Suara - Christmas Special von Meeararn (Der Wunsch sei dir gewährt) ================================================================================ Kapitel 1: Du fehlst -------------------- Regentropfen an der Scheibe. So klar und glänzend wie kleine Edelsteine. Regentropfen an der Scheibe, so klar und glänzend.   Es war spät am Abend des vierundzwanzigsten Dezembers. Schnee fiel keiner. Die Straßen waren hell erleuchtet mit der Vielzahl an Lichterketten und Lichterfiguren. Das war aber auch das Einzige, was an Weihnachten erinnerte. Ansonsten erinnerte eher alles an einen feuchten Herbsttag im Oktober. Hinten im Zimmer erstrahlte der Tannenbaum in seiner vollen Pracht. Er war mit roten und silbernen Kugeln geschmückt, einer Lichterkette und Lametta. Darunter lagen ein paar Geschenke. Im Haus roch es nach warmen Wein und Punsch, außerdem nach Plätzchenteig und Zimt.   Chika war sich bewusst, dass es Weihnachten war. Doch sie konnte sich nicht wirklich darauf einstimmen. Alles an ihr wollte weinen, schreien und weglaufen. Nichts war mehr so wie sie es kannte. Sie war allein. Suara war nicht mehr da. Suara war seit einem halben Jahr tot und auf dem Klostergelände beerdigt worden, auf dem sie gearbeitet hatte. Chikas Mutter war auch nicht mehr da. Sie war nun eine Tochter des Hause Taneda, Shikaos und Sukaos Schwester. Sie war unglücklich. Auch wenn es ein halbes Jahr her war, vermisste sie ihre Schwester, als wäre sie erst vor ein paar Tagen aus dieser Welt geschieden. Auch Shikao trauerte noch immer. Nicht einmal die fröhliche Weihnachtszeit konnte irgendjemanden aufbauen oder aufheitern. Chika konnte sehen wie sich der Junge, er ihr neuer Bruder geworden war, immer mehr zurückzog. Im Sommer war er jeden Tag an Suaras Grab gewesen. Man hatte nie einen Leichnam gefunden von ihrer Schwester. Man hatte nur einen Stein an den Tempel gestellt mit einer Inschrift » Ewig ruht die Seele, derer, die zusammenführte was nun ewig zusammengehört. Ewig sei geheiligt diese Seele, die Freude brachte und Glück. « . Chika saß auf der Fensterbank von Suaras ehemaligen Zimmers und sah dem Regen zu, wie er leise und schwerfällig zu Boden ging. Dieses Weihnachtsfest war das schlimmste und traurigste, was sie jemals erleben würde. Aber für ihre Schwester wollte sie stark sein und weiter gehen. Sie wollte leben und glücklich sein. Denn immerhin hatte Suara allen vorgelebt, dass auch jemand mit Todesangst unbeschwert leben konnte, lachen konnte und stark war. Stark genug, um allen Widrigkeiten zu trotzen. „Chika kommst du, es gibt essen.“ Sie sah zur Tür. Sukao stand da. Doch Chika hatte überhaupt keinen Hunger, und schon gar keinen Appetit. Sie wollte nichts essen. „Du musst was essen. Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen.“ Sukao protestierte lautstark, als sich Chika von ihm wegdrehte und weiter aus dem Fenster blickte. „Warum schneit es denn nicht? Warum regnet es?“   „Es ist als würde der Himmel weinen.“ Takuma drehte sich um. Ikami stand hinter ihm und betrachtete unter ihrem Regenschirm heraus den Himmel, der sich noch dunkler gegen den Nachthimmel absetzte als die eigentliche Schwärze der Nacht. „Was meinst du?“ Ikami schüttelte den Kopf. „Wir sollten uns beeilen. Shikao wartet sicher schon.“   Shikao saß in seinem kleinen Haus, dass ihm seine Eltern hatten eingerichtet, jenes in dem sich Suara das erste Mal zur Katze verwandelt hatte vor seinen Augen. Er saß in diesem Raum, wo er sie gesehen hatte. Diese grünen leuchteten Augen. Dieses schwarze seidige Fell. Er konnte sich genau daran erinnern. Er saß oft hier drin und betete zu Gott, dass er Suara zurück brachte, dass irgendjemand sie finden würde, lebend. Niemand wusste was mit ihr an jenem Tag passiert war. Sie war einfach verschwunden und niemand hatte was gesehen oder gehört. In Shikaos Erinnerung an diesen Tag war alles nur rot. Rot wie das Blut. Er sah es vor sich, wie es vor ihm lag in einer kleinen Pfütze. Die Ärzte meinten es wäre Suaras. Aber ihren Körper fand man nie. Die Wissenschaftler meinten, ihr Körper müsse sich aufgelöst haben. Shikao wusste, dass das Schwachsinn war. Ein Körper konnte sich nicht auflösen. Aber wo war sie hin? Innerlich hatte Shikao den ganzen Sommerlang, den gesamten Herbst gehofft, dass Suara leben würde und plötzlich vor der Tür stehen würde. Aber das war nie geschehen. Doch die Hoffnung gab er nicht auf. Er ging jeden Tag nach der Schule zu dem kleinen Tempel in dem sie gearbeitet hatte und legte Blumen auf ihr Grab. Katzen säumten noch immer den Weg und lebten noch immer im dem Katzenschrein. Shikao konnte sich manchmal auch denken, dass Suara jetzt eine von ihnen war. Unter Katzen zu leben. Vielleicht war sie ja dort bei den anderen Vierbeinern. Denn immerhin gab es ja neben der Krankheit noch diesen vermaledeiten Fluch dieser Achilea. Shikao würde niemals vergessen, wie dieses Wesen ihn angesehen hatte. „Test bestanden“ hatte sie einst gesagt, aber was für ein Test? Es klingelte an seiner Tür. „Es ist offen.“ Er stand auf und ging seinen Gästen entgegen. Gisang, Takuma, Ikami und Shingo kamen hinein. Gisang und Shingo waren unterdessen ein Paar geworden. Das fand Shikao recht amüsant, da Gisang ja immer etwas von ihm gewollt hatte. Er brachte seine Gäste in einen kleinen Wohnraum mit einer schwarzen Couch und einem Tisch. Dort hatten seine Bediensteten bereits das Abendmahl vorbereitet. „Geht’s dir gut?“ „Klar, warum denn auch nicht.“ Takuma klopfte seinem Freund auf die Schulter. Er spürte, dass er eine schwere Last mit sich trug und mit niemanden darüber redete. Seit Suaras Tod war Shikao anders geworden. Desinteressierter der Welt gegenüber. Verschlossener als früher noch. Aber dennoch netter. Er ärgerte keine Mädchen mehr, machte ihnen keine falschen Hoffnungen mehr und er behandelte andere nicht mehr wie Dreck und Abschaum. Suara hatte ihn wirklich verändert. Zum Positiven. Aber Suara hatte eine deutliche Lücke ins Shikaos Leben gerissen, dass spürte Takuma. Und er wusste nicht ob diese Lücke jemals geschlossen werden konnte. Suara war etwas Besonderes gewesen für den Blonden. Etwas, dass er noch nie beobachtet hatte und das vom ersten Tag an, an dem Suara an die Schule gekommen war. Shikao war vom ersten Augenblick von ihr angetan und an ihr interessiert gewesen und hatte sie völlig anders behandelt als jeden anderen. „Wir sollten essen.“ Shikao unterbrach Takumas Gedanken, welcher Shikao die ganze Zeit besorgt angestarrt hatte. „Und hör auf dir ständig den Kopf wegen mir zu zerbrechen. Mir geht’s gut.“ „Wenn der stolze Hengst das sagt, sollten wir das wohl glauben.“ Shingo lachte und setzte sich an den Tisch. Er zog Gisang eng zu sich um seinen Besitz an ihr deutlich zu machen, was allerdings nicht nötig wäre, da Takuma noch immer mit Ikami zusammen war und Shikao noch nie an Gisang Interesse hatte. Auch die Anderen setzten sich hin und begannen zu essen. Nach dem sie satt und gut gefüllt waren, erzählten sie sich Geschichten vom Sommer und was sie nächstes Jahr vorhatten. Immerhin würden sich die Wege vieler bald trennen, wenn sie auf eine höhere, weiterbildende Schule gehen würden, studieren oder arbeiten würden. Sie alle hatten so viele Pläne. „Ob Suara auch solche Pläne hatte?“ Ikami versank in Gedanken und blickte traurig nach unten. Takuma zog sie in ihre Arme. Shikao blickte zu dem Kamin rüber wo das Bild stand, dass seine Mutter auf seiner Hochzeit mit Suara gemacht hatte. Sie war wunderschön in diesem weißen Kleid. „Ich weiß nicht welche Träume und Pläne sie hatte. Aber eines weiß ich, einen Traum konnte ich ihr zumindest erfüllen. Ihr Lächeln an diesem Tag werde ich niemals vergessen. Es war wärmer und strahlender als die Sonne es jemals sein könnte.“ Sie schwiegen und folgen Shikaos Blick zu dem Foto. „Du hast alle überrascht, als du ihr den Antrag gemacht hattest. Immerhin wart ihr beide noch so jung.“ Shikao lachte. „Sie zweifelte an mir. Sie wusste nicht, ob ich sie wirklich so sehr liebe wie ich immer behauptet hatte. Was blieb mir anderes übrig um ihr meine Gefühle zu beweisen. Außerdem hatte sie gesagt, dass sie davon träumt irgendwann wie ein ganz normales Mädchen zu heiraten und eine Familie zu haben. Nun ja, das mit der Familie konnte ich nicht erfüllen, dafür fehlte die Zeit.“ Wieder lachte er leicht und kratzte sich etwas am Kopf. „Sie war sehr glücklich darüber. Das weiß ich.“ Ikami lächelte. „Und egal wo sie ist, ich bin sicher, sie ruht in Frieden und hat kein Bedauern. Sie ist bestimmt kein ruheloser Geist.“ Wieder trat eine betretene Stille ein, ein leichter Windhauch fuhr durch den Raum, obgleich alle Fenster geschlossen waren, der allen Anwesenden einen warmen und angenehmen Schauer über den Rücken jagte. Es war, als wäre Suaras Geist in das Zimmer gekommen um Ikamis Aussage Zustimmung zu geben. Shikao rieb sich die Arme. Es roch nach Suaras Lieblingsparfüm. Er konnte es deutlich riechen. Er hatte sie so oft im Arm gehalten, er erkannte ihren Duft. Er stand auf und öffnete die Tür zum Garten und sah sich um. Es war dunkel. Aber nicht so dunkel wie noch ein paar Minuten zu vor. Der Mond erstrahlte hell und klar und es hatte aufgehört zu regnen. Der Himmel war wolkenfrei und man konnte die Sterne sehen. Shikao lächelte. Irgendwie spürte er, dass Suara da war, wenn auch nur in seinem Kopf. Aber er spürte wie sie lächelte. Er wusste, dass sie glücklich war.   Chikao und Sukao verbrachten ihren Heiligabend mit Shikaos Mutter und Großmutter. Geschenke würde es erst am nächsten Morgen geben. Anders wie in europäischer Kultur, wo der Weihnachtsmann die Bescherung schon am 24ten bringt, so kommt der Santa Claus in Amerika und Asien erst am 25ten. Und so erzählte die Großmutter den beiden Kindern ein Märchen nach dem Anderen bis die beiden Kleinen so müde wurden, dass sie einschliefen. Frau Taneda deckte die Kinder zu. Und setzte sich dann bei warmen Wein neben ihre Mutter. „Die Kleine ist wirklich zu süß. Nur schade, dass das Leid sie bereits in so jungen Jahren geplagt hat.“ „Sie hat viel durchmachen müssen. Und sie ist noch lange nicht darüber hinweg. Genauso wenig wie mein störrischer Sohn.“ „Sei nicht so streng mit ihm. Er hat das verloren, was er am meisten geliebt hat, dass was ihm einen Grund zum fröhlich sein gegeben hatte. Er wird darüber hinweg kommen. Gib ihm etwas mehr Zeit.“ „Dass du einmal so verständnisvoll ihm gegenüber sein könntest, hätte ich niemals für möglich gehalten.“ Die ältere Dame schmunzelte. Auch sie hatte niemals gedacht, ihren eigentlich verhassten Enkel mal in den Schutz zu nehmen. Aber sie hatte Mitleid mit ihm. Sie wusste was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren. Auch wenn die Umstände in diesem Fall anders waren wie bei ihr. Sie hatte in jungen Jahren ihr erstes Kind bei einem Autounfall verloren. Erst später war Shikaos Mutter geboren worden. Von dem verstorbenen Kind hatte sie niemanden erzählt. Nur ihr Mann wusste das. Daher konnte sie gut mitfühlen, wie Shikao sich nun fühlte. Denn auch sie hatte lange daran zu kämpfen gehabt, über den Verlust ihres Kindes hinweg zu kommen. Sie seufzte und stand auf. Sie entschuldigte sich bei ihrer Tochter damit, dass sie müde sei und lieber etwas schlafen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)