Lost memory von abgemeldet (Try to remember...[Albus S. Potter ♥ Alice G. Longbottom]) ================================================================================ Prolog: one moment ------------------ one moment Ungeduldig trommelte Albus Severus Potter mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum und warf dabei einen Blick auf die Digitaluhr am Armaturenbrett. 8:25. „Na komm schon.“, brummte er und fixierte mit starrem Blick die rot leuchtende Ampel schräg über ihm, welche bereits seit geschlagenen zehn Minuten keine Anstalten machte, auf das von Al so sehnlich erwartete grün umzuspringen. Unruhig rutschte er auf dem Sitz hin und her und blickte dabei immer wieder abwechselnd auf die Uhr und zu der Ampel. Mit einem genervten Seufzen lehnte der Potter seine Stirn gegen das Lenkrad. Das durfte doch nicht wahr sein. Der erste Arbeitstag im neuen Jahr und er kam zu spät. Hervorragend! Dabei hatte er sich doch an Silvester vorgenommen, seinem Vorgesetzten Mr. Greenberg keinerlei Vorwände zu liefern, ihn für irgendwelche Kleinigkeiten zu rügen. „Al, konzentrier dich auf den Verkehr. Und bitte zappel nicht so rum, das macht mich nervös.“, erklang es leicht tadelnd vom Beifahrersitz. Er rollte mit den Augen, hob aber den Kopf und nahm wieder eine aufrechte Sitzposition ein. Er verstand nicht wie seine Freundin Alice neben ihm so ruhig da sitzen und in ihrem Buch lesen konnte. Störte sie dieses langsame Kriechen von roter Ampel zur roter Ampel denn gar nicht? „Die spinnen doch alle, die Muggel!“, schimpfte Albus, „Wer tut sich sowas schon freiwillig jeden Morgen an? Schrecklich ist das. Wir sind nur knapp einen Kilometer von der Uni entfernt und brauchen aber wahrscheinlich noch eine gute halbe Stunde, bis wir da sind. Das ist doch dämlich!“ „Halbe Stunde? Sehr gut, dann schaffe ich es ja genau pünktlich zur ersten Vorlesung.“, warf Alice gut gelaunt ein. „Ja, DU kommst pünktlich. Und was ist mit mir? Greenberg wird mich umbringen!“ „Wer hat denn heute Morgen ausdrücklich darauf bestanden, das Auto zu nehmen, anstatt zu apparieren, weil er unbedingt mit seinen Fahrkünsten angeben wollte?“, fragte Alice beiläufig, aber er sah aus den Augenwinkeln, wie sich ihre Mundwinkel zu einem leichten Lächeln hoben. „Tz.“, machte er nur und verzog beleidigt das Gesicht, „Niemand hat dich gezwungen, mitzufahren!“ Lachend klappte Alice ihr Buch zu und ließ es in ihrer Umhängetasche verschwinden, die auf ihrem Schoss ruhte. „Ach jetzt schmoll doch nicht. Das war doch kein Vorwurf! Ganz im Gegenteil, ich finde es toll, dass du dich für die Transportmittel der Muggel so begeistern kannst!“ „Du machst dich über mich lustig.“ „Wie kommst du denn darauf?“, fragte Alice unschuldig, während sie in ihrer Tasche schon wieder nach einem Buch kramte. Albus brummte etwas Unverständliches und fuhr damit fort, die rote Ampel zu fixieren. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass James vielleicht doch nicht so selbstlos war, wie er gedacht hatte, als dieser Albus ohne Weiteres seinen alten roten Mini überlassen hatte. So wie er seinen Bruder kannte, hatte dieser auch nicht die nötige Geduld, den Londoner Straßenverkehr komplett ohne Zauberei durchzustehen. Albus hatte seinen Zauberstab hinten im Kofferraum und er würde sich eher den Rest seines Lebens das Bett mit einem ausgewachsenen Bergtroll teilen als Alice darum zu bitten, ihm den Weg frei zu zaubern. Außerdem war die Gefahr zu groß, von Muggeln dabei gesehen zu werden. Und das Letzte, was Albus jetzt noch gebrauchen konnte, war eine Anhörung weil er gegen das Abkommen zur Geheimhaltung der Magie verstoßen hatte. Er steckte gerade mitten im letzten Jahr seiner Ausbildung zum Fluchbrecher und hatte damit wirklich schon genug Stress am Hals. Zwischen der ganzen Lernerei für die Abschlussprüfung musste er zwischendurch auch weiterhin die Aufgaben erledigen, die ihm Mr. Greenberg auftrug. Wenn er dann abends völlig erledigt Heim kam, erwartete Alice ihn meistens bereits schon mit einer warmen Mahlzeit, nach welcher er sofort schlafen ging, damit er am nächsten Morgen wieder fit für den neuen Tag war. Alice nahm es klaglos hin, dass er momentan sehr wenig Zeit für sie hatte. Weihnachten und Silvester hatte er es zum Glück geschafft, sich Urlaub zu nehmen und hatte so ein bisschen was wieder gut gemacht, aber trotzdem wünschte er, dass er mehr Zeit mit ihr verbringen könnte. Alice sah das ganze sehr gelassen, sie war eh der Typ Mensch, der auch in einer Beziehung ab und an mal Zeit für sich brauchte, doch Albus war sich sicher, dass zu viel Zeit allein auch nicht gesund für eine Beziehung sein konnte. Er wusste es zu schätzen, was sie für ihn tat, und er war mehr als nur bereit dafür, in zwei, drei Jahren für sie dasselbe zu tun, wenn ihr Studium langsam, aber sicher, in die ernste Phase übergehen würde. Momentan lief es noch relativ locker. Die Vorlesungen sein zwar kompliziert, so hatte Alice erzählt, und man müsse für jede mindestens im Monat zwei Bücher durchackern, aber dies stellte für sie keine wirkliche Herausforderung dar. Sie war seit jeher ein Bücherwurm gewesen. Alice wehrte sich stets vehement gegen diese Bezeichnung. „Das klingt, als würde ich meine gesamte Freizeit mit Lesen verbringen!“ Nur zu gern erinnerte er sie dann daran, dass er sie schließlich auch genau so kennen gelernt hatte. Als tollpatschigen, verträumten Bücherwurm. Das erste Mal richtig wahrgenommen hatte er sie in der Bibliothek. Wo auch sonst? Es war kurz vor seinen ZAG-Prüfungen gewesen, und da er nun einmal nicht zu der Sorte Mensch gehörte, die sich langfristig auf bevorstehende Prüfungen vorbereiteten, musste er gezwungenermaßen die letzten zwei Wochen vor den Prüfungen Tag und Nacht in der Bibliothek verbringen, wenn er überhaupt noch irgendetwas in dieser kurzen Zeit lernen wollte. Sein gesamter Freundeskreis war vorrausschauender gewesen was die Prüfungsvorbereitung anging, weshalb er meist, umgeben von zwei Dutzend Büchern, bekritzelten Pergamentrollen und einer Box Schokofrösche als Nervennahrung, allein in einer Ecke saß und versuchte, sich den Stoff der letzten 5 Schuljahre einzuprägen. Albus war gerade dabei gewesen, die verschiedenen Zahlentabellen für Arythmantik durchzusehen, als er aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sich jemand auf dem Platz ihm gegenüber niederließ. In der Erwartung, dass sich Scorpius seiner erbarmt hatte und, anstatt bei den sommerlichen Temperaturen, die draußen herrschten, am See zu entspannen, seinem besten Freund im Kampf gegen den Prüfungsstoff beistehen wollte, hob er den Kopf. Doch es war nicht Scorpius, der wie selbstverständlich an seinem Tisch Platz genommen hatte, sondern ein ihm unbekanntes Mädchen. Sie hatte langes, dunkelbraunes Haar, welches ihr in leichten Wellen über die Schultern fiel und trug eine große, schwarze Brille, von der er aber momentan nur die oberen Ränder sehen konnte, da sie ein Buch von beachtenswerter Größe in den Händen hielt, welches ihr Gesicht komplett verdeckte. Sie runzelte leicht die Stirn, während sie las. Erstaunt musterte Albus das fremde Mädchen. Das wuchtige Buch schien beinahe mehr zu wiegen als sie selbst. Er legte leicht den Kopf schräg, um den Titel, der in abgeblätterten Goldbuchstaben auf dem Buchrücken stand, lesen zu können. Anwendungen grundlegender Heilmethoden – Band 2 Interessant. Eine angehende Heilerin also. Er schüttelte belustig den Kopf, und wandte sich dann wieder seinen Aufzeichnungen zu. Er versuchte, sich wieder auf seine Unterlagen zu konzentrieren, doch immer wieder huschte sein Blick zu dem Mädchen, welches immer noch still da saß und lediglich ab und zu die rechte Hand hob, um eine Seite umzublättern. Im Gegensatz zu ihm schien sie keine Schwierigkeiten damit zu haben, ihre ganze Aufmerksamkeit ihrer Lektüre zu zuwenden. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum, aber aus irgendeinem Grund wollte er dieses Mädchen kennen lernen. Dieses Gefühl, es war vollkommen abwegig, er wusste ja noch nicht einmal, wie sie aussah. Und trotzdem... Schließlich siegte seine Neugier. Er wusste nicht genau, warum, aber er musste sie ansprechen. Vorsichtig streckte er eine Hand aus und pochte mit dem Fingerknöchel gegen den monströsen Buchdeckel. Die Reaktion kam augenblicklich. Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen, stieß dabei ein überraschtes Keuchen aus und ließ das Buch los. Es kippte nach hinten und Albus konnte gerade noch seine Hände wegziehen, bevor es mit einem dumpfen Aufschlag auf der Tischplatte aufkam und die Packung Schokofrösche unter sich begrub. „Oh…ich…das tut mir echt leid!“, stammelte das Mädchen, nachdem sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, und hob mit einem leisen Ächzen das Buch wieder an. Schuldbewusst betrachtete sie den zerquetschen Haufen aus Schokolade und Pappe, in den sich die Packung Schokofrösche unter dem Gewicht des Buches verwandelt hatte. „Ach, macht doch nichts.“, winkte der Potter ab, während er seinen Zauberstab zog und sich daran machte, mit einem einfachen Putzzauber die Überreste seiner Süßigkeiten zu entfernen, bevor der Bibliothekar Mr. Fields das Malheur entdecken konnte, „Besser die Schokofrösche als meine Hände!“ Er grinste sie an und sie lächelte unsicher zurück. „Tut mir wirklich leid.“, wiederholte sie trotzdem, „Ich habe irgendwie gar nicht mitbekommen, dass ich nicht alleine hier sitze.“ Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. „Na ja, vermutlich warst du einfach zu versunken in dein…Buch.“ Er bedachte das Monstrum mit einem unbehaglichen Blick und strich sich dabei geistesabwesend über die Hand. Er vermutete, dass diese nun ebenso eine Konsistenz wie die eben beseitigten Schokofrösche habe würde, wenn er nicht schnell genug reagiert hätte. Das Mädchen lachte, als sie seinen leicht panischen Blick bemerkte. Es war ein schönes Lachen. Ehrlich, herzlich, und dennoch leicht verhalten. Jetzt, wo ihm das Buch nicht mehr die Sicht auf ihr Gesicht versperrte, stellte er fest, dass sie sogar sehr hübsch war. Sie hatte sehr feine Gesichtszüge, strahlend blaue Augen und beim Lachen zeichneten sich auf ihren Wangen kleine Lachfältchen ab. Die große schwarze Brille, die sie trug, vervollständigte das Gesamtbild und verlieh ihrem Aussehen irgendwie etwas Besonderes. Albus entschied sich im Bruchteil einer Sekunde. Feierlich streckte er ihr die Hand hin. „Ich bin Albus…“ „…Potter, ja, ich weiß.“ Als sie seinen fragenden Blick bemerkte, zuckte sie mit den Schultern. „Nun ja, es ist schwer, dich nicht zu kennen.“ Er lachte und kratze sich ein wenig verlegen am Hinterkopf. „Mein Ruf eilt mir wohl voraus, was?“ Sie grinste. „Ein wenig, ja.“ Sie ergriff seine Hand und schüttelte sie. „Alice Longbottom.“ Er lächelte. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Alice Longbottom.“ „Ach ja, es wäre lieb, wenn du Erik nachher vom Floport abholen könntest.“ Albus erwachte aus seinen Gedanken. Er brauchte einen Moment, um den Satz richtig einordnen zu können, dann wandte er sich empört seiner Freundin zu. „Was? Wieso ich?!“ „Weil meine Vorlesung bis 16 Uhr geht und ich danach noch ins St. Mungos muss, um mit der Oberheilerin über mein Praktikum zu sprechen.“, erklärte Alice geduldig. Sie verzichtete darauf, zu erwähnen, dass sie ihm davon bereits gestern Abend, kurz bevor sie schlafen gegangen waren, erzählt hatte und es heute Morgen noch einmal am Frühstückstisch angesprochen hatte. Der Dunkelhaarige verschränkte mürrisch die Arme vor der Brust. „Er kann doch apparieren. Oder mit dem Bus fahren. Oder mit der Muggel-Bahn.“ Alice verpasste ihm einen leichten Schlag gegen den Oberarm. „Jetzt stell dich nicht so an! Wir haben uns fast ein Jahr nicht gesehen und er kommt nur her, weil ich ihn inständig darum gebeten habe. Dann ist es auch unsere Aufgabe, ihn abzuholen, das gehört sich einfach so, Al. Außerdem war er noch nie bei uns zu Hause. Und du kennst doch Erik. Was die Muggelwelt angeht ist er immer etwas…hilflos.“ Albus stieß ein belustigtes Schnauben aus. Hilflos, ja, das traf es ganz gut. Obwohl Erik sonst jegliche Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben schien, war der Gute in der Muggelwelt vollkommen aufgeschmissen, so wie die meisten Zauberer, die ohne jeglichen Kontakt zu ‘reinen‘ Muggeln aufgewachsen waren. „Und ich weiß, dass er sich freuen würde, dich zu sehen.“, fügte Alice hinzu. Daran zweifelte Albus stark. Erik verabscheute ihn. Lediglich wenn Alice in der Nähe war, verhielt er sich, vermutlich ihr zuliebe, Albus gegenüber einigermaßen freundlich. Sobald sie aber den Raum verließ, durchbohrte er Albus förmlich mit bösen Blicken und stellte eine misstrauische Frage nach der Anderen. Doch dieser konnte es ihm nicht verübeln. Das war eben typisch für große Brüder. Er hatte sich auch bis heute nicht für den Langzeitfreund seiner kleinen Schwester Lily erwärmen können und James ging es da nicht anders. Es war eben Eriks Pflicht als großer Bruder, den Freund seiner kleinen Schwester nicht leiden zu können. Alice bemerkte seinen Widerwillen. Sie rutschte ein wenig näher an ihn heran, lehnte den Kopf gegen seine Schulter und schaute ihn mit ihren großen, blauen Augen bittend an. Albus seufzte. „Komm. Für mich, ja?“ Sie zog eine Schnute. Sie wusste ganz genau, dass er ihr so keinen Wunsch abschlagen konnte. Dieses kleine Biest! „Hmmmmm, naaaa gut.“, gab er sich schließlich geschlagen, „Ich hole ihn ab und bring ihn nach Hause, aber um Punkt 20 Uhr haue ich ab. Ich hab nämlich Scorp versprochen, heute Abend mal kurz bei ihm vorbei zu schauen. Wenn ich nicht komme, kündigt er mir die Freundschaft, hat er gesagt.“ Alice strahlte. „Mehr verlange ich auch gar nicht. Danke!“ Sie beugte sich vor und gab dem immer noch grimmig drein schauenden Albus einen Kuss auf die Wange. „Ich liebe dich.“ „Jaja, ich mich auch.“ Lachend schüttelte sie den Kopf. „Du bist unmöglich.“ Dann kehrte wieder Stille ein und Albus nutzte die Zeit, um im Kopf schon einmal jegliche Ausreden durchzugehen, die er kannte. Denn ein simples ‘Entschuldigung, ich hab im Stau gesteckt‘ würde wohl nicht den gewünschten Erfolg erzielen. Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, sprang die Ampel auf grün. Er atmete erleichtert aus. Vielleicht würden sie es doch noch pünktlich schaffen. Er ließ die Kupplung kommen und fuhr behutsam an. Während sie die Kreuzung überquerten, wandte Albus für einen kurzen Moment den Kopf nach links zu Alice. Sie hatte wieder ihr Buch hervorgezogen und blätterte, auf ihrer Unterlippe kauend, gerade eine Seite um. Ihre Stirn war leicht gerunzelt, wie immer, wenn sie sich voll und ganz in den Seiten der Bücher verlor, und in diesem kurzen, kleinen , unbedeutenden Moment wurde Albus wieder einmal bewusst, dass er wohl niemals wieder jemanden so lieben würde wie Alice. Er lächelte leicht bei dieser Erkenntnis, dann öffnete den Mund, um sie zu fragen, wann genau er denn ihren Bruder abholen sollte, als er rein zufällig durch das Beifahrerfenster den schwarzen Land Rover bemerkte, der, die rote Ampel einfach ignorierend, mit hoher Geschwindigkeit geradewegs auf sie zu raste. Er kam näher und näher und obwohl Albus ihn kommen sah, hatte er keine Chance, das Unvermeidbare zu verhindern. Noch bevor er auch nur reagieren oder einen Warnschrei ausstoßen konnte, krachte der Land Rover mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit gegen die Beifahrertür seines roten Minis. Durch den heftigen Aufprall ruckte Albus‘ Kopf zur Seite und knallte mit voller Wucht gegen den Türrahmen. Lichter explodierten vor seinen Augen, in seinen Ohren dröhnte es und wie durch einen dichten Vorhang hörte er das Quitschen und Knarren von sich biegendem Metall, das Splittern von Glas und Alice‘ Aufschrei. Ob er selbst auch schrie, wusste er nicht. Das alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab und bevor Albus auch nur begreifen konnte, was gerade passierte, war es auch schon wieder vorbei. Die urplötzliche Stille, die nach dem ganzen Krach um ihn herum herrschte, war fast noch unerträglicher als das Getöse davor. Von irgendwo her erklang leises Stimmengewirr, doch es schien unendlich weit weg zu sein. Vorsichtig öffnete Albus seine Augen, die er nach seinem Aufprall fest zugekniffen hatte. Er lehnte mit dem Kopf an der Fensterscheibe. Draußen konnte er Menschen hektisch herum laufen sehen. Vermutlich kamen daher die Stimmen. Sein Blick war ein wenig verschwommen und Übelkeit stieg in ihm hoch, als er vorsichtig und unter Schmerzen den Kopf drehte. „Ali?“, stöhnte er. Alice hing zusammen gesunken auf dem Beifahrersitz. Am Kopf hatte sie eine Platzwunde und ihre komplette linkte Gesichtshälfte war blutverschmiert. „Ali! Hey, wach auf!“, flüsterte Albus leise. Am liebsten hätte er es geschrien, doch im fehlte die Kraft dazu. Umso länger er den Kopf verdrehte, um Alice anschauen zu können, desto verschleiert wurde sein Blick. Er wehrte sich dagegen. Nein, er durfte nicht ohnmächtig werden, er musste sich erst versichern, ob mit ihr alles in Ordnung war, er musste ihre Stimme hören, jetzt! Doch so sehr er auch kämpfe, er driftete immer weiter ab bis der Schleier vor seinen Augen sich schließlich verdichtete und ihn unwiderruflich hinab in die Dunkelheit zog. Kapitel 1: the thin line... --------------------------- Als sein Handy klingelte, hatte sich Scorpius Malfoy gerade nach einer nervenaufreibenden Nachtschicht mit einem Stöhnen auf das große, weiche Doppelbett fallen lassen und sein Kopf zwischen den Kissen vergraben. Aus der Küche hörte er Rose leise vor sich hin summen, während sie mit dem Geschirr klapperte und Wasser für ihren Tee aufsetzte. So wie jeden Morgen. Diese alltägliche Geräuschkulisse war ihm so vertraut, dass sie ihn normalerweise sofort in einen dämmrigen Halbschlaf fallen ließ. Nur dieses unerträgliche, monotone Schrillen des Mobiltelefons, welches ihm Albus und Rose zum letzten Geburtstag geschenkt hatten, da sie der Meinung waren, dass auch er “mit der Zeit gehen“ müsse, unterbrach diese gewohnten Geräusche. Doch Scorpius hatte nicht die Absicht, sich noch einmal aufzuraffen und das Klingeln zu unterbinden, stattdessen packte er einfach eines der dezent nach Rosenblüten riechenden Kissen und zog es sich über den Kopf. Nach ein paar Versuchen würde das Klingeln schon verstummen, so dachte der Malfoy und glitt immer weiter hinüber in einen traumlosen Schlaf. Doch da irrte er sich. Nach dem 10 Minuten vergangen waren und der Anrufer anscheinend weiterhin krampfhaft versuchte, Scorpius zu erreichen, erschien Rose’Kopf im Türspalt. „Scorp?“ „Hmm?“, kam es verschlafen unter dem Kissen hervor. „Dein Handy…“ „Was ist damit?“ Rose rollte genervt mit den Augen. „Es klingelt!“ „Oh, wirklich? Na dann…wärst du so lieb und würdest dran gehen?“, murmelte er und drehte sich dann mit einem leisen Seufzen auf die andere Seite. Ungläubig sah die Rothaarige erst zu ihrem Freund, dann zu seinem Mobiltelefon, welches nur wenige Zentimeter neben seiner linken Hand lag und dort rhythmisch zum Klingeln aufleuchtete. „Du bist wirklich unmöglich.“, schnaubte sie, ging zum Bett, ließ sich auf die Matratze fallen und kletterte unbeholfen über den schlafenden Scorpius – nicht ohne sich dabei natürlich absichtlich auf ihm abzustützen. Gerade, als sie sich über ihn beugte, um nach dem Handy zu greifen, drehte Scorpius sich auf den Rücken und zog Rose ruckartig an sich. Rose stieß einen überraschten Schrei aus und versuchte, sich zu befreien, doch Scorpius brummte nur zufrieden, vergrub das Gesicht in ihren Haaren, drehte sich mit seiner widerspenstigen Freundin in den Armen wieder zur Seite und machte Anstalten, wieder einzuschlafen. „Lass das, Scorp! Ich muss zur Arbeit. Heute muss ich den Artikel über den Zaubergamot-Skandal abgeben, damit er morgen rechtzeitig in der Morgenausgabe erscheint…“, versuchte Rose zu argumentieren, doch Scorpius schenkte ihren Worten keine Beachtung und verstärkte seinen Griff nur noch. „Wenn du jetzt eh noch telefonierst, kannst du dabei auch noch ruhig im Bett liegen bleiben. Ich verstehe dein Problem nicht.“, murmelte er verschlafen. „Mein Problem“, schimpfte Rose, „ist, dass ich mich nicht konzentrieren kann, wenn du die ganze Zeit an mir rum fummelst. Weder auf das Telefonat, noch auf sonst irgendwas. Also lass los!“ „Ach wirklich?“, fragte Scorpius gespielt ungläubig. Anstatt darauf zu antworten, nutzte Rose Scorpius‘ kurze Unaufmerksamkeit aus, um an sein Handy zu gelangen, welches während ihrer Auseinandersetzung fröhlich weiter geklingelt hatte. „Es ist Albus.“, wehrte sie ab, nachdem sie einen Blick auf den Display geworfen hatte und kämpfte sich nun endgültig aus seiner Umarmung frei. Der Malfoy gab ein mürrisches Brummen von sich und drehte sich auf die andere Seite. „Sag ihm, ich rufe später zurück. Und frag ihn, was ihm einfällt, mich so früh zu belästigen. Ich habe ihm doch erst gestern noch erzählt, dass ich Nachtschicht habe und ihn gewarnt, sich ja nicht vor 15 Uhr bei mir zu melden.“, beschwerte sich der Malfoy mies gelaunt. Mit einem leichten Lächeln nahm Rose den Anruf entgegen. „Hey Al.“, sagte sie, während sie mit einer Hand bestimmend Scorpius‘ Arme wegschob, die sich schon wieder still und heimlich ihrer Taille hatten nähern wollen. Doch davon ließ sich Scorpius nicht beeindrucken, sondern begann stattdessen damit, ihr mit dem Zeigefinger sanft in die Seite zu picken, „Falls du Scorpius sprechen willst, muss ich dich leider enttäuschen, er…“, brachte Rose schließlich keuchend hervor, da sie alle Mühe aufbringen musste, nicht laut los zu kichern. Sie war unglaublich kitzelig, und dieses Wissen nutzte Scorpius im Moment schamlos aus. Doch sie verstummte plötzlich mitten im Satz und jegliche Belustigung wich aus ihrem Gesicht. „Was…“ Wieder hielt sie inne und lauschte konzentriert den Worten ihres Gesprächspartners. „Okay. Wo bist du jetzt?“ Überrascht über ihren Tonfall setzte Scorpius sich auf und fuhr sich mit den Fingern durch das verstrubbelte blonde Haar. Mit zusammen gezogenen Augenbrauen beobachtete er seine Freundin. Irgendetwas stimmte nicht. „Alles klar. Wir…wir sind sofort da!“ Ohne sich zu verabschieden, legte sie auf. Scorpius, der sich nun ganz sicher war, dass irgendetwas vorgefallen war, fasste sie behutsam am Arm und musterte sie besorgt von der Seite. „Rose? Was ist los? Was hat Al gesagt?“ Doch Rose schien ihn gar nicht zu hören, sie starrte wie versteinert vor sich hin und kaute dabei auf ihrer Unterlippe. Ein mulmiges Gefühl stieg in Scorpius auf. Was war nur passiert? „Rose!“, wiederholte er, nun etwas lauter, und rüttelte sie leicht. Sie schreckte hoch und sah ihn mit großen Augen an. Sie war unnatürlich blass und ihre Augen sahen merkwürdig glasig aus. „Das…das war Lily.“, brachte sie schließlich hervor, „Es ist…es geht um Albus und Alice.“ ~♥~ Sie verschwendeten keine Zeit. Scorpius warf sich lediglich seinen Umgang über und Rose schlüpfte in ihren Mantel, dann verließen sie ihre gemütliche Drei-Zimmerwohnung. Sobald sie draußen waren und ihnen die frische Morgenluft entgegen schlug, disapparierten sie direkt vor den Eingang des St. Mungos Hospitals. Im Laufschritt durchquerten sie das magische Schaufenster und stürmten durch die Eingangshalle auf den Empfangstresen zu, wo sie bereits eine stämmige, streng dreinschauende Hexe in einem weißen Umhang erwartete. Glücklicherweise war von dem Tresen keine Schlange, sodass Scorpius ohne Umschweife auf den Punkt kommen konnte. „Wir möchten zu Alice Longbottom und Albus Potter. Die Beiden wurden vor einer knappen halben Stunde hier eingeliefert. Autounfall.“, fügte er noch hinzu, als die Hexe keinerlei Anstalten machte, ihm zu antworten. Die pummelige Hexe zog die Augenbrauen hoch. „Gehören Sie zur Familie? Andernfalls ist es mir nämlich nicht gestatten, Ihnen Auskunft über Mr. Potters oder Ms. Longbottoms Zustand zu geben.“ Noch bevor Scorpius den Mund öffnen konnte, um ihr zu sagen, dass er diese Informationen so oder so aus ihr heraus holen würde, ganz egal, ob er dabei Gewalt anwenden müsse oder nicht, legte Rose ihm beruhigend einen Arm auf die Schulter und wandte sich mit entschlossenem Gesicht der Empfangshexe zu. „Ich bin seine Cousine. Rose Weasley.“ Sie legte ihren Zauberstab auf den Tresen. Die Hexe musterte Rose abschätzend, dann nahm sie den Zauberstab und legte ihn auf eine kleine Waage, die vor ihr in der Tischplatte eingelassen war. Augenblicklich erschien Rose‘ Daten inklusive eines Passfotos auf der verglasten Platte. Die Empfangsdame überflog kurz die Angaben, dann nickte sie und blickte auf. „Fahrstuhl Nr. 6, 3.Stock. Mr. Potter befindet sich gerade noch im OP.“, sagte sie und deutete nach rechts. „Und Ms. Longbottom?“, fragte Rose. Die Hexe schüttelte entschlossen den Kopf. „Tut mir Leid, solange Sie kein Familiemitglied sind…“ „Jaja, schon gut!“, knurrte Rose angespannt. Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als auf Professor Longbottom zu warten, wenn sie näheres über Alice‘ Zustand erfahren wollten. Aber immerhin wussten sie schon mal mehr oder weniger, wie es um Albus stand. Scorpius hielt sich nicht damit auf, der Frau zu danken, sondern schnappte sich Rose‘ Zauberstab von der Waage, nahm ihre Hand und steuerte nach rechts auf die Fahrstühle zu. Die Empfangshexe rief ihnen etwas nach, doch er ignorierte es einfach und malträtierte stattdessen mit nahezu gnadenloser Gewalt den Fahrstuhlknopf. Als dieser endlich mit einem leisen “Ding“ erschien und die Türen sich öffneten, drängelte er sich, immer noch mit Rose an der Hand, an den aussteigenden Hexen und Zauberern vorbei, ohne auf die empörten Ausrufe zu achten und drückte mit zitternder Hand auf die Drei, welche sogleich hell auf leuchtete. Die Türen schlossen sich wieder und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Sie waren alleine im Fahrstuhl und Scorpius war sehr dankbar dafür, er war nicht in der Verfassung, Gesellschaft zu ertragen. Mit Ausnahme von Rose natürlich. „Meinst du, es ist schlimm?“, fragte sie in diesem Moment leise. Scorpius warf ihr einen Blick zu. Sie sah starr geradeaus und hatte eine beherrschte Miene aufgesetzt, doch sie war immer noch ziemlich blass um die Nase und ihre Augen glitzerten im fahlen Licht des Fahrstuhls verräterisch. Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich. Wie gerne hätte er ihr mit Gewissheit gesagt, dass alles wieder in Ordnung kommen würde und sie sich keine Sorgen machen müsse. Doch er war noch nie gut darin gewesen, Rose anzulügen und ein halbherziges “Das wird schon wieder“ würde die Sache auch nicht besser machen. Deshalb drückte er nur stumm ihre Schulter und schwieg. Die Türen des Fahrstuhls hatten sich kaum geöffnet, da drängten sich Rose und Scorpius auch schon hindurch. Hand in Hand eilten sie durch den weiß gefliesten Korridor, an dessen rechter Seite sich große Doppeltüren aneinander reihten, jede mit einer anderen Plastikzahl gekennzeichnet. Scorpius fragte sich gerade verzweifelt, wie sie jemals die richtige Tür finden sollten und verfluchte im Stillen die Empfangshexe für ihre spärlichen Informationen, als er vom weiten eine kleine, zusammengesunkene Person mit roten Haaren vor der Tür mit der Plastikziffer 9 an der Wand gegenüber sitzen sah. „Lily!“ Ihr Kopf schnellte nach oben. Mit rot geränderten Augen und verlaufener Wimperntusche sah Lily Potter den Beiden entgegen. Als sie sie erkannte, stieß sie ein leises Schluchzen aus, rappelte sich vom Boden hoch und stürmte auf Rose zu. Sie fiel ihrer Cousine um den Hals und klammerte sich an sie, während ihr Körper von unterdrückten Schluchzern geschüttelt wurde. Hilflos stand Scorpius neben den Beiden. Er kannte Lily seit er 11 Jahre alt und in seinen ersten Sommerferien zwei Wochen bei den Potters zu Besuch gewesen war. Anfangs begegnete Lily ihm mit Misstrauen (was wohl nicht zuletzt an den eher unschönen Vorahnungen lag, die ihr Onkel Ron bei einer Familienfeier über den Malfoyspross kurz zuvor verkündet hatte) und er wurde mehr als einmal Opfer ihrer Streiche, doch nach und nach erwärmte sie sich für ihn und je öfter er die Potters besuchte, desto enger wurde, neben der Beziehung zu Mr. und Mrs. Potter, auch die Beziehung zu Albus‘ kleiner Schwester. So kam es, dass Lily, als sie nach 2 Jahre später nach Hogwarts kam, jedem, der sie auf ihre zwei berühmt-berüchtigten Brüder ansprach, jedes Mal aufs Neue verkündete, dass sie nicht zwei, sondern drei große Brüder habe. Albus hatte sich ziemlich darüber lustig gemacht, aber Scorpius, der zu seinem Leidwesen nie eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder oder überhaut Geschwister gehabt hatte, machte es sich von nun an zur Aufgabe, ein wachsames Auge auf Lily zu haben. Bis zum 6. Schuljahr hatte Albus Scorpius stets für seine übertriebene Wachsamkeit aufgezogen. „Du bist ja schlimmer als James und ich zusammen.“ Doch nachdem ihm Anfang der 6. zu Ohren gekommen war, dass Lily in Hogsmead mit einem Jungen gesichtet worden war, entwickelte er von einen Tag auf den Anderen einen unglaublichen brüderlichen Schutzinstinkt und sorgte zusammen mit Scorpius dafür, dass Lily nur die richtigen Jungs zu nahe kamen. Natürlich so diskret, dass Lily nie etwas davon erfuhr. Lily war keines von diesen Mädchen, die schnell und ohne jeglichen Grund in Tränen ausbrachen. Sie war zäh und unglaublich hart im Nehmen, nicht umsonst hatte sie nach James den Posten als Quidditchkapitänin inne gehabt. Sie jetzt so verzweifelt weinen zu sehen, brach ihm fast das Herz. Und dass sie weinte, zeigte nur, dass es wirklich ernst sein musste… Abrupt schüttelte Scorpius den Kopf. Nein, so sollte er nicht denken. So wollte er nicht denken. Nachdem sie Rose losgelassen hatte, umarmte sie auch Scorpius. Obwohl sie aufgehört hatte zu schluchzen, brauchten Rose und Scorpius zusammen weitere zehn Minuten, bis Lily endlich wieder in der Lage war, mit ihnen in verständlichen Sätzen zu sprechen. „Ich bin so froh, dass ihr gekommen seid.“, presste Lily schließlich hervor, „Mum und Dad sind noch immer in Schottland auf ihrer blöden Weihnachtsreise, wer weiß, wann sie hiervon erfahren und James ist seit Neujahr in Rom und ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte…“ „Shh, ist schon gut!“, sagte Rose mit ruhiger Stimme und tätschelte ihrer Cousine liebevoll den Rücken. „Was…was ist passiert, Lily?“, fragte Scorpius mit belegter Stimme, nachdem die Potter sich wieder etwas beruhigt hatte. Lily atmete tief durch und wischte sich mit der Hand über die Augen. „Ich weiß nicht genau. Wir wollten gerade mit dem Shooting anfangen, als die Eule vom St. Mungos eintraf.“, schniefte sie. Rose reichte ihr ein Taschentuch, welches sie dankbar annahm. „Als ich hier ankam, haben sie die Beiden gerade an mir vorbei in den OP gefahren.“ Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Da war…so viel Blut und…ich durfte nicht mit rein kommen…“ Scorpius wurde ganz schlecht. Im Stillen verfluchte er die unfähigen Sanitätsheiler, die es anscheinend für unbedenklich hielten, einer 17 Jährigen so einen Anblick zuzumuten und sie dann im Unklaren zurück zu lassen. „Sie habe gesagt, ich soll warten. Einer von ihnen hat mir Albus‘ Sachen in die Hand gedrückt und dann…sind sie hinter der Tür verschwunden. Seitdem…habe ich nichts mehr von ihm gehört. Bei Als‘ Sachen war auch sein Handy dabei. Mum und Dad konnte ich nicht erreichen, dann habe ich an euch Beide gedacht. Oh, Merlin sei Dank seid ihr jetzt hier. Alleine wäre ich hier fast durchgedreht.“, erzählte Lily, während sie eine Strähne ihrer Haare zwirbelte. „Hast du Professor Longbottom informiert?“ Lily nickte. „Gleich nachdem wir telefoniert hatten, habe ich Lorcan angerufen. Er ist sofort nach Hogsmead aufgebrochen. Er wird definitiv schneller da sein als die Eule vom St.Mungos. Er müsste bald wieder da sein.“ Scorpius tätschelte ihr die Schulter. „Das hast du sehr gut gemacht. „Und…was machen wir jetzt?“, fragte Lily, und sah verzweifelt zu ihrer Cousine und dem besten Freund ihres Bruders hoch. Bisher war Scorpius nie aufgefallen, wie klein sie eigentlich war, denn ihr selbstbewusstes Auftreten hatte ihn stets darüber hinweg sehen lassen. Doch in diesem Moment wirkte sie klein und unglaublich verletzlich und in ihren Augen stand immer noch blanke Panik. Aber um ehrlich zu sein ging es ihm nicht anders. Doch er konnte es sich jetzt nicht erlauben, in Angst und Hoffnungslosigkeit zu versinken. Er musste stark sein. Für Lily. Und für Rose. Die fasste ihre Cousine behutsam am Arm, zog sie mit sich zu Boden und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Jetzt“, sagte sie ruhig, „warten wir. Und hoffen.“ Scorpius warf seiner Freundin einen besorgten Blick zu. Obwohl sie so beherrscht und ruhig wirkte, konnte er dennoch sehen, dass es ihr kein Deut besser ging als ihm oder Lily. Doch als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie tapfer. Wieder einmal wurde Scorpius schlagartig bewusst, wie sehr er diese Frau liebte und wie sehr er sie bewunderte. Für ihre Stärke. Für ihre Einfühlsamkeit. Für all das, was ihm in solchen Situationen fehlte. ~♥ Und so warten sie. Schweigend. Lily’s Kopf ruhte auf Rose‘ Schulter, Scorpius dagegen ging seit geraumer Zeit nervös im Gang auf und ab. Erst hatte er neben Rose gesessen, doch nach einer Weile waren ihm die Beine eingeschlafen und außerdem, so fürchtete er, würde er noch durchdrehen, wenn er weiter so nutzlos herum saß. Hektisches hin und her Gerenne half Albus und Alice zwar auch nicht, aber besser als still herum sitzen. „Scorp.“, murmelte Rose nach einer Weile, „Setz dich zu uns.“ Doch der Blonde schüttelte nur den Kopf und setzte seinen Weg stur fort. Er wusste nicht genau, wie lange sie so warteten. 3 Stunde? 4 Stunden? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ab und zu lief ein Assistentsheiler den Gang entlang. Der Erste hatte die Drei darauf hingewiesen, dass sie sich doch bitte in den Besucherraum begeben und da warten sollten, doch als Lily in Tränen ausbrach und er Scorpius‘ tödlichem Blick begegnete, hatte er schnell eine holprige Entschuldigung gemurmelt und sich hastig aus dem Staub gemacht. Seitdem ließ man sie in Ruhe. Zwischendurch kam Lorcan Scamander zusammen mit Professor Longbottom zurück. Sie alle nickten sich nur still zur Begrüßung zu. Lorcan übernahm Rose‘ Platz neben Lily. Diese lehnte sich sogleich an ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, während er ihr beruhigend über das Haar strich. Professor Longbottom, den Scorpius ansonsten nur als fröhlichen, hoch motivierten und leicht tollpatschigen Lehrer kannte, war noch blasser als Rose und sah aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Scorpius wusste, dass er nicht vor allzu langer Zeit seine Frau verloren hatte und Scorpius konnte sich nur zu gut vorstellen, dass dies dem Longbottom wie ein schreckliches Déjà-vu vorkommen musste. Schließlich, nachdem sie alle schon nicht mehr damit gerechnet hatten, schwang die Tür auf. Wie auf Kommando blieb Scorpius wie erstarrt stehen und Rose, Lorcan und Lily erhoben sich rasch von ihrem Platz an der Wand. Professor Longbottom sah dem Heiler, der sie alle der Reihe nach musterte, gefasst und abwartend entgegen. „Mr. Potter hat die Operation gut überstanden. Er wurde nach nebenan in den Aufwachraum gebracht. In knapp fünf Minuten können Sie zu ihm rein.“ Ein erleichtertes Stöhnen ging durch die Gruppe. Lorcan lächelte Lily beruhigend an, Scorpius fühlte, wie eine tonnenschwere Last von ihm abfiel und er seit 5 Stunden das erste Mal wieder befreit durch atmen konnte und Rose schloss die Augen und ein seliges Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Beinahe euphorisch zog Scorpius sie in seine Arme. „Merlin sei Dank…“, wisperte sie leise und Scorpius konnte nur stumm nicken. Nur Einer sah noch immer angespannt drein. Zwar hatten die Mundwinkel des Professors kurz gezuckt, als der Heiler die Nachricht verkündet hatte, doch jetzt hatte er die Arme wieder vor der Brust verschränkt und ließ den Heiler nicht aus den Augen. „Was ist…mit meiner Tochter?“, stieß er hervor und seine Stimme zitterte kaum merklich. Der Blick des Heilers huschte zu dem Kräuterkundelehrer. Sein Gesicht verriet keinerlei Regung. „Mr. Longbottom nehme ich an?“ Der Angesprochene nickte. „Wenn Sie mir bitte folgen würden. Ich werde sie zu Ihrer Tochter bringen.“ Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung. Neville verharrte einen Moment unentschlossen, dann folgte er dem Heiler. „Richtet Albus liebe Grüße von mir aus.“, rief er noch über die Schulter, bevor der Gang eine Biegung machte und er und der Heiler um die Ecke verschwunden waren. Besorgt sah Rose ihnen nach. „Ich hoffe, es geht ihr gut.“, sagte sie mit belegter Stimme. Obwohl Alice und Rose sich erst durch Scorpius und Albus richtig kennen gelernt hatten, verband die Beiden eine enge Freundschaft. Sie trafen sich oft zu einem gemütlichen Frauennachmittag, tranken zusammen Tee, redeten über die neusten Bücher oder gingen zusammen in der Winkelgasse einkaufen. Auch Scorpius mochte Alice. Sie war herrlich unkompliziert, was ihre Beziehung mit Albus anging. Nie wetterte sie, dass er mehr Zeit mit Scorpius als mit ihr verbrachte und jedes Mal, wenn er sie und Albus besuchen kam, schien sie sich ehrlich zu freuen – wovon sich Rose ruhig mal eine Scheibe abschneiden konnte, womit er seine Freundin auch nur zu gerne neckte. Außerdem sah er jedes Mal aufs Neue, wie gut Alice Albus tat. Denn wie jeder Mensch hatte auch sein bester Freund so seine Ecken und Kanten. Doch Alice ergänzte Albus nahezu perfekt. Die Beiden waren einfach für einander geschaffen. „Es wird schon gut gelaufen sein. Mach dir keine Sorgen.“, beruhigte er seine Freundin, auch wenn er selbst ein mulmiges Gefühl verspürte. „Okay. Das ist mein Stichwort.“, sagte Lorcan und küsste Lily kurz auf die Stirn. Lily wollte ihn zum Bleiben überreden, doch Lorcan schüttelte den Kopf. „Ich störe nur. Das ist eine Familienangelegenheit. Ruf mich an wenn du nachher zu Hause bist.“ Er verabschiedete sich von Rose und Scorpius und ging. Nachdem er weg war, überlegte Scorpius, dass er bei Gelegenheit ein gutes Wort für Lorcan bei Albus einlegen würde. Denn obwohl der Scamander schon fast über 2 Jahre lang der Freund von Lily war, unterstelle Albus ihm immer noch verwerfliche Absichten und konnte ihn auf den Tod nicht ausstehen. Aber so, wie Lorcan sich heute verhalten hatte, schien ihm wirklich etwas an der Potter zu liegen. Gemeinsam mit Rose und Lily ging er auf die Tür zum Nebenraum des Operationssaals zu. Noch bevor er die Tür öffnen konnte, hörte er wütendes Gezeter. „Es ist mir scheißegal was die Oberheilerin gesagt hat. Ich werde hier bestimmt nicht rumliegen, während meine Freundin mit dem Tod ringt.“ Scorpius stieß die Tür auf und betrat zusammen mit Rose und Lily das Krankenzimmer. Durch das Fenster schien die Sonne herein und tauchte das Zimmer in warmes, angenehmes Licht. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Bett und davor versuchte Albus gerade, nur in einen Krankengewand gehüllt, dem Griff eines stämmigen Heilers zu entkommen. Der Potter wirkte schwach und ausgezehrt, seine Haare standen ihm noch wilder vom Kopf ab als sonst und über seine Arme und Beine zogen sich viele feine Narben. An einigen Stellen sah man sogar noch blaue Flecken. Er musste wirklich schwere Verletzungen gehabt haben, denn normalerweise blieben bei leichten mit Magie behandelten Blessuren keinerlei Rückstände. Obwohl er sich kaum auf den Beinen halten konnte, entwickelte er eine unglaubliche Kraft dem Heiler gegenüber. „Lassen Sie mich los!“, knurrte er und wand sich wie eine Schlange, doch der Heiler zeigte kein Erbarmen und zog Albus zurück zu seinem Bett. Doch so leicht gab der schwarzhaarige Potter nicht auf. Er verpasste dem Heiler einen gezielten Tritt vor das Schienbein, tauchte unter dessen ausgestreckten Arm hindurch und hechtete Richtung Tür. Wo er auf Scorpius traf. „Wou wou wou!“, machte dieser verblüfft und packte Albus an der Schulter. „Wohin des Weges, Al?“ „Lass mich durch, Malfoy!“ „Vergiss es! Bist du bekloppt? Du hast gerade eine schwere Operation hinter dir und kaum drei Minuten später hüpfst du hier rum und verprügelst das Krankenhauspersonal. Haben sie dir bei der Operation nebenbei noch das Gehirn entfernt oder was?!“ Scorpius konnte sich selbst nicht erklären, woher die plötzliche Wut auf seinen besten Freund kam, doch am liebsten hätte er ihn im Genick gepackt und ordentlich durchgeschüttelt. „Wir sind alle fast gestorben vor Angst um dich!“, zischte er weiter und starrte Albus mit zusammengekniffenen Augen finster an, „Meinst du nicht, du könntest für einen kurzem Moment mal runter kommen und tun, was die Heiler sagen, damit deren Arbeit nicht völlig umsonst war?“ Einen Moment lang starrten die beiden jungen Männer sich nur böse an, so als würden sie sich innerlich duellieren, dann sackte Albus merklich in sich zusammen und trat einen Schritt zurück. „Ich…tut mir Leid…ich wollte nur…tut mir Leid.“ Wie ein geprügelter Hund schlich er zurück zu seinem Bett, ließ sich langsam darauf nieder und starrte an die Decke. Der Heiler, welcher sich immer noch mit schmerzverzerrtem Gesicht das Bein rieb, ergriff das Wort. „Drei Tage strikte Bettruhe hat die Oberheilerin verordnet. Danach können Sie wieder nach Hause. Die Medizin“, er deutete auf eine Glasflasche, gefüllt mit einer purpurnen Flüssigkeit, die neben dem Bett auf dem Nachtschrank stand, „müssen Sie alle 4 Stunden einnehmen. Ein Esslöffel sollte genügen. Sollten Sie noch irgendwelche Beschwerden haben, melden Sie sich ruhig.“ Bei dem letzten Satz bedachte er Albus mit einem Blick, der durchaus darauf schließen ließ, dass er Albus alle möglichen und unmöglichen nachträglichen Beschwerden an den Hals wünschte, dann verließ er humpelnd das Zimmer. Lily und Rose, die bei Scorpius‘ und Albus‘ Wortgefecht nur still da gestanden hatten, setzten sich nun in Bewegung. Lily krabbelte zu Albus, der immer noch stur nach oben blickte, auf das Bett und Rose zog sich einen Stuhl heran. Scorpius dagegen blieb mit verschränkten Armen stehen und musterte seinen besten Freund mit zusammen gezogenen Augenbrauen. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht!“, ergriff Lily schließlich das Wort und lehnte ihren Kopf gegen Albus‘ Schulter. „Für einen Moment dachte ich…ich…ich dachte fast…“ Der Schwarzhaarige erwachte aus seiner Starre, legte einen Arm um Lily und grinste sie schief an. „Ach Lil, du sollst doch nicht immer so viel denken! Ich würde dich doch nie mit James allein lassen. Das könnte ich gar nicht verantworten!“ Lily stieß eine Mischung aus Lachen und unterdrücktem Schluchzen aus. „Sind Mum und Dad schon hier?“ „Sie sind unterwegs.“, antwortete Rose, „Die Eule müsste sie schon erreicht haben. Kann sich nur noch um ein, zwei Stunden handeln.“ „Gut.“ Dann herrschte wieder Stille. „Lily, Rose, würde es euch etwas ausmachen, mir etwas zu Essen aus der Cafeteria zu holen? Egal, was, nur essbar sollte es sein. Ich bin am Verhungern.“ „Darfst du denn schon wieder etwas essen?“, fragte Lily zweifelnd, die den Anschein machte, als wolle sie die nächsten 4 Jahre nicht mehr von Albus‘ Seite weichen. Albus winkte ab. „Klar. Hast du doch gehört, das Einzige, was ich nicht darf, ist mich bewegen. Von Essen hat er nichts gesagt.“ „Na gut.“ Lily erhob sich und Rose tat es ihr kommentarlos gleich. Im Gegensatz zu Lily schien sie den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden zu haben. Sobald die Beiden das Zimmer verlassen hatten, ließ sich Scorpius auf den nun leeren Stuhl fallen, stütze die Ellenbogen auf den Knien ab und sah seinen Freund abwartend an. Es war offensichtlich, dass er hatte alleine mit Scorpius sprechen wollen. „Es ist meine Schuld.“, platzte es da auch schon aus Albus heraus. „Was? Was ist deine Schuld?“ Albus starrte ihn aus gequälten Augen an. „Der Unfall. Es war meine Schuld. Die Ampel war zwar grün, aber ich hätte besser aufpassen müssen. Ich…ich habe darauf bestanden, mit dem bescheuerten Auto zur Arbeit zu fahren.“ Er vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich habe sie gesehen.“, sagte er dumpf. „Kurz bevor ich ohnmächtig geworden bin. Es…war schrecklich.“ Scorpius wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Schließlich beugte er sich vor und legte Albus eine Hand auf die Schulter. „Al. Sieh mich an!“ Langsam ließ der Schwarzhaarige seine Hände sinken und blickte den Malfoy aus traurigen, verzweifelten Augen an. „Es ist nicht deine Schuld! Du konntest das alles doch nicht voraus sehen! Es hätte euch auch erwischen können, wenn ihr…was weiß ich…mit der U-Bahn gefahren wärt oder mit dem Bus. Du kannst überhaupt nichts dafür! Und das wird auch jeder andere so sehen, glaub mir! Niemand wird dir irgendwelche Vorwürfe machen.“ „Mit »Niemand« meinst du Neville.“, sagte Albus und sein Gesicht wurde noch eine Spur blasser, „Ist er schon hier?“ „Ja. Er ist gerade bei Alice.“ „Weißt du, wie es ihr geht? Die Heiler haben nichts gesagt und zu ihr lassen sie mich nicht, wie du ja gesehen hast.“ „Nein, ich habe keine Ahnung. Aber ich werde mich nach ihr erkundigen. Keine Sorge, Al.“ Zumindest ein bisschen beruhigt ließ sich Albus zurück in die Kissen sinken. „Danke Scorp.“ „Dafür brauchst du dich doch nicht bedanken. Du wirst schon sehen. Alles wird wieder gut.“ Der Potter stieß ein heiseres Lachen aus. „Tja, schlimmer kann es ja auch im Moment nicht werden, oder?“ Scorpius verpasste ihm einen freundschaftlichen Hieb gegen die Schulter. „Ich seh mal nach Rose und Lily. Dann hast du einen Moment Ruhe.“ Bevor er das Zimmer verließ hielt er kurz inne. „Ach und Al?“ „Ja?“ „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein!“ „Ich versuchs.“ ~♥~ Rose wartete draußen vor der Tür bereits auf ihn, eine Kürbispastete in der Hand haltend. „Wo ist Lily?“, fragte er. „Ich habe sie Heim geschickt. Sie ist völlig fertig. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich hinlegen und wir warten hier solange bis Tante Ginny und Onkel Harry hier sind.“ Sie fragte nicht, worüber Albus und er gesprochen hatten. Auch ein Charakterzug an ihr, die er sehr zu schätzen wusste. Es war eine Sache zwischen ihnen Beiden und wenn Scorpius der Meinung war, dass sie es erfahren sollte, würde er es ihr schon erzählen und wenn nicht, dann eben nicht. Sie war niemand, der darauf bestand, dass man in einer Beziehung alles dem jeweils anderen erzählen musste, was die besten Freunde einem anvertrauten. Dafür war Scorpius ihr unendlich dankbar. „Ich glaube, die braucht er jetzt nicht.“ Der Blonde deutete auf die Kürbispastete. „Er ruht sich jetzt aus.“ Rose sah die Pastete unschlüssig an. Dann zuckte sie mit den Schultern und biss hinein. „Was denn?“, schmatzte sie, als Scorpius ein Lachen nicht unterdrücken konnte, „Ich hab heute noch nicht mal gefrühstückt.“ „Schon gut, ich sag ja gar nichts!“, wehrte Scorpius ab und sah seiner Freundin grinsend dabei zu, wie sie die Pastete verspeiste. „Wollen wir mal bei Alice vorbei schauen? Ich habe Al versprochen, mich nach ihrem Zustand zu erkundigen.“ Rose nickte heftig. „Ja, auf jeden Fall. Wäre auch mein Vorschlag gewesen.“ Gemeinsam gingen sie in die Richtung, in die auch Neville mit dem Heiler gegangen war und nachdem sie sich bei mehreren Heilern durchgefragt hatten, standen sie endlich vor Alice‘ Krankenzimmer. Rose pochte leise mit dem Fingerknöchel gegen die Tür und wartete, doch kein Laut erklang. Sie sah Scorpius an, dieser zuckte nur mit den Achseln, worauf sich Rose sich schließlich ein Herz fasste und Tür öffnete. Vorsichtig betraten sie das Zimmer. Es sah genauso aus wie das von Albus, die gleichen weißen, steril wirkenden Wände, die gleichen Möbel, die gleiche Aussicht. Doch anders als in dem Zimmer des Potters herrschte hier eine seltsam trostlose und bedrückende Stimmung, die Scorpius durch Mark und Bein ging. Alice lag, angeschlossen an einen Tropf, in dem sich eine silbrig schimmernde Flüssigkeit befand, im Krankenbett, die Augen geschlossen und die Arme reglos rechts und links neben ihrem Oberkörper gebettet. Ihre langen, dunklen Haare lagen ausgebreitet auf dem weißen Kissen und ließen ihr blasses Gesicht besorgniserregend deutlich heraus stechen. Mr. Longbottom saß mit dem Rücken zu ihnen auf einem einfachen Klappstuhl am Krankenbett seiner Tochter und hielt ihre Hand. Hätte das leichte heben und senken seiner Schultern nicht gezeigt, dass er noch atmete, hätte man ihn auch für eine Statur halten können, so starr und unbeweglich wie er da saß. Scorpius und Rose durchquerten geräuschvoll den Raum, doch Neville schien so in seine Gedanken vertieft, dass er sie nicht bemerkte. Nach einem kurzen Zögern räusperte sich Rose schließlich vernehmlich. „Professor?“ Der Kräuterkundelehrer schreckte hoch und drehte sich zu ihnen um. Bei dem traurigen, verzweifelten Ausdruck in seinen Augen zuckte Scorpius unwillkürlich zusammen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Rose schien ähnlich zu denken, denn sie verstummte bei dem Anblick sofort und musste mehrmals tief Luft holen, um die entscheidende Frage zu stellen. „Wie…wie geht es ihr?“ Professor Longbottom verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Nun, vermutlich sollte es ein Lächeln sein, doch es erinnerte eher an eine groteske Grimasse. „Körperlich ist sie wieder vollkommen genesen, alle Brüche und Schürfwunden konnten problemlos geheilt werden.“ Er brach ab. Scorpius und Rose wechselten einen Blick. Beide ahnten, was jetzt kam. Das große Aber. „Aber ihr Gehirn…hat einiges abbekommen.“, fuhr Neville schließlich mit heiserer Stimme fort, „Ich weiß nicht, was genau los ist, sie haben mir ein Fachbegriff nach dem Anderen um die Ohren gehauen. Alice hätte es mir vermutlich übersetzen können…“ Er lachte freudlos auf, während er seine Tochter mit schmerzverzerrtem Gesicht betrachtete. „Sie musste in ein künstliches Koma versetzt werden und die Heiler können mir nicht sagen, wann sie wieder aufwachen wird…ob sie überhaupt jemals wieder aufwachen wird.“ Seine Stimme verlor sich. Wie erstarrt standen Rose und Scorpius da. …ob sie überhaupt jemals wieder aufwachen wird. Und wieder einmal hatte das Schicksal sie eines Besseren belehrt. Es konnte sehr wohl noch schlimmer kommen… Kapitel 2: ...between hope and despair -------------------------------------- ...between hope and despair „Widerlich. Einfach nur widerlich.“ Genervt schaute Rose von ihrem Zaubertrankbuch auf. „Al, wenn du nicht gleich die Klappe hältst, werde ich mich dazu entschließen, den Silencio-Zauber doch noch an dir zu üben!“, drohte sie und warf ihrem Cousin einen warnenden Blick zu. „Aber guck es dir doch an!“ Aufgebracht deutete Albus hinüber zum Ufer des Schwarzen Sees, an welchem sich eine Gruppe von Fünftklässlern tummelte. „Das ist doch echt nicht mehr normal. Wie er um sie rum scharwenzelt…widerlich!“ Rose folgte seinem Blick. Sie sah gerade noch, wie ihr Cousin Louis sich über Alice Longbottom, die einen hübschen weinroten Bikini trug und auf einem Badehandtuch lag, beugte und begann, sie zu kitzeln. Alice stieß darauf ein überraschtes Quietschen aus und versuchte lachend, sich zur Wehr zu setzen. „Ich verstehe dein Problem nicht, Al. Sie albern doch nur herum. Du kennst doch Louis.“ Der Potter stieß, ohne die Beiden aus den Augen zu lassen, ein abwertendes Schnauben aus. „Ja genau, ich kenne Louis. Und seine Maschen.“ „Seine Maschen?“ Es gab auf diesen Planeten wohl nur einen einzigen Jungen, der, um ein Mädchen für sich zu begeistern, keine ‘Maschen‘ nötig hatte, und das war ohne jeden Zweifel Louis Weasley. Allein sein anziehendes Äußeres und seinen unwiderstehlicher Charme reichten vollkommen aus, um nahezu jedes Mädchen um den Verstand zu bringen. Doch sie bezweifelte, dass diese Tatsache Albus‘ Laune bessern würde, deshalb klappte die Weasley nur mit einem Seufzen ihr Buch zu und warf ihrem Cousin einen nachdenklichen Blick zu. Sie war aus der Bibliothek nach draußen geflüchtet, um trotz ihres enormen Lernpensums doch noch ein wenig von der Sonne abzubekommen. Sie hatte gehofft, dass sie ‘frische Luft schnappen‘ und ‘lernen‘ würde verbinden können, doch nachdem sich Albus und Scorpius nach ihrem Quidditchtraining zu ihr gesellt hatten, war es vorbei gewesen mit der Konzentration. Während Albus die ganze Zeit mit Argusaugen Alice beobachtete und abfällige Kommentare am laufenden Band abließ, ohne sich daran zu stören, dass weder Scorpius noch Rose ihm antworteten, hatte Scorpius sich sofort nach seiner Ankunft ins Gras fallen lassen, den Kopf in Rose‘ Schoß gebettet und die Augen geschlossen. Als Rose sich nun bewegte und Anstalten machte, ihr Buch zur Seite zu legen, schlug er die Augen auf und sah zu ihr hoch. „Schon fertig?“, fragte er sie schläfrig, während er sich mit der Hand über die Augen rieb. „Nein. Aber ich glaube ich muss jetzt erst einmal ein ernstes Wort mit Al reden, bevor ich mich weiter auf Zaubertränke konzentrieren kann.“, antwortete sie ihm. Scorpius stieß ein wehleidiges Brummen aus. „Ernstes Gespräch. Alles klar. Ich bin raus.“ Und bevor Rose auch nur ein Wort erwidern konnte, schloss er wieder die Augen und machte Anstalten, wieder einzuschlafen. „Vergiss es!“, stieß Rose empört aus und schlug ihm mit der flachen Hand auf die Stirn, „Er ist schließlich dein bester Freund, also hast du dich gefälligst an der Lösung des Problems zu beteiligen!“ „Was für ein Problem denn überhaupt?“, fragte der Malfoy widerwillig, während er sich die schmerzende Stirn rieb. Er setzte sich auf und auf ein Kopfnicken seitens Rose folgte er Albus starren Blick in die Ferne. Nicht verstehend runzelte er die Stirn. „Alice und Louis. Und?“ Er sah fragend zu Rose. „Wo ist da das Problem?“ Es war Albus der ihm antwortete. „Da gibt es kein Problem!“, fauchte er und warf seiner Cousine einen bösen Blick zu. Doch diese ließ sich davon keinesfalls beeindrucken. „Anscheinend schon, sonst würdest du nicht so an die Decke gehen.“, stellte Rose klar. Darauf stieß Albus nur ein undefinierbares Geräusch aus und verschränkte die Arme vor der Brust wie ein beleidigter Vierjähriger. Unwillkürlich musste Rose lächeln. Scorpius, der anscheinend nun auch verstanden hatte, dass Albus‘ schlechte Laune irgendwie mit Alice und dem Weasley zusammen hing, musterte seinen Freund irritiert. „Was stört dich so daran, dass die Beiden zusammen rumhängen?“, fragte Scorpius und hob eine Augenbraue. „Das ist doch wohl offensichtlich, oder?“, warf Rose augenrollend ein und während Scorpius sie nur fragend ansah, warf Albus ihr einen zornerfüllten funkelnden Blick zu. „Ach ja?“, schnappte er, „Da bin ich aber mal gespannt!“ „Du magst sie. Und zwar mehr, als du dir eingestehen willst.“ Obwohl Albus keine Miene verzog, stellte Rose zufrieden fest, wie seine Ohren leicht rosa anliefen. „Das ist doch kompletter Schwachsinn.“, donnerte er sofort los, „ Alice und ich…wir sind nur Freunde.“ Er schob entschlossen das Kinn vor und die tiefe Überzeugung, die in seiner Stimme mitschwang, ließ Rose leicht schmunzeln. „Na dann“, sagte sie gelassen und griff wieder nach ihrem Buch. „Hast du ja wohl auch keinen Grund, hier so einen Aufstand zu machen oder?“ Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Scorpius sie schräg ansah. Er konnte es nicht leiden, wenn sie Albus auf diese Art und Weise provozierte, doch irgendwer musste bei dieser ganzen Sache mit Alice mal ein Machtwort sprechen, und wenn er es nicht tat, musste sie das eben übernehmen. Und wenn sie dazu Albus ein bisschen auf den Schlips treten musste, dann war das eben so. Albus‘ Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. „Ob ich einen Grund habe oder nicht, kann dir doch völlig egal sein.“ „Man, Al, nun geh doch nicht gleich so ab! Hast du deine Tage, oder was?“, versuchte Scorpius die Situation mit einem Scherz aufzulockern, doch sowohl Rose als auch Albus ignorierten ihn. „Es ist mir aber nicht egal. Hör mal, wenn du einfach hin gehst und sie fragst…“ „Was soll ich sie denn fragen?!“ „Na, ob sie mit dir ausgehen will!“ „Ich will aber nicht mit ihr ausgehen!“, schnauzte er und wandte sich wieder von ihr ab. Auch, wenn er nun das abfällige Schnauben sein ließ, zeugten seine zusammen gepressten Lippen davon, dass er seine Observation wieder aufgenommen hatte. „Ja, wenn du meinst. Belüg dich ruhig weiter. Aber wundere dich nicht, wenn es dann irgendwann zu spät ist!“, sagte Rose, die nicht gewillt war, Albus so einfach davon kommen zu lassen. Einen Moment lang schwieg der Potter, dann sprang er urplötzlich auf, schulterte seine Tasche und machte sich mit den Worten „Ich muss zu Kräuterkunde.“ Richtung Gewächshaus davon. „Hey!“, rief Scorpius ihm nach, „Warte gefälligst auf mich! Wir haben zusammen Kräuterkunde, schon vergessen?!“ Doch Albus ignorierte seine Worte und stürmte einfach weiter. „Musste das sein?“, fragte der Malfoy ein wenig verärgert, während er ratlos seinem besten Freund nachblickte. Rose grinste breit. „Ja, musste es.“ „Du weißt doch, dass er bei dem Thema Alice immer etwas überreagiert…“ „Ja, und jetzt überleg mal, warum!“ Verwirrt sah Scorpius seine Freundin an. Diese seufzte nur. Kerle kapierten auch wirklich gar nichts. „Scorp.“, begann Rose und hörte sich an, als würde sie einem Kleinkind eine komplizierte Lebensweisheit erklären. „Ich weiß, es ist für dich unvorstellbar, weil du in Albus immer nur deinen Sprüche klopfenden und Hexen aufreißenden besten Freund siehst, und dir nicht mal im Traum vorstellen kannst, dass er ernsthafte Gefühle für ein Mädchen haben könnte. Aber genau das ist hier der Fall.“ Lachend winkte Scorpius ab. „Ach, Blödsinn. Er hat seit letztem Jahr Silvester nur eine Hasskappe auf Louis. Mit Alice, das ist alles nur freundschaftlich.“ „Wie viele Hexen hat er „gedatet“ “, sie setzte das Wort bewusst in Anführungszeichen, worauf Scopius grinsen musste, „seitdem er Alice kennt?“ Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Drei…nein, zwei. Obwohl…mit keiner von denen hat er es zu Ende gebracht. Wenn du verstehst was ich meine.“ Er zwinkerte ihr anzüglich zu. Rose verzog das Gesicht. Ja, sie verstand sehr gut. „Findest du das nicht merkwürdig? Ich meine, vorher gab es kaum ein Wochenende, wo der gute Al nicht in weiblicher Gesellschaft war. Und jetzt…“ Sie deutete zum See. „Regt er sich andauernd darüber auf, dass Louis Alice zu nahe kommt.“ „Hm.“, machte Scorpius nur. Anscheinend war er noch nicht überzeugt. „Wie wäre es mit einer Wette?“, schlug Rose vor. „Einer Wette?“ „Ja. Ich wette mit dir um einen Besuch bei »Madam Puddifoots«, dass Albus noch in dieser Woche Alice darum bitten wird, mit ihm auszugehen.“ Scorpius legte den Kopf schief. Er HASSTE das kitschige, quietsch-rosane Café und lediglich zu besonderen Anlässen wie ihrem Geburtstag ließ er sich von Rose dort hin schleifen. „Gut. Abgemacht. Und wenn ich gewinne fährst du über die Ferien mit zu meinen Eltern.“ Nun war es an Rose, scharf zu überlegen. Mit Mrs. Malfoy kam sie eigentlich gut klar, nur Mr. Malfoy bereitete ihr noch Probleme. Er schien es nicht richtig akzeptieren zu können, dass sein einziger Sohn sich wirklich dazu entschieden hatte, mit einer Weasley zusammen zu sein. Die durchdringenden, finsteren Blicke, die er ihr ab und an zuwarf, sorgten bei ihr regelmäßig für Gänsehaut. „Okay. Deal.“ Grinsend, da beide davon überzeugt waren, bereits gewonnen zu haben, besiegelten sie ihr Abkommen durch einen Händedruck. „Du hast schon verloren, Weasley.“ „Das werden wir ja noch sehen, Malfoy.“ „Hey. Alles okay bei dir?“ Rose zuckte leicht zusammen und sah auf. Scorpius stand vor ihr, zwei dampfende Becher Kaffee in den Händen haltend, und musterte sie besorgt aus seinen eisblauen Augen. „Ja.“, murmelte sie, und nahm dankend einen der Becher entgegen und schlang ihre Hände darum. „Ich war nur gerade in Gedanken.“ Scorpius nickte verstehend und ließ sich dann neben ihr nieder. Eine Zeit lang sagte keiner von ihnen ein Wort. „Wir müssen es ihm sagen.“, durchbrach Rose schließlich mit dünner Stimme die Stille. Nachdem sie Alice‘ Krankenzimmer wieder verlassen hatten, hatten es die Beiden nicht über sich gebracht, sofort zu Albus zu gehen und ihm die schlechte Nachricht zu überbringen. Stattdessen waren sie nach unten in die Cafeteria gegangen. Doch sowohl Rose als auch Scorpius wussten, dass sie sich nicht ewig vor dem Unvermeidlichem drücken konnten. Scorpius rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Langsam aber sicher sah man ihm die Erschöpfung an. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe und seine Haare standen ihm zu Berge. Rose bezweifelte, dass sie viel besser aus sah. „Ich weiß.“, erwiderte Scorpius schließlich. „Es wird ihm den Rest geben.“, sagte Rose und sie vergrub ihr Gesicht an Scorpius‘ Schulter. Immer noch geisterten ihr die Bilder von Alice durch den Kopf, wie sie, reglos wie eine Puppe, in ihrem Bett gelegen hatte „Ich weiß.“, wiederholte dieser und strich ihr geistesabwesend über den Kopf. „Ich stelle mir die ganze Zeit vor, wie ich mich fühlen würde, wenn du…“ Er machte eine hilflose Geste und ließ den Satz unvollendet in der Luft schweben, doch Rose verstand sofort, was er meinte. Weitere Minuten vergingen, in denen sie einfach nur schweigend da saßen. Schließlich erhob sich Scorpius und hielt ihr seine Hand hin. „Komm. Lass es uns endlich tun. Dann haben wir es hinter uns.“ Leicht nickte Rose mit dem Kopf, ergriff die dargebotene Hand und ließ sich von ihm hoch ziehen. Schweigend schlugen sie den Weg zurück zu Albus‘ Krankenzimmer ein. Den ganzen Weg über verloren sie kein Wort, denn beide überlegten, wie sie dem Potter die schlechte Nachricht wohl am besten beibringen konnten. Gerade, als sie vor seiner Tür standen, ein letztes Mal tief durchatmeten und eintreten wollten, öffnete sich die Tür von innen und eine Frau mittleren Alters in einem weißen Anzug trat heraus. Sie trug eine Brille mit einem schwarzen Rahmen und ihre langen, dunkelblonden Haare hatte sie zu einem Dutt zusammen gesteckt. Sie hielt eine Mappe in den Händen und auf ihrer Brust prangte ein Schild mit der Aufschrift »Dr. Mahony; Oberheilerin«. Als sie Scorpius und Rose erblickte, runzelte sie die Stirn. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte sie und Scorpius fühlte sich unwillkürlich an Professor McGonagall erinnert. Auch diese hatte diesen Tonfall drauf gehabt, der einen schon im Vorherein einschüchterte und eine nahezu unheimliche Autorität ausstrahlte. Doch er ließ sich davon nicht beirren. „Wir wollten zu Mr. Potter.“ „Ich habe Mr. Potter soeben in einen ruhigen, traumlosen Schlaf versetzt. Er hat Ruhe bitter nötig. Kommen Sie in zwei Stunden noch einmal vorbei. Dann sollte er wieder wach sein.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, schob die Heilerin sich an ihnen vorbei. „Oh, Moment!“ Sie blieb stehen. „Sind Sie gute Freunde von Mr. Potter?“ Wie auf Kommando nickten Rose und Scorpius mit dem Kopf. Dr. Mahony lächelte zufrieden. „Hervorragend. Bevor Mr. Potter einschlief, teilte er mir mit, dass er einen gewissen Erik Longbottom vom Floport abholen müsse. Ihm schien dieses Anliegen von großer Wichtigkeit zu sein und so versicherte ich ihm, einen meiner Assistenten los zu schicken, um Mr. Longbottom einzusammeln…wäre es vielleicht möglich, dass Sie das übernehmen würden? Schließlich haben meine Assistenten eigentlich Besseres zu tun, als den Chauffeur für die Gäste meiner Patienten zu spielen.“ Sie sah Scorpius und Rose abwartend an. „Äh, ja, klar, kein Problem. Wir übernehmen das.“, antwortete Scorpius etwas überrumpelt. Wieder ein gewinnendes Lächeln seitens der Heilerin. „Sehr schön. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden…“ „Dumme Pute.“, grummelte Scorpius und sah ihr hinter her, bis sie um die Ecke verschwunden war. Rose reagierte nicht darauf, weshalb Scorpius den Blick zu ihr wandte. „Rose? Rosie, was ist?“ Rose sah ihn mit panischem Blick an. „Hast du nicht zugehört?! Erik ist hier! Und du stimmst auch noch zu, ihn abzuholen! Denk doch mal nach!!“ „Wieso…? Oh…OH!“ Langsam nickte Rose. „Ich weiß nicht, was mehr Spaß macht: Albus zu sagen, dass Alice mit dem Tod ringt, oder Erik zu sagen, dass seine kleine Schwester dem Tode nahe ist und dass das nur passiert ist, weil sie mit Al im Auto gesessen hat.“ ♥ Genervt wippte Erik Longbottom auf den Fußballen auf und ab und sah sich suchend in der Empfangshalle des Londoner Floports um. Seitdem es vor 10 Jahren mehrere Konflikte zwischen den verschiedenen Ländern gegeben hatte, was das Einreisen ohne Papiere ins Ausland betraf, hatten die Zaubereiministerien aus aller Welt einen gemeinsamen Kongress gebildet und neue Richtlinien für das Apparieren beschlossen. Es war zwar immer noch möglich, innerhalb eines Landes beliebig zu apparieren, doch zum Schutz der internationalen Sicherheit war jedes Land nun von einer Art Schutzzauber umgeben, welcher es verhinderte, dass man von Außerhalb einfach sich hinein teleportieren konnte. Als Alternative zu der Reise per Besen, die, gerade für die Hexen und Zauberer, die unter starken Höhen –sowie Flugangst litten – so wie Erik -, eine wahre Tortur darstellte, waren die Floports entwickelt worden. Sie ähnelten den Muggelflughäfen, nur anstatt mit Flugzeugen reiste man eben per Kamin. Dies war um einiges bequemer, als mit dem Besen zu reisen, und es sparte auch ordentlich Zeit. Diese eingesparte Zeit brachte Einem freilich sehr wenig, wenn man von dem unfähigen Freund der Schwester eiskalt vergessen wurde und bereits seit knapp einer Stunde vergebens auf diesen wartete. Erik war genervt, müde und hungrig. Er war seit heute Früh unterwegs, da er, bevor er seine Reise von New York nach London hatte antreten können, noch einige Sachen für seinen Chef hatte erledigen müssen. Außerdem machte ihm der Zeitunterschied zu schaffen. Natürlich könnte er seinen Hunger stillen, indem er sich an einer der vielen Läden, welche der Floport beherbergte, etwas zu Essen kaufte, doch er hatte beschlossen, dass Albus es durchaus verdient hatte, das komplette Nörgel-Programm zu bekommen. Also biss er die Zähne zusammen und hob sich seine gesamte negative Energie für den Moment auf, an dem Albus um die Ecke biegen und ihn mit seinem typisch arroganten Potter-Grinsen in Empfang nehmen würde. Es gab wirklich kaum einen Menschen auf diesem Planeten, den Erik so sehr verabscheute wie Albus Potter. Bereits zu ihrer Hogwartszeit war er ein kleiner, viel zu sehr von sich überzeugter, großmäuliger Möchtegernmacho gewesen und in Eriks Augen hatte sich bis heute nicht viel daran geändert. Es waren hauptsächlich Albus und sein bester Freund Scorpius Malfoy gewesen, die sich oft einen Spaß daraus gemacht hatten, zusammen mit noch ein paar anderen Slytherins, Erik sein Leben als Vertrauensschüler mehr als nur schwer zu machen. Würde er all die Streiche und Unannehmlichkeiten niederschreiben, die ihm durch die Beiden widerfahren waren, würde er vermutlich ein ganzes Buch damit füllen können. Doch Erik hatte sich davon nie besonders aus der Ruhe bringen lassen. Er nahm alles klaglos hin, verteilte ab und zu, wenn er sie doch einmal auf frischer Tat erwischt hatte, Strafarbeiten und zog ihnen Punkte ab, beschäftigte sich jedoch nicht weiter mit den beiden Unruhestiftern. Sie waren nicht in seinem Haus und daher auch nicht sein Problem, so dachte er. Bis ihm an einem sonnigen Tag im Mai zu Ohren kam, wer das neue Mädchen an Albus Potters Seite war: niemand anderer als seine kleine Schwester. Alysha Whitby hatte sich beim Frühstück in der Großen Halle lautstark mit ihrer Freundin über diese unglaubliche Neuigkeit unterhalten und Erik, der neben den Beiden gesessen hatte, war sein Toast quer im Hals stecken geblieben, als er begriffen hatte, dass sie wirklich über Alice, seine Alice, sprachen. Das war das erste und letzte Mal gewesen, dass er zum Nachsitzen verdonnert worden war, da er seinen besten Freund Joshua ausversehen mit der geballten Faust ausgeknockt hatte, als dieser ihn davon abhalten wollte, aufzuspringen und Albus Potter, der fröhlich am Nebentisch saß, das arrogante Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln. Nach diesem Vorfall hatte er wirklich alles versucht, um Alice davon zu überzeugen, dass der Potter keinesfalls der Richtige für sie war. In seinen Augen verkörperten sie einfach die kompletten Gegenteile: er war dämlich, arrogant und vorlaut, sie intelligent, bescheiden und verträumt. Doch Alice hatte nicht mit sich reden lassen. Es sei ihre Entscheidung, wer zu ihr passe, und er solle sich doch gefälligst aus ihrem Liebesleben heraus halten. Liebesleben. Erik schüttelte sich. Sie war seine kleine Schwester, sie hatte bei Merlin noch eins kein verdammtes Liebesleben zu haben! Er hatte in dieser Sache auf die Unterstützung seiner Eltern gehofft, doch entgegen aller Vermutungen waren sie sogar höchst begeistert davon gewesen, dass ihre einzige Tochter mit einem arroganten Trottel verkehrte. „Nun sei doch nicht so, Erik.“, hatte ihn sein Vater zurecht gewiesen, als er ihm seine Contra-Potter-Argumente vorgetragen hatte, „Ich kenne Harry seit ich elf Jahre alt bin und auch, wenn Albus den einen oder anderen Fehler haben mag, so bin ich mir doch sicher, dass einige von Harrys und Ginnys Erziehungsmethoden bei ihm gefruchtet haben und er Ali gut behandeln wird. Und schau sie dir an. Sie sieht so glücklich aus.“ Dies war eine Tatsache, die Erik nicht leugnen konnte. Seit Alice und Albus ein Paar waren, schien seine Schwester von innen heraus zu leuchten. Zwar wirkte sie immer noch etwas schüchtern und zurück haltend, doch in Albus‘ Nähe blühte sie förmlich auf. Sie lachte laut und herzlich über seine Witze und seine Albernheiten, diskutierte angeregt mit ihm, wenn sie mal nicht einer Meinung waren (was oft genug vor kam) und schenkte ihm von Zeit zu Zeit einen glühenden Blick, so einen, den sich eigentlich nur frisch Verliebte zu warfen. Auch, wenn sich Erik vermutlich sein Leben lang dagegen sträuben würde, so sah es tatsächlich so aus, als hätte Alice in Albus Potter ihren Seelenverwandten gefunden. Er seufzte tief. Nach dem Tod seiner Mutter vor knapp einem Jahr hatte er sich eigentlich vorgenommen, etwas netter zu Albus zu sein und ihm wenigstens eine Chance zu geben. Er war Alice in dieser schweren Zeit wirklich eine Stütze gewesen, wofür Erik ihm dankbar war, da er und sein Vater zu dieser Zeit viel zu sehr mit ihrem eigenen Schmerz und Kummer beschäftigt gewesen waren, als dass sie sich noch groß um Alice‘ Befinden hatten kümmern können. Wenn er doch nur nicht so ein unzuverlässiger Idiot wäre…! Ein leises Räuspern riss Erik aus seinen Gedanken. In der Erwartung, Albus hätte sich doch noch dazu herab gelassen, ihn abzuholen, schnellte der Longbottom herum, bereits einen vorwurfsvollen Spruch auf den Lippen. Doch es war nicht der Freund seiner Schwester, der da vor ihm stand, sondern dessen bester Freund mit seiner Freundin. Scorpius Malfoy hatte sich mit den Jahren nicht verändert. Noch immer blond, hochgewachsen und auch diesen schrecklich gelangweilten Gesichtsausdruck, den Erik zeitweise als Arroganz interpretiert hatte, stellte er nach wie vor zur Schau. „Was macht ihr denn hier?!“, rutschte es dem Longbottom statt einer freundlichen Begrüßung heraus und er blickte abwechselnd von Rose zu Scorpius. „Hey Erik.“, sagte Rose nur ohne auf seine Frage einzugehen und schenkte ihm ein Lächeln. Malfoy ließ sich lediglich zu einem kurzen Nicken herab. Auch, wenn er Rose immer gemocht hatte, so hatte er einfach schon zu lange warten müssen, als dass er noch imstande gewesen wäre, einen netten Plausch mit ihr zu führen. Er überging also die üblichen 'Wie-geht-es-dir, mir-geht-es-gut"-Floskeln und kam gleich auf den Punkt. „Was ist los? Hat Albus euch geschickt, um mich abzuholen? Will der große Albus Potter etwa nicht mit mir gesehen werden?“, spottete Erik. Rose biss sich auf die Unterlippe. „Al ist leider…verhindert.“, erklärte der blonde Malfoy und die Art und Weise, wie er das Wort »verhindert« aussprach, ließ Erik aufhorchen. „Wie, »verhindert«?“, fragte er deshalb auch sofort nach und runzelte die Stirn. Als keiner der Beiden ihm antwortete, machte sich ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend breit. „Was ist hier los? Warum ist Albus nicht hier? Und warum holt Alice mich nicht stattdessen ab?“ Scorpius holte tief Luft. „Ich glaube, das besprechen wir lieber auf dem Weg in St. Mungos." ♥ „Wir sind da.“ Sie blieben stehen und Erik musterte die Tür, als würde sie ihn in seine persönliche Hölle führen. Den ganzen Weg zum St.Mungo Hospital hatte er kein einziges Wort gesagt. Er war nur stumm neben Rose und Scorpius her gegangen und hatte ihren Erzählungen gelauscht. Allerdings hatten sie es nicht über sich gebracht, Erik bereits von der unheilvollen Diagnose über Alice' Zustand zu erzählen. Sie waren stumm darüber ein gekommen, dass der Longbottom dies lieber von seinem Vater erfahren sollte. Er nickte langsam. Um nicht aufdringlich zu wirken, traten Scorpius und Rose ein paar Schritte zurück. Sie sahen, wie Erik ein paar Mal tief durchatmete, bevor er leise anklopfte und dann nach einem kurzen Zögern das Krankenzimmer betrat. Kaum hatte Erik die Tür von innen wieder geschlossen, herrschte im Gang wieder eine unangenehme Stille. Rose hielt angespannt die Luft an. Kein Laut drang aus dem Zimmer. Minuten vergingen. Unruhig zwirbelte Rose eine ihrer feuerroten Haarsträhnen zwischen den Fingern. „Sollten wir vielleicht nicht lieber gehen? Er wird bestimmt bei ihr bleiben wollen." „Hm, ich weiß nicht." Unentschlossen schürzte Scorpius die Lippen. „Wie meinst du wird er reagi…“, wollte sie Scorpius gerade fragen, als die Tür von Alice‘ Zimmer plötzlich schwungvoll aufgestoßen wurde und ein fuchsteufelswilder Erik heraus gestürmt kam. Er schubste den überraschten Scorpius, der sich ihm aus Reflex in den Weg gestellt hatte, zu Boden und hastete den Flur entlang. „WO? WO IST ER?? ICH WERDE IHN UMBRINGEN!“, brülle er und rannte dabei fast einen Heiler um, der gerade aus einem der Krankenzimmer kam. Erik nutzte die Gelegenheit, packte den erschrockenen Mann am Arm und knurrte: „Albus Potter. Welches Zimmer?" „D-den Gang runter und dann die 4. Tür l-links. Zimmer 14.", stotterte der Mann angsterfüllt. Ohne ein Wort des Dankes gab Erik den Heiler wieder frei und setzte seinen Weg in die angegebene Richtung fort. „Scheiße!", fluchte Scorpius und rappelte sich rasch wieder auf, und machte Anstalten, Erik nachzusetzen. Rose, die das Geschehene gar nicht so schnell hatte verarbeiten können, stand immer noch wie vom Donner gerührt vor der nun offenen Krankenzimmertür. Kurz erhaschte sie einen Blick durch die offene Tür auf Neville, der seine Position seit dem letzten Mal nicht verändert hatte und keinerlei Anstalten machte, seinem aufgebrachten Sohn zu folgen. Dann zog Scorpius ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Los, wir müssen hinterher! Wer weiß, was Erik mit Al anstellt.“ Unter normalen Umständen hätte Rose ihm wohl widersprochen. Sie kannte Erik, er war niemand, der zu Gewalt neigte. Doch unter den gegebenen Umständen konnte sie sich sehr gut vorstellen, was momentan in Erik vorging. Er war verzweifelt, hatte Angst und suchte jemandem, dem er die Schuld für all das geben und an dem er seine Wut auslassen konnte. Und wer war besser dafür geeignet als Albus? Obwohl sie den Gang entlang rannten und Erik keinen allzu großen Vorsprung hatte, trat er erst wieder in ihr Blickfeld, als er bereits vor Albus‘ Zimmertür stand. „Erik, warte!“, rief Scorpius, doch der Longbottom schenkte ihm keinerlei Beachtung und stieß die Tür so schwungvoll auf, dass sie von innen gegen die Wand krachte. Albus, der anscheinend gerade geschlafen hatte, schreckte von dem Lärm hoch und sah Erik erschrocken an. „DU!“, grollte Erik und bevor Scorpius auch nur reagieren konnte, hatte er mit drei langen Schritten das Zimmer durchquert und zerrte Albus am Kragen aus seinem Bett. „ICH HABE ES IMMER GEWUSST! DU MIESER, EINGEBILDETER…!“ „Erik, hör auf!“, rief Rose und versuchte, ihn am Arm zu fassen, doch er stieß sie zu Seite und fuhr damit fort, Albus zu schütteln. Dieser machte keinerlei Anstalten sich zu wehren, sondern ließ sich widerstandslos von Erik herumschleudern und beschimpfen. Sein Blick wirkte leer und es machte mehr und mehr den Eindruck, als würde Erik lediglich eine Hülle anschreien. Doch davon ließ dieser sich nicht aufhalten. Er brüllte einfach weiter. „ICH WUSSTE, DASS MAN DIR NICHT VERTRAUEN KANN! ICH WUSSTE ES! SIE WIRD VIELLEICHT NIE WIEDER AUFWACHEN! NIE WIEDER! SIE STIRBT! SIE STIRBT WEGEN DIR! “ Plötzlich spürte er, wie sich etwas Hartes, Kreisförmiges in seinen Rücken bohrte. „Lass ihn los, Longbottom.“, erklang hinter ihm eine ruhige Stimme. Erik hielt zwar inne, machte jedoch keinerlei Anstalten, Albus frei zu geben. „Sofort.“, sagte die Stimme mit Nachdruck und der Druck des Zauberstabs in seinem Rücken verstärkte sich. „Erik.“ Behutsam legte sich eine Hand auf seine Schulter. Sein Kopf schnellte herum und er blickte in zwei strahlend blaue Augen. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum, aber die Art, wie Rose Weasley ihn ansah, reichte aus, dass er innerlich in sich zusammen sackte. Wie in Trance ließ Erik die Hände sinken. Die Wut pulsierte noch immer durch seinen Körper und er musste sich stark zusammen reißen, um nicht wieder anzufangen zu schreien. Zögerlich griff Rose nach seinem Arm. Als er sie nicht fortstieß, schenkte sie ihm ein zaghaftes Lächeln und zog ihn zu einem der Besucherstühle. „Hier. Setz dich.“ Er ließ sich von ihr dirigieren und nahm auf dem Stuhl Platz. Kaum, dass er saß, vergrub er sein Gesicht mit einem Stöhnen in den Händen und schüttelte unablässig den Kopf. Nicht schon wieder, nicht schon wieder. Er konnte das nicht. Nicht noch mal. Er hatte schon seine Mutter verloren. Wie konnte Merlin ihm jetzt auch noch Alice weg nehmen? ~♥~ Stumm betrachtete Scorpius Erik Longbottom, wie er dort zusammen gesunken auf dem Stuhl saß und unbändiges Mitgefühl schwappte in ihm hoch. Sein Ausbruch war nur verständlich. Trotzdem: hätten er und Rose nicht eingegriffen, hätte er Albus vermutlich erwürgt. Es wäre wohl besser, wenn sie die Beiden in Zukunft nicht alleine in einem Raum lassen würden. Albus war, nachdem Erik von ihm abgelassen hatte, stumm auf sein Bett zurück gesunken. Er war kalkweiß im Gesicht und noch immer hatte er keinen Ton gesagt. Rose ließ sich neben ihm auf die Matratze sinken und musterte ihren Cousin besorgt. „Albus…“, setzte sie an und wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, doch der Potter sprang wie vom Blitz getroffen auf und wich vor ihr zurück. „Was…was meint er damit?“, fragte er mit heiserer Stimme und sah dabei abwechselnd von Rose zu Scorpius und wieder zurück. Scorpius öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Albus hob abwehrend die Hand. „Sag mir jetzt nicht, dass ich mich erst mal hinsetzten und beruhigen soll!“ Seine Stimme wurde lauter und Panik schwang in ihr mit. „Was ist los mit Alice!? Sagt es mir! SOFORT!“ Rose und Scorpius tauschten einen verzweifelten Blick. Doch es war schließlich Erik, der dem Potter auf seine Frage antwortete. „Was mit ihr los ist? Nun, das ist leicht zu beantworten.“, sagte er mit lebloser Stimme, während er noch immer auf den Boden starrte. „Körperlich geht es ihr prima. Aber ihr Kopf hat Einiges abbekommen. Damit sie ihnen nicht unter den Händen weg stirbt, mussten sie sie in ein künstliches Koma versetzen. Und die Chancen, dass sie daraus je wieder aufwacht, gehen Richtung Null“ Er hob den Blick und sah Albus hasserfüllt an. „Ich hoffe, du bist stolz auf dich, Potter!“ „Das reicht!“, schaltete Scorpius sich ein und sah Erik scharf an, „Es ist wohl besser, du gehst jetzt.“ Erik zuckte nur mit den Schultern. Mit einem leisen Ächzen erhob er sich von dem Stuhl und wandte sich zum Gehen. Die Hand bereits auf der Türklinke drehte er sich noch einmal zu Albus um. „Lass dir ruhig von allen einreden, dass es nicht deine Schuld ist. Aber du und ich, wir wissen Beide, dass das nicht stimmt. Wenn Ali…stirbt, bist du der Einzige, der das zu verantworten hat.“ Und mit diesen Worten und einem letzten, vernichtenden Blick auf Albus verließ er das Zimmer. Kapitel 3: old friends, old sins -------------------------------- Stumm saß Albus Potter auf dem Besucherstuhl und betrachtete seine Freundin, welche blass und mit geschlossenen Augen in ihrem Krankenbett lag. Es sah fast so aus, als würde sie nur tief und fest schlafen, doch als er den Arm ausstreckte und ihre Hand vorsichtig in die Seine nahm, wurde ihm schlagartig wieder bewusst, dass dem nicht so war. Ihre Haut fühlte sich ungewöhnlich kalt an und sie reagierte auch sonst nicht auf seine Berührung. Sie lag einfach da, unbewegt und leblos. Fast wie tot. Nur das regelmäßige, sanfte Heben und Senken ihrer Brust zeugte davon, dass Alice noch nicht gänzlich aus dieser Welt entschwunden war. „Hey Ali.“, murmelte der Potter schließlich und brachte sogar so etwas Ähnliches wie ein Lächeln zustande, während er sanft ihre Hand drückte. Den Heilern nach war das, was er hier tat, reine Zeitverschwendung. In ihrem jetzigen Zustand könne Alice ihn weder hören noch spüren noch sonst in irgendeiner Weise mit ihrem unmittelbaren Umfeld interagieren. Doch das war Albus – gelinde ausgedrückt – scheißegal. Ihn interessierte schon lange nicht mehr, was die Heiler sagten. Seitdem er vor knapp zwei Wochen entlassen worden war, versuchten sie andauernd, ihn zu einer Therapie zu überreden. Zwar sagten sie ihm nicht direkt, dass sie glaubten, dass er nicht mehr alle Kessel im Schrank hatte, doch durch unterschwellige Andeutungen, verpackt in ein nettes Gespräch und dekoriert mit einem falschen, verständlichen Lächeln, war ihm sehr schnell klar geworden, was sie ihm mitteilen wollten. Aber er hatte vehement abgelehnt. Was sollte eine Therapie schon bringen? Was sollte es ändern, wenn er alles, was ihn momentan bewegte, belastete und um den Schlaf brachte, irgendeinem Fremden erzählte, der nichts, aber auch rein gar nichts, dagegen unternehmen konnte? Dadurch würde er weder die Antworten bekommen, die er suchte, noch würde sein Schmerz dadurch gelindert werden. Das Einzige, was ihm momentan etwas Trost spendete, waren die regelmäßigen Besuche an Alice' Krankenbett, auch, wenn er nie so lange bleiben konnte, wie er gerne gewollt hätte. Erik war nahezu Rund um die Uhr bei ihr und wachte über sie und Albus war momentan der Letzte, den er in der Nähe seiner Schwester sehen wollte. Seitdem Erik ihn über Alice‘ Zustand aufgeklärt hatte, waren sie sich nicht mehr begegnet, und nach Albus‘ Empfinden war das auch besser so. Nur durch Professor Longbottom hatte Albus überhaupt die Chance, Alice zu sehen. Jeden Tag um die Mittagszeit lotste Neville seinen Sohn aus ihrem Zimmer, um mit ihm in der Cafeteria etwas zu essen. Albus nutzte diese Zeit, um, von Erik unbemerkt, seine Freundin an ihrem Krankenbett zu besuchen. Offenbar waren sie diesmal früher fertig geworden, denn obwohl Albus noch keine zehn Minuten im Zimmer war, hörte er bereits näherkommende Schritte. Kaum eine Sekunde später schwang auch schon die Zimmertür auf und mehr oder weniger gut gelaunte Erik betrat, gefolgt von Neville, das Krankenzimmer. Kaum, dass er Albus erblickte, war sein angedeutetes Lächeln jedoch wie weg gewischt. Seine Miene verfinsterte sich. Innerlich machte Albus sich bereits auf das nahende Donnerwetter gefasst. Er konnte es Erik nicht einmal verübeln. Er selbst würde vermutlich nicht anders reagieren, wenn er an seiner Stelle wäre. Als er Erik für einen kurzen Augenblick in die Augen schaute, hatte er für einen Moment das Gefühl, als würde er in einen Spiegel schauen. Erik sah genauso fertig aus wie er selbst. Er wirkte blass und ausgezehrt, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und sein Blick war starr und emotionslos. Doch anders als Albus hatte Erik seine Trauer in ein viel nützlicheres Gefühl umgewandelt; nämlich in Wut. „Was in Merlins Namen machst du hier?“, knurrte der Longbottom auch sofort los und Albus erhob sich hastig von seinem Platz. Das Letzte, was er wollte, war einen Streit vom Zaun zu brechen, schon gar nicht mit Erik und erst recht nicht in Alice' unmittelbarer Nähe. „Tut mir leid, ich wollte nur…“, versuchte er sich zu erklären, doch Erik schenkte seinen Worten keinerlei Beachtung. „Du hast hier nichts zu suchen. Raus! Verschwinde!“ Erik war unerbittlich. Nun schaltete sich Neville ein. „Erik, reiß dich zusammen!“ Er warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu. Doch Albus hob abwehrend die Hände und schob sich an den Beiden vorbei zur Tür. „Nein, lassen Sie es gut sein, Professor. Ich wollte ohnehin gerade gehen. Entschuldigen Sie die Störung.“ Und bevor Neville noch ein weiteres Wort sagen konnte, hatte der Potter bereits das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zugezogen. Mit Bedauern sah der Kräuterkundeprofessor ihm nach. Man konnte es förmlich körperlich spüren, wie sehr der junge Potter litt. Dann wandte er sich seinem Sohn zu, der inzwischen auf dem Stuhl, auf welchem Albus bis vor ein paar Augenblicken noch gesessen hatte, Position bezogen hatte und mit immer noch zornesroten Wangen seine Schwester musterte. „Musste das sein?“, fragte ihn sein Vater streng und er schaute auf. Seine dunkeln Augen verengten sich zu Schlitzen. „Er hat hier nichts zu suchen.“, wiederholte er, „Schließlich ist er der Grund, warum sie überhaupt hier ist.“ „Das stimmt nicht. Und das weißt du auch.“ Erik stieß darauf nur ein unwilliges Schnauben aus, wich dem durchdringenden Blick seines Vaters jedoch gezielt aus. Neville wusste, dass Erik nicht direkt Albus die Schuld gab. Er suchte nur jemanden, auf den er seine Wut, seine Angst und seinen Schmerz projizieren und auslassen konnte und da Albus sich sogar selbst an dem Unfall die Schuld gab, stellte er den perfekten Sündenbock dar. Doch auch, wenn Neville die gemischten Gefühle seines Ältesten gut nachvollziehen konnte, war er nicht gewillt, zu zulassen, dass dieser Albus zu einem psychischen Wrack machte. „Findest du dein Verhalten nicht ein bisschen unfair? Er macht sich selbst schon genug Vorwürfe, da brauchst du nicht auch noch nachtreten.“, ließ Neville deshalb nicht locker. Als Erik darauf nichts erwiderte, fuhr er fort: „Glaubst du, Ali wäre begeistert davon, wenn sie wüsste, wie du ihm zusetzt?“ Damit hatte er anscheinend einen wunden Punkt getroffen. Eriks ohnehin schon wutverzerrtes Gesicht nahm einen beinahe feindseligen Ausdruck an, als er sich seinem Vater zuwandte. "Woher willst du bitteschön wissen, was sie davon gehalten hätte, mh? Seit Mum gestorben ist vergräbst du dich doch in Arbeit und interessierst dich einen feuchten Kobolddreck für uns!" Verblüfft und zu schockiert, um etwas darauf erwidern zu können, starrte Neville seinen Sohn an. Dann schüttelte er traurig langsam den Kopf. "Erik, ich verstehe ja, dass du emotional aufgewühlt bist, aber..." "Emotional aufgewühlt?! Entschuldige, dass es mich mitnimmt, dass das Leben meiner kleinen Schwester an seidenem Faden hängt! Anders als du laufe ich eben nicht wie ein Feigling davon, sonder stelle mich dem Problem!" Unter den scharfen Worten seines Sohnes zuckte der Ältere leicht zusammen, doch Erik war viel zu wütend, als dass er jetzt darauf Rücksicht nehmen konnte. "Wann hast du das letzte Mal ein wirkliches Gespräch mit ihr geführt anstatt nur diese leeren 'Wie-geht-es-dir-mir-geht-es-gut'-Floskeln auszutauschen?" Neville antwortete nicht. "Na los. Sag schon." Herausfordernd starrte Erik seinen Vater an. "Was war das letzte tiefsinnige Gespräch, was ihr miteinander geführt habt? Worum ging es? Hat sie dir von der Uni erzählt? Dass ihr von der Schulleiterin ein Stipendium angeboten wurde, weil sie ihre letzte Zwischenprüfung als Jahrgangsbeste abgeschlossen hat? Oder von ihrer Idee, vielleicht doch noch in den Bereich der Kindermedizin zu wechseln?" "Ich...", setzte dieser an, doch beinahe augenblicklich verstummte er wieder. Er wusste nichts von alledem. Wenn er mit Ali Briefe geschrieben oder - in seltenen Fällen - telefoniert hatte, waren all diese Dinge nie Thema gewesen. Sie hatte nie etwas gesagt. Andererseits - er hatte auch nie gefragt. "War mir klar.", murmelte Erik, als sein Vater ihm keine Antwort gab. "Bei mir ist es ja genauso - warum solltest du es bei ihr dann anders machen?" Die Bitterkeit, die in der Stimme seines Sohnes mitschwang, schnürte Neville förmlich die Kehle zu. Erik hatte Recht. Seit dem Tod seiner Frau hatte der Longbottom sich ausschließlich seiner Arbeit gewidmet. Es half ihm, zu vergessen. Zu vergessen, dass er abends in ein leeres Haus zurückkehren musste, wo nichts auf ihn wartete außer die schmerzhafte Erinnerung an das was einst gewesen war. Doch anscheinend war das nicht das Einzige gewesen, was er vergessen hatte. Eine Weile starrten sich Vater und Sohn nur schweigend ein, doch die ausgesprochenen Vorwürfe und Anschuldigungen zogen ihre Bahnen unablässig durch den Raum und Neville fühlte sie schwer auf seine Brust drücken, wie Blei, dass man ihm um den Oberkörper geschnallt hatte. Schließlich hielt er das und die vorwurfsvollen Blicke Eriks nicht mehr aus. Ohne ein weiteres Wort zu sagen erhob sich der einstige Held der Schlacht um Hogwarts und verließ das Zimmer. ~ Die Hände in den Jackentaschen vergraben, schlenderte Albus mit gesenktem Kopf den Bürgersteig entlang. Eisiger Wind schlug ihm entgegen und den dunklen Wolken nach zu urteilen würde es bald wieder anfangen zu schneien. Jetzt, da sein Besuch bei Alice so radikal verkürzt worden war, wusste der Potter nicht was er noch anstellen sollte, um die Zeit bis zum Abend totzuschlagen. Nach dem Unfall war er für zwei Monate von seiner Abteilung beurlaubt worden. Mit seinen Vorgesetzen war alles geregelt, er konnte die Prüfungen, die er dadurch verpasste, zu einem gegebenen Zeitpunkt nachholen und die kleine Unterbrechung würde seine Ausbildung sonst in keinster Weise negativ beeinträchtigen. Albus war nicht besonders glücklich darüber. Die Arbeit wäre eine gute Ablenkung für ihn gewesen. So hatte er den lieben langen Tag nichts zu tun und ohne, dass er es verhindern konnte, spukten die unterschiedlichsten Gedanken durch seinen Kopf, einer unerfreulicher als der Nächste. Auch, wenn er keinen richtigen Hunger verspürte – er wusste nicht mal, wann er das letzte Mal wirklich Hunger gehabt und eine vollwertige Mahlzeit zu sich genommen hatte - , beschloss er, in der kleinen Bäckerei in der Winkelgasse etwas zu Mittag zu essen. Während er die Gasse entlang ging, vermied er jeden Blick nach rechts oder links, zog sich seine Kapuze noch etwas weiter in die Stirn und starrte nur stur geradeaus. Das Letzte, was er jetzt wollte, war erkannt zu werden. Natürlich hatte sein Unfall in der Zaubererwelt für großen Aufruhr gesorgt – schließlich war er der Sohn von dem berühmten Harry Potter und Alice war als Neville Longbottom’s Tochter auch nicht unbekannt. Ganze zwei Tage lang hatte ihr Unfall die Titelseite des Tagespropheten geziert und selbst jetzt, knapp zwei Wochen später, erschien ab und zu immer noch kleinere Artikel dazu, die den Leser über Alice‘ Zustand und Albus‘ Schuldgefühle auf dem Laufenden hielten. Glücklicherweise hatte der Prophet sich nicht auf die Schuldfrage gestürzt und versucht, Albus einen Strick daraus zu drehen. Als Schuldiger war der 33-jährige Muggelfahrer des Land Rovers genannt worden. Vielmehr war über die Gefahr von Muggelfortbewegungsmitteln und die Tragik des Unfalls berichtet worden. Es schien keine Hexe und keinen Zauberer in London, ja vermutlich in ganz Großbritannien zu geben, die den Artikel nicht gelesen hatten. Nicht viele sprachen ihn direkt darauf an, aber er spürte trotzdem, wie ihre Blicke ihm folgten, egal, wo er auch hinging. Und das gerade jetzt, wo er keinen Ort hatte, an den er flüchten konnte. Er hatte es einfach nicht über sich gebracht, ihre gemeinsame Wohnung zu betreten. Als er in Begleitung von Rose und Scorpius vor der Wohnungstür gestanden hatte, hatten seine Hände so sehr gezittert, dass er es nicht einmal geschafft hatte, den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Seine beiden Freunde hatten sich das Trauerspiel einige Minuten lang schweigend angeschaut, bis Rose plötzlich vorgetreten war und ihm den Schlüssel aus der Hand genommen hatte. „Ich denke, du solltest mit zu uns kommen. Zumindest für die erste Zeit.“, hatte sie mit sanfter Stimme gesagt und Scorpius hatte ihren Vorschlag mit einem heftigen Nicken unterstützt. Erst hatte Albus dankend abgelehnt, schließlich hatte er den Beiden schon genug zugemutet. Sein und Alice‘ Unfall hatte seine besten Freunde mindestens so sehr mitgenommen wie ihn selbst. Doch die Alternative wäre gewesen, zu seinen Eltern zu ziehen, und das hielt er für nicht besonders erstrebenswert. Seit dem Unfall behandelte seine Mum ihn wie ein rohes Ei und erdrückte ihn förmlich mit all ihrer Liebe und Aufmerksamkeit. Selbst sein Vater, der seinen Kindern sonst stets den Freiraum gelassen hatte, den sie brauchten, hatte nahezu jeden Tag, in dem er im Krankenhaus lag, an seiner Seite gesessen und war jedes Mal, wenn einer der Heiler herein kam, um Albus etwas Blut abzunehmen oder sonstige Kontrollen durchzuführen, kreidebleich geworden und hatte sich erst wieder entspannt, wenn man ihm ausdrücklich versichert hatte, dass mit seinem jüngsten Sohn alles in Ordnung war. Selbst Lily's und James' Gesellschaft hatte er mittlerweile über. Während Lily andauernd den Tränen nah war, ihn fragte, wie es ihm gehe und gar nicht mehr damit aufhören zu wollen schien, ihn an sich zu drücken, versuchte James pausenlos, ihn aufzuheitern und beglückte ihn alle paar Minunten mit einem neuen dämlichen Witz oder platten Wortspielen. Albus wusste, dass seine Geschwister es nur gut meinten, doch das Einzige, was er momentan wollte, war allein sein. Inzwischen hatten die Beiden das verstanden. Lily war nun wieder in Hogwarts – sie schrieb ihm jeden Tag und er antwortete auch fleißig, einfach, weil er nicht wollte, dass sie sich sorgen machte – und James hatte ihm zwar angeboten, eine Weile bei ihm in Rom zu bleiben, doch er konnte es nicht über sich bringen, Alice in ihrem jetzigem Zustand allein zu lassen. Also war er doch auf Rose‘ Angebot eingegangen. Und er bereute es zutiefst. Denn obwohl Rose und Scorpius sich alle Mühe gaben und er dies auch wirklich zu schätzen wusste, versuchte er, so viel Zeit wie möglich allein und außerhalb der Wohnung zu verbringen. Nicht etwa, weil es ihm bei den Beiden nicht gefiel oder er ihre Gegenwart leid war, sondern vielmehr aus dem Grund, weil ihr intaktes, perfektes Liebesglück ihn schier um den Verstand brachte. Er konnte es nicht verhindern, aber bei jedem Kuss, jeder Berührung und jedem innigen Blick zwischen den Beiden fühlte er sich, als würde ihm jemand das Herz heraus reißen. Wenn Rose sich im Schneidersitz in ihrem Sessel fläzte, ihre Lesebrille trug und las, verwandelte sie sich vor seinem inneren Auge automatisch in Alice und Scorpius, der aus der Küche kam und ihr eine Tasse Tee reichte, wurde zu ihm selbst und schon fühlte Albus sich, als würde er keine Luft mehr bekommen. Es gab vermutlich keine Beziehung, die seiner und Alice‘ unähnlicher war als die von Scorpius und Rose – und doch erschien ihm das alles so schmerzlich vertraut. Aus diesem Grund verließ er die Wohnung stets früh morgens, kurz bevor Rose aufstand um joggen zu gehen und Scorpius von der Nachtschicht kam, und kam erst spät abends wieder, wenn Rose schon schlief und Scorpius bereits zur nächsten Nachtschicht aufgebrochen war. So bekam er zwar nicht viel Schlaf, aber das war ohne hin besser. Denn sobald er einschlief, wurde er von Albträumen heim gesucht und nicht selten wachte er mitten in der Nacht keuchend und schweißgebadet auf. Er musste wohl nicht erleutern, wer in seinen Träumen stets die Hauptrolle spielte. Gerade, als es leicht anfing zu schneien, hatte Albus sein Ziel erreicht. Er stieß die Ladentür zu einer kleinen Bäckerei auf. Ohne der Bedienung in die Augen zu sehen bestellte er an der Theke einen einfachen Kaffee und ließ sich dann in einer Sitzecke nieder. Während er auf sein Getränk wartete, starrte Albus unablässig auf die Tischplatte vor sich und malte gedankenverloren mit den Fingern die Holzmaserungen nach. Völlig versunken in seinen Gedanken bemerkte der Potter nicht, dass er beobachtet wurde. ~ Nachdenklich betrachtete Annabeth Wood die zusammengesunkene Gestalt von Albus Potter durch die leicht vereiste Fensterscheibe. Sie war erst vor gut zwei Stunden in London eingetroffen und hatte sich nach einem kurzen Besuch bei ihren Eltern sofort auf den Weg ins St. Mungo’s gemacht. Als Albus in der Winkelgasse an ihr vorbei gestürmt war, hätte sie ihn beinahe nicht erkannt. Sie war an einen vorlauten, ungestümen, leicht arroganten Albus Potter gewöhnt, der stets einen frechen Spruch auf den Lippen hatte und mit einer Selbstüberschätzung so groß wie ein ganzes Quidditchstadion durch die Welt spazierte. Doch der jetzige Albus hatte mit dieser Version nicht mehr all zu viel gemeinsam. Ihm war anzusehen, dass ihm die jetzige Situation ganz schön zusetzte. In Transsylvanien gab es keinen Tagespropheten, und so hatte sie erst von dem Unfall erfahren, als Lucy Weasley's Brief sie vor drei Tagen erreicht hatte, was beinahe schon an ein Wunder grenzte. Denn für ihre Ausbildung zur Vampirjägerin absolvierte Beth momentan ein hartes Spezialtraining, welches im tiefsten Herzen von Transsylvanien stattfand. Die genaue Position des Ortes war Außenstehenden unbekannt und so verirrten sich eher selten Eulen dorthin. Doch - natürlich – hatte Lucy es irgendwie geschafft, sie dennoch zu erreichen. Am Liebsten wäre sie sofort auf den nächstbesten Besen gesprungen und nach London geflogen, aber Beth hatte bis zum Wochenende warten müssen, denn es herrschten strenge Regeln, was die Besuchszeiten bei den Familien oder generell das Verlassen der Trainingsanlage anging. Seit ihrem Abschluss vor zwei Jahren hatte sich die zur Schulzeit unzertrennliche Viererclique, bestehend aus Roxanne, Lucy, Alice und ihr selbst, ein wenig aus den Augen verloren. Ab und an schrieben sie sich zwar noch, aber alle Vier wurden von ihrem Alltag derart beansprucht, dass es meist nur das übliche Geplänkel war. Doch dies änderte nichts daran, dass Lucy, Alice und Roxanne ihre besten Freundinnen waren. Ihre gesamte Schulzeit und Jugend hatten sie zusammen verbracht, sie waren für sie wie eine Familie. In gewisser Weise standen die Drei ihr sogar noch näher, denn sie wussten Dinge über Beth, die sie ihren Eltern niemals erzählen konnte und auch gar nicht erzählen wollte, hatten viele Höhen und Tiefen mit ihr durchlebt, schlechte Noten, verlorene Quidditchspiele, eine in die Brüche gegangene Beziehung, unzählige lustige gemeinsame Abende im Raum der Wünsche, entspannte Nachmittage am Ufer des Schwarzen Sees... Alice war ein Teil von all diesen Erinnerungen, ebenso wie Roxanne und Lucy. Der Gedanke, sie zu verlieren, schnürte Beth die Kehle zu und ihr stiegen ungewollt die Tränen in die Augen, als ihr bewusst wurde, dass genau das vielleicht passieren würde. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, die Bäckerei zu betreten und sich zu Albus zu setzten. Dann schalt sie sich selbst eine Idiotin und wandte sich hastig von der Scheibe ab. Ihre Anwesenheit würde wohl nicht gerade zu einer Steigerung von Albus' Laune beitragen. Als sie schließlich mit einigen Minuten Verspätung die Straße erreichte, in welcher der Eingang vom St. Mungos lag, sah sie schon vom Weiten, dass man bereits auf sie wartete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)