Bloodcage - Teil 1 - Blutmond von DemonhounD (Vampir-Roman) ================================================================================ Kapitel 2: Blutmond (Siren) Ich beobachtete ihn tagelang -------------------------------------------------------- Ich beobachtete ihn tagelang. Eigentlich war es immer Teil seiner Persönlichkeit, dass er seiner blinden Intelligenz zu sehr vertraute, um auf das untrügliche Gefühl in seinem Inneren zu hören. Er ist immer naiv gewesen. Als ich ihn zum ersten Mal sah, fühlte ich mich furchtbar. Ich zog mich in die Stille einer alten Kapelle zurück und ließ die kühlen Perlen des Rosenkranzes zwischen meine Finger gleiten, ohne mich auf das eigentliche Gebet zu konzentrieren. Die Macht dieser sich stetig wiederholenden Worte - „Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade…“ - war stark genug, um mich fort zu reißen, wie der Gesang der heidnischen Priester des Orients es vielleicht ebenfalls vermocht hätte. Der Inhalt selbst war für mich bestenfalls bedeutungslos. Ich dachte an den Tod in romantischer Weise, wie Menschen ihn betrachten. Gelegentlich nehme ich mir die Zeit über all jene nach zu denken, die meinen Weg gekreuzt und es mit dem Leben bezahlt haben. Ich denke an unzählige Frauen, die mich geliebt haben – nicht daran, wie sie starben. Ich frage mich ob es einen Unterschied machen würde, wenn ich sie ebenfalls geliebt hätte, wenn meine Gedanken an sie von ehrlichem Mitgefühl erfüllt gewesen wären und ich komme zu dem Entschluss, dass Gott mir meine Gefühle genommen hat, damit ich meinem Schicksal gewachsen bin. Dies ist der einzige Grund aus dem heraus ich bete. Vielleicht trage ich nach all diesen Jahren der Verdammnis noch immer eine Seele in mir, der vergeben werden kann. Vielleicht bin ich mehr, als nur ein sinnlos mordendes Biest mit den pathetischen Erinnerungen eines Sterblichen. Vielleicht ist der ersehnte, gefürchtete Tod für mich nicht das Ende. Ein lautes Krachen an der Vordertür zerriss schließlich die Stille um mich. Sogar das Atmen dieses Menschen erschien im Widerhall an den hohen Decken laut und störend. Ich konnte die Furcht beinahe körperlich spüren und blickte auf, als eine regendurchnässte Gestalt an mir vorbei auf den Altar zuschritt, um bald darauf seine Hände an den Flammen eines lichtspendenden Feuerkorbes zu wärmen, was ich zu jenem Zeitpunkt für eine unglaublich respektlose Geste hielt. Sein gesamtes Aussehen und jede seiner unbewussten Bewegungen waren mir in diesem Moment zu Wider. Er war ein Mensch. Nicht mehr als ein Bettler. Der Jüngling selbst schien sich vollkommen allein zu fühlen und so wagte ich aus reinem Interesse eine nähere Betrachtung. Seine Schultern waren schmal. Er strahlte Unsicherheit aus und warum war für mich vollkommen offensichtlich: Sein Blut roch nach nahendem Sterben und er musste es bereits spüren. Das schwarze Leinentuch, das seine Schultern umspielte war ein Stück weit herunter gerutscht und gab den Blick auf den schlanken, ungebeugten Nacken unter einigen rabenschwarzen Haarsträhnen frei. Unter diesen wenigen Zentimetern regennasser, nackter Haut, schoss das Leben verführerisch und pulsierend. Für ein Wesen wie mich wirkt dies beinahe wie eine Aufforderung. Auch das warf ich dem Fremden vor, der begonnen hatte das Wandgemälde des Sündenfalls zu betrachten. Die Züge seines Körpers waren ebenmäßig. Unter dem dünnen Stoff konnte ich nur erahnen, wie fein alles an ihm geformt sein musste. Schönheit, die ich auch in jenem Moment genoss. Es gibt drei Dinge, die ich am Körper eines Mannes besonders schätze. Zum Einen ist es ein feingeschnittener Halsbereich mit einem markanten Schlüsselbein, der das Versprechen des Blutstromes verkündet. Darauf folgt die Verheißung, die eine leichte Erhebung des Brustkorbes kurz unter den Rippen in sich trägt und die lustvoll bebend nicht weniger verspricht, als dass das unter ihr schlagende Herz sich nach meinen Berührungen verzehren möge. Schließlich vermag ein sanft hervortretender Beckenknochen nicht weniger, als stumm und auf züchtige Art Gedanken an Lust und Leidenschaft zu wecken. Hätte er mir an einem heiligen Ort wie diesem ein intimes Angebot gemacht, hätte es mich nicht tiefer treffen können. Die Tatsache, dass der Dämon in mir, selbst an einem Platz wie diesem zu Macht erstarken konnte und mich in Versuchung führen durfte, deklarierte das Gotteshaus innerhalb eines Augenblickes zu einem einfachen Steingebäude. Es war mir beinahe unangenehm bis zu jenem Zeitpunkt eine göttliche Präsenz gespürt haben zu wollen. Ich dachte in diesem Moment, dass ich ihn dafür töten wollte, mir die Illusion genommen zu haben, es könne einen Ort auf der Welt geben, an dem ich vor meinem eigenen schwarzen Wesen in Sicherheit war. Trotz alledem konnte ich in diesem Saal, der für mich einst so voller Heiligkeit gewesen war, noch immer keinen Mord begehen, während die leblosen Augen der Heiligenstatuetten mich aus den Mauernischen genau zu beobachten schienen und bereits meine Gedanken verurteilten. Ich musste warten, bis er die Kirche verließ. Als ich dies noch dachte, wandte er sich um und seine eisig blauen Augen trafen meinen Blick. Für einen Augenblick war ich zu versteinert, um etwas zu sagen, – zu perplex, um etwas Anderes, als Verachtung zu spüren. „Der Priester dieser Kirche ist nur tagsüber hier, um dir die Beichte ab zu nehmen.“, erklärte ich hastig, eigentlich nur um die Stille zu füllen. Ich sagte es ganz so, als kenne ich diesen Gottesdiener. In Wahrheit hatte ich ihn niemals zu Gesicht bekommen und ich bezweifle, dass er wusste, wer abends gelegentlich in seiner zerfallenden Kirche betete. Ganz davon abgesehen, dass es sicherlich für ihn nicht sehr schmeichelhaft gewesen wäre, es zu wissen. Welcher Gottesmann rühmt sich schon mit der Tatsache einen Dämon in seiner Kirche willkommen zu heißen? „Dein Leben retten kann aber weder er noch Gott.“ Vielleicht setzte ich diese Worte nur aus purem Sadismus hinzu. Ich wollte seine Reaktion sehen, die er gut zu verschleiern versuchte. Lediglich ein unmerkliches Zucken seiner Augen, ein leichtes Weiten der Pupillen und ein kaum merklich beschleunigtes Beben der Adern unter der Haut seines nackten Halses verriet die Angst, die ihn allein bei meinem Anblick befiel. Ich verzog den Mund zu einem grausamen Lächeln. Zeigte ihm bewusst die spitzen Eckzähne, die Waffen mit denen ich ihn umzubringen gedachte. Der junge Mann indes, schien innerlich zu verstehen. „Vergebt mir, Herr!“, flüsterte er leise, sodass ich selbst mit meinen scharfen Sinnen nur erahnen konnte, welch wundervolle Stimme sich hinter dieser Maskerade aus Unsicherheit und Selbstzweifel verbergen mochte. Ich glaubte nicht, dass er bereits um seine Wirkung auf andere Menschen wusste, geschweige denn sie zu nutzen verstand. Er floh. Eine Weile blieb ich zurück und ließ mich von der erneut aufkeimenden Stille umfangen. Mir war bewusst, dass jeder andere Mensch vor den Toren dieser Kapelle gestorben wäre. Ich sagte mir, dass ich nur deswegen an seiner Seele kein Interesse hatte, weil sein Blut zu krank und deswegen minderwertig war. Ich denke, das war nicht die volle Wahrheit. Als ich mich schließlich entschloss, ihm zu folgen, hatte er die Stadttore beinahe erreicht und das Mondlicht erhellte die Häuser in der Ferne, die für den Verfolgten sicherlich nur schwarze Schemen ergaben. Mit meinen deutlich besseren Augen jedoch, erkannte ich die Dächer und die Burg, als seien sie in Silber getaucht. Diese menschliche Stadt und das Wissen um seine Vergänglichkeit begannen bereits jetzt mich krank zu machen, obschon ich erst wenige Jahre hier verbracht hatte. Es war schneidend kalt. Der Winter war lange eingebrochen, aber es schien sogar zu frostig für Schnee zu sein und so regnete es ununterbrochen. Mir war das ganz recht, denn ich fühlte mich in den streichelnden, eiskalten Tropfen geborgen, als berührten mich, die unsichtbaren Hände jener unheiligen Macht, die mir schon seit Jahrhunderten gebot weiter zu leben. Dies war einer jener Winter die scheinbar nur Verachtung für die Sterblichen fühlen. Er war unerbittlich und wunderschön in seiner filigranen Einsamkeit aus Wasser, Eis und Raureif. In meinem Stolz redete ich mir ein, dass ich selbst nicht anders sei. Ich wusste nicht genau, wieso ich ihm folgte. Etwas war in seinen Augen gewesen, das ich kannte. Etwas fesselte mich und sei es nur der Ausdruck des Sterbens, das ein Geheimnis darstellte, welches ich nie wirklich erfahren hatte und das ich ergründen wollte. Meine kleine Verfolgung betrachtete ich mehr und mehr als ein Spiel, denn er selbst entsprach nicht ansatzweise den Menschen, die ich für würdige Opfer erachtete. Er war zu jung, unschuldig und ein Mann. Noch dazu war er eigentlich tatsächlich zu schwach, als dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spielen konnte ihn zu jagen, um mich von ihm zu nähren. Gleichzeitig zu diesen Gedanken erwachte allerdings ein ungewöhnlich sehnsüchtiger Wunsch, den ich trotz seiner Intensität zunächst nicht genau einordnen konnte. Jahrhunderte habe ich mich dagegen gewehrt noch Gefühle zu haben. So lange Zeit! – und es war richtig gewesen. Mit den unzähligen Nächten hatte ich vergessen, was es heißt etwas Derartiges zu spüren. Vielleicht war es sogar diese lange Zeit der Einsamkeit selbst, die nun ihren Tribut über meinen Verstand forderte. Ich fragte mich, wie es sein würde ihn zu töten und dabei den Geruch seiner Haut aufnehmen zu können. Wie mochte es sein meine Lippen an seinen Hals zu schmiegen? Ich spürte seinen Lebensfunken in der Ferne aufglühen und wollte ihn verlöschen sehen – fühlen, wie diese kostbare Flamme aus Herzschlag und Gedanken unter meinen Händen vergeht. Ich wollte ihn leiden sehen, weil es das Kostbarste ist, das Menschen den Unsterblichen noch voraus haben. Er war so menschlich, so verletzlich, so verachtenswert schwach, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wieso mir all meine Instinkte zuflüsterten, dass er eine Bedrohung für mich war. „Askian“, das ist ein Wort in der Sprache meines Volkes, das viele Bedeutungen kennt „Sklave“ – „Diener“ - „Geliebter“, - wir machen keinen Unterschied, denn was wir lieben gehört uns oder es wird vernichtet. Wie dem auch sei: Ich wusste bereits nach wenigen Stunden, dass es aus diesem Spiel keinen Ausweg mehr gab und, dass ich mich in einem Sog befand, dem ich eventuell nicht mehr entkommen würde. Ihn sterben zu sehen, obwohl ich es hätte verhindern können, war meine Art der stillen Kontrolle über ihn. Es war meine Art der Rache und ich wollte ihn zerstören. Zusammen mit den letzten Resten meiner Menschlichkeit, die ich stets zu verleugnen suchte. Was ich jedoch sah, befriedigte mich nicht so sehr, wie gehofft. Warum hatte ich an jenem Abend solch schwächliches Mitleid mit seinem sterbenden Körper? Warum brach seine schreiende Seele für einen kurzen Augenblick den eintönigen Fluss der Unendlichkeit, dem ich unterworfen bin? Warum konnte ich in jenem Moment seinen Schmerz und den der uns umgebenden Wesen spüren, maß aber nur seinem Leiden Bedeutung bei? Er war mein Verderben, also war mir klar, dass er mich bei diesem Fall begleiten würde. Mehr noch: Es war geradezu eine Rechtfertigung ihm mit Genuss bei seinem eigenen Unglück zuzuschauen. Warum musste ich mich in ihn verlieben? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)