Roots von Tam-Tam ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ 1. „Thor, du nervst.“ Empörung und Belustigung erstrahlten gleichermaßen in dem Gesicht des blonden Jugendlichen. „So ein Quatsch!“, wischte er den Einwand seines Bruders beiseite. Sie saßen im runden Saal und warteten auf den Master, der sie lehrte. Der Himmel hinter den riesigen ovalen Fenstern war von Sternen überseht. In Asgard war immer gleichzeitig Nacht und Tag, im Osten Tag, im Westen Nacht. Der große Thronsaal Odins lag genau unter der Stelle wo sich die beiden Tageszeiten trafen. Der Lehrsaal in dem sie sich befanden, war nach Westen, zur Nacht, ausgerichtet. Ein Papierschnipsel traf erneut Lokis Ohr. „Hör jetzt endlich auf.“ Genervt starre er seinen Bruder von der Seite an, ließ seinen Blick aus den verengten Augen einen Augenblick wirken (in der Hoffnung, dass die Botschaft nun endlich ankam) und wandte sich wieder seiner Schriftrolle zu. Er war wirklich interessiert an dem Stoff, den sie durchnahmen – ganz im Gegenteil zu Thor, der sich nur jeden Tag auf das praktische Training freute und die Theorievermittlung mehr oder minder in Kauf nahm. Er hatte ja auch keine andere Möglichkeit. Als Königskinder waren sie beide (auch wenn nur Thor den Thron besteigen würde) dazu verpflichtet das volle akademische Programm mitzumachen. Die Grundausbildung wurde in einer Klasse durchgeführt, alle entsprechenden Alters in Asgard, die zusätzlichen Fächer, die Intensivierungskurse waren ihnen beiden vorbehalten. Es war keiner da, der Thor unterhielt, sodass er anscheinend beschlossen hatte, dass sein Bruder nun die Aufgabe übernehmen sollte. „Lass doch jetzt den Mist, lies dir doch lieber das hier durch. Das ist total spannend.“ Loki schob die Rolle ein Stück in Thors Richtung. Er war nicht richtig genervt von Thors Rumalbern, es störte ihn nur beim Lesen. „Was is'n das?“ „Was wir heute machen werden. Wenn Vile noch kommt.“ Loki schaute Thor direkt an und seine grünen Augen blitzen aufgeregt. „Magie.“ Thor, immer noch nicht richtig interessiert, warf einen Blick auf das Schriftstück. Die Rolle war ziemlich dick und der aufgerollte Teil in fast mikroskopischer Größe beschriftet. Thor schwieg einen Moment, erschaudernd bei der Vorstellung das alles lesen zu müssen. Der Blick seines kleinen Bruders wurde mit der länger andauernden Stille immer ungeduldiger. Er wollte auf jeden Fall eine Reaktion. Wieso war er denn bloß so ein Bücherwurm? Das war echt eine Plage. Könnte er nicht ein bisschen wie Thor sein? Raufen und kämpfen, spontan unternehmungstig sein – Loki könnte er niemals vorschlagen jetzt einfach die Schule zu schwänzen und schnell abzuhauen, bevor Vile doch noch kam. Der Master war ja schließlich irgendwo selber schuld … wieso ließ er sie denn auch warten? Nach einer angemessenen Zeit (was in Thors Vorstellung keine allzulange Zeitspanne war), konnte man es nun wirklich nicht mehr von ihnen erwarten dazuhocken und den Tag zu vergeuden. Aber nicht mit Loki. Und vor allem nicht, wenn ihn das Thema auch noch total interessierte. „Hm, jaa.“ Sagte Thor deshalb langgezogen. „Is' nicht so meins.“ Lokis erwartungsvolles Halblächeln fiel in sich zusammen. „Aber es geht um Magie.“ Etwas Hoffnung flimmerte noch im Grün seiner Augen. „Das ist doch interessant.“ Thors Blick wanderte wieder zur Schriftrolle. Die Schrift war schon wirklich sehr klein. Und die Rolle war wirklich, wirklich dick. „Du bist halt ein komischer Typ“, versuchte der Ältere seine Abfuhr humorvoll zu verpacken. Er lächelte breit und war sich nicht bewusst, dass sich Lokis Gesicht immer mehr verschloss. „Du stehst immer auf ganz seltsame Sachen. Ich bin da eher normaler gestrickt, ich steh auf den guten, alten Kampf auf dem Feld!“ Thor grinste und hoffte sein Bruder würde jetzt nicht irgendwie versuchen ihn doch noch zum Lesen zu motivieren. Lesen hatte auf ihn immer eine sehr ermüdende Wirkung … er brauchte Bewegung, physische Anstrengung. Aber da brauchte er sich keine Sorgen zu machen: Lokis Gesicht zeigte nach außen wieder seine normale neutrale Mimik (die auf Thor manchmal seltsam fragil wirkte) und er hatte die Rolle wieder von Thors Seite des Tisches weggezogen. „Ich weiß“, sagte er. Als er den Blick abwandte und sich wieder dem Lesen zuwandte, beschlich Thor ein undefinierbares schlechtes Gewissen. Hatte er Loki vor den Kopf gestoßen? „Soll nicht heißen, du wärst nicht normal, oder so“, fing er an. „Ja, ich weiß“, sagte Loki schnell ohne aufzuschauen, wie um ihn zu unterbrechen. Thor ließ sich nicht beirren. „Du bist natürlich auch normal,.. also so wie wir alle. Manche sind halt einfach anders.. und-“ „Ja, ich weiß, Thor.“ „Nein, ernshaft, du bist zwar ganz anders, als ich, oder die anderen in der Klasse, aber das heißt ja nicht, dass du nicht normal bist-“ „JA, ich weiß, Thor.“ Lokis Stimme wirkte angestrengt. Je länger sein großer Bruder drauf rumritt, desto unnormaler fühlte er sich – trotz Thors gegenseitiger Beteuerung. Ja, er war nun mal mehr oder weniger Außenseiter in seinem sozialen Umfeld. Man ließ es ihn nicht so spüren, nicht absichtlich jedenfalls, er war schließlich Odins Sohn – aber er war in der Klasse und in Thors Freundeskreis, Thors Anhängsel. Vielleicht weigerten sich die anderen ihn als eigenständige Person anzusehen, weil er ihnen zu langweilig, zu anders war. Vielleicht war er selber Schuld, dass er es nie geschafft hatte sich zu integrieren. Irgendwann verging der Augenblick und er war nur noch als Loki, Thors kleiner Bruder, (nicht einfach nur Loki) in der Gruppe akzeptiert und wie es aussah, schien ein Revidieren nicht mehr möglich. Er hatte sich damit arrangiert. Er hatte nicht das Gefühl es noch irgendwie ändern zu können. Und vielleicht stimmte wirklich etwas nicht mit ihm. Thor war das jetzt zwar nur rausgerutscht, aber da er so vehement drauf rumritt, war es ihm anscheinend auch bewusst, dass Loki nicht ganz hier reinpasste, überhaupt irgendwo reinpasste, nicht ganz normal war. „Also du bist nicht unnormal, oder so“, fing Thor wieder an. „Ja, ich weiß, Thor.“ Loki rollte demonstrativ seine Rolle ein Stück auf. Sein Blick immer noch drauf geheftet. Thor grinste erleichtert. „Ja, dann ist ja alles geklärt.“ Er legte seine Füße auf den Tisch und kippelte mit dem Stuhl. Loki las weiter in seiner Rolle. Von Thors Perspektive, von seitlich hinten, sah er fast aus, wie eine Statue, aus Stein gemeißelt. Das war auch so eine Sache, die er am Lesen langer Schinken nicht mochte. Man musste still sitzen. Loki strich sich eine Strähne hinters Ohr. Du bist total in Ordnung so, wie du bist, dachte Thor. Sollte er ihm das sagen? Das wusste er doch bestimmt, ohne dass er da jetzt so platt damit ankam. Nein, das wäre jetzt komisch das zu sagen. So aus dem Nichts. Total unangemessen gefühlsduselig. Nein. Er wusste das auch selber. Klar, wusste er das. *** tbc Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)