Laterna Magica von Night_Baroness ================================================================================ Kapitel 3: Januskopf -------------------- In the Valley A few pebbles Rolling over the lakeshore Grains of sand tossed into the air Beginning on the deepest ground To become weightless Light Er sah den Wagen nicht kommen. Die Krähe auf dem Dach, die ihn auf seltsame Weise an die Organisation erinnerte, in deren Fänge er sich freiwillig begeben wollte, wie in die sprichwörtliche Höhle des Löwen, hatte ihn zu sehr abgelenkt. Jede ihrer Bewegungen hatte er verfolgt, die Art, wie sie sich putzte, die Flügel ausbreitete und sich schließlich federleicht in die Lüfte erhob, die starren Augen tödlich und kalt. Und trotzdem hatte er es nicht kommen sehen. „Oh mein Gott, geht es Ihnen gut?“ „…Was?“ Zwei Lichter, wie zwei riesige Augen, ein stechender Schmerz… „Ein Glück, Sie sind wach! Es tut mir leid, ich…“ Die Frauenstimme, die aus der Finsternis zu ihm drang, war den Tränen nahe. …und eine Krähe. Langsam öffnete er die Augen. Er lag immer noch auf der asphaltierten Straße und sein Körper fühlte sich an, als hätte jemand ihn als Sandsack missbraucht. Stöhnend versuchte er sich aufzurichten und sah schon nach wenigen Zentimetern ein, dass es eine schlechte Idee war. Müde ließ er sich zurück auf den schmutzverkrusteten Teer sinken und blickte stattdessen hoch zu der Frau, die sich über ihn gebeugt hatte. „Jodie…?“ Er blinzelte. Nein, das konnte nicht sein. Jodie war in den USA geblieben, sie war sicher immer noch dort, natürlich, sie durfte ihn ja nicht sehen. Es war gegen die Vorschriften. Wann kommst du wieder? Bald… Aber ich vermisse dich! Je länger er sie ansah, desto deutlicher veränderte sich ihr Aussehen. Das schulterlange, ständig zerzauste blonde Haar, durch das er so gerne mit seinen Händen fuhr, fiel ihr nun lang und in seidigem Schwarz über die schmalen Schultern. Ihre Augen waren immer noch blau, aber wirkten runder, kindlicher und die Brille, die sie ständig vergaß und anschließend verzweifelt suchte, war verschwunden. „Nein, ich… mein Name ist Akemi. Es tut mir leid, wirklich, ich… mein Auto…“ Da waren sie, die Tränen. Unermüdlich begannen sie wie kleine Bäche aus den Kulleraugen zu fließen und tropften herab auf sein Gesicht. „Es ist schon gut, ich…“ Bevor er diesen Satz beenden konnte, merkte er, wie die Schwärze zurückkehrte und sich erneut über ihn legte, als wären es keine Tränen, die auf ihn hinabregneten, sondern pechschwarze Federn. Wo ist die Krähe? Wo ist sie? Zuerst nur ein bedrohlicher Schatten in seinen Augenwinkeln, breitete sich die Dunkelheit mit rasender Geschwindigkeit aus und ließ ihn erneut die Besinnung verlieren, noch bevor er diesen absurden Gedanken vollständig begriffen hatte. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Vieles in meinem Leben kommt mir durcheinander vor, so schrecklich durcheinander und ich habe Angst, dass es nie wieder in Ordnung kommt. Was, wenn dieses Chaos einfach bleibt? Was, wenn es sich einnistet wie Ungeziefer und alles, was ich liebe, langsam auffrisst? Ich habe Angst. Seit du nach Japan gegangen bist, ist viel passiert. Ich weiß nicht, was du dort tust und das ist irgendwie ein komisches Gefühl, da ich doch auch sonst wenig über dich weiß. Ich kenne dein Lieblingsessen, aber ich weiß nicht, wo du geboren wurdest. Ich weiß, dass du gut schießt, aber ich habe keine Ahnung, wer es dir beigebracht hat. Wer bist du, Shuichi Akai? Woher kommst du? Würdest du mir diese Fragen beantworten? Vermutlich fragst du dich, warum ich gerade jetzt mit der Vergangenheit anfange. Sollten wir sie nicht besser ruhen lassen? Wenn du wüsstest, was hier geschieht, würdest du es verstehen. Dieses Chaos, das ich zu Beginn des Briefs angesprochen habe, hat eine Omnipräsenz, die mich erschreckt. Es gleicht einer tiefschwarzen, bitterbösen Kreatur, die mit tausend Armen nach uns greift und uns um jeden Preis verwirren will. Ich habe das Gefühl, dass dieses Wesen mir schon öfter begegnet ist, ja vielleicht sogar, dass es immer da war. Ein stummer Begleiter, ein dunkler Gefährte, der uns in ein Schicksal führt, das wir nicht kontrollieren können, vielleicht auch in unser Verhängnis, aber das können wir momentan noch nicht einmal erahnen. Ein neuer Killer ist aufgetaucht. Wir wissen nicht, wer er ist, oder woher er kommt. Nicht einmal, was seine Intention ist. Ist er genauso wie Salamander? Ist er wie Pantomime? Oder ist er vollkommen anders? All diese Namen haben Schrecken über uns gebracht und unendlich viele Schmerzen. Wie wird sein Name lauten? Alles, was wir wissen, ist, dass er diese Apparate liebt, die „LATERNA MAGICA“. Black meint, er spielt mit ihnen, er will uns etwas mitteilen, ja vielleicht sogar eine Art Kunstwerk erschaffen – oder er will Kontakt zu Salamander aufnehmen. Ich weiß nicht, welcher Gedanke unheimlicher ist. Aber das ist bei Weitem nicht das Erschreckendste. Da ist noch etwas anderes. Etwas, das mich fast den Verstand verlieren lässt und mir das Gefühl gibt, ich könnte keinen weiteren Atemzug tun, wenn du nicht zu mir zurückkehrst. Ich glaube, der Mörder kennt mich. „Solltest du nicht arbeiten?“ „Uwahh…!“ Hastig ließ sie den Brief unter einem Blätterstapel verschwinden und blickte sich vorwurfsvoll um. „Ehrlich mal, du kannst dich nicht immer so anschleichen, das ist unheimlich!“ Melinda lache nur. „Tut mir leid, deine Freundin meinte, du seiest noch im Büro und da hatte ich natürlich erwartet, dass du strebsam vor dich hinarbeitest.“ „Anna?“ „Jup, das Salamander-Mädchen.“ Sie nahm sich einen Apfel von Jodies Schreibtisch und biss genüsslich hinein. „Nenn sie nicht so!“ „Ach je, heute sind wir aber empfindlich.“ Sie seufzte resigniert. „Ich bin einfach etwas angespannt, wegen diesem neuen Fall und der Hitze, ich habe das Gefühl, ich muss in einem Backofen ermitteln.“ Nun lachten sie beide. „Oder in er Hölle. Ich weiß, was du meinst. Deshalb ist es wichtig, dass du dir ab und zu eine Pause gönnst. Lust heute wieder in das gleiche Café zu gehen? Ich bin sicher, wenn wir das öfter machen, kriegen wir irgendwann Stammgast-Rabatte.“ Sie zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Na gut, warum nicht.“ Ich hätte den Brief ja sowieso nicht abgeschickt. Wenig später saßen sie zusammen im „Antonio“, einem kleinen Italiener nicht weit von ihrer FBI-Dienststelle und tranken Kaffee. „Der ist wirklich nicht übel.“ Melinda nahm noch einen großen Schluck und lehnte sich dann entspannt zurück. „Aber nun zu dir.“ „Soll das etwa ein Verhör werden?“, scherzte Jodie etwas unbehaglich und rückte ihre Brille zurecht, die in letzter Zeit immer öfter dazu neigte, zu verrutschen. Sie würde das Gestell wohl bald reparieren lassen müssen. „Nein, nicht direkt zumindest. Ich möchte einfach wissen, wieso dich dieser Fall so mitnimmt. Natürlich ist das alles aufregend für einen Neuling, aber ich habe eher das Gefühl, er ängstigt dich.“ „Klar tut er das, es geht schließlich um einen psychisch gestörten Killer.“ Ein älterer Herr am Nachbartisch blickte neugierig von seiner Zeitung auf. Hastig senkten sie die Stimmen. „Das macht uns allen Sorgen. Aber bei dir habe ich irgendwie das Gefühl, dass es dich anders belastet, fast so, als würde dich das Ganze persönlich betreffen.“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Kanntest du eines der Opfer?“ Vor Schreck hätte sie sich fast verschluckt. „W-was? Nein, wirklich nicht! Ich bin einfach etwas nervös, weil das mein erster großer Fall ist und ich es nicht versauen möchte.“ Beinahe schien es, als würde Mel weiterbohren, doch dann lächelte sie plötzlich wissend. Jodies Gesichtszüge erstarrten in furchtsamer Erwartung augenblicklich zu Eis. „Es ist wegen Anna, nicht wahr?“ Erleichterung. Die Kältestarre fiel langsam von ihr ab und sie brachte sogar ein Nicken zustande. „Das dachte ich mir. Es nagt an dir, dass ihre Karriere pfeilschnell nach oben geht, während du immer noch das Bürohäschen bist, nicht wahr?“ „Naja…“ „Schon gut, jetzt kannst du es ja zugeben. Aber keine Sorge, das kommt noch. „Laterna Magica“ wird dein Fall!“ Sie lächelte. „Danke, Mel.“ „Keine Ursache.“ Nachdem sie gezahlt hatten, schlenderten langsam zum FBI-Gebäude zurück. Gerade, als sie es betreten wollte, ergriff Mel jedoch ihren Ärmel und hielt sie fest. Irritiert drehte Jodie sich um. „Warte.“ „Was ist denn?“ Jodie musterte ihre Kollegin beunruhigt. Irgendwie hatte sie manchmal etwas Seltsames an sich, etwas, das beunruhigend anders war. Vermutlich war dieser Gedanke lächerlich, doch auch jetzt sah sie in Melindas Blick etwas, das sofort Unbehagen bei ihr hervorrief, als wäre sie eine Fliege, die ein beinahe durchsichtiges Netz in der Luft funkeln sah. „Weißt du wer Janus ist?“ Papa, ich hab dir Orangensaft mitgebracht, komm, trink ihn mit mir! „Nein…“ „Schade, dieser Name ist mir gerade so im Kopf rumgespukt, aber ich komm einfach nicht drauf, wer das war.“ Ein breites Lächeln auf den Lippen, zog sie Jodie nach drinnen. Ihre Mittagspause war vorbei. Janus. Römischer Gott des Anfangs und des Endes. Ein Auge steht’s auf die Zukunft gerichtet und das andere… …auf die Vergangenheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)