaum so begrüßt, wenn er morgens in meinem Bett wach geworden wäre. „Reiß, dich zusammen, Toni!“, befahl ich mir selbst und ging dann auf das Bett zu. Ich beugte mich darüber, riss die Decke weg – und blickte direkt in Valentin Müßens stahlgraue Augen, die wie so oft arrogant glimmten. Er grinste ein ziemlich anzügliches Lächeln und meinte dann mit einer unnatürlich kratzigen Stimme: „Ich muss sagen, dass ich schon schlechtere Aussichten beim Wachwerden hatte.“ Ich realisierte, dass der Typ mir gerade unverhohlen ins Shirt starrte und verdeckte die „Gute Aussicht“ ärgerlich mit der Hand. „Kannst du mir erklären, was du hier machst?“, fauchte ich. Er zuckte mit den Schultern. „Erklär du es mir. Immerhin hast du mich an der Krawatte hier her gezerrt. Ich hatte nicht den Hauch einer Chance gegen deine Löwenkräfte. Apropos Löwe, hast du ´ne Ahnung, woher das Tattoo stammt?“ Er entblößte seine nackte Brust, auf der ein großer, zähnefletschender Löwe prangte. An der gleichen Stelle, an der ich seit neustem eine Schlange spazieren trug. Nun, es gibt Dinge, die muss selbst ein Valentin nicht wissen. Außerdem war es vielleicht ganz gut, in dieser Situation den lieben Frieden beizubehalten. „Du kannst dich also noch erinnern?“, fragte ich also. Wieder erschien dieses anzügliche Lächeln auf seinem Mund. „Oh ja… an jedes noch so winzige und ausgesprochen delikate Detail, mein Schatz!“, bestätigte er damit nicht nur meine Frage sondern leider auch meine schlimmste Vermutung. „Soll das heißen, wir hatten…“ „Sex? Wenn das alles wäre. Aber wie sagt man so schön? Der Genießer schweigt“, schmunzelte er. Ich war drauf und dran, meine moralischen Werte über Bord zu werfen und einige meiner Kampfsport-Schläge an ihm auszuprobieren. Allerdings war es vielleicht nicht gut für meinen Lebenslauf. Ich begnügte mich damit, ihm mein Kissen ins Gesicht zu pfeffern. „Valentin Müßen, du sagst mir jetzt sofort, was hier vor wenigen Stunden gelaufen ist, oder ich beweise dir, dass man dir auch auf die Intellektuellen-Weise unheimliche Schmerzen zufügen kann!“, zischte ich. Eine Stunde, einen Anruf von einem total schockierten Lenny, der in der S-Bahn wachgeworden war und zwar in Berlin, nicht hier in Düsseldorf, eine Dusche, den verzweifelten Versuch, den Duft von Valentins schweineteurem Parfum von mir runterzukriegen, vielen unschönen Fakten über gestern Nacht (unter anderem meine Ebay-Anzeige, auf der die Angebote für Lauras und meinen BHs von Minute zu Minute stiegen) und Valentins wahrscheinlich nicht ernst gemeintem Wunsch mich wieder zu sehen später schmiss ich meinen „Besuch“ endlich raus. Bevor er die Wohnung endgültig verließ meinte er noch grinsend: „Übrigens, nettes Piercing, Toni-Schatz!“ Er berührte seinen Mund leicht mit dem Finger und fuhr sich noch einmal anzüglich mit der Zunge über Selbigen, dann verschwand er kichernd im Treppenhaus. Ich fasste geschockt an meine Unterlippe, wo ich tatsächlich, eine kleine, metallische Perle erfühlte. Das würde der grauenhafteste Tag aller Zeiten werden. Das Schlimmste war nicht, das Laura und Lenny einen Lachanfall bekamen, als ich ihnen erzählte, dass ich mit Valentin geschlafen hatte. Das Schlimmste war auch nicht, dass alle meine Bekannten wie hypnotisiert auf das verfluchte Piercing starrten, das ich einfach nicht rausbekam, oder dass alle, die gestern anwesend gewesen waren mich „Die BH-Versteigerungs-Schnecke“ nannten. Das Schlimmste war auch nicht, dass meine Freundinnen alle meinten, mir Trost zu spenden zu müssen und mir erzählten, dass das jedem mal passierte. Aha, ließ sich also jeder mal in einer Nacht tätowieren und piercen, verkaufte anschließend die eigene Unterwäsche und die der besten Freundin und schläft zum krönenden Abschluss auch noch mit dem Erzfeind. Nein, das Schlimmste war definitiv, dass ich den restlichen Tag beim bloßen Erwähnen des Namens „Valentin“ Herzklopfen und Magengrummeln bekam. Auch wenn ich mich nicht mehr an den Sex erinnern konnte, mein Unterbewusstsein musste ihn als gute Erinnerung behalten haben, anders konnte ich mir diese Gefühle nicht erklären. Wenn man bedenkt, dass all der Scheiß mit einem verfluchten Glas Prosecco begann, dann ist dieses Getränk entweder das Beste oder das Schlimmste, was der Menschheit je widerfahren ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)