Endosymbiontentheorie von Katta (RuffyxNami) ================================================================================ Kapitel 1: Ruffy allein Zuhaus ------------------------------ „Und du bist dir ganz sicher, dass du alleine zurechtkommen wirst?“ Der Blick meines Bruders war voller Sorge und machte einen zermürbten Eindruck. Scheinbar vertraute er mir nicht. Ich stieß einen Seufzer aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und drehte mich auf meinem Schreibtischstuhl. „Klar, du kannst dich voll und ganz auf mich verlassen. Ist ja nicht so, dass ich noch nie alleine war.“ „Ruffy, bitte“, flehte er mich an. „Du musst dich schließlich auch noch um Titi kümmern.“ „Als ob ich das nicht könnte“, maulte ich. Natürlich liebte ich meine Nichte, sorgte gerne für sie, doch manchmal hatte ich das Gefühl, dass Ace und Vivi es schon sehr ausnutzten, dass ich bei ihnen eingezogen war. „Warum nehmt ihr sie eigentlich nicht mit?“ Ace schluckte, setzte sich auf die Bettkante und verschlang die Finger ineinander. Es war kaum zu übersehen, wie unangenehm ihm die ganze Sache war und wie sehr es ihm gegen den Strich ging, die Kleine hierzulassen. Ich hörte auf mich zu drehen und zeigte ihm, dass ich bereit war zuzuhören. Seine Augen beobachteten angestrengt die eigenen Hände, nicht einmal sah er zu mir herüber. Mein Bauch fühlte sich seltsam an, ich hasste dieses Gefühl. Es war schlimmer als Hunger und es tauchte nur auf, wenn ich ihn so niedergeschlagen sah. „Vivi meint, sie würde Kobra nur zu sehr aufregen und er bräuchte doch jetzt absolute Ruhe.“ „Sollte er sich nicht eigentlich freuen, sein Enkelkind zu sehen?“, fragte ich frei heraus. Irgendwie war ich bisher noch nie schlau aus diesem Mann geworden – ging Ace scheinbar nicht anders. Egal, was er tat, in den Augen von Vivis Vater war alles falsch. Ace war falsch. Falsch für seine Tochter, für die er sich höhere Ziele vorgestellt hatte, als so früh verheiratet zu sein. Der Aufstand, den er damals gemacht hatte, als sie schwanger wurde, musste ein Donnerwetter sondergleichen gewesen sein. Zu der Zeit wusste ihr Vater eh nicht, wo ihm der Kopf stand, weil er darum gebeten wurde, den Firmenstandort in Kyushu zu übernehmen. Erst als er sie vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, war Vivi mit der Sprache raus gerückt und hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass sie hier bleiben würde. Zum Glück hatte ich das nur am Rande miterlebt, wohnte ich erst bei ihnen, als das Baby geboren war. Es war für mich selbstverständlich gewesen, dass ich ihnen meine Hilfe anbot. Für Kobra war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Von da an war Ace für ihn endgültig unten durch. Er schenkte ihm keinerlei Beachtung mehr, ignorierte ihn sogar bei seinem ersten und letzten Besuch, seitdem Titi auf der Welt war. Ich hab nur stumm zugesehen, fühlte mich hilflos. Vivi hatte alles in ihrer Macht stehende getan, um die Situation zu entschärfen, doch ihr Vater war nicht mehr umzustimmen. Eine Weile hatte Ace geschwiegen, er wusste wohl nicht, wie er seine Antwort formulieren sollte. Es musste ihn ja wirklich schwer belasten, dass er Vivi zu ihrem Vater begleiten sollte. Ich fischte ein Kaugummi aus der Box, die auf meinem Schreibtisch stand, bot Ace auch eines an, er lehnte ab. „Weißt du, Ruffy“, begann er endlich zu erklären, „ich hab dir gar nicht gesagt, weshalb wir überhaupt so plötzlich nach Kyushu müssen.“ Ich spitzte die Ohren. Tatsächlich wusste ich gar nichts über die Umstände der Reise, bloß dass ich Titi hüten sollte, während die beiden weg waren. „Kobra hatte einen Autounfall und ist seitdem querschnittsgelähmt. Die letzten Wochen hat er bei seinem älteren Bruder gelebt, doch der traut sich seine Pflege nicht mehr zu...Und hat Vivi informiert.“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Wie geht es Vivi denn?“ Er zuckte die Achseln. „Eher schlecht, ne? Sie macht sich unentwegt Gedanken und ich glaube ja, dass Titi wegen ihr hierbleiben soll. Damit sie sich um eine Sache nicht kümmern muss.“ „Wie gesagt, ist doch kein Problem“, versicherte ich ihm, konnte meine Neugierde aber nicht im Zaum halten. „Wie lange bleibt ihr eigentlich dort?“ Eine berechtigte Frage, zumal die beiden nicht fahren konnten, wann sie wollten, sondern vom Zugfahrplan abhängig waren. Denn für ein Auto fehlte nicht nur das Geld, sondern es war Ace außerdem nicht erlaubt zu fahren. Schon als Kind wurde Narkolepsie bei ihm diagnostiziert. „Ich weiß es nicht, aber mehr als ein paar Tage werde ich bestimmt nicht aushalten“, Ace lachte bitter. „Wahrscheinlich so lange, bis sich eine Lösung für Kobra gefunden hat...“ „Und wenn nicht?“ „Dann muss er wohl oder übel mit uns zurückkommen.“ „Dass eines Mal klar ist, ich teil mein Zimmer nicht mit diesem Opi!“ „Keine Sorge, Kleiner. Ich werde alles tun, um das zu verhindern“, lachte Ace und durchwuschelte mein Haar, nachdem er aufgestanden war. Sein Lachen klang ehrlich und beruhigte mich gleich wieder. Solange er noch lachen konnte, schien es nicht allzu schlimm um ihn zu stehen. Klar, seine Reiselust befand sich verständlicherweise auf dem Nullpunkt, aber das ginge wohl jedem so. Schon am nächsten Morgen waren die beiden aufgebrochen. Natürlich nicht, ohne mir einen ellenlangen Vortrag zu halten. Vor allem Vivi konnte sich gar nicht mehr lösen und hätte mir am wohl am liebsten noch eine Liste in die Hand gedrückt. Ich schob es auf die allgemeinen Umstände. Immerhin hatte ihr Vater einen Unfall, kein Wunder, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand. Im Pyjama und Titi auf dem Arm winkte ich ihnen hinterher, bis das Taxi außerhalb der Sichtweite war. Normalerweise wäre ich wohl zum Bahnhof mitgekommen, doch es war das Beste Titi einen möglichst schmerzlosen Abschied zu bereiten. In Aces Haut mochte ich in diesem Moment echt nicht stecken, obwohl ich ihn immer beneidet hatte. Vivi und er wirkten – von den gelegentlichen Streitereien abgesehen – so glücklich, als hätten sie sich gesucht und gefunden. Im Gegensatz zu ihm hatte ich keinerlei Händchen für Frauen. Es war nicht so, dass ich nicht mit ihnen reden konnte, doch sahen sie in mir wohl nie mehr als einen guten Freund. Es konnte ein Kompliment sein, für mich war es frustrierend. Immerhin sehnte ich mich auch nach Zärtlichkeit und diesem besonderen Vertrauen. Die einzige Frau in meinem Leben war knapp zwei Jahre alt, plärrte herzerweichend und zog mit einer Hand an meinen Haaren, während sie die andere in mein Gesicht haute. „Oh Titi, beruhig dich doch.“ Doch natürlich tat sie das nicht. Hochrot lief ihr Kopf an, während sie sich die kleine Lunge aus dem Leib schrie. Ein anderes Verhalten hatte ich nicht erwartet, begann sie schon zu weinen, wenn Ace nur das Zimmer verließ. Ich habe keine Ahnung, wieso dies bei Vivi nicht der Fall war, aber vermutlich ahnte sie bei ihr, dass sie immer wiederkam. Ich streichelte ihr über das blaue Haar und drückte ihr einen Kuss auf, bevor ich zurück in die Wohnung ging. Am Kühlschrank hing eine Liste mit Nummern, die ich im Notfall anrufen sollte. Zum einen die Nummer von Vivis Vater in Kyushu, zum anderen die Nummern von Marco, Nami und Dadan. Ich setzte Titi auf dem dicken Teppich im Wohnzimmer, das direkt an die Küche mitsamt Essbereich angrenzte, ab, auf dem ihr Spielzeug verteilt war, ehe ich zum Kühlschrank ging und den Zettel zwischen den Fingern haltend betrachtete. Allein Namis Namen dort geschrieben zu sehen, versetzte meinem Herzen einen Stich. Wie Vivi kannte ich sie bereits seit meiner Schulzeit, hatte mich letztes Jahr endlich getraut, mich mit ihr zu verabreden, nachdem ich monatelang heimlich für sie geschwärmt hatte. Nami hatte schon immer einen besonderen Stellenwert in meinem Leben gehabt, war seit Jahr und Tag meine beste Freundin, doch als sie auf der Hochzeit von Ace und Vivi meine Hand für einen Moment gehalten hatte, waren die Funken übergesprungen. Ein Blitzschlag, der alles veränderte. Zu meinem Glück hatte sie meine Einladung damals auch gleich angenommen und dass wir uns nach dem Essen küssend auf einer Parkbank wiedergefunden hatten, hatte mich in meiner Annahme, dass es gut gelaufen war und ich mit meinen Gefühlen nicht alleine war, nur bestätigt. Nami sah das jedoch anders und speiste mich keine Woche später mit dem oft gehörten „Du bist total toll, aber ich will momentan keine Beziehung. Wir können aber immer noch Freunde sein.“ ab. Enttäuschung war gar kein Ausdruck für das, was ich danach empfand, und ich dachte damals, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, bis ich von Vivi erfahren hatte, dass Nami mit dem Koch, mit dem sie ein kleines Bar-Restaurant in der Innenstadt betrieb, angebändelt hatte. Sie hatte herumgedruckst und war mir und meinen Fragen ausgewichen, als ich mich nach Nami erkundigt hatte, doch ich hatte nicht locker gelassen. Mitfühlend hatte Vivi mir ihr Bedauern bekundet, doch davon konnte ich mir auch nichts kaufen. Und jetzt stand genau sie als Ansprechpartner im Notfall auf der von Vivi geschriebenen Liste. Klar, sie war ihre beste Freundin und Arbeitgeberin, aber hätte sie sich nicht denken können, dass ich Nami niemals kontaktieren würde? Es war nicht so, dass ich ihr noch hinter her trauerte, nein, vielmehr ging es mir darum, dass ich mich so in ihrer Ehrlichkeit getäuscht hatte. Und Marco...Ich kannte ihn kaum, lediglich zweimal hatte ich ihn bisher getroffen. Einmal war er zum Abendessen geblieben, das andere Mal hatte er Ace etwas vorbei gebracht. Ich wusste nichts über diesen Mann, außer dass er sowohl Aces Kollege als auch sein bester Freund war. Zum Glück gab es im Fall der Fälle noch immer unsere Pflegemutter Dadan. Zwar wohnte sie ein wenig außerhalb, doch auf sie konnte ich zählen. „Luuuuuffiiiiii!“, quäkte Titi, die auf mich zu gewackelt kam, an meiner Hose zog und verlangte hochgenommen zu werden. Das R zu sprechen, gelang ihr noch nicht, aber ich freute mich jedes Mal, wenn sie meinen Namen sagte. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie sie immer länger am Stück gebrabbelt hatte und ich ihr ständig und mit Engelsgeduld meinen Namen vorgesprochen hatte. Dennoch war ihr erstes Wort „Papa“ gewesen. „Hast du Hunger?“, fragte ich sie und hielt ihr ein Gläschen, das mit zermatschten Spaghetti gefüllt war, entgegen. Sie nickte heftig und klatschte in die Händchen, bevor eines von ihnen sich wieder in meinem Haar verfing. „Lass los, Prinzessin“, sagte ich, manövrierte sie in den Hochstuhl und kratzte die Hälfte des Gläscheninhalts in eine Schüssel, die ich für einen Augenblick in die Mikrowelle schob. Vivi würde mich erwürgen, wenn sie das wüsste. Hatte sie mir extra aufgeschrieben, was ich frisch für ihre Tochter kochen und anschließend pürieren sollte. Ein Gläschen würde sie schon nicht umbringen... Nachdem ich die Temperatur des Essen geprüft hatte, stellte ich Titi das Schüsselchen hin und gab ihr einen Plastiklöffel. Obwohl es mit dem alleine Essen noch nicht so recht klappen wollte, sah ich dennoch keinen Grund sie durchweg zu füttern. Irgendwann musste sie es sowieso alleine tun. Mein Handy vibrierte, eindeutig eine Kurzmitteilung. Ich rollte die Augen, ob das die übliche Überprüfungsnachricht war? Ich sah schon Vivis aufgeregten Fragen auf mich einprasseln und war dementsprechend überrascht, als ich Zorros Nummer auf dem Bildschirm sah. Hey Ruffy, Lange nichts mehr von dir gehört. Soweit alles in Ordnung? Kommst du heute Abend zum Training? Zorro Ich blickte hinüber zu Titi, die statt mit dem Löffel mit den Händen in der Schüssel wühlte und den Brei von ihnen ableckte. In ihrem gesamten Gesicht klebten Nudelstückchen und Tomatensoße. Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen. „Du kommst eindeutig nach deinem Vater.“ Perplex zwinkerte sie, leckte ihre Finger ab und wollte mir ins Gesicht greifen. „Papa nicht da“, murmelte sie, während ich aufstand, nach einem Tuch griff und ihre Hände säuberte. „Nur ich bin noch hier.“ „Luffi.“ Ich lächelte, legte ihr den Löffel zurück in die Hand und antwortete Zorro. Hey Zorro! Momentan ist eher schlecht, muss auf meine Nichte aufpassen. Vielleicht nächste Woche oder so. Ruffy Kaum hatte ich auf Senden gedrückt, erkannte ich aus den Augenwinkeln heraus, wie Titi sich die Augen rieb. Höchste Zeit für ihren Mittagsschlaf. Nachdem ich ihr am Waschbecken die Hände und unter Protest auch das kleine Gesicht gewaschen hatte, brachte ich sie in Vivis und Aces Schlafzimmer, in dem ihr Bettchen stand. Rasch hatte ich sie umgezogen, hingelegt und zugedeckt. Endlich ein wenig Zeit für mich, wenngleich sie schon bis auf die letzte Sekunde verplant war. Lernen war angesagt, die Abschlussprüfungen waren gefährlich nahe gekommen und ich hatte noch sehr viel Stoff nachzuholen. Oft hatte Ace mich gebeten zu Hause zu bleiben und zu Babysitten, weil sowohl er als auch Vivi hatten arbeiten müssen. Da ich umsonst bei den beiden wohnen durfte und keinerlei Geld verdiente, machte ich mich eben in dieser Hinsicht nützlich, doch hatten so manches Mal meine Noten darunter gelitten. Ich glaube, dass Ace mich dafür beneidet, dass ich studieren kann und nicht im Schichtdienst in einer Fabrik buckeln muss. Vivi merkt man es stärker an, dass sie gerne mit mir tauschen würde. Sie stichelte sehr in dieser Hinsicht, betonte, dass andere für ihr Geld hart arbeiten müssten und nicht den Luxus eines Studiums genießen könnten. Sonst ist sie nicht so, eher eine liebe, ruhige Person, die sich kaum etwas anmerken lässt und lieber für andere da ist. Doch manchmal habe ich sie durch die Wand weinen gehört. Schon in der Schule fand ich, dass sie irgendetwas Edles ausstrahlte, fast wie eine Prinzessin, die zu Höherem bestimmt war. Vielleicht lag es aber auch bloß daran, dass sie einen reichen und einflussreichen Vater hat. Ich hielt inne, kaute auf meinem Bleistift und schob das Buch zur Seite. Ironie des Schicksals, dass gerade Vivi in so eine Lage geraten war. Man hätte meinen können, dass gerade sie sich niemals Sorgen ums Geld machen müsste. Aber wenn man die Pläne und Vorstellungen des eigenen Vaters derartig durchkreuzte, blieb einem Nichts anderes übrig, als sich mit Kellnern über Wasser zu halten. Ich schluckte. Auch ich hatte so meine Probleme mit meinem Vater oder besser gesagt Erzeuger. Egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, ob ich ihn überhaupt jemals gesehen hatte. Meine frühesten Kindheitserinnerungen drehen sich alle um meinen Opa, der mich die ersten Jahre meines Lebens aufgezogen, dann aber zu Dadan gebracht hatte. Ich weiß nicht, was ohne Dadan und Ace aus mir geworden wäre. Opa hatte immer wenig Zeit, weil sein Beruf ihn derartig in Anspruch genommen hatte. Damals war ich böse auf ihn, dass er mich abgeschoben hatte, heute bin ich dankbar. Denn obwohl Dadan so manches Mal schwierig war, hat sie sich immer für Ace und mich eingesetzt. Wenn ich nur an die Situation denke, als Vivi ihre Schwangerschaft verkündet hatte. Ich war gerade mit der Schule fertig und sie im letzten Jahr der Oberschule. Ihr Vater hat getobt und einen Aufstand gemacht, sodass Dadan ihr ohne Umschweife angeboten hatte, bei ihr einzuziehen, bis sie und Ace eine eigene Wohnung gefunden hatten. Mein Opa hatte einen ähnlichen Tobsuchtsanfall bekommen und Ace gehörig die Leviten gelesen. „Konntest du denn nicht einmal aufpassen?“, hatte er das „Gespräch“ begonnen. „Ein Rückzieher kommt für dich nie infrage, was?“ Die Lage war bitterernst, still hockten Dadan, Ace und ich an ihrem Küchentisch, während Opa wie das HB-Männchen in die Luft ging. Trotzdem oder gerade, weil es so angespannt war, musste ich lachen. Dieser letzte Satz und das in meinem Kopf aufploppende Bild gaben mir den Rest. Und ich frage mich bis heute, ob Opa genau dasselbe Bild vor Augen hatte. Andernfalls kann ich mir seine Worte nicht erklären. Was ich aber definitiv sagen kann, ist, dass Dadan es auch gesehen haben musste, denn sie wurde plötzlich kirschrot, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und sagte: „Ach, Garp, es nutzt doch nichts, sich über verschüttete Milch aufzuregen!“ „Verschüttete Milch“, japste ich, vergrub das Gesicht in den Händen und bekam kaum mehr Luft, bis mich ein Ellbogen in die Rippen traf und ein tödlicher Blick seitens Ace folgte. Ich konnte ihn ja verstehen, wahrscheinlich wäre mir auch nicht zum Lachen zumute gewesen, wäre meine „verschüttete Milch“ das Thema gewesen. Für Dadan war es selbstverständlich gewesen, dass sie die beiden unterstützte, egal welcher Ansicht Vivis Vater oder mein Opa waren, obwohl sie selber kaum Geld und ihre kleine Hütte kaum Platz hatte. Ich hatte sogar manchmal den Eindruck, sie freue sich richtig über den Familienzuwachs, hatte sie doch eine Menge Tränen vergossen, als die beiden wieder ausgezogen waren. Ich lächelte und schüttelte den Kopf. Dadan war einfach zu nah am Wasser gebaut, es gab eigentlich kaum etwas, das sie nicht zu Tränen rührte. Bei der Hochzeit gab es wohl keine Minute, in der ihre Augen einmal trocken waren... Vielleicht sollte ich sie die Tage besuchen, sie freute sich bestimmt, Titi zu sehen. Soeben wollte ich das Projekt Lernen wieder in Angriff nehmen, als Titis schrilles Weinen ertönte. Mit einem Satz hechtete ich ins nebenan liegende Schlafzimmer, hob sie aus ihrem Bettchen und setzte sie auf dem Doppelbett ab, um in der kleinen Kommode nach neuen Klamotten für sie zu suchen. Ich hatte Lust hinaus zu gehen, in der Wohnung fiel mir schnell die Decke auf den Kopf und Titi würde sich ebenfalls über ein bisschen Abwechslung freuen. Rasch steckte ich Schlüssel, Handy und ein wenig Geld in die Hosentasche, ehe ich mit Titi auf dem Arm die Wohnung verließ. Weit musste man nicht gehen, bis man den nächsten Park erreichte, doch waren die Straßen bis dahin meistens überfüllt und nur schwer zu überqueren. Oft hatte ich mich gefragt, wie Vivi das mit dem Kinderwagen schaffte, der für mich bloß ein weiteres Hindernis war. Dafür, dass die Stadt so grau, eng und laut war, war ihr Park umso schöner. Grün säumten zahlreiche Pflanzen die Wege und der Lärm war beinahe ganz vergessen. Ich zog Titi die Mütze zurecht, ehe ich mich mit ihr auf dem Schoss auf eine der Schaukeln setzte und ein wenig Hin und Her schwang. Manchmal spielte ich auch mit ihr im Sand, was ihr definitiv am meisten Spaß machte, wenngleich ich ihn dann oft in den Haaren oder im Gesicht hatte. Doch heute war der Sand einfach zu nass und ich wollte Titi eine Erkältung natürlich ersparen. Außerdem hatte ich schlicht keine Lust auf ein krankes Kleinkind, denn das machte die ganze Sache noch anstrengender. Mal ganz davon abgesehen, welche Standpauken ich mir dann hätte anhören dürfen. Das Schaukeln schien ihr sehr zu gefallen, immer wieder quietschte sie vor Freude auf, wenn ich ein Stückchen höher schwang. Nachdem wir wieder zu Hause angekommen waren, hatte ich Titi in die Badewanne gesteckt. Irgendwie hatte sie mich doch noch dazu bewegen können mit ihr im Sand zu spielen, vielleicht war es die Aussicht auf einen Sandkuchen gewesen. Womöglich aber ihre großen braunen Knopfaugen. Kein Wunder, dass Ace ihr alles durchgehen ließ. „Guck ma, Luffi“, rief sie auf einmal, tauchte das kleine Boot mit dem Lammkopf als Galionsfigur ins Badewasser und ließ es wieder nach oben schnellen, wobei einige Spritzer Wasser folgte. „Mach doch nicht so eine Sauerei, Titi!“, sagte ich ernst, musste mir aber ein Lachen verkneifen. Sie zog die Nase kraus und lächelte. Deutlich blitzte der Schelm in ihren Augen auf und sie schlug mit voller Kraft auf das Badewasser ein. Im letzten Moment konnte ich mir den Arm vors Gesicht halten, wurde aber dennoch durchgeweicht. „Du bist ein richtiges Teufelchen“, sagte ich, kniff zärtlich in ihre sommersprossige Wange und wickelte sie in ein großes Handtuch ein. Eigentlich war sie ein pflegeleichtes Kind, das hin und wieder seine Grenzen austeste. Ich weiß nicht, ob ich mit einem anderen Kind alleine so gut klargekommen wäre, oder ob es genauso abgelaufen wäre, wenn ich sie nicht jeden Tag um mich gehabt hätte. Bestimmt hätte sie dann am Abend viel mehr geweint und nach ihren Eltern gebrüllt. So waren es lediglich zehn Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Ich hatte sie beruhigen können, indem ich mich mit ihr in Vivis und Aces Bett gelegt hatte, der vertraute Geruch musste ihr Sicherheit vermittelt haben, woraufhin sie blitzschnell eingeschlafen war. Es war wirklich faszinierend zu sehen, welche einfachen Dinge Kinder glücklich machen konnten. Schade, dass sich das mit der Zeit so extrem wandelte. Ich freute mich zwar auch sehr über mein Lieblingsessen, aber kam gleich danach doch wieder der bittere Geschmack der Realität auf meine Zunge, mit all seinen Sorgen und Problemen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)