Das rote Tuch von Crevan ================================================================================ Kapitel 25: Frieden ------------------- „Malik.“ Der Dai schreckte auf und richtete seinen Blick etwas perplex, doch sofort wieder auf sein Gegenüber. Oh. Wo war er mit seinen Gedanken gerade nur schon wieder gewesen? „Äh ja. Tut mir leid, ich bin etwas müde...“ antwortete der zuvor noch so geistesabwesende Malik beinahe schon etwas kleinlaut nachdem er sich leise geräuspert und wieder etwas gerader hingesetzt hatte. Die beiden braunen Augen des alten Informanten Jerusalems hingen dabei skeptisch auf ihm. Der Mann, Ahmed hieß er, stand in der Hierarchie der Bruderschaft zwar unter dem gelehrigen Kartografen und dennoch verspürte Malik ihm gegenüber einen gewissen, vielleicht etwas zu großen Respekt. Musste daran liegen, dass der Informant an die dreißig Jahre älter war als er... es war also befremdlich sein Vorgesetzter zu sein. Sonst war niemand hier; Karim war, als Lehrling Ahmeds, zusammen mit einem Zweiten und nach dem Morgenbrot losgezogen, um irgendwelche brisanten Neuigkeiten über die Geschehnisse in der zunehmend unruhiger werdenden Stadt zu besorgen und den sprunghaften Adler hatte man hier schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Altaïr, dieser Idiot; er war schuld daran, dass der wirre Malik es im Moment kaum schaffte seine volle Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes zu richten als auf die Worte, die er ihm vor knapp einer Woche so ruhig entgegen gewispert hatte. In der Seitengasse, am Boden zwischen Staub und Dreck, offenkundig besorgt und so weit über den Dai gebeugt, dass dieser in den Fängen des Raubvogels keine Chance dazu gehabt hatte zu entkommen. Aber hätte er das überhaupt wollen? 'Entkommen'? Nein... Altaïr hatte so... vorsichtig gewirkt und mit solch sanftem Ton in seiner sonst so rauen Stimme geredet, dass es dem 'eingefangenen' Kartografen einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt hatte; allein der vage Gedanke daran verursachte ihm heute noch ein flaues Gefühl in der Magengegend. Und da hörte es auch noch lange nicht auf: Der morbide Gedankengang raste weiter... zu den warmen Fingern an seinem entsetzten Gesicht, zu den weichen Lippen, die die Seinen suchten. Altaïr hatte die beiden stechend goldenen Augen geschlossen gehalten, als er... als er Malik geküsst hatte. Oh, Allah bewahre, es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie beide sich geküsst hatten – und das auch noch auf solch 'harmlose' Art und Weise... und dennoch hatte es sich so angefühlt als wäre es noch nie zuvor passiert. Der 25-Jährige fühlte sich dadurch wie ein unerfahrener, pubertärer Jugendlicher, so als ob-... oh nein. Vollkommen zurück in seine verbotenen Gedanken versunken führte der betretene Malik die Fingerspitzen an seine etwas offenstehenden Lippen. Es war ihm so, als spüre er Altaïr's unsteten, heißen Atem noch immer darüber streichen, so sehr hatten sich die Geste und die Berührungen des Älteren in seinen brummenden Schädel eingebrannt. Es war falsch. Absolut falsch. Und krank. „Malik...“ „Hm.“ „Also hast du den Templern irgendetwas gesagt?“ Der leise seufzende Dai hob seinen Kopf wieder etwas an und neigte ihn in die Richtung des viel älteren Informanten. Flach atmete er durch und senkte die Hand an seinem wieder zuklappendem Mund etwas. Richtig, man wollte von ihm Details über seine fürchterliche Gefangenschaft und die Feinde der Assassinen erfahren. Und über Situationen, die er am liebsten aus seinem labilen Geist verdrängt hätte. Aber das war ihm nicht vergönnt... noch nicht. „Nein, natürlich nicht.“ „Was wollten sie wissen?“ „Das was sie schon seit jeher wissen wollen. Ihre Ziele haben sich nicht verändert, Ahmed.“ „Ah, ich verstehe...“ der Ältere schlug die müden Augen nieder und massierte sich eine seiner Schläfen, als beschere ihm diese bekannte Tatsache nach all den Jahren noch immer Kopfschmerzen. Die Templer strebten nach Macht, das hatten sie schon immer getan und dabei war ihnen auch jedes noch so verwerfliche, schadhafte Mittel recht. Sie wollten das Artefakt, Wissen, nach Masyaf, griffen mit gierigen Fingern nach schwachen, verwirrten Geistern innerhalb der Bruderschaft der Assassinen, um sie zu skrupellosen Verrätern an ihrem Kodex zu machen. Sie suchten Verbündete. Und beugte man sich ihnen nicht, dann erging es einem so wie es dem armen Malik ergangen war. Vielleicht war es gar gut gewesen, dass ihn währenddessen das Fieber - und die damit Hand in Hand gehenden Halluzinationen und Ohnmachtsanfälle - geplagt hatten. So hatte er von den Torturen durch den feindseligen Orden nicht gar so viel miterleben müssen: Endlos anmutende, einseitige Verhöre und Monologe in verschiedenen Sprachen seitens der Übersetzer, Schläge, kein Essen, Beschimpfungen, man spuckte ihn an, Dreck, Ratten, Gestank, Fäkalien und Erbrochenes. Schreie, irgendeiner der Gefangenen starb... man hatte ihn kurz zuvor noch getreten wie man den kranken Malik getreten hatte als er zu laut hatte husten müssen. Und was noch? Der geschundene Dai wusste es nicht mehr... hatte es sein Unterbewusstsein fort gesperrt – irgendwo in eine kleine, hintere Ecke seines Verstands - oder war er tatsächlich so lange nicht bei Sinnen gewesen? Malik verengte angestrengt die Augen, als er ins Leere starrte. Krampfhaft wollte er sich an so viele Details als möglich erinnern, doch er schaffte es einfach nicht. Er wollte dem lieben Ahmed und seiner Bruderschaft viele Informationen liefern... vergebens. Es war so, als wolle man seine schweren, schmerzenden Füße voreinander setzen, um zu gehen, doch man scheiterte daran. Etwas so rudimentäres, Erinnern, fiel plötzlich so schwer. „Ich habe mich dumm gestellt und so getan als verstünde ich sie nicht... sie mussten am Ende geglaubt haben, sie hätten den Falschen.“ ein schwaches, schiefes Lächeln schlich sich auf die Züge des kurzhaarigen Mannes und er schüttelte seinen Kopf leicht. „Jedenfalls bis Altaïr gekommen ist, um dich aus dem Kerker zu holen.“ „Mhm.“ „Woher wussten sie vom Büro; von dir?“ „Ich weiß es nicht. Und Nachsichtigkeit gehört nicht zu meinen Gewohnheiten... man muss einen der Brüder gesehen haben, als er versucht hat in das Gebäude zu gelangen.“ „Vermutlich.“ Ja, vermutlich. Woher auch sonst? Durch einen unbekannten Verräter zwischen den vielen Brüdern in Jerusalem? Uh... konnte das vielleicht sein? Malik hielt für viele, schnelle Herzschläge lange die Luft an und biss sich auf die Unterlippe. Was, wenn jemand das Assassinenbüro verraten hatte? Was dann? Gab es jemanden, der die Bruderschaft gefährden und den Dai Jerusalems tot sehen wollte..? „Vermutlich.“ wiederholte Malik mit gedämpfter Stimme. Er klang besorgt „'Vermutlich' heißt, dass man sich nicht sicher sein kann.“ „Das ist richtig, Dai.“ „Glaubst du-“ „Vielleicht. Ein weiser Mann rechnet stets mit Allem.“ II Mit Allem. Auch damit, dass ein barbarischer Großmeister der Templer in Jerusalem auftaucht. Einer der Köpfe der Hydra und davon auch noch der Schlimmste: Robert de Sable. „Diesem Mann folgt das Unglück. Ich werde ihm keine Chance geben seine Kampagne fort zu setzen...“ brummte der nachdenkliche Assassine in den Raum hinein und fing damit an langsam vor dem Bürotresen auf und ab zu gehen. Die braunen Augen des gerade aufräumenden Dais folgten ihm dabei eher beiläufig, doch er hörte aufmerksam zu. „Lass dein Urteil nicht von Rachegelüsten vernebeln, Altaïr...“ Malik seufzte leise, als er ein dickes, staubiges Buch vor sich zuklappte und zurück in das Wandregal hinter sich stellte „Wir beide wissen, dass daraus nichts Gutes entsteht.“. „Das habe ich nicht vergessen.“ fing der aufgebrachte Adler ein klein wenig pikiert an, senkte seine Stimme dann aber sogleich wieder „Keine Angst, ich suche nicht Rache sondern Wissen...“. Der geschäftige Kartograf hielt nach diesem Satz in seinem Tun inne und wand sich ein Stück weit zu dem Anderen um. Eine seiner Brauen wanderte langsam nach oben. Das waren ja mal ganz ungewohnte Worte von Altaïr. Es schien so, als habe er dazugelernt. Er war nicht mehr so ganz der Mann, der er damals in Solomon's Tempel gewesen war; hatte sich verändert. Zum Guten wie es schien. Ein flüchtiges Lächeln schlich sich auf die etwas blassen Lippen des positiv überraschten Schwarzhaarigen. Er war noch immer nicht ganz genesen und hustete nach wie vor, doch immerhin hatte er kein Fieber und keine Schmerzen mehr. Seine körperlichen Wunden, die er von der kürzlichen Gefangenschaft davongetragen hatte, waren längst verheilt und seine Medizin tat den Rest. Es ging ihm soweit gut. „Nach dieser beinah schon philosophischen Ansprache erwarte ich, dass du dich von deiner Reise erholst und dich erst morgen in das wilde Getümmel stürzt.“ gab Malik zu und wendete sich nun zur Gänze um, um seinen im Kreis gehenden Bruder erneut anzublicken. Nachdem Altaïr ihn vor zwei Wochen von der Straße geklaubt und ihn zurück in das Haus des alten Informanten gebracht hatte, war er sehr bald stillschweigend verschwunden und der grippige Dai selbst noch ein paar Tage in der Obhut Ahmeds geblieben. Malik wusste bis heute nicht wo sich der Adler während dieser Zeit herumgetrieben hatte; er hatte aber auch nicht weiter nachgehakt. Zu beschäftigt war er damit gewesen nach... dem Kuss wieder einen halbwegs klaren Kopf zu fassen und gesund zu werden. Und er wusste bei den Göttern nicht, was von Beidem langwieriger – und schwieriger - gewesen war... Vor drei Tagen war er schließlich wieder in sein kleines Büro zurückgekehrt – zusammen mit dem quirligen Karim und zwei weiteren, ranghöheren Mitgliedern der Bruderschaft, die als... nunja, Verstärkung dienen sollten. Denn Malik's Zuhause war nicht mehr sicher. Er rechnete jeden Tag und jede Nacht mit einem weiteren Angriff; und seine düsteren Erinnerungen an seine Gefangenschaft unter den forschen Templern machte dieses Bangen nicht besser. Umso froher war er nun den – durchaus fähigen, das musste er zugeben - Adler Masyafs unerwarteterweise wieder zu sehen, er hatte ja schon geglaubt der schräge Vogel käme nicht mehr wieder. „Klingt fair.“ antwortete der Besagte dem zuwartenden Kartografen schlussendlich nach einem längeren, nachdenklichen Zögern. Der Ältere rieb sich das Kinn, nickte währenddessen zustimmend und Malik musterte ihn nun richtig eindringlich. Hatte Altaïr gerade etwa nachgegeben..? Einfach so? Wo war bloß dieser eigensinnige Sturschädel, der immer irgendetwas an Malik's Vorschlägen und Belehrungen auszusetzen hatte, hin? Der irritierte Kartograf war momentan wahrlich schon drauf und dran die Welt nicht mehr so ganz zu verstehen. Ob er diese neue Gegebenheit nun gut oder eher schlecht finden sollte, wusste er nicht so ganz, aber man würde ja sehen. Vielleicht war Altaïr ja auch nur erschöpft. Ja, er wirkte ziemlich abgekämpft. Wo auch immer er die letzten Tage über gewesen war, er musste einige, lange Fußmärsche in der sengenden Hitze Syriens hinter sich gebracht haben. Der - der ungewohnt friedlichen Situation im Büro zugetane - Malik blinzelte ein paarmal, richtete seine Konzentration dann wieder fort von Mutmaßungen über elend langwierige Märsche und hin zu dem Adler, der gerade in den offenstehenden, dunklen Außengarten des Gebäudes verschwand. Der einsichtige Altaïr hatte eingewilligt sich bis zum Tagesanbruch auszuruhen... daher vertraute Malik darauf, dass er es sich draußen auf den weichen Kissen gemütlich machen würde. Ohne den Hals lang zu machen, um um die Ecke linsen zu können, sprach der Dai nun laut in das Büro hinein: „Willst du etwas essen?“. Ein knappes „Nein.“ kam als Antwort zurück. III „Hier.“ Malik reichte dem sitzenden Altaïr einen bauchigen Tonkrug mit Wasser. Taxierend ruhten seine dunklen Augen auf dem Anderen, als er so vor ihm stand. Der viel zu ruhige Adler saß auf einem der großen Sitzkissen im Außenbereich des Assassinenbüros. Letzteres war bereits geschlossen, denn der erschöpfte Dai hatte eigentlich vor einigen Momenten zu Bett gehen wollen. Eigentlich. Denn irgendetwas stimmte nicht; Altaïr hatte sich die ganze Zeit über so... seltsam verhalten und tat dies noch immer. Er wirkte nahezu teilnahmslos wie er da an die kühle Wand gelehnt dasaß und kleinmütig vor sich hin sah. Nicht einmal seine Waffen hatte er abgelegt oder seine dreckigen Stiefel ausgezogen. Als der kritische Malik ihm den Krug entgegen gereicht hatte, hatte er endlich aufgeblickt und gerade, da nahm er das großzügig gefüllte Gefäß ein wenig planlos entgegen. So, als wüsste er nicht was sein Bruder damit beabsichtigte. „Du hast seit du angekommen bist nichts getrunken. Trinken ist wichtig.“ diese feststellenden Worte klangen aus dem Mund des Dunkelhaarigen überheblich-belehrender als er es eigentlich gemeint hatte. Er wollte ja nur, dass der so ungewöhnlich gleichgültige Adler trank, wenn er denn schon nichts von dem Sawarma oder etwas Obst essen wollte. Etwas, das Malik unwohl stimmte, denn wenn es ums Essen ging, war der gefräßige Altaïr immer ganz weit vorne dabei gewesen. Viel zu oft hatte er dem Älteren in ihrer gemeinsamen Vergangenheit einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst – seiner nicht vorhandenen Ess- und Tischmanieren wegen. Und jetzt? Jetzt weigerte sich Altaïr sogar ein halbes, bloßes Fladenbrot zu essen. Der ratlose Dai hatte ihm vorhin Eines angeboten, doch er hatte kopfschüttelnd abgelehnt. „Was ist?“ Der Sitzende antwortete nicht sondern widmete sein ungeteiltes Interesse vollends dem braunen Wasserkrug bei sich. Malik reckte das Kinn leicht und schüttelte seinen Kopf ein wenig über das kindische Verhalten Altaïrs, doch gab keine abfälligen, beleidigenden Worte von sich. Darüber war er mittlerweile nämlich hinweg. Glaubte er jedenfalls. Und außerdem glaubte er, dass das hier ernst sein musste... und keine Situation, in der man einen erbitterten Streit um nichts vom Zaun brechen sollte; auch wenn es ihm in der Tat lieber gewesen wäre, es wäre solch ein Moment voller Bissigkeit und Geschrei gewesen. Es fiel einem leicht jemanden anzubrüllen, weil dieser Jemand irgendeinen Mist gebaut hatte oder auf anderweitige Weise eine Diskussion heraufbeschwor. Doch Altaïr hatte das nicht getan, er war 'nur' verstummt und wollte nichts essen, verhielt sich nicht so präpotent wie er es sonst immer tat, sondern war so gut wie gar nicht 'hier'... also was war los mit ihm? Malik war ein angesehener Dai, mehr noch als ein Rafik sollte er also auch auf geistiger Ebene für die vielen Mitglieder der Bruderschaft da sein und mit Rat und Tat zur Seite stehen, nicht? Der Adler, so gern er sich auch von den Anderen abhob, war da keine Ausnahme. Im Gegenteil: Gerade ihm gegenüber fühlte sich der Jüngere in grotesker Weise... schuldig, verantwortlich. Irgendwie. Er machte sich richtige Sorgen, das musste er sich eingestehen. Tief atmete der sich so hilflos fühlende Malik durch, dann ließ er sich neben Altaïr auf den bunten Kissen nieder. Malik tat sich nicht schwer damit lange und tiefsinnige Gespräche mit anderen Personen zu führen; Vielen in seinem Alter war er damit wohl weit voraus. Es blieb dann oft nicht nur beim bloßen Austausch von Meinungen und Weltanschauungen sondern er gab sehr oft auch gute Ratschläge oder irgendwelche leitenden Weisheiten von sich. Gerade neue Rekruten der Bruderschaft rangen häufig mit ihren Gewissen; und auch ältere Brüder kamen oftmals völlig aufgelöst zu ihm. Es war nicht einfach den Tod jeden Tag zu ertragen; erst recht nicht, wenn Leute starben, die einem nahe standen. Gerade Malik wusste das viel zu gut. Leider. Der Dai biss die Kiefer kurz aufeinander und versuchte seine finsteren Gedanken fort zu scheuchen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich sogleich wieder auf den introvertierten Assassinen neben ihm. Tja, Malik hatte zwar keinerlei Probleme damit Gespräche zu führen, doch mit diesem Mann, der ihm gerade äußerst skeptisch entgegensah, war es irgendwie anders. Altaïr machte ihn nervös und ließ ihn all die klugen Äußerungen eines Dais vergessen. Der Jüngere holte Luft und suchte nach sinnvollen Worten, dann sprach er endlich: „Hm? Was ist los mit dir?“. Die Nacht war kühl und ob dieser Tatsache hatte sich der fröstelnde Malik vorhin seinen schwarzen, langen Mantel übergeworfen. Gerade eben, da bereute er dies. Denn plötzlich wurde ihm schon wieder ganz schön warm. Verdammte- „Seit wann kümmert dich das?“ stellte Altaïr als Gegenfrage, klang dabei jedoch nicht vorwurfsvoll sondern eher ein wenig interessiert. Ähm. Malik stutzte und seine dunkelbraunen Augen wanderten, er kaute auf den Innenseiten seiner Wangen herum. Ohmann. Er gab ja einmal wieder eine tolle geistige Führungsperson seiner Bruderschaft ab. Musste ganz schon intelligent aussehen, wie er den Adler gerade anglotzte – oder eher: die Wand hinter jenem. Lediglich das leise Plätschern des kleinen Brunnens im Raum erfüllte die ungute Stille zwischen ihnen. Ja, seit wann kümmerte es ihn eigentlich, wie es 'dem dummen Novizen' ging? Nun, seit... längerem, wenn er ganz, ganz ehrlich zu sich selbst war. Das nicht so sehr wie jetzt, nachdem ihn der Andere aus dem stinkenden Verlies der Templer gefischt hatte, doch irgendwie hatte er Altaïr nie so ganz vergessen. Dabei sollte er ihn eigentlich abgrundtief hassen. „Es kümmert mich, weil ich ein Dai bin.“ gab Malik schlussendlich knapp zurück und umging damit geschickt irgendwelche Erklärungen um die Stellung Altaïrs in seiner mentalen Prioritätenliste „Mach mir nichts vor, Altaïr. Du wirkst fast schon apathisch und das schon den ganzen Abend. Was ist los mit dir?“. Prüfend lagen die beiden goldenen Augen jetzt auf dem Dunkelhaarigen; es schien so, als glaube der Adler nicht, dass Malik ihm helfen wollte. Er war misstrauisch und das war durchaus verständlich. Doch Argwohn brachte hier niemanden weiter; mittlerweile nur mehr gespielte Feindseligkeit auch nicht. Und genau dies schien Altaïr schließlich auch einzusehen. Er sah wieder fort, als er nach einer gefühlten Ewigkeit anfing zu sprechen, den Tonkrug mit dem Wasser nach wie vor in den Händen, als wäre es gerade nötig sich an irgendetwas festzuhalten. Mit dem Daumen fuhr der Mann die Rillen im Gefäß nach. „Ich fühle mich leer.“ gab er dann auf einmal zu. Es fiel ihm augenscheinlich schwer sich dies einzugestehen, war er ja auch 'der beste und jüngste Meisterassassine, den die Welt jemals gesehen hat'. Aber auch solchen überheblichen Leuten erging es manchmal schlecht, nicht wahr? Abwartend lehnte sich nun auch Malik zurück – mit dem Rücken an die harte Wand – und hörte zu. Zuhören, das war etwas, das selten wer tat. Es wirkte so trivial, doch eigentlich war es eines der wichtigsten Dinge und wertvoll für jeden, dem viele Sorgen auf der Seele lasteten. „Es ist so, als würde ich immer nur gegen eine Mauer laufen. Als wäre das, was ich mache... umsonst.“ redete Altaïr weiter vor sich hin. Es sah dabei so aus als würde er mit sich selbst – oder mit seinem Wasserkrug – sprechen. Malik's Blick hing derweil am Profil des Adlers; etwas mitleidig musterte er ihn. Eine klamme und ernste Atmosphäre tat sich in dem kleinen Außengarten mit den vielen Kissen auf, ein Gefühl, das einem unweigerlich gegen die Brust drückte. Der Dai unterdrückte ein Seufzen. „Al-Mualim schickt mich stets aus, um unsere Feinde zu töten. Doch manchmal, da zweifle ich daran, ob sie wirklich unsere Feinde sind...“ „Wie meinst du das?“ „Die Dinge, die sie sagen, wenn sie im Sterben liegen... sie verwirren mich.“ Altaïr's Stimme mit dem westlichen Akzent ging ruhig, doch etwas leiser als sonst. Ungewohnt leise. Er sah von seinem Krug auf und suchte direkten Blickkontakt zu Malik, der nach wie vor neben ihm verweilte und ihm geistigen Beistand leistete „Glaubst du, dass Sterbende lügen, Malik?“. Malik zögerte mit dem Antworten. Betroffen sah er dem Anderen entgegen und vergaß bei dem heiklen Gesprächsthema beinahe schon darauf, dass ihn die beiden starrenden, goldbraunen Augen in haltlose Nervosität und Wortlosigkeit versetzen sollten. Denn gefährliche Sandstürme, das waren sie; man durfte sich nicht in ihnen verlieren. „Glaubst du das denn, Altaïr?“ „Ich... weiß nicht.“ Ein schwaches Lächeln stahl sich auf die trockenen Lippen des jungen Dais; er spürte das plötzliche Verlangen danach dem Anderen die Hand freundschaftlich auf die Schulter zu legen. Doch er ließ in letzter Sekunde gerade noch davon ab; seine bereits etwas erhobene Hand legte er sich stattdessen selbst an das Kinn und fuhr dort über den kurzen Bart „Man kann sich niemals sicher sein. Doch bedenke, dass du es mit durchtriebenen Templern zu tun hattest... es wäre also nicht verwunderlich, hätten sie gelogen. Es gibt Menschen, die versuchen die Geister Anderer zu verseuchen, Altaïr, koste es was es wolle. Und andere bereuen ihre Taten wiederum, wenn sie knapp vor dem Tod stehen. Sie glauben ihre Gewissen reinwaschen zu müssen, bevor sie die Augen für immer schließen... Sie wollen ohne Schulden in ihr Totenreich oder Paradies reisen.“. „Weise Worte von jemandem, von dem ich sie niemals erwartet hätte.“ „Ach, sei ruhig.“ Malik sah fort und versuchte sich einem Grinsen zu erwehren – gelang ihm nicht so recht. Er fühlte, wie sich die klamme Stimmung im, vom Mondlicht und einer Kerze erleuchteten Garten ein wenig lockerte. Doch noch immer lag Sorge in der Luft und Altaïr wirkte nach wie vor so... matt. „Hole dir Ratschläge aber lass dich niemals von Anderen beeinflussen... und schätze Situationen selbst objektiv ein. Es ist nicht leicht, doch versuche auf deine eigene Vernunft zu hören... nicht auf irgendwelche Sterbende oder Anführer.“ schloss Malik ermutigend. Und als ihm Altaïr nun aberplötzlich auf mehrdeutige Art vollkommen ratlos entgegensah, schluckte er schwer. Was? Warum sah er ihn so an? Hatte er etwas Falsches gesagt? Der Dai hielt in seinen Ausführungen inne und verengte die Augen. So, als helfe ihm dies dabei die Gedanken des anderen, verschlagenen Assassinen zu lesen. Und dann kam Malik eine ganz vage Vermutung: Die letzten Gespräche mit seinen Opfern... sie belasteten den Adler zwar, doch waren nicht der wirkliche Grund für sein seltsames Verhalten. Oder? Altaïr war gedanklich ganz wo anders, war er die ganze Zeit über schon gewesen, auch jetzt, er dachte über irgend ein anderes Problem nach und deswegen wirkte er auch so teilnahmslos. Was wollte er wirklich? Malik wurde unsicher. „Altaïr?“ fragte der Kartograf mit Nachdruck in seinem Ton. Die Antwort darauf kam schnell, so als würde sie vollends überstürzt ausgesprochen werden: „Es tut mir leid.“ Die dunklen Augen des perplexen Dais weiteten sich und seine Mimik wollte ihm entgleisen, als der Andere diese Worte – diese Entschuldigung – von sich gab. Altaïr entschuldigte sich im Normalfall nicht. Für nichts und bei Niemandem. Reue schien ihn bisher ein Fremdwort gewesen zu sein. „Wie?“ „Es tut mir leid, Malik.“ hätte der Jüngere seinen Blick nun etwas gesenkt, hätte er gesehen wie fest sich Altaïr gerade an seinem Tonkrug festhielt. Weiß traten seine Fingerknöchel hervor, als er über seinen Schatten sprang. Doch Malik sah nicht nach unten, nein, gerade jetzt schienen die Sandstürme reißender zu sein als sonst. Und... mischte sich da gerade etwa ein wenig Regen in sie? „Ich will, dass du mir verzeihst.“ forderte der Größere nach seiner so plötzlichen Entschuldigung und schien sein diszipliniertes Verhalten sogleich vergessen zu wollen „Verzeih mir, bitte.“. Malik's Mund stand vor Überraschung offen und er wagte es kaum zu atmen. Träumte er? Was zum Teufel war mit Altaïr los?? Letzterer wollte sich gerade erheben. Vermutlich um zu fliehen, weil er die kleinen Tränen in seinen Augenwinkeln bemerkt hatte. Trottel. Der vor den Kopf gestoßene Dai fasste nach vorn, haschte nach einem der Schöße von der Robe des Anderen und hielt ihn daran fest. Dieses Mal würde Altaïr ihm nicht so einfach davonkommen, dieser Feigling, nicht nach seinen letzten paar Aussagen! Fast schon gewaltsam zog Malik an dem Ende der Uniform des Assassinen, zerrte ihn daran zurück gen Boden. Altaïr ließ dies auch zögerlich und schweigend zu; mit tief in das Gesicht gezogener Kapuze saß er somit gleich wieder neben dem ungläubigen Kartografen, der noch immer nicht so ganz wusste wie ihm geschah. „Was du getan und wofür du Schuld bist, werde ich niemals vergessen, Altaïr.“ entkam es dem Dai im nächsten Augenblick ehrlich, doch etwas trocken „Und es wundert mich, dass du dich jetzt und so spät dafür entschuldigst.“. Er sah, wie der reumütige Adler neben ihm die Lippen aufeinander presste; seine braunen Augen blieben an der kleinen Narbe an einem der Mundwinkel hängen. Es tat Altaïr also wirklich leid. Die Sache mit Kadar, Malik's Arm... sein torhaftes Handeln von vor vielen Monaten. Er hatte gründlich über all das nachgedacht, so schien es, und womöglich plagte es ihn schon eine ganze Weile. Wäre dem nicht so... hätte er sich nun nicht die beiden Hände vor das Gesicht gepresst und sich völlig in sich gekehrt zurück an das Mauerwerk sinken lassen. Es tat weh den sonst so arroganten und gefassten, kühlen Krieger so zu sehen. Erneut fehlten Malik die Worte und der Atem - und dieses Mal gab er dem Impuls Altaïr anfassen zu wollen nach: Der 25-Jährige wendete sich dem bekümmerten Anderen zu und legte seinen Arm um dessen breite Schultern; zuerst nur eher zaghaft, denn Altaïr zeigte keinerlei Reaktion darauf, sondern blieb nur in sich zusammengesunken in seiner Ecke sitzen. Viel mehr als Kapuze und Handrücken sah man von ihm nicht, doch dass er zitterte, das konnte er nicht verbergen. Malik's Hand, die jetzt an dem Oberarm des Älteren lag, drückte diesen leicht; es war ein stummes 'Ich bin ja da.' und 'Es wird schon wieder.'. Ach, der Kurzhaarige fühlte sich einmal wieder so... so unbeholfen. Was sollte er nun tun? „Altaïr... ich werde es nicht vergessen...“ fing der einfühlsame Dunkelhaarige sanfter an und wiederholte sich damit; seine Stimme klang ein wenig brüchig, hatte er im Moment auch große Mühe damit die Fassung zu bewahren „Aber ich glaube dir, dass es dir leid tut, wirklich. Und daher verzeihe ich dir auch...“. Durch den Körper des stummen Altaïr ging ein merkbares Beben; bestimmt waren seine Hände an seinem Gesicht bereits feucht. Oh, Allah steh ihm bei... „Hast du verstanden?“ fragte Malik vorsichtig nach und bemerkte nicht, wie fest sich seine Finger gerade in den Stoff von Altaïr's Robe krallten „Ich verzeihe dir, Altaïr. Es ist in Ordnung.“. Ja, es war in Ordnung so. Es war in Ordnung, dass der sonst so Starke stumm in sich hinein weinte und es war in Ordnung, dass sich Malik nun die Blöße gab ihm aufrichtig zu vergeben. Vielleicht... vielleicht hatte er gerade einen Schritt weiter in die Richtung eines seiner Ziele getan. Vielleicht würde es Malik nun, nach dem hier, auch besser gehen, denn mit seinen aufrichtigen Worten hatte er auch ein großes Versprechen an sich selbst eingelöst: Frieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)